….und wie wir in Dogubayazit in einen bürokratischen Teufelskreis geraten und schließlich doch noch mit einem Umweg über den Mond Georgien erreichen…
Bevor ich meine heutige Sitzung beginne, noch ein paar Worte zur aktuellen Situation aus dem Waterhole. Es ist der 5. Januar im neuen Jahr 2022 und eigentlich wollten wir unseren LEMMY heute in den Hafen von Hamburg gebracht haben, aber es kam anders. Unser Containerschiff Atlantic Star unter maltesischer Flagge steht noch immer im Hafen von Baltimore, statt längst den Atlantik zu überqueren um Europa zu erreichen. Es sollte eigentlich am 10. Januar von Hamburg nach Halifax in See stechen und 14 Tage später dort, in Nova Scotia anlanden. Seitens der Reederei heißt es nun, es gehe voraussichtlich am 15. Januar in Hamburg los. Allerdings sehen wir auf der „Marine Traffic“ App jetzt schon, dass das Schiff erst um 23.00 Uhr am 15. Januar ankommen wird. Das würde bedeuten, es müsste die gesamte Strecke von Baltimore bis Hamburg in nur 9 Tagen schaffen. Seabridge teilt uns mit, dass sie Zeit aufholen wollen, indem sie die Häfen Halifax und Antwerpen auf dem Weg nach Hamburg auslassen. Doch ich halte es für sehr optimistisch und kann nicht so recht daran glauben, dass es klappen kann. Denn jetzt ist es hier schon nach 20 Uhr MES und das Schiff steht immer noch im Hafen an der Ostküste der USA. Alternativ hat man uns angeboten, morgen das Auto nach Antwerpen zu bringen und mit einem anderen Schiff nach Halifax zu befördern. Dann wäre LEMMY bereits am 23. Januar in Kanada, doch das können wir so kurzfristig nicht umsetzen.
Nun fahren wir am 10. Januar nach Hamburg um LEMMY dort im Hafen abzugeben, also 5 Tage später als geplant, aber immer noch rechtzeitig vier Tage vor unserem Flug. Im Grunde ist es nicht weiter dramatisch, denn wir gewinnen hier ein wenig mehr Zeit um technische Probleme mit dem Ranger zu lösen (dazu später mehr) und kleinere Schäden (die mir jetzt erst beim Carwash aufgefallen sind) zu beheben. Das Ding ist, dass wir bereits ein Apartment in Halifax gebucht haben (vom 14.01 bis zum 25.01.2022) und dann mit LEMMY los wollten, aber das können wir nach hinten verschieben. Soviel erstmal aus dem Waterhole….

MARDIN mit einer Altstadt wie aus dem Märchen, traumhaft gelegen an einem Berghang. Viele Treppen zu erklimmen heißt es daher heute für uns. Aber das macht nichts. Im Gegenteil, nach der langen Reiserei im Auto kann uns etwas Bewegung nur guttun. Einen halben Tag haben wir um die Altstadt zu erkunden. Es gibt eine Liste im Internet mit den Top 10 Highlights, aber ich brauche es längst nicht mehr so wie früher, jede von diesen 10 Sehenswürdigkeiten abzuhaken. Zinciriye Medresesi wollen wir aber unbedingt sehen, unterhalb des Mardin Kalesi und alles was sich auf dem Weg dorthin so bietet.

Und geboten wird uns ein Gassengewirr mit kleinen Kirchen, Moscheen, mit zahllosen netten Restaurants, mit herrlichen, kleinen Shops die zum Stöbern oder zum Probieren von süßen Köstlichkeiten einladen. Säckeweise werden Mandeln angeboten mit einem blauen Schokoladenüberzug und braune Mandeln mit Zimtgeschmack, süße kandierte Früchte, verschiedene Nüsse, honiggetränktes Baklawa. Kuchen so bunt und kunstvoll verziert, dass man direkt zugreifen und reinbeißen möchte. Wir probieren und kaufen ein halbes Kilo von den blauen Mandeln und denen mit Zimtgeschmack für 35 Lira. Auch Seifen gibt es hier zu kaufen. Dafür ist Mardin bekannt. Für das Gesicht, für die Haare, für trockene oder für empfindliche Haut. Es gibt sie in jeder erdenklichen Farbe, in tausend verschiedenen Duftnoten und für jeden Typ das Passende.


Wir kommen vorbei am Bagdhadi Cafe und dem „I love Mardin“ Zeichen. Die einzigen Touristen sind wir natürlich nicht, aber was hier in den Sommermonaten los ist kann ich mir gut vorstellen. Jetzt entdecken wir überwiegend türkische Reisende oder welche aus den Nachbarländern, wie Iran, Pakistan oder Indien und auch aus den arabischen Ländern. Aber wir gehen nicht dichtgedrängt durch die engen Gassen, wie es womöglich im Juli und August hier der Fall ist. Das stelle ich mir zumindest so vor.

Das Mardin Kalesi, die alte Festungsanlage war schon gut von unserem Parkplatz aus zu sehen und ist ein guter Anhaltspunkt für die grobe Richtung zu unserem Ziel, der Zinciriye Medresesi. Diese alte Palastanlage beherbergt heute eine theologische Schule und eine Moschee und sie hat eine atemberaubende Aussicht auf die gesamte Altstadt unter uns zu bieten. Über endlose Weiten bis rüber nach Syrien und auf die umliegenden Berge. Dieser Ausblick ist unbezahlbar und unvergesslich und ich fühle mich wie auf dem Dach der (türkischen) Welt.


Von hier aus beobachten wir das bunte Treiben unter uns eine Weile, sehen einen Reiter auf einem bunt geschmückten Pferd durch die Gasse reiten. Beobachten die Ladys, die sich mit den üblichen Selfie Posen in Szene setzen vor dieser beeindruckenden Kulisse, oft gleitet eine Hand durch das im Wind wehende Haar und der Schmollmund gelingt perfekt. Wir spazieren, jeder für sich ein wenig umher und genießen die verschiedenen Aussichten. Ich gehe noch in die Moschee, eigentlich eher ein kleiner Gebetsraum, für die Jutta nicht passend gekleidet ist. Das ließe sich zwar schnell ändern, da für solche Fälle Tücher und Umhänge zum Leihen angeboten werden. Ihr reicht aber der Blick von außen durch die Fenster.

Nach einer Weile des Umherstreifens, nachdem wir uns haben treiben lassen, berauscht durch diese ganzen Eindrücke, bekommen wir Lust auf etwas Kaltes zu trinken und entdecken nebenan ein einladendes Café mit alternativer, türkischer Rockmusik. Es liegt etwas tiefer und wir schauen von oben darauf. Da wollen wir hin. Das Harabee Kitap Café ist liebevoll hergerichtet mit verschiedenen Sesseln und Stühlen, mit bunten Tischen und kunstvollen Bildern an den Wänden.

Das Café erstreckt sich über mehrere Dachterrassen und überall gibt es etwas zu entdecken. Hier eine Leiter auf eine etwas höhere Terrasse, dort ein kleines Blumenbeet mit bemalten Töpfen, die kleine überdachte Bar mit der netten Barkeeperin. Alles wirkt sehr durchdacht und man erkennt auch ohne Sachverstand, dass hier viel Liebe zum Detail drin steckt.


Wir bestellen eine Home Made Lemonade. Auch von hier aus schauen wir rüber nach Syrien und denken wieder an die große Militärpräsenz in dieser Region. Würde ich heute nicht noch lange fahren müssen, dann hätte ich mir sicherlich was anderes zu trinken bestellt. Langsam bereue ich den Entschluss heute noch weiter zu fahren. Das Harabee Kitap Café wäre ein Ort, an dem ich durchaus für etliche Stunden bei einigen Bieren hätte hängen bleiben können.

„So ein Mist!“, denke ich mir. Aber wir haben abgemacht nur eine Nacht zu bleiben und eigentlich reicht es auch und morgen würden wir nicht ganz viel Neues entdecken. „Nur weil ich jetzt Bock auf Bier trinken habe, noch eine Diskussion mit Jutta anfangen?“, frage ich mich. Schließlich wollen wir ja auch bald nach Georgien einreisen und der Winter kommt, wenigstens kalendarisch, immer näher. Die Tagestemperatur heute und hier beträgt allerdings 29°. Ich spreche den Gedanken laut aus, weil gerade ein cooles Lied läuft und ich den Augenblick genieße, mit dieser Aussicht und der Musik auf dieser Terrasse, mit dem Bewusstsein, dass in ca. 20 km die syrische Grenze verläuft. Sowas fasziniert mich halt. Jutta genießt das Alles auch sehr, gibt aber zu Bedenken, dass wir ja abgemacht haben, jetzt schnell nach Georgien zu kommen. Damit sich mein Traum vom intensiven Offroadfahren in Georgien erfüllt, ohne dass uns vielleicht schon starker Schneefall und Wintereinbruch ein Strich durch die Rechnung macht. Wobei bei uns die Einschätzung der Nichtbefahrbarkeit von Strecken natürlich deutlich unterscheidet. Das ändert sich in Georgien zum Glück, aber dazu später mehr…
Schnell kommen wir überein, nach dem Lunch Mardin zu verlassen. Obwohl es traumhaft schön ist, obwohl ich mich hier zu gerne betrunken hätte, um bis in die Abendstunden hier den Sonnenuntergang zu beobachten und um den heraufziehenden Sternenhimmel zu bewundern. „Was solls!“, sage ich mir, „Muss ich halt noch mal wieder kommen….“
Für den Lunch finden wir ein kleines, gemütliches Lokal, sitzen auf dem Teppich an niedrigen Tischen und trinken noch einen Chai, bevor wir Old Town verlassen.

Wieder angekommen an unserem Stellplatz, möchte ich noch die Rechnung begleichen und begebe mich auf die Suche nach Jemandem, dem ich die verabredete Summe von 50 Lira aushändigen kann. Dann finde ich einen jungen Mann, allerdings einem Anderen als gestern Abend bei unserer Ankunft. Er spricht fließend deutsch, denn er lebt in Deutschland und ist nur zu Besuch in seiner alten Heimat. Ich sage ihm, dass ich bezahlen möchte, weil wir jetzt weiter fahren. Wohin wir wollen will er wissen und ich antworte: „Nach Georgien.“ Dann plaudern wir ein wenig. Zum Bezahlen kommt es nicht. „Wir sind nicht in Deutschland.“, sagt er. „Ich nehme doch keine 50 Lira von dir, nur weil du hier auf einem fast leeren Parkplatz gestanden hast!“ Ich bedanke mich, hocherfreut über diese überaus nette Geste und verabschiede mich. Bevor wir fahren schaue ich noch auf das Kennzeichen von dem PKW, der sich gestern Nacht neben uns gestellt hat, nachdem wir schon im Bett waren. Er kam aus der Ukraine und auch in diesem Fahrzeug hat ein Pärchen übernachtet. Ich hatte sie am Morgen gesehen, bevor wir losmarschiert sind.
NEMRUT GÖLÜ, ein hoch gelegener Kratersee ist unser anvisierter Stellplatz für heute Nacht. Es wird mehr Abenteuer als wir erwarten und wir erleben einen Temperatursturz von über 30°. Dafür erwartet uns am Abend die perfekte Gastfreundschaft eines einsamen Teeverkäufer am bitterkaltem Kratersee. Aber zunächst verlassen wir Mardin, stocken am Ortsausgang noch etwas die Vorräte auf und fahren dann straight nach Norden durch kilometerlange Baumwollplantagen. Eine Weile fahren wir die D380 Richtung Bismil, dann geht es über Batman nach Tatvan am Vansee.

Von dort ist es dann nur noch ein Katzensprung zum Nemrut Gölü. Aber eine Katze hat gute Augen im Dunkeln. Mein Ford Ranger, unser LEMMY hat nur sehr schlechtes Fernlicht und auch das Abblendlicht lässt zu wünschen übrig. Was auch noch zu wünschen übrig lässt, ist die Bergstraße hoch zum Kratersee.
Wir halten uns nicht immer strikt an die Route vom Tomtom, sondern fahren gerne auch mal die Nebenstrecken, um ursprünglichere Eindrücke zu bekommen. So passieren wir einsame Bergdörfer, sehen viele Baumwollfelder, erntende Menschen und Traktoren, meterhohe Baumwollberge und ganze Ortschaften, die nur von diesem Industriezweig leben. Wir sehen auch wieder viel Armut und viel Müll, viele trostlose Landstriche, unattraktive und nicht besonders einladende Satellitenstädte.
Wir wussten, dass man mindestens viereinhalb Stunden braucht für diese Strecke von etwas über 300 km, ohne Pausen. Was wir nicht bedacht hatten war, dass die Auffahrt zum Kratersee, zum Nemrut Krateri Gölü im Dunkeln ca. dreimal so lange dauert. Google Maps hatte am Tag dafür ca. 30 Minuten veranschlagt . Wir dachten: „Bei Start um 14.00 Uhr müssten wir bis 19 Uhr bestimmt angekommen sein!“ Na, dass war wohl nichts. Zu dieser herbstlichen Zeit wird es früh dunkel in der Türkei, nämlich so gegen 17:30. Und noch etwas später, dann ist es echt finster.

Nützt uns jetzt alles nix, wir wollen unseren Parkplatz erreichen. Nachdem wir den Ort Tatvan am Vansee hinter uns gelassen haben, finden wir mit Mühe den Einstieg in die Route zum Nemrut Gölü hinauf. Es geht auf einer sehr schlechten Piste steil hoch zu diesem Kratersee. Mittlerweile ist es stockduster und ich muss oft in den zweiten Gang schalten, um die Steigung zu bewältigen. Aber umdrehen wollen wir jetzt auch nicht mehr. „Siehst du noch den Weg?“, frage ich Jutta. „Nee, Google zeigt nichts mehr an!“ Das Tomtom zeigt auch nur noch unsere Position, aber keine Straßen und keine Wege mehr. Egal, wir folgen einfach der breiter erscheinenden Piste. Zum Glück gibt es nur zwei fragwürdige Gabelungen und wir entscheiden uns jeweils für die Richtige. Als es irgendwann mal etwas bergab geht, fällt mir ein Feature von LEMMY ein. Eine zusätzliche Beleuchtung, die im normalen Straßenverkehr nicht erlaubt ist, aber genau für solche Situationen gedacht ist. Die haben wir für viel Geld als Upgrade, genau für solche Situationen installieren lassen. Aber was ich jetzt sehe ist echt enttäuschend. Diese Extra-Beleuchtung bringt auch in solchen, dunklen Gegenden keinen wirklichen Gewinn. Das war das Geld leider nicht wert, davon hatte ich mir für den Preis viel mehr versprochen. Ich schalte sie enttäuscht ab, ärgere mich aber nicht lange drüber, denn wir erblicken ein Lagerfeuer in einiger Entfernung. Darauf steuere ich jetzt zu. Ich sehe nur den schmalen Weg vor mir und das Lagerfeuer, zu dem ich hin will.

Als wir schon fast da sind, kommt uns jemand entgegen. Offensichtlich hat er uns schon von Ferne kommen sehen und marschiert auf uns zu. Ich öffne mein Fenster und begrüße den Fremdling, obwohl genau genommen wir die Fremdlinge sind. „Hey!“, sage ich überglücklich, in der Hoffnung irgendwo zum Übernachten angekommen zu sein. „Können wir über Nacht hier stehen?“, frage ich ihn. Gott sei dank spricht er ein wenig englisch und wir können uns mit ihm ganz gut verständigen. „Ja klar!“, sagt er und leitet mich direkt zu meiner Parkposition am See. Wie grandios wir hier stehen realisieren wir erst jetzt. Der helle Mond erstrahlt über den Krater Lake. Wir stehen direkt am See, neben der Feuerstelle und der Hütte unseres Gastgebers. „Wollt ihr Tee?“, fragt er uns. Das Thermometer zeigt minus 3°. „Ja, sehr gerne.“, sagen wir und nehmen die Einladung an. Seine Hütte besteht aus vier Wänden aus Stein, darüber Wellblech, der Boden ist die einfache Erde darunter. Dann gibt es noch ein paar Holzstützen und Balken mit Plastikplanen darüber, um die Wohnfläche zu vergrößern.

Sein größtes Kapital ist ein gusseiserner Ofen, auf dem er uns jetzt gerade einen Tee zubereitet. Das Feuer im Ofen und eine kleine Stirnlampe erhellen den sonst sehr dunklen Raum ein wenig. Ich sitze auf seinem Bett, Jutta auf einem Klappstuhl, genau wie unser Gastgeber. Er serviert uns Tee und berichtet etwas von seinem Leben. Er hat eine Frau und eine Tochter. Bis Ende November bleibt er hier normalerweise am Kratersee und lebt vom Teeverkauf an die Tagesausflügler und die wenigen Camper. Wenn es zu arg wird mit dem Schnee, dann geht er auch schon mal eher vom Berg runter zu seiner Familie. Wir erfahren, dass es dort oben auf dem Berg einen Hamam gibt, vermuten aber, dass er eine heiße Quelle meint, an der er sich immer waschen und aufwärmen kann. Wir erleben eine unbeschreibliche Herzlichkeit, eine Offenheit uns gegenüber, die mich überwältigt. Wir kommen als Fremde, durchgefroren, in einer unwirtlichen Gegend und werden willkommen geheißen von jemandem der uns nicht kennt, der abseits lebt, der nicht viel zu bieten hat, außer heißem Tee und seine Gastfreundschaft. Aber das ist soviel mehr wert. Mir fehlen hier mal wieder die passenden Worte. Er verweigert es, Geld von uns zu nehmen für den Tee und auch für den Stellplatz will er nichts berechnen und damit geht es uns nicht gut.

So können wir hier nicht wegfahren. Er bittet uns, seine akkubetriebene Stirnlampe über Nacht mit unserer Bordbatterie zu laden. Er hat hier oben keinen Strom, nur ein altes, kleines Faltsolarpanel. Das machen wir natürlich sehr gerne, wenigstens das können wir für ihn tun. Und dann überlegen wir uns, ihm unsere batteriebetriebene Schnurlampe dazulassen, damit er nicht nur auf seine Stirnlampe angewiesen ist. Er hat davon einen viel größeren Nutzen als wir und wir können uns schnell wieder eine Neue kaufen. Und außerdem haben wir eh viel mehr als wir brauchen. Da ist er wieder mal, so ein Moment, indem man begreift, wie privilegiert man ist und wie verzichtbar so Vieles für uns ist. Für andere hingegen so unschätzbar wertvoll.

Er hat keinen Strom und kein fließendes Wasser. Es ist auch bei Tag dunkel in seiner Hütte, da es kein Fenster gibt, das ein wenig Licht hereinlassen könnte. Mir wird mal wieder sehr bewusst, mit wie wenig man auskommt und wie wenig man wirklich braucht zum Glücklichsein. Dankbar und demütig verabschieden wir uns am nächsten Morgen von diesem perfekten Gastgeber.
Vor dem Rückweg bei Tageslicht, erkunden wir noch etwas mehr von diesem absolut lohnenswertem Etappenziel, dem Nemrut Gölü, um dann aufzubrechen Richtung Dogubeyazit.
Auch auf dem Weg dorthin, wo wir eine Endlosschleife der Bürokratie erleben werden, haben wir eine Option auf eine Zwischenübernachtung in Asma Köprü.
Heute wird ein deprimierender Tag. Das Wetter ist schlecht und das sind wir überhaupt nicht mehr gewohnt. Es ist kalt und windig, der Himmel ist trüb und es ist etwas neblig. Das drückt die Stimmung runter. Der Ort Asma Köprü, besonders der Stellplatz ist zwar nett am Fluss gelegen und einen Wasserfall gibt es auch, aber wir fühlen uns nicht wohl.


Hinter LEMMY am Zaun liegt eine Hündin mit ihren drei Welpen und alle frieren und haben Hunger. Wir stellen etwas von unserem Katzenfutter hin und sie fressen davon, aber das hebt unsere Stimmung auch nicht. Ich gehe noch auf die Brücke und sehe den Wasserfall, der bei park4night erwähnt wurde, bin aber trotzdem deprimiert. Das erste Mal auf unserer Reise bin ich es, der echt mies drauf ist. „Keine Ahnung was los ist.“, sage ich zu Jutta. „Lass uns weiter fahren, an diesem trostlosen Ort will ich nicht die Nacht verbringen!“
Tanken müssen wir noch und Ad Blue ist auch bald fällig. In Georgien soll es eh schwierig sein Ad Blue zu bekommen. Wir halten an einer großen Tankstelle, da sehen wir auch schon die begehrten Kanister stehen. Das Schöne für uns ist, dass der Liter Diesel nur 0,75 Euro kostet und sobald man sich den Zapfsäulen nähert, eilig ein Tankwart kommt, um einem eine Zapfsäule zuzuweisen und das Tanken zu übernehmen. Das gehört im ganzen Land an jeder Tankstelle zum Service, auch das Reinigen der Scheiben, wobei hier ein kleines Trinkgeld angebracht ist. Spannend ist es immer zu beobachten, wie der Tankwart fragend zu mir rüber schaut, wenn die Zapfsäule 120 Liter und mehr anzeigt und der Tankwart sich wahrscheinlich fragt, ob der Tank ein Loch hat, ob das so alles seine Richtigkeit hat. Natürlich kann er nicht wissen, dass ich den großen Lone Ranger Tank mit einer Kapazität von 140 Liter Diesel habe.
An dieser Tankstelle war es so, dass der Tankwart kein Wort englisch oder deutsch verstand. Das ist aber normalerweise kein Problem, denn „Bitte volltanken!“ kann ich auch ohne Worte erklären, aber diesmal kam jemand, der sich berufen fühlte, sich einzumischen. Wahrscheinlich, weil er unser deutsches Kennzeichen gesehen hat. „Hallo, wie geht’s?, wollte er wissen. „Ja danke, ganz gut.“, sagte ich, nicht gerade in Plauderlaune. „Wie findet ihr Hitler?“, war direkt die zweite Frage, die er mir stellte. „Den mögen wir nicht!“, war meine knappe Antwort, etwas überrumpelt wegen dieser eigenartigen Konversation, mit der ich da konfrontiert wurde. Ich wendete mich ab von dem Idioten. „Ich mag Hitler!“, kam als Antwort und ich dachte nur: „Was will der Arsch von mir?“ Ich sagte nochmal, dass wir Hitler blöd finden und ignorierte den Typen bis wir fertig waren mit Tanken. Er hatte scheinbar begriffen, dass er mit der Frage keinen Eindruck schinden oder mich provozieren konnte und behelligte mich nicht mehr.
Dann nahm ich noch 3 Liter Frostschutz für die Scheibenwaschanlage mit, bezahlte und fuhr deprimiert weiter. An diesem Tag hatte ich einen Tiefpunkt. Nicht wegen diesem Idioten an der Tankstelle. Wegen dem Wetter? Vielleicht. Wegen der zum Teil echt deprimierenden Umgebung? Auch vielleicht. Oder wegen dem Erlebnis am Nemrut Gölü? Bestimmt nicht! Ich hatte keine Ahnung woran es lag, aber ich wollte dass es vorbei geht. Und ich wusste, dass es vorbeigehen wird. Die Frage war nur: Wann? Es ging vorbei, noch am selben Tag. Wir erreichen Dogubeyazit.

Selbstverständlich hatte Jutta längst eine Übernachtungsmöglichkeit parat, beim „Noah Restaurant und Camping“ oben auf dem Berg. Sie bieten einige Camper- und Zeltstellplätze an, sowie zwei Sanitärhäuschen, die aber eher einer Baracke gleichen und die Toiletten sind unterirdisch. Ich möchte nicht näher beschreiben, was sich mir für ein Anblick bot, als ich in die Waschräume und die Toiletten schaute. Außerhalb der Saison dient der Platz wohl als Kuhweide und ohne Zaun marschieren die auch in die Sanitärgebäude, die wohl schon lange nicht mehr gereinigt wurden. Wir entscheiden uns auf dem Parkplatz direkt vor dem Restaurant stehen zu bleiben, denn dort ist es ebenerdig. Wir stehen gerade und hängen uns auch mal wieder an das Stromnetz. Tagsüber, solange die Sonne scheint, haben wir noch immer deutlich über 20° und können mit kurzer Hose und T-Shirt oder leichtem Pulli rumlaufen.

Gegenüber von unserem Stellplatz ist ein kleiner, verlassener Jahrmarkt. Und oberhalb des Noah Restaurants ist der bedeutendste Sultanspalast Anatoliens, Ishak Pasa Sarayi. Was für eine glückliche Fügung, denn gekommen sind wir eigentlich nur um den Ararat zu sehen und um einen PCR Test für Georgien machen zu lassen. Ansonsten hat der Ort nicht viel zu bieten. Nun aber bekommen wir mit dem Sultanspalast noch etwas Kultur geboten und mit dem alten Jahrmarkt einmal mehr einen magischen LOSTPLACE zu sehen.
Als unsere Freunde aus der Schweiz, das Orange Landrover Team gesehen hatten, wo wir gerade parken, fragten sie uns über Instagram, ob denn die Einschusslöcher über der Tür vom Restaurant noch da sind. Ich schaute nach, fand aber keine Einschusslöcher. Sie waren 2002 auch schon mal hier beim Restaurant und es gab kurz davor wohl Streitigkeiten mit einem anschließenden Schusswechsel. Keine Löcher mehr zu sehen über dem Eingang, meldete ich zurück.
Nach dem heutigen Reisetag machen wir nichts weiter als zu kochen und uns zu überlegen, wie und wo wir morgen den PCR Test machen können. Den Palast und den Rummelplatz verschieben wir ebenfalls auf morgen.


LOST PLACES ziehen mich mittlerweile magisch an und gibt es einen magischeren Ort, als einen verlassenen Rummelplatz? Nach dem Frühstück gehe ich rüber um ein paar Fotos zu schießen und auf den Spuren der Vergangenheit zu wandeln. Jutta macht LEMMY von innen soweit startklar. Ich passiere das verwaiste Kassenhäuschen und sehe einen alten Autoscooter, eine verblasste mit Patina überzogene alte Schiffsschaukel und kleine Karussells. Neben der alten Losbude steht ein ramponierter Wagen in dem vor langer Zeit junge Leute ihre Runden drehten, nachdem sie einen Plastikchip in den Schlitz geworfen haben. In meinen Gedanken erwacht der Rummel zum Leben. Ich höre die Geräusche, rieche den Duft von gebrannten Mandeln, während ich mich hinhocke und aus verschiedenen Perspektiven meine Fotos knipse. Die Jungs fuhren Autoscooter und rammten sich gegenseitig, um den Mädels zu imponieren, genau so wie bei uns, wenn im Ort das Volksfest aufgebaut wurde.

Bei einem Rocky Boxautomaten konnte man seiner Lady mit nur einem Punch beweisen wie stark man ist. In der Schiffschaukel hielt man sein Baby im Arm und alle schreien, sobald es wieder abwärts geht. Am Stand mit den Losen hoffte man auf den großen Gewinn, um letztendlich am Schießstand die letzten Zweifel auszuräumen, dass man ein cooler Typ ist. Ich habe direkt die ganzen Geräusche des verfallenen Jahrmarktes im Ohr, die laute Musik, das Stimmengewirr und die Rufe des Losverkäufers. Sehe die jungen Leute bummeln, Hand in Hand, mit Zuckerwatte oder einem Eis in der anderen Hand. Beim Karussell ertönt die Stimme des Mannes am Schalthebel aus seiner kleinen Bude: „Noch eine Extrarunde gefällig?“ und die Menge jubelt und reißt die Arme hoch in die Luft.
Zuletzt war ich im Sommer 2011 in Santa Cruz, direkt am Pazifik auf so einem kleinen, netten Rummelplatz und nun vermische ich meine Erinnerungen mit dem was ich hier auf diesem lebendig gewordenen Geisterjahrmarkt gerade erlebe. Ein Zoltar, fehlt hier noch, der einem einen Wunsch erfüllt, wenn man einen Vierteldollar richtig in seinen Mund befördert, während sich sein Kopf dreht und der Mund auf und zu geht. Genau im richtigen Moment muss man die Münze loslassen und hoffen das das Timing exakt stimmt, denn nur dann werden die Wünsche wahr. „Kommst du endlich?“, weht ein lautes Rufen zu mir herüber und abrupt werde ich aus meinem Wachtraum gerissen. „Wir wollen hoch zum Palast!“
Ich trotte langsam zurück, Fotos habe ich genug in der Tasche. „Warum hat das denn so lange gedauert?“ fragt Jutta. „Och, weiß auch nicht.“, sage ich, „hatte einen kleinen Abstecher nach Santa Cruz unternommen.“
Bevor wir zum Sultanspalast Ishak Pasa Sarayi hochfahren, verabschieden wir uns noch im Noah Restaurant und fragen die Tochter des Hauses, ob sie uns sagen kann, wie wir am besten an einen PCR Test kommen. Wir benötigen einen PCR Test für die Einreise nach Georgien. Und nun wissen wir auch wie das geht, denn das hat uns die hilfsbereite Tochter des Noah Restaurant Inhabers erklärt.

Aber zuerst geht es zum Palast. Wir sind schwer begeistert von der Architektur, von der Lage der gesamten Anlage und vom Ausblick über die Umgebung des hoch gelegenen Areals. Geparkt haben wir neben einem anderem Pickup Camper aus Ludwigshafen. Innerhalb des Palastes treffen wir die Bewohner des anderen Offroaders und kommen ins Gespräch. Sie kommen den langen Weg über den Balkan, über Griechenland in die Türkei, ausschließlich um den Ararat zu sehen, diesen biblischen Berg, auf dem vor langer Zeit Noahs Arche strandete. Wir haben den schneebedeckten Berg auch bereits gesehen und er hat uns beeindruckt.

Aber wir haben dem nicht die gleiche Bedeutung beigemessen, wie dieses ältere Ehepaar. Für uns war es eine Attraktion am Wegesrand, die ich unbedingt sehen wollte, aber es war nicht das eigentliche Ziel unserer Reise. Dann trennen sich innerhalb des Palastes unsere Wege und wir schauen uns die Moschee an, die auch in diesem alten Bauwerk eigens für den Sultan und seinen Gästen errichtet wurde.

Dann geht auch schon langsam auf Mittag zu und wir haben alle Räume erkundet und die Aussicht zur Genüge genossen.

Auf dem Parkplatz sehen wir die beiden Herrschaften aus Ludwigshafen wieder und Jutta macht noch eine LEMMY Begehung mit dem Mann, während ich mit seiner Frau draußen über unsere Campingerfahrungen rede. Wir machen etwas Smalltalk, dann kommt Jutta mit dem Mann dazu und die Unterhaltung wird fortgeführt. Ich erlaube mir einen flüchtigen Blick auf meine Uhr und erschrecke etwas. Es ist bereits viertel vor eins, als ich die Plauderei abbreche.
Was wir vorher von der hilfsbereiten Tochter des Noah Hauses erfahren haben: „Ihr müsst nur zur Bank gehen, bis 13 Uhr ist sie geöffnet und eine Einzahlung für den PCR Test machen. Dann fahrt ihr zum Krankenhaus und macht den Test. Falls ihr Probleme habt könnt ihr mich anrufen.“ Sie notiert ihr Telefonnummer. „Tausend Dank!“, verabschieden wir uns.
Ich parke in zweiter Reihe und Jutta ist rechtzeitig in der Bank, kurz vor eins. Ich warte im Auto. Es dauert und dauert. Nach einer gefühlten Ewigkeit sehe ich sie im Rückspiegel kommen. Sie scheint nicht gerade begeistert. Das hat schon mal nicht geklappt, erfahre ich nach kurzer Zusammenfassung. Die akzeptieren die Einzahlung nur von einem Residenten, also einem Staatsbürger oder einem mit ständigem Wohnsitz in der Türkei mit einem türkischen Konto. Als Durchreisender geht das nicht und leider ist die Tochter, deren Telefonnummer wir haben, gerade nicht erreichbar. Macht aber nichts. In der Bank hieß es, wir können in ein anderes Krankenhaus fahren, da brauchen sie keine Einzahlung auf ein Konto, die machen das auch so. „Jawoll, super!“, denken wir noch und fahren direkt los in dieses Krankenhaus. Dort angekommen werden wir sofort äußerst freundlich empfangen von einer jungen Dame und durch das komplette Krankenhaus geführt. Unterwegs kommt noch eine weitere junge Dame angehüpft und flirtet offensiv mit mir und begleitet uns Exoten mit unserem bereits vorhandenen Guide. Nach diversen Fluren und etlichen Stationen kommen wir an einen langen Tresen, einer Art Rezeption, an der einige junge Männer rum sitzen ohne offensichtlich etwas zu tun zu haben.
Da wir bei unserer PCR Odyssee natürlich nicht fotografiert haben, gibts hier noch ein paar Fotos von dem tollen Palast:


Unser Krankenhaus Guide spricht mit den Jungs auf türkisch und wir verstehen natürlich kein Wort. Sie scheint ihnen zu erklären, dass wir einen PCR Test für die Einreise nach Georgien brauchen. Das was sich in wenigen Minuten dort abspielt, sieht nicht gut aus. Köpfe werden geschüttelt, Schultern zucken und wir interpretieren das als nicht verheißungsvoll. Dann übersetzt sie uns, dass nur Residents, nur Einheimische dort einen PCR Test erhalten, aber keine Traveller. Das sei aber alles kein Problem erfahren wir sofort, denn es gibt zum Glück noch ein anderes Krankenhaus. Die Adresse wird uns auch sofort ins Handy getippt und wir fahren voller Hoffnung zu dieser dritten Adresse, um den PCR Test machen zu lassen. Auch in diesem Krankenhaus lernen wir alle Stationen kennen, bis hin zum Büro des Geschäftsführers. Was wir dort dann hören stimmt uns so gar nicht froh.
Einen PCR Test braucht ihr? Kein Problem, ihr müsst nur vorher bei der Bank eine Einzahlung machen…. Wir haben keinen Bock mehr. Die Bank hat längst geschlossen und wir sind total ab genervt. Scheiss drauf, was soll’s? Brechen wir auf und versuchen es im nächsten Ort.
Den Ararat haben wir bereits auf dem Hinweg gesehen und wir sehen ihn noch eine ganze Weile auf der Weiterfahrt, bis er irgendwann im Rückspiegel verschwindet.
Kars soll die nächste Station sein für eine weitere Übernachtung. Und um Kars zu erreichen, fahren wir durch die Einöde, durch Berge und Täler, über den Mond, durch Schnee und Eis. Es wird einsam auf unserer Strecke einer fremdartigen Gegend. Karg ist es hier, unwirtlich und der eisige Wind peitscht gegen das Auto und schaukelt es hin und her. Hoch über 2000 m sehen wir verschneite Orte, abgelegene Dörfer, hier und dort einen Schäfer mit seiner Herde. Ich fühle mich tatsächlich erinnert an die damaligen Siedler in den USA, die von Ost nach West zogen mit ihren Planwagen. Und denke wie es wohl hier gewesen sein mochte, als auch deutsche Einwanderer den beschwerlichen Weg auf sich genommen haben, um das gelobte und fruchtbare Land zu erreichen. Tatsächlich ist es so, dass früher viele deutsche Einwanderer über die Berge dieses Gebiet erreicht haben, um sich hier niederzulassen. Jenseits der Höhe von 2000 Meter haben wir das Gefühl auf dem Mond zu sein, die nordostanatolische Umgebung offenbart sich uns hier oben dermaßen fremdartig, dass wir sie mit dem Erdtrabanten vergleichen.
Nachdem wir den Mond mit all seiner Kargheit, der Finsternis und Eiseskälte verlassen haben, erreichen wir Kars. Als Stadt im Schnittpunkt armenischer, georgischer, griechischer, russischer und türkischer Kultur vereint sie eine Vielzahl von Architekturstilen. Vor allem die russische Architektur vom Ende des 19. Jahrhunderts, als Kars eine bedeutende Garnisonsstadt war, prägt die Stadt. (siehe Wikipedia) Davon sehen wir nicht viel, für uns scheint dies ein ärmlicher, verfallener Ort zu sein. Die Arbeitslosigkeit ist enorm hoch. Wir haben keine große Hoffnung hier einen PCR Test zu bekommen. Weiterfahren wollen und können wir aber heute auch nicht mehr, denn es ist schon spät.

Oben am Castle kann man stehen, heißt es auf park4night. Extrem steil geht es eine schlechte kopfsteingepflasterte Straße hinauf und wir finden eine Stellplatz unterhalb des Kars Kalesi, neben einem alten mit Graffitis besprühtem Bunker und fühlen uns relativ sicher. Allerdings liegen hier viele Glasscherben von zerdepperten Bierflaschen rum und ich muss beim Rangieren aufpassen, über keine zu großen Scherben zu fahren. Ein paar Feuerstellen sind hier auch und dementsprechend liegt viel Müll rum. Zahllose leere Bierdosen, Schnapsflaschen und Plastiktüten für die mitgebrachten Speisen verteilen sich über dieses ansonsten schöne Plateau. Der Blick, jetzt bei klarem Sternenhimmel, über die Stadt ist allerdings umwerfend. Kein Wunder, dass hier abends gerne am Lagerfeuer getrunken wird.

Aber heute bei den eisigen Temperaturen, es geht auf die null Grad zu, sobald die Sonne verschwunden ist, wird wohl keiner mehr kommen, um die Aussicht zu bewundern. Da hatte ich mich aber geirrt. Es kommen noch einige PKWs und einer stellt sich direkt neben uns. Wir gucken kurz durch einen Spalt durch das Fenster und fragen uns, was der da wohl noch so spät will? „Wahrscheinlich ein junges Pärchen, um den Sternenhimmel und den Ausblick über die Stadt zu sehen.“, denken wir. Aber das Auto fährt nicht wieder weg. Die ganze Nacht bleibt es dort stehen, neben uns.
In der Nacht grübel ich so vor mich hin, wie wir es denn mit dem PCR Test lösen könnten und dann plötzlich habe ich eine Eingebung. Wir wissen doch über Instagram von anderen Travellern, die bereits in Georgien sind. Da frage ich einfach mal nach, wie sie es gemacht haben. „Über Hopa an der Schwarzmeerküste müsst ihr nach Georgien reisen, anders geht es sowieso nicht, da die anderen Grenzübergänge alle geschlossen sind. Dort bekommt ihr auch den Test.“ Wie geil ist das denn?, das mir das eingefallen ist und wie blöd, dass wir da nicht schon eher drauf gekommen sind. Wir hätten einen Grenzübergang nach Georgien gewählt, der gar nicht offen gewesen wäre. Jetzt haben wir von „Olgaontour“ erfahren, dass wir alles über Hopa erledigen können. Dort bekommen wir einen PCR Test und dann können wir das Ergebnis 6 Stunden später, direkt gegenüber, im Office von Turkish Airlines abholen. Soviel zur Theorie.

Vor dem Frühstück mache ich einen Rundgang ums Auto und schaue wie ich hier ohne Reifenschaden vom Plateau komme. Ich bereinige mit den Füßen etwas die Spur und schiebe die größten Scherben und besonders die abgebrochenen Flaschenhälse beiseite. Dann gibt es Kaffee und Müsli und wir machen uns hoffnungsvoll fertig für die etwa 300 km lange Fahrt nach Hopa.
Unweit der armenischen Grenze geht es zunächst auf der D 965 nach Norden, um dann etwas später in westlicher Richtung zum schwarzen Meer zu fahren, in den grenznahen Ort Hopa. Unsere Stimmung ist sehr gut, denn das Wetter ist super und wir kommen über schneebedeckte Berge und freuen uns bereits riesig auf Georgien. Durch die Tipps von Olgaontour ist uns die Enttäuschung, vor einem geschlossenen Grenzübergang zu stehen, erspart geblieben. Wir wissen nun, wo und wie wir in Hopa an den ersehnten PCR Test kommen. Irgendwo im Nirgendwo ist mal wieder einer von den militärischen Kontrollstationen und im Gegensatz zu den Anderen, die wir schon so oft passiert haben, werden wir hier das erste Mal zum Halten aufgefordert. Ich lasse das Fenster runter und werde freundlich begrüßt von einem voll ausgerüsteten Soldaten in Tarnkleidung und selbstverständlich bewaffnet mit Maschinengewehr. Ich grüße freundlich zurück. Fahrzeugpapiere und Pässe will er sehen. Ich händige sie ihm aus. Wohin wir wollen, will er wissen. Nach Georgien, teilen wir ihm mit. „Good car!“, sagt er, während er flüchtig die Papiere prüft. „Have a good and safe trip!“, wünscht er uns und wir fahren weiter. Irgendwie fühlt man sich immer ein wenig unbehaglich in solchen Situationen, so empfinden wir es jedenfalls. Obwohl auch diese schwer bewaffneten Soldaten ganz normale Menschen sind. Sie sind wahrscheinlich größtenteils liebevolle Väter, tolle Kumpels, liebende Ehemänner, tolle Söhne und im Grunde genauso wie Du und ich.
Vor einem Roadhouse stehen viele Trucks, das scheint ein gutes Zeichen für gutes Essen und mir knurrt auch schon der Magen. „Wollen wir da was essen“?, frage ich Jutta. „Ja klar, wenn du willst.“ Ich drehe bei nächster Gelegenheit um und fahre das kleine Stück zurück und stelle mich zu den Trucks. Draußen werden wir von einer netten älteren Frau freundlich begrüßt. Sie lächelt und bietet uns einen ihrer Picknicktische für unsere Pause an. Drinnen sitzen nur einige wenige Trucker bei ihrem Tee oder ihrer Mittagsmahlzeit. An einem Tresen mit einer Auslage hinter Glas liegen die köstlichen Köftespieße und verschiedene andere Leckereien. Wir wollen die Köfte, die uns bisher immer geschmeckt haben, egal wo wir sie gegessen haben. Dazu gibt es Salat, Joghurt und Brot. Zum Trinken eine Limo und zum Schluss den obligatorischen Tee. Dann geht es weiter und wir erreichen am frühen Nachmittag Hopa.

Der erste Eindruck ist sehr gut. Wir sind direkt am schwarzen Meer und fahren auf einer breiten, zweispurigen Straße (in beiden Richtungen) durch Hopa. Getrennt wird diese Straße durch eine schmale Grünfläche und auf jeder Seite sind Parkplätze, nur leider sehe ich keinen freien Platz, in den ich LEMMY reinmanövrieren könnte. Wir fahren einen U-Turn und gucken gleichzeitig, während ich nach einer Parklücke Ausschau halte, nach dem Boutique Hotel, wo sie die PCR Tests machen. Wir haben kein Glück und fragen bei einem größeren Hotel in der ersten Reihe, ob wir dort für ein paar Stunden stehen dürfen. Kein Problem, heißt es und wir parken dort, um dann nach dem Hotel zu suchen, wo die begehrten Tests gemacht werden. Olgaontours hatte uns diese Stelle per Googlelink geschickt und tatsächlich „Guck mal da vorne, das könnte es sein, das ist ein Boutique Hotel!“, sagt Jutta.
Wir finden einen kleinen Seiteneingang mit einem Zettel an der Tür. „PCR TEST, 3. Floor.“ Sollte es hier jetzt endlich klappen mit diesem verdammten Test? Wir gehen hoch und finden ein kleines, provisorisches Ärztebürosprechzimmer direkt neben dem Treppenaufgang in der 3. Etage. Ein Schreibtisch, ein zweier Ledersofa und zwei Stühle zum Warten. Hinten am Fenster ist dann noch ein kleiner Paravent als Sichtschutz aufgebaut, wo man sich kurz niedersetzen kann, um die Probe aus den Nasenschleimhäuten entnehmen zu lassen. Es ist kurz vor 15:00 Uhr. Wir fragen vorsichtig, ob es denn möglich ist hier einen PCR Test machen zu lassen. Ja, das sei möglich, aber erst später. Es sind noch nicht alle vom Personal aus der Pause zurück, erfahren wir. Wir sollen in etwa einer halben Stunde wiederkommen. Wir sind pünktlich wieder dort, aber noch nicht alle vom Personal. „In einer halben Stunde?“, fragen wir.

Dieses Mal warten wir etwas länger, trinken Tee in einem kleinen Café und essen Kuchen. Dann bummeln wir noch etwas durch die kleine Ladenstraße und einmal rüber über die Fußgängerbrücke um eine gute Sicht auf das schwarze Meer zu haben. Nach fast anderthalb Stunden versuchen wir es erneut und jetzt ist auch das benötigte Personal vor Ort. Dann geht alles ganz schnell. Pässe vorzeigen, Formblatt unterschreiben, mit Bargeld bezahlen und einmal kurz in jedes Nasenloch stochern lassen. Wir haben schon das Gefühl, dass sie den Test in unserem Sinne erledigen, denn von der erwünschten Probe kann nicht viel hängen geblieben sein an diesem Nasenstäbchen. Uns solls recht sein. „Und wo bekommen wir das Ergebnis?“, wollen wir noch wissen. Sie zeigt mir durchs Fenster das Turkish Airlines Office schräg gegenüber und sagt, dass es in ca. 6 Stunden dort vorliegen sollte. Es ist jetzt 16:20 Uhr und wir müssen noch einen Stellplatz für die Nacht finden. Fragen wir doch mal beim Hotel vor dem wir gerade parken, ob wir dort eine Nacht stehen dürfen. Auf dem Weg zurück zum Auto diskutieren wir sogar dort ein Zimmer zu nehmen. „Mal wieder eine Badewanne wäre schon geil!“, ergriff ich die „Pro Hotelzimmer Position.“ „Das roch da schon so muffig an der Rezeption, als ich vorhin gefragt habe, ob wir hier kurz parken dürfen!“, erwidert Jutta, offensichtlich die „Kontra Zimmer Position“ einnehmend. „Bestimmt gibt es eine Hotelbar, vielleicht sogar eine Minibar und der Blick direkt raus aufs Meer.“, kontere ich. „Wer weiß wie die Zimmer sind, wenn die Rezeption schon so muffig ist.“ Wir gucken kurz online wie die Zimmer und die Preise sind und sind uns einig, die Nacht im Camper zu verbringen. Über Nacht dürfen wir hier nicht stehen bleiben, weil sie die wenigen Parkplätze auch für ihre Bar und ihr Restaurant brauchen. Dafür haben wir natürlich Verständnis. Wir drehen hier einfach ein paar Runden an der Uferpromenade und dann werden wir auf der einen oder der anderen Seite schon was finden. Es geht schneller als gedacht. Nach dem ersten U-Turn erspähe ich einen großen Pickup auf der anderen Seite, der gerade raus fahren will. Ich halte, Jutta springt aus dem Wagen und läuft schnell rüber, um mir diesen Platz frei zu halten.

Ich warte endlos an einer roten Ampel kurz vor dem zweiten U-Turn und kann mir lebhaft vorstellen wie Jutta einige Parkwillige wegschicken muss. Sie konnte sich behaupten und ich kann ohne Probleme rückwärts in diese breite Lücke hinein fahren. Nur nicht zu weit hinten ranfahren, fällt mir noch ein, sonst habe ich morgen früh evtl. jemanden in zweiter Reihe vor mir stehen, wie es hier dauernd zu sehen ist. Kurz vor fünf zeigt die Uhr. „Mittagsschlaf?“, frage ich. „Na klar.“, sagt Jutta.
Um sieben Uhr finden wir ein nettes, kleines türkisches Schnellrestaurant und können kaum fassen, dass alles so hervorragend läuft. Was machen wir jetzt noch bis halb elf, bis wir unser Testergebnis abholen können, ist die große Frage. „Na was wohl? Wir suchen uns eine Kneipe.“ In Kneipen ticken die Uhren einfach anders. Die Zeit spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Das ist überall auf der Welt so. Und wenn der Spruch wahr wäre, den ich mal in Belgrad in einer Kneipe gelesen habe, dann wäre jede Bar ein regelrechter Jungbrunnen. Ich bekomme den genauen Wortlaut leider nicht mehr hin (dazu gibt es bestimmt auch einen Spruch der mit Kneipen zu tun hat), aber sinngemäß hieß es da auf einem großen Schild „The time of your life that you spend in bars, doesn’t count. „
Lange müssen wir nicht suchen, da sehe ich die unmissverständliche Leuchtreklame über einer Treppe, die nach unten in einen Keller führt. Es ist kurz vor acht Uhr. Ich gehe vorweg und signalisiere Jutta, dass sie nachkommen kann, denn es handelt sich nicht um einen „Nachtclub“. Viel los ist nicht, so können wir uns hinten in der Ecke einen netten freien Platz aussuchen. Die Bar ist etwas zu hell für mich und die Musik ist nicht besonders. Türkischer Pop dröhnt fast ein bisschen zu laut aus den Bose-Boxen. Allerdings gefallen mir die Kunstdrucke an den Wänden. Zu sehen sind attraktive Frauen aus unterschiedlichen Kulturen.

Wir bestellen zwei große Tuborg Gold bei der Barfrau und unterhalten uns über das was wir alles so kürzlich erlebt haben und was uns wohl in Georgien erwarten mag. Der Test wird ja wohl negativ sein, da sind wir uns einig. Irgendwas ist anders fällt uns irgendwann auf. Jetzt läuft Musik aus den Achtzigern, wohl uns zuliebe. Zweite Runde. Leute kommen und gehen, die Barfrau macht Schichtwechsel mit einer Kollegin, aber die Musik bleibt ganz gut. Wir mögen einiges aus der Dekade, die um ein Vielfaches besser war, als beispielsweise die 90er oder die 2000er. Aber egal, ist ja auch Geschmackssache. Wir bestellen eine dritte Runde und haben mal ein Auge auf der Uhr, mal ein Auge auf dem Handy bei Instagram oder Facebook. Hier gibt es relativ schnelles Wlan, das genutzt werden will. So kann ich auch direkt einige Bilder posten, ohne unser eigenes Volumen zu verbrauchen. „Noch ne Runde?“, frage ich. „Für mich nicht mehr, es ist nach zehn und wir müssen gleich los.“ „Darf ich denn noch eins?“ Den Blick kenne ich und deute ihn in etwa so: Na gut, wenn’s denn sein muss, dann bestell dir halt noch eins. Nach dem Bier, kurz nach halb elf, geht es dann zum Turkish Airline Office in großer Erwartung auf ein negatives PCR Testergebnis. Es ist nur wenige Gehminuten entfernt.

Einige andere Leute, die wohl auch über die Grenze wollen, stehen da schon und warten oder werden gerade abgefertigt. Nach einer Weile reichen wir den Zettel, den wir bekommen haben, dem Herrn am Schreibtisch und er tippt unsere Daten in seinen Computer. Der Drucker läuft in Endlosschleife. Offenbar suchen die anderen Leute, die schon vor uns hier waren ihre persönlichen Testergebnisse aus den Papieren, die der Drucker pausenlos ausspuckt. Der Stapel wird an andere Wartende weitergereicht, sobald man ihn durchgesehen hat. Dann greife ich zu und blättere alle Zettel durch. Da, Jutta haben wir schon mal. Viele sind es nicht mehr, die noch übrig sind. Ich muss wohl einen übersehen haben, denn mein Name stand da nirgendwo drauf. Noch mal ganz in Ruhe von vorne. Mein Testergebnis ist nicht dabei. Wir teilen unser Dilemma dem Herrn am Schreibtisch mit. Er hackt auf seine Tastatur ein, dann telefoniert er und wir hoffen. Die Anderen sind alle durch, nur noch wir sind im Office und begutachten Juttas Ergebnis. Negativ. Na wenigstens was. Der Drucker springt erneut an und es folgen wieder einige Ergebnisse. Ich gehe rüber und greife was dort ausgeworfen wird und gucke einen Zettel nach dem Anderen durch und finde schließlich meinen Namen. Aber was ist das? Ich bin doch nicht erst 2014 geboren und der Name ist auch noch falsch geschrieben. Wieder wird telefoniert und die Tastatur des Rechners malträtiert bis weitere 30 lange Minuten vergehen und wir dann endlich unsere beiden „negativen“ PCR-Tests in Händen halten. Diesmal stimmt alles. Eine obligatorische Haftpflichtversicherung, ohne die man die Grenze nicht passieren kann, wird auch noch abgeschlossen und dann sind wir fertig. Es ist kurz vor Mitternacht und wir sind in diesem Moment überglücklich alles erledigt zu haben. Ich finde jetzt haben wir uns Zuhause noch ein Feierabendbier verdient. Auch bis zu LEMMY sind es nur 3-4 Gehminuten und es gibt noch ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank, bevor wir zu Bett gehen und mir noch was einfällt. Ich könnte morgen früh, bevor wir nach Georgien aufbrechen, meine kaputten Latschen mal beim Schuhmacher etwas richten lassen. Sie lösen sich langsam in ihre Bestandteile auf und ein bisschen guter Kleber könnte nicht schaden. Zufrieden schlafe ich ein.

…und was als nächstes geschieht….
GEORGIEN – Chapter I
…und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht…