Chapter 20 – Von Arches und Canyons, von High Deserts und der Historic Route 66

.und wie man es anstellt, in der kalifornischen Wüste liegenzubleiben, obwohl man einen großen 140 Liter Dieseltank und 2 x 20 Liter Reservekanister hat

„Was sind eigentlich Arches?“, haben wir uns gefragt, als wir uns auf den Weg gemacht haben in den Arches National Park. Dem imposanten Bild nach zu urteilen, wegen dem wir hier überhaupt herfahren, sind es große natürliche Rundbögen bzw. Löcher im Felsen, die gigantische Ausmaße annehmen können. Entstanden durch Erosion, Wasser, Frost und große Hitze. Über Zeiträume, die wir als Menschen kaum fassen können, wird der Fels durch Wind und Sand quasi abgeschliffen. Dann kommt im Winter noch das gefrierende Wasser dazu, welches in die Hohlräume und Spalten fließt, sich beim Gefrieren ausdehnt und Teile des Fels absprengt. Im Sommer ist es im Park dann wieder sehr heiß und windig. Dieses Wechselspiel zwischen eisig kalt und extremer Hitze, Wind, Wasser und Sand verformt die mächtigen Felsen, so dass kuriose Formationen entstehen.

Aber bis jetzt haben wir noch keinen einzigen Arch gesehen, auf unserem Weg. Und ob wir dort im National Park überhaupt unterkommen ist noch ungewiss. Denn auf dem einzigen Campingplatz im Park ist alles komplett ausgebucht. So jedenfalls steht es auf der Homepage des Campgrounds. Wir versuchen es trotzdem, auf gut Glück sozusagen. Der März hat gerade erst begonnen und wir haben im Leben nicht damit gerechnet, dass bereits jetzt, lange vor der Sommersaison, ganze Plätze ausgebucht und reserviert sind. Dieses Ärgernis wird uns lange begleiten. So lange, bis wir über die Grenze nach Canada fahren.

Ich bin der Optimist und denke, es wird schon klappen. Wenn nicht heute, dann morgen. Jutta hofft auch, aber sie ist eher am Zweifeln.

Unser erster Arch

Wir finden dieses Reservierungssystem, wo bereits 6 Monate im Voraus gebucht werden kann, nicht besonders gut, denn da haben wir keine Chance einen Platz zu ergattern. Oft wissen wir noch nicht, wo wir in drei Tagen sein werden, geschweige denn in Wochen oder Monaten. Uns gefällt ein anderes System viel besser: „First come, first serve!“

Mittlerweile sind wir in Utah angekommen und der National Park ist nicht mehr weit. Da sehen wir schon immer mehr von den rot gefärbten Sandsteinformationen und eine Weile später taucht der erste gewaltige Arch auf, noch bevor wir im Park angekommen sind. Ich trete fest auf die Bremse und stelle mich in eine kleine Parkbucht, um da oben in dieses riesige Auge zu steigen. Einige wenige andere Personen turnen schon da rum. Ich frage Jutta, ob sie mich begleiten will, aber sie verneint. Na egal, dann kann ich von hoch oben fotografieren und sie von weit unten.

Kurz vor dem Arches National Park

Der Aufstieg ist ganz schön beschwerlich, ich gerate ins Schwitzen und muss eine kurze Pause einlegen, dann geht es weiter. Ich habe Glück, der blaue Himmel ist zwar bewölkt, aber immer wieder blickt die Sonne durch. Der Ausblick ist großartig und LEMMY da unten ist winzig klein. Mir gelingen einige tolle Fotos, während ich im Auge des Arches stehe, manchmal auch liege, um eine andere Perspektive zu bekommen.

Im Auge des Arches

Sehr zufrieden steige ich wieder hinunter und bin total gespannt auf das, was uns wohl erst im Park erwarten wird.

„Gleich links abbiegen!“, sagt Jutta, „da müsste dann das Gate kommen, der Zugang in den Arches National Park. Hoffentlich kommen wir rein.“

Am Gate fragen wir, ob es noch freie Plätze auf dem Campground gibt. Da müssen wir direkt beim Campingplatz nachfragen, bekommen wir mitgeteilt. Also lösen wir das Ticket für den National Park, das eine Gültigkeitsdauer von einer Woche hat und fahren hinein. Leider können wir wieder keinen Pass erwerben, der für alle US Parks gilt. Auf dem Weg hinein, kommen uns andere Camper entgegen und Jutta spekuliert schon, dass sie umkehren müssen, weil der Campingplatz komplett voll ist und auch wir bestimmt abgewiesen werden. Es ist bereits Nachmittag und die reguläre „Check out time“ ist meistens gegen Mittag. Manchmal auch schon um 11 Uhr, selten um 13 oder 14 Uhr. Es werden also tatsächlich keine Leute sein, die regulär abreisen, denn dafür ist es zu spät. „Es können auch Tagesbesucher sein.“, sage ich zu Jutta.

Wir fahren weiter in den Park und die Kulisse, die sich uns bietet wird immer spektakulärer und das ist nicht übertrieben. Die Felsen werden bizarrer und die Formen ändern sich hinter jeder Kurve. Es geht stetig weiter hinauf, denn wir befinden uns in einer Hochwüste.

The Wall

Jetzt wird es spannend, denn wir erreichen den Campingplatz. Eine Rezeption sehen wir nicht, nur ein kleines Häuschen. Ein Zettel hängt dort am Tor: „Die Rezeption ist geschlossen. Wenden Sie sich an den Camping Host auf Platz 71!“ Noch gibt es also Hoffnung.

Wir fahren auf den Platz und ein Paar in Rangeruniformen kommt uns zu Fuß entgegen. Ob sie das wohl sein mögen? Sie winken uns bereits zu und ich fahre das Beifahrerfenster runter, als wir ungefähr auf ihrer Höhe sind. Beide lächeln und sind offenbar fasziniert von LEMMY. Jutta fragt, ob sie die Hosts sind und sie nicken bestätigend. „Haben Sie noch eine Campsite für uns, wir konnten im Internet leider nichts buchen, weil bereits alles reserviert war?“, fragt Jutta zögerlich und zugleich hoffnungsvoll.

„Ja, wir haben noch etwas frei. Es gab einige Absagen wegen dem Wetter. Aber schaut euch um, die Sonne scheint!“, sagt der Host.

Und er hat recht, es ist windig und etwas kühl, aber die langsam untergehende Sonne scheint noch. Und der bewölkte Himmel ist ein Spektakel aus grauen und weißen Wolken, darüber tiefes Blau und immer wieder bricht die Sonne durch das Wolkendach und es fängt an zu glühen dort oben.

Unsere Campsite auf dem Mars

Es wird noch etwas über unser Auto gesprochen, woher wir kommen, wohin uns die Reise führt und wo wir uns hinstellen können. Die beiden Hosts, ich vermute ein Ehepaar, erweisen sich als außerordentlich sympathisch und sind sehr an unserer Reise interessiert. Sie weist mit der Hand nur wenige Meter weiter und sagt: „Gleich da vorne ist ein besonders schöner freier Stellplatz. Ihr könnt euch aber auch erst umschauen, eine Campsite auswählen und uns danach Bescheid geben, wie ihr euch entschieden habt.“

So verbleiben wir und schauen uns den ersten Platz an. Mehr müssen wir nicht sehen, denn jetzt erst realisieren wir, wie geil diese Kulisse um uns herum ist. Irgendwie nicht von dieser Welt.

From Outer Space!

So stelle ich es mir auf dem Planeten Mars vor. Wir befinden uns auf einem Hochplateau in der Wüste. Rundlich glatt abgeschliffene Sandsteinfelsen, das Werk von Mutter Natur über Jahrhunderte. LEMMY steht in der finalen Parkposition und ich erkunde die Felsenterrasse vor meinen Füßen, vor meiner Haustür. Ich steige etwas höher, immer weiter nach vorne und der Rundumblick ist atemberaubend. In weiter Ferne erkenne ich wieder die schneebedeckten Gipfel, die uns schon länger begleiten. Dann weite Steppenlandschaften unter uns und überall bizarre Felsformationen.

Devils Campground

Schlagartig bin ich wieder Kind, denke an die Perry Rhodan Heftchen, die meine 2 ½ Jahre ältere Schwester verschlungen hat. Ich hatte damals mehr Spaß an Comics wie Lucky Luke, das Phantom, Asterix & Obelix und Isnogud, der bitterböse Großwesir, der unbedingt Kalif werden wollte, anstelle des Kalifen. Aber jede noch so niederträchtige Idee schlug am Ende fehl und immer er selbst scheiterte in seiner eigenen Falle.

Meine Schwester hingegen las viele dieser dünnen Perry Rhodan Heftchen und mich faszinierten daran lediglich die Titelbilder. Sie waren immer knatschbunt und weil es um Raumfahrt ging und andere Planeten in fernen Galaxien, waren die Cover dementsprechend gestaltet. Was ich jetzt vor Augen habe könnte direkt einem dieser Heftchen als Titelbild dienen. Es fehlen nur die runden Raumfahrzeuge, die am Himmel umherschwirren.

Wieder im Hier und Jetzt angekommen und den Kinderschuhen entwachsen, denke ich: „Jetzt ist es Zeit für ein kleines Lagerfeuer und ein kühles Bier.“

Drei Nächte wollen wir bleiben, denn es gibt viel zu entdecken. Wir haben eine Map bekommen, auf der die verschiedenen Arches verzeichnet sind und auch das Straßen- und Wegenetz. Außer den Arches gibt es auch noch andere besondere Felsformationen zu sehen. Was mir sofort ins Auge springt, es sind auch Offroadstrecken auf der Karte eingezeichnet. Und wenn ich etwas lese wie z. B. „Four Wheel Only“ oder „Unimproved Road, Impassable when wet!“, dann weckt das mein Interesse in besonderem Maße. So verabreden Jutta und ich, dass wir morgen eine Tour durch den Park machen, um die wichtigsten und beeindruckendsten Arches und Felsformationen zu sehen und am Tag darauf eine kleine Pistenexkursion. Dann können wir alles, was wir bis dahin nicht geschafft haben noch nachholen, wenn wir am dritten Tag aus dem N. P. raus fahren.

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Jutta ist nicht so begeistert von meinem Wunsch Offroad zu fahren, stimmt aber zu. Es gibt nämlich einen heiklen Streckenabschnitt, der von nördliche in südliche Richtung als besser befahrbarer gilt, als umgekehrt. Ich versichere ihr sofort umzudrehen, sollten wir Bedenken haben diesen Abschnitt zu fahren. Und selbstverständlich fahren wir in der angeratenen Richtung.

Nach dem morgendlichen Frühstück, draußen auf dem Mars, fahren wir los und kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. Es läuft heute immer folgendermaßen ab: Wir fahren zu einem Parkplatz innerhalb des Nationalparks und von dort beginnt der Trail zu einem oder auch mal mehreren Hotspots. Mal ist der Weg etwas kürzer und manchmal ist es eine kleine Wanderung. Wir sind gut gerüstet mit unseren Wanderschuhen, kleinen Rucksäcken mit Wasser, Snacks und auch mit etwas warmer Kleidung zum Überziehen, sollte sich das Wetter ändern.

Der Park hat über 2000 natürliche Steinbögen, die durch Erosion und Verwitterung ständig neu entstehen und wieder vergehen. Wir gucken uns nur die Imposantesten, die mit Trails in der Karte verzeichnet sind, an. Fünf oder sechs Arches erklimme ich, steige bis nach oben in das Auge hinein. Höher geht es für mich natürlich nicht, da ich kein Freeclimber bin und keinen Ärger mit Jutta oder der Parkverwaltung haben will.

Nur den LANDSCAPE-ARCH kann ich nicht besteigen, der bleibt aus der Ferne zu bewundern. Zu gefährlich wäre es sich in der Nähe aufzuhalten, denn er wird nicht mehr sehr lange überdauern. Es ist der breiteste Arch von allen, er misst 92 Meter. Der Bogen ist schon so dünn, dass man meint er könne jeden Augenblick brechen, sobald dort oben ein Vogel landet. 1991 brach ein Felsblock von 18 x 3,40 x 1,20 m aus der Unterseite des Bogens. Seitdem ist er an seiner dünnsten Stelle weniger als 3 m dick.

Landscape Arch

Ein anderer Arch hat nicht nur ein Auge, sondern gleich drei. Die Bögen überspannen die Felsen und aus jedem Blickwinkel sieht es komplett anders aus. Schon von unten ist es wunderschön anzusehen, doch mich zieht es nach oben. Ich will etwas klettern und die Aussicht genießen. Jutta verweilt lieber am Fuße des Giganten und genießt die Aussicht von dort.

Der dreiäugige Arch

So vergeht der Tag wie im Flug. Wir sehen einen Felsen, der wie ein Elefant ausschaut und einen Anderen, der Ähnlichkeit mit einem brüllenden Kopf hat. Der Kopf trägt eine Mütze und der Mund ist weit aufgerissen, als will er seinen Protest hinaus in die Welt schreien. Was mag er wohl sagen? Ich denke er sagt: „Stop the war!“

The Prophet: „Stop the war!“

Manchmal liegt ein riesiger Felsbrocken auf einem dünnen Stiel aus Fels und wieder stellt man sich unweigerlich die Frage: „Wie lange mag das wohl noch gut gehen? Wann wird der Wind den Stiel brechen, wann wird der Brocken oben drauf zu schwer oder kommt ins Schwanken?“

Wir fahren, parken und wandern. Weite Steppen sind zu bewundern mit faszinierender Pflanzenvielfalt. Hier haben wir wieder das Gefühl uns am Frühlingsanfang zu befinden und alles steht bereits in den Startlöchern und wartet darauf zu erblühen.

High Desert

Irgendwann haben wir so viele verschiedene Eindrücke zu verarbeiten, dass wir beschließen für heute Schluss zu machen und ins Camp zurück zu fahren. Wir haben einen überwältigenden Tag erlebt, der uns fast überfordert mit den ganzen beeindruckenden Naturwundern.

Heute starte ich mit Vorfreude in den Tag und Jutta mit gemischten Gefühlen. Wahrscheinlich denkt sie: „Was wird uns erwarten, wie anspruchsvoll wird die Route sein, wird Jürgen sich bereit erklären umzudrehen, wenn es zu heikel wird oder wird er „sein Ding durchziehen“ wollen, auch wenn ich protestiere?“

Aber bevor es los geht, genießen wir unser zweites Frühstück auf dem Mars, in dieser unglaublichen Umgebung. Fast nicht möglich es angemessen zu beschreiben, so einzigartig erscheint uns dieser Platz, so wenig vergleichbar mit anderen Orten. Wir waren vor Jahren (2011) schon in einer anderen High Desert, im Joshua Tree National Park und wir werden auch auf dieser Reise bald wieder dort sein. Doch ist es trotzdem kaum möglich beide Wüsten miteinander zu vergleichen, zu unterschiedlich sind sie. Das liegt zum Einen natürlich an den Joshua Bäumen, die dem N. P. seinen Namen geben, aber auch an der gesamten Flora & Fauna und den Felsenformen im Arches Nationalpark, die eben einzigartig sind.

Der zweite Kaffeebecher ist geleert und die Wasserflaschen vorne im Cockpit für Fahrer und Navigatorin sind voll gefüllt. Es kann los gehen.

Zuerst geht es über Asphalt, dann taucht der erste Warnhinweis auf. Wir wechseln von schwarzem Teer auf roten Sand. Es könnte genauso gut das australischem Outback sein. Dort sieht der Sand exakt ebenso aus, dieselbe Farbe und so fein wie an einem Badestrand.

Offroad im Arches N. P.

Neben uns weite Steppe, links und rechts. Hin und wieder rollen Steppenläufer, das Tumbleweed über die Sandpiste. Noch gibt es keine Schwierigkeiten. Nur geht es hin und wieder rauf und danach wieder runter, aber ohne allzu große Steigung oder Gefälle.

Es dauert nicht lange, dann wird es unbequemer und die Auswaschungen nehmen deutlich zu. Ich muss das Tempo reduzieren und merke, wie Juttas Anspannung steigt. Es gibt tiefe Spuren und große Löcher, die ich zum Teil umfahren und vermeiden kann. Aber manchmal muss ich durch und versuche es so schonend wie möglich, schonend für Jutta und für LEMMY. Denn die Verschränkungen, die durch die Vertiefungen im Boden zwangsläufig entstehen, sind eine große Belastung für das Fahrzeug und damit auch für Jutta. Auch der rote Sand verhärtet sich und es wird immer felsiger. Wir scheinen uns der Stelle zu nähern, an der der Eintritt in die heikle Passage beginnt. Ich fahre noch etwas weiter und Jutta sitzt schon nicht mehr still im Sattel, überall wandert ihr Blick. Sie rutscht im Sitz hin und her.

Extreme ways

Dann halte ich an. Es geht steil einen Hang hinauf. Große Felsbrocken liegen tief eingegraben im Weg. Auch die Mulden und Auswaschungen sind extrem. Und ein Ende der anspruchsvollen Passage ist nicht in Sicht, denn weiter oben verschwindet alles hinter einer Kurve. Ich steige aus und schaue es mir ganz genau an, besonders wie es oben weiter geht. Genauso wie es unten schon begonnen hat, kein Ende ist in Sichtweite. Mein Gehirn rattert kurz und wägt ab….

Offroad

Im Grunde ist es wie im Theater. Dort muss ich auch gelegentlich abwägen, was zu tun ist. Besonders wenn es um pyrotechnische Effekte geht und die Sicherheit unserer Schauspieler. Besonders wenn sie sich aus dramaturgischen Gründen in der Nähe des Effektes befinden sollen. Es ist eine Risiko/Nutzen Abwägung. Wie hoch ist das Risiko und wie wahrscheinlich ist es, dass etwas passiert? Wie hoch kann der vermeintliche Schaden sein, der eintreten könnte? Das stelle ich gegen den Nutzen des gewünschten Effektes.

Da hatten wir einmal beispielsweise eine große Feuerfontäne, wie man sie von Rammsteinkonzerten kennt. Wir haben sie bei der Vorstellung „Cafe Umberto“ in der Inszenierung von Nicolai Sykosch mittels Druckluft, Lykopodium und einem heißen Glühdraht gezündet. Eine ca. 2 Meter lange Feuersäule schießt wie aus einem Flammenwerfer (im Grunde war es ein selbstgebauter Flammenwerfer) aus dem Off auf die Bühne.

Kurz vor der Aktion ging unsere Schauspielerin Irene Kleinschmidt von der Bühne ab. Sie hat sich vor ihrem Abgang eine Flasche Schnaps über den Kopf geschüttet und dann ein Feuerzeug angezündet. Der dramaturgische Effekt war der, dass sie sich selbst verbrennt. Sichtbar gemacht durch diese lange Flamme, die dort für einige Sekunden auf die Bühne züngelt. Sie selbst stand absolut sicher hinter der Flamme. Ein Schreckmoment für jeden Zuschauer und ein nachvollziehbarer wichtiger Effekt.

Unsere Aufgabe war nun, das alles so sicher zu machen, dass jedes Risiko einer Verbrennung von Personen, Dekorationen und Bühnenelementen auszuschließen bzw. so klein wie möglich zu halten ist. Ein Restrisiko bleibt aber immer. Es kann defekte Technik sein, die falsch oder nicht funktioniert. Es kann auch der unvollkommene Mensch sein, in dem Fall der Pyrotechniker. Dann heißt es hinterher gerne (wenn das Aufsichtsamt fragt, woran es denn gelegen hat, dass die Schauspielerin mit Brandwunden überseht ist): „Menschliches Versagen!“

Zum Glück nehmen wir unsere Aufgabe sehr ernst und wissen um die Risiken, so dass nie jemand ernsthaft zu Schaden kam.

Einmal war es der Fall, dass Irene bereit war für den Abgang von der Bühne und mein Kollege Karl per Funk das „Achtung für die Zündung!“ von unserer Inspizientin bekam und kurz darauf dann: „Zündung Go!“ Aber mein Kollege Karl hat nicht gezündet und die Inspizientin rief erneut: „Zündung Go!“ Nichts tat sich. Was war der Grund?

Karl hat alles richtig gemacht, denn nur er hatte die komplette Einsicht auf die gesamte Umgebung und er hat erkannt, dass Irene sich nicht auf die verabredete sichere Position gestellt hatte. Sie war zu nah am Flammenwerfer und deshalb konnte und durfte er nicht zünden. Schade für den Zuschauer, gut für Irene.

…was hat es für einen Nutzen diese Strecke zu fahren? Der Nutzen ist klein, bis fast nicht vorhanden, denn ich kann eine alternative Strecke fahren. Der einzige Nutzen wäre der, meine eigenen Offroad-Fähigkeiten und die Belastungsgrenzen des Fahrzeugs weiter auszuloten. Ach ja, Juttas Belastungsgrenzen würden wir dabei auch weiter ausloten.

Ich bin der Meinung, meine eigenen und LEMMYS technische Fähigkeiten wären der Aufgabe gewachsen, aber jetzt kommen wir zur Risikobewertung.

Die Wahrscheinlichkeit eines großen Schadens ist nicht gerade klein und durchaus vorhanden. Das Risiko ist überschaubar, aber im Falle einer Fehleinschätzung meinerseits oder eines Fahrfehlers könnte der Schaden im schlimmsten Fall groß bis enorm sein. Die Belastung des Fahrwerks/Rahmens etc. sind auf so einer Strecke natürlich erheblich. Das sind Juttas üblichen Argumente und die kann ich in diesem Fall nicht widerlegen.

So komme ich in weniger als einer Sekunde zu dem Ergebnis, dass das Risiko zu hoch und der Nutzen zu gering ist. Der gesunde Menschenverstand triumphiert über die Abenteuerlust.

Ich sage zu Jutta: „Wir drehen um und fahren die andere Route.“

Erleichtert steigt sie mit mir ins Auto und ich wende.

Utah

Zunächst geht es denselben sandigen Weg zurück auf die asphaltierte Straße, doch dann biegen wir ab in eine andere Offroadpiste. Es geht ähnlich los wie vorhin, roter weicher Sand eine ganze Weile. Jutta sagt: „Gleich müsste rechts eine Abbiegung kommen, fahr langsamer!“

Ich gehorche und gehe vom Gas. Denn jetzt möchte ich den Einstieg sehen in die abgebrochene Route von gerade eben, nun aber von der anderen Seite, von Süd nach Nord.

Als wir um die Ecke biegen, geht es auch schon zur Sache. Hier kommt man nur durch mit großer Bodenfreiheit, Schilder weisen ausdrücklich darauf hin: „Require High Clearence 4×4 Vehicles!“

Die Bodenfreiheit haben wir allerdings auch mit LEMMY. Es ruckelt ordentlich und das Fahrzeug gerät immer wieder in Schieflage, aber bei langsamer Fahrweise alles kein Problem. Die typischen Auswaschungen mit viel Fels und Geröll sind da, es geht rauf und runter. Alles kein Problem, bis sich uns ein ähnliches Bild bietet wie vor etwa einer Stunde. Ich muss erneut nicht eine Sekunde überlegen, dann ist es mir klar. Wir drehen um. Aber ich wollte mich selber von der Strecke überzeugen und sie unter die Lupe nehmen. Allerdings fahren wir jetzt nur zurück bis zur letzten Abbiegung und dann rechts weiter und nicht etwa links zurück auf die asphaltierte Straße. Kurz bevor wir die kleine T-Kreuzung erreichen, kommt mir ein PKW entgegen und ich muss schmunzeln.

„Der hat wohl vorher nicht gelesen, was ihn erwartet. Oder er ist übergeschnappt. „Ich wette in weniger als fünf Minuten sehen wir den wieder!“, sage ich zu Jutta.

Wir erreichen die Abbiegung und ich stelle mich so, dass wir direkt in die Richtung blicken, wo der PKW wohl in wenigen Minuten erscheinen sollte. Es dauert keine zwei Minuten, da quält er sich im Schritttempo rückwärts zur T-Kreuzung, um dann wieder auf die asphaltierte Straße zurückzukehren.

Hier fühlt LEMMY sich wohl

Leider hat Jutta bei meiner kleinen Wette nicht dagegen gehalten.

Die Nord-Süd Route ist etwas für richtige Offroad PKWs, höher gelegte Toyotas und Jeeps. Wir setzen nun unsere Tour fort und leider verliert Jutta hier schnell den Spaß an der wilden Fahrt. Und die Landschaft ist für sie nicht so grandios, dass sie das für die Juckelei entschädigen würde. Es geht nur sehr langsam voran und wir fahren mittlerweile meistens über felsigen Boden. Es sind noch weit mehr als 20 km und bei dem Tempo kann das eine Weile dauern. Die Piste ist breit und ich muss pausenlos wählen, wo ist die beste Spur, wo ruckelt es am wenigsten. Überall im harten Untergrund sind tiefe Löcher und ich kann nicht alle umfahren. Ich muss ständig entscheiden, wo ist es am schonendsten für LEMMY und damit auch für Juttas Nerven? Welches Loch ist nicht ganz so tief wie das Andere? Dabei geht es auch steil rauf und wieder steil runter. Für mich ist dieser Untergrund ein neues Terrain und eine neue Herausforderung, die ich gerne annehme, felsiges Hochplateau.

Anspruchsvolle Piste

So lange es trocken ist, werden wir auch keine Problem bekommen, es sei denn das Terrain ändert sich. Regen ist erst für den späten Nachmittag angesagt, dann sollten wir hier durch sein. Ohne Allradunterstützung arbeiten wir uns langsam vor und die Piste ändert sich nicht nennenswert. Felsiger, harter Untergrund, etwas Geröll und Sand in den Felslücken. Der Sand ist allerdings meistens weggespült durch den Regen, so dass tiefe Lücken entstehen. Und ausgerechnet jetzt fängt es an zu regnen, etwas früher als vorhergesagt.

Ich bleibe entspannt, denn wenn es weiter geht wie bisher, dann wird auch der Regen kein Problem sein.

Jutta bleibt ebenfalls entspannt, hat sich arrangiert mit der Rolle des Beifahrers, der eh nichts an der Situation ändern kann und es nehmen muss, wie es kommt. Es gibt jetzt sowieso nur noch diesen Weg.

Blick aus der Hochwüste auf die umliegenden Schneeberge

Wir kommen an den Rand des N. P. und entdecken, dass man das Gate über diese Piste umgehen kann. Wer es darauf anlegt, kann also ohne die Gebühr für den Park zu entrichten in den Arches National Park fahren. Das könnte allerdings unangenehme Konsequenzen haben, sollte ein Ranger den Parkausweis kontrollieren. Wir sehen einige Camper, die ihre Fahrzeuge auf einer jetzt, durch den einsetzenden Regen, schlammigen Fläche parken. Offensichtlich ist es kostenlos. Im Park ist es nicht erlaubt frei zu stehen. Diese Fahrzeuge werden die Piste, die wir gerade gekommen sind, nicht befahren können. Sie haben zu wenig Bodenfreiheit.

Außerhalb des Parks geht es auf dem Weg zurück, den wir gekommen sind. Wir passieren das Gate, zeigen nur kurz den Ausweis vor und schon öffnet sich die Schranke. Obwohl wir den selben Weg fahren wie vor zwei Tagen sind wir genau so beeindruckt wie beim ersten Mal. Es ist wie beim Sex, vielleicht sogar besser als beim ersten Mal.

Am Abend beim Lagerfeuer sind wir uns einig, der Arches National Park ist was ganz besonderes und hinterlässt einen bleibenden und durchweg positiven Eindruck. So was wie hier haben wir nie zuvor gesehen. Und auch unsere Campsite dürfte auf einer Rangliste einen der vordersten Plätze belegen. Wer kann schon von sich sagen, er habe auf dem Mars kampiert?

Devils Campground on Mars

Nach der dritten Übernachtung an diesem ganz speziellen Ort müssen wir leider abreisen. Weiter geht unser langer Weg nach Westen, unser Weg, der uns in das gelobte Land führen soll > California. Doch zunächst geht es runter in den Süden. Wir wollen nach Arizona, um den Grand Canyon zu sehen. Ich war bereits zwei- oder dreimal in Arizona, aber nie beim Grand Canyon, sondern nur bei den Four Corners, im Vorbeihüpfen. Ich springe von Utah nach Colorada, nach New Mexico und wieder nach Arizona.

Four Corners

Auf dem Weg raus aus dem Arches National Park machen wir die Trails, die wir vorher nicht geschafft haben und schauen uns das an, was wir bewusst für den Rückweg aufgespart haben. Mit der Gewissheit hier fast alles gesehen zu haben, können wir zufrieden abreisen und uns neuen Zielen zuwenden.

Ähnlich wie in New Mexico geht es durch weite Prärielandschaften, nur sind wir hier wohl insgesamt etwas höher, denn es liegt mehr Schnee abseits der Straße. Der Frühling scheint sich zu verabschieden und der Winter sagt: „Hallo, da bin ich wieder. Dachtest du etwa du bist mich los? Mitnichten mein Lieber, ich werde euch noch eine Weile begleiten!“ Dann weht er noch drohend hinterher: „Und wenn es sein muss, dann hole ich euch wieder ein!“

Manchmal halte ich an einem View Point und wir sehen von oben auf eine dünne Spur aus grauem Asphalt mit einer gestrichelten gelben Linie herunter, die sich wie eine endlose Schlange durch diese verdammte Weite zieht, als gäbe es keinen Anfang und kein Ende.

Irgendwo in Utah

Doch irgendwann kommt immer ein Ende. Besonders dann, wenn ein erschöpfter Fahrer genug vom Lenken hat. Das kommt selten vor bei mir, doch als Jutta einen Übernachtungsplatz in der freien Wildbahn herausgefunden hat, bin ich sofort bereit dafür.

„Nur noch eine halbe Stunde von hier.“, sagt sie, „dann biegen wir rechts ab und dort können wir frei stehen.“

free parking in USA

Es gibt sie also doch, freie Stellplätze mitten in der Natur. Sie sind nicht so häufig wie Walmarts oder andere große Einkaufszentren, aber wenn man gezielt danach sucht, dann wird man auch fündig. Dank der iOverlander App.

Free Overnight Parking

Ich würde auch gerne mal, ohne diese Netzfunde, selber auf die Suche gehen, nach genau solchen Plätzen. Dafür reicht Juttas Abenteuergeist, besonders am Ende von langen Fahrtagen, nicht aus. Sie ist sogar hier noch relativ unentspannt und fürchtet, dass ein Ranger kommen könnte, um uns in der Nacht von hier wegzuschicken.

Doch genau von diesem Abenteuergeist lebt die iOverlander App, von Leuten, die Plätze auskundschaften, sie dann online stellen, um sie mit anderen Globetrottern zu teilen.

Wir finden schnell den angegebenen Platz und fahren einen verschneiten Waldweg rein, eine kurze Anhöhe hinauf und stellen LEMMY ab. Jutta schläft verhältnismäßig ruhig und entspannt. Ich schlafe wie ein Murmeltier.

Wir haben schon im Arches N. P. überlegt, uns auch den Bryce Canyon anzuschauen, doch schließlich haben wir uns dagegen entschieden. Es liegt dort noch zu viel Schnee und gerade die Spots, die wir sehen wollen, sind noch nicht freigegeben.

Jetzt müssen wir trotzdem wieder eine Entscheidung treffen, was die Route angeht und ich bin überwältigt, was Jutta mir da gerade beim Morgenkaffee vorschlägt.

Sie sagt: „Wir können die Cottonwood Road fahren, eine Dirtroad. Das ist zwar die langsamere Strecke zum Grand Canyon, aber auch die Attraktivere.“

Cottonwood Road

Ich trinke einen Schluck Kaffee um kurz in mich zu gehen, ob ich gerade richtig verstanden habe, was über Juttas Lippen kam und dann sage ich: „Yes, Cottonwood Road!“

Das Wetter wechselt wie im Zeitraffer. Gerade noch haben wir im Schnee gestanden, befinden wir uns nun wieder auf einer roten Sandpiste im prallen Sonnenschein, auf der Cottonwood Road. Nach einer Weile auf dieser Dirt Road frage ich Jutta, ob sie nicht mal fahren möchte und werde ein weiteres Mal überrascht.

„Ja, warum eigentlich nicht.“, bekomme ich als Antwort.

Ungläubig, kopfschüttelnd halte ich an und steige aus, um auf die Beifahrerseite zu wechseln. Ich freue mich und sehe eine neue Jutta emporsteigen, eine abenteuerlustige, eine wagemutige und eine risikofreudigere Jutta, die nichts mehr aufhalten kann.

Jutta übernimmt LEMMY auf der Cottonwood Road

Dann geht es weiter und Jutta macht ihren Job hervorragend. Sie fährt erst langsam und bedächtig. Sie wird etwas forscher und gibt ein wenig mehr Gas. Plötzlich übersieht sie eine tiefe Spurrille, quer über die gesamte Breite der Piste. Sie ist zu schnell unterwegs. Es ruckelt heftig und sie merkt wie schnell es geht, dass man etwas übersehen kann. Hätte ich am Steuer gesessen, würde Jutta mir schwere Vorwürfe machen, weil ich IMMER! VIEL! zu schnell fahre.

Ich sage: „Macht doch nix, LEMMY kann das ab!“

Ich merke, wie angespannt sie ist und als die erste, steilere Steigung kommt auf einem feuchten Untergrund, da fragt sie mich, ob wir nicht wieder tauschen wollen. Ich sage: „Jetzt noch nicht, du machst das schon.“

Hin und wieder helfe ich bei der Gangwahl und sage etwas zur perfekten Drehzahl, damit bei der Steigung der Motor nicht ins Straucheln gerät. Jutta meistert diese Aufgabe mit Bravour. Aber leider verliert sie schnell die Lust am Fahren bzw. ist es für sie anstrengender und so lässt ihre Konzentration schneller nach. Und nach einigen Steilkehren mit nassem Untergrund, da will sie dann nicht mehr. Ich bin eh schon überglücklich, dass sie sich auf eine halbe Stunde „Offroad-Selber-Fahren“ eingelassen hat und will sie nicht überstrapazieren, denn es soll ja Spaß machen und nicht in Stress ausarten.

So tauschen wir also wieder die Plätze und ich lege den Allrad Antrieb ein, denn es geht einen schlammigen Weg relativ steil nach oben und LEMMY fräst sich seine Bahn aufwärts, ohne irgendwelche Probleme und ich bedauere nur, dass Jutta nicht selbst auch noch diese positive (Fahr) Erfahrung machen konnte. Sie hätte im Grunde nur lenken müssen, alles andere hätte die Elektronik übernommen. Sie hätte kein Gas geben müssen, hätte nicht bremsen müssen, alles hätte LEMMY selber gemacht und ich hätte von der Beifahrerseite aus jederzeit verbal eingreifen können, um zu sagen, was zu tun ist, sollte sie in Schwierigkeiten geraten. Aber soweit sind wir noch nicht.

Die Cottonwood Road ist auf jeden Fall eine Empfehlung, sie ist einfach zu befahren und bei Trockenheit auch ohne Allradantrieb zu bewältigen. Wer also etwas Zeit hat und ohne Eile unterwegs ist, der sollte sich für diese Dirt Road entscheiden, auf dem Weg vom Arches N. P. zum Grand Canyon.

Kurz bevor wir unser heutiges Ziel erreichen hat Jutta wieder einen freien Übernachtungsplatz parat. Und abermals ist er von iOverlander. Kurz vor dem Grand Canyon National Park fahren wir rechts ab und stehen erneut im Schnee. Durch die positive Erfahrung gestern, schlafen wir heute beide wie ein Murmeltier. Den morgendlichen Kaffee genießen wir in weißer, schneeverwehter Landschaft. Die Sonne scheint und der Tag begrüßt uns verheißungsvoll.

Morning Coffee

Nach dem zweiten Kaffee fahren wir weiter in den Grand Canyon National Park und schon vor dem Gate gibt es hier und dort einen netten Aussichtspunkt. Manchmal halten wir und steigen aus, manchmal fahren wir nur langsam daran vorbei. Dann kommt das Gate, an dem wir die Eintrittsgebühr entrichten müssen und ich halte vor der geschlossenen Schranke am kleinen Häuschen, fahre das Fenster runter und sehe eine freundliche junge Dame dahinter sitzen. Sie lächelt schon bevor ich zum Stehen komme.

Ich frage: „Could we buy a pass here for all…“ Sie nickt bereits unaufhörlich, weil sie genau weiß, wie meine Frage enden wird. „…US National Parks?“ Dann fragt sie, ob wir bereits in anderen Parks Eintrittsgebühren bezahlt haben und Jutta kramt auch schon in ihrem Portemonnaie.

„Yes, we did!“, sagen wir und Jutta findet tatsächlich noch die Bons vom Garner N. P. und vom Arches N. P.

Diese beiden Parks werden mit der Gebühr verrechnet und das finden wir ganz fantastisch. Den Everglades National Park könnte sie jetzt eh nicht mehr berücksichtigen, weil es länger als zwei Wochen zurückliegt, als wir dort waren.

Gut gelaunt verabschieden wir uns und setzen unseren Weg fort. Nun als Inhaber eines Passes für alle US-amerikanischen National Parks, State Parks und Provincial Parks. Darüber hinaus dürfen wir auch legal in Gebieten des „Bureau Of Land Management“ über Nacht stehen. Das waren z. B. unsere beiden letzten Overnight Stellplätze, an denen wir in diesem Fall illegal gestanden haben.

BLM Stellplatz

Was kann man zum Grand Canyon sagen? Jeder kennt ihn. Jeder weiß, wo er ist. Er ist alt, uralt sogar und wären wir nicht so nah dran, dann wären wir vermutlich daran vorbei gefahren. Ich habe zuvor schon viel darüber im Fernsehen geschaut und auch unzählige Bilder gesehen, dass ich eigentlich kein großes Interesse hatte, jemals hier her zu fahren. Aber ich dachte, wenn wir schon mal da sind, sollten wir ihn uns auch ansehen.

Und ich bereue diese Entscheidung nicht. Wie gesagt, ich wusste aus den Medien wie gewaltig dieser Canyon ist, aber als wir nun direkt davor stehen, dann ist das irgendwie was ganz anderes.

Grand Canyon

Wir halten wieder an diversen View Points und staunen einfach nur über dieses Wunder der Natur. Der Colorado River, der über Millionen von Jahren diesen Canyon in die Landschaft gefräst hat ist kaum zu sehen, so weit weg ist er und so wenig Wasser fließt jetzt im März, im Jahr 2022.

Wir parken LEMMY in Grand Canyon Village und nutzen den Bus, denn ab hier dürfen wir mit dem eigenen Fahrzeug nicht weiter. Der Bus fährt einen Rundkurs und man kann an verschiedenen Stationen aus- und wieder zusteigen. Wir entscheiden uns bis zu einem bestimmten Punkt zu fahren und von dort zurückzulaufen, denn dann sehen wir die besten Spots auf dem Rückweg. So steht es jedenfalls in unserem Reiseführer.

Colorado River

Wir warten kurz auf den Bus und steigen zu. Masken tragen ist immer noch Pflicht. Dann steigen wir aus an der fünften oder sechsten Haltestelle und begeben uns auf den Fußweg. Die Wapitis, die wir am Wegesrand sehen, manchmal an der Straße oder auch mal am felsigen Abgrund, sind nur angenehmes Beiwerk. Der Canyon ist der Star.

Der Grand Canyon rockt

Der Grand Canyon an sich ist gigantisch. Er ist ungefähr 450 km lang und reicht bis zu 1800 Meter in die Tiefe. Wir kommen an Warnschildern vorbei, auf denen steht, dass immer wieder Menschen in den Tod stürzen, weil sie nicht auf den vorgegebenen Wegen bleiben. Weil sie über Absperrungen steigen und sich auf Felsvorsprünge stellen, um spektakuläre Fotos zu machen. Das ist eigentlich genau mein Ding und ich sehe viele dieser Felsvorsprünge und tolle Fotomotive, wo ich mich gerne aufnehmen lassen würde. Aber ich weiß genau, dass Jutta von ihrem Vetorecht Gebrauch machen wird und ich möchte auch nicht in Misskredit bei den Rangern kommen. So zügele ich meine Begierde und vermeide alle verlockenden Abgründe und Felsnasen, die weit über den tiefen Canyon hinausragen und es gibt keine waghalsigen Fotos. Davon konnte ich ja in Griechenland bei den Meteora Klöstern Einige machen.

Danger!

Wir kommen an Trails vorbei, wo Wanderer mit guter Kondition tief in den Canyon hinab steigen, um an anderer Stelle wieder hinauf zu marschieren. Für uns ist das allerdings nichts, denn wir haben hier nur einen halben Tag eingeplant. Natürlich könnten wir unsere Pläne ändern, doch wir befinden uns kurz vor Kalifornien und ich werde nach wie vor magnetisch angezogen von diesem magischem State. Und auch Seligman, der Ort an der historischen Route 66 ist für heute Abend eingeplant. Dort möchte ich gerne in Lilos Diner, einem deutschen Restaurant, ein Jägerschnitzel essen.

Abschließend kann ich sagen, am Grand Canyon fühle ich mich klein und unbedeutend, was negativ klingen mag, aber positiv gemeint ist. Vielleicht muss man so etwas Großartiges erst mit eigenen Augen sehen, damit man sich selber einmal schüttelt, zurecht rückt und dann erkennt, welche Bedeutung man selbst eigentlich hat. Ich komme für mich zu dem Schluss, keine besonders Große.

Was für ein Ausblick!

Mit wahnsinnigen Eindrücken verlassen wir den Grand Canyon.

Am Abend, nach stundenlanger Fahrt kommen wir in Seligman an. Es ist ein kleiner Ort, nur einige Häuser sind es links und rechts neben der MOTHER ROAD. Hier befinden wir uns auf einem Teil der historischen Route 66, der Mutter aller Straßen. Die Sonne geht unter und der Himmel färbt sich dunkelgelb, fast orange. Es sind nur wenige Wolken am Himmel, dominierend sind die leuchtenden Reklametafeln von Dinern und Tankstellen.

Ankunft in Seligman

Wir sind auf der Suche nach einem bestimmtem Diner, nach „Westside Lilo’s“.

Und dann sehen wir es auch schon. Ich parke direkt vor der Tür neben einem alten Traktor, der dort zur Dekoration steht, nehme ich an. Ich möchte, dass sie von innen durch das große Fenster unseren Offroader ausmachen können. Wir gehen hinein und setzen uns an einen Tisch mit Blick auf LEMMY und die Straße. Die Bedienung kommt und fragt, ob wir essen möchten und was wir trinken wollen. Ich antworte, dass wir gerne etwas essen und auch was trinken wollen, aber dass es davon abhängt, ob wir hier über Nacht stehen bleiben dürfen. Ich zeige durch das Fenster auf unseren Wagen und sie sagt etwas zögerlich, ja schon, aber wir sollten dann auf die Seite des Diners fahren und nicht direkt vor dem Restaurant stehen bleiben.

Historic Route 66

Dann bestelle ich ein großes Bier und das Jägerschnitzel mit Pommes, umparken kann ich ja auch noch nach dem Essen. Jutta wählt ein kleines Bier und einen Salat. Was ich vorher nicht wusste und auch nicht auf der Speisekarte nachgelesen habe, ein großes Bier ist in Lilo’s Diner ein ganzer Liter.

Normalerweise bekomme ich einen Pint, wenn ich ein großes Bier bestellen. Na ja, egal. Ich muss nicht mehr weit fahren, nur noch um die Ecke. Das Essen ist echt lecker, die Portion ist üppig, aber es ist auch verdammt teuer. Dazu kommt dann noch mindestens 15 – 25% Trinkgeld. Früher waren es noch 10 -15%. Heutzutage kann man am Kreditkartenleser nur noch zwischen 15, 18, 20% und aufwärts wählen.

Etwas angetrunken parke ich nach dem Essen um, auf die andere Seite des Diners und dann gehen wir schlafen. Morgen werden wir die Mother Road fahren und Kalifornien erreichen. Mit diesem Gedanken schlafe ich ein.

Bevor wir allerdings weiter fahren nach Kalifornien wollen wir uns noch Seligman anschauen. Gestern war es ja bereits dunkel als wir angekommen sind und wir hatten großen Hunger. Darum wird das jetzt erledigt.

Seligman dürfte wohl das Aushängeschild der Mother Road sein, denn nirgendwo sonst ist alles diesem Thema gewidmet, der historischen Route 66. Überall ist etwas zu entdecken. Hier gibt es weit mehr als nur nette Souvenirläden. An jeder Ecke stehen alte amerikanische Autos, die Hausfassaden sind farbenfroh angemalt und mit Blechschildern und Stickern verziert. Manchmal stehen Schaufensterpuppen auf den Dächern und vor einem anderen Haus parkt ein alter Polizeiwagen aus den 30er Jahren. Es scheint als stehen aus jeder Dekade diese alten Ami Straßenkreuzer in Seligman verteilt. Allerdings fahren wohl die meisten nicht mehr, denn oft sind die Reifen platt und diese Liebhaberstücke fristen ihr Dasein nur noch als Dekoration und rosten still vor sich hin. Schade eigentlich!

Classic Cars

Ich fühle mich zurückversetzt in eine andere Zeit, in ein anderes Zeitalter. Vermutlich sind es die wilden 60er und der Freiheitsdrang ist groß. Ich denke an Easy Rider und stelle mir vor, sie kommen gleich hier angefahren mit ihren Harleys. Auf der einen Maschine sitzt Dennis Hopper und auf der anderen Peter Fonda. Ich kann die Motoren schon hören.

Kurz keimt in mir der Gedanke auf, mal selber auf eine Harley Davidson zu steigen. Ich bin schon viele Motorräder gefahren, aber eine Harley noch nie. Und gibt es einen besseren Ort auf der Welt, als die Route 66 in Arizona, um sie mit einer Harley zu befahren? Ich denke nicht.

Vor der Fahrt nur noch schnell das Kopftuch mit den Totenköpfen aufsetzen, damit die Haare nicht so sehr im Wind wehen und ohne Helm geht es auf den schwarzen Asphalt. Es ist kaum Verkehr hier, denn fast alle nehmen den schnelleren Highway um von Ost nach West zu gelangen oder umgekehrt. Diese Straße ist nur was für Nostalgiker. Ich habe die ganze Breite schwarzen Teers unter mir. Nur für mich. Ich fahre Schlangenlinie, immer schön durch die gestrichelten gelben Straßenmarkierungen durch. Die Mother Road gehört in diesem Moment mir, mir ganz alleine. Die Zeit steht still. In meinem Kopf fängt Steppenwolf an zu singen: „Born to be wild“ und ich drehe am Gashebel. Drehe ihn voll auf und der Schub drückt mich nach hinten und die Arme werden immer länger. Ich halte mich am Lenker fest und spüre den frischen Wind im Gesicht, ein Hauch von Haschisch strömt mir in die Nase und ich will nie wieder anhalten…

Aus weiter Ferne klingt eine leise Stimme in mein Ohr. „Hallo? Alles klar bei dir?“ Jutta guckt mich an. „Ähhh, was?“, stammele ich vor mich hin, rausgerissen aus meinem kleinen Tagtraum. „Jaja, alles klar bei mir. Wollen wir bald weiter?“

Hello Mr. President!

Wir schauen in einige Läden rein und ich kaufe mir eine Schirmmütze von der Route 66 und ein Kopftuch. Elvis Presley und Marilyn Monroe sind auch da, aber leider nur als lebensgroße Figuren. Ein paar Blechschilder wandern in die Einkaufsbeutel und dann müssen wir uns echt ausbremsen, denn sonst bräuchten wir hier einen riesigen Einkaufwagen. Es macht Spaß einfach zu stöbern in dem bunten Sortiment. Hier gibt es irgendwie alles, was man nicht wirklich braucht, aber doch gerne hätte.

Ich glaube Jutta geht es ähnlich wie mir. Irgendwie kann ich mich nicht richtig losreißen von diesem Ort. Raus aus dem einen Laden, sieht man schon wieder etwas nebenan oder gegenüber. „Komm!“, heißt es dann, „lass uns nur da drüben noch kurz gucken!“

Sein oder Nichtsein???

Aber irgendwann schaffen wir den Absprung dann doch noch. Wir sind wieder auf der Straße, on the road. Auf der Mother Road. Ursprünglich ging sie, soweit ich weiß, von Chicago nach Los Angeles. Wir werden nur einen Bruchteil dieser legendären Route von Ost nach West fahren. Aber ich werde jede verdammte Meile genießen, will jeden Inch zurückgelegter Strecke in mich aufnehmen. Ich will den Asphalt unter den Rädern wahrnehmen und die frische Luft durch das offene Fenster atmen, den Wind auf der Haut spüren.

Der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Die Musik kommt vom USB Stick. Links und rechts neben uns wird die Landschaft karger, die Wüste kommt näher. Aber dieses Mal ist es keine Hochwüste.

Auf dem grauen Asphalt vor meiner Motorhaube ist eine gestrichelte gelbe Linie, auf der gegenüberliegenden Spur kommen mir einige Biker mit ihren Harleys entgegen. Dann höre ich das weit entfernte Tröten eines endlos langen Zuges, wie ich es schon tausend Mal davor gehört habe. Bei dem Horn des Zuges denken Jutta und ich immer an „Stand by me“, einem Film nach einem King Roman. In der Szene überqueren vier Freunde gerade eine Brücke, um einen toten Jungen zu finden und von hinten kommt der dröhnende Zug angedonnert. Sie müssen ganz schön rennen, um nicht überfahren zu werden.

Kurze Zeit später sehen wir den meilenlangen Güterzug uns entgegen kommen. Links neben uns fährt er auf Schienen in die eine Richtung, wir fahren auf dunklem Teer in die andere Richtung. Auf dem Weg nach Kalifornien. Wer weiß, wo der endlose Güterzug ankommen wird?

Ich bin in einer perfekten Stimmung um diesen langen Highway zu fahren, fühle mich pudelwohl auf der Route 66 und dann erwischt es mich von hinten und überwältigt mich so wie ich es nie im Leben erwartet hätte.

Car Cemetary

Alles ist perfekt, der letzte Song aus dem Autoradio verstummt und Johnny Cash fängt an zu singen.

Ich kann es nicht zurückhalten, die Tränen kullern nur so runter und ich fühle mich erinnert an 2011, an Kalifornien. Wir waren mit einem brandneuem Dodge Durango unterwegs, den ich in Los Angeles am Flughafen übernommen habe. Er hatte gerade mal 3 Meilen auf dem Tacho und Jutta und ich waren irgendwo zwischen Tijuana und Palm Springs unterwegs.

Dann lief Free Bird im Radio von Lynyrd Skynyrd und mir liefen Tränen der Freude die Wangen runter. Denn in dem Augenblick war einfach alles perfekt. Wir hielten kurz davor an einem weißen Kreuz am Straßenrand, dort angebunden wehte ein langer pastellfarbener Seidenschal und die Prärie war endlos. Das war so ein schönes Bild, dass ich es jetzt noch vor Augen habe, wenn ich daran denke.

Ich habe Jutta davon erst erzählt, als wir wieder zuhause waren, im Waterhole, lange nach der Reise und sie hat mir gesagt, dass sie an derselben Stelle, bei dem selben Song von Lynyrd Skynyrd auch vor Glück geweint hat.

Johnny Cash singt seinen Song „The Mercy Seat“ und ich frage Jutta, ob sie mir meine Sonnenbrille aus der Konsole gibt. Sie reicht mir meine Brille und weiß genau was los ist. Es geht ihr so wie mir und wie es uns 2011 ergangen ist und Tränen der Freude laufen unsere Wangen runter. Es braucht keine Worte. Ich fahre einfach weiter und wir genießen diesen einmaligen, diesen perfekten Augenblick.

Danach folgt Pearl Jam und kein DJ der Welt könnte ein besseres Timing für einen Song wählen als dieser Radiomoderator in diesem Augenblick. Der Song heißt „Black“!

Eins wird mir bewusst: So etwas hast du auf allen deinen Reisen nie erlebt, nie zuvor hast du während der Reise vor Freude geweint, nur hier in den USA und das jetzt bereits zum dritten Mal.

Ich sage zu Jutta auf der Beifahrerseite: „Wie wäre es eigentlich, wenn wir uns mal eine Harley mieten?“ Jutta zuckt mit den Schultern. „Du musst selber wissen, ob du das willst!“

Immer wieder muss ich anhalten, weil es tolle Motive am Wegesrand gibt. Mal ist es eine alte, verwaiste Tankstelle. Dann stehen wieder fantastische alte Classic Cars auf weichem, beigem Sand am Straßenrand, mit den großen Rundungen und den schönen Heckflossen. Damals sahen die Autos noch nicht alle gleich aus, wie es heute üblich ist. Jetzt kann ich kaum noch einen Honda CRV von einem Golf oder einem Porsche Cayenne unterscheiden. Die alten US Autos hatten Klasse und Stil. Leider haben sie ihren letzten Zündfunken verloren und keiner dieser Oldtimer wird je wieder anspringen. So wie „Christine“, ein knallroter 58er Plymouth Fury aus einer anderen King Verfilmung. „Sie“ sprang immer an, wenn Artie Cunningham lieb zu „Ihr“ war.

Can I help you….?

Es bereitet mir einen Riesenspaß diese Straße zu fahren und mit jeder zurückgelegten Meile kommen wir unserem Ziel Kalifornien etwas näher. Und auch der Mojave Desert. Dann sehe ich am Straßenrand etwas und kann es kaum glauben. Ich trete auf die Bremse und fahre rechts ran. Dann schaue ich mich um, ob von hinten oder vorne etwas kommt. Kein Auto und kein Biker in Sicht. Ich wende und fahre zurück. Jutta will wissen was los ist und warum ich umdrehe.

„Ich hab da was Kurioses gesehen!“, sage ich.

Route 66

Dort steht eine Toilette auf einer Holzpalette, inklusive Spülkasten. Darüber ein Holzschild „Rest Stop“. Hier kann man also sein Geschäft an der frischen Luft verrichten und es ist ja eh wenig Verkehr. Etwas Rückendeckung bietet ein vertrockneter Busch, aber von vorne ist man komplett offen. Was für ein genialer Einfall hier so etwas hinzustellen. Genau diese Momente sind es, die den Reiz dieser Strecke ausmachen. Abgesehen von der grandiosen Natur und der bildschönen Landschaft.

Es gibt noch einige andere Kuriositäten zu bestaunen und ich muss oft halten damit wir uns alles in Ruhe anschauen können. Mal ist da der Giganticus Headicus, ein riesiger grüner Kopf aus Pappmaché, dann ein kleines Roadhouse mit einem alten Indianer davor und immer wieder diese wundervollen alten Autos und manchmal auch Motorräder.

Don’t be to fast

Zwischendurch taucht dann ein kleines Diner auf, damit man sich bei einem Kaffee und vielleicht einem Stück Kuchen etwas ausruhen kann oder ein alter General Store für eine erfrischende Limonade.

always watch policemen

So wird unsere Fahrt nie langweilig. Aber irgendwann fällt uns ein, dass wir noch einkaufen sollten, denn wir wollen heute Abend im Joshua Tree National Park ankommen und dort wenigstens drei Nächte verbringen. Dafür brauchen wir Vorräte und reichlich Wasser. Außerdem muss ich tanken. Jutta hat einen Ort rausgesucht, der etwas abseits liegt, aber dort sollten wir alles bekommen. Kingman. Da gibt es einen Safeway, eine Tankstelle und einen Liquor Store.

Wir werden allerdings leider heute nicht mehr im Joshua Tree Park ankommen. Stattdessen stranden wir in Desert Center, einer Geisterstadt.

„Willst du erst tanken oder kaufen wir vorher ein?“, fragt Jutta als wir auf den Parkplatz in Kingman rollen. Wir haben bereits alles im Blick von hier. „Erst einkaufen, danach tanken!“, antworte ich knapp.

Vorräte auffüllen, bevor es in die Wüste geht

Ich mag die Safeway Supermärkte sehr. Sie sind zwar teuer, aber das Einkaufsambiente ist um ein Vielfaches besser als z. B. im Walmart. Wir bummeln gemütlich durch alle Gänge und der Einkaufswagen wird voller. Es stehen immer zwei Preise auf allen Waren, einmal der „Member“ Preis und darunter der teurere Preis für alle Anderen. Wir müssen also „Member“ werden um Geld zu sparen. Ich frage einen Angestellten wie das geht und er sagt, man müsse nur seine Telefonnummer an der Kasse angeben. Irgendeine Amerikanische. Ich nehme die Nummer der Cousine meiner Kollegin, das ist eine amerikanische Telefonnummer. Check.

Es klappt. Ohne Tüten packen wir wieder alles vom Laufband in den Einkaufwagen und rollen damit direkt zum Auto. Als ich draußen fertig bin mit den Sachen für die Staufächer ist Jutta innen noch beschäftigt.

„Ich gehe mal schauen, wie teuer hier der Diesel ist!“, rufe ich in die Kabine. „Ok“, höre ich von innen. Entsetzt komme ich zurück. „Ich glaube ich spinne, die sind ja völlig bekloppt!“, sage ich aufgebracht zu Jutta. „Weißt du was die Gallone hier kostet?“ Woher sollte sie das wissen. Sie schüttelt den Kopf.

„6,79 $ wollen die haben für eine beschissene Gallone Diesel! Hier tanke ich nicht!“

Normalerweise haben wir knapp über 4 $ für die Gallone bezahlt, mit Glück auch mal nur 3,79 oder so ungefähr.

„Wie weit kommen wir noch mit der Tankfüllung?“, will Jutta wissen. „Mal sehen was der Bordcomputer anzeigt.“ Auf dem Display steht, dass wir noch etwa 160 Meilen kommen.

Letterboxes

„Das ist doch eine gute Reichweite.“, denke ich. Tankstellen gab es bisher an fast jeder größeren Kreuzung. Zu dumm nur, dass ich vorher keinen Blick auf die Karte geworfen habe. Große Kreuzungen und selbst kleine Orte werden wir bald nicht mehr antreffen, sobald wir von Arizona nach California wechseln. Denn dann fahren wir durch einsame und endlose Wüste, durch die Mojave Desert. Unglücklicherweise hat auch Jutta nicht so genau die Karte studiert, als das ihr aufgefallen wäre, dass wir durch ähnliche Weiten und abgelegenen Gebiete fahren, wie vor einer Weile in New Mexico. Schuld an diesem Dilemma, in das ich uns bringe, ist aber selbstverständlich der Fahrer. Jutta wollte tanken, ich war zu geizig. Wir wissen, dass es am Krieg in der Ukraine liegt, dass die Spritpreise so explodiert sind.

„Wir fahren erstmal weiter.“, sage ich zu Jutta. „Na gut, wenn du meinst.“

Bye bye Arizona

Wir passieren die Landesgrenze und verlassen Arizona. California, here we are. Die Orte verschwinden hinter uns und vor uns tauchen Berge auf. Nur ein kleiner Bergkamm, links und rechts davon ist alles flaches Land. Sie sind nicht besonders hoch, aber in der ansonsten flachen Umgebung fallen sie schon auf. Das Thermometer steigt langsam aber stetig. Seit langem geht es auf die 20 Grad zu und dann sogar darüber. Wir kommen den Bergen immer näher. Vergessen ist der Krieg in der Ukraine und vergessen sind die hohen Spritpreise. Wir fahren durch eine Postkartenidylle und sind wieder allerbester Laune.

Als ich die Berge vor uns sehe, kommt eine Erinnerung in mir hoch. Ich war schon mal hier, allerdings ungefähr 11000 Meter höher. Es war als wir 2011 nach Los Angeles geflogen sind. Ich hatte einen Fensterplatz und habe aus dem Flugzeug runter geschaut. Ich bin mir sicher, dass ich genau diese braunen Bergspitzen gesehen habe. Und schon damals im Flugzeug dachte ich daran, eines Tages tatsächlich die USA zu durchqueren. Auf der Route 66 zu fahren. Und jetzt, genau 11 Jahre später, im März 2022 fahre ich mit meinem eigenen kleinen Expeditionsmobil durch die USA, von einem Bundesstaat in den Nächsten.

Jetzt schaue ich von unten nach oben, suche nach einem Flugzeug, kann aber keins entdecken. Ich erzähle Jutta, was gerade in mir vorgeht, sie saß ja 2011 im selben Flieger neben mir. Es ist ein melancholisches Gefühl und irgendwie fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen, als ich im KLM Flieger saß und von oben hier runter schaute.

Wir fahren in die Berge und die Ausblicke werden schöner. Einer Kurve nach der anderen, dann geht es wieder runter. So geht es eine ganze Weile, rauf und wieder runter. Ich glaube, dass Kalifornien der schönste Bundesstaat von allen ist. Und endlich sind wir da. Angekommen! Die Berge bleiben langsam hinter uns zurück und vor uns wird es etwas flacher.

Vereinzelt sehen wir in den Bergausläufern andere Camper stehen. Mitten in der Wüste. Es ist aber auch traumhaft schön hier. Dann werden es immer mehr Camper, alle weit auseinander. Aber teilweise sind es auch kleine Ansammlungen von Caravans, großen Bussen oder normalen Wohnmobilen.

Wir kommen ins Grübeln, ob wir nicht auch eine Nacht hier verbringen sollen. Es geht schon seit einigen Meilen so, immer wieder stehen andere Leute nicht weit von der Straße in der wundervollen Natur. Manche sehen zu uns rüber und winken. Wir sind total unentschlossen und können uns nicht entscheiden, was wir tun sollen. Eigentlich war der Plan heute Abend im Joshua Tree N. P. zu stehen. Aber es wäre bei weitem nicht das erste Mal, dass wir einen Plan verwerfen oder ändern.

Leider bekommen wir es nicht hin uns klar zu entscheiden, so dass wir einfach weiter fahren. Ist ja irgendwie auch eine Entscheidung, aber eine unbefriedigende.

Hier gab es damals Treibstoff zu kaufen…

Ich werfe mal einen Blick auf die Tankanzeige und bekomme einen kleinen Schreck. Die Tanknadel ist schon recht weit nach links gewandert.

Ich sage etwas beiläufig zu Jutta: „Lange keine Tankstelle gesehen, wah?“ „Ja stimmt!“, sagt sie, „ich gucke mal, wann und wo die Nächste kommt. Wie weit kannst du noch fahren?“

Ich wechsel auf dem Display von der Geschwindigkeitsanzeige zum Verbrauch und weiter zur Restreichweite. „Noch knapp 100 Meilen.“, sage ich. „Oh gut.“, sagt sie, „da kommt gleich Eine, nicht mehr weit!“

Wir sehen die Tankstelle schon von weitem, doch als ich mich soweit nähere, dass ich die Preise in großen leuchtenden Zahlen auf der Anzeigetafel erkennen kann, da glaube ich erneut, ich spinne. Die Gallone Diesel kostet hier 7,89 $. Ich fahre an der Tankstelle vorbei und hoffe auf die Nächste.

„Kannst du bitte mal gucken wann und wo die nächste Tankstelle kommt?“, frage ich Jutta. Sie macht sich sofort ran auf MapsMe zu gucken, Internet hat sie hier schon lange nicht mehr. Sie sagt, dass in 30 Meilen eine kommen muss. Die zeigt auch unser TomTom Navi an. Weiter geht es und die Tanknadel bleibt auch nicht stehen, sie neigt sich weiter nach links, immer weiter an den roten Bereich heran.

Die Sonne geht langsam unter und färbt den Himmel über den weit entfernten Bergketten leuchtend orange. Da sehe ich plötzlich eine Tankstelle in einiger Entfernung. Ist das etwa eine Fata Morgana? Wir sind doch noch keine 30 Meilen gefahren?

…irgendwo im nirgendwo…

An dieser Tankstelle gibt es kein Benzin und kein Diesel. Die Zapfsäulen, die hier mal waren sind nicht mehr da. Jetzt gibt es bloß noch Schuhe. Überall sind abgetragene Treter angebunden. Oben an der Überdachung hängen sie paarweise und auch einzeln. Sogar an der trockenen Palme vor der verlassenen Tankstelle hängen Schuhe. Manche wurden wohl einfach an den Schnürsenkeln zusammengebunden und dann hoch geworfen. Auf dem Boden verteilt sind auch welche. Wieder mal ein ganz kurioses Bild, irgendwie schräg.

Schuhtankstelle

Jutta ruft schon nach mir und sie hat recht, wir wollen weiter zu einer Tankstelle, die mehr zu bieten hat als nur alte Treter.

Die benötigte Tankstelle müsste jeden Augenblick auftauchen, wir sind die 30 Meilen gefahren. Auch auf dem TomTom wird sie unmittelbar bevorstehend angezeigt. Aber wir sehen nichts. Hier ist weit und breit gar nichts. Jetzt liegt sie auf dem Navi bereits hinter uns. Langsam werde sogar ich unruhig. „So ein Scheiß!“, sage ich. Hier gibt es keine Tankstelle.

Noch könnten wir umdrehen und zu der Tankstelle zurück fahren, wo sie die Gallone für fast 8 Dollar verkaufen. Noch ist der „Point Of No Return“ nicht erreicht. Noch nicht!

Jutta schaut bei MapsMe und sucht nach der nächsten Tankstelle. Es kommen noch zwei große Kreuzungen, dort gab es doch immer welche. Was ist denn bloß los hier? Sie findet eine am Highway, aber bis dorthin ist es noch ein ganzes Stück zu fahren. Wenn vorher nichts kommt, dann könnte es echt knapp werden, aber wir wollen es wagen. Wir entscheiden uns weiter zu fahren.

Mojave Desert

Letztendlich bin ich es, der die Verantwortung trägt, ich bin der Fahrer und damit verantwortlich alles im Blick zu haben, einschließlich der Tankfüllung. Ich beruhige mich etwas und sage mir, mit den 60 Meilen Restreichweite müsste es doch mit dem Teufel zu gehen, sollten wir keine Tankstelle mehr erreichen. Das sind immerhin ungefähr 100 Kilometer, die wir noch fahren können. Optimistisch fahre ich weiter. Wo in Europa muss ich so weit fahren, um eine Tankstelle zu erreichen?

Doch mein Optimismus verlässt mich genau so schnell, wie die Tanknadel auf den roten Bereich zu rast. „Wie weit kommen wir noch?“ Diese Frage bekomme ich nun in sehr regelmäßigen Abständen gestellt.

Ich habe das Display mit der Restreichweite jetzt ständig im Blick. Ich wechsel nicht mehr auf die digitale Geschwindigkeitsanzeige. Das wird mir ja analog noch angezeigt.

„Noch 36 Meilen.“, sage ich.

Inzwischen gab es auch den Warnton und die gelbe Anzeige im Cockpit, dass ich doch nach Möglichkeit tanken sollte. Würde ich auch liebend gerne du bescheuerte Warnleuchte, aber es gibt hier nicht eine einzige beschissene Tankstelle. Soll die scheiß Gallone doch verfickte 10 Dollar kosten, ich zahle es ja!

„Wie weit kommen wir noch?“, will Jutta wissen. „Noch 27 Meilen sagt der Bordcomputer.“ Wie weit müssen wir noch fahren bis zu dieser großen Kreuzung am Highway?“

Wir haben uns abgeschminkt, dass vorher etwas kommt. Der Traum ist ausgeträumt. Das war nur Wunschdenken und der blöde Optimist hat sich wohl verrechnet. Du Vollidiot, denke ich, zweimal hättest du tanken können. Zuerst in Kingman und danach an dieser wundervollen Tankstelle mitten im Nirgendwo. Wer ist denn so bescheuert und fährt in der Wüste an einer Tankstelle vorbei???

Und warum zum Teufel sind die beiden Reservekanister leer? 40 Liter könnten da hinten am Heck sein, aber nein, zu viel Gewicht heißt es dann.

Scheiße Scheiße Scheiße…

„Noch 35 Meilen!“, sagt Jutta mit gerunzelter Stirn.

Weit und breit ist nichts. Es wird immer dunkler und seit einer Ewigkeit haben wir kein anderes Auto mehr gesehen.

„Was machen wir, wenn wir liegenbleiben?“, fragt Jutta. „Wir bleiben nicht liegen!“ „Wie weit kommen wir noch?“ „Noch 8 Meilen.“

Es scheint so, als wollen wir nicht nur Sprit sparen (Ich fahre im Eco Modus und halte die Drehzahl im optimalen Bereich), sondern als wollen wir auch an Worten sparen. Die Sätze werden knapper und nur das Nötigste wird gesprochen. Die Anspannung steigt.

Die Fahrt geht weiter.

Jetzt frage ich zuerst. „Wie weit müssen wir noch?“ Jutta antwortet. „Noch 6 Meilen.“ „Wie weit kommen wir noch?“ „Restreichweite 0!“

In 6 Meilen sollte es also eine Tankstelle geben. Das werden wir wohl noch schaffen, ich werde wieder optimistischer. Es ist bereits stockdunkel und wir nähern uns einer größeren Kreuzung, an der eine Gas Station verzeichnet ist. Hoffentlich haben die dort auch Diesel, das ist in Amerika nicht selbstverständlich an den Tankstellen. Die meisten PKW fahren mit Benzin und es sind vor allem die LKWs, die Diesel benötigen.

Die Tanknadel ist im roten Bereich, aber noch nicht ganz am Ende angelangt. Desert Center, wir kommen!

Desert Center

„Wie weit noch?“, frage ich wieder. „Nur noch 2 Meilen!“

Wir sehen im Dunkel einige Lichter leuchten. Als wir näher kommen identifizieren wir sie als die Frontscheinwerfer einiger LKWs. Und dann sehen wir die Tankstelle….

Wie weit kann man wohl noch fahren, wenn der Bordcomputer „Restreichweite 0“ anzeigt? Das ist eine sehr interessante Frage und ich will das eigentlich nicht selber herausfinden müssen. Und wie konnte es überhaupt so weit kommen, wenn man einen 140 Liter großen Dieseltank hat? Mit einem vollen Tank und einem durchschnittlichen Verbrauch von ca. 12,5 Litern pro 100 Kilometer haben wir eine Reichweite von knapp 1000 Kilometern. Und wenn dann noch die beiden Reservekanister mit je 20 Liter betankt sind, dann haben wir 180 Liter an Bord und eine Reichweite von etwa 1350 Kilometern. Da sollte es doch möglich sein nicht mitten in der Wüste zu stranden. Aber leider sind die Reservekanister leer und weiß der Teufel, wieviel Diesel noch im großen Lone Ranger Tank ist.

Wir rollen über Sand auf die Tankstelle zu. Es ist alles dunkel. Die Zapfsäulen sind verrottet und die Scheiben sind zertrümmert. Hier sind schon lange keine Dollars mehr für Benzin über den Tresen gegangen und haben den Besitzer gewechselt. Nein, nicht hier in Desert Center. Irgendwie passt dieser Name perfekt zu diesem Ort. Wir sind in einer Ghost Town gestrandet.

Tankstelle? Fehlanzeige!

Die wenigen Gebäude in dieser staubigen und dreckigen Wüste sind verlassen und verfallen langsam. Das erkenne ich durch das dürftige Licht unseres Rangers.

Ich habe einen Entschluss gefasst. Aber vorher wagen wir einen letzten verzweifelten Versuch doch noch an Diesel zu kommen. Hier stehen einige LKWs mit laufendem Motor, so als wollten sie gleich noch los fahren, durch die Nacht. Ich frage Jutta, ob sie nicht mal einen der Trucker fragen mag, ob er uns eine oder zwei Gallonen verkaufen könnte.

Ich halte direkt neben der riesigen Fahrerkabine und Jutta steigt aus und fragt den Mann, der hoch über ihr sitzt bei geöffnetem Fenster. Ich höre trotz runtergefahrener Scheibe nicht was gesprochen wird, zu laut brummt der Motor der fetten Maschine im LKW, aber hoffe das Beste. Fehlanzeige.

Ich fahre noch bei zwei anderen Trucks vorbei und Jutta fragt nach Diesel gegen Bargeld, dann geben wir auf. Sie haben keine Reservekanister dabei, heißt es. Und sie können uns ja nichts aus ihrem Tank abzapfen. Wahrscheinlich denken sie sich alle: „Diese blöden Touristen, fahren hier in die Wüste und haben kein Geld zum Tanken oder wollen sich bei den explodierten Preisen billig Sprit schnorren.“

Jetzt steht mein Entschluss endgültig fest. Wir bleiben die Nacht über hier stehen. Ich habe absolut keinen Bock mehr und ich riskiere es nicht auf den Highway zu fahren, wo noch einiges an Verkehr sein dürfte, um dann mitten in der Nacht an einer stark befahrenen Straße liegen zu bleiben.

Jutta ist sofort damit einverstanden und ich suche eine etwas ruhigere Ecke. Etwas weiter weg von den laufenden und dröhnenden LKW-Motoren.

„Morgen früh sieht die Welt schon wieder anders aus!“, sage ich, um Jutta und mich selber etwas aufzumuntern.

Into the desert, without Diesel

Wir sind gestrandet in Desert Center, am Arsch der Welt, in einer ausgestorbenen Geisterstadt. Nur einige LKW Fahrer geistern hier noch rum. Das liegt an der Nähe zum Freeway oder ist es die Interstate? Ich habe keine Ahnung mehr und will es auch nicht wissen. Ich will nur noch schlafen und morgen aus diesem Albtraum erwachen.

Hey guten Morgen Schatz, das duftet ja lecker nach Kaffee. Mmhh, da hast du dich aber mal wieder selbst übertroffen. Und wie schön der gedeckte Frühstückstisch aussieht. Wow, frisch gepresster Orangensaft! Soll ich uns schnell ein paar Eier in die Pfanne hauen, was meinst du?“

Ach übrigens, wie voll ist eigentlich der Tank? Fast bis zum Überlaufen sagst du? Geht kein Tropfen mehr rein? Na das ist doch super, dann können wir ja gleich ganz entspannt starten, wenn wir dieses köstliche Breakfast in Amerika verdrückt haben.“

Jutta hat ein bisschen Netz hier, wir sind der Zivilisation etwas näher gekommen. In ungefähr 20 Meilen auf dem Highway gibt es eine Tankstelle, sagt Google. Außerdem findet sie einen „Mann für alle Fälle“. Der bietet im Netz einen Benzinbringdienst an. Wir scheinen also nicht die Einzigen zu sein, denen hier der Sprit ausgeht. Die Rezensionen machen aber klar, dass er sich das sehr teuer bezahlen lässt. Also versuchen wir es erstmal so.

Wir frühstücken ohne frisch gepressten Orangensaft und ohne Rührei, aber trotzdem lecker und mit köstlichem, wohlduftenden Kaffee.

Die Welt sieht tatsächlich heute morgen schon ganz anders aus. Desert Center hat sogar Charme bei Sonnenschein. Ich bin ja während unserer Reise ein kleiner Fan geworden von Lost Places.

Desert Center

Außerdem habe ich mir in der Nacht überlegt, wenn wir jetzt am Tag am Freeway liegen bleiben, dann ist es Erstens nicht so schlimm, weil ja Tag ist und wir gut zu sehen sind von den vorbeidonnernden Trucks. Und Zweitens hole ich dann die beiden Bikes vom Träger runter und wir fahren mit den Rädern zur Tankstelle, füllen dort die Reservekanister und radeln zurück zum Auto. Und wenn es 20 Meilen sind, dann sind es eben 20 Meilen. Scheißegal.

Jutta hatte ganz ähnliche Gedanken in der Nacht und sie ist heute morgen genau so entspannt wie ich es bin. Kein Vergleich mehr zu gestern. Obwohl wir auch da relativ gut funktioniert und harmoniert haben, trotz der Stresssituation. Ein eingespieltes THE WÖRLD IS YOURS Team eben.

Ghost Town

Nach einem kleinen Spaziergang durch Desert Center wagen wir uns auf den Freeway.

Anzeige im Bordcomputer unverändert: „Restreichweite 0!“ 6 Meilen bin ich bereits gefahren mit dieser Anzeige auf dem Display, ca. 20 Meilen liegen jetzt vor uns.

„Fahr bitte sparsam!“, sagt Jutta. „Geht klar.“, sage ich.

Die Tanknadel bewegt sich weiter nach links, kommt dem Ende des roten Bereichs immer näher. Hinter dem roten Bereich ist es schwarz. Tiefes, abgründiges Schwarz. Vanta Black. Da soll sie nicht rein gehen, bitte nicht, nur noch ein paar Meilen…., komm schon LEMMY, komm alter Junge, halt durch…..

Wenn wir wandern und der Weg beschwerlich wird und steil nach oben geht oder auch bei anstrengenden Treppenaufstiegen, dann sage ich immer, um uns zu motivieren: „Nur noch 10 Schritte, dann haben wir es geschafft.“ Und das wiederhole ich auch gerne von Zeit zu Zeit, denn es hilft mir wirklich. „Nur noch 10 Schritte!“

Ich habe diese Worte von Joe Simpson geklaut, na ja oder er hat mich inspiriert dazu, denn ihm haben diese Worte das Leben gerettet. Er ist bei einer Kletterexpedition (Buch und Dokumentarfilm „Sturz ins Leere“) in den peruanischen Anden verunglückt und extrem schwer verletzt, hat er sich mit genau diesen Worte zurückgekämpft in die Zivilisation und überlebt. „Nur noch 10 Schritte….“

15 Meilen haben wir schon geschafft. Nur noch 5 Meilen, dann kommt die rettende Oase. Das Wasserloch. Dort soll der Diesel sprudeln und die Palmen blühen. Komm schon LEMMY,….halt durch….., nur noch 10 Schritte…

Die Tanknadel gelangt an das Ende des roten Bereichs. Vanta Black ist der Abgrund in den sie jeden Augenblick abzurutschen droht. Da sehe ich die großen Reklametafeln einer Tankstelle. Halt durch LEMMY, enttäusche uns jetzt nicht, komm schon, good boy…. Ich streichele zärtlich über die Konsole.

Der Motor läuft noch als ich bereits an der Zapfsäule stehe. DIESEL steht dort in großen Buchstaben aufgedruckt. Die Tankstelle ist in gutem Zustand, keine zerbrochenen Scheiben, innen brennt Licht und Leute gehen ein und aus. Andere Menschen tanken ihre Autos voll. Es gibt reichlich Benzin, Diesel, Propane und alles was das Herz begehrt.

Ich stoppe den Motor, setze Bordcomputer A zurück auf Null, steige aus und tanke voll.

DIESEL

36,7 Gallonen Diesel sehe ich auf dem Display der Zapfsäule, das sind exakt 139,2 Liter. Das bedeutet, wir sind mit einem kläglichen Rest von 0,8 Litern Diesel im Tank hier vorgefahren.

In mir kommen Gedanken hoch, was ich wohl dem Sheriff sagen würde, wären wir am Highway liegengeblieben und er würde mich fragen, wie es dazu kommen konnte, wenn ich doch hinten zwei große Reservekanister am Auto habe?

Na was sollte ich dem dann schon sagen?

„Mit Verlaub, Sir, können Sie denn nicht lesen, auf dem linken Reservekanister steht GIN und auf dem rechten Kanister steht TONIC!“

Noch Fragen?

….und was als nächstes geschieht…

CHAPTER VII – CALIFORNICATION, VOM ATLANTIK ZUM PAZIFIK, EINMAL QUER DURCH DIE USA, IN DIE STADT DER ENGEL

…und wie wir in LOS ANGELES in Lemmy Kilmisters Stammkneipe den Rock ‚N‘ Roll spüren und in West Hollywood an Johnny Ramones Grab stehen….

CHAPTER 19 – Durch Texas nach New Mexico

… von extraterrestrischem Leben in Roswell und einer UFO Sichtung über Santa Fe

Wir rollen über texanischen Asphalt und es regnet. Ich wünschte, ich könnte es mit Sailors Worten sagen, die er zu Lula spricht. Lula fährt gerade den Wagen im Lynch Film „Wild At Heart“ und Sailor sagt grinsend vom Beifahrersitz ihr zugewandt: „Gib Gummi Baby, du bist heißer als der Asphalt von Georgia!“

Aber jetzt fährt keine Lula. Ich sitze am Steuer und heiß ist der Asphalt auch nicht. Außerdem sind wir nicht mehr in Georgia, sondern in Texas. Es ist der 25. Februar 2022.

Unser Ziel ist der Garner State Park. Da die Strecke zu weit ist um durchzufahren, übernachten wir in Baytown, kurz vor Houston.

Santa Fe Graffiti

Es gibt auch wieder etwas zu diskutieren. Nach dem intensiven Erlebnis auf der Whitney Plantage kommen wir erst am Nachmittag richtig los. Ich möchte nun aber mit nur einer Zwischenübernachtung den Garner State Park erreichen. Das wird aber sehr schwierig, wenn wir heute keinen langen Fahrtag machen. Jutta mag es allerdings nicht so gerne, wenn wir spät irgendwo ankommen. Ich sage: „Es ist doch ganz egal, um welche Uhrzeit wir den Zwischenstopp einlegen und finden werden wir immer etwas. Wir sind hier nicht mehr in der Türkei oder in Georgien, wo man damit rechnen muss, dass unbeleuchtete Fahrzeuge nachts unterwegs sind oder sich unvermutet riesige Schlaglöcher auftun.“

Sie lässt sich darauf ein und wir fahren erstmal auf unbestimmte Zeit weiter.

Es stellt sich sogar als sehr angenehm heraus am Abend zu fahren. Erstens ist viel weniger Verkehr um die Ballungsgebiete herum und zweitens ist eine sehr angenehme Stimmung im Auto, wenn draußen alles dunkel wird und im Radio nette Musik läuft. Wir unterhalten uns gut und haben eine gemütliche Fahrt durch das nächtliche Texas.

In Baytown ist dann aber auch gut mit Fahren und am nächsten Tag sollten wir den Garner State Park erreichen.

Nach Houston wollte ich immer schon. Da gibt es in Downtown eine ganz besondere öffentliche Toilette. Die habe ich mal irgendwo abgebildet gesehen. Das wäre eine tolle Ergänzung für meine Klofotosammlung in unserem Gäste-WC im Waterhole. Diese Public Toilet ist ein Quader und besteht komplett aus verspiegeltem Glas. Das Verrückte daran ist, dass man von Innen ALLES sieht, was außen um Einen herum geschieht. Was das wohl für ein Gefühl ist? Dort sein Geschäft zu erledigen, während draußen evtl. jemand seine Frisur im Spiegel überprüft und genau zu dir schaut. Das habe ich mich immer schon gefragt. Leider finde ich keinen einzigen Eintrag im Internet, wo der genaue Standort dieser Toilette ist und Jutta will sowieso weiter in den State Park.

Da ich nicht besonders motiviert an die Sache gehe, bleibt das Ergebnis negativ und wir fahren an Houston vorbei.

Pueblo Architektur

In Texas dürfen wir schneller fahren, als in allen anderen Bundesstaaten zuvor. Vielleicht noch ein Wildwestüberbleibsel? Wir lassen Houston hinter uns. Auf dem stark befahrenen 6-spurigen Highway wird gerade ein LKW abgeschleppt. Er ist direkt vor uns. Aber da er rückwärts gezogen wird, glotzt er mich böse an mit seinen runden gelben Augen und das riesige, verchromte Kühlergrill sieht aus, als wären es fletschende Zähne. Ein beängstigender Gedanke, wenn so ein Ungetüm plötzlich auf dich zurast. Ich gehe ein wenig vom Gas und lasse den Abstand zwischen uns etwas größer werden.

Jutta fragt: „Hat Earl sich eigentlich mal wieder gemeldet?“

Earl ist ein Cousin von mir, von dem ich noch nicht allzulange weiß, geschweige denn, dass wir Cousins sind. Er hat mir vor Jahren schon eine Freundschaftsanfrage auf Facebook geschickt und hin und wieder hat er was von mir geliked oder auch mal kommentiert. Wenn ich z. B. gepostet habe, dass ich in Hamburg auf einem Konzert bin oder so. Er heißt Earl Godt und lebt in Washington, auf Vashon Island, nicht weit von Seattle entfernt. Seit unserer THE WÖRLD IS YOURS TOUR nimmt er regen Anteil und folgt mit großem Interesse unserer Reise. Besonders allerdings, seit wir mit dem Flugzeug nach Kanada geflogen sind und LEMMY mit dem Containerschiff nach Halifax geschickt haben. Earl ist tagtäglich mit dabei und ich freue mich über sein Interesse. Als wir an Portland vorbei gefahren sind, hat er mich angeschrieben und gefragt, ob wir bei Portland/Maine sind oder bei Portland/Oregon? Er wohnt nicht weit weg von Portland/Oregon und wir seien jederzeit herzlich willkommen. Ich bin mir ganz sicher, er wusste ganz genau, dass wir bei Portland/Maine waren, an der Ostküste. Aber er wollte die Gelegenheit nutzen eine indirekte Einladung auszusprechen.

Ich schrieb ihm also zurück, dass wir in Maine sind, aber im weiteren Verlauf unserer Tour nach Oregon an die Westküste kommen und auch nach Washington. Er bekräftigte seine Einladung und ich nahm dankend an.

„Ja, hat er.“, sage ich. „Er schreibt, dass er im April für eine Woche auf Hawaii ist. Er fliegt mit seiner Frau zu deren Schwester. Vom 15. bis zum 22. April sind sie nicht Zuhause. Davor und danach können wir jederzeit kommen.“

Seit wir New Orleans und Louisiana verlassen haben (the German Coast, wie es damals zu Zeiten des Sklavenhandels hieß), hat uns der Frühling eingeholt. Nach subtropischen Temperaturen auf den Keys und in den Everglades und nach einem kurzen Sommer in NOLA ist es merklich kühler geworden, seit wir durch Texas fahren. Wir erleben jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr den Frühlingsanfang. Gar nicht schlecht, könnte man denken, wenn das Jahr gerade erst begonnen hat und wir noch Februar haben. Aber der Frühling wird auf unserer weiteren Tour immer wieder von vorne beginnen. Und wenn wir denken, jetzt ist er endgültig vorbei und der Sommer startet durch, dann kommt er wieder um die Ecke. Wieder und wieder und wieder…

Lunchpause machen wir am Highway. Es wird schon immer gut lesbar vorher auf großen Schildern dafür geworben, was die nächste Abfahrt alles zu bieten hat: Taco Bell, A&W, Dunkin Donut, Gas & Diesel usw.

Roswell

Wir gehen in einen großen Tankstellenshop, der keine Wünsche offen lässt. T-Shirts, Kampfmesser, Souvenirs und selbstverständlich auch was das Autofahrerherz und den Trucker erfreut. Sogar eine Buffettheke mit warmen Gerichten gibt es. Ich wähle das Crispy Chicken, einmal spicy und einmal regular. Jutta isst immer öfter vegetarisch seit wir in Nordamerika angekommen sind. Nicht 100 % konsequent, aber doch viel mehr als ich ursprünglich geglaubt habe. Entsprechend fällt ihre Wahl hier aus. Wir nehmen alles mit und essen im Auto. Dann geht es weiter, vorbei an San Antonio in Richtung El Paso. Doch lange vor El Paso kommen wir im weitläufigen Garner State Park an. Da dieser Park wirklich riesig ist, können wir ohne Problem einchecken und für drei Tage bleiben. Er ist nicht jetzt schon komplett ausgebucht, hier scheint die Saison später zu starten. Wir entscheiden uns für eine geräumige Campsite nah am Fluss. Ein Bündel Feuerholz wird noch mitgenommen und drei Tage Natur pur stehen an.

Zuerst gibt es Kaffee. Je nach der Uhrzeit, wann man irgendwo ankommt, variiert meine Wahl. Hier und heute finde ich es noch zu früh, um mir ein Bier aufzumachen. Dafür ist noch reichlich Zeit. Jetzt wollen wir uns erst mal akklimatisieren. Von der Größe des State Parks konnten wir uns schon beim Reinfahren überzeugen. Die Nachbarn um uns herum sind alle weit weg, keine anderen Camper sind in unmittelbarer Nähe. Ich bereite das Lagerfeuer vor und sammle noch kleine Äste und Zweige als Starthilfe, Grillanzünder brauche ich nicht. Größere Holzstücke, die lose rumliegen nehme ich auch gerne mit. Eine Axt und eine kleine Säge habe ich dabei, um sie lagerfeuertauglich zu bearbeiten. Ich bekomme noch den Auftrag eine Wäscheleine zu spannen, Jutta hat Wäsche gemacht. Nach dem Kaffee in unserem neuen Camp machen wir noch einen kleinen Spaziergang runter zum Frio River und zu einem nahegelegenen Aussichtspunkt. Den Trail auf den Berg und durch den Wald verschieben wir auf morgen. Den Abend lassen wir gemütlich am Lagerfeuer ausklingen. Dazu gibt es einige kleine Biere, bevor wir glücklich und erschöpft zu Bett gehen.

…just arrived, Garner State Park

Der nächste Tag beginnt nicht so toll. Wir erfahren was in der Ukraine los ist und sind entsetzt. Putin hat seine russischen Truppen in den Krieg geschickt. Das macht uns besorgt und betroffen zugleich. Wir erkundigen uns bei unseren Nachbarn Olha und Carsten, wie es ihnen geht und besonders Olhas Eltern, die in der Ukraine leben.

Olha hat große Angst um ihre Eltern und es geht allen sehr schlecht mit der Situation. Die Eltern leben in Sumy und dieses Gebiet ist besonders betroffen. Noch gibt es leider keine Fluchtkorridore, doch Olha ist fest entschlossen, ihre Eltern sobald es geht, aus dem Krisengebiet rauszuholen. Jutta und ich sind uns sofort einig und bieten unser Haus als Unterkunft an. Ohla lehnt zunächst mal ab. Da kann man später immer noch drüber nachdenken, wenn sie erst mal sicher in Deutschland angekommen sind. Wenigstens kann sie täglich mit der Mutter telefonieren, ihr Anbieter übernimmt die kompletten Kosten für alle Anrufe in die Ukraine.

Wir versuchen das alles so gut es geht auszublenden und fühlen uns hilflos. Mit Bauchschmerzen starten wir in den Tag.

Auf Facebook sehe ich immer mehr Ukraine Flaggen auf den Profilbildern und lasse mich inspirieren, ein Foto, das ich hier im Park aufgenommen habe, zu bearbeiten. Das Motiv ist ein blauer Himmel über trockenem, beigem Gras und vertrockneten Büschen. Ich verstärke die Intensität der Farben so stark, dass mein Bild wie die Ukraine Flagge aussieht. Oben blau und unten gelb.

Uns erreichen auch diverse Nachrichten aus Deutschland, wir sollen froh sein, dass wir so weit weg sind. Froh macht es mich allerdings nicht, (in der Situation) weit weg zu sein. Aber vielleicht es ist tatsächlich einfacher für uns, das alles etwas aus unserem Kopf zu verdrängen, beiseite zu schieben. So wie wir bzw. ich es schon bei Corona gemacht habe. Ich, der Meister des Verdrängens, kann das.

Wenigsten kurzzeitig.

Wir machen das Beste draus und gehen wandern. Es gibt einen schönen Trail hier im Park, rauf auf einen Berg, durch Waldgebiet und eine neue Vegetation. Zwischen den Felsen wachsen hier sogar kleine Kakteen, die mich eher an Mexico erinnern als an Texas. Aber ich war zuvor auch noch nicht in Texas.

Texas Flora

Bisweilen ist es etwas beschwerlich, weil es steil nach oben geht, aber Jutta hat ihre Wanderstöcke dabei. Kurze Passagen müssen dann auch schon mal geklettert werden und oben am Berg ist sogar eine kleine Höhle, die ich mir auch von innen anschaue. Jutta lässt sich berichten wie es war. Auf solche Kletter-Exkursionen hat sie keine Lust, wenn sie sich vermeiden lassen. Der Rundumblick von ganz oben ist schon toll. Wir sehen, wie sich der Fluss durch das Tal schlängelt und wie der Frühling den Winter verdrängt. Die anderen Camper sind zwischen den Bäumen da unten kaum zu sehen. Auch LEMMY ist verdeckt unter einem Blätterdach, aber die Campsite können wir von hier oben ungefähr ausmachen.

Wie immer vergehen die Tage schnell. Ich arbeite an meinem Blog und bin mittlerweile bei der Rückreise aus Georgien durch die Türkei, Bulgarien, Rumänien usw. angekommen, auf der Rückreise ins Waterhole. Leider konnte ich noch immer nicht aufholen und etwas tagesaktueller schreiben. Mehr als zwei Chapter pro Monat werde ich kaum schaffen, aber egal. Dann ist es eben so. Es soll ja auch keinen Stress bereiten, sondern Spaß machen. Und das tut es, es macht Spaß, besonders an Orten wie Diesem. Für die drei Tage haben wir alles was wir brauchen vorher eingekauft. Es gibt eine Feuerstelle direkt am Platz, in der Nähe ist ein Fluss. Das inspiriert mich und ich schreibe bereits am Tag und dann noch die Nacht durch. So kann ich auch den Scheiß, der in Europa passiert, ein wenig vergessen.

Coffee & Cookies

Unseren Nachmittagskaffee genießen wir am Frio River. Dazu nehmen wir die kleinen Stühle mit, ein kleines Beistelltischchen, das eigentlich ein Klapphocker ist, die Kaffeemugs und ein paar Kekse. Das Wasser ist kristallklar, aber eiskalt. Die Bäume vom gegenüberliegenden Ufer spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Wir planen grob, wie es weiter gehen soll. Der nächste Halt wird in Roswell sein und von dort wollen wir nach Santa Fe weiter fahren. Das heißt, morgen werden wir Texas verlassen und New Mexico erreichen.

„Wenn wir morgen wieder auf der Straße sind, müssen wir dringend tanken!“, sage ich zu Jutta.

somewhere in Texas
Diesel für LEMMY

Mit vollem Tank und einer ungefähren Reichweite von mehr als 900 Kilometern fahren wir über endlose und wenig befahrene Highways. In New Mexico ändert sich die Landschaft langsam und fließend zu immer mehr Steppe. Die Bäume und Felder aus Texas weichen einer wüstenartigen, unendlichen Weite. Die Sonne strahlt von einem blauen Himmel auf uns herab und vom Stick läuft Tito & Tarantula/After Dark, besser geht es nicht.

Doch, es geht noch besser. Je nach Windrichtung rollen immer wieder diese runden, vertrockneten Grasballen (Tumbleweed, Steppenläufer) über die Straße, mal von links, dann wieder von rechts. Wir sind in unserem eigenen Roadmovie, mit einem geilen Soundtrack unterwegs in New Mexico. Perfekt wird das ganze Bild, als die Sonne untergeht und sich ein rot glühendes Band zwischen Himmel und Erde schiebt. Dafür muss ich dann auch mal kurz anhalten, um ein Foto zu schießen.

New Mexico

Wir genießen die Einsamkeit und diese Weite, denn über Stunden kommt nicht eine Ortschaft in unser Sichtfeld, nicht eine Tankstelle. Nur ein paar Trucks begegnen uns gelegentlich oder auch mal ein Pickup.

Erst am Abend kommen wir in Roswell an, es ist bereits total dunkel. Wir suchen nur noch unseren Overnight Stellplatz an einem Einkaufscenter auf und verschieben alles Weitere auf morgen.

Das Roswell „Welcome Sign“ ist natürlich ein „Must Do“ für mich. Das erledigen wir als Erstes. Wir fahren durch den Ort und alles, wirklich alles ist im Zeichen der Aliens. Jeder Laden hat etwas mit extraterrestrischem Leben zu tun. Jedes Geschäft hat einen Außerirdischen vor der Tür oder ein entsprechend dekoriertes Schaufenster. Die Straßenlaternen sind designt wie die Köpfe von Aliens und McDonalds sieht aus wie eine fliegende Untertasse.

McFlight?

An vielen Gebäuden befinden sich bunte Graffiti mit Raumschiffen und Weltraummotiven. Auch der „Roswell-Vorfall“ ist als Graffiti an die Wand gesprüht. Was genau der „Roswell-Vorfall“ ist, das erfahren wir im Museum. In das Museum gehen wir auf jeden Fall, bevor wir heute noch weiter fahren nach Santa Fe. Aber erst muss ich meine Fotos vom „Welcome Sign“ machen. Der Einfachheit halber und damit wir hier nicht ein zweites Mal herfahren müssen, mache ich gleich alle Bilder auf einmal. Also das Roswell „Welcome Sign“ von vorne und dann noch das Roswell „Goodbye Sign“, das sich praktischerweise auf der Rückseite befindet und nicht etwa am Ortsausgang.

UFO Hauptstadt

Im Museum erfahren wir was sich damals, im Jahr 1947, auf einer Farm abgespielt hat und was als so genannter „Roswell-Vorfall“ gilt. Bevor wir hinein gehen, lasse ich mich von Jutta zwischen zwei Aliens in der Wüstenkulisse fotografieren.

Meine neuen Cousins Laurel & Hardy

Earl wird dieses Foto später auf Facebook kommentieren. „Sind das deine neuen Freunde?“ Er setzt einen lachenden Smiley dahinter.

Und ich werde antworten: „Nein, das sind meine beiden neuen Cousins Laurel und Hardy!“ Auch ich füge einen Smiley hinten an.

Wir gehen hinein und stellen sehr schnell fest, was wir selbstverständlich vorher schon wussten. Hier ist vieles nicht ganz ernst gemeint. Dieses Museum ist zur Unterhaltung da und das funktioniert auch ganz gut, nicht nur bei den Kleinen. Natürlich klärt es auch auf und widerlegt die Verschwörungstheorien.

Museum Roswell

Es bleiben aber auch Fragen offen, was extraterrestrisches Leben angeht. Beispielsweise gibt es Aufnahmen von uralten Höhlenzeichnungen, auf denen vermeintlich Außerirdische abgebildet werden. Wir sehen auch eine riesige, aus Holz gefertigte Schnitzarbeit der Maya, auf der es so aussieht, als ob dort ein Mayahäuptling in einem Raumschiff sitzt. Er nimmt genau so eine Sitzposition ein, wie es die modernen Astronauten heutzutage tun. Dann kommen wir in einen Laborbereich. Hier werden die Aliens, wie wir sie uns vorstellen, untersucht. Sie liegen auf Pritschen und Ärzte in weißen Kitteln stehen drum herum. Nebenan werden sie in einen Kernspintomografen geschoben und in riesigen Einweggläsern konserviert. So ähnlich, wie wir es vor kurzem im House Of Death in New Orleans gesehen haben.

help me….

Sogar eine Bibliothek gibt es hier. Alles dreht sich um Roswell und außerirdisches Leben, um Ufos und angebliche Sichtungen von unbekannten Flugobjekten. Es gibt Berichte zu lesen von Leuten, die behaupten entführt worden zu sein. Für eine Zeit, so behaupten sie, waren sie an Bord von fremdartigen Raumschiffen und wurden danach unbeschadet nach Hause gebracht. Nichts davon ist jemals bewiesen worden.

Der Roswell-Vorfall

Hier stehen auch Regale mit meterweise weißen Kartons mit blauen Schildern. Hierin befinden sich dieAkten vom „Roswell-Vorfall“.

Es heißt, der Vorfall wurde als „die berühmteste, am gründlichsten untersuchte und am gründlichsten widerlegte Ufobehauptung der Welt“ beschrieben.

Der „Roswell-Vorfall“ ereignete sich 1947 bei einer Ranch in der Nähe von Corona, Lincoln County, New Mexico. (Koordinaten 33°58,1’N 105°14,6’W).

Im Grunde ging es dort um die Bergung von Ballontrümmern durch Offiziere der United States Army Air Forces.

Am 8. Juli 1947 gab Roswell Army Airfield eine Pressemitteilung heraus, in der es hieß, dass sie eine fliegende Scheibe geborgen hätten. Die Armee zog diese Aussage allerdings schnell zurück und sagte stattdessen, dass das abgestürzte Objekt ein herkömmlicher Wetterballon sei.

…ist das außerirdisch?

Erst viele Jahre später, Ende der 1970er tauchte der „Roswell-Vorfall“ wieder auf. Als der mittlerweile pensionierte Oberstleutnant Jesse Marcel mit dem Ufologen Stanton Friedman sprach und ihm erzählte, er glaube, die von ihm gefundenen Trümmer seien außerirdischen Urspungs.

Das war natürlich ein gefundenes Fressen für alle Ufologen und etliche Verschwörungstheorien sind entstanden. Es seien Raumschiffe abgestürzt und das Militär beteilige sich an der Vertuschung.

Noch 1994 veröffentlichte die United States Air Force einen Bericht, indem das abgestürzte Objekt als Atomtest-Überwachungsballon von Projekt Mogul identifiziert wurde.

Ein weiterer Bericht, der 1997 veröffentlicht wurde, erklärte, dass die Geschichten über „Körper von Außerirdischen“ wahrscheinlich von Testdummies stammen, die aus großer Höhe abgeworfen wurden. Nachlesen kann man alles über den „Roswell-Vorfall“ z.B. auf Wikipedia.

Das wir schon in kürzester Zeit selber Zeuge eines unglaublichen Ereignisses werden, davon ahnen wir jetzt noch nichts.

Der Besuch in diesem unterhaltsamen und spannenden Museum hat sich für uns absolut gelohnt. Es war sehr interessant und aufschlussreich. Möge jeder selber für sich entscheiden auf welche Seite man sich stellen will. Zu den Ufologen und Alienfans oder zu den Kritikern und Zweiflern.

Roswell gibt darauf eine eindeutige Antwort: „We Believe!“

Was ist mit Dir? „Do you believe?“

Für uns geht es nun weiter nach Santa Fe. In die Stadt mit den schönen Häusern, gebaut im Pueblo Stil, den ich so mag.

Aber vorher geht es rauf auf die Straße, auf die Interstate und durch traumhafte, einsame, ja menschenleere Wüstenlandschaften. Begleitet wird die Fahrt durch coole Roadmusik von meinem Stick. Mir kommt ein Song in den Sinn, den ich kürzlich gehört habe.

Der Song ist von Johnny Hobo and the Fraight Trains

Und Johnny singt:

And now he’s driving us

100 miles an hour down the interstate

Another beer in his hand

Swearing we won’t be late.

That was before everyone moved to New Mexico.

They all left a couple of month ago

Until the day my friend

When I sleep on the floor of your van again

I’ll be waiting in this parking lot,

And in my dreams , I am dirty broke, beautiful, and free.

My hands clenched in a fist, and my face in a smile,

After hitching to many miles.

So fahren wir dahin, durch diese endlose Weite, down the Interstate, 100 miles an hour…

Campsite in Santa Fe

….bis wir in Santa Fe ankommen.

Wir wählen einen Stadtcampingplatz, der ist relativ zentral und bietet ein gutes Preis/Leistungs- Verhältnis. Auf dem Weg dorthin bekommen wir bereits einen kleinen Eindruck von den im Pueblo Stil erbauten Häusern. Sollte ich mal richtig zu Geld kommen, dann würde ich mein nächstes Haus im Pueblo Stil bauen. Irgendwo an einem Bergsee. Unten am Wasser hätte ich einen kleinen Steg, raus auf den See. Daneben ein Bootshaus mit einem kleinen Motorboot. Im Wohnzimmer müsste ein Kamin sein und ein großes Fenster mit Blick auf den See.

Na ja, ein kleines rollendes Expeditionsmobil mit einem Zimmer, Küche, Bad haben wir ja schon und manchmal stehen wir auch an einem schönen Bergsee damit. Aber jetzt sind wir in Santa Fe, haben uns entschieden diese Stadt in New Mexico anzuschauen. Allerdings erst morgen. Für heute ist es bereits zu spät. Für einen Kaffee ist es allerdings noch nicht zu spät. Das Auto ist geparkt auf unserem Stellplatz und ich breite draußen auf dem dazugehörigen Tisch unsere Landkarten aus. Wir müssen mal wieder einige Entscheidungen treffen, denn es gibt viele Optionen, wie es weiter gehen könnte.

Mit einem frisch gebrühten Kaffee und dem Blick auf die Landkarte überlegen und diskutieren wir, was wir als Nächstes wollen. Jutta ist auf dieser Reise mehr damit beschäftigt im Reiseführer zu lesen, als ich es bin. Das ist bei den vergangenen Reisen eher andersrum gewesen. Ich habe die Reiseführer fast komplett durchgelesen, schon bevor wir in den Flieger oder in das Auto gestiegen sind. Weil ich jetzt aber mental vollkommen auf meinen Blog fokussiert bin, habe ich Jutta gebeten diese Sache zu übernehmen. So kann sie mir auch zu allen möglichen Richtungen was erzählen, was die Entscheidungsfindung aber nicht einfacher gestaltet.

Eine Möglichkeit wäre straight nach Norden zu fahren, Richtung Denver. Auf dem Weg liegt Taos, das wollte ich gerne besuchen. In der Nähe von Taos Pueblo leben die Nachfahren der Anasazi Indianer. Es ist die älteste ununterbrochen bewohnte Siedlung des amerikanischen Kontinents. Die Taos Indianer leben bis heute in den bis zu 800 Jahre alten Pueblos. Das sind mehrstöckige Gebäude in Terrassenbauweise, gebaut aus Lehmziegeln.

Der Great Sand Dunes N. P. und die Royal Gorge ist ebenfalls vor Denver. Leider ist Taos aber für Besucher gesperrt, wegen dem verdammten Virus. Da wir Taos also nicht besuchen können, fällt diese Route bei unserer Wahl durch.

Die nächste Möglichkeit wäre es direkt nach Westen zu fahren, da wollen wir sowieso hin. Los Angeles ist nicht mehr ganz weit weg. Vorher würde aber der Grand Canyon und die alte Route 66 auf dem Programm stehen.

Die dritte Variante, die wir beratschlagen, ist in der Mitte Richtung Nord-Westen.

Wir sehen auf einer unserer Karten ein beeindruckendes Bild von einem Arch, aufgenommen im Arches N. P.. Das Bild ist dermaßen imposant, dass wir uns für den Weg nach Nord-Westen entscheiden in den Arches N. P..

Dann können wir unterwegs noch in Los Alamos Halt machen. Den Grand Canyon und die Historic Route 66 verschieben wir um ein paar Tage nach hinten. Die Kaffeebecher sind geleert und die nächste Etappe steht, Check!

Jetzt darf ich mir auch ein Bier aufmachen.

Am Morgen nach dem Frühstück will ich die Fahrräder vom Gepäckträger holen. Jutta tüdelt drinnen noch rum und ich entferne die Schutzplane von den Bikes. Die Reifen sind alle ok, aber ich kann die Pedalen nicht bewegen. Was ist das denn jetzt? Ich stelle mit Erschrecken fest, dass die Ketten von beiden Rädern vollkommen rostig und steif sind. Ich überlege, wann wir wohl das letzte mal auf den Rädern im Sattel gesessen haben. „In Amerika noch nicht.“, denke ich mir „also wann dann?“ Es muss in Cirali in der Türkei gewesen sein. Ja, ich erinnere mich. Es war etwa Ende November, auf dem tollen Campingplatz in Cirali, wo Güler und Murat immer ihre Sommerferien verbringen. Dort hatte ich die Bikes auch vom Träger geholt, um sie zu waschen und um durch den Ort zu radeln. Das ist jetzt gut drei Monate her. Danach haben wir noch reichlich Staub aufgewirbelt und es gab inzwischen Regen, Schnee und Eis.

Service Point Santa Fe

Wie gut, dass ich noch eine Dose WD 40 dabei habe. Ich sprühe die beiden Fahrradketten gründlich ein und versuche die Pedalen zu bewegen. Geht nicht. Nichts rührt sich. Ich bewege die Glieder mit den Fingern auf und ab, Stück für Stück und versuche so, die Beweglichkeit wieder herzustellen. So arbeite ich mich langsam vor und es wird etwas besser. Jetzt nehme ich meinen Schlauch und schließe ihn am Wasserhahn an, um den gelockerten Dreck aus der Kette zu spülen. Mit größtmöglichem Druck spritze ich das Wasser auf die Kette. Es wird etwas besser. Ich trockne alles ab und beginne mit WD 40 von vorne. Nach mühevoller Fleißarbeit geht es dann ganz gut mit dem Drehen der Pedalen. Zeit für eine Probefahrt über den Campingplatz. Es ruckelt noch und knirscht, aber es wird weniger und ich merke wie das Öl nach und nach seine Wirkung zeigt. Ich sprühe ein weiteres Mal nach, steige wieder auf und verkünde froh im Vorbeifahren: „Kannst raus kommen, wir können gleich los!

Pueblo Style

Mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken und einer Wasserflasche am Bike geht es dann los. Eine leichte Jacke und ein Pulli reicht aus, an diesem sonnigen Tag. Den Weg haben wir uns vorher auf der Karte angesehen. Es geht an einem ausgetrockneten Flussbett entlang. Ein schöner Weg für Fahrräder und Spaziergänger. Um Santa Fe herum sehen wir die großen, zum Teil noch schneebedeckten Berge in der Ferne. Sogar hier liegt im Schatten der Mauern noch Einiges an Schnee.

Snow, in the shadow…

Auf dem Weg ins City Center sehen wir schon einige schöne Pueblo Häuser, viele nette Graffiti an Mauern und Wänden und ausgedörrte Büsche im vertrocknetem Flussbett. Froh über etwas Bewegung auf dem Rad, an so einem wundervollen Tag, kommen wir schließlich in Downtown an. Ein weiteres Fähnchen auf meiner Weltkarte in der Küche vom Waterhole ist gebongt.

Santa Fe umgeben von Bergen

Die Bikes werden an einer Laterne angeschlossen und zu Fuß geht die Erkundung weiter.

Wir befinden uns genau im Zentrum, inmitten eines kleinen quadratischen Parks. Um uns herum sind einige Geschäfte, eine alte Kirche, das Museum of Native Art und auch ein paar Restaurants und Bars. Einige Natives verkaufen hier am Rande des Parks, unter einem Säulengang, ihr Kunsthandwerk. Bevor wir zum Lunch gehen, schauen wir uns etwas um. Was wir dann in der Lunchpause erleben werden, das wird uns und alle Anderen um uns herum, staunend und mit vielen unbeantworteten Fragen zurück lassen.

Santa Fe Church

Zuerst besichtigen wir die kleine Kirche, dann bummeln wir an den Verkaufsständen der Natives vorbei, um danach noch ein wenig durch die Seitenstraßen zu spazieren.

Shopping

In der alten Trading Post vermutet Jutta was zum Stöbern und wir müssen da noch eben rein. Ich bin schnell durch mit dem Sortiment und schaue etwas gelangweilt durch das Schaufenster über die Straße. Da sehe ich eine Bikerbar direkt gegenüber, die mir vorher nicht aufgefallen ist. Ursprünglich wollte ich heute Abend in die „The Matador Bar“, aber die Kneipe gegenüber sieht auch nicht schlecht aus. Jutta ist irgendwann dann durch mit den Artikeln im Trading Post Store und wir sind hungrig und haben Lust auf mexikanisches Essen. Links oben am Park haben wir bereits ein Restaurant entdeckt, das außen eine schöne Terrasse bietet. Denn wir wollen bei dem tollen Wetter nicht drinnen sitzen. Ich wähle die Chicken-Enchiladas und ein großes Modelo Beer. Jutta nimmt die Enchiladas in der vegetarischen Variante und einen frisch gepressten Saft.

…beim Mexicaner um die Ecke…

Das Essen ist vorzüglich und unsere Stimmung ist bestens.

Die Route für die nächsten Tage steht, das Wetter ist hervorragend. Santa Fe ist eine tolle Stadt, die uns auf Anhieb super gut gefällt und wir sind im Augenblick wunschlos glücklich. Ich erzähle Jutta von der Biker Bar, die ich aus dem Schaufenster gesehen habe und biete an, nur dort noch etwas zu trinken, bevor es mit den Rädern zurückgeht. Damit es auch nicht zu spät wird und wir noch bei Tageslicht auf unserem Camp ankommen.

„In die Matador Bar müssen wir meinetwegen dann nicht noch unbedingt rein.“, sage ich zu Jutta.

Dann geschieht etwas Seltsames. Wir sind mit dem Essen fertig, aber unsere Getränke haben wir noch nicht ganz ausgetrunken. Die Leute auf der Straße schauen alle nach oben. Manche zeigen mit der Hand in Richtung Himmel, als ob es dort was zu sehen gäbe. Es bilden sich kleine Menschentrauben und sie bleiben auf der Straße stehen und richten den Blick nach oben. Es werden immer mehr und ich blicke auch nach oben, sehe aber nur den schattenspendenden Sonnenschirm über mir. Jutta sieht mich irritiert an, wundert sich darüber, dass ich plötzlich so verwundert dreinschaue. Kein Wunder, alles spielt sich hinter ihrem Rücken ab. Sie sieht nicht, was ich gerade sehe. Ich stammle vor mich hin: “Da muss irgendwas los sein, da am Himmel…“

…what the fuck…

Ich stehe auf von unserem Tisch und gehe zu den Anderen auf den Bürgersteig vor der Terrasse. Jutta folgt mir, mit fragendem Blick. Unsere Augen richten sich nach oben in den blauen Himmel. Jetzt stehen wir hier wie alle anderen und gucken fasziniert hoch und können nicht fassen, was sich dort abspielt.

look at that…

Ich sehe kleine weiße Punkte. Sie scheinen irrsinnig weit entfernt zu sein und sie bewegen sich ohne erkennbares Muster. Wir stehen etwas schräg unter einem Baum, der mir gut als Orientierungshilfe dient. Ich zähle mindestens 20 (vielleicht sind es auch ein paar mehr) Objekte. Luftballons halte ich für ausgeschlossen, denn sie bleiben konstant an der selben Stelle über der Baumkrone. Sie werden nicht verweht und sie fliegen auch nicht weiter. Nein, sie bewegen sich unregelmäßig zirkulierend über dem Baum. Ich mache Aufnahmen mit meinem Handy, so wie viele Andere es auch tun. Ich mache einige Fotos und ein Video. Sind dort oben UFO’s am Himmel? Werden wir Zeugen von etwas Unglaublichem? Gestern noch waren wir in Roswell, der UFO-Hauptstadt. Oder sind wir jetzt einfach nur durchgedreht? Aber was ist mit den anderen Leuten hier? Das bilden wir uns doch nicht ein. Sie alle gucken ungläubig nach oben, nicht nur wir. Das ganze Spektakel dauert ungefähr 15 Minuten, dann ziehen die unbekannten Flugobjekte weiter. Etwa eine Viertelstunde tänzeln sie dort oben am Himmel, an der gleichen Position über der Baumkrone. Dann ziehen sie weiter, immer weiter, bis sie aus unserem Sichtfeld verschwinden.

Es ist ein großer Spaß für alle, doch Antworten hat keiner von uns. Genauso ratlos wie wir es sind, löst sich eine Menschentraube nach der anderen auf. Es ist der 2. März 2022. Ich nehme mir vor irgendwann mal zu recherchieren, ob es im Internet Einträge zu diesem (Santa Fe) Vorfall gibt.

Wir trinken unsere Drinks aus, holen uns bei Häagen Dazs einen Eiskaffee für mich und einen Eisbecher für Jutta und setzen uns in den Park. Ein paar Musiker mit etwas Equipment sitzen dort auf einer Bank und wir hoffen, dass sie bald loslegen werden. Sie sehen aus wie Rock’n’Roller. Während wir warten, spekulieren wir über das, was wir gerade gesehen haben, kommen aber zu keinem schlüssigen Ergebnis. Aber bei einem Punkt sind wir uns einig. Es waren Ufos, unbekannte Flugobjekte.

Rock ’n‘ Roll Band?

Die Band macht keine Anstalten ihr Equipment aufzubauen, stattdessen quatschen sie lieber vorübergehende Passanten an. Der Basser zupft gelegentlich an seinem Instrument, mehr passiert aber nicht. Dann läuft ein Typ mit langen Haaren und Hippieklamotten barfuß und mit Räucherstäbchen an uns vorbei. Er bückt sich auch mal und hebt Unrat vom Boden auf, manchmal auch eine Zigarettenkippe. Es scheint als will er den Park reinigen, physisch und spirituell. Das finden wir sehr sympathisch.

Die Rock’n’Roller ziehen weiter ohne gespielt zu haben und auch wir machen uns auf den Weg in die Biker Bar. Obwohl es nicht weit ist, nehmen wir die Räder mit, schließen sie bei den Motorrädern an und gehen rein. Es ist nicht viel los. Ist ja auch noch relativ früh, noch nicht mal fünf Uhr. Wir bestellen uns Local Beer und reden über alles Mögliche, während ich beobachte, was sich drinnen und draußen so abspielt. Die Tür ist offen und der Doorman ist redselig und scheint alle zu kennen, die draußen vorbeilaufen an dieser Bar.

Biker Bar Santa Fe

Auf dem Heimweg kommen wir noch an der Matador Bar vorbei. Doch da wir morgen viel vor haben und nicht so spät aufstehen wollen, kehren wir nicht ein und lassen die Vernunft siegen. ICH lasse die Vernunft siegen. Das Teufelchen auf meiner Schulter sagt: „Komm schon, nur ein Bier noch. Hier gibt es das beste Beer von ganz New Mexico, so etwas Erfrischendes hast du nie zuvor getrunken!“

Jutta bekommt von alledem nichts mit, was sich da auf meiner Schulter abspielt. Das alles geschieht innerhalb von Sekunden, in einem Paralleluniversum.

Das Engelchen spricht zu mir: „Hast du denn immer noch nicht genug? Der Tag war doch schon perfekt, was willst du denn noch? Denk doch auch mal an Jutta. Sie will noch nach Hause, bevor es dunkel wird.“

Ich bin hin und hergerissen. Was soll ich nur machen? Irgendwie haben doch beide recht. Soll ich auf das köstlichste Bier von ganz New Mexico verzichten, nur weil Jutta „im Hellen“ nach Hause will? Was kann es schon schaden nur noch ein erfrischendes, kühles Bier zu trinken?

Andererseits habe ICH es ja angeboten, nach Hause zu fahren, nachdem wir in der Biker Bar was getrunken haben.

Das Teufelchen meldet sich zu Wort, bevor ich in meinen Gedanken zu einem Entschluss komme.

„Bestimmt haben sie in der Matador Bar einen Billardtisch und eine Music Box und Jutta wird viel Spaß haben und tanzen wollen.“

Aber das Engelchen kontert und gibt zu bedenken: „Wenn du jetzt da rein gehst, dann hast du dein Wort nicht gehalten und wie glaubhaft wirst du dann noch sein?“

Ich hadere mit mir und gehe das Für und Wider durch. Ich sage den Beiden auf meiner Schulter, sie sollen die Schnauze halten, aber das interessiert sie nicht im geringsten.

Das Teufelchen spricht: „Komm schon mein Freund, ein Bier hat noch niemandem geschadet und Jutta wird drüber weg kommen. Gib ihr einen Moscow Mule aus und alle deine Probleme lösen sich in Luft auf, so wie sich die Raumschiffe am Himmel heute Nachmittag in Luft aufgelöst haben.“

Yes or No?

Ja verdammt, Recht hat er. Es ist doch noch früh. Warum müssen wir immer „im Hellen“ zurück kommen? Ich bin drauf und dran Jutta mitzuteilen, dass sich meine Meinung geändert hat und will gerade sagen: „Ich will doch noch in die Matador Bar, scheiß auf morgen und überhaupt: Warum müssen wir eigentlich immer „im Hellen“ zurück nach Hause?“

Doch bevor mir diese Worte raus rutschen spricht das Engelchen auf meiner Schulter zu mir: „Bedenke, was du damit anrichtest, wenn du dein Wort nicht hältst. Du wirst für immer unglaubwürdig sein. Willst du das etwa riskieren? DU hast gesagt: „Nach dem Drink in der Biker Bar geht es nach Hause, noch bevor es dunkel wird!“

Das Geplänkel zwischen Engelchen und Teufelchen geht noch weiter, über alle 12 Runden. Doch das Engelchen gewinnt. Jutta bekommt von alledem nichts mit.

Nach dem Santa Fe Beer in der Biker Bar geht es im Hellen nach Hause. Schließlich wollen wir morgen früh, bevor wir nach Los Alamos fahren, noch ins MEOW WOLF.

Biker Bar Beer

Das MEOW WOLF ist schwer zu beschreiben. Wir haben auf dem Parkplatz, wo die übergroße Spinne, der Roboter und der Wolf zu sehen sind, sogar überlegt nicht hinein zu gehen. Der hohe Eintrittspreis ließ uns zögern. Doch Jutta hatte auf Google die vielen guten und interessanten Bewertungen gelesen. Und nach kurzem Überlegen haben wir entschlossen, es zu wagen.

MEOW WOLF

Wir haben uns entschieden eine fremde Welt zu betreten, eine Art Raumschiff, wie es hier üblich scheint im Staat New Mexico. Es fällt mir tatsächlich schwer zu beschreiben, was wir hier sehen. Ich versuche es in wenigen Sätzen zusammen zu fassen.

Es ist wie ein Drogenrausch, leider sind wir komplett nüchtern. Wir könnten einer Story folgen, doch wir tun es nicht, weil es eine Menge Zeit kostet. Es geht durch ein Labyrinth und wir versuchen einem Weg zu folgen ohne uns zu verlaufen. Mal gelingt es, mal nicht. Die Farben, die wir wahrnehmen sind grell, bunt und irre. Die Geräusche steuern wir selbst. Rätsel wollen und können gelöst werden. Ich sitze in meinem eigenen Gehirn. Danach gehe ich in den Kühlschrank, in den „Frozen A Plus“ und komme als ein anderer Mensch wieder heraus. Ich betrete einen Raum und setze mich auf eine Bank. Ich sehe durch ein rundes Fenster. Später sehe ich von der anderen Seite durch das gleiche Fenster. Ich war in einer Waschmaschine.

Washing Machine

Das MEOW WOLF ist eine verrückte Welt. Eine bunte Welt und eine virtuelle Welt, die irgendwie nicht von dieser Welt ist. Sie lässt uns abtauchen in andere Galaxien, in fremde Universen und unbekannte Dimensionen.

Crazy Bathroom

Ich muss unweigerlich an mein Theater denken. Ich muss an „Young Dogs“ denken, eine Tanztheaterproduktion von Samir Akika, unserem Hauschoreographen. Und ich muss an Anja denken, die das Bühnenbild dazu geschaffen hat und an unsere Tanzkompanie, die unermüdlich geprobt hat, um diese großartige Produktion auf die Bühne zu bringen. Ich denke an all die Arbeit, die wir mit dieser Produktion hatten, an all die Anstrengungen und Hürden, die wir meistern mussten, damit wir dieses choreographische und auch bühnenbildnerische Meisterwerk rausbringen konnten. Bevor uns die Corona Pandemie diktiert hat, dass wir es nur einmal nach der Premiere spielen dürfen.

inside my brain

Ich denke daran, weil MEOW WOLF mich an diese aufwändige Arbeit erinnert, an das Bühnenbild von Anja und an die gesamte Produktion. Ich denke auch daran, weil ich meinen Job so liebe und weil es immer dann am Besten ist, wenn ich ordentlich gefordert werde. Wenn es darum geht Prioritäten zu setzen, denn darin bin ich ziemlich gut.

was denke ich gerade???

Und jetzt denke ich, dass ich wieder etwas abschweife.

MEOW WOLF war das Eintrittsgeld mehr als wert und bevor wir nach Los Alamos fahren, lasse ich mich von Jutta unter Tarantula fotografieren.

Ich hasse Spinnen!

Dann heißt es: Bye, bye Meow Wolf!

Auf dem Weg ins Bradbury Science Museum in Los Alamos kommen wir durch grandiose Wildwest- Landschaften. Es wird auch mal etwas bergiger und in der Ferne sehen wir wieder schneebedeckte Gipfel. Los Alamos gilt als der Ort, an dem die Atombombe entwickelt wurde. Das „Manhattan Projekt“. Im Bradbury Science Museum dreht sich alles um die Entstehung der Bombe und um den zweiten Weltkrieg. Dazu schauen wir uns einen kurzen Einführungsfilm an und werden Zeuge, wie es damals war, diese monströse Waffe zu entwickeln.

…on the road…

Innerhalb des Museums gibt es dann sehr viel zu lesen. Das ist für uns anstrengend, da alles auf Englisch ist und gespickt mit wissenschaftlichen Fachausdrücken. Wir halten den Besuch relativ kurz, denn wir wollen heute noch weit fahren. Ansonsten könnte man hier durchaus 3-4 Stunden zubringen. Wir belassen es bei etwa 90 Minuten. Dennoch bekommen wir einen guten Eindruck, wie es damals ablief und was es für Schwierigkeiten und Probleme bei der Entwicklung der Bombe gab. Es wird dokumentiert welche und wie viele Menschen an der Entstehung der Atombombe beteiligt waren. Natürlich bekommen wir auch eine originalgetreue Nachbildung der „Little Boy“ und „Fat Man“ Massenvernichtungswaffe zu sehen, die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden.

Little Boy

Nach informativen und lehrreichen anderthalb Stunden verlassen wir das Bradbury Science Museum.

Fat Boy

Wir sind unterwegs zu den „Four Corners“, dort treffen sich vier Bundesstaaten an einem Punkt. Das heißt, man kann von einem Bein auf das andere hüpfen, von Arizona nach Colorado und dann von Utah nach New Mexico. Das wird zwar relativ unspektakulär, doch trotzdem will ich es mir nicht entgehen lassen, wo es doch fast auf dem Weg liegt.

Übernachtungsstellplatz in Farmington

Allerdings schaffen wir es heute nicht mehr bis ganz dort hin. Farmington ist das anvisierte Ziel für die Übernachtung. Immer wieder sehen wir links und rechts am Wegesrand Native Communities. Doch leider sind sie alle für Besucher gesperrt. Es gibt oft Tage an denen wir das Virus und die Pandemie vergessen, aber dann werden wir auch schnell wieder in die Realität zurückgeholt.

Teilweise befahren wir schon die historische Route 66, ohne es zu merken. Sie soll in meinem nächsten Chapter unter Anderem zum Thema werden. Jetzt freue ich mich über dieses bunte Graffiti am Straßenrand, ohne das ich nicht gewusst hätte, dass wir bereits mit LEMMY über die MOTHER ROAD rollen.

The Mother Road

In Farmington stellen wir uns wieder auf den Parkplatz eines großen Einkaufscenters. Es ist bereits dunkel als wir ankommen. Hier findet man immer eine gute Parkmöglichkeit für die Nacht und auch hier stehen wieder einige Autos, in denen Leute leben. Wir haben uns schon an dieses sich wiederholende Bild gewöhnt.

Als wir morgens aufbrechen ist es relativ windig. Ständig rollen mir diese Steppenläufer vor die Haube, über die Straße. Doch ich freue mich jedes Mal wieder darüber. Besonders ein Film aus den 80er Jahren kommt mir in den Sinn: „Critters“. Der Streifen ist purer Trash. Ein Horrorfilm, der nicht besonders gruselig ist, aber eben echt trashig. Kleine rollende Fellmonster von einem anderen Stern befallen die Erde und sie haben große Mäuler. Mehr muss man nicht wissen.

Lemmy in New Mexico

Und woran mich diese ganze Kulisse in New Mexico noch erinnert, das ist eine der besten Serien überhaupt: „Breaking Bad“. Ich ertappe mich dabei, wie ich nach dem alten Winnebago Camper von Walter White und Jesse Pinkman Ausschau halte. Sie haben sich eine Drogenküche in dem Camper eingerichtet, um Meth zu kochen.

Wenn mir jemand mit einem schwarzen Hut entgegenkommt, dann denke ich an Mr. Heisenberg. Freunde der Serie werden verstehen, wovon ich rede.

Next Stop Utah

Angekommen an den Four Corners machen wir kurz unsere Fotos und hüpfen von einen Bundesstaat in den Nächsten. Das wird schnell langweilig und wir wollen weiter. Jutta kauft sich an einem kleinen Stand der Natives einen Traumfänger und es zieht immer mehr Wind auf. Vielleicht ist das auch der Grund, warum hier heute so wenig los ist. Gerade als wir wieder ins Auto steigen, bricht ein höllischer Sandsturm los. Er bricht über uns herein, von 0 auf 100.

The Four Corners

„Mach bloß schnell die Tür zu!“, rufe ich zu Jutta rüber, während ich versuche meine Tür zu schließen. Das ist gar nicht so einfach, denn der Sturm fegt mächtig durch die offene Beifahrertür zu mir rüber.

Ich muss mit aller Gewalt und großer Kraftanstrengung am Griff zerren, damit sie endlich ins Schloss fällt.

Sandsturm

Aber es ist schon zu spät. Das ganze Armaturenbrett, die Konsole mit dem Schaltknüppel und der komplette Innenraum ist voll rotem Sand.

Mit knirschenden Zähnen und staubig rot machen wir uns auf in den Arches National Park.

…und was als Nächstes geschieht…

CHAPTER VI – VON ARCHES UND CANYONS, VON HIGH DESERTS UND DER HISTORIC ROUTE 66

.und wie man es anstellt, in der kalifornischen Wüste liegenzubleiben, obwohl man einen großen 140 Liter Dieseltank und 2 x 20 Liter Reservekanister hat…

Chapter 18 – NOLA, ein Hauch von Voodoo und wie der Lincoln Clay in mir erwacht…

Wir fahren seit Stunden. Heute ist ein Road Day, wie ich es gerne nenne. Gehalten wird nur wenn es nötig ist. Das wäre zum Tanken, für die Toilette, wenn jemand in Not ist oder wir selber in Schwierigkeiten sind und zum Essen.

Unser Ziel ist New Orleans/Louisiana. Das wollen wir morgen gegen Abend erreichen. Heute wollen wir bis Tallahassee fahren. Anschauen werden wir uns dort nur den Overnight Stellplatz, sonst nichts. Es wird ein kleines Abendbrot geben und wir werden früh zu Bett gehen, damit wir für den zweiten Road Day ausgeruht sind.

New Orleans, vor dem French Quarter

Natürlich überlegen wir zwischendurch immer mal, wie es in naher Zukunft weiter gehen soll, denn wir haben verschiedene Optionen. Das wir einige Tage in NOLA bleiben werden ist völlig klar, darüber gibt es keine Diskussion, da sind wir uns einig.

Aber was danach kommt, darüber müssen wir reden. Man kann nicht nur in Bars über Routen diskutieren, wenn man ein eiskaltes Getränk vor sich hat, sondern auch auf langen Autofahrten. Zeit haben wir genug und auch an Getränken mangelt es nicht, alkoholfrei versteht sich. Es gibt wahlweise heißen Tee oder Kaffee, Wasser ist immer reichlich an Bord und auch verschiedene Softdrinks oder Eiskaffee.

Wir müssen eine Entscheidung treffen, ob es nach New Orleans nach Norden weiter gehen soll oder aber nach Westen. Ich bin selber unschlüssig, was ich eigentlich will, aber Jutta ergreift eine eindeutige Position. Damit ist klar, dass ich die andere Position einnehmen muss, um alle Aspekte abzuwägen.

Jutta plädiert für den Norden, für Memphis/Tennessee. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir gerne Elvis Presleys Graceland besuchen wollen und mich auch die Stadt Memphis sehr reizt. Jutta hat sogar schon einen tollen Übernachtungsplatz am Mississippi rausgesucht, weil wir auf diesem Trip ebenfalls eine Zwischenübernachtung werden machen müssen.

Außerdem argumentiert sie: „Wir werden es sicher bereuen, wenn wir die Gelegenheit nicht nutzen. Denk nur an Las Vegas. Als wir 2006 dort waren und uns wegen DIR NICHT die Elvis Show angesehen haben. Das hast du bis heute bereut!“

Damit hat Jutta vollkommen recht und der erste Punkt geht an sie.

Ich stimme ihr zu und werde immer unsicherer, aber ich will es wenigstens versuchen. Also sage ich: „Wir wollen ja eigentlich rüber in den Westen und der Weg ist noch irrsinnig weit.“

„Ja, dass ist auch so, aber wir haben gesagt es gibt keine Umwege. Egal welche Richtung wir einschlagen, es wird nicht als Umweg deklariert.“ ,hält sie dagegen.

„Mist!“, denke ich mir nur. Zwei zu Null für Jutta. Mich zieht es irgendwie nach Kalifornien, ich spüre es tatsächlich jetzt schon. Das ist allerdings kein schlagkräftiges Argument, darum packe ich jetzt meinen größten Trumpf aus.

„Überlege dir aber, dass wir dann relativ weit in den Norden hoch müssen und wieder zurück in den Winter fahren. Das sollte dir klar sein! Und wenn wir in Memphis sind, dann will ich auch was von der Stadt sehen und einen Abend dort verbringen.“

Dann schiebe ich noch hinterher (weil ich es selber auch immer noch nicht weiß, was ich eigentlich will): „Wir müssen jetzt ja auch noch keine Entscheidung treffen. Wir haben noch ein paar Tage Zeit, um darüber nachzudenken.“

So verbleiben wir dann auch erstmal. Jutta liegt Zwei zu Eins vorne, würde ich sagen. Aber wir werden sehen wie es ausgehen wird. Einen Verlierer wird es nicht geben. Wir gewinnen gemeinsam, egal welche Richtung wir einschlagen werden.

Dann kommen wir in Tallahassee an. Das übliche Bild wird uns geboten. Einige Reisende sind auf der Suche nach einem Umsonststellplatz für eine Zwischenübernachtung, so wie wir. Und andere Leute reisen nicht, sie leben hier. Der Parkplatz ist riesig und erstreckt sich über mehrere Ebenen.

Tankstelle in NOLA

Wir suchen die Nähe von Cracker Barrel, dort ist man willkommen für eine Nacht. Vereinzelt sehen wir wieder die zugehängten Autos und uralte Camper, die niemand mehr bewegen wird. Etwas weiter unten, eine Rampe tiefer, steht ein alter verrosteter Reisebus. Er steht quer über 7 oder 8 PKW-Parkplätze und ich wundere mich, dass er dort geduldet wird. Innen brennt Licht und ich denke: „Der wird wohl auch keinen Meter mehr fahren. Der Zahn der Zeit hat zu sehr an ihm genagt.“ „Bleib ruhig hier stehen Gevatter Reisebus, hier soll es dir nicht schlecht ergehen bis du auseinander fällst.“, wird sich wohl jemand gedacht haben.

Bei uns läuft das Routineprogramm ab. LEMMY bei Bedarf waagerecht ausrichten mit Hilfe der Druckluftfederung, Propan aufdrehen, die Fenster zuziehen und etwas zu Essen machen. Dann gucken wir noch einen Film auf dem Tablet und ab ins Bett.

Next Road Day. Nach der Morgenroutine in umgekehrter Reihenfolge und einem kleinen Frühstück geht es wieder auf die Straße.

Wir fahren einen breiten Highway und ich befinde mich auf der Überholspur. Schließlich wollen wir heute Abend in NOLA ein kaltes Bier trinken. Dann sehe ich was der Grund für mein Überholmanöver ist und kann es kaum glauben. Gevatter umgebauter Reisebus holpert über den Highway. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er heute morgen nicht mehr auf dem Overnightplatz stand und schon vor uns gen Westen aufgebrochen ist.

Vor einigen Tagen habe ich auf Facebook gesehen, dass Angela in New York ist und dort als Fotografin ein Shooting auf der Brooklyn Bridge hat. Wir kennen Angela und ihren Mann Gerd seit ca. zwei Jahren von einem „Oman Camper“ Treffen. Dort waren nur Teilnehmer dabei, die dasselbe Auto fahren wie wir. „Oman Camper“ ist wohl der geläufige Name für dieses Offroad Fahrzeug und prangt bei Fahrzeugübernahme auch in großen Buchstaben an allen Seiten. Ich habe diese Buchstaben entfernt und durch eigene Aufkleber ersetzt. Was ich aber eigentlich sagen will, dass sie unsere Reise interessiert verfolgt und wir zwischendurch Kontakt haben. Als ich sehe, dass sie in New York ist, schreibe ich sie an und frage wie lange sie in den Staaten bleiben wird.

Nur für einen kurzen Städtetrip, schreibt sie zurück. Aber sie schreibt noch mehr und das ist der Punkt: „Willst du nicht mal einen kleinen Beitrag schreiben über das Langzeitreisen?“

Das will ich sehr gerne versuchen.

An langen Fahrtagen kann man hervorragend nachdenken, wenn nicht gerade eine angeregte Unterhaltung stattfindet oder ein Hörbuch vom Stick läuft. Denn auch Geschichten sind ideal für lange Strecken. Ich liebe es, Stephen King Romane zu hören, gelesen von David Nathan. Wobei gelesen etwas untertrieben ist. Er erfüllt die Geschichten und Figuren durch sein eindringliches Vorlesen so mit Leben, dass die Charaktere real werden. Aktuell lauschen wir gebannt, wie er uns „Misery“ präsentiert.

Aber heute nicht, da wird darüber nachgedacht was Langzeitreisen bedeutet, was es mit mir macht, was es mit Jutta macht. Mir wird klar, das diese Aufgabe gar nicht so leicht umzusetzen ist.

Was sind überhaupt Langzeitreisen? Das ist wie so vieles andere auch, eine Sache der Definition.

NOLA by daylight

Mag sein, das ein japanischer Manager in einer großen Firma nur zwei Wochen Urlaub im Jahr bekommt. Mag sein, dass dieser Manager viele Länder in Europa bereist in seinem Urlaub. Mag sein, dass er denkt, dass Leute mit sechs Wochen Urlaub pro Jahr ganz schön lange Reisen können. Aber sind sechs Wochen lange Reisen Langzeitreisen? Ab wann wird eine Reise zu einer Langzeitreise?

Jutta und ich sind für 13 Monate von unserer Arbeit freigestellt und können diese gesamte Zeit reisen. Das definiere ich als Langzeitreise.

Und da wir schon seit einer ganzen Weile unterwegs sind, nämlich seit dem 31. Juli 2021, bin ich der Ansicht etwas zu diesem Thema sagen zu können.

Langzeitreisen beginnen zunächst mit einer Idee, mit einer Absicht, mit einem Wunsch, einem Traum, vielleicht sogar mit einem Lebenstraum.

Nach dem Traum kommt dann die Planung, um den Traum in die Tat umzusetzen.

Wohin soll es gehen? Mit welchem Fahrzeug und in welchem Tempo reisen wir? Wie lange soll die Reise dauern? Es gibt 1000 Fragen.

Das geht alleine, das geht mit einem Partner oder einer Partnerin. Vielleicht geht es sogar mit einer Gruppe von Freunden.

Nach der Planung kommt der vermutlich schwierigste Teil, die Umsetzung.

Man muss die bürokratischen Dinge regeln. Mit dem Arbeitgeber muss man klären, wie alles ablaufen soll. Kündigt man seinen Job, nimmt man unbezahlten Urlaub oder macht man ein Sabattjahr, so wie wir? Visa Angelegenheiten müssen geklärt werden. Was passiert mit Haus und Hof während der Abwesenheit? Wird ein Carne de Passage auf der Route benötigt? Bekomme ich dafür eine Bankbürgschaft oder hinterlege ich den erforderlichen Betrag in bar? Reist man nicht alleine, dann muss man sich über die Route verständigen und die unterschiedlichen Bedürfnisse während der Reise.

Und dann kommen noch unzählige Kleinigkeiten und Unvorhergesehenes dazu. Zum Beispiel eine Pandemie, geschlossene Grenzen, verspätete Containerschiffe, ausgefallene Flüge und und und.

Aber ist es nicht ganz genau das, warum wir so etwas machen? ABENTEUER?

Ist erstmal die Idee geboren, die Planung abgeschlossen und die Umsetzung läuft auf Hochtouren, dann kommt die Vorfreude, die Aufregung und wir können es kaum erwarten in das Abenteuer zu starten.

Am Anfang fühlt es sich wie ein normaler Urlaub an. Das ist fantastisch. Das kennen wir ja schon. Aber wir wissen, dass wir nicht umkehren müssen nach 5 Wochen, wir können weiter fahren. Erstmal ist das ein gutes Gefühl, aber noch ist es Theorie und nur eine Gewissheit die wir haben. Wie es sich anfühlt, erleben wir erst später. Für Jutta fühlt es sich anders an als für mich. Und so wird jeder wohl seine eigene Erfahrung machen müssen. Jutta hatte relativ früh ihren ersten Tiefpunkt und alles in Frage gestellt. Das war bereits in Griechenland auf Naxos der Fall. Es war an meinem Geburtstag. Wir waren erst seit wenigen Wochen unterwegs. Allerdings sind am Tag zuvor Sonja und Lars abgereist, mit denen wir eine fantastische gemeinsame Zeit dort hatten. Das Wetter war an diesem Tag nicht besonders. Der Stellplatz wirkte plötzlich so trostlos, Sonja und Lars waren nicht mehr da. Zweifel keimten in ihr auf: Reicht es mir „nur“ von einem Ort zum Anderen zu reisen? Füllt mich der Camperalltag mit allem was dazugehört aus? Können gelegentliche Gespräche mit Reisebekanntschaften Freunde und Familie ersetzen?

Aus meiner Sicht kam es nur dazu, weil eine Reihe verschiedener, nicht so glücklicher Umstände eintrafen. Sonja und Lars weg. Wetter mies. Stellplatz trostlos, im Wind und ohne andere Urlauber. Geburtstag unter erschwerten Bedingungen und noch dies und das…

Am nächsten Tag war die Welt dann aber auch schon wieder in Ordnung. Wir sind weiter gefahren und haben uns ausgiebig Programm vorgenommen und in die Tat umgesetzt. So einen Tiefpunkt gab es dann bis jetzt auch nicht wieder.

Selbstverständlich ist nicht jeder Tag rosig. Mal wird auch gestritten oder es geht durch deprimierende Landschaften. In der Türkei haben wir bemerkenswerte und grandiose Natur und Kultur erlebt. Wir hatten höchst erfreuliche und äußerst ärgerliche Begegnungen. Wir sind durch vermüllte und hässliche Orte gefahren. All das macht etwas mit einem.

Wer sagt denn, dass man nur weil man reist, immer gut drauf sein muss? Zuhause hat man doch auch mal einen schlechten Tag. Wir müssen nicht immer perfekt gelaunt sein und sind deshalb trotzdem nicht undankbar. Wir wissen sehr genau, dass nur wenige Menschen so eine lange Reise machen können und empfinden das als großes Glück.

Ich glaube, ich habe mich in der Türkei arrangiert mit dem „Langzeitreisen“. Mehr als das. Ich bin angekommen. Ich kann jetzt den Platz, wo wir mit LEMMY stehen als ZUHAUSE betrachten. Aber ich war immer schon derjenige von uns beiden, der an Fernweh litt und der nie zurück wollte von einer Reise.

Aber auch Jutta ist mittlerweile angekommen und zufrieden. Sie hat mir unabhängig von diesem Thema schon in Halifax gesagt, dass es so, wie wir es machen, genau richtig ist. Darüber habe ich mich riesig gefreut. Ursprünglich wäre sie in diesen 13 Monaten am liebsten nur in Etappen gereist. Immer mal aufgebrochen, um dann zwischendurch ins Waterhole zurückzukehren.

Manchmal ist es tatsächlich schwierig mit den ganzen Highlights klarzukommen. Klingt komisch, ist aber so. Es ist gar nicht so einfach die vielen wahnsinnigen Eindrücke, die wir in kurzer Zeit erleben, zu verarbeiten. Wir reisen relativ schnell und sehen sehr viel. Da muss die Denkfabrik erstmal hinterher kommen. Und dann kommt dazu, dass man dazu neigt, mehr zu wollen. Höher, größer, schneller, weiter! Dabei ist das völliger Blödsinn. Es muss nicht jeder Tag den Vorherigen in den Schatten stellen. Oft passiert das, das ist super. Ein Highlight jagt das Nächste. Aber das ist nicht die Regel und das muss sie auch nicht sein.

Jutta sagt mir, dass sie sich manchmal dabei ertappt sich undankbar zu fühlen, wenn mal ein Tag dazwischen ist, an dem sie nicht so gut drauf ist.

Wo ist Lincoln Clay???

Ich denke, dass es ganz normal ist, wenn wir auf so einer Reise etwas abstumpfen. Es ist nicht möglich und auch gar nicht nötig 365 Tage kontinuierlich eine Steigerung zu erzielen.

Die Reise wird zum Alltag. Wir machen es uns gelegentlich bewusst, ich habe es auch schon erwähnt. Manchmal zwicken wir uns und machen uns klar, dass wir jetzt und hier das Alles erleben dürfen, ist ganz und gar nicht selbstverständlich. Wenn wir durch zauberhafte Berge fahren, dann müssen sie morgen nicht noch zauberhafter sein und auch nicht noch höher.

Wenn mein Lieblingsgericht Pizza Salami ist, dann will ich es doch trotzdem nicht jeden Tag essen.

Und wenn ich ein scharfes Thaicurry mag, dann muss es auch nicht jeden Tag noch etwas schärfer sein.

Was will ich damit sagen? Ich will nicht jeden Tag meinen Lieblingssong im Radio hören.

Ich will Vielfalt, ich will Abwechslung und ich will Abenteuer.

All das bekomme ich auf (m)einer Langzeitreise.

Allerdings gibt es da immer wieder Differenzen zwischen Jutta und mir, was aber auch völlig normal und nicht ungewöhnlich ist. Besonders, wenn die Aufgabenerfüllung gegenseitig nicht so gewürdigt wird, wie erhofft.

Jutta fährt LEMMY nicht gerne selber, das übernehme ich. Zu den gefahrenen Kilometern, dem Verbrauch usw. wird es am Ende der THE WÖRLD IS YOURS TOUR Zahlen, Daten und Fakten geben.

New Orleans by night

Sie ist für die Routenplanung und Stellplatzsuche zuständig und für das Wohlbefinden innen. Ich bin für alles außen zuständig. Das sind nicht nur die Staufächer, sondern auch das Tarp aufspannen und wieder abbauen, Feuer machen und gegebenenfalls Holz sammeln und zersägen und hacken. Natürlich helfen wir uns auch gegenseitig. Es gibt noch viel mehr Aufgaben, die wir verteilt haben und mal ist der Eine, mal der Andere etwas unzufrieden. Aber auch das ist völlig in Ordnung und darf so sein.

Jutta weist mich auf einen wichtigen Grund hin in die Fremde aufzubrechen, egal ob Langzeitreise oder normaler Urlaub, meinetwegen auch nur der Städtetrip. Das sind die BEGEGNUNGNEN. Zurückblickend kann ich sagen, dass wir so fantastische Begegnungen hatten, dass daraus Freundschaften wurden. Es ist immer wieder schön, unterwegs Gleichgesinnte zu treffen.

Dafür gibt es überall auf der Welt Hotspots. Wir treffen so viele unterschiedliche (Langzeit-) Reisende, dass wir mit dem Einen und Anderen einige Tage gemeinsam reisen. Andere treffen wir unterwegs immer mal wieder. Man tauscht sich aus, profitiert von Erfahrungen und teilt sich selber mit. In brenzligen Situationen hilft man sich gegenseitig.

Da kommen dann auch die Menschen ins Spiel, die dort leben wo wir reisen. Wir erfahren so herzliche Gastfreundschaft und haben unglaublich schöne Begegnungen. Die prägendsten und schönsten Begegnungen hat man oft dort, wo man am wenigsten damit rechnet. Natürlich gibt es hin und wieder auch unangenehme bis hin zu gefährlichen Begegnungen. Die sind dann hervorragend geeignet als Lagerfeuergeschichten. Allein über die Begegnungen, die wir auf dieser Reise bereits hatten, könnte ich einen Roman schreiben.

Eine andere Erkenntnis beim Langzeitreisen ist die, dass wir mit erstaunlich „wenig“ glücklich sind. Es braucht nicht viel auf so einer Reise. Alles was benötigt wird ist im Auto.

Abends ein Lagerfeuer, den Sternenhimmel darüber, ein kaltes Bier und das Glück ist perfekt. Dazu fällt mir ein Song ein von der Berliner Band Großstadtgeflüster. Da singt Jen Bender: „Ich muss gar nichts außer schlafen, trinken, atmen und ficken und gelegentlich um vier Uhr früh `n Bürger verdrücken…“

NOLA BOURBONSTREET

Das sagt doch alles, die menschlichen Bedürfnisse sind damit abgedeckt.

Um langsam zum Schluss zu kommen was das Langzeitreisen angeht. Ich könnte immer so weiter machen, Jutta erfüllt es nicht in dem Maße wie mich.

Ich fürchte, ich kann hier keine befriedigenden Antworten liefern und wahrscheinlich ist jetzt niemand schlauer als zuvor. Aber wenn ich eventuell jemandem Lust gemacht habe oder bei DIR den Abenteuergeist geweckt habe, dann bin ich schon sehr zufrieden.

Wir überqueren den Mississippi und die Lichter der Großstadt tauchen langsam auf. Es dämmert bereits, als wir uns den Weg bahnen ins French Quarter. Es gibt zwei Optionen hier zu stehen. Die erste ist ein gewöhnlicher Parkplatz, der allerdings 50 $ kostet, pro Nacht natürlich. Es stehen bereits einige Camper hier. Die andere Option ist ein RV Stellplatz, der direkt hinter dem Parkplatz liegt, hinter einem hohen Zaun und der das Doppelte kostet. Dafür gibt es einen Swimmingpool, heiße Duschen und freies WLAN. Der wichtigste Punkt aber ist die Sicherheit des Autos.

Für heute Nacht bleiben wir auf dem Parkplatz, wir sind ja auch schon dort. Morgen fahren wir auf den RV Stellplatz.

Wir sind den ganzen Tag gefahren, haben nur zum Lunch gehalten, wieder bei Cracker Barrel. Dort gibt es so einen leckeren Hackbraten mit Kartoffelpüree, Gravy und grünen Bohnen und dazu Homemade Lemonade. Leider dauert es bis zu einer Stunde, bis man sein Essen serviert bekommt. Nach dem Essen habe ich noch getankt und dann wieder Gevatter Uraltreisebus überholt.

Jetzt sind wir ziemlich müde, aber auch aufgedreht. Ich könnte eh noch nicht schlafen. Nicht zwei Minuten vom French Quarter entfernt, ohne es noch in Augenschein genommen zu haben. Also machen wir uns auf den Weg, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Wir finden das LEMMY hier gut steht, unter einem fast lilafarbenem Himmel, vor einigen Hochhäusern.

New Orleans/Louisiana

Wir spazieren nur über eine Straße und schon sind wir im French Quarter. Es ist etwas spookie hier, dunkel und verlassen, abseits der Hauptrouten…..

Ich habe sofort ein vertrautes Gefühl, als ob ich schon hier war, als ob ich mich hier auskenne. Und ich kenne mich hier aus, ich war schon mal hier.

Ich habe lange Zeit hier verbracht, viele endlose Nächte. Bin hier überall rum gefahren, mit den geilsten Karren, die man sich vorstellen kann. Ich habe hier viel zu Bruch gehen lassen, habe mir Respekt verschafft, habe mir einen Namen gemacht. Lincoln Clay. Diese Stadt ist meine Stadt. Diese Stadt ist nichts ohne mich. Ich bin wieder hier.

….das wird sich schnell ändern. Wir hören etwas lauter klingende Livemusik je näher wir kommen. Es klingt nach einer Dixieland Combo. Wir befinden uns in der Geburtsstadt des Jazz. Auch die Menschenmenge wird stetig größer, das Licht greller und die Leute auf der Straße werden immer schriller. Für Autos wird der Kernbereich des French Quarter abends abgesperrt. Zufällig steuern wir geradewegs auf die Bourbon Street zu und an dieser Kreuzung ist ein Knotenpunkt mit etlichen Bars. Die Polizeipräsenz ist groß. Sie patrouillieren hier auf Pferden. Alkoholkonsum auf der Straße scheint toleriert zu werden. Ich sehe viele Feiernden mit großen Bierdosen in der Hand.

Bourbonstreet

Mein „Gute Laune Pegel“ rast auf einer Skala von 0 – 100 steil nach oben. So wie Kowalski mit seinem weißen 1970er Dodge Challenger R/T von Denver nach San Francisco gerast ist. Kowalski hatte nur 15 Stunden Zeit im Film „Vanishing Point“, um San Francisco zu erreichen. Ich habe mindestens 72 Stunden Zeit für New Orleans. Das fühlt sich gut an.

Heute wollen wir allerdings nur noch in die Dungeon Bar, eine Metalhead Kneipe, um auf NOLA anzustoßen. Cheers!

Dungeon Bar, cheers

Wir gehen durch eine sehr schmale Häuserzeile, so schmal, das wir hintereinander gehen müssen. Vor der Dungeon Bar ist ein winziger Innenhof für die Raucher.

Dungeon Bar „Exit“

Die Bar ist klein, schummrig und voll. Am Tresen ist gerade noch Platz für uns. Wir bestellen zwei Local Beer, was sonst? Das erste Louisiana Beer. Ab jetzt werden wir hier 72 Stunden Zeit verbringen. 72 Stunden in NOLA. Jutta, ich….. und Lincoln Clay.

Die sichtbaren Spuren, die der Hurricane Katrina hinterlassen hat, sind offenbar beseitigt. Er wütete vom 23. bis zum 31. August 2005 in New Orleans und zerstörte weite Teile der Innenstadt. Was er mit den hier lebenden Menschen angerichtet hat, können wir nur erahnen.

Jetzt ist nichts mehr davon zu sehen und die Leute feiern wieder, als gäbe es kein Morgen. Das wollen wir auch, feiern. Aber erst später, vorher wollen wir uns im French Quarter umsehen, wollen alle Eindrücke dieser wunderbaren Südstaaten Schönheit aufsaugen, wollen den Duft des Mississippi tief in unsere Lungen ziehen und das ganze Stimmengewirr und den Jazz aus allen Richtungen in uns aufnehmen.

Die für New Orleans typischen Häuser sind hier im Quarter überall und sie sind eine wahre Augenweide. Diese Balkone mit den verzierten, verspielten gusseisernen Geländern. Die bunten Fassaden, die ganzen Lichter, das alles fordert unsere Sinne. Ich erkenne eine Szene aus dem David Lynch Film „Wild At Heart“ wieder. Es ist einer meiner Lieblingsfilme, ein Roadmovie. Und es geht um Sailor und Lula, einem Paar, das auf der Flucht ist. Gespielt werden diese beiden von dem damals großartig spielenden Nicolas Cage und Laura Dern. Die Szene, die ich erkenne, trägt im Grunde nichts zu Handlung des Films bei. Sie ist nur schräg, eben David Lynch like. Da spazieren zwei schräge Vögel unter einem dieser Balkone entlang, einer gibt merkwürdige Geräusche von sich. Sie gehen eigentlich auch nicht, sie bewegen sich irgendwie auf eine eigenartige Weise vorwärts. Untermalt wird das Ganze von sphärischer Musik und die Kamera schwenkt auf einen wehenden Vorhang an einem dieser Balkone. Eine Szene eben wie es sie so nur in David Lynch Filmen zu sehen gibt. Und genau unter diesem Balkon laufen wir gerade entlang. Ich erkenne diesen Ort wieder, ich war schon mal hier, schon oft sogar….

French Quarter

…ich kontrolliere hier sogar einige Bars und andere Etablissements. Das alles habe ich mir hart erarbeitet, nachdem ich ’69 aus Vietnam zurück gekehrt bin. Geschunden, kaputt, demoralisiert. Als Schwarzer hat man es nicht leicht in Louisiana. Aber Vietnam liegt hinter mir. Jetzt ist jetzt. Alte Freunde haben mir geholfen und mir Unterkunft und Jobs ermöglicht. Ja, Jobs waren es. Keine normalen Jobs, aber welche, die ich erledigt habe. Unbequeme Jobs, die nicht jeder hätte machen können. Ob ich mir dabei die Finger schmutzig gemacht habe? Oh ja und das gründlich. Aber es hat sich ausgezahlt. Jetzt kennt man mich in der Stadt. Man fürchtet mich im Quarter und weit darüber hinaus. Ich habe noch immer Freunde hier. Leute, die loyal hinter mir stehen. Aber mein Einflussbereich wird größer und meine Partner wollen immer mehr abhaben vom Kuchen. Ich verteile die Stücke, das Eine ein wenig größer, das Andere etwas kleiner. Neid, Missgunst und auch Habgier spiegelt sich in den Augen meiner engsten Vertrauten. Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht. Ich erledige erstmal noch den nächsten Job. Dann sehen wir weiter. Was der nächste Job ist? Ich werde auf dem Mississippi Dampfer einen korrupten Stadtrat umlegen, der hohe Ambitionen hat. Er will für das Amt des Gouverneurs kandidieren. Soweit darf es nicht kommen. Wenn der Job erledigt ist wird man darüber sprechen. Und man wird wissen, wer dafür verantwortlich ist. LINCOLN CLAY.

Wir lassen uns einfach treiben und biegen links ab. Dann kommen wir an einen Platz vor einer alten Kirche. Eine farbige Mama in roten Badelatschen bietet ihre Dienste an. Sie hat einen kleinen Stand vor der Kirche aufgebaut bzw. ist gerade dabei ihren Stand aufzubauen und sie scheint eine echte Voodoo Priesterin zu sein. Wer wissen will, was die Zukunft für ihn bereit hält, der ist hier richtig. Sie liest unter anderem aus Knochen und Tarot Karten. Diese kleinen Voodoopuppen, die man so gut mit Nadeln malträtieren kann, während man an eine ganz bestimmte Person denkt, die gibt es hier auch. Ob sie tatsächlich in der Lage ist, einem LIEBE, GELD, SCHUTZ, SEGEN und ERFOLG zu ermöglichen, wie sie es verspricht, dass weiß ich nicht.

The Real Voodoo Mama

Hier an der Kirche mit einem kleinen Park davor, trifft sich auch die Drogenszene und viele Menschen ohne Obdach leben ebenfalls vor dem Gotteshaus. Eine kleine Menschenansammlung feiert den „Happy Tuesday“ und wir vermuten, dass es sich um eine „Pre Mardi Gras“ Veranstaltung handelt. Bunt kostümiert ziehen sie laut trötend weiter. Im Vorbeigehen werden wir von einer leicht bekleideten jungen Lady mit einem Sticker beklebt. Sie begleitet ihr Tun mit einem ansteckendem Lachen im Gesicht und den Worten: „Happy Tuesday!“

Wir haben mittlerweile Appetit bekommen und finden ein rustikales Restaurant mit lokaler Küche. Es ist längst Mittagszeit und zum Essen gönne ich mir mal ein großes Bier. Wir sind schließlich in NOLA und heute Abend wollen wir ausgehen.

Nach dem Lunch schlendern wir weiter und entdecken ein Museum. Es ist das DEATH MUSEUM und das wollen wir uns unbedingt anschauen, bevor wir die Stadt verlassen. Satt gegessen und voller neuer Eindrücke kehren wir zum Parkplatz zurück und ziehen um auf den sicheren RV Stellplatz mit Swimmingpool. Dann machen wir einen ausgedehnten Mittagsschlaf und hören „Die Drei Fragezeichen“, um schnell einschlafen zu können. Wir haben schließlich eine lange Nacht vor uns.

RV Stellplatz beim French Quarter

Heute Abend setze ich mir meinen Hut auf. Wir sind in New Orleans. Da können wir uns auch mal etwas in Schale werfen. In allerbester Stimmung machen wir uns fertig und während Jutta noch beschäftigt ist, überbrücke ich die Wartezeit mit einem kleinen Bier.

Bevor wir in die erste Bar des Abends gehen, heute wollen wir Livemusik, spazieren wir erst durch dunkle, abseitige und einsame Gassen, bis es dann nach einer Weile immer belebter wird je näher wir der Bourbonstreet kommen.

Abseits ist es etwas ruhiger…

Zuerst wollen wir runter zum Fluss. Den Mississippi wollen wir sehen und den alten Raddampfer, auf dem wir morgen Abend an einer Dinner Tour teilnehmen werden.

Der Fluss ist beeindruckend breit und der Schaufelrad-Dampfer liegt am Kai. Ein gespenstischer Nebel wabert über den Fluss und umhüllt den Kahn, als wolle er ihn langsam verschlingen.

Mississippi Dampfer

In weiter Ferne sehen wir die beleuchtete Brücke über die wir NOLA erreicht haben. Rechts davor die schöne Skyline der wenigen Hochhäuser. Wir checken schon mal die Lage, damit morgen alles reibungslos läuft und wir in etwa wissen, was uns erwartet. Eine Stunde bevor das Boot ablegt sollen wir vor Ort sein. So steht’s geschrieben….

..aufmerksam beobachte ich das Geschehen am Pier. Die in Abendgarderobe gekleideten Gäste zeigen alle ihre Karten vor und werden freundlich willkommen geheißen vom Bordpersonal. Dann geht es über eine lange Gangway rauf auf’s Boot. Die Damen müssen aufpassen, dass sie mit ihren hohen Absätzen nicht stecken bleiben. Bemüht, so elegant wie möglich diesen Weg hinter sich zu bringen, wird oben an Deck bereits wieder gescherzt und die Konversation mit dem Gatten wird fortgesetzt. Ich habe für morgen auch eine Karte, um an Deck zu kommen. Doch ist hier und heute nicht ein einziger Farbiger zu sehen, außer mir selbst. Ich jage den Gedanken zum Teufel und konzentriere mich auf die Gegenwart. Ich achte auf jedes Detail: Wo sind die Rettungsboote? Wo befinden sich die Außentreppen? Es gibt mehrere Decks, zu erreichen über Treppen, die innen und außen verlaufen. Kann ich die Washrooms von hier erkennen? In einem der Washrooms wird eine Pistole für mich deponiert sein, im Spülkasten. Aber erst morgen.

Wo könnte die Pistole sein?

Heeh, was lungerst du hier herum? Du hast hier nichts verloren. Verschwinde Boy!“ Ein Hafenarbeiter ist auf mich aufmerksam geworden und marschiert stramm auf mich zu. Ich denke nur: „Heute ist dein Glückstag du Hurensohn.“ und ziehe mich zurück. Ich will keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Heute nicht. Nein, heute noch nicht.

Als wir uns das ganze Treiben genug angeschaut haben, bekomme ich Durst. „Komm Jutta, lass uns weiter gehen, ich habe Bock auf Jazz und ein großes, kaltes Bier.“

Überall laufen feiernde Leute rum, alle sind gut gelaunt. Das steckt an. Manche torkeln bereits und Musik dröhnt aus jeder noch so kleinen Bar. Wir können uns nicht sattsehen an diesen einzigartigen Häusern hier, an den verschnörkelten Balkonen und den geschmückten Fassaden. Teilweise hängen bunte Banner an den Geländern. Blumen und Girlanden verschönern die Sitzecken auf den Galerien. Aber wie lebt es sich hier im French Quarter, in der Nähe der Bourbonstreet? Jede Nacht wird lauthals gefeiert. Ausgelassene Stimmung jeden Tag, ab spätem Nachmittag geht das Gelage los. Musik überlagert sich aus allen Richtungen. Man muss es schon lieben das Quarter, um hier glücklich zu sein oder sehr gut schallisolierte Fenster haben.

Bourbonstreet / French Quarter by night

Wir stürzen uns erwartungsfroh ins Getümmel. Wir haben Bock zu feiern. Es dauert nicht lange, da hören wir wieder eine Dixieland Band aufspielen. Kurz horchen wir am offenen Eingang und sind uns sofort einig. Mit dieser Kneipe fangen wir an. Alle Tische sind besetzt, aber am Tresen ist ein Lücke, die reicht für uns.

Diese prädestinierten Plätze am Tresen, an der Quelle sind eh meine bevorzugte Wahl. Die Übersicht ist besser und der Nachschub ist gesichert. Ich glaube ich erwähnte es bereits, ich hasse leere Biergläser. Das liegt an meiner Cenosilicaphobie. Das ist die Angst vor leeren Biergläsern. Das gilt allerdings auch für Flaschen und für Dosen im gleichen Maße. Solange das Glas noch halbvoll ist, ist die Welt in Ordnung, aber nähert sich der Pegel dem Boden, dann steigt langsam Unbehagen in mir auf. Sitzen wir nun irgendwo mitten drin an einem Tisch, dann suchen meine verzweifelten Blicke längst nach der Bedienung und der Stresspegel steigt. Das kann natürlich auch in einer gut besuchten Bar am Tresen passieren. Die Barkeeper könnten zu beschäftigt sein, um sich um mich zu kümmern oder irgendwo im Laden rumlaufen. Vielleicht müssen sie gerade eine Flasche Jack Danielsaus dem Schnapslager holen. Dann werde ich wieder unruhig. Aber am Tresen ist es allemal entspannter und die Wahrscheinlichkeit, dass die Bar längere Zeit unbeaufsichtigt ist, ist doch ziemlich gering. Wenn dann doch mal der seltene Fall eintritt und es ist keine Bedienung in meinem Sichtfeld, das Glas aber schon fast leer, dann kommt langsam Panik in mir hoch. Sie kriecht von tief unten aus dem Bauchraum langsam aber stetig nach oben. Schweißperlen auf der Stirn sind die ersten Anzeichen dafür. Hilflose Blicke in alle Richtungen.

„Wo ist die verdammte Bedienung!“, möchte ich schreien, tue es aber nicht. Ich verliere nie die Kontrolle. Da können Sie jeden fragen.

Bar mit Live Jazz, aber leider mit Plastikbierbechern

Wir haben einen tollen Platz und sehen die Band auf der Bühne mit viel Spielfreude jazzen. Einige Leute tanzen und auch wir amüsieren uns prächtig. Die Zeit vergeht rasend schnell. Wieso ist das immer so, wenn man was Tolles erlebt? Ein eigenartiges Phänomen. Draußen können wir sehen wer so vorbeischlendert und auch mal einen Blick hinein riskiert. Es ist mittlerweile rappel voll, auch an der Bar. Wir passen gut auf den Barhocker des Anderen auf, wenn mal Einer von uns in den Washroom muss. Wir rücken immer dichter zusammen, mal drängelt sich ein verzweifelter Bargast an mir vorbei, um sich was zu bestellen. Keiner kann mehr Verständnis dafür aufbringen, als ich selber.

Er sieht noch entspannt aus, keine Schweißperlen auf der Stirn. Aber wer weiß, Cenosilicaphobie ist eine seltene Krankheit und die Dunkelziffer könnte sehr hoch sein.

Die Band macht eine Pause und wir überlegen weiter zu ziehen. Die Drinks werden geleert und los geht es. Raus auf die Straße, die Bourbonstreet runter an die belebteste Ecke. Das ist diese kleine Kreuzung mit der hohen Polizeipräsenz und überall steppt der Bär. Wie ein großer Jahrmarkt. Coole Leute laufen hier rum, schrille Leute, aber auch merkwürdige und kaputte Leute sind nicht selten. New Orleans, French Quarter. Hier ist jeder willkommen.

…berittene Polizei zeigt Präsenz

„Komm wie du bist, aber komm.“ So heißt es doch auch schon in der Bibel.

Ich weiß schon wo ich hin will. Wieder höre ich Livemusik, doch diesmal keinen Jazz. Guns ‚N Roses dröhnt aus einer großen Bar mit vielen offenen Türen, die mir gestern schon aufgefallen ist. Da die Gunners sicher nicht selber in Town sind, wird es wohl eine Coverband sein. Aber egal, da gehen wir rein. Im Vergleich zur vorherigen Bar ist hier nicht sehr viel los. Der Laden ist doppelt so groß, aber nur ein Viertel so voll. Das stört uns aber keineswegs. Etwas Rock’n’roll kann nie schaden. Und es gibt auch kein Gedränge am Tresen. Erstmal zwei Bier, hier allerdings jetzt aus der Flasche. Einen Beercooler habe ich selbstverständlich in der Hosentasche dabei. Die Band hier ist weniger spielfreudig. Jetzt kommt Black Sabbath/Paranoid, das gefällt mir. Aber danach bitte nicht Smoke on the Water von Deep Purple. Ich habe keine Ahnung, ob diese Gruppe jeden Abend hier auftreten muss. Wenn dem so ist, dann kein Wunder, dass sie nicht ständig die ein hundertfünfzigprozentige Show abliefern. Es sind ja auch nicht viele Gäste da. Eine Handvoll Leute steht vor der Bühne, schon begeistert, aber nur eine ziemlich betrunkene Dame tanzt.

Deep Purple bleibt mir erspart, die Band macht Pause und der DJ legt jetzt auf. Ich kann mein Glück kaum fassen, er spielt Tennessee Whiskey von Chris Stapleton. Cheers!

Mit dem Song im Rücken und meinem Bier in der Hand stelle ich mich in den Türrahmen und schaue dem bunten Treiben auf der Straße zu. Ich liebe NOLA.

…mal kurz frische Luft schnappen…

Nachdem dieser grandiosen Song verklungen ist, gehe ich zurück an den Tresen. Ich sage zu Jutta, „Bin mal eben kurz aufs Klo, komme gleich zurück…….!“

….auf dem Weg zum Washroom höre ich eine Stimme rufen.

Hey du, was willst du hier, solche wie dich wollen wir hier nicht haben. Verschwinde aus meinem Laden!“

Ich weiß schon was jetzt kommt. Diese Situation erlebe ich nicht zum ersten Mal, bei Gott nicht.

Der Barkeeper wird mir folgen. Aber es ist ernst, ich bin schwer verwundet und brauche das Medipack und die Adrenalinspritze aus dem Washroom. Ich wurde angeschossen bei einem anderen Auftrag. Konnte mich gerade noch in diese Bar retten. Die Wunde ist nicht besonders schlimm, doch ich muss mich darum kümmern.

Die Bar habe ich schon beim Reinkommen abgescannt. Es sitzen fünf Leute am Tresen, drei Typen und zwei Ladies. Die sollten mir keine Schwierigkeiten machen. Der Barkeeper allerdings ist ein regelrechter Schrank, einen guten Kopf größer als ich.

Ich bin bereits im dunklen Flur vor dem Washroom und der erlösende Kick der Spritze ist zum Greifen nah. Da werde ich von hinten an der Schulter gepackt. „Ich habe gesagt, Leute wie deinesgleichen wollen wir hier nicht!“

Leute wie deinesgleichen.“, denke ich bei mir „was sind denn Leute wie meinesgleichen, du Arsch?“

Gleichzeitig überlege ich in Bruchteilen von Sekunden, wie ich den behäbigen Typen aus dem Weg räume. Schießen ist keine Option. Dann wimmelt es hier in wenigen Minuten im ganzen Viertel von Cops. Irgendeiner der Gäste rennt immer los zur nächsten Telefonzelle. Den müsste ich dann auch noch ausschalten. Ich könnte ihm den Kiefer zertrümmern, aber das ist für meine Faust dann auch sehr schmerzhaft. Etwas angenehmer für mich ist es, wenn ich ihm einen schnellen und harten Schlag auf die Leber oder die Niere gebe, aber dann kommt er wieder auf die Beine. Seinen Kehlkopf werde ich verschonen, denn ich will ihn nicht umbringen und so was geht leicht tödlich aus. Seine Nase könnte ich zu Brei schlagen, das setzt sie in der Regel auch außer Gefecht. Aber wegen seiner Größe kann ich nicht die volle Wirkung erzielen. Der Weg ist zu weit und ich verliere Zeit. Nur Millisekunden, aber trotzdem. Ich entscheide mich für den Unterkiefer.

Die Größe des Gegners spielt nur eine untergeordnete Rolle. Er darf auch kräftiger sein als ich selbst. Worauf es ankommt, das ist das Überraschungsmoment. Kurz für etwas Verwirrung sorgen reicht meist schon aus. Ich muss blitzschnell sein.

Langsam drehe ich mich zu ihm um, fixiere seine Augen. Ich bin im Vorteil, denn ich weiß was jetzt passiert. Er glotzt mich an und will gerade etwas sagen, doch bevor nur ein Laut über seine Lippen kommt, fliegt meine Faust direkt in seine hässliche Visage. Jeder meiner Muskeln ist bis zum zerreißen gespannt. Es schmerzt nur ein wenig, denn durch diese Aktion wird reichlich Adrenalin freigesetzt. Ich spüre wie sein Kinn eingedrückt wird, Knochen splittern. Er sackt zu Boden und ich ziehe ihn in den Washroom. Dann hole ich mir mein Medipack und injiziere mir die erlösende Spritze. Jetzt geht es mir besser. Bevor ich diese Rassisten-Bar verlasse, gehe ich hinter den Tresen, nehme mir das Geld aus der Kasse und verschwinde durch den Hintereingang. Die Leute am Tresen schauen nur irritiert zu. Wenn jetzt doch noch jemand los laufen sollte zu einem Telefon, um die Cops zu rufen, dann ist mir das egal. Ich kenne mich aus in den Hinterhöfen von NOLA. Da können sie Jeden fragen. Es wird heißen: „Lincoln Clay, ja ja, der kennt sich aus in den Hinterhöfen von New Orleans.“

Die Band hat ihre kurze Pause beendet und spielt bereits wieder, als ich aus dem Washroom zurückkehre zu Jutta an den Tresen. „Noch ein Bier?“, frage ich.

Rock ’n‘ Roll, Live

Eine Weile bleiben wir noch, dann bummeln wir durch die nächtlichen, erst belebten, dann immer einsamer werdenden Gassen zurück nach Hause. Als wir den Kernbereich des French Quarter, der in den Abend- und Nachtstunden ausschließlich den Ausgehwilligen vorbehalten ist, langsam verlassen, ist wieder Autoverkehr erlaubt. Zwei grelle Lichter blenden uns und kommen näher. Als sie mit uns auf einer Höhe sind, gibt es plötzlich ein lautes, knallendes Geräusch. Es klingt als prallen zwei harte, metallische Sachen aufeinander. Das Auto sackt vorne links kurz ab und dann sehe ich die Ursache für den Lärm. Der Gullydeckel ist eine Etage tiefer gedrückt worden, als der vielleicht eine Millionste Autoreifen drüber gerollt ist. Der Vorderreifen platzt und das Chassis setzt kurz auf, aber der Wagen bremst nicht. Der Vorderreifen erhebt sich aus dem Loch und schlägt dann weit nach rechts ein, denn der Fahrer hat geistesgegenwärtig richtig reagiert und ein Einbrechen des Hinterreifens verhindert. Es touchiert nur den Rand des entstandenen Kraters. Wir sind nicht die Einzigen, die diesen kleinen Vorfall bemerken. Ein hilfsbereiter Obdachloser eilt herbei mit einer großen Mülltüte in der Hand. Er stopft sie in das Loch und tritt sie auch noch etwas fest. Obwohl ich denke, es wäre besser, sie weiter nach oben raus ragen zu lassen. Dann wäre sie deutlicher zu sehen und vor dem Loch wäre besser gewarnt. Aber ich will ihn nicht belehren und sage nichts, stattdessen zeige ich ihm meine Hand mit einem nach oben gestreckten Daumen. Er sagt etwas zu uns, während der Fuß noch die Luft aus dem Müllsack stampft und amüsiert sich sichtlich dabei. Was er sagt verstehen wir nicht, vermutlich….

Reparaturarbeiten

….ist der korrupte Stadtrat daran Schuld, dass NOLA den Bach runter geht. Es wird Zeit, dass da mal jemand aufbegehrt und den feinen Herren zeigt, wo der Hammer hängt. Sogar die Straßen verkommen in diesem Viertel, niemand kann sich des Nachts mehr sicher fühlen. Gesindel treibt sich rum, Pöbel und Gesocks. Ganz zu schweigen von dem ganzen Dreck im Quarter, Müll wohin man schaut. Da sehen die anderen Viertel aber besser aus. Schöne weiße Häuser mit grünem Rasen davor. Zwei Autos in der Einfahrt vor der Doppelgarage. Eins für Mrs. Saubermann und eines für Mr. Saubermann. Hinter dem Haus steht eine Schaukel für die Blagen der Saubermanns, gleich neben dem BBQ Grill. Vor der Terrasse ist ein Pool, denn man will zeigen, was man hat. Man will zeigen, dass man ein hart arbeitender Familienvater ist, der sich seinen Champagner am Pool redlich verdient hat. Redlich, von wegen…….

.war es nicht so wichtig, was er gesagt hat. Auf dem Heimweg kommen wir an unserem ersten Stellplatz vorbei. Wir spekulieren wer morgen noch da stehen wird und wer wohl bereits abgereist sein wird, wenn wir hier wieder hier vorbeikommen.

Und dann sehen wir schon den hohen Zaun unseres RV Parks, der Sicherheit ausstrahlt, der aber auch eine Distanz schafft. Hier wird eine klare Grenze gezogen. Eine Grenze, die ich überhaupt nicht haben will. Das wird mir jetzt gerade klar.

Rein kommt man nur mit dem Key, einem Zahlencode, der an dem Schiebetor auf einer kleinen Tastatur eingetippt wird. Stimmt der Key, dann rollt dieses Tor beiseite und ebnet uns den Weg auf die sichere Seite der Stadt. Auf die gute Seite mit dem Pool, den ich nie nutzen werde.

Ungenutzter Pool

„Scheiß auf den Pool.“, denke ich mir. Eigentlich würde ich doch lieber bei den Anderen stehen, die nur die Hälfte zahlen. Sie müssen auch nicht für einen Pool bezahlen, den sie nicht benutzen.

Wir sperren hier niemanden aus, nein, wir sperren uns selber ein. Es ist eine Sache der Denkweise.

Hinter uns rollt das Tor wieder in seine geschlossene Ausgangsposition. Mir ist unbehaglich dabei.

Aber was soll’s. Ist nicht die erste Fehlentscheidung die ich getroffen habe.

Ich genehmige mir noch ein Bier, bevor ich zu Bett gehe. Bin noch zu aufgekratzt von dem geilen Nachtleben in NOLA. Jutta legt sich schon ins Bett. Ich setze mir meine Bluetooth Kopfhörer auf und streame Musikvideos. Ich will wenigstens das verfickte WLAN nutzen, schließlich habe ich verdammt noch mal dafür bezahlt.

French Quarter in NOLA

Am Morgen schlafen wir uns richtig aus. Wir frühstücken draußen, duschen in den erstklassigen Washrooms und ich sehe diesen Pool und frage mich, ob da jemals jemand rein steigt. Er ist immer leer, wenn ich zu den Restrooms gehe, obwohl alle Stellplätze hier drinnen belegt sind. Sie sind belegt von Riesenwohnwagen und Campern größer als Reisebusse. LEMMY gehört hier nicht rein, wir gehören hier nicht rein. Morgen verlassen wir New Orleans. Aber vorher….

….habe ich noch was zu erledigen. Einen Job, einen schmutzigen Job, den ich lieber selber erledige, bevor ihn jemand anderes verpatzt.

…wollen wir uns noch das Death Museum ansehen. Es ist in der Bourbonstreet und wir haben es nur zufällig, quasi im vorbeischlendern, entdeckt. Das könnte interessant werden. Wir waren mal in einem Torture Museum in Amsterdam, das war auch sehr spannend. All die ganzen Foltergeräte und Werkzeuge und technischen Gerätschaften. Wer denkt sich so was aus? Der „spanische Esel“ beispielsweise, ein Gerät welches höllische Schmerzen verursacht. Jemand wird auf einen Holzbock gesetzt, der nach oben hin immer schmaler wird. Gewichte an den Füßen des zu Folternden ziehen den Leidenden nach unten, so dass nach kurzer Zeit die Qualen im Schritt nicht mehr zu ertragen sind. Die Hände sind auf dem Rücken gefesselt, so dass auch ein Abstützen nicht möglich ist.

„Der Mensch ist das schlimmste Tier.“

Und dann haben wir heute Abend die Dinner Tour auf dem schönen alten Mississippi Schaufelraddampfer. Ich wollte gerne die Dinner Tour, weil es abends schöner ist, vom Wasser auf die Skyline zu blicken, wenn die Lichter der Stadt angehen und ein nebliger Dunst über den Fluss schwebt. Dazu spielt eine Jazzband an Bord alte Dixieland-Klassiker.

Dinner Cruise

Weil wir beide heute morgen etwas verkatert sind, gehen wir es langsam an. Bevor es losgeht, machen wir einen frühen, aber kurzen Mittagsschlaf.

Wir gehen immer mal etwas andere Pfade, damit wir mehr Einblicke gewinnen in dieses faszinierende Stadtviertel. New Orleans ist jetzt schon zu einem wichtigen Highlight auf dieser Reise geworden und das French Quarter ist einzigartig. Nicht nur das Nachtleben in und um die belebte Bourbonstreet ist fantastisch. Auch die ganzen schrillen Figuren, die hier rumlaufen. Der Hauch von Voodoo, der besonders durch die abseitigen, die verlassenen Gassen schwebt. Das alles sauge ich förmlich in mich auf, inhaliere die wohlriechende Shitwolke, die allgegenwärtig scheint und mich wieder kurzzeitig nach Amsterdam beamt.

„Es riecht so gut!“

Aber nur sehr kurz, denn da sehe ich schon den Eingang. Und in Großbuchstaben steht über der breiten Glasfront und den ersten Ausstellungsstücken, vor einem roten Samtvorhang im Schaufenster: MUSEUM OF DEATH.

Wir gehen durch die blickdichte Tür in den Vorraum und bekommen einen ersten Eindruck von dem was uns erwartet, wenn wir unsere Tickets bei dem jungen Mann hinter Glas gelöst haben. Wir erwerben die Berechtigung durch die zweite Tür zu gehen in das Museum, aber wir haben auch einer Verpflichtung zugestimmt, nämlich nicht zu fotografieren.

Wir lassen uns auf den Deal ein.

Zwei Stunden Zeit haben wir für dieses Museum eingeplant und das müsste gut passen, denn es ist nicht besonders groß. Das Ende des Raumes ist bereits zu sehen und auf der anderen Seite geht es dann auch schon wieder raus. Aber hinten ist noch ein kleiner Vorführraum, da werden Filme auf die Leinwand projiziert. Das kommt allerdings später dran.

Es gibt verschiedene Sektionen mit unterschiedlichen Themengebieten.

Außer uns sind nur wenig andere Besucher hier. Es ist sehr still und wenn gesprochen wird, dann im Flüsterton.

Es beginnt relativ harmlos nachdem wir die zweite Tür durchschritten haben. Einige Tierskelette werden zur Schau gestellt, manche in Glaskästen, andere stehen so da. Dann gibt es auch Embryos und missgebildete Tiere in großen Einweggläsern zu sehen, in denen sie in einer Flüssigkeit für die Ewigkeit konserviert bleiben.

Die nächste Sektion widmet sich den Serienkillern.

Dieses Thema hat mich als Kind schon fasziniert. Ebenso Hexen und überhaupt das Unfassbare. Darüber besitze ich sogar ein Buch. Ein Buch über das „Unfassbare“. Es gehörte meinem Kumpel Oliver, aber ich habe ihn über Jahre genervt, ob er es mir nicht überlassen könnte. Ausleihen durfte ich es jederzeit und das habe ich auch oft genutzt, aber ich wollte es besitzen. Eines Tages, nach vielen Jahren, wir hatten nur noch selten Kontakt, da schenkte er es mir. Es liegt jetzt im Waterhole im Wohnzimmer bei den Bildbänden und anderen tollen Büchern im offenen Schrank. Ich sehe es jeden Tag. Reingeschaut habe ich seitdem nie wieder.

In dieser Sektion gibt es viel zu lesen, aber auch etliche Fotos werden präsentiert. Es geht unter anderem um John Wayne Gacy, der als Clown seinem pädophilen Trieb nachging, bevor er seine Opfer ermordete. Aber auch viele andere Killer werden vorgestellt und Zeitungsartikel und Tatortfotos werden gezeigt. Ich nenne nur einige Namen um die es hier geht: David Berkowitz,

Henry Lee Lucas, dem sogar ein Film gewidmet wurde (Henry – Portrait of a Serial Killer), Andrew Cunanan, Richard Ramirez und noch Viele mehr. Über Charles Manson wird in einer eigenen Abteilung ausführlich berichtet.

Was ist das für ein Leben, wenn man keine Empathie empfinden kann? Fassungslos und ohne Antworten gehen wir weiter. Ich denke wieder an Mike Horns Worte: „Der Mensch ist das schlimmste Tier!“

Ich will es kurz machen, einen Besuch ist dieses Museum in jedem Fall wert, wenn man etwas mit dem Thema anfangen kann und nicht ganz zart besaitet ist. Wir sehen echte Schrumpfköpfe, fiktive Schurken aus Comics und Filmen. Wir stehen vor „The Thanatron“, Jack Kevorkian’s Death Machine und noch vielen anderen skurrilen Ausstellungsstücken.

Was uns aber echt den Rest gibt und wo es auch für mich unerträglich wird, das ist der winzige Theatersaal, den man zwangsläufig durchquert, wenn man in den Restroom muss. Wir setzen uns kurz, um zuzuschauen was dort auf der Leinwand läuft. Es ist in schwarzweiß. Aber alles was hier gezeigt und besprochen wird ist echt. Dokumentationen von grauenvollen Unfällen werden gezeigt, abgefilmte Tatorte mit den leblosen Opfern. Oft sind Kinder involviert und nach wenigen Minuten verlassen wir den Saal um erstmal durchzuatmen.

Ich liebe den Nervenkitzel und mir machen die brutalsten Horrorfilme nichts aus, weil ich die Gewissheit habe, dass das alles Fiktion ist, was ich auf dem Bildschirm sehe. Ich will mich gerne erschrecken und auch gruseln. Aber ich will keine echten Unfälle sehen, geschweige denn die Verunglückten. Ich will auch keine Tatortfotos mehr sehen mit echten Opfern. Nicht auf Leinwand und auch nicht als Zeitungsartikel mit detaillierten Fotografien, wie in der nächsten Sektion. Dort erfahren wir, dass in den USA bis in die 70er Jahre noch Fotos von Unfallopfern in den Zeitungen abgebildet wurden, mit allen schrecklichen Details. Wir überspringen diese Ecke und finden auch die Abteilung äußerst befremdlich, die Fotos von toten Kindern zeigt. Das schien wohl zu einer bestimmten Zeit üblich gewesen zu sein, die verstorbenen Kinder in den üblichen Porträtposen fotografieren zu lassen, um sie sich eingerahmt auf den Kaminsims zu stellen.

Zum Ende gibt es wieder etwas leichtere Kost und wir verlassen nach gut zwei Stunden dieses Haus des Todes.

Weiter geht es runter an den Mississippi. Auf den Schrecken im MUSEUM OF DEATH könnte ich allerdings gut ein kaltes Bier vertragen. Gelegenheiten sich „Drinks to Go“ zu besorgen, gibt es überall. Da hier der Alkoholkonsum auf der Straße toleriert wird, geniere ich mich nicht, mit einer großen Bierdose in einer braunen Papiertüte, auf der Straße rumzulaufen. Unten am Fluss haben wir noch genug Zeit, uns auf einer Bank niederzulassen, auf den Mississippi zu schauen mit Blick auf den alten Dampfer und uns auszutauschen über das gerade Erlebte.

Warten auf die Dinner Cruise Tour

Ich trinke gemütlich meine Bierdose aus und dann stellen wir uns, mit als Erste, in die Schlange der wartenden Passagiere….

.für heute Abend habe ich mich extra in Schale geworfen. Abendgarderobe ist an Bord angesagt. Ich habe mir von Burke, der alten Saufnase, einen schwarzen Anzug besorgen lassen, ein weißes Hemd, schwarze Hose und passende Lackschuhe. Burke ist Mittags immer schon betrunken, obwohl, was heißt eigentlich schon? Wahrscheinlich ist er nach dem Frühstück noch nicht mal nüchtern. Vermutlich ist er seit Jahren nicht einen verdammten Tag nüchtern gewesen, aber er ist verlässlich. Darauf kommt es an. Was er zusagt, das hält er. Egal was ich von ihm will, egal wann ich ihn brauche, er ist stets zur Stelle und er vergisst nie etwas. Niemals.

Ich bin relativ weit vorne in der Warteschlange, denn ich will rechtzeitig an Bord sein. Zeit gewinnen, um nach der Pistole zu suchen. Sie wird in einem der Washrooms in irgendeinem Spülkasten der Toilette versteckt sein.

Ich bin ganz alleine hier unter vielen Paaren. Und ich bin nicht weiß wie alle Anderen. Ich merke wie Blicke mich treffen und höre wie leise getuschelt wird über mich. Über den Fremden, über den, der hier nicht hergehört….

….wir rücken weiter auf und kommen der Gangway näher. Etwas weiter vorne in der Schlange checkt das Bordpersonal die Eintrittskarten. Wir schauen uns die anderen Gäste an. Wer steht da vor uns und wer hinter uns in der Reihe? Auch wir werden beäugt. Ist schon interessant mit wem man sonst noch so einen Abend auf dem Mississippi verbringt. Die ersten Passagiere sind bereits auf dem Weg an Bord und wir kommen dem Kontrollpunkt immer näher….

…. „Sir, dürfte ich bitte ihre Karte sehen?“, werde ich unvermutet von hinten angesprochen. Ein Offizieller vom Bordpersonal spricht ausgerechnet mich an. Niemanden vor mir in der Reihe und auch niemanden hinter mir.

Warum auch, alle anderen sind weiß.

Ich bin auch hierauf vorbereitet. „Selbstverständlich.“, sage ich höflich und händige meine Einladung diesem Drecksack aus.

Dann sage ich noch mit einem Lächeln im Gesicht und mit freundlichen Worten: „Wenn Sie Sir, irgendetwas auszusetzen haben an meinem Einladungsschreiben, dann werden Sie Sir, von meinen einflussreichen Freunden an Bord einen gehörigen Arschtritt bekommen!“

Er glotzt mich verdutzt an. Ich setze flüsternd nach. „Wenn Sie bescheuerter Hinterwäldler nicht wissen, wer ich bin, dann Gnade Ihnen Gott! Und wenn ich jetzt nicht unverzüglich an Bord komme, dann schneide ich dir deine verdammten Eier ab und serviere sie den Krokodilen in dieser dampfenden Mississippi-Brühe.“

Bitte entschuldigen Sie Sir, ich habe Sie nicht gleich erkannt.“,stammelt er vor sich hin, wie ein kleiner Schuljunge, der vor Lyndon B. Johnson steht.

Kommen Sie Sir, bitte folgen Sie mir, ich bringe Sie unverzüglich an Bord…..“

Nachdem wir eingecheckt sind und unsere Plätze eingenommen haben an Bord des „City of New Orleans“ Schaufelraddampfers, bestelle ich mir erstmal ein kleines Bier. Ich habe nur ein leichtes T-Shirt an und muss mit Erschrecken feststellen, dass hier die Aircondition auf Hochtouren läuft, obwohl es draußen doch schon recht kühl ist. „Fuck!“, sage ich zu Jutta, „hätte ich mir bloß mal einen Pulli mitgenommen.“ Aber jetzt ist es zu spät, frierend starte ich in den Abend zu dieser Dinner Tour.

Jazz statt Rock ’n‘ Roll

Die anderen Gäste rücken langsam nach und wir beobachten, wer alles so Platz nimmt auf unserem Dinner Deck. Das Buffet sehen wir vorne schon und die Band hat zu spielen begonnen.

„Bevor die Suppe serviert wird, gehe ich mal kurz in den Washroom!“, sage ich zu Jutta…

…vor dem Washroom stehen bereits zwei Typen. Ich stelle mich an dritter Stelle an.

Einer von den Beiden erzählt dem Anderen offensichtlich gerade einen Witz: „….und die gute Fee sagt zu den Dreien, die nebeneinander am Tresen stehen, das jeder einen Wunsch frei hat.“ „

Was wirklich?“, fragt der Mexikaner.

Ja, aber sicher, nur zu, wünsch dir etwas.“

Der Erzähler muss jetzt schon fast laut loslachen, hält aber an sich.

Ok.“ sagt der Mexikaner, „dann wünsche ich mir, dass alle meine mexikanischen Brüder und Schwestern und alle meine Landsleute zurück in Mexiko sind und dort ein unbeschwertes und glückliches Leben führen können.“

Die gute Fee sagt: „So sei es!“

Und nun du, mein schwarzer Freund, was wünscht du dir denn?“, spricht die gute Fee.

Der Schwarze antwortet, „Gute Fee, ich wünsche mir, dass alle meine Brüder und Schwestern und alle Farbigen mit mir in mein geliebtes Afrika zurück können, um dort ein glückliches und unbeschwertes Leben zu führen!“

Dein Wunsch sei dir gewährt, mein lieber Freund.“, sagt die gute Fee dem schwarzen Mann zugewandt.

Und du, Cowboy?“, sagt sie zu dem Amerikaner, „was ist dein Begehr?“

Der Amerikaner spricht: „Habe ich das richtig verstanden, alle Nigger sind wieder in Afrika und die Bohnenfresser sind alle zurück nach Mexiko?“

Aber ja“, sagt die gute Fee, „sieh nur, wir sind nur noch zu zweit hier am Tresen.“

Der Amerikaner überlegt kurz und sagt, „Ok, dann hätte ich gerne eine Coke!“

Der Erzählende prustet lauthals los und kann sich kaum halten vor Lachen, der andere stimmt in das Gelächter mit ein.

Sie bemerken mich und sind sichtlich irritiert, versuchen aber sich nichts anmerken zu lassen. Verkrampft setzen sie ihre Unterhaltung fort: „Ach wie schön, Jean geht es wieder besser. Bitte richte ihr meine herzlichsten Genesungswünsche aus…“

Ich warte geduldig, bis erst der Eine und dann der Andere sein Business erledigt hat. Jetzt bin ich dran. Ich schließe die Tür hinter mir und öffne den Spülkasten der Toilette. Bingo. Sofort ein Treffer. Die Knarre ist mit Klebeband unter der Spülkastenabdeckung befestigt. Es ist eine österreichische Glock 17. Damit kann ich gut leben. Das ist eine Präzisionswaffe mit siebzehn 9 mm Patronen im Magazin. Ich will allerdings versuchen mit nur einer Patrone auszukommen. Normalerweise brauche ich den Rest der Patronen für die Leibwächter und Unvorhergesehenes. Ich habe bereits mehrfach mit dieser Pistole gearbeitet. Sie besteht nur aus 33 Komponenten. Und schon Henry Ford sagte: „Was nicht da ist, das kann auch nicht kaputt gehen.“

Ich verstecke die Glock links in meinem Hosenbund unter dem Jackett. So, dass sie nicht zu sehen ist und ich sie trotzdem gut greifen kann. Dann verlasse ich den Washroom und begebe mich auf das Oberdeck, wo der korrupte Stadtrat gerade seine Rede hält…

und wenn mir der Witzbold von eben noch mal über den Weg läuft, dann…., na dann werde ich es sein, der was zu lachen hat…

…ich komme gerade rechtzeitig zurück, als die Vorspeise, das Gumbo serviert wird. „Noch ein Bier bitte!“, rufe ich unserem Kellner hinterher.

Er dreht sich kurz um und nickt lächelnd.

Der Saal ist gut gefüllt und das Buffet ist offen. Am Tisch neben uns haben sich zwei junge Damen in schicker Abendgarderobe niedergelassen. Sie trinken exotische und sündhaft teuer aussehende Cocktails und sie sind ohne Gumbo sofort zum Buffet marschiert. Ich wollte gerade noch sagen: „He, wartet doch erst mal die Vorspeise ab, die wird am Tisch serviert.“ Aber da waren die Beiden schon unterwegs. Mit voll bepackten Tellern kommen sie zurück an ihren Tisch, der ziemlich klein ist. Unglücklicherweise stößt die eine von den beiden Ladies ihren Cocktail um.

Frustriert läuft sie zur Bar, um sich einen neuen sündhaft teuren Cocktail zu holen. Als sie zurück kommt, dürfte ihr Dinner bereits kalt geworden sein.

Wir genießen unser Gumbo und holen uns danach etwas Hühnchen, gebratene Kartoffeln und grüne Bohnen vom Buffet. Nach dem halbwegs köstlichem, südstaatlichem Essen, gehen wir nach draußen, weil es im Innenbereich durch die Aircondition viel zu kalt ist.

Wir wollen die Skyline sehen und gehen auf das Oberdeck….

New Orleans vom Mississippi

.da steht der Schnösel und hält seine Rede und die Leute lauschen gebannt seinen Worten. Darum falle ich niemandem auf, alle hängen an seinen Lippen, glauben seinen Lügen. Er sieht so dümmlich aus in seinem marineblauem Jackett. Die blonde Haarsträhne seines Scheitels flattert im Wind. Sie wurde gut frisiert vor diesem Auftritt, doch für den Wind an Deck dieses Dampfers können die Maskenbildner und Wahlstrategen auch nichts. Er haut den Leuten seinen Dünnschiss um die Ohren und sie klatschen Beifall. Sie klatschen Beifall. Was ist aus dieser Welt geworden? Er hebt seine beiden Arme und wiegt sie langsam auf und ab, um den Beifall zu beschwichtigen. Überheblich und arrogant steht er da oben an seinem Rednerpult, der Beifall ebbt ab. Was ist, wenn dieser Irre Gouverneur wird? Was ist, wenn dieser Verrückte danach noch andere Ambitionen hat? Wenn er Präsident der Vereinigten Staaten werden will. Das kann selbstverständlich niemals geschehen, denn so dumm sind die US Bürger nicht. So dumm sind sie doch nicht.

Aber was, wenn doch?

Was geschieht, wenn dieser Psychopath eine Mehrheit der Stimmen erhält?

Dazu wird es niemals kommen, denn ich werde meinen Job erledigen. Ich muss nur einen guten Platz finden, um unbemerkt meine Glock aus dem Hosenbund zu ziehen, um unbeobachtet einen guten Schuss abfeuern zu können…. oben auf dem Oberdeck…

…da ist die Aussicht besonders beeindruckend. „Schau mal, die Brücke da hinten, da sind wir drüber gefahren als wir nach New Orleans gekommen sind.“, sage ich zu Jutta. „Und jetzt schippern wir auf dem Mississippi unter dieser Brücke durch und hören live eine Jazzband. Ist das nicht fantastisch?“

Mississippi River

Jutta stimmt mir zu und wir sprechen über die weiteren Reisepläne. Memphis ist nicht mehr Thema, denn auf Schnee, Winter und eisige Kälte haben wir beide keine Lust mehr. Graceland wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Aber das Coven House und die Whitney Plantation, das ist jetzt aktueller denn je. Aber noch genießen wir die Raddampferfahrt, obwohl mir auch hier an Deck, durch den Fahrtwind, echt kalt ist. Wir sitzen dicht nebeneinander auf einer Bank und teilen uns Juttas Jacke. Sie ist mit dem rechten Arm im Ärmel, ich mit dem Linken. So kann man es aushalten, ich …

.suche mir eine gute Schussposition. Ich verberge mich in einer Nische, hinter zwei Pfosten, unter einem weiteren Deck über mir. Und da alle Passagiere gebannt auf den arroganten Schnösel hinter dem Rednerpult blicken, falle ich niemandem auf. Kein Mensch bemerkt, wie ich meine Glock 17 aus dem Hosenbund ziehe und in Richtung des Rednerpults ziele. Alle Blicke sind nach vorne gerichtet, niemand sieht mich, den Schwarzen, den Farbigen, den Ausgestoßenen. Niemand sieht mich…..Ich warte nur auf den geeigneten Augenblick, muss die Lücke erwischen zwischen den verblendeten Anhängern dieses Großmauls von Stadtrat. Diesen Bullshit King.

Ich drücke ab.

Personen schreien, jemand mit marineblauem Anzug hinter dem Rednerpult stützt leblos zu Boden, Menschen rennen wild durcheinander. Einige Personen springen über die Reling von Bord, in den von Krokodilen verseuchten Fluss.

Ich renne die Treppe hinunter, eine Etage tiefer, um Abstand zwischen mich und dem Tatort zu bringen. Obwohl das Chaos wohl so groß sein dürfte, dass sich im Augenblick niemand auf mich konzentriert. Aber morgen in den Zeitungen, dann wird davon berichtet werden, wer für diesen Anschlag verantwortlich ist. LINCOLN CLAY.

Who am I…?

Ich lege Feuer im Maschinenraum des Dampfers, um Zeit zu gewinnen und die Aufmerksamkeit noch weiter von mir wegzulenken. Je mehr Chaos ich stifte, desto besser kann ich untertauchen.

Da sehe ich den Witzbold von vorhin, als wir zu dritt vor dem Washroom gewartet haben. Er kommt mit angstverzerrtem Gesicht auf mich zu gelaufen, ohne mich zu sehen. Alle laufen hier schreiend durcheinander, niemand achtet jetzt auf den Schwarzen an Bord. darum gönne ich mir nun einen kleinen Witz.

Hey du!“, rufe ich ihm zu. Schockiert kommt er direkt vor mir zum Stehen. Er realisiert in diesem Augenblick wer ich bin. „Ich kenne auch einen guten Witz!“, sage ich ihm grinsend ins Gesicht.

Willst du ihn hören?“, frage ich und nicke dabei, weil ich seine Antwort bereits kenne.

Neeeiiiiiiin!“, heult er und jammert….“biiittte….“

Niemand beachtet uns, alle laufen durcheinander, immer noch springen Leute in feinen Anzügen von Bord. Das Feuer lodert von unten immer weiter nach oben. Die Personenschützer haben wohl begriffen, dass sie Feierabend machen können. Es gibt niemanden mehr zu schützen. Einige Männer vom Bordpersonal lassen Rettungsboote zu Wasser und Damen in teuren Kleidern klammern sich kreischend aneinander.

Ich ziele mit meiner Glock direkt zwischen seine Augen. In diesem Moment gibt es nur ihn und mich. Alles Andere um uns herum läuft in Zeitlupe ab. Es gibt auch keine Geräusche mehr, kein Geschrei, kein Feuer, kein Getöse im Wasser, keine Hilferufe. Es gibt keine Farben mehr, kein Blut. Alles ist schwarzweiß.

Ich sage: „Ich mag keine Coke, ich bevorzuge Pepsi.“ Dann drücke ich ab.

Auch ich springe in den Fluss, kopfüber. Menschen schreien, werden gefressen von den Krokodilen. Ich rechne mir meine Chancen aus. Wenn ich schnell schwimme, dann steigen die Überlebenschancen. Es sind auch jetzt schon mehr Menschen im Fluss als Krokodile. Es müsste mit dem Teufel zugehen, sollte ich nicht entkommen…

Ich schwimme schnell und….

…bewundere die Skyline. Die Band spielt Dixie und wir genießen die Fahrt auf dem Mississippi. Ach, was ist New Orleans doch für eine wundervolle Stadt. Sie wird für lange Zeit in unserer Erinnerung verbleiben. Doch ich…

Downtown New Orleans

.kann entkommen.

werde spätestens im Herbst wieder zurückkehren.

Nach einem fantastischen Abend auf dem Dampfer, bummeln wir durch das Quarter zurück zum Auto. Einmal kehren wir auf dem Weg noch ein, um alle Eindrücke ein wenig sacken zu lassen und dann geht es gemütlich nach Hause.

Jetzt heißt es leider schon wieder: Abschied nehmen. Ohne ein einziges Mal in den Pool gesprungen zu sein auf diesem RV Stellplatz, verlassen wir das French Quarter und machen uns auf den Weg zum Coven House. Das dürfte lediglich interessant sein für Freunde der Serie „American Horror Story“, in der jede Staffel ein neues Thema hat und für sich alleine steht. „Coven“ ist eine relativ frühe Staffel, vielleicht die Dritte oder Vierte, ich weiß nicht mehr genau. Es ist eine gute Staffel. Keine von meinen Favoriten, aber es gibt auch Schlechtere.

Um zum Haus zu gelangen fahren wir quer durch New Orleans und bekommen noch ganz andere Einblicke, als nur die vom French Quarter. Es geht durch schicke Wohnviertel und auch durch sehr ärmliche Ecken. Die Villen weichen den kleineren Häusern, die teuren Autos werden weniger und die alten Kisten nehmen zu. In den Vorgärten ist zusehends mehr Gerümpel als grüner, frisch gemähter Rasen zu sehen. Das Bild wandelt sich sehr schnell, als wäre eine klare Linie zwischen Arm und Reich.

Das Coven House scheint des Öfteren für Dreharbeiten genutzt zu werden. Denn obwohl die Staffel längst abgedreht ist, sind große Scheinwerfer auf stabilen Stativen vor dem Haus im Garten aufgebaut. Es ist alles in durchsichtiger Plastikfolie verpackt, falls es regnen sollte. Ich parke nur kurz vor dem Haus, direkt an der Straße und schieße ein paar Fotos. Auf dem Bürgersteig kommt ein junges Pärchen um die Ecke, mit suchendem Blick. Ich nehme an, sie kommen aus dem selben Grund wie wir. Im Rückspiegel sehe ich noch, wie sie das Haus mit ihren Handys aufnehmen.

The Coven House (American Horror Story)

Für uns heißt es nun endgültig „Good Bye New Orleans!“, denn es geht weiter zur Whitney Plantation.

Die wundervolle Mississippi Metropole bleibt hinter uns zurück und wir fahren durch die Sümpfe von Louisiana. Manchmal ist es nur eine schmale Straße und links und rechts daneben befindet sich ein ausgedehntes Sumpfgebiet. Ein oder zweimal überqueren wir noch den Mississippi und ich freue mich darüber, weil ich gerne über diese amerikanischen Brücken fahre. Man kann fast den Eindruck bekommen, ganz Louisiana sei ein einziger Sumpf, was natürlich nicht der Fall ist. Aber die Gebiete durch die wir kommen, erinnern mich häufig an New Bordeaux und wie ich als Lincoln Clay dort die Gegend unsicher mache.

Sehe ich ein Haus an einem Flusslauf und ein Boot im Wasser liegen, dann möchte ich es mir einfach nehmen und damit in die endlosen Sümpfe fahren, dem Sonnenuntergang entgegen…

…wie ich es so oft schon gemacht habe. Es ist allerdings nie bei einer entspannten Bootstour geblieben, denn ich hatte immer andere Absichten. Mal will ich einen LKW mit einer Ladung selbst gebrannten Schnaps klauen oder eine große Menge an Drogen ist das Ziel meiner Begierde.

Manchmal befreie ich auch einen Gefangenen. Dabei geht es nie ohne Schusswechsel ab und einer Menge Leichen. Aber Dank meiner Verbündeten ist der Nachschub an Waffen und Munition stets gesichert. Ich muss genau planen, wie ich vorgehe und mir eine Strategie überlegen, einen Großteil der Feinde auszuschalten, ohne die Aufmerksamkeit aller Anderen zu erregen. Denn diese versteckten Schnapsbrennereien und Drogenküchen werden extrem gut bewacht. Ich habe immer eine lautlose Pistole mit Schalldämpfer dabei und meistens eine kompakte Schnellfeuerwaffe. Sogar mit dem Wurfmesser bin ich nicht schlecht und im Nahkampf macht mir keiner was vor. Sollte allerdings einer der Wachtposten Alarm schlagen, dann ist die Kacke am dampfen. Dann muss ich zusehen, das ich nicht in die Zange genommen werde. Gelegentlich schleiche ich mich von hinten an und drehe dem nichtsahnenden Gangster den Hals um. Das geht schnell und ist sehr leise. Aber am liebsten ziele ich mit der schallgedämpften Waffe aus dem Hinterhalt auf den Gegner und dezimiere die ganze Bande. Wenn das erledigt ist, geht es mit dem Schnapslaster zurück in die Stadt, um die Ladung abzuliefern, gegen Bares versteht sich. Oder es geht aufs Boot, rüber über den Fluss zum zuvor abgestellten Auto und wieder auf die Straße durch diese endlosen Sümpfe…., diese Sümpfe und die zwitschernden Vögel, die Kröten die anfangen zu quaken, nachdem die Sonne verschwunden ist. Oh ja, diese Sümpfe, die sind einzigartig…

Mit einem Blick aus dem Augenwinkel bin ich immer auf der Suche nach einem Krokodil, aber die Biester sind schwer zu erkennen aus dem fahrenden Wagen. Nach einer ganzen Weile kommen wir raus aus den Sümpfen und nähern uns der Plantage.

Ich parke LEMMY auf dem großen Parkplatz und wir sind heilfroh, dass nur so wenige Autos hier stehen. Das bedeutet, wir werden mit nur wenigen Anderen dieses besondere Erlebnis teilen, an einem sonnigen Tag.

Die Whitney Plantation ist ein Open Air Museum und eine Gedenkstätte zugleich. Es geht um den transatlantischen Sklavenhandel (TAST) in Louisiana von 1719 – 1865.

Gegründet wurde diese Indigo Farm von dem deutschen Emigranten Ambroise Heidel (später Haydel), der mit einigen Geschwistern nach Amerika kam. Über viele Generationen wurde dieser Familienbetrieb weiter geführt, bis zum Tod von Marie Azélie Haydel.

Die Versklavung von amerikanischen Ureinwohnern und den ersten gefangenen Afrikanern (die 1719 mit zwei Schiffen von der westafrikanischen Küste, Louisiana erreichten), brachten den Haydels enormen Reichtum. Sie profitierten von den Kenntnissen der Westafrikaner im Reisanbau. Später wurde die Haupteinnahmequelle allerdings der Anbau und die Verarbeitung von Zuckerrohr.

Für 50 Dollar bekommen wir zwei Eintrittskarten und für jeden einen Audioguide. Dazu gibt es noch eine Faltkarte auf der die 14 Stationen dieser Rundtour verzeichnet sind. Gemeinsam begeben wir uns auf den Leidensweg der Sklaven. Als erstes sehen wir eine kleine Kirche, doch da dies die Nummer 14 ist, gehen wir daran vorbei, um mit der Nummer 1 zu starten. Wir sind hier auf einer großen Farm mit vielen Gebäuden. Zu jeder Station drücken wir die entsprechende Nummer auf unserem Audioguide und werden mitgenommen auf eine Tour in eine uns völlig fremde Welt, in die Welt der Sklaverei.

The Whitney Plantation

Ich kenne das nur aus dem Fernsehen, als ich noch ein Kind war. Es gab damals nur 3 Programme und auf einem davon lief die Serie „ROOTS“, deren Hauptperson Kunta Kintewar. Um diesen Jungen drehte sich die Familientragödie und schon als Kind konnte ich Ungerechtigkeit nur schwer ertragen. Ich wusste, obwohl ich Kind war und obwohl es eine Fernsehserie war, dass das was ich da auf dem Bildschirm sehe echt ist. Ich wusste, das ist so oder so ähnlich passiert. Inzwischen als Erwachsener weiß ich natürlich gut Bescheid. Trotzdem gibt es einen riesigen Unterschied zwischen theoretischem Wissen über die Sklaverei und dem realen Erleben am Ort des Geschehens.

Ansicht des Herrenhauses vom Garten aus

Wir kommen an das große Herrenhaus und von vorne wirkt es ganz schön beeindruckend und auch der Garten dahinter kann sich sehen lassen. Doch geht man hinein, stellt man schnell fest das alles bloß Fassade ist. Das Haus hat keine Tiefe.

Die Frontansicht des Herrenhauses

Es diente auch im Film „Django, Unchained“ als Kulisse für ein außergewöhnliches Tarantino Meisterwerk. Aber eben nur die Fassade, alles was sich innen abspielt, wurde im Studio gedreht.

Wir sehen die Behausungen der Sklaven, die des Aufsehers und die rostigen, eisernen Käfige in die die Sklaven gesperrt wurden, nachdem sie bei irgendwelchen Vergehen erwischt wurden. Das alles ist ein Schlag in die Magengrube. Es nimmt uns mit und wir gehen beide diesen Weg, aber wieder mal Jeder für sich. Auf dem Gelände sehen wir bronzene Figuren, the Children of Whitney (Skulpturen von Woodrow Nash). Es sitzen zum Beispiel Kinder auf der Veranda und ich setze mich daneben und höre aus dem Audioguide, wie schnell die Kindheit auf so einer Sklavenplantage endete.

Wir erfahren unter welchen unmenschlichen Bedingungen die Sklaven arbeiten mussten und was mit ihnen geschah, sollten sie bei der Flucht erwischt werden.

Beim ersten Fluchtversuch, wurde ihnen mit einem heißen Eisen eine Lilie auf die rechte Schulter gebrannt und beide Ohren wurden abgeschnitten. Beim zweiten Mal wurde die Lilie auf die andere Schulter gebrannt und die Achillessehnen wurden durchtrennt. Wer es trotzdem ein drittes Mal probierte und erwischt wurde, der verlor seinen Kopf.

Auch an den Köpfen kommen wir vorbei. Nach dem größten Sklavenaufstand im Jahr 1811 wurden sehr viele von ihnen hingerichtet. Unter ihnen auch der Anführer Charles Deslondes

Charles Deslondes

Wir betrachten diese aufgespießten Köpfe im Sitzen von einer Bank aus. Allerdings sind diese Köpfe eine Kunstinstallation, trotzdem ist es wie ein Schlag in die Magengrube. Es sind mehrere Reihen aufgespießter Köpfe mit weißen Bandanas, weiter vorne in der Reihe sind auch welche mit roten Bandanas, die Anführer, auch Charles Deslondes.

Die auf Pfählen aufgespießten Köpfe dienten zur Abschreckung.

Charles Deslondes wurde nach der Gefangennahme gefoltert und bei lebendigem Leib verbrannt.

Ihm wurden einige Aufstände zur Last gelegt und er sorgte dafür, dass Andere seinem Beispiel folgten und sich gegen die Herren auflehnten.

Irgendwann waren die Tage der Sklaverei gezählt. Doch die Herren, die sich am Leid der Unterdrückten bereicherten, waren damit überhaupt nicht einverstanden. Sie entwickelten Strategien und Schlupflöcher, um ihre Profitgier weiter zu stillen und die ehemaligen Sklaven an sich zu binden. So bauten die Herren einen Laden auf, in dem die Sklaven dann einkaufen konnten. Das war zum einen eine nette Abwechslung für die Sklaven. Zum anderen konnten sie sich von dem Geld, das sie nun bekamen, etwas Luxus leisten. Doch der Gedanke der Herren dahinter war infam. Es wurde auf Kredit eingekauft und alles wurde fein säuberlich in ein Büchlein eingetragen. Was wurde gekauft, wann und wie viel wurde gekauft?

Und da die Sklaven in der Regel weder lesen, schreiben, geschweige denn rechnen konnten, wurde das Büchlein immer dicker und die Schulden immer höher.

Bis 1975 wurden die letzten Sklaven auf der Haynes Plantation beschäftigt, um ihre Schulden abzuarbeiten. Nur nannte man sie jetzt nicht mehr Sklaven.

So kommen wir von einer Gedenkstätte zur nächsten und das Leid und die Not dieser Menschen und die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfahren ist, wird körperlich spürbar.

The Jail

Da kommt eine kleine Schildkröte am nahegelegenen See gerade rechtzeitig, um uns kurz aus diesem Albtraum herauszuholen. Wir atmen tief durch und machen eine kurze Pause mit dem Audioprogramm, doch dann geht es auch schon weiter.

Bevor wir zur Kirche und dem Endpunkt kommen und diese bedrückende und zugleich beeindruckende Gedenkstätte verlassen, sehen wir noch die Marmortafeln mit den Namen von 107 000 versklavter Menschen aus Louisiana, sehen Portraits von Kindern und Auszüge aus Interviews. Niemals soll in Vergessenheit geraten, was sich hier und vielerorts abgespielt hat. Gwendolyn Midlo Hall hat diese Namen zusammengetragen (Louisiana Slave Database 1719 – 1820).

107 000 Namen

Die „Wall Of Honor“, eine andere große Granittafel, ist allen Sklaven gewidmet, die auf der Haynes Plantage gearbeitet und gelebt haben. Dort ist verzeichnet, soweit bekannt, wie lange sie gelebt haben, welche Tätigkeit sie ausgeübt haben und mit wem sie liiert und/oder verwandt waren.

Wall Of Honor

Besonders wichtig ist es John Cummings, dem Gründer dieses Museums, dass diese Gedenkstätte keinen Hass oder Groll erzeugen soll. Es soll zum Nachdenken anregen, es soll aufklären und es darf NIEMALS in Vergessenheit geraten, was sich damals zugetragen hat.

….ohne Worte…

Als Eintrittkarte haben Jutta und ich ein kleine Karte bekommen, die man sich um den Hals hängen kann. Es ist die Identität von einem Sklaven. Jutta ist als CHRIS FRANKLIN unterwegs gewesen, ich bin als PETER BARBER unterwegs gewesen.

In uns gekehrt und nachdenklich verlassen wir die Whitney Plantage.

Besucherkommentare

Wir verlassen auch diesen Staat, da vorne kommt das TEXAS WELCOME Schild in Sicht. Ich fahre daran vorbei, ohne Eile. Nicht so wie Kowalski in „Fluchtpunkt San Francisco. Er hat es immer eilig, denn ihm ist die Polizei auf den Fersen. Er will einen Rekord aufstellen. Mit seinem 1970er Dodge Challenger R/T rast er von Denver/Colorado bis nach Frisco/Kalifornien. Er will die gesamte Strecke in 15 Stunden zurücklegen, 1252 Meilen. Jede Sichtung seines Dodge wird an das Radio gemeldet und vom Radiomoderator und einem Großteil der Bevölkerung wird er gefeiert. Mit seinem Rekordversuch sorgt er für eine Menge Wirbel. Tatsächlich wirbelt er oft eine Staubwolke hinter sich auf, um den Cops zu entkommen.

Ich fahre weiter, ohne Eile. Mein Blick wandert wehmütig rüber zum Rückspiegel.

„Bye bye NOLA, bye bye Lincoln Clay. Du bist gefangen in Louisiana. Du wirst diesen Staat nie verlassen. Aber ich werde zurück kommen. Spätestens im Herbst, wenn das Laub von den Bäumen fällt und es ungemütlich weht da draußen. Dann sehen wir uns abermals. Dann werde ich wieder lange Nächte in New Orleans verbringen, besser gesagt in New Bordeaux. Dann sorgen WIR für mächtig Wirbel in den Hinterhöfen und in den Sümpfen von Louisiana. Dann mische ich das ganze falsche Pack in dieser versifften Stadt auf, mit Lincoln Clay……., als Lincoln Clay.

…und was als nächstes geschieht…

CHAPTER V – Durch Texas nach New Mexico und von extraterrestrischem Leben in Roswell und einer UFO Sichtung über Santa Fe…

Chapter 17 – Down The East Coast To Key West, 90 Miles Close To Cuba

…Hannah Montana does the African Savannah und was meine Freundin Maddi damit zu tun hat…

On the road again. Es ist der 10. Februar 2022 und wir wollen in den nächsten Tagen viele Meilen machen. Meinen Bordcomputer habe ich längst von Kilometern und Litern auf Meilen und Gallonen umgestellt. In Kanada galt noch das metrische System wie bei uns. Hier in den USA gilt das nicht mehr. Und da die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Schildern in Meilen angegeben wird, ist es gut, wenn ich auf meinem Display diese auch in Meilen angezeigt bekomme. Mein Bordcomputer zeigt ebenfalls den Dieselverbrauch an. Um mir das Umrechnen an den Tankstellen zu ersparen, lasse ich es mir doch gleich vom Computer in Gallonen anzeigen.

Unser Plan ist es nun zügig in den Süden zu kommen. Wir haben genug vom Winter und von der eisigen Kälte Kanadas. In New York war es ja schon relativ mild für uns. Die 8° Celsius, die wir zum Teil tagsüber hatten, fühlten sich schon ein wenig nach Frühling an, wenn die Sonne dabei schien. Aber das reicht uns noch lange nicht. Wir wollen es wärmer haben, wir wollen in den Sunshine State Florida.

Wie immer müssen wir uns vorher über die Strecke verständigen. Fahren wir über Philadelphia oder nicht. Wie ist dort das Wetter? Ist es sinnvoll direkt nach New York City schon in eine andere Großstadt zu fahren? Wir haben noch nicht mal die ganzen Eindrücke von New York verarbeitet. Wir entscheiden uns gegen Pennsylvania und Philly und für Delaware.

Wormsloe (Historic Site)

Schon im Waterhole hatte ich mir Gedanken drüber gemacht, auf welcher Route es die Ostküste runter nach Key West geht. Denn das stand immer außer Frage, Key West war für mich gesetzt. Ich saß oft und lange vor der Karte und überlegte, wie wir wohl runter fahren werden in den Süden. Dabei fiel mir eine irrsinnig lange Brücke auf, die uns weit auf den Atlantik hinaus bringt und dann irgendwann steil abwärts führt, um sich in einen Tunnel zu verwandeln, der uns nach kurzer Fahrt durch eine unterirdische, neonbeleuchtete Röhre wieder ausspeit und sich wieder zu einer Brücke zurückverwandelt.

Der Chesapeake Bay Bridge Tunnel (offiziell: Lusius J. Kellam Jr. Bridge Tunnel) ist mit 37 km Länge eine der größten Brücken-Tunnel-Bauten der Welt. „Da MUSS ich rüber!“, waren meine Gedanken dazu.

Jutta ist sofort einverstanden, als wir darüber sprechen. Große Städte braucht sie nicht annähernd so häufig wie ich. Sie liebt es ruhiger und die Natur ist ihr Elixier, so wie meines das pulsierende Nachtleben der Metropolen dieser Welt ist. Ich glaube wir bekommen einen ganz guten Mittelweg zustande, so dass wir beide auf unsere Kosten kommen. Also ist es beschlossen.

Mit dem Überqueren der Verrazzano Narrows Bridge (The longest Suspension Bridge in the USA!) lassen wir New York langsam hinter uns und steuern gen Süden nach Florida. Es geht durch einige Bundesstaaten mit so wunderschön klingenden Namen wie Maryland, Virginia, (North & South) Carolina und Georgia. Aber als erster Staat nach New York heißt uns Delaware mit einem Schild am Straßenrand willkommen.

Savannah – Bäume mit Bärten

Das machen alle Bundesstaaten so. Danach folgen sogleich einige State Rules, die es unbedingt zu befolgen gilt. That’s the law! Oft geht es darum, was es kostet, wenn man Müll aus dem Auto wirft, dass man auf die linke Spur wechseln muss, wenn auf dem Seitenstreifen jemand liegen geblieben ist. Aber auch aufs Anschnallen, nur zum Überholen links fahren, keine Anhalter mitnehmen usw. … wird regelmäßig hingewiesen. Das ist übrigens in fast allen Bundesstaaten gleich. Was allerdings „Littering“ also das Verschmutzen der Fahrbahn oder des Seitenstreifens, indem man Müll aus dem Auto wirft, angeht, so unterscheiden sich die Strafgebühren erheblich. Aber dazu später mehr.

Ob uns die Verrazzano Narrows Bridge etwas kosten wird, erfahren wir evtl. von Ohla, wenn im Waterhole per Post die Rechnung kommt und sie sie uns per Foto weiterleitet. Es gibt dort leider keine Möglichkeit per Karte oder persönlich in bar zu bezahlen, wie an vielen anderen Brücken und Mautstationen.

Den Chesapeake Bay Bridge Tunnel können wir zum Glück mit Kreditkarte bezahlen und wir werden auch noch darauf hingewiesen, dass alle Propangasbehälter zugedreht sein müssen. Ich teile der Dame im Kassenhäuschen mit, dass ich bei jeder Fahrt die Gasflaschen zudrehe. Sie wünscht uns eine gute Fahrt und öffnet die Schranke. Bei dieser Brücke ist die Länge schon sehr beeindruckend. Sie ist nicht schön, das kann man absolut nicht sagen, aber speziell. Sie ist so lang, dass wir im Radio „Sober“ von TOOL sogar in voller Länge hören, bevor wir die Brücke überquert haben.

Na gut, Spaß beiseite! Wir hören mehr als nur den einen Song von Tool. Es sind einige Songs die im Radio laufen, während wir die Chesapeake Bay überqueren.

Such a nice car – ich liebe Oldtimer!

Apropos Radio. Ich höre viel Radio im Auto, weil ich viel fahre. Fünfmal pro Woche fahre ich ins Theater, wenn ich nicht gerade auf Reisen bin. Das sind nur ca. 35 km für eine Strecke. Doch morgens brauche ich dafür eine Stunde, wenn ich gut durch komme, sonst auch deutlich länger. Schneller geht es eigentlich nur nach der Spätschicht, da nachts weniger Verkehr ist. Ich habe dann oft das Radio an, obwohl ich schon vorher weiß, was für Schrottmusik mich erwartet.

Ich switche dann zwischen meinen Standardsendern hin und her, bis ich genervt aufgebe, weil überall der gleiche Scheiß läuft. Radio 21 ist da eine kleine Ausnahme und spielt gelegentlich etwas rockigere Musik, obwohl ich da auch noch eine Rechnung offen habe. Dann lande ich meistens bei NDR Info und höre ausschließlich gesprochene Beiträge und Nachrichten, aber keine Musik. Weil ich ein Gewohnheitsmensch bin, wiederholt sich dieses Szenario Tag für Tag.

Ich habe immer das Gefühl, dass bei allen Sendern, wie sie auch heißen mögen, nur sieben Songs in Endlosschleife laufen. Allerdings Random, damit der Zuhörer denkt, es seien mehr als sieben Songs. Und das Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Warum? Denken die Programmdirektoren uns gefällt es, jeden Tag denselben, durchgenudelten Kram zu hören? Oder gefällt es tatsächlich den Anderen, nur mir nicht?

Zweimal pro Woche gibt es einen Lichtblick im Radio, da läuft dann „HeuckZeug“ auf Bremen 4, oder „Bremen 4 rockt“. Das Eine am Mittwochabend, das Andere am Donnerstagabend. In den Stunden, die diese Sendungen laufen, habe ich zumindest das Gefühl, dass die beiden Moderatoren spielen dürfen, was sie selber mögen und was sie spielen wollen. Ich mag einiges von der Musik, die dann läuft, aber auch nicht alles. Darum geht es auch gar nicht. Ich muss nicht alles mögen, ich erwarte nur ein Mindestmaß an Abwechslung und Vielfalt. Ich will nicht jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit dieselben sieben Songs hören und auf dem Rückweg das Gleiche in anderer Reihenfolge noch einmal.

Und was hat sich Radio 21 mit seiner bescheuerten Werbung erlaubt? In dem Werbespot behaupten sie: „Du bist Programmdirektor und kannst bestimmen, was läuft!“ Ich kann von Zeit zu Zeit online 40 Songs bewerten. Ich kann dann wählen, ob er mir gut gefällt, ob ich den Song so lala finde oder ob ich ihn bereits „über“ habe. Das ist verdammt noch mal alles! Habe ich damit irgendwie bestimmt was läuft? Von diesen 40 Songs habe ich bereits 13 Songs „über“, 2 gefallen mir gut und die anderen 25 finde ich fürchterlich, aber das kann ich nicht mal mitteilen. Die Songs, die ich hören will, finde ich nicht in ihren Listen. Wenn ich online 38 Songs mit „will ich NICHT hören“, bewerte, habe ich dann in irgendeiner Art und Weise bestimmt, was läuft?

Auflockerungsbild wegen Abschweifung ;), na was ist das?

Mit dieser Behauptung degradieren sie den Zuhörer zum Idioten. Sie spielen ihm falsche Tatsachen vor und denken niemand merkt es. Aber die Zuhörer sind keine Idioten, sie merken es und weichen aus auf andere Sender, bis sie wieder bei NDR Info landen.

„Herr Programmdirektor, wenn ich bestimmen kann was läuft, dann hören wir heute mal SICK OF IT ALL, CIRCLE JERKS, SNFU, D.R.I., RKL und HENRY ROLLINS. Morgens zum Wachwerden fangen wir mit HATEBREED an und zum Nachmittagskaffee gibt es ANGRY SAMOANS und BAD BRAINS, damit die gute Laune angekurbelt wird. Zum Abend dann vielleicht etwas Melancholie mit EA 80 und zur Nacht zur Abwechslung die kanadischen Rocker NOMEANSNO!“

Wenn das auf Radio 21 aus dem Äther kommt, dann habe ich (mit)bestimmt, was läuft! Aus meiner Sicht sind die eigentlichen Idioten die Verantwortlichen, die den Zuhörer unterschätzen.

Ich merke, wie ich mal wieder abschweife, aber da mir Musik so unheimlich wichtig ist, reagiere ich wohl manchmal etwas übersensibel. Wo bin ich stehengeblieben? Ach ja…

….“Sober“, ein “Tool“ Song läuft im Radio, in voller Länge.

Was ich eigentlich sagen wollte, ich genieße diese ungewohnte Radiovielfalt in diesem großen Land. Fast immer und fast überall lässt sich ein Rocksender finden. Ich höre Songs im Radio, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe, Songs, die ich noch nie gehört habe und Songs von den B- Seiten der Platten. Es wird nicht nur die Hit-Single gespielt. Nein, auch andere Songs von der LP sind hörenswert. Wir fahren seit Stunden und ich habe noch kein Lied zweimal gehört. Es ist mittlerweile später Nachmittag geworden und plötzlich ertönt „Closer“ von NIN (Nine Inch Nails) aus meinen nachgerüsteten Boxen im Auto. Das ist in Deutschland undenkbar, zumindest außerhalb einer Sendung wie „HeuckZeug“ oder „Bremen 4 rockt“.

Na ja, hier muss ich dazu sagen, dass der Song in den USA zensiert läuft. Denn als Trent Reznor „I want to fuck you like an animal“ ins Mikro brüllt, da wird das F-Wort einfach ausgeblendet.

Nicht lange nachdem NIN uns akustisch hocherfreut haben, erreichen wir Bethany Beach/Delaware.

Bethany Beach

Jutta hat während der Fahrt einen tollen Parkplatz gefunden, der erstens nichts kostet und zweitens direkt am Atlantik liegt. Viele nette Apartments werden hier zur Miete angeboten. Kein Wunder, denn der Strand ist endlos. Nachdem LEMMY eingeparkt ist auf diesem kleinen Parkplatz zwischen den Häusern, schnappen wir uns zwei Bier aus dem Kühlschrank und stülpen jeweils einen Beercooler drüber. So kann niemand sehen was wir hier trinken. Denn das Trinken von Alkohol ist in den USA bekanntermaßen in der Öffentlichkeit verboten. Jetzt ab an den Strand und den Sonnenuntergang genießen. Der Blick rechts und links am Meer entlang geht wirklich meilenweit.

Atlantic Ocean

Wir atmen die frische Meeresbrise in vollen Zügen ein und beobachten die wenigen Spaziergänger. Mal führt jemand seinen Hund aus, dann kommt ein Pärchen Hand in Hand vorbei und die ein und andere Person läuft für sich am Strand entlang. Wir genießen die Ruhe und hören jetzt nur noch das seichte Aufschlagen der Wellen und den leisen Wind. Die Sonne zieht sich zurück, so dass uns ein herrliches Abendrot über dem Meer geboten wird.

Auf dem Weg zurück zum Parkplatz kommt uns ein anderes Paar entgegen. Sie hält einen Drink in der Hand. Es ist ein durchsichtiges Glas mit klarer Flüssigkeit und einigen Eiswürfeln.

Ob das unser Camper da auf dem Parkplatz ist, möchte sie gerne wissen.

„Ja, das ist unserer.“, sagen wir ihr.

Sie teilt uns mit, dass sie LEMMY liebt und erhebt ihr Glas. „Cheers!“, sagt sie zum Abschied und anschließend noch: „I also love Gin Tonic!“ mit einem Augenzwinkern in Richtung ihres Drinks und einem Lächeln auf den Lippen.

Parkplatz Bethany Beach

Ich sage ebenfalls: „Cheers!“ und dann noch „Pabst Blue Ribbon!“, und denke: „Unsere Wege werden sich wohl nie wieder kreuzen.“ Mit einem großartigen Gefühl endet dieser Tag, dem Frühling ein wenig näher gekommen.

Ein weiterer Road Day steht an „down the Eastcoast“. Es wird ein langer Fahrtag werden. Das steht fest. Es werden nur die Vorräte im Food Lion etwas aufgestockt und der Dieseltank muss dringend aufgefüllt werden.

Das Tanken ist manchmal etwas umständlich für uns, denn es gibt verschiedene Abläufe, die an jeder Tankstelle anders sein können. Wenn alles perfekt läuft, dann können wir an der Zapfsäule mit Kreditkarte zahlen und tanken soviel wir wollen. Wenn es gut, aber nicht perfekt läuft, dann zahlen wir an der Zapfsäule mit Kreditkarte, aber bei 100 Dollar ist ein Limit erreicht, egal ob der Tank voll ist oder nicht. Mein 140 Liter Tank ist in der Regel nicht voll, wenn das Limit erreicht ist. Und ich muss wieder von vorne anfangen und einen zweiten Tankvorgang starten.

Diesel für Lemmy, Bier für Jürgen, cheers!

Dann gibt es die Variante, dass der Tankwart an der Kasse die Zapfsäule freischalten muss. Dafür muss man hinein gehen, bzw., Jutta geht hinein, um ihm zu sagen, was wir möchten. Da gibt es auch wieder verschieden Szenarien. Entweder es läuft perfekt, dann schaltet er die Zapfsäule frei und ich kann voll tanken oder aber, es ist dasselbe Spielchen mit dem 100 Dollar Limit. Dann ist es so, dass Jutta vorher eine Summe nennen und bezahlen muss, egal ob bar oder mit Kreditkarte (wobei der Barpreis immer etwas günstiger ist) und er erst nach Bezahlung die Zapfsäule für exakt die bereits bezahlte Summe freischalten kann.

Habe ich mich verschätzt und Jutta nicht die exakten Angaben mit auf den Weg gegeben und sie hat zu viel bezahlt, bekommt sie die Differenz am Ende des Tankvorgangs wieder zurück. War es zu wenig, dann starte ich wieder einen zweiten Tankvorgang. Zum Glück zeigt mir der Bordcomputer relativ genau an, wieviel Diesel ich bereits verfahren habe. Er zeigt mir allerdings nicht an, was wir beim Heizen verbraucht haben. Ach, und dann kann es noch sein, dass man an der Zapfsäule einen Hebel umlegen muss, sonst fließt kein Kraftstoff. Im Grunde ist es aber halb so wild, hat man diese verschiedenen Situationen alle mal durchgemacht.

Nach anstrengendem Tankvorgang – Schnäppchenbier!

Gegen Abend kommen wir in Washington/North Carolina an. Wir parken weit hinten auf einem Einkaufszentrumsparkplatz und wollen nur noch einen ruhigen Abend verbringen und uns von der langen Fahrt erholen. Denn schon morgen steht ein weiterer Fahrtag an. Der Overnight Platz ist an sich super, nur leider treffen sich hier heute am Samstagein paar Jungs mit ihren Muscle Cars. Die Motoren dröhnen und es scheint, sie wollen abchecken wer „den Lautesten“ hat.

Dieser Ort erinnert mich an den Parkplatz aus „Zurück in die Zukunft“, als Doc Brown Marty Mc Fly seine Zeitmaschine in einem DeLorean vorstellt. Nach einer Weile, als ich mal wieder aus dem Fenster schaue, sehe ich einen Streifenwagen. Er stellt sich nur in die Nähe der Jungs und zeigt Präsenz. Irgendwann wird es dann auch ruhiger und wir können gut schlafen.

Unser grobes Ziel ist noch immer Florida, genauer gesagt Miami. So wie es vor einer Weile noch Portland/Maine war, das wir allerdings nie erreicht haben. Schaffen können wir Florida, geschweige denn Miami, von hier aus noch nicht. Aber Savannah/Georgia liegt in realistischer Reichweite. Das wollen wir versuchen. Es sind fast 400 Meilen und knapp sechs Stunden zu fahren, ohne große Pausen. Aber da wir früh starten gehen wir es an.

Fahrtag Nummer drei oder anders gesagt: „Project Endless Summer“ (Das habe ich auf einem Kennzeichen eines PKW aus Florida gesehen) wird fortgesetzt.

Eigentlich hätten wir hier in North Carolina Onkel und Tante und Cousin und Cousine von meiner Kollegin Corinna besuchen sollen. Doch wir haben uns nicht rechtzeitig angemeldet und wollen sie auch nicht so kurzfristig überfallen. Sie rechneten zwar schon damit, dass wir irgendwann im Verlauf unserer Reise mal vorbei kommen, aber schließlich haben wir uns dagegen entschieden. Unsere Route sollte entlang der Küste nach Süden führen. Sie leben in Charlotte, etwas weiter im Land. Und wie gesagt, wir wollen sie nicht kurzfristig in Verlegenheit bringen und plötzlich vor der Tür stehen. Es wäre selbstverständlich alles planbar gewesen, aber Jutta und ich entscheiden oft spontan und sehr kurzfristig, was den weiteren Verlauf der Reise betrifft.

In der selben Stadt hätte es einen weiteren Grund für einen Zwischenstopp gegeben. Damit tat ich mich allerdings schwer ohne eine Einladung erhalten zu haben.

Im Jahr 1999 war ich mit unserer Tanzkompanie auf Gastspielreise. Unsere damalige Choreografin war Susanne Linke und wir tourten mit drei ihrer Stücke. Das eine war „Frauenballett“, das Andere „Also Egmond, bitte“. Aber das für mich beste Stück dieser zweiwöchigen Reise war „Heiße Luft“. Bei dieser Produktion hatte ich auch am meisten zu tun, aber das nur am Rande. Wir spielten eine Woche in Jakarta/Indonesien und die zweite Woche in Seoul/Südkorea. Ich könnte ein ganzes Buch schreiben, allein über diese Gastspielreise.

Den Kollegen treffen wir in den Everglades!

Aber um jetzt die Kurve zu kriegen nach Charlotte und dem anderen Grund dort Halt zu machen: Miyoung Kim. Sie war in Seoul unser Dolmetscherin und ohne sie wären wir total aufgeschmissen gewesen. Sie sprach mit viel koreanischem Akzent, aber sie sprach Englisch. Und wir fanden uns auf Anhieb sehr sympathisch und haben uns super gut verstanden. Irgendwann ging sie weg aus Korea, ihre Wege führten sie nach Hawaii. Unser Kontakt blieb über die Jahre stabil. Wir schrieben uns Mails und wieder vergingen Jahre und sie lebte irgendwann in Alaska und schließlich verschlug es Miyoung nach Charlotte in North Carolina.

Die Mails wurden nach etlichen Jahren weniger, aber der Kontakt brach nie ganz ab. Mal waren drei Jahre ins Land gegangen ohne Mail, mal nur ein Jahr, aber immer wieder schrieben wir und erkundigten uns, wie es dem Anderen so erging. Später kam dann Facebook als Plattform dazu und der Kontakt wurde wieder etwas intensiver. Hier verfolgte sie dann auch sehr interessiert unsere Reisen in ferne Länder. Wir redeten immer davon, uns eines Tages wieder zu sehen. Sei es in Bremen, weil sie es mal nach Deutschland schafft, oder aber wo immer sie aktuell in Amerika lebt.

Leider beließen wir es dabei darüber zu reden und als dann tatsächlich die Chance da ist, da verstreicht sie ungenutzt. Denn ich warte vergebens darauf, eine Einladung von ihr zu erhalten. Sie bekommt es ja mit, wo wir uns aktuell befinden. Sie kommentiert gelegentlich einen Beitrag von mir oder stellt eine Frage. Manchmal bleibt es bei einem „Like“. Ich unternehme leider auch nichts, um auf ein gemeinsames Wiedersehen zu sprechen zu kommen. So fahren wir durch einen Bundesstaat nach dem anderen, bis wir schließlich in North Carolina sind. Und ich hätte Miyoung unglaublich gerne wieder gesehen nach mehr als 20 Jahren. Aber jetzt ist es zu spät, zu knapp die Zeit. Es gilt das Gleiche wie bei Corinnas Verwandten. Ich will sie nicht in Verlegenheit bringen und ihr keine Unannehmlichkeiten bereiten. Dies wird vermutlich ein weiterer Abschnitt in meinem Leben, der ungenutzt an mir vorüber zieht und ich es danach nur noch bedauern kann, nicht selbst die Initiative ergriffen zu haben. That’s life.

Wir lassen einen weiteren Bundesstaat hinter uns und ein Neuer heißt uns willkommen: Georgia.

Kein Willkommenschild von Georgia, aber ein bisschen was zum Lernen!

Jutta sucht nach einem Rocksender und wie fast immer gelingt das ganz gut. Was nicht so gut ist, ist der Empfang von unserem Radio. Denn die Kabine und besonders der Alkoven, in dem wir schlafen, beeinträchtigt den Empfang und das Signal, das bei der Antenne ankommen sollte. Aber damit können wir ganz gut leben, denn wenn das Signal zu schwach wird, dann sucht Jutta flugs einen neuen Sender oder aber der USB Stick, randvoll mit geilen Road Songs, wird abgespielt.

Ich murmel vor mich hin während das Radio läuft und wieder eine dieser bescheuerten Endloswerbungen kommt: „Hannah Montana does the African Savannah…“ Jutta guckt fragend zu mir rüber. Ich gucke fragend zu Jutta rüber. „Was is?“, frage ich. „Was murmelst du da vor dich hin?“ Etwas lauter sage ich, „Hannah Montana does the African Savannah. Da muss ich die ganze Zeit dran denken, seit wir beschlossen haben nach Savannah zu fahren. Das ist aus dem Nick Cave Song Higgs Boson Blues.“

Sie guckt immer nach fragend.

Ich sage noch mal, diesmal etwas eindrücklicher: „Higgs Boson Blues.“ Die Fragezeichen verschwinden nicht aus ihrem Blick und sie schüttelt den Kopf. „Ich spiel dir den heute Abend mal vor, das ist einfach ein genialer Song. Den solltest du kennen.“

Woher ICH diesen Song kenne? Von meiner Freundin Maddi. Ich weiß nicht mehr wann, ich weiß nicht mehr wo, aber irgendwann fragte sie mich mal, ob ich den „Higgs Boson Blues“ kenne, von Nick Cave. Ich sagte ihr, dass ich ihn nicht kenne, dass ich fast gar nichts von Nick Cave kenne.

„Den musst du dir unbedingt anhören. Aber wenn du ihn dir anhörst, dann mach das in deiner Garage, in der „Mermaid Lounge“ und hör ihn dir laut an, versprich mir das.“

Ich versprach es ihr. Und es vergingen Tage, vielleicht sogar Wochen, doch dann fiel es mir wieder ein. Ich war gerade in meiner Garage, nach einer Spätschicht und wollte noch etwas Musik hören und ein paar Bier trinken. Das Licht war gedimmt, Anlage und Laptop waren an. Der Kühlschrank in der Mermaid Lounge ist immer gut gefüllt, ich nahm ein eiskaltes Hemelinger und stülpte einen Cooler drüber. Ich tippte auf meiner Tastatur YouTube, Nick Cave und Higgs Boson Blues ein. Dann drehte ich den Lautstärkeregler hoch. Ich trank von meinem Hemelinger, verfolgte gebannt das Musikvideo auf meinem Monitor an der Wand und war so was von begeistert, dass dieser Song mich seitdem nicht mehr los lässt.

Hört ihr den Higgs Boson Blues?

Es ist bereits dunkel und ich habe gerade eben links an der Straße ein Reh gesehen. Zum Glück ist es stehen geblieben. Aber jetzt bin ich sensibilisiert und fahre noch aufmerksamer. Mist, jetzt sehe ich überall Rehe, denn die blöden amerikanischen Briefkästen an der Straße sehen im Dunkeln und von Weitem aus, wie irgendwelche Tiere, die im nächsten Augenblick auf die Straße springen wollen. Und eine halbe Stunde später passiert genau das, von links ein Reh. Es läuft auf die Straße, aber ich sehe es rechtzeitig. Ich bremse und blende ab, dann springen noch drei hinterher.

Wir kommen glücklich und ohne Kollision in Savannah an. Der Parkplatz Juttas Wahl ist dieses Mal bei Cracker Barrel, einer Restaurantkette, üblicherweise an den US-amerikanischen Highways, mit guter und preiswerter Hausmannskost. Dort findet man immer einen Overnight Stellplatz. Ich mache noch einen Post von unserem aktuellen Standort auf Facebook und Instagram und werde überrascht sein, welche Reaktionen mich am nächsten Morgen erwarten.

Würde mich jemand fragen, was ich über Savannah/Georgia weiß, dann würde ich antworten: „Dort kannst du günstig Öl kaufen, aber sie haben nie viel im Hafen auf Lager.“

Altes Herrenhaus in Savannah – jetzt ein Hotel

Vermutlich würde meine Antwort den Fragenden irritieren und das zu Recht. Denn im Grunde ist das einzige Wissen, das ich über Savannah habe, aus einem Computerspiel. Das habe ich immer sehr gerne mit bzw. gegen Jutta gespielt. Es heißt: „Der Reeder“ und es geht darum, dass jeder Spieler mit seiner Flotte, angefangen mit einem Küstenfrachter, die Weltmeere und den interkontinentalen Handel beherrscht. Wir spielten es gerne auf 20 Jahre angelegt und man kauft und verkauft Waren in den Häfen der Welt. Jeder kann sein Imperium ausbauen und man kann es weit bringen, mit Glück, Verstand und Wagemut. Es beginnt mit einem Küstenfrachter, geht dann weiter über Frachtschiffe, Containerschiffe, Schüttgutfrachter, Öltanker und Supertanker. Es geht um Kredite, um Aktiengeschäfte und weltweiten Handel über alle Weltmeere und den bedeutendsten Häfen auf allen Kontinenten. Wir haben es immer sehr gerne gespielt, wenn es im Arbeitszimmer etwas aufzuräumen gab, wenn wieder mal Vieles auf dem Ablagestapel zum Abheften lag oder wenn die Regale und Schubladen ausgemistet werden sollten.

Dann hieß es immer abwechselnd: „Du bist dran!“ und Einer kam seinen virtuellen Geschäften nach und der Andere seinen Aufräumarbeiten.

Beim Morgenkaffee sind wir noch unentschlossen, ob wir uns Savannah anschauen oder nicht. Wir haben bis Miami ja noch eine ganz schöne Strecke zurückzulegen. Da trudeln plötzlich einige Nachrichten ein.

Mein Kollege Mirko, der Bühnenmeister, der sein Büro direkt neben meinem hat auf der Seitenbühne des „Kleinen Hauses“ (Schauspielhaus), kommentiert meinen auf Facebook geposteten Standort in etwa folgendermaßen: „Oh ihr seit in Savannah, da habe ich schon so viel Gutes von gehört. Schaut euch die Stadt unbedingt an. Ich würde selber gerne mal dort hinreisen.“

Und dann schreibt er mir noch, dass Savannah auch eine Studentenstadt ist und viele hier Architektur studieren und sich an den alten Häusern austoben dürfen. Außerdem sei es dort an einigen Plätzen erlaubt in der Öffentlichkeit Bier zu trinken.

Dann bekomme ich auch noch von Holger eine Nachricht. Er ist Pilot und schreibt, dass Savannah eine Lieblingsdestination seiner ganzen Familie ist.

Jetzt fällt uns die Entscheidung leicht, wir nehmen uns heute ein paar Stunden Zeit für die Stadt und fahren entsprechend eine kürzere Strecke.

Cathedral of St. John the Baptist

Als Erstes fahren wir ins Zentrum zur großen Cathedral of St. John the Baptist. Parken kann ich direkt neben dem kleinen Park mit einem schönen Springbrunnen in der Mitte. Es fallen sofort die vielen schönen Häuser auf und das Südstaatenflair in der Innenstadt. In der Kathedrale findet gerade ein Gottesdienst statt, so dass wir nicht hinein gehen.

Stattdessen bummeln wir etwas durch die von großen, uralten Live Oaks (Virginia Eichen) gesäumten Straßen. Es sieht aus, als würden ihnen lange silberne Bärte wachsen. Dieses spanische Moos werden wir von nun an oft an Bäumen zu sehen bekommen. Jutta ist voll begeistert. Sie liebt alte knorrige Bäume und Wurzeln und wenn alles dann noch mit Moos überzogen ist, kriegt sie sich gar nicht wieder ein.

Mir fällt ein Gully unter dem Bürgersteig auf. Ich höre leise Stimmen, die flüstern: „Wir fliegen hier unten alle.“ und dann: „Willst du einen Ballon?“ Dann fliegt langsam ein roter Ballon von unten aus dem Gully in den Himmel. Ein Clownsgesicht erscheint aus dem Dunkel, es ist Pennywise aus dem Stephen King Roman „ES“ und natürlich spielt sich das alles nur in meiner blühenden Fantasie ab. Aber der Gully sieht genau so aus, wie ich ihn mir beim Verschlingen des Romans vorgestellt habe.

Siehst du Pennywise?

Wir könnten auch schon wieder was essen, es ist Lunchtime. Zum Frühstück gab es nur Kaffee und Müsli. Wir sehen ein hübsches, kleines Lokal, aber schon draußen vor der Tür stehen die Leute Schlange. Wir schauen auf die Karte, die im Fenster hängt und Jutta sieht, was es hier als „Spezialität des Hauses“ gibt.

„OHHH, hier gibt es grüne Tomaten!“, sagt sie völlig aus dem Häuschen. „Grüne Tomaten“ ist der Titel eines ihrer Lieblingsfilme. Wir fragen an der Tür wie lange es wohl dauern würde einen Tisch zu bekommen. Mindestens eine Stunde, bekommen wir als Antwort. Ich sage: „Ach, grüne Tomaten wird hier in den Südstaaten ja wohl öfter auf der Speisekarte stehen.“

Wir entscheiden uns mit dem Besichtigungsprogramm fortzufahren. Wir wollen noch einen schönen Friedhof besuchen und die historische „WORMSLOE Plantage“. Sie wurde 1733 von Noble Jones gegründet und seine Nachfahren haben das Gelände bis 1973 unterhalten. Dann wurde es vom State Georgia übernommen. Wir machen auf dem riesigen Gelände einen ausgedehnten Spaziergang durch endlose Eichenalleen und grüne, urwüchsige Waldlandschaften mit weiten Wiesen am Rande. Das Herrenhaus (gebaut aus einer Mischung aus gemahlenen Austernschalen, Sand und Wasser) ist nur noch eine Ruine und ein kostümierter junger Mann erzählt uns und den wenigen anderen Besuchern etwas über die Geschichte der Familie, die hier gelebt hat und über das Leben in der früheren Epoche.

Wormsloe

Der Friedhof ist nicht so schön, wie ich ihn erwartet habe, aber an einem Grab verweile ich eine ganze Zeit lang. „The DUELLIST`S GRAVE, Georgia 1776

Das liegt an einem wunderschönem Vers auf der Grabinschrift. Es ist das Grab von James Wilde.

Er war Offizier im 8. Regiment und hatte Streit mit einem anderen Offizier. Es kam zum Duell, der genaue Grund für den Streit ist nicht bekannt. James Wilde starb bei diesem Duell als junger Mann und sein Bruder verfasste ein Gedicht zu seinem Tod. Dies ist nur der Anfangsvers:

„My life is like the Summer Rose

That opens to the morning sky;

„But ere the shades of evening close

„Is scattered on the ground – to die“.

Wir verlassen Savannah und Georgia. Grüne Tomaten sehen wir leider niemals wieder auf irgendeiner Speisekarte.

Miami ist nun immer noch nicht in Reichweite für heute. Es sind 485 Meilen von hier aus und knapp sieben Stunden Fahrtzeit, ohne jede Pause. Das wollen wir uns nicht antun. Aber Florida werden wir erreichen. Wir fahren nach Daytona Beach. Das ist nur ungefähr die Hälfte der Strecke. Vorher müssen wir aber wieder tanken. Glücklicherweise ist der Diesel hier viel günstiger als bei uns in Deutschland. In der Tankstelle ist auch gleichzeitig ein Liquor Store, was nicht ungewöhnlich ist in Amerika. Und hier gibt es mal richtig günstiges Bier, da muss ich zuschlagen. Ich nehme zwei 12er Pabst Blue Ribbon Kartons mit und einen 12er Miller Karton. Das alles für unter 30 Dollar. Check!

Jutta sucht die Übernachtungsplätze für uns raus und das macht sie auch richtig super, aber diesmal sorgt es bei mir für etwas Unzufriedenheit. Wir kommen nach ein paar Stunden Fahrt in Daytona Beach an und parken bei Planet Fitness. Dort kann man auch über Nacht umsonst stehen. Nach New York wollten wir natürlich an den Übernachtungskosten sparen und standen bis jetzt auch immer frei, nachdem wir NYC verlassen haben. Dank der iOverlander App. Oft ist aber Overnight Parking verboten, so dass man immer gut recherchieren muss, wo man so halbwegs legal und ungestört stehen kann. Nun, hier ist es erlaubt, aber wir sehen nichts von Daytona Beach.

„Das müssen wir morgen, bevor es weitergeht aber unbedingt nachholen!“, sage ich zu Jutta.

Ich liebe alte Friedhöfe!

Dann diskutieren wir noch etwas und ich plädiere dafür, auch mal selbstständig nach einem Platz zu schauen, ohne sich immer auf die App zu verlassen. Wir können doch einfach mal drauf los fahren, natürlich da wo wir hin wollen und dann fragen wir bei einer Bar oder bei einem Restaurant, ob wir für eine Nacht dort parken dürfen. Schließlich haben wir nur einen sehr kleinen Camper (für amerikanische Verhältnisse jedenfalls) und passen auf fast jeden Parkplatz. Die Parkplätze sind in Amerika selbstverständlich auch alle deutlich größer, als wir es in Europa gewohnt sind, denn die riesigen Pickup Trucks sind sehr beliebt. Jutta wendet ein, dass wir dann ja nicht umsonst stehen, weil wir dort etwas Essen und Trinken müssen. Ich halte dagegen, dass ich in die Kneipe ja sowieso gegangen wäre. Das übliche kleine Geplänkel halt.

Auf diesem Platz hier realisieren wir, wie viele Menschen in ihren Autos leben müssen. Dabei können sich noch diejenigen glücklich schätzen, die ein altes Wohnmobil haben oder einen Caravan. Viele leben einfach auch in ihren PKWs. Man erkennt es daran, das die Fenster zugehängt sind. Manchmal stapeln sich auch Tüten und andere Habseligkeiten auf den Sitzen. Hin und wieder bekommen wir mit, wie sie morgens aus ihren Autos steigen.

Overnight Place by Planet Fitness

Es ist für uns ein bedrückendes Gefühl, wenn wir durch dieses großartige Land fahren und an solchen Plätzen parken um Geld zu sparen, während Andere hier so leben müssen. Immerhin haben sie die Möglichkeit bei Planet Fitness die sanitären Einrichtungen zu nutzen. Wir achten darauf, dass immer noch genügend freie Plätze zur Verfügung stehen, denn auf keinen Fall wollen wir irgendjemand einen benötigten Nachtplatz weg nehmen.

Am nächsten Morgen fahren wir dann an die Beach Road und die ist irrsinnig lang. Hier ist das ganze Partyvolk gut aufgehoben. Es grenzt ein Hotel an dem anderen, überall Bars und Restaurants.

Für Entertainment ist hier gesorgt, für alle Altersgruppen. Es gibt Minigolf, Kinos, Erlebnisparks und den ein und anderen Amüsierbetrieb. Auch an Liquor Stores gibt es kein Mangel.

Dann sehen wir einen großen Overlander LKW am Strand stehen und die Diskussion von gestern nimmt noch einmal kurz rasante Züge an, denn da hätte ich auch gerne gestanden.

Ich wende schnell und fahre an einen Parkplatz zurück, wo ich meine eine Strandzufahrt entdeckt zu haben. Da ist es dann auch schon und ich fahre drauf, parke und wir schauen uns das, von einer Dame besetzte, Kassenhäuschen an. Overnight Parking ist hier verboten, doch tagsüber darf man auf den Strand fahren. Entweder hat der LKW einen anderen Strandabschnitt erwischt, hat das Verbot ignoriert (wer soll den auch abschleppen?) oder aber er steht auch nur am Tag dort.

Day use only!!!!!!!

Wir machen auf jeden Fall, wo wir schon mal hier sind, einen kleinen Strandspaziergang. Es ist sehr windig und noch etwas kühl, obwohl wir bereits in Florida sind. Allerdings noch weit im Norden. Aber der Sommer ist schon greifbar nah. Heute Abend wollen wir Miami erreichen.

Der Strand ist endlos, in beide Richtungen. Wir bekommen trotzdem einen guten Eindruck und können uns vorstellen, was hier in ein paar Wochen los sein wird. Denn jetzt ist noch nichts los. Das mag aber auch an dem unangenehmen Wind heute liegen. Hier sieht alles so ähnlich aus wie in „Surfers Paradies“, damals 2008, als wir in Australien die Küste in Queensland hochgefahren sind.

Bald haben wir genug gesehen und machen uns auf nach Miami.

Jaa, man kann mit dem Auto an den Strand fahren!

An einem Visitor Center am Highway machen wir kurz halt, um nach einem Nationalpark Pass für alle Parks in den USA zu fragen. Den gibt es hier leider nicht. Die nette Dame erklärt uns zwar, wo wir so einen Pass bekommen können, aber wir verstehen es nicht richtig und belassen es erstmal dabei.

Allerdings will Jutta noch einen SUNPASS haben, damit wir auch auf den mautpflichtigen Highways fahren können. Da gibt es verschieden Möglichkeiten. Von einfachen Aufklebern, die gescannt werden (das kennen wir auch schon aus der Türkei) oder etwas teurer in der Anschaffung, aber langfristig günstiger, einen kleinen Apparat, der ebenfalls an der Windschutzscheibe befestigt wird, mittels Saugnäpfen. Da ist schon ein kleines Guthaben drauf und wir müssen uns registrieren und können online verfolgen, was von der Kreditkarte abgebucht wird.

Das Teil nehmen wir und bringen es direkt hinter dem Tom Tom an, damit es mein Sichtfeld beim Fahren nicht stört. Das Gute daran ist, dass es für mehrere Bundesstaaten gilt und dass wir jetzt auf allen Straßen, Spuren und über alle Brücken fahren können, ohne uns über Mautstellen, Kassenhäuschen oder passendes Kleingeld Gedanken machen müssen. Denn in und um Miami sind etliche kostenpflichtige Highways und Brücken und auch abgetrennte Spuren für Leute, die es eilig haben und extra zahlen, damit sie schneller voran kommen.

Der Verkehr wird immer dichter und die Autos fahren immer wilder durcheinander. Von wegen Spurtreue, davon ist hier nicht mehr viel zu merken. Jutta ist schon leicht gestresst wegen der chaotischen Fahrweise vieler Verkehrsteilnehmer. Mir ist es egal, ob sie links und rechts an mir vorbeiziehen. Ich bleibe auf meiner Spur. Meistens halte ich mich tendenziell mittig oder rechts. Denn oft kommen die Aus- und Auffahrten rechts, manchmal einspurig, manchmal zweispurig. Das kann aber durchaus auch links der Fall sein und Spuren gibt es viele. Bis zu 16, acht in jede Richtung. Unterwegs gibt es auch einige Unfälle, dann staut es sich ein wenig und kurz nach der Unfallstelle geht die Raserei von vorne los. Willkommen in Miami.

Ich will gerne nach Downtown und Jutta navigiert mich perfekt durch dieses unübersichtliche Gewirr aus Brücken (zum Teil in mehreren Etagen übereinander), Hochstraßen, Abfahrten links und rechts, bis wir selber an der Abfahrt sind nach DOWNTOWN MIAMI.

Miami Downtown

Ich bin begeistert von der rasanten Fahrt in die Innenstadt und LEMMY durch diese Häuserschluchten zu lenken. Die Leute auf den Straßen laufen alle in T-Shirts und kurzen Hosen rum. Die Ladies zeigen freizügig und sexy was ihr Kleiderschrank zu bieten hat. Wie geil ist das denn, endlich sind wir im Sunshine State Florida angekommen. Und auf den Nummernschildern der Autos steht es: „ENDLESS SUMMER“.

Kurz darauf kommen wir dann auf dem angestrebten Parkplatz an. Ich finde den Platz super, aber am Kassenautomaten steht eine ellenlange Erklärung, wie sich die Preisstaffelung gestaltet. Die erste Stunde kostet 20 Dollar, die Zweite 15 und danach wissen wir nicht wie es weiter geht. Ob wir überhaupt über Nacht stehen dürfen wird uns auch nicht klar. Jutta hat mal wieder recherchiert, dass es in Miami überteuerte Parkplätze gibt, die die Kreditkarte auch noch nachträglich enorm belasten können. Es ist schon spät und wir sind müde. Das heißt mit Ausgehen wird es heute eh nichts mehr. Also packt Jutta ihre Alternative aus und sagt: „Lass uns nach Miami Beach fahren, da habe ich an einem Park einen sicheren Platz. Dort patrouilliert die Polizei auch in der Nacht mehrmals, sagen die Rezensionen bei iOverlander.“

Ich bin einverstanden und wir verlassen Miami Downtown und fahren über einige Brücken rüber nach Miami Beach/South.

Wir finden den Overnightplatz am Park und da es bereits spät ist, stehen hier nur sehr wenige PKW, eine Handvoll vielleicht. Sie haben alle die Fenster von innen blickdicht zugeklebt, teilweise mit Pappe oder Tüten und was sich eben so bietet. So haben sie wenigstens etwas das Gefühl von Privatsphäre. Ein kleines Häuschen bietet ein paar Sitzbänke und Tische und eben auch Toiletten und Waschräume.

Wir sind jedenfalls glücklich nach vier Zwischenübernachtungen und 1477 Meilen im Endless Summer State angekommen zu sein, obwohl ich etwas enttäuscht bin, weil wir nicht in Downtown stehen. Aber ein Bier genehmigen wir uns noch auf einer der Sitzbänke draußen, bei langersehnten sommerlichen Temperaturen.

Wach werden wir ziemlich früh am nächsten Morgen, denn es herrscht reger Verkehr auf diesem Parkplatz. Fast alle Plätze sind belegt und neben uns wurde, während ich noch schlief, eine Covid 19 Teststation aufgebaut. Hinter mir bzw. hinter LEMMY steht ein großer Pappaufsteller, der auf diese Station aufmerksam macht. Doch ich kann mich daran vorbei zirkeln aus der Parklücke, ohne ihn wegstellen zu müssen.

Everglades, wir kommen!

Es geht früh los heute morgen, da wir gestern zeitig im Bett waren und heute kurz nach dem Morgengrauen geweckt wurden. Wir fahren in den Everglades Nationalpark. Das sind ca. 90 Meilen und zwei Stunden auf der Straße. Vorher müssen wir aber noch in Miami einkaufen, weil wir wenigstens drei Tage in den Everglades verbringen wollen.

Glücklicherweise konnte Jutta online, auf einem der Campgrounds im Nationalpark einen Stellplatz ergattern. Wir wundern uns schon sehr darüber, dass bereits Mitte Februar fast alles ausgebucht ist. Den Grund dafür erfahren wir später.

Zunächst geht es zurück nach Downtown um einzukaufen. Das war nicht die beste Idee, die Besorgungen im Zentrum von Miami zu erledigen. Aber ich denke, da wir nun schon mal da sind, ziehen wir es auch durch. Nirgends finde ich einen Parkplatz, auch nicht bei Whole Foods Market. Es gibt zwar überall Parkgaragen, aber da passt LEMMY mit seinen 3 m Höhe natürlich nicht rein. Jutta will dort aber unbedingt richtiges Brot kaufen, weil es in den meisten Läden nur Toast und Weißbrot gibt. Dort aber sollen sie richtig leckere Brotsorten zur Auswahl haben. Ich fahre einmal um den Block und parke im Parkverbot unter einer Brücke.

Ich sage zu Jutta: „Spring du schnell raus und hol uns das beste Brot, das du in die Finger bekommst. Ich warte hier im Auto. Falls der Policeman mich wegschickt, kreise ich um den Block und lade dich wieder ein, sobald du aus dem Laden kommst.“

Jutta eilt los und kommt an einer Ampel an zwei, in schwarzen Anzügen gekleideten Predigern vorbei, die singen und Zettel verteilen. Sie reichen auch ihr eines ihrer Flugblätter, doch sie lehnt ab und steuert zielstrebig auf den Eingang des Ladens zu. Ich beobachte, wie die beiden gottesfürchtigen Männer andere Passanten ansprechen, dann wieder singen, unterstützt von einem Ghettoblaster und gelegentlich einen ihrer Zettel an den Mann und an die Frau bringen. Obwohl einer von den Beiden ein Mikrophon benutzt, verstehe ich nicht, was sie dort kundtun, zu laut ist der Straßenlärm.

Miami by night

Im Rückspiegel sehe ich einen Polizeiwagen von hinten kommen. Doch sie fahren an mir vorbei, haben vermutlich Besseres zu tun als Parksünder zu ermahnen. Dann kommt Jutta auch schon wieder mit einem Brot unter dem Arm.

„Der ist so toll der Laden, da müssen wir unbedingt noch die restlichen Sachen einkaufen. Ich suche einen Whole Foods Market der auf unserem Weg raus aus der Stadt liegt!“

Sie findet einen außerhalb der Innenstadt. Eine halbe Stunde später stehen wir dort an einer Parkuhr und können gemeinsam den Einkauf erledigen, bevor es dann endlich in die Natur geht.

Miami bleibt hinter uns zurück, doch wir kommen wieder. Ich will wenigstens eine Nacht ausgehen in dieser glitzernden Millionenmetropole.

Am Gate in den Everglades Nationalpark bekommen wir leider immer noch keinen Pass, der uns Zutritt zu allen Parks der USA erlaubt. So kaufen wir für 30 Dollar das Ticket für ausschließlich dieses subtropische Naturschutzgebiet, mit einer Gültigkeitsdauer von 7 Tagen.

Es folgt ein weiteres Gate, diesmal zu unserem Long Pine Key Campground. Hier sind wieder 30 Dollar pro Nacht fällig und das ist ein sehr guter Preis. Wir erfahren hier auch, warum es überall so voll ist. Es ist Peak Season. Jetzt, im Frühjahr (15. Februar 2022) steigen die Tagestemperaturen auf nur 30° Celsius. Im Sommer klettern sie auf weit über 40° und die Luftfeuchtigkeit steigt enorm. Auch die Mückenplage nimmt dann deutlich zu und Wildtiersichtungen werden rarer.

Long Pine Key Campground

Der Campground ist riesig und bevor wir unsere Campsite ansteuern, fahren wir einmal rum um uns zu orientieren. Es gibt ein kleines Amphitheater für Naturvorträge und Filmvorführungen der Ranger. Auch ein See ist hier, aber bitte nicht zum Schwimmen nutzen, es gibt Krokodile und Alligatoren. Die Everglades sind der einzige Ort an dem beide Spezies koexistieren.

Die großzügigen Campsites sind inmitten riesiger Pinien und haben allesamt eine Feuerstelle. Das bestellte Firewood bringt der Ranger direkt an den Stellplatz. Als wir unseren Platz sehen sind wir so begeistert, dass wir es ein bisschen bedauern, nur für drei Tage bleiben zu können. Denn dann wird jemand anreisen, der schon vor Wochen reserviert hat.

Auf jeden Fall will ich jetzt, nach langer Zeit, endlich wieder das Tarp aufspannen und den Tisch und die Stühle rausholen aus dem Staufach. Das letzte Mal war es wohl in Cirali/Olympos in der Türkei, wo ich das ganze Programm draußen aufgebaut hatte. Es müsste Ende November gewesen sein, als wir bei sommerlichen Temperaturen bis spät in der Nacht draußen am Lagerfeuer gesessen haben. Jetzt ist es Mitte Februar und wir können wieder lange Abende am Campfire genießen. Und warum sollten wir damit warten? Ich habe gleich zwei Bündel Firewood bestellt und kurze Zeit später kommt der Ranger vorgefahren und lädt es bei uns ab. Bezahlt wird später beim Auschecken. Jutta kümmert sich um das Essen, ich mich um das Feuer. Cheers!

Long Pine Key Camp

Die erste Nacht draußen am Campfire ist traumhaft. Nicht nur, weil wir dem Winter entkommen sind und aus dem Frühling, den wir unterwegs schon erlebt haben, jetzt Sommer geworden ist. Nein, auch weil wir begrüßt werden mit einem klaren Sternenhimmel und einem hell leuchtenden Mond. Hier wird sehr darauf geachtet, dass es nur sehr wenig Lightpollution (Lichtverschmutzung) gibt. Hier stören keine Begrenzungslichter oder Laternen. So kann Mensch und Tier einen richtig klaren, schwarzen Nachthimmel erleben, den es in sonst kaum noch gibt.

Wir lauschen dem Knistern des Feuers und den Stimmen der Nacht. Es ist einfach fabelhaft so lange reisen zu können und bedingt Einfluss zu nehmen auf die Jahreszeiten bzw. die Route so anzupassen, dass man vom Winter in den Sommer fährt. In den USA ist das möglich.

Was ich noch so sehr an langen Lagerfeuerabenden liebe, dass sind die tollen und entspannten Gespräche, die sich entwickeln. Bei einem kühlen Bier oder einem süffigem Wein kommen wir oft ins Plaudern. (Obwohl wir auch ohne ein komisches Gefühl mal eine ganze Weile schweigen können!)

Hier und heute ist das vorherrschende Thema dieser großartige Platz, dass wir in vier Tagen eine gewaltige Strecke zurückgelegt haben und wir wirklich sehr glücklich sind über dieses Privileg so eine Reise unternehmen zu können. Wir machen es uns von Zeit zu Zeit immer wieder bewusst, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist und wir dankbar sein können für jeden neuen Tag, den wir erleben.

Und jetzt nen schönen Gruselfilm

Wir reden auch über die ganzen Eindrücke, die bereits hinter uns liegen und über das, was noch alles kommen mag. Mir selber hilft es unwahrscheinlich diesen Blog zu schreiben, denn dann erlebe ich alles ein zweites Mal. Und Jutta hilft es auch, denn wenn sie mir vorliest, was ich neu verfasst habe, dann taucht sie auch wieder ein und erlebt Vergangenes, wie ich ein weiteres Mal.

Wir reden heute auch über Pythons, die zur regelrechten Plage geworden sind, denn sie haben hier keine natürlichen Feinde. Mittlerweile sind sie endemisch geworden und bedrohen viele andere Arten, weil sie diese vertilgen. Wir wurden angehalten jede Phytonsichtung sofort melden. Das gilt natürlich auch für Bären (einer wurde im anderen Camp neulich gesichtet) und selbstverständlich auch für Krokodile.

Ich werde morgen eine Begegnung mit einer Schlange haben und in wenigen Tagen wird mein ganzer Körper für mehr als zwei Wochen gezeichnet sein, durch eigene Dummheit.

Jutta hat bald genug für heute und zieht sich müde, aber äußerst zufrieden zurück.

Ich brauche in der Regel etwas länger bis zur nötigen Bettschwere und hole mir noch ein eisgekühltes Bier aus dem Kühlschrank. Dann lege ich noch etwas Holz nach und genieße den Blick durch die Pinien auf den hellen Mond und den klaren Sternenhimmel.

Meine Gedanken schweifen umher. Ich habe wieder Zeit, wie damals in Georgien, im Vashlovani Nationalpark, als ich beobachtete, wie die Erde sich dreht. Ich sehe es jetzt wieder und bin gleichermaßen fasziniert wie damals. Etwas ist aber anders. Jetzt wandert der Mond, den ich diesmal unter Beobachtung habe, nicht im Uhrzeigersinn nach rechts auf die Baumspitze zu, sondern er wandert am Baumstamm entlang senkrecht nach oben.

Was man so alles wahrnimmt, wenn man die Zeit und Muße dazu hat ist erstaunlich.

Ich denke auch an „den Blonden“. Das ist Torre, mein guter, alter Freund aus Kindheitstagen. Ich nenne ihn immer noch „Blonder“, weil er blond ist. Er nennt mich immer noch „Schwarzer“, weil ich mir, seit ich 16 Jahre alt war, die Haare habe schwarz färben lassen. Das mache ich allerdings seit Jahren nicht mehr, trotzdem ist mir der Name geblieben.

Wir haben früher immer gemeinsam den Sternenhimmel bewundert, wenn wir zum Rauchen nach draußen an die Kellertreppe gegangen sind. Er war fast jeden Abend bei mir, als wir noch bei unseren Müttern gewohnt haben. Ich hatte einen kleinen Kellerraum in unserem damaligen Mietshaus als Zimmer hergerichtet. Dieser Kellerraum war auch Treffpunkt einer kleinen, auserwählten Gemeinschaft und Ort der einen und anderen wilden Party.

Ich denke: „Hey Schwarzer, hol dir noch ein Bier aus dem Kühlschrank und dann geh auch mal bald ins Bett.“ Was für ein perfekter Tag.

Lagerfeuer bei Nacht, was gibt es schöneres?

Heute haben wir etwas Programm, Jutta hat eine Bootstour gebucht, um etwas mehr über Flora und Fauna in den Everglades zu erfahren. Aber ganz besonders wollen wir Krokodile und Alligatoren sehen. Und ich will gerne mit LEMMY an die Küste fahren, an den mexikanischen Golf. Vorher ist allerdings Frühstück angesagt und das wird endlich wieder draußen stattfinden. Nur schnell ein T-Shirt an, in die kurze Hose schlüpfen und mehr braucht es nicht in diesem subtropischen Klima.

Unser Campsite ist groß und wir stehen strategisch günstig, so dass wir keine Nachbarn sehen. Nur üppig grüne Natur und die hohen Pinien, die mittlerweile den 1. Rang auf der Liste meiner Lieblingsbäume erreicht haben.

Leider hören wir unsere Nachbarn schon morgens, denn sie benötigen Strom, mit ihren riesigen Wohnwagen und RVs, die nicht selten die Größe von Reisebussen überschreiten. Zur Grundausstattung so eines Luxusliners gehört sicher eine Mikrowelle, ein Backofen, der obligatorische Kühlschrank in entsprechender Größe, Kaffeemaschine und vermutlich sogar eine Spül- und Waschmaschine. Ganz zu schweigen von den Slideouts.

Weil es auf diesem tollen Campground keine Stromanschlüsse gibt, müssen sie von Zeit zu Zeit ihre Generatoren anschmeißen. Zum Glück ist damit ab acht Uhr abends Schluss, denn das monotone Brummen nervt schon etwas.

Ich vermute, dass es auch in den USA durch Corona, einen regelrechten Campingboom gegeben hat, wie bei uns in Europa. Ein Campingland ist Nordamerika seit jeher, aber was wir auf der weiteren Reise erleben werden, damit hätten wir im Leben nicht gerechnet.

Breakfast in America

Wir genießen aber zunächst unser ausgiebiges Frühstück, wie im eigenen Garten und danach mache ich mich auf den Weg zur Dusche. Wenn die sanitären Einrichtungen in den Camps der State-, Provincial- und Nationalparks für gut befunden werden, dann nutzen wir sie selbstverständlich auch.

Nach einer erfrischenden Dusche mache ich mich auf den Rückweg. Bedauerlicherweise bliebt mein Mobilphone im Auto zurück und ich kann nicht fotografieren, was mir da über den Weg läuft.

„Läuft“ stimmt eigentlich auch nicht, schlängelt trifft es schon eher. Es ist eine kleine, noch junge Schlange und ich schaue fasziniert zu, wie sie einen Meter vor mir über den Asphalt kriecht. Sie ist langsam ohne Eile unterwegs und ich denke nicht eine Sekunde daran, was passieren könnte.Denn sie beachtet mich auch nicht. Ich höre ein Auto hinter mir und drehe mich um. Mit meiner rechten Hand bedeute ich dem Fahrer anzuhalten (schließlich soll er dieses junge Leben nicht jetzt schon beenden) und mit der linken Hand zeige ich auf die Schlange.

Er streckt seinen Kopf aus dem Fenster und fragt: „It’s a rattle?“

Ich sage: „Yeah, it is a rattle!“

Ich habe keine Ahnung, ob es ne „Rattle“ ist. Aber ich weiß es gibt sie hier und wenn er so gezielt danach fragt, dann wird es wohl eine sein.

Es kommt noch jemand vorbei, der weiß es ganz genau. Es ist eine Diamondback Rattlesnake. Eine Giftschlange. Ohne groß Notiz von uns zu nehmen, ist sie unter dem parkenden Auto eines anderen Campers verschwunden. Ich klopfe kurz an seinen RV und teile ihm mit, was wir gerade beobachtet haben. Denn er könnte ja Kinder haben oder selber gleich ins Auto steigen wollen. Begeistert kommt er heraus und wir sehen nur noch wie die kleine Klapperschlange im Busch verschwindet.

Freudestrahlend berichte ich Jutta, was ich gerade erlebt habe. Nachdem auch sie geduscht hat, beginnt unser Tagesprogramm.

Zuerst fahren wir durch dieses einzigartige Naturschutzgebiet. Es gibt nur eine Straße, die hier durch führt. Hin und wieder zweigen ein paar unasphaltierte Wege ab, manche sind nur für autorisierte Personen, in Andere dürfen auch wir rein fahren. Neben der Strecke ist links und rechts ein breiter Grünstreifen. Damit man Reaktionszeit gewinnt, sollte ein wildes Tier sich der Straße nähern. Wir haben eine Karte dabei, auf der die ganzen Trails eingezeichnet sind und die Highlights, die es zu bestaunen gibt. Das verschieben wir aber auf morgen.

Was ist wohl auf der anderen Seite vom Golf?

Angekommen am Golf von Mexiko, parke ich LEMMY und wir spazieren ans Meer, über eine große Grünfläche, auf der einige Familien, auf ihren Wolldecken sitzend, brunchen. Es ist heiß und ich liebe es. So knapp unter 30° werden es wohl sein.

Nach diesem netten kleinen Abstecher geht es weiter zu unserem Termin. Ein kurzes Stück fahren wir zurück, denn weiter ginge es eh nicht. Wir sind bis ans Ende der Everglades gefahren.

Pünktlich angekommen, parke ich erneut und wir holen unsere online reservierten Tickets am Ticketcounter ab. Jetzt erfahren wir noch wo unser Boot startet und wir haben etwas Zeit uns im überschaubaren Hafen umzuschauen. Von der Brücke sehen wir das erste Mal ein Manatee, eine Rundschwanzseekuh. Ganz entspannt treibt sie im Wasser und weidet das Seegras ab. Dort drüben, am anderen Ende der Brücke, steht eine kleine Menschentraube, obwohl am Brückenanfang gut sichtbar ein Verbotsschild angebracht ist: „Authorized Persons Only!“

Das ist echt!

Wir schauen wohl etwas irritiert und werden darauf hingewiesen, dass dort ein großes Krokodil für diesen Menschenauflauf sorgt. Das Verbot ignorierend, betreten wir die Brücke und staunen nicht schlecht bei dem Anblick. Ein Koloss von etwa 3,5 Metern Länge liegt dort in der Sonne und mit dem Hinterteil im Wasser. Wir sind nur ein, zwei Meter entfernt, jedoch auf der Brücke in Sicherheit. Das Krokodil liegt reglos da, es sieht fast aus, als sei es aus Stein gemeißelt. Ich will es, nachdem mir schon die Diamondback Rattlesnake ohne Foto entwischt ist, von vorne ablichten. Ich bin angespannt bis in die Fußspitzen und bereit, bei der kleinsten Bewegung dieses monströsen Urviehs, zurückzuspringen und mich auf die Brücke zu retten. Aber es rührt sich nicht vom Fleck. Ich mache tolle Fotos und die Wartezeit bis unser Boot ablegt haben wir auch gut genutzt.

Wir kommen als Letzte am Steg an und sind freudig erstaunt, das wir nur zu Acht sind an Bord. Der Kapitän des kleinen Bootes, ein Ranger, der uns alles Wissenswerte erzählt über die Everglades und die heimische bzw. heimisch gewordene Tierwelt und dann nur noch Jutta, ich und zwei andere Paare. Dort am Anleger sehen wir wieder ein paar Manatees.

Alligator

Wir fahren durch die Mangroven, sehen sehr viele Vögel und zwei Alligatoren, die faul im Wasser liegen und sich sonnen. So ein riesiges Krokodil können wir nicht noch einmal entdecken. Dann geht es sogar etwas raus aus den Flussläufen, in die offenere See. Dort sehen wir die Überreste eines alten Pfahlbaus. Das war mal ein Restaurant. Dort sind früher die Fischer, direkt nach ihrem Angelausflug mit ihrem Fang hingefahren, um sich alles frisch zubereiten zu lassen.

Besser nicht aus dem Boot fallen!

Wir erfahren auch von giftigen Pflanzen, deren Blätter bei Hautkontakt ganz üblen Ausschlag verursachen bzw. die Haut richtig verätzen. Vor diesen Bäumen wurden wir am Visitorcenter allerdings auch schon gewarnt und es gibt überall Bilder davon zu sehen. Was wir noch nicht wussten und jetzt von unserem Ranger erfahren. Man soll bei Regen auf keinem Fall unter so einer Pflanze stehen, denn auch der Regen wird toxisch und führt zu den gleichen Symptomen wie bei direktem Hautkontakt. Er erzählt uns auch, wie die Pflanze damals bei Feinden eingesetzt wurde. Sie wurden an einen Baum gefesselt und mit den Blätterranken umwickelt. Obwohl der Poison Wood Tree oder Poison Tree hier überall wächst und wir ihn sofort erkennen, wollen wir nicht ausprobieren, wie es sich auf der eigenen Haut anfühlt.

Nach ca. zweieinhalb Stunden ist diese lehrreiche und wunderschöne Bootstour beendet und wir fahren zurück in unser Camp. Den Abend lassen wir gemütlich am Lagerfeuer ausklingen.

Das Frühstück am Morgen wird genauso zelebriert wie gestern, mit viel Kaffee, Orangensaft und reichlich Auswahl aus dem Kühlschrank.

Zum Duschen nehme ich mein Handy heute mal mit. Wer weiß, ob nicht vielleicht eine kleine Rattlesnake unterwegs ist?

Naturparadies Everglades

Heute wollen wir einige der Trails laufen, die auf unserer Everglades Map als besonders schön gekennzeichnet sind. Dazu brauchen wir wieder das Auto, da die Entfernungen zwischen den Wanderwegen groß sind. Hin und wieder fahre ich auch mal von der Straße ab, um einen Eindruck zu bekommen, wie die schlechteren Gravel- und Dirtroads hier sind. Ich würde ja viel lieber nur so was fahren, ich brauche mit LEMMY keinen Asphalt unter den Rädern. Meistens enden diese Dirtroads hier aber schnell im Nirgendwo und wir drehen wieder um.

Alle Trails die wir laufen sind unterschiedlich und überall gibt es Infotafeln, so dass wir auch hier eine Menge Informationen bekommen und Einiges dazulernen. Zum Teil laufen wir auf Holzstegen und schauen runter in die Sümpfe, immer auf der Suche nach Pythons, Klapperschlangen und Krokodilen oder Alligatoren. Manchmal gehen wir auch auf normalen Dschungelpfaden, durch diese subtropischen Sumpflandschaften. Wir gehen mit Bedacht und aufmerksam, um jeglichen Kontakt mit der giftigen Pflanze zu vermeiden.

Irgendwann geht es dann mit dem Auto weiter zum nächsten Trail und ich sehe aus dem Augenwinkel etwas auf dem rechten Grünstreifen neben der Straße liegen. Ich trete ordentlich auf die Bremse und da springt es auch schon hoch und richtet sich auf. Es steht jetzt fast senkrecht auf den hinteren Pranken und dem Schwanz und der Kopf ragt in die Höhe. Das geht alles so rasend schnell, dass das Krokodil im Sumpf verschwunden ist, bevor ich den Rückwärtsgang eingelegt habe.

Magic Moments

Ich fahre zurück zu der vermeintlichen Stelle, wo es verschwunden ist und steige aus dem Auto, um vorsichtig ins Unterholz zu schauen. Jutta pfeift mich schon zurück und schimpft: „Geh da nicht so dicht ran, komm wieder ins Auto.“ Ich gehorche.

Das war gerade eben echt aufregend. Die Frage ist nur, wer sich mehr erschrocken hat, das Krokodil oder ich.

Zwei, drei Trails machen wir noch, so dass wir die wichtigsten und interessantesten Punkte gesehen haben und dann geht es wieder nach Hause in unser Camp. Pythons, Klapperschlangen und Krokodile sichten wir keine mehr.

Den letzten Tag im Camp verbringen wir mit Faulenzen, Lesen und LEMMY für die Weiterfahrt präparieren. Ich habe noch einige Aufkleber dabei, die das Auto verzieren sollen. Wir kaufen in den spannendsten Städten wie New York, Istanbul usw. immer Sticker fürs Auto und von den Ländern, die wir bereisen, sowieso. An den beiden Seiten der Kabine hinter Beifahrer und Fahrertür werden sie platziert. Aber vorher ist saubermachen angesagt, der ganze Winterdreck klebt noch dort, wo ich die Sticker haben will. Das Problem lässt sich allerdings schnell lösen. Denn Wasser und Reiniger (Juttas Nagellackentferner wird zweckentfremdet) habe ich dabei.

Mehr Spaziergang als wandern, aber sehr schön!

Ein anderes Problem ist, dass ich Sticker in Form von Länderflaggen dabei habe, mit den Umrissen des jeweiligen Landes. Das sind unter anderem Georgien, Bulgarien und Bosnien & Herzegowina. Bei diesen drei Ländern weiß ich nicht, was oben und was unten ist. Internet hier in der Wildnis? Fehlanzeige. Um mir später eine peinliche Belehrung zu ersparen, will ich vorne am Gate mal fragen, ob sie dort Internet haben und mir bei meinem Problem helfen können.

„Jutta, ich gehe mal eben nach vorne zum Check In!“

Zwei neue Camper kommen gerade, aber es dauert nicht lange, dann bin ich dran. Ich schildere mein Problem und die nette Parkangestellte ist sichtlich amüsiert und hat Spaß mir zu helfen.

Bei Bulgarien geht es schnell und einfach. Sie findet das Land und zeigt mir durchs Fenster die Flagge auf ihrem Monitor. Ich frage nach einem Stift, damit ich mir auf der Rückseite des Stickers eine Markierung machen kann. Nicht das ich es auf dem Rückweg sonst wieder vergessen habe. Dann sage ich, dass ich von Georgia die Länderumrisse brauche. Allerdings vom Land Georgia, nicht vom US Staat. Das klappt auch ganz gut. Zuletzt noch Bosnien & Herzegowina. Nachdem ich es langsam ein paarmal vorgesprochen habe, hat sie es. Alles ist markiert und ich bedanke mich für die unterhaltsame Zusammenarbeit.

Dann kommt leider viel zu schnell der Tag des Abschieds vom Long Pine Key Campground. Alle Plätze sind reserviert und wir müssen unseren Campsite bis 12 Uhr mittags verlassen haben. Da wir wussten, dass es so kommen wird, sind wir nicht ganz so traurig. Auf das was als Nächstes kommt, freue ich mich ganz besonders. Wir fahren die Keys runter, von Key Largo bis nach Key West. 90 Miles to Cuba. Rock’n’roll!

Jutta könnte darauf verzichten den ganzen Weg runter nach Key West zu fahren. Aber für mich ist es sehr wichtig. Ich will auf meiner Weltkarte in der Küche im Waterhole ein Fähnchen setzen.

Key West

Ich finde die geographische Lage von Key West sehr interessant, die Nähe zu Cuba und auch den Weg dorthin. Von einer Brücke über die nächste Brücke, über den Atlantik. Jutta genießt Ausblicke und Landschaften, geographische Lagen lassen sie aber völlig kalt.

Sie konnte auch schon in Istanbul meine Faszination nicht teilen, dass wir über den Bosporus von Europa nach Asien schauen. Oder als wir in Tarifa waren und von der Strandbar, mit einem eiskaltem Bier vor uns, rüber nach Afrika schauen konnten. Ich kann stundenlang verweilen an solchen Spots und nur gucken. Na ja, es sollte auf jeden Fall etwas zu trinken geben dabei.

Als wir wieder Netz haben, teilen wir via Instagram und Facebook erstmal mit, dass es uns gut geht.

Weil wir mehrere Tage nichts von uns hören ließen, kamen bereits besorgte Nachfragen. Niemand wusste vorher, dass wir in die Everglades wollten. Und wir haben nicht darüber nachgedacht, dass sich der ein und andere evtl. wundert, wenn ich normalerweise sonst jeden Tag etwas poste und dann tagelang nichts. Wir wollen uns das nächste Mal rechtzeitig abmelden, wenn es wieder in die Wildnis geht, ohne Internet.

Jutta ist schon fleißig am recherchieren, wo wir denn einen schönen Stellplatz für die anstehende Nacht finden. Das stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Wir wissen es ja bereits, in Florida ist im Februar Peak Season. Da machen die Keys keine Ausnahme.

Sie will wissen, wie weit ich ungefähr fahren will. In Key Largo würde es etwas geben, aber das ist mir nicht weit genug draußen. Key West ist komplett voll, ausgebucht, No Vacancy.

Sie findet einen Campingplatz, der hat noch eine Campsite frei, für eine Nacht. Irgendwo auf der Strecke, mitten auf den Keys, ca. ninety minutes to Key West.

Very small and very hot

Als wir Key Largo bereits im Rückspiegel sehen, findet Jutta doch noch Gefallen an der Strecke. Hier herrscht karibisches Flair. Im Radio dudeln die Sender Reggaemusik und die Häuser werden immer bunter. Der Atlantik unter uns, links und rechts, färbt sich türkisgrün. Es geht von einer Insel zur nächsten, von einer Brücke auf die Folgende. Wir sehen prächtige Villen und Strandhäuser. Oftmals liegen Boote an den hauseigenen Stegen im Wasser.

Keine Badestrände

Aber auch viel Armut gibt es hier. Manche Häuser verfallen und verkommen, doch sie scheinen noch bewohnt zu sein. Große Kontraste offenbaren sich unserem Blickfeld, auch auf der Straße. Es ist aber nicht deprimierender als anderswo. Ich tröste mich ein wenig damit, dass hier der „Endless Summer“ ist und dabei denke ich an den armen Kerl in Bangor, dem ich meine Handschuhe an einer Straßenkreuzung überlassen habe. Er musste dort bei weit unter null Grad frieren, mit wenig warmen Sachen am Leib.

Nach einigen Stunden Fahrt und vielen tollen, neuen Eindrücken kommen wir an. Und es ist hot. Es ist so was von hot, dass wir nun gänzlich das Gefühl haben in den Tropen zu sein. Und ich mache einen entscheidenden Fehler, obwohl ich es besser hätte wissen müssen.

Jutta checkt uns ein auf diesem vollem Campground. Wir sind froh, wenigstens für eine Nacht einen Platz ergattert zu haben. Der erste Eindruck ist schon mal super. Da stehen gleich zwei von den schönen, chromfarbenen Airstreams. Aber wo müssen wir hin? Da vorne rechts und dann wieder links. Überall gibt es Grillstationen und Plätze wo man seinen frisch gefangenen Fisch säubern und küchenfertig machen kann.

Full hook up ist etwas größer!

Es scheint ein beliebter Angler- und Hochseefischer-Campingplatz zu sein. Wir finden unseren Stellplatz und sind hin- und hergerissen, ob wir noch eine weitere Nacht hier verbringen wollen. Die Campsite auf der wir stehen, ist für morgen reserviert, aber evtl. können wir auf einen anderen Platz wechseln. Wir diskutieren, machen einen kleinen Spaziergang am Wasser und überlegen hin und her. Entscheiden können wir uns jetzt noch nicht. Das Wetter ist perfekt für mich, für Jutta ist es schon zu heiß. Zum Schwimmen im Meer ist das hier nichts. Es gibt keinen Badestrand, nur Mangroven und Anlegestellen für die Angler und ihre Boote. Die Camper stehen hier dicht an dicht.

Erstmal ein Bier, schlage ich vor. Wir wägen ab, pro und kontra. Mittlerweile sind wir zurück an unserem Stellplatz. Ich hole was Kaltes zum Trinken aus dem Kühlschrank und Jutta zieht sich was luftigeres an.

Während Jutta sich drinnen Gedanken macht über ihre Garderobe, mache ich draußen eine schockierende Entdeckung. LEMMY is under attack. Eine Riesenspinne spannt ein Spinnennetz von ca. 2 Metern Durchmesser von einem Baum zu meinem Auto. Sie ist so groß wie meine Handfläche, mindestens. Ich bin schockiert und fasziniert zugleich und krame sofort mein Handy aus der Hosentasche. Auch in absoluten Stresssituationen bin ich in der Regel handlungsfähig und mache eine Videoaufnahme von dem Spektakel, das sich da an meinem Fahrzeug abspielt, obwohl ich unter Arachnophobie leide. Bevor wir diesen Platz verlassen, werde ich doppelt und dreifach checken, dass wir keinen blinden Passagier an Bord haben.

Nachdem ich dieses Abenteuer vorerst überstanden habe, müssen wir uns noch einig werden über den morgigen Tag. Wir setzen uns auf die Bank und an den Tisch vor LEMMY. Ich ziehe mir mein Shirt und meine lange Hose aus. Es ist nicht mehr ganz hell und deswegen geniere ich mich nicht. Ich bin nur noch bekleidet mit einer kurzen Shorts und meinen Latschen. Weil es allerdings überall am Körper zwickt, zünde ich zwei von meinen Moskitospiralen an und stelle sie unter den Tisch.

Jutta holt das Moskitospray, sprüht sich ein und reicht es an mich weiter. Ich schmiere mich etwas zu oberflächlich ein, denn ich bin in meinen Gedanken auf die weitere Reise fokussiert, außerdem sind da noch die Moskitospiralen…..denke ich blöderweise.

Wie kann denn das Ende von HWY 1 gleichzeitig Meile 0 sein?Weil das Ende auch ein Anfang ist?

Wir sind uns immer noch nicht sicher, ob wir morgen wegen einer zweiten Nacht anfragen oder ob wir weiterfahren wollen. Ich klatsche mir zwischendurch immer mal wieder auf den Rücken und auf jede andere Körperstelle auch, aber mein Fokus liegt scheinbar zu sehr auf der Routenbesprechung.

„Juckt es dich auch überall?“, frage ich Jutta. „Ja, das ist doch unerträglich hier.“, sagt sie.„OK, dann fahren wir morgen doch einfach weiter nach Key West und danach geht’s nach New Orleans.“, schlage ich vor. Jutta ist einverstanden und damit ist es beschlossen.

Ich klatsche mir zwischendurch auf die Schenkel, die Arme und den Rücken. Ich schlage mich gerade am ganzen Körper selber, um die nervigen Plagegeister loszuwerden. Meine Mückenspiralen aus Asien haben leider nichts gebracht. Hier waren auch keine normalen Mücken am Werk, sondern diese ganz kleinen Mistdinger, die bei uns Gnitzen heißen, in Schottland Midges, in Schweden werden sie Knotts genannt und weiß der Teufel, wie sie hier in der Karibik genannt werden.

Diese verdammten Mistviecher haben mich dermaßen zerstochen, dass ich am ganzen Körper gezeichnet bin. Am nächsten Morgen sehe ich aus wie ein Streuselkuchen. Und es juckt überall. Ich wundere mich immer wieder über mich selber, warum ich so blöd bin und immer wieder einen Sonnenbrand bekomme, wenn ich in den Tropen bin. Warum ich mich zerstechen lasse von Mücken, Gnitzen und Knotts und anderem Getier und warum ich überhaupt Fehler, die ich bereits gemacht habe, noch einmal mache. Wahrscheinlich, weil ich zu blöd bin…

Nach dem zweiten Kaffee reisen wir ab. Gefrühstückt wird IM Camper. Dann geht es weiter nach Key West. Bevor wir fahren suche ich mir einen langen Stock und entferne alle Spinnweben von der Rückseite des Campers. Ich glaube jetzt alle Riesenspinnen entfernt zu haben.

Nach anderthalb Stunden kommen wir in Key West an. Eines wird schnell klar, hier kann man gut feiern. Ich bin sofort verliebt in diese Atmosphäre, nach dem Motto, was kümmert mich morgen, wenn ich doch heute lebe.

Aber man braucht Geld für Key West, viel Geld. Key West ist unverschämt teuer. Wir sind darauf vorbereitet und verbringen nur einen halben Tag in diesem sündhaft teuren Paradies.

Das Hemingway House wird kurz von außen besichtigt, leider ohne die Katzen mit den sechs Zehen zu sehen. Dann schauen wir im Hard Rock Café vorbei und ich kaufe tatsächlich ein T-Shirt, weil mir das Design gefällt. Wir schlendern durch die Straßen und haben immer mehr ein komisches Gefühl. Irgendwie scheint es hier viele Trumpanhänger zu geben und das gefällt uns gar nicht. Wir sehen T-Shirts in den Shops, die Trump propagieren. Es fahren Autos durch die Straßen mit „Fuck Biden“ Nummernschilder oder sie haben den Spruch als Fahne am Auto befestigt. Irgendwie ist uns das alles suspekt.

Davon wollen wir uns allerdings nicht die Laune verderben lassen und bummeln durch die Straßen. Überall in den nach außen offenen Bars und Restaurants wird schon ordentlich gefeiert, es ist gerade erst Mittag. Eine ausgelassene Stimmung und karibisches Flair schwirrt fast greifbar um uns herum. Wir essen an einer relativ preiswerten Imbissbude köstliche, frittierte Mahi Bites.

Highly recommended!

Mahi Mahi ist ein sehr leckerer Fisch und schmeckt uns in allen Variationen, egal ob gebraten, gedämpft, als Sandwich oder als Beer Battered Bites.

Wir müssen immer einen Blick auf die Uhr haben, denn auch unser Parkplatz ist nicht billig. Wir haben für zwei Stunden 20 Dollar bezahlt, weil ich den Kollegen um 10 Bucks runtergehandelt habe. Über Nacht hätten wir hier auch stehen können, für eine unverschämte Summe, aber uns reicht es einen Eindruck mitzunehmen. Beim Reinfahren nach Key West haben wir schon den „Southernmost Point Continental U.S.A.“ gesehen, „90 Miles to Cuba“, aber ich will da noch mal hin zum Fotografieren.

Pünktlich, ohne unser Parklimit zu überschreiten, holen wir LEMMY ab und fahren weiter. Ich sehe schon eine lange Schlange von Leuten an diesem bunten Monument anstehen, die sich alle davor ablichten lassen wollen. Mir reicht ein Foto von dem Stein ohne mich oder Jutta davor. So spare ich mir das lange Anstehen in der Warteschlange und muss nur den Augenblick abpassen, wenn der Wechsel der Leute vor dem Monument stattfindet.

Keine Selfies, Hauptsache LEMMY ist drauf!

Ich suche mir eine Perspektive aus, warte kurz und jetzt ist es soweit. Ein Pärchen verschwindet vor dem Motiv und macht Platz für die nächsten in der Reihe. Ich drücke ab sobald die einen weg sind und bevor die anderen sich in Pose gestellt haben. Check!

Weiter geht es an den Strand. Im Radio läuft ein geiler Song von Elijah Marley, „God’s Country.“ Passender geht es nicht. Gutgelaunt setzen wir unsere Fahrt fort. Vor uns schleicht so eine Art Golfkart, damit fahren die ganzen Urlauber hier überall rum, aber davon lasse ich mir meine gute Laune nicht verderben.

Angekommen an einem karibischen Traumstrand stelle ich LEMMY im Parkverbot ab und mache ein paar schöne Fotos. Wir genießen kurz diese Idylle, aber um ein Knöllchen zu vermeiden geht es dann auch bald weiter. Ich hatte mir ja vorgenommen einen Abend in Miami auszugehen, die richtige Bar habe ich im Internet bereits gefunden. Sie heißt Sand Bar & Kitchen und befindet sich in Miami Beach.

Key West, Caribbean Sea

Mein Recherchejob ist damit erledigt. Juttas Job ist es nun in der Nähe einen guten und sicheren Stellplatz für die Nacht zu finden. Und Miami ist nicht ganz ungefährlich. Soweit ich weiß, gab es dort in den 90er Jahren, vielleicht auch Anfang der 2000er Jahre häufiger Carjacking Vorfälle, die auch Touristen in Leihfahrzeugen betraf. Es kam vermehrt zu Todesfällen und die Autoverleiher haben darauf reagiert und die Mietwagen nicht mehr als solche gekennzeichnet. Wir haben nun keinen Mietwagen, aber sehr speziell ist LEMMY schon. Und jeder erkennt sofort: der Camper ist „not american made“. Und im Auto könnte man durchaus lohnende Beute vermuten, denn unser ganzes Hab und Gut führen wir mit uns. Ich behalte mein Wissen für mich und erzähle Jutta nichts davon, um sie nicht zu beunruhigen. Sie wird es beim Korrekturlesen dieses Blogs erfahren.

Zurück über die Keys geht es schneller voran als auf dem Hinweg. Da hatten wir sehr viel Verkehr auf den Inseln gehabt, jetzt kommen wir gut und zügig durch. Es ist etwas bewölkt heute, aber wenn die Sonne durchbricht, ist es auch beim zweiten Mal beeindruckend diese Strecke zu fahren. Teilweise sehen wir links neben uns noch die alte einspurige Trasse, die nur zum Teil befahrbar ist, bis zum DEAD END. Dort stehen unzählige Angler und fischen von der Brücke. Auf der anderen Seite sieht man noch die Überreste der alten, verwitterten und stillgelegten Zugstrecke.

Je näher wir Miami kommen, desto mehr zieht es sich zu. Bald darauf fahren wir im strömenden Regen. Aber es ist nicht mehr weit. Wir erreichen Miami Beach und wundern uns etwas über die Größe. Miami Beach ist im Grunde eine Stadt für sich. Ähnlich wie Daytona Beach erstreckt sich dieser Großraum sehr weit an der Küste entlang. Aber auch in der Breite ist es viel größer als gedacht. Nachdem ich es auf Google Maps betrachtet habe, hatte ich einen völlig falschen Eindruck. Miami Beach ist riesig.

Ich habe auch meinen zweiten Job erledigt, Jutta sicher nach Miami bringen. Sie erfüllt gerade ihren und navigiert mich zu einem Parkplatz, auf dem wir über Nacht stehen dürfen. Es hat aufgehört zu regnen. „Noch drei Kreuzungen, dann links. Da müsste der Platz sein.“, sagt sie.

Wir fühlen uns sicher!

Der Parkplatz ist quadratisch und nicht besonders groß, aber es stehen nicht viele Autos hier.

Er ist inmitten eines Wohngebietes, das schon bessere Tage gesehen hat. Ich fahre unter eine Laterne an einen Baum. Dann sehe ich einen farbigen, jungen Mann, der dort zu leben scheint. Er hat sich aus Planen und Gerümpel eine Art Unterstand gebaut und sitzt davor auf einem Hocker. Unsere Blicke treffen sich und ich nicke ihm zu. Er nickt etwas zögerlich zurück.

Ich denke: „Hier steht LEMMY über Nacht hervorragend. Sollte jemand sich am Auto zu schaffen machen während wir weg sind, dann haben wir einen Zeugen. Sollte der junge Mann nicht mehr dort sein, wenn wir zurück sind, dann haben wir einen Verdächtigen.“

Wir gönnen uns nur eine kurze Pause nach der langen Fahrt und danach machen wir uns fertig zum Ausgehen. Ein paar Blocks sind es schon zu laufen, aber das ist sehr angenehm nach einigen Stunden im Autositz. Besonders jetzt nach diesem ordentlichen Schauer, scheint die Luft gereinigt und wir atmen tief durch. Wenn wir durch die Häuserzeilen Richtung Meer schauen, sehen wir einen Himmel aus verschiedenen Blautönen.

Ich freue mich schon auf ein kaltes Bier und werde nicht mehr lange drauf warten müssen, denn schon sehe ich ein leuchtendes Schild SAND BAR + KITCHEN.

Sand Bar & Kitchen

Die Bar macht auf mich einen sehr guten Eindruck. Das Licht ist gedimmt, der Tresen ist lang, das Publikum gemischt und hinten steht ein Billard Tisch. An manchen Plätzen sind Jenga Spiele aufgebaut. Das Allerbeste aber ist eine Musikbox an der Wand. Ich warne Jutta schon mal vor, dass ich beabsichtige mindestens 5 $ zu investieren, um kurzzeitig zum DJ zu werden. Wir bestellen zwei Local Beer und setzen uns an einen hohen Tisch mit Barhockern, dicht zum Billard. Sollte jemand spielen wollen, dann können wir etwas zuschauen.

Cheers!

Es ist mal wieder Zeit über die nächsten Tage und den weiteren Verlauf der „The Wörld Is Yours Tour“ zu reden. Nirgends ist es besser als in einer schummrigen Bar mit lauter Musik und einem kalten Bier vor sich. Noch ist die Musik gut und ich muss mich nicht schon selber kümmern, aber beim ersten schlechten Song werde ich den Automaten mit 5 $ füttern.

Der nächste Schwerpunkt unserer Reise ist ganz klar definiert. Wir wollen nach New Orleans, wollen uns verzaubern lassen von dieser Metropole am Mississippi. Und zwar schnell.

Aber was ist das denn jetzt, wer hat es gewagt Taylor Swift zu spielen? „Jutta, kannst du mir mal 5 Bucks geben bitte, ich kann das nicht dulden!“ „Na gut, aber mach nicht so harte Musik an.“, sagt sie.

„Ich kann nichts versprechen.“, erwidere ich.

Ich wähle zwei Songs von Gojira aus: „Stranded“ und „Another World“, von Hellyeah: „Thank You“ und „I don’t care anymore“, dann noch „Fuck The World“ und „Get It On“ von Turbonegro. Ich habe noch etwas von Turnstile im Angebot und von Blood for Blood. In der Stilrichtung geht es weiter bis ich mein 5 $ Limit erreicht oder anders gesagt, 12 Songs ausgewählt habe.

Bevor ich zu Jutta an den Tisch zurückkomme, bemerke ich das bereits Billard gespielt wird. Wie schön, denke ich mir. Dann sehe ich das unsere Gläser bald leer sind und drehe ab Richtung Bar, um zwei weitere Biere zu bestellen. Denn wenn ich eins hasse, dann sind das fast leere Biergläser. Aber auch hierzu an anderer Stelle mehr.

„HELLYEAH“ on the mucicbox

Jetzt kehre ich zufrieden an unseren Tisch zurück, mit exzellent gezapften, randvollen Biergläsern und wir setzen unsere Besprechung fort. Die nervige Swift Göre ist auch endlich verstummt und mein erster Titel dröhnt aus den Boxen. Jutta verdreht die Augen, lächelt aber dabei.

„Zu hart?“, frage ich.

Wir kommen zu dem Entschluss mit nur einer Zwischenübernachtung in Tallahassee, die knapp 900 Meilen zurückzulegen. Als dies beschlossen ist, genießen wir unsere Drinks, die großartige Musikauswahl und gucken hin und wieder dem Spielgeschehen auf dem Billardtisch zu.

Miami Beach

Dann schlendern wir zu Fuß durch die Nacht gemütlich nach Hause. LEMMY steht unversehrt da, wo ich ihn abgestellt hatte. Ich schlafe tief und fest durch.

Miami Beach by night

Jutta hat morgens die Idee, unserem obdachlosem Nachbarn einen Kaffee anzubieten. Ich finde die Idee super, aber wir haben keine „To Go“ Becher. Und ihm einen Becher von uns zu bringen und zu sagen: „Den brauchen wir aber wieder zurück.“, finden wir auch irgendwie doof. Was, wenn er überhaupt keinen Kaffee mag, sondern Tee bevorzugt?

Wir kommen überein, dass wir ihm unsere neue Wassergallone anbieten (eine große Flasche mit knapp vier Liter Mineralwasser) und ich ihm 5 Dollar in die Hand drücke.

Ich gehe auf ihn zu, die Gallone Wasser in der Hand und frage ihn: „Would you like some water?“ Er nickt mir stumm zu, lächelt aber dabei. Ich reiche ihm die große Flasche und drücke ihm irgendwie noch die fünf Dollar in die Hand. Er bedankt sich.

Wir verlassen Miami Beach, fahren runter vom Parkplatz und ein lächelnder junger Mann winkt uns hinterher.

Wir sind wieder auf der Straße und haben einen weiten Weg vor uns.

Ich nuschle vor mich hin, während das Radio im Hintergrund läuft: „Hannah Montana, she does the African Savannah…!“ Jutta schaut mit gerunzelter Stirn rüber zu mir, ich schaue rüber zu ihr. Beide müssen wir grinsen.

…und was als nächstes geschieht…

CHAPTER IV – NOLA, ein Hauch von Voodoo und wie der Lincoln Clay in mir erwacht…

Chapter 16 – Lemmy Goes NEW YORK CITY

…und wie ich auf den Spuren von Robert de Niro wandle und warum ich 139 $ für einen Parkplatz in New York bezahle…

Bevor es nun endlich losgeht checkt Jutta die Bordbatterie, total down auf 7 Ampere, unverändert.

Wir hoffen allerdings, dass es sich heute verbessert, weil wir einen langen Fahrtag haben. Gestern sind wir ja nicht besonders weit gefahren. Zur Sicherheit kaufe ich noch im NSLC zwei Kartons mit Bier. Einen mit Pabst Blue Ribbon und den anderen mit Molson Canadian. Das Molson werde ich in den USA nicht mehr bekommen, sondern erst wieder wenn wir in British Columbia eingereist sind in etwa drei Monaten. Eine große Flasche Wein packen wir auch noch drauf. So kann ich mich heute Abend wenigstens betrinken (so wie in Split) wenn das Batterieproblem bestehen bleibt.

Jetzt müssen wir zu der Adresse fahren, die wir von Seabridge bekommen haben, um unsere beiden Gasflaschen befüllen zu lassen. Das klappt auf jeden Fall hervorragend, als ich endlich den Adapter wieder gefunden habe. Ein Problem weniger.

Ein großer Einkauf steht an und Frischwasser müssen wir noch irgendwo bekommen. Den Einkauf erledigen wir bei Walmart, obwohl mir Safeway, Albertsons und andere Supermärkte lieber sind als dieser Einkaufsgigant. Ich mag das Ambiente dort nicht so gerne, obwohl die Preise schon besser sind. Jutta würde am liebsten nur bei Whole Foods Market einkaufen. Der Laden ist wirklich super, fast das gesamte Sortiment ist Organic, aber deswegen ist auch alles ziemlich teuer.

Der Einkaufswagen ist voll, nur noch zahlen und alles ins Auto verladen.

Frischwasser bekommen wir an einer Shell Tankstelle. Ich darf meinen Schlauch an den Außenwasserhahn anschließen und mir die benötigten 100 Liter in meinen leeren Tank füllen, kostenlos. Wieder zwei Sachen erledigt, den Einkauf und Wasser zum Kochen, Duschen und Händewaschen ist an Bord.

Bleibt nur noch das letzte Problem, die Bordbatterie. Aber jetzt wollen wir erst mal fahren und Nova Scotia verlassen, wollen versuchen dem vorhergesagten Wintersturm zu entkommen. Doch das wird nicht klappen.

Als grobes Ziel und als Richtung haben wir Portland in Maine ins Navi eingegeben, obwohl natürlich klar ist, dass wir das nicht in einem Rutsch erreichen werden. Mal sehen wie wir voran kommen und wie sich das Wetter entwickelt. Zunächst läuft alles prima, der Dieseltank ist voll und damit haben wir eine Reichweite von ca. 1000 Kilometern. Wir sind versorgt mit Wasser und Gas zum Kochen, mit Lebensmitteln und Getränken, was ein sehr gutes Gefühl ist. Die ersten Stunden fahren wir einfach und sind ganz zufrieden mit allem, bis auf die Ungewissheit mit der Batterie.

Tolles Chili, aber leider nix wirklich lecker Vegetarisches…

Bei Tim Hortons machen wir eine Lunchpause, weil wir erstens Hunger haben und es dort ein ausgezeichnetes Chili gibt und erstklassige Donuts und weil wir zweitens nach der Bordbatterie schauen wollen. Sie hat sich voll aufgeladen durch die Fahrt bis hierher, aber wird sie die Spannung auch halten? Unsere Spannung hält sich auf jeden Fall noch bis wir es endlich genau wissen. Das wird aber erst morgen früh sein, wenn wir die Nacht hinter uns haben. Jetzt erstmal Chili und Kaffee, dann fahren wir weiter.

Die Straßen sind geräumt und es geht zügig voran, doch der Wintersturm holt uns ein. Es fängt an zu schneien und die Straße wird immer weißer. Der Wind schaukelt LEMMY hin und her, aber mir macht es Spaß bei Schnee zu fahren und der Wind stört mich auch nicht weiter. Dann eben alles etwas langsamer und ich denke der Batterie wird es gut tun. Es sind sehr wenige Autos auf der Straße, wahrscheinlich bleibt jeder zuhause, der nicht unbedingt raus muss. Umso angenehmer ist es für mich zu fahren. Hauptsächlich sind Räumfahrzeuge unterwegs. Zum Teil sind es große Pickup Trucks, manchmal aber auch LKWs, die beim Räumen der Straße gleichzeitig Salz streuen. Ich freue mich, wenn ich vor den Räumfahrzeugen bin und auf einer jungfräulich, verschneiten Straße mit Neuschnee als erstes Auto fahre.

Jutta recherchiert mittlerweile schon nach einem Übernachtungsplatz. Das macht sie hier mit der „iOverlander“ App und diese wird sich für Amerika als ganz fantastisch herausstellen. Man kann die Plätze auch offline recherchieren. Nur für die Fotos und eine genaue Routenplanung braucht man Internet.

„Wie lange willst du denn noch fahren?“, kommt als routinierte Frage von der Navigatorin.

Ich gucke aufs Tacho und stelle fest, dass wir bereits über 300 Kilometer zurückgelegt haben.

„Vielleicht noch so eine Stunde oder so?“, frage ich zurück, um festzustellen, ob sie damit denn auch einverstanden ist. „Dann kommen wir immer noch bei Tageslicht an.“, schiebe ich noch hinterher, damit sie bloß kein Veto einlegt.

Direkt am Saint Johns River

„Ja gut, dann habe ich schon einen Platz, das kommt ungefähr hin mit der Zeit. In Saint John, da habe ich einen Stellplatz gefunden, wo wir frei stehen können. Der ist nett am Fluss gelegen, gegenüber einer Papierfabrik und Overnight Parking ist nicht verboten!“

„Das klingt doch super!“, sage ich.

Wir erreichen diesen total verschneiten, gut gelegenen Parkplatz und haben eine super Sicht auf den Saint John River und die aus allen Schornsteinen dampfende Papierfabrik. Ich schieße noch ein paar Fotos und früh geht es zu Bett, nach einem ausgefüllten Tag.

Bei Tageslicht nicht mehr ganz so romantisch…

Morgens als ich aufwache, höre ich Jutta bereits rumoren. „Was sagt die Batterie?“, ist meine erste Frage. „Sie steht, Gott sei Dank, auf 13,2 Ampere.“, sagt sie und überglücklich starten wir in diesen wunderschönen, weißen Wintermorgen. Die Batterie hat die Spannung gehalten.

Nach je zwei Bechern Kaffee und einem Müsli geht es schnell weiter Richtung Portland, Maine. Wie weit wir heute kommen wissen wir wieder nicht. Was wir aber wissen ist, dass wir die Grenze von Kanada in die USA überqueren wollen. Und zwar von St. Stephen nach Calais.

Das der Grauwassertank eingefroren ist und dass das Wasser nur sehr langsam aus den Waschbecken in Küche und Bad abläuft, stört uns wenig. Wird schon wieder auftauen, wenn die Sonne raus kommt.

Wir verlassen Saint John, der Schnee wird uns weiter begleiten. Nova Scotia liegt hinter uns und wir fahren durch New Brunswick. Der Sturm hat nachgelassen, doch der Schnee fällt weiter in dicken Flocken vom Himmel. Auch heute ist kaum ein Auto unterwegs. Nach knapp anderthalb Stunden kommen wir am Grenzübergang an. Etwas aufgeregt sind wir schon. Wird alles klappen? Kommen wir mit dem eigenen Fahrzeug rein in die USA? Erfüllen wir alle Auflagen und geben wir die richtigen Antworten, wenn wir befragt werden?

Dichtes Schneetreiben nimmt mir etwas die Sicht, drum nähere ich mich sehr langsam und sehr vorschriftsmäßig dem Grenzübergang. Es ist kein einziges Fahrzeug vor uns. Kann das denn möglich sein? Will niemand sonst außer uns in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Heute offensichtlich nicht.

Telefon??? auf der Brooklyn Bridge

Kurz bevor wir an der Grenze in St. Stephen angekommen sind, habe ich mit Jutta noch über den letzten und den vorletzten Grenzübertritt in die USA gesprochen. Beim letzten Mal wollten wir mit einem Leihwagen in Buffalo von Kanada in die Vereinigten Staaten einreisen. Ich hatte Jutta zum Geburtstag eine Blue Man Group Show in Boston geschenkt. Das war eine Überraschung und sie wusste nichts davon, bis zu dem Tag, an dem die Show stattfand. Danach sollte es dann weiter gehen nach New York. Jedenfalls kamen wir an die Grenze und als wir an der Reihe waren, da wurden uns die Pässe abgenommen. Wir wurden aufgefordert zu einem Office an der Seite zu fahren, dort zu parken, reinzugehen und zu warten, bis wir aufgerufen werden. Warum, erfuhren wir noch nicht und die Pässe wurden einbehalten.

Wir warteten mit einigen anderen Personen in einer Art Wartezimmer wie beim Arzt und nach 30 endlosen Minuten wurde unser Name aufgerufen. Von hier ging es weiter in einen anderen Raum, der so eine Art Interviewzimmer war. Verschiedene Beamte saßen hinter Glas und verschiedene Einreisewillige wurden befragt. So auch wir. Die entscheidende Frage, die es zu klären galt, war wohl die, warum wir denn zuvor in Vietnam waren. Unsere Pässe enthielten jeweils ein Vietnam Visum.

„Na, weil wir dort Urlaub gemacht haben.“, war unsere klare Antwort.

Mit etwas Unverständnis wegen unseres gewählten Reiseziels wurden weiter eigenartige Fragen gestellt, doch dann bekamen wir die Pässe zurück und durften einreisen.

Graffitikunst High Line NYC

Das andere Mal, als wir Jahre zuvor, ich glaube es war 2003, in die USA einreisen wollten, da war es an der Westküste. Es ging von British Columbia nach Washington. Wieder waren wir mit einem Mietwagen unterwegs und hatten keine US Doller dabei. Der Grenzbeamte war äußerst freundlich und zuvorkommend. Allerdings sollten wir eine Einreisegebühr von 5 Doller/Person zahlen und das ging nur mit Bargeld. Kreditkarten wurden nicht akzeptiert. Wir hatten leider nur kanadische Dollar, aber keine US-Dollar dabei und wechseln konnten sie nicht.

So bot mir der Grenzer an, eben kurz rüber zu fahren in die USA an die nahegelegene Tankstelle und dort meine Kanadadollar gegen US-Dollar zu tauschen. „Die machen das da.“, sagte er. „Dann kommst du wieder her und ihr könnt einreisen.“ Genauso haben wir die Einreise an der Westküste erlebt.

Jetzt sind wir wieder an der Ostküste und ich sage zu Jutta: „Wir haben keine US-Dollar in bar dabei, nur Kanadadollar!“ „Na diesmal wird es doch wohl mit der Kreditkarte gehen.“, sagte sie aufmunternd.

Im dichten Schneetreiben sehe ich nur ein grünes Licht über einer Line ohne Autos vor mir. Sehr langsam nähere ich mich und erkenne verschwommen die Umrisse einer Person, die auf mich zukommt. Ich lasse das Fenster runter und wir werden gebeten zu dem Office vorne rechts zu fahren, zu parken und die Formalitäten drinnen zu erledigen. Das kommt mir irgendwie bekannt vor.

Wir tun wie uns geheißen, parken LEMMY unter einem Dach und betreten das Office. Außer den bewaffneten Beamten, die heute wenig Arbeit zu verrichten haben, sind wir die einzige Kundschaft, die über die Grenze will. Eine Beamtin nimmt sich unserer Einreise an und wir bekommen einen Fragebogen zum Ausfüllen. Während wir uns den Fragebogen vornehmen, prüft sie unsere Reisepässe, Impfpässe, Fahrzeugpapiere und den ganzen Kram. Zwischendurch kommt sie immer mal wieder zu uns und stellt beiläufig Fragen zu unserem Gehalt, Beruf, wieviel Bargeld wir dabei haben, was unsere Reisepläne sind, warum wir mit dem eigenen Fahrzeug kommen, ob wir schon einmal im Land waren usw.

Wir beantworten bereitwillig und nach bestem Wissen alle Fragen und stellen unsererseits mal eine Frage, wenn wir etwas auf dem auszufüllenden Papier nicht sicher beantworten können.

Wir finden es sehr angenehm, wie beiläufig sie die Befragung macht, während wir mit dem Fragebogen beschäftigt sind. So haben wir eher das Gefühl einer interessierten Unterhaltung als das eines Verhöres. Ob wir auch Lebensmittel mit dabei haben will sie wissen. Wir bestätigen, aber alles ist in Kanada eingekauft worden, nichts haben wir aus Deutschland mitgebracht.

Sie stolpert etwas über meine Antwort auf die Frage, wann wir das letzte Mal in den USA waren. Ich gebe an, es war wohl 2006 als wir durch Kalifornien gereist sind. Ob es auch sein kann, dass wir 2011 da waren, fragt sie mich. „Ja kann schon sein.“, sage ich zu ihr, „wir reisen sehr viel und waren bereits in 61 Ländern auf allen Kontinenten, außer der Antarktis.“

Damit gibt sie sich zufrieden.

Times Square im Regen

Ich frage sie, ob sie uns nicht statt der 90 Tage auch 180 Tage in den USA ermöglichen kann, denn wir wollen so gerne noch nach Alaska, nachdem die 90 Tage bereits abgelaufen sind. Jutta hatte zuvor recherchiert, dass die Beamten den Spielraum haben um so etwas zuzulassen. Kann sie nicht, sagt sie, aber wir können es trotzdem versuchen. Das entscheiden dann allerdings die Beamten an der Grenze in den größten Bundesstaat der USA.

Sie gibt uns alle unsere Papiere und Pässe zurück und sagt wir müssen noch eine Einreisegebühr vom 5 Dollar pro Person bezahlen. Ich sage, dass wir nur Kanada Dollar haben und frage, ob es möglich ist mit Kreditkarte zu bezahlen. „Im Prinzip ja, nur spinnt gerade das Kartenlesegerät und der Computer, aber ich will es mal versuchen.“, sagt sie.

Es vergehen 20-30 Minuten und sie probiert es ein ums andere Mal. Dann holt sie einen Kollegen und der versucht es auch und wir beobachten wie unsere beiden Karten abwechselnd in das Lesegerät geschoben werden und wieder ein Kopfschütteln. Sollte die Einreise scheitern, weil wir keine 10 US-Dollar in bar dabei haben? Warum zum Teufel nehmen sie nicht einfach die Dollar aus Kanada, meinetwegen zu einem Wucherkurs und tauschen sie selber in der Bank am nächsten Arbeitstag?

Nach einer halben Stunde mit zeitraubendem Neustart des Computers, klappt es dann doch noch und eine unserer Kreditkarten wird vom Lesegerät akzeptiert.

Als Letztes möchte sie einen Blick in unseren Camper werfen und findet ihn umwerfend und cool. Einreise in die USA zum Dritten. Check!

Jetzt sind wir mit unserem eigenen Auto unterwegs nach New York City. LEMMY ist eingereist über Land, in die Vereinigten Staaten. Unser Etappenziel Portland können wir allerdings wieder knicken. Das wären noch fünf Stunden zu fahren von hier aus. Ich schlage Bangor vor. Bis dahin sind es auch noch drei Stunden, doch irgendwie reizt mich diese Stadt in Maine.

The Wörld Is Yours!

Ich liebe die Romane von Stephen King und habe Etliche verschlungen. Besonders „ES“ hatte es mir in meiner Jugendzeit angetan und ich habe diesen Wälzer bestimmt schon drei Mal durch. Aber auch mindestens ein Dutzend Weitere seiner Romane habe ich in Rekordzeit weg gelesen. Einiges in seinen Romanen spielt sich in seiner Heimat ab, in Maine. Und vermutlich hat Bangor und Maine zu vielen seiner Geschichten inspirierend beigetragen. Da will ich gerne heute noch hin.

Vorausschauend hatte ich auch schon mal im Tim Hortons (mit freiem WLAN) auf die Google Map geschaut, was es da so gibt. Da habe ich eine Bar gefunden in der Innenstadt und eine Brauerei etwas weiter am Rande, Bangor Beer. Jutta erklärt sich einverstanden, da es ihr auch viel zu weit ist bis Portland und sie ja bekanntermaßen sowieso nicht auf große Städte steht. Also nochmal konzentrieren und drei Stunden durch wildes Schneetreiben fahren, nach DERRY, so zumindest stelle ich mir Bangor erstmal vor. Für diejenigen, die mit Stephen King nicht soviel anfangen können: DERRY ist die Stadt, in der der Roman „ES“ hauptsächlich spielt.

Nach mehr als 270 Kilometern und über drei Stunden Fahrt erreichen wir DERRY, ach nee Bangor.

An der Bar in Downtown, die meine erste Wahl ist, gibt es keine Parkplätze. Nach längerem Suchen stellen wir fest, dass es nicht einfach ist im Zentrum von Bangor einen legalen Overnight Parkplatz zu finden. Es ist schon lange dunkel, da beschließen wir an den Stadtrand zu Bangor Beer zu fahren. Dort fragen wir nach, ob wir über Nacht da parken dürfen. Der Barkeeper muss im Thairestaurant nebenan fragen, da der Parkplatz wohl zum Restaurant gehört.

Bis auf die Schneepflüge, die zwischen 3 AM und 5 AM die Parkplätze räumen,
war es eine ruhige Nacht.

Wir dürfen und genießen unsere ersten Biere in den Staaten in einer Bar in Bangor. Ich bestelle zum Beer die Singapore Noodles und die Portion ist dermaßen groß, dass ich mir über die Hälfte in ein Doggybag einpacke zum Mitnehmen. Seit Corona bekommt man das Doggybag an den Tisch gebracht und kümmert sich selber um das Einpacken der Speisen, die man nicht mehr verzehren konnte, weil die Portion einfach viel zu groß war. Nach einem köstlichen Essen, neuen Eindrücken einer fremden Stadt, von der wir im Dunkeln doch so Einiges aufgenommen haben und ein paar lokalen Bieren gehen wir entspannt aber müde zu Bett.

Portland/Maine ist verschwunden von unserer Liste. Jetzt sind wir schon zu nahe an New York und meine Begierde ist zu groß. Ich will diese wahnsinnige Metropole heute noch erreichen. Ich kann jetzt nicht nur zwei Stunden fahren und dann wieder irgendwo in Portland einen Stellplatz suchen, wo sich eine der großartigsten Städte der Welt in greifbarer Nähe befindet.

Aber vorher müssen wir uns um das Internet kümmern. Jutta wusste schon im Waterhole, dass es schwierig ist, in Nordamerika kompatible Simkarten für deutsche Geräte zu bekommen. Schwierig und kostspielig. In Halifax haben wir es nicht wirklich ernsthaft versucht, da es im Hotel, in fast jedem Geschäft und jeder Bar kostenloses WLAN gab. Aber jetzt, wo wir wieder mit LEMMY unterwegs sind, brauchen wir Internet. Jutta versucht es in einem T-Mobile Laden und einer entsprechenden Abteilung in einem Walmart. Beides verläuft unbefriedigend, doch bekommt sie im T-Mobile Laden die Empfehlung, es mal bei „BEST BUY“ zu probieren.

Wir fahren los und es schneit nicht mehr, aber es ist immer noch bitterkalt. Zum Glück ist zwischendurch der Grauwassertank aufgetaut und das Wasser in den Waschbecken läuft wieder gut ab. Naja, lief gut ab. Heute morgen ist es wieder gefroren. Kein Wunder, wir haben wieder mal weit unter 10 Grad minus. Aber wir wissen jetzt, wenn tagsüber die Sonne scheint und der Motor warm wird und die Heizung in der Kabine an ist, dann regelt sich das Problem von selbst.

Ich verlasse den Parkplatz von Bangor Beer und steuere New York City entgegen, da muss ich an einer roten Ampel stehen bleiben. Ich will links abbiegen und sehe dort Jemanden stehen mit einem Pappschild in den Händen. Er hat einen Kapuzenpulli an, eine Jeans und ich hoffe auch noch einiges darunter. Er steht auf einer kleinen Verkehrsinsel und auf seinem Pappschild steht: „HOMELESS, everything helps!“ Er hat nicht mal Handschuhe an. Meine Handschuhe liegen auf der Konsole unter der Frontscheibe, weil ich sie häufig brauche und da immer griffbereit habe. Die Ampel springt auf grün und hinter mir stehen andere Autos, die über die Kreuzung fahren wollen. Wir haben auch noch immer keine US-Dollar, denn ich habe darüber nachgedacht ihm Geld in die Hand zu drücken. Allerdings dachte ich, wie blöd das wäre ihm kanadisches Geld in die Hand zu geben, wenn er damit vielleicht gar nichts anzufangen weiß. Im Grunde ist die Zeit zum Denken einfach viel zu schnell vergangen und schon wird die Ampel grün und ich muss los fahren.

Aber aus irgendeinem Grund biege ich falsch ab, obwohl das Navi auf NY eingestellt ist. Jetzt stehe ich wieder an einer roten Ampel, an einem anderen Block. Jutta sagt: „Willst du ihm nicht deine Handschuhe geben?“ Ich antworte: „Ja will ich, das habe ich auch gerade gedacht als grün wurde und ich weiter fahren musste“

Ich fahre einen Block zurück und erreiche dieselbe Kreuzung. Er steht noch unverändert dort mit seinem Pappschild in den Händen. Ich fahre einmal um die Verkehrsinsel herum und reiche ihm meine Handschuhe durch das geöffnete Fenster, während ich langsam bei grün die Kreuzung passiere. Er nimmt sie dankend an und im Rückspiegel sehe ich, wie er sie sofort über die kalten Hände streift.

Ich fühle mich um fast 30 Jahre zurückversetzt, als es mit unseren Fernreisen begonnen hat. Wir waren in Singapore an der Clarke Quay und bummelten an der Waterfront entlang. Ich war noch unerfahren was ferne Länder und weite Reisen anging. Jemand sprach mich an, er war gut gekleidet mit einem blütenweißen Hemd und einer schwarzen Tuchhose. Er sagte: „Can you offer me some food?“

Ich war maßlos überfordert mit der Situation und sagte: „No, sorry!“ und ging einfach weiter.

Auf dem Weg zur High Line

Fast 30 Jahre lang habe ich mein dummes Verhalten von damals bereut und festgestellt, dass man solche verpassten Gelegenheiten niemals wieder zurück holen kann. Ich hätte ihm selbstverständlich etwas zu Essen ermöglichen können, habe es aber nicht getan. Ich habe mir danach vorgenommen, dass mir so etwas niemals wieder passiert.

Ich bin auch der Überzeugung, dass man die Dinge, die man nicht getan hat viel mehr bereut, als Dinge, die man gemacht hat und die vielleicht falsch waren. Fehler machen wir alle und das ist auch gut so, denn daraus lernen wir. Aber die Sachen, die wir machen wollten und nicht getan haben, die sind vergangen und vermutlich nie wieder gut zu machen und auch nicht nachzuholen.

Bei Boston sehen wir ein Hinweisschild zu einem BEST BUY Laden und nehmen einen kleinen Umweg in Kauf. Unseren eigenen Router können wir hier nicht nutzen, also kaufen wir für etwa 60 Dollar einen Neuen, der soll auch für Kanada funktionieren. Dazu eine entsprechende Simkarte und damit sollten wir wieder verbunden sein mit der intermedialen Welt. Weiter geht es nach NYC.

Unterwegs richtet Jutta alles ein und es funktioniert. Jetzt kann sie auch wieder online recherchieren. Es wird nicht lange dauern, bis wir diese neue Verbundenheit mit dem Internet „on the road“ brauchen werden. Wir kommen Manhattan immer näher und es gibt eine alternative Route. Jutta wägt ab, welche von Beiden die Bessere ist. Wir reden kurz darüber und ich weiß es auch nicht, so überlasse ich ihr die Wahl. Es war die falsche Wahl, denn auf dieser Route werden wir bald vor niedrigen Brücken gewarnt. Sie sind zum Teil unter 10 Fuß hoch. Aber was zum Teufel sind denn bloß 10 Fuß in Metern? Ich drehe um und sage, dass ich unter keiner Brücke durchfahre, solange ich nicht weiß wie hoch exakt 10 Fuß sind. Jutta findet raus, dass 10 Fuß etwas über drei Metern entsprechen und damit ist klar, dass wir alles fahren können was 10 Fuß und aufwärts ist.

Und mit dieser Gewissheit nähern wir uns Manhattan und dem FDR (Franklin D. Roosevelt Drive)

Aus dem Fernsehen und vom Lesen weiß ich, das Wohnmobile in Manhattan verboten sind, aber ich fahre einen Ford Ranger mit einer Kabine hinten drauf, also mit einer Ladung. Das ist ja wohl was anderes.

Durch eigene Schusseligkeit haben wir viel Frischwasser verloren, denn das Frostwächterventil, eine Schutzeinrichtung der Dieselheizung, hatte natürlich bei der Kälte in Halifax ausgelöst und dann läuft das Wasser des Boilers raus. Das sind eigentlich nur ca. 10 Liter. Doch bis wir darauf kommen, dass das Ventil offen ist und wir es erst wieder schließen müssen, um den Boiler zu füllen, läuft alles ab, was wir über die Wasserhähne reinpumpen. Jutta kommt zum Glück irgendwann drauf. Aber jetzt sind nur noch 20 Liter übrig in unserem Frischwassertank.

Was machst du denn hier beim Visitorcenter?

Also klappern wir wieder alle Tankstellen ab, aber leider sind aufgrund der eisigen Temperaturen die Außenwasserhähne abgedreht. Nach der vierten Tankstelle geben wir auf. Wir halten an einem Visitorcenter. Die werden ja wohl wissen, wo wir trinkbares Wasser bekommen. Ich parke neben einer riesigen, weißen Stretchlimousine und wir gehen rein um zu fragen. Die nette Dame weiß es nicht. Sie ruft einen Mitarbeiter von hinten. Er nimmt mich mit in einen kleinen Nebenraum, so eine Art Hauswirtschaftsraum und zeigt mir dort ein tiefes Waschbecken mit einem hohen Wasserhahn. Ob das mir helfen würde, fragt er und ich sage, dass es mir unbedingt weiter hilft. Denn mein 10 Liter Kanister sollte gut drunter passen. Jetzt muss ich zwar acht Mal hinundherlaufen zwischen Auto und Wasserhahn. Aber bei jedem Auffüllen des Kanisters plaudern wir ein wenig über unsere Reise, was schon hinter uns liegt, aber auch wo es noch hin gehen soll. Nach dieser sportlichen Betätigung bedanken wir uns ganz herzlich und setzen unsere Reise fort.

20 Gallons of water please!

Ich bin früher im Traum schon öfter mal nach New York City gereist und zwar im eigenen Wagen. Da konnte ich dann in Hamburg eine Abfahrt nach NEW YORK nehmen, die mich auf eine Atlantikbrücke geleitet hat. Nachdem ich in Island aufgetankt habe, konnte ich weiter fahren bis irgendwann eine langgezogene Rechtskurve kam und ich in der Ausfahrt DOWNTOWN MANHATTAN abgefahren bin. Schon in der Kurve sah ich die Skyline von New York City, doch leider endete der Traum immer nach der Ausfahrt oder aber ich habe keine Erinnerung mehr wie es danach weiter ging.

Aber das jetzt ist kein Traum, wir fahren tatsächlich mit dem eigenen Fahrzeug nach New York City. Zwar nicht über eine geträumte Atlantikbrücke, aber „Seabridge“ ist ja auch irgendwie eine Brücke, eine Seebrücke mit Containerschiff.

Es wird aufregend. Wir sehen immer mehr Hinweise für Trucks, die diverse Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Sei es wegen der Höhe und irgendwelcher Tunnel oder wegen des Gewichts auf den Brücken. Wir sind schon fast auf dem Franklin D. Roosevelt Drive. Ich versuche Jutta etwas die Nervosität zu nehmen und versichere ihr, dass das alles für uns nicht gilt. Damit sind nur die großen Lkws gemeint. Und wir mit unseren 3,5 Tonnen und 3 Metern Höhe werden überall durchkommen. Sie bleibt allerdings skeptisch und die Anspannung ist ihr deutlich anzumerken.

Als wir den FDR Drive dann erreichen und die ersten Tunnel durchfahren ist keiner niedriger als 10 Fuß.

Wir sind in Manhattan angekommen und Manhattan ist riesig. Da kommt schon die Williamsburg Bridge, dann die Manhattan Bridge und die Brooklyn Bridge. Es ist ein absoluter Wahnsinn für mich mit Jutta und LEMMY, unserem Overlander Camper jetzt hier durchzufahren. Ein lang ersehnter und oft geträumter Traum geht in Erfüllung. Mit dem Mietwagen hatten wir dieses Vergnügen bereits, aber das ist nicht annähernd dasselbe. Überglücklich biege ich vom FDR Drive rechts ab, um mitten durch Manhattan auf die Westside zu fahren, denn unser Parkplatz ist in Jersey City, genau gegenüber von Downtown Manhattan. Nur der Hudson River trennt beide Stadtteile voneinander.

We are in Neeeeew Yoooork!

Jutta drängelt mit Nachdruck, dass ich schnell irgendwo halten muss. Die Blase drückt, zum Einen wegen der längeren Fahrt und zum Andern auch wegen der Aufregung. Ich fahre kurz rechts ran in eine große Lücke und sehe zu spät, dass schon jemand mit eingelegtem Rückwärtsgang und gesetztem Blinker vorhatte in dieselbe Lücke zu fahren. Es ist mir ein wenig unangenehm, aber was soll ich machen, Jutta ist schon unterwegs nach hinten in die Kabine zur Toilette. Ich sehe nur wie die Blinker von dem PKW vor mir von rechts nach links wechseln, der Rückwärtsgang in den ersten Gang gelegt wird und ein wohlmöglich ärgerlicher New Yorker woanders sein Parkplatzglück suchen muss. „Uihh, das war aber mal dringend jetzt.“, sagt Jutta, als sie wieder zu mir nach vorne einsteigt und erleichtert und etwas entspannter die weitere Navigation vornehmen kann.

Wir wollen durch den Holland Tunnel fahren, weil es der kürzeste Weg ist, um unter dem Hudson hindurch auf die andere Seite nach Jersey City zu kommen. „Da fahren auch große LKWs durch, da werden wir keine Probleme haben.“, versichere ich Jutta. Die Alternative dazu wäre ein ziemlich großer Umweg über die George Washington Bridge.

Kurz bevor wir den Tunnel erreichen sieht Jutta ein Schild „NO RV´s!“ und auch andere Verbotsschilder, wie „NO PROPANE!“ und auch Gefahrguttransporter dürfen NICHT durch den Holland Tunnel fahren. RV bedeutet Recreational Vehicle, darunter fallen alle Wohnmobile, Campervans und natürlich große und kleine Expeditionsmobile. Also auch wir. Aber jetzt ist es bereits zu spät, ich steuere direkt auf den Tunnel zu und will auch nicht mehr anders fahren. Links an der Röhre, wo der Verkehr von Jersey rauskommt, steht ein Streifenwagen. Ob er sieht, wie ich gerade in den Tunnel fahre weiß ich nicht. Wir haben natürlich auch Propan an Bord, denn mit Gas kochen wir. Auf der anderen Seite kommen wir raus und kein Sheriff mit Blaulicht erwartet uns. Puh, Glück gehabt!

Tanken wollen wir unbedingt noch, bevor wir am Ziel ankommen. LEMMY wird dort für einige Tage stehen bleiben und die Heizung benötigt Diesel. Es soll uns nicht nochmal dasselbe passieren, wie vor zwei Jahren in Amsterdam, als die Heizung irgendwann in der Nacht ausging, weil der Tank auf Reserve war. Mit der Reserve haben wir am nächsten Morgen gerade noch die Tankstelle erreicht.

Sonnenuntergang auf dem „Liberty RV – Stellplatz NYC“

Der Camper wird voll getankt und wir zahlen in bar, denn unsere Kreditkarten werden nicht akzeptiert. Die beiden indischen Betreiber raten uns, unsere Bank zu kontaktieren. Sie sind sehr an unserem Fahrzeug interessiert und sie bieten vollen Service und tanken alle Autos selber voll. Sobald alle versorgt sind kommen sie wieder zu uns rüber, um mehr über unsere Reise zu erfahren. Bargeld haben wir mittlerweile ausreichend dabei.

Jetzt sind es nur noch ein paar Minuten bis zum Liberty Harbor RV Park. Ich halte am Stopzeichen und wir gehen ins Office zum Einchecken. Wir werden überaus herzlich empfangen von einer sehr fröhlichen Lady, die sich als Deborah vorstellt. Ich frage nach dem Preis pro Nacht und falle fast aus allen Wolken als sie ihn uns nennt. „139 $“, sagt sie.

Ich wiederhole ungläubig „What???? For a parkinglot??? 139 $???“

Sie bestätigt lachend, „Yes, Honey, 139 $. You are in New York now!“

Ich muss dazu sagen, es ist schon etwas mehr als ein reiner Parkplatz. Wir haben hier ein Waschhaus dabei mit Duschen und Toiletten. Dann gibt es einen Stromanschluss an jedem Platz, den wir allerdings nicht brauchen. Unser Grauwasser können wir an der Dumpstation ablassen und Frischwasser können wir nach Bedarf auffüllen. Das Wichtigste aber ist, wir stehen hier safe mit einer 24/7 Security und Videoüberwachung.

So ne und so ne Nachbarn auf dem RV Parkplatz….

Deborah ermahnt uns noch unbedingt am Tag der Abreise pünktlich auszuchecken. Sonst wird gnadenlos ein weiterer Tag berechnet. Und auf keinen Fall zu vergessen, sich in eine Liste an der Tür als ausgecheckt einzutragen, denn sonst wird ein halber Tag berechnet und von der gespeicherten Kreditkarte abgebucht. Hier funktioniert meine Kreditkarte ohne Probleme.

Deborahs freundliche Art und ihr vieles Lachen macht sie uns sofort sympathisch. Nach den Formalitäten nehmen wir es hin wie es ist und ärgern uns nicht weiter über den hohen Preis. Nützt ja nichts. Jutta erwähnt noch, dass wir durch den Holland Tunnel gekommen sind und fragt Deborah. ob das überhaupt erlaubt war?

„Oh my god, it`s not allowed!“, sagt sie lachend. Sie sagt uns auch, dass es 1000 Dollar Strafe kostet, wenn man erwischt wird. „Da habt ihr aber Glück gehabt.“, bemerkt sie noch in ihrer fröhlichen Art. 1949 ist ein LKW mit 55 Gallonen Kohlenstoffdisulfid im Tunnel in Brand geraten. Der Brand konnte erst nach mehreren Stunden gelöscht werden und 66 Menschen wurden verletzt.

„Ich denke oft, dass die Nacht lebendiger und intensiver gefärbt ist als der Tag. „(Vincent van Gogh)

Ich fahre LEMMY auf unseren großzügigen Stellplatz. In der Nähe stehen noch drei andere RVs, die eher die Größe eines Reisebusses haben und ich bin überglücklich angekommen zu sein, in dieser Metropole, die niemals schläft. Wir hingegen tun das schon, nur noch ein, zwei Bier zum Runterkommen.

Heute wollen wir es ruhig angehen lassen. Beim letzten New York Besuch waren wir nicht bei der Grand Central Station.Das will ich heute unbedingt nachholen. Deborah hat uns erklärt, wie wir am schnellsten rüber kommen nach Manhattan, nämlich mit der „PATH“. Eine Station ist nur wenige Minuten von unserem Parkplatz entfernt. Damit fahren wir einmal unter dem Hudson durch und steigen dann auf der anderen Seite aus, je nachdem wo es dann weiter gehen soll. Es gibt verschiedene Knotenpunkte und eine Menge verschiedene Linien. Wir zahlen hier etwas Lehrgeld, weil wir vorher nicht recherchiert haben, wie man es am besten macht mit den New Yorker U-Bahnen.

Wir kaufen uns in Manhattan jeweils für 20 Dollar eine Karte zum Abfahren, ohne zu wissen, das diese wohl für die gesamte Metro gilt, jedoch nicht für die PATH. Irgendwie dachten wir, dass wir damit schon eine Weile auskommen werden. Eine Wochenkarte hätte 36 Dollar pro Person gekostet. Na ja, die haben wir kurze Zeit später dann gekauft, weil die 20 Dollar mit einigen Fahrten hin und her (Ich sagte es bereits, Manhattan ist riesig!) aufgebraucht waren. Wenn man dann allerdings das New Yorker Metro System durchschaut hat, dann ist es ein perfektes Mittel diese einzigartige Stadt zu erkunden.

Seit wir Kanada verlassen haben, erleben wir zum ersten Mal Temperaturen über Null Grad. Warm angezogen sind wir trotzdem, um gut gerüstet zu sein für einen langen Tag in den faszinierenden Wolkenkratzerschluchten.

First time in NYC-Metro!

New York zieht mich sofort in seinen Bann, mit den ganzen schrillen Menschen, dem Verkehr, dem Lärm, dem Chaos, überall ist was los und hinter jeder Ecke gibt es was Neues zu entdecken. Auf der anderen Seite ist es auch erschütternd und erschreckend realisieren zu müssen, wie Viele hier in bitterer Armut leben. Einer läuft mit sich selbst redend in der Metro an uns vorbei. Er hat wenig Kleidung am Leib und Schuhe trägt er auch nicht, nur durchgescheuerte Socken. Es sind draußen 4 Grad über Null.

An der Brooklyn Bridge steigen wir kurz aus, um sie nur anzusehen. Wir sind bereits einmal drüber gelaufen und das werden wir auch wieder machen, aber nicht heute. Und wir werden, wenn wir die Ostküste weiter runterfahren, mit LEMMY diese Brücke überqueren. Aber jetzt geht es zum Grand Central. Diesen Bahnhof persönlich in Augenschein zu nehmen, nachdem ich ihn in unzähligen Filmen bereits gesehen habe, ist ein großer Moment für mich.

Grand Central

Ich liebe nicht nur Horrorfilme, sondern auch andere Genre haben es mir angetan. Besonders mag ich Filme von David Cronenberg, David Lynch, Quentin Tarantino, Abel Ferrara, Martin Scorcesi, Alfred Hitchcock, Oliver Stone und noch Viele mehr. Aber noch mehr liebe ich es, in Filmen Orte wiederzuerkennen, die ich bereits besucht habe.

Am Grand Central steigen wir aus der Metro und kommen in diese wunderbare Bahnhofshalle. Es ist ganz genauso wie ich es aus den Filmen kenne. Da drüben ist die Oyster Bar und dort die große Bahnhofsuhr. Wir schnuppern ein wenig rein und beobachten die Leute, wohin sie auch immer eilen mögen. So ein Bahnhof, in so einer Stadt wie New York, ist ein wenig wie ein Flughafen. Wie viele verschiedene Schicksale pendeln hier jeden Tag zur Arbeit und zurück? Wie viele Personen starten von hier eventuell in ein neues Leben und wie viele Menschen kämpfen hier Tag für Tag ums Überleben, um etwas zu essen? Tausende Begegnungen, stündlich. Nimmt uns irgend jemand wahr hier? New York ist unpersönlich. New York ist gnadenlos. Und New York ist ein Synonym für Erfolg. If I can make it there, I´ll make it anywhere. Sicher das ist eine abgedroschene Phrase, doch irgendwie glaube ich daran.

Vor der Grand Central Station

Wir lassen uns etwas treiben, auch draußen um Grand Central herum. Dann wollen wir noch zum Times Square. Uns ist schon am ersten Tag klar, dass alleine Manhattan eine Reise von vier Wochen oder mehr nicht gerecht werden würde. Zuviel gibt es zu sehen und zu erkunden. Aber wir lassen uns davon nicht entmutigen, schließlich sind wir gerade erst angekommen und haben noch etwas Zeit vor uns in dieser gewaltigen Millionenstadt.

Wir laufen bis zum Times Square und genießen jede Sekunde. Langsam realisieren wir wo wir uns befinden. Überall in diesen Häuserschluchten sehe ich großartige Ausblicke und immer wieder wird das Handy rausgekramt um zu fotografieren. Da das Empire State Building, dort dampft es aus dem Straßengully und dann wieder ein geiles Graffiti an der Wand.

Wir gehen noch ins Hard Rock Cafe am Times Square, um dort erfolglos im Merch Shop zu stöbern und stärken uns danach im Restaurant, nach einem entspanntem ersten New York Tag, mit der Nacho- Cheese-Platte mit Chicken, Sourcream & Guacomole, dazu zwei große Biere.

HCR in NYC

Ausgehen muss natürlich auch sein, wenn man schon mal in so einer Mega City unterwegs ist. Da habe ich im Internet einige vielversprechende Läden gefunden. Zwei aber haben mich besonders angesprochen. Das eine ist der Double Down Saloon, in Lower Manhattan/Eastside. Den werden wir gleich ansteuern. Das Andere ist der Lucky 13 Saloon, der ist allerdings drüben in Brooklyn, den machen wir ein andermal.

Wir merken schnell, dass echt viel Zeit in den Metros drauf geht. Es dauert immer eine ganze Weile um von A nach B zu kommen, besonders wenn man auch noch ein oder zweimal umsteigen muss. Aber es ist nie langweilig, immer gibt es interessante Leute zu beobachten, freakige Typen, Business People, Leute wie du und ich. Einige kommen abgekämpft von der Arbeit, haben noch den dreckigen Overall an, Andere sind hip und tragen ihre schicken Designeroutfits zur Schau. Und die verschiedenen Stationen haben auch alle ihren eigenen Reiz. Die U-Bahn ist alt, sehr alt. Das sieht und hört man. Es quietscht und knarzt sobald sich ein Zug nähert. Es ist dreckig, zum Teil düster. Manche Stationen sollte man abends besser nicht alleine betreten. Trotzdem haben sie unglaublich viel Charme und ich fotografiere viel und finde immer neue interessante Perspektiven. Ich liebe die New Yorker Metro einfach, ganz genauso wie sie ist.

Nach der Metrostation müssen wir noch etwas laufen und kommen an „Katz`s Spezialitäten Laden“ vorbei. Bald darauf entdecke ich auf der anderen Straßenseite den Double Down Saloon. Schnell rüber und nix wie rein. Es ist kalt draußen, wenn die Sonne mit dem Mond die Plätze getauscht hat. Der Türsteher hat kein Problem mit uns. Die Bar ist nicht besonders voll und ich fühle mich auf Anhieb sauwohl.

Sie ist sehr düster, die Musik ist laut und der Tresen ist lang. Überall kleben Plakate und die Wände sind bekritzelt. Eine typische Punk- und Metalkneipe halt. Hinten gibt es noch einen Billardtisch und kleine Separees mit ledernen Sofas. Ich bestelle mir Local Draft Beer und Jutta ein Wheat Beer. Wir trinken „On Tab“, das bedeutet das ich meine Kreditkarte der Barfrau aushändige und erst am Ende des Abends zahle und nicht jeden Drink einzeln. So mag ich es.

Wir suchen uns einen netten Platz an einem Tisch mittendrin und schauen uns um, begutachten die Bar, die anderen Gäste und lauschen der Musik. Ich vergleiche zwangsläufig mit anderen Bars, ich war schon in Einigen. Aber was ich hier sehe, habe ich noch in keiner anderen Bar zuvor gesehen. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich es gemerkt habe, Jutta war da viel schneller als ich.

Überall hängen Fernsehapparate. Über dem Tresen und an den Wänden, im ganzen Laden verteilt. Und was dort üblicherweise läuft sind entweder Musikvideos oder Filme. Manchmal gibt es Untertitel bei den Filmen, denn sie laufen immer ohne Ton, weil wir in einer Bar ja Rock `n` Roll hören wollen. Die Filme, die hier laufen brauchen keine Untertitel. Es sind Hardcore Pornos. Gebannt und amüsiert zugleich, weil ich so etwas hier nicht erwartet habe, schaue ich eine Weile zu, wie dort auf dem Monitor Dinge geschehen, die ich hier nicht näher beschreiben mag, denn das ist absolut nicht jugendfrei.

Double Down Saloon

Wir überlegen und besprechen noch, was wir uns für morgen in etwa vornehmen wollen und verlassen nach einigen Drinks den Double Down Saloon, der auf meiner Favoritenliste einen Ehrenplatz bekommt.

Zurück geht es wieder mit der Metro und anschließend mit der „PATH“ unter dem Hudson hindurch, bis wir dann in Jersey die letzten Meter nach Hause laufen.

Heute ist der 08. Februar 2022, ein sonniger Wintertag und wir haben 8 Grad über Null, was sich sehr angenehm anfühlt nach den arktischen Temperaturen, die wir in Kanada erlebt haben. Um Downtown mal von unserer Seite, von Jersey City zu sehen, wollen wir heute mit der Fähre über den Hudson fahren. Wir müssen nur ein paar Blocks laufen, um zum Fähranleger zu kommen. Auf dem Weg sehen wir einige Zelte, mitten auf den Bürgersteigen und manchmal auch nur Matratzen mit wenigen Habseligkeiten davor. Die Armut und die Not vieler Menschen ist groß. Es ist nur schwer zu ertragen, damit täglich neu konfrontiert zu werden, weil man selber so hilflos ist. Natürlich geben wir hier und da mal etwas, aber damit ist ja nur kurzfristig geholfen. Ohne Lösung gehen wir weiter zum Anleger.

Wir sind etwas zu früh dran und haben noch Zeit zu einem besseren Aussichtspunkt auf Downtown Manhattan zu spazieren. Der Anblick ist atemberaubend. Na ja, für mich jedenfalls. Jutta findet Skylines auch schön. Ihr reicht es aber, sie einfach nur still anzugucken. Ich bin immer wieder neu fasziniert und begeistert. Ich bewundere bei strahlend blauem Himmel das neue „One World Trade Center“. Mir gefällt die Architektur sehr und die Größe ist beeindruckend. Rechts daneben standen früher die Zwillingstürme des alten WTC. Wir alle wissen was damit am 11.09.2001 geschehen ist. Heute wollen wir uns das 9/11 Memorial ansehen.

Von hier aus sehen wir auch die Freiheitsstatue und das Einwanderungsmuseum auf Ellis Island. Wie sich die Einwanderer damals wohl gefühlt haben, als sie vom Schiff endlich Miss Liberty sahen und dann dem Grenzbeamten Rede und Antwort stehen mussten? Die Gesunden und offensichtlich Starken, mit entsprechender Gesinnung durften einreisen. Alte, schwache oder kränklich wirkende Personen, die vielleicht auch nicht immer die richtigen Antworten gegeben haben, wurden mit dem nächsten Schiff zurückgeschickt. Für diese Menschen wird die Einreise damals wohl um Einiges aufregender gewesen sein, als für uns heutzutage.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich das gelbe Fährschiff kommen sehe. „Jutta, wir müssen los zum Anleger, die Fähre kommt.“

Nun nähern wir uns diesem Wolkenkratzerdschungel von der Seeseite her und die riesigen Türme, aufgereiht wie ein futuristisches Schachspiel, kommen immer dichter ran. „Zieh dir das rein, ist das nicht der Wahnsinn?“, sage ich zu Jutta.

„Ja, sieht toll aus.“, sagt sie lächelnd, ohne meine eigene Begeisterung so wirklich zu teilen.

Wir bahnen uns den Weg durch dieses Häusermeer und finden das „One World Trade Center“. Natürlich soll es noch hoch auf das Aussichtsdeck gehen. Doch der Portier sagt, es sei für heute und morgen geschlossen. „Kommen sie doch übermorgen noch einmal wieder.“ Dann werden wir allerdings auf dem Weg sein die Stadt zu verlassen. Ist nicht schlimm, das spart uns viel Geld. Stattdessen geht es dann auf das „Empire State Building“. Da wollte ich sowieso noch einmal rauf nach dem letzten Besuch hier und wir müssen nur eine Aussichtsplattform bezahlen.

Das machen wir dann etwas später, bevor die Sonne untergeht.

Jetzt wollen wir uns das 9/11 Memorial ansehen und das ist sehr unauffällig und gigantisch zugleich. Unauffällig ist es, weil es sehr flach ist und man es glatt übersehen könnte, würde man nur daran vorbei gehen, ohne zu wissen, wo man sich befindet. Gigantisch ist es, weil es aus zwei Monumenten besteht, die der Grundfläche der beiden ehemaligen Zwillingstürme entsprechen.

9/11 Memorial

Bäume umringen diese Gedenkstätte, so dass wir das Gefühl haben in einer Parkanlage inmitten der Großstadt zu sein.

Es fällt mir gerade schwer zu beschreiben, was ich da sehe und wie es mir in dem Augenblick geht. Ich habe einen großen Kloß im Hals und bin ziemlich ergriffen von diesem überwältigendem und überaus angemessenem Meisterwerk der Architektur (Michael Arad). Ich setze mir schnell meine Sonnenbrille auf und ringe mit mir, um nicht die Fassung zu verlieren. Jutta und ich gehen bewusst ein wenig voneinander entfernt, immer in Sichtweite, aber trotzdem alleine. Ich wische mir unauffällig zwei, drei Tränen von der Wange.

Die Monumente sind im Grunde zwei quadratische, riesige Vertiefungen im Boden, umgeben von einer flachen Mauer. Die Mauer ist oben in Metall gefasst, in das die Namen aller 2977 Opfer ausgestanzt sind, um diesen Menschen für immer zu gedenken. In manchen Namen steckt eine weiße Rose. Innen fließt Wasser an den gekachelten Wänden hinab, im ewigen Kreislauf, unaufhörlich. Am Boden sammelt es sich und fließt in ein weiteres quadratisches Loch. Dieses ist aber viel kleiner und ich kann keinen Grund erkennen. Es wirkt als fließe es hinab in die Unendlichkeit.

Wieder muss ich mich zusammen reißen, als Jutta auf mich zu kommt. Sie merkt, dass es wohl besser ist mich noch einen Moment in Ruhe zu lassen. Ihr geht es ähnlich, das ist deutlich spürbar.

No words can discribe….

Nach einer Weile treffen wir wieder zusammen und ich nicke Jutta zu. Jetzt bin ich bereit und wir können dieses unaufdringliche und zugleich bewegende Monument verlassen. Natürlich reden wir über die letzte erlebte Stunde dort und finden beide, dass dieses Denkmal nicht passender, schöner bzw. dem schrecklichen Ereignis angemessener, hätte sein können. Es ist perfekt. Aber trotzdem muss nun Jeder für sich einen Weg finden, das alles zu verarbeiten.

Vom 9/11 Memorial aus habe ich schon so ein eigenartiges Gebäude gesehen, darauf steuern wir jetzt zu. Es ist ganz in weiß gehalten und sieht aus wie ein riesiger, saurierartiger Vogel, der seine Flügel spreizt.

OCULUS Station

Inmitten der umgebenden Hochhäuser wirkt er klein, aber für diese vogelartige Architektur ist er enorm groß. Viele Leute gehen rein und andere kommen heraus. Was verbirgt sich wohl im Inneren?

Das finden wir nur heraus, wenn wir selber hinein gehen. Der absolute Wahnsinn offenbart sich uns, ich fühle mich wie in einem Science Fiction Roman von Frank Herbert. Es könnte eine Raumstation aus „Dune, der Wüstenplaneten“ sein. Vielleicht auch ein Raumschiff aus Star Wars. Im Innenbereich ist ebenfalls alles in weiß gehalten und die äußere Architektur wird innen konsequent fortgeführt. Es gibt mehrere Ebenen, zum Teil über Rolltreppen oder Aufzüge zu erreichen.

Wir befinden uns in der OCULUS STATION. Dort ist eine Metro weit unter der Erdoberfläche und gibt sich erst zu erkennen, wenn man sich einige Etagen nach unten bewegt. Hier kreuzt sie die New Yorker U-Bahn mit der PATH (Port Authority Trans-Hudson) und tief unter dem WTC geht es in verschiedene Richtungen weiter.

Oben aber scheinen wir uns in einem Gerippe zu bewegen. Die Streben, die dieses Gebäude ausmachen, muten an, als befinden wir uns in einem Dinosaurierskelett. Verbunden werden sie in der Mitte ganz oben, von etwas das aussieht wie eine Wirbelsäule. Darum ist wahrscheinlich auch alles weiß. Nur eine einzige Strebe wird pink erleuchtet.

Der Architekt dieser futuristischen Halle ist der Spanier Santiago Calatrava. Er muss ein großer Science Fiction Fan sein. Unten im Ground Floor sehen wir eine Installation von weißen Körpern, wie große Kapseln sehen sie aus, in denen ein Mensch liegen könnte. Davon gibt es ein Dutzend, sechs auf einer Seite und sechs auf der anderen Seite. Allerdings sind sie abgesperrt, wahrscheinlich damit sie niemand als Bank missbraucht.

Fasziniert fahren wir die Rolltreppen in den Untergrund und verlassen diese Raumstation mit einem alten Metrozug, der hier irgendwie nicht so richtig rein passt. Denn auch die PATH-Station hier unten ist komplett weiß, futuristisch und piccobello sauber.

Normale Metro
OCULUS Station

An der Brooklyn Bridge Station steigen wir aus. Her sieht die New Yorker U-Bahn wieder so aus, wie wir sie kennen und lieben: alt, dreckig und etwas abgefuckt. Wir wollen nach China Town, denn es ist Lunch Time und uns knurrt bereits der Magen. Von hier können wir gut dorthin laufen und unterwegs noch einige Eindrücke mitnehmen. Wir finden ein schönes und mit vielen „Locals“ gefülltes Lokal, was meist ein Zeichen für gutes Essen ist und kehren dort ein. Noch bevor wir irgendetwas bestellen, bekommen wir jeder ein Glas Wasser auf den Tisch gestellt und eine große Kanne mit Tee, dazu zwei kleine henkellose Tassen. Wir bestellen Bun Cha (vietnamesische Frühlingsrollen), Jutta die vegetarische Variante, ich die mit Pork. Dazu gibt es wahlweise Noodles oder Rice und zum Trinken noch einen leckeren Smoothie.

Nach dem köstlichen Mittagessen, obwohl es schon längst Nachmittag ist, geht es gestärkt weiter zum Empire State Building. Auf dem Weg sehen wir Macy`s und gucken mal kurz rein. Jutta sucht noch nach Hausschuhen und findet hier die „Uggs“ toll, das sind Schuhe, Clogs oder so was Ähnliches. Aber es gibt sie nicht in der passenden Größe. Es geht einmal rauf und wieder runter und schon sind wir wieder draußen.

Ich weiß noch wie es 2006 war, ich meine es war 2006, als wir das erste Mal in New York waren. Da sind wir auch zum Aussichtsdeck des Empire State Buildings hoch gefahren, mussten aber über 90 Minuten in der Line stehen, denn es war ziemlich viel los. Da ich auf keinen Fall die Dämmerung verpassen will, damit ich zum Fotografieren perfektes Licht habe, sind wir rechtzeitig vor Ort und stellen mit Freude fest, dass keine lange Warteschlange vor uns ist. Nach dem Ticketschalter geht es lange Flure entlang, wo es auch schon Vieles zu sehen gibt, damit die Zeit in der, diesmal nicht vorhandenen Schlange, nicht zu lang wird. Es wird anhand von Bildern und Multimediabeiträgen über den Bau dieses Wolkenkratzers berichtet. Etwas später klettert ein virtueller King Kong an der Aussenfassade hoch und wir beobachten das Spektakel durch die Fenster von Innen.

Help meeeee!

Jetzt nur noch in den Highspeedaufzug und ab geht die Fahrt nach oben. Das war schon damals sehr beeindruckend. Obwohl ich das zweite Mal hier bin, ist es erneut fantastisch die 360° Aussicht zu genießen. Wir bemerken auch wie vorteilhaft es doch sein kann, außerhalb der Saison zu reisen. Wir können ohne großes Gedränge und Geschiebe den Balkon umrunden und haben mit der untergehenden Nachmittagssonne beste Lichtverhältnisse. Allerdings ist es bitterkalt hier oben, deswegen wärmen wir uns nach der ersten Runde innen wieder auf.

Es ist fast unbeschreiblich, dieses gigantische Häusermeer. Wir schauen rüber bis Jersey City, wo unser LEMMY steht. Die Sonne geht immer weiter unter. Das Licht färbt sich rötlich und das Farbenspiel am Himmel und in den Wolken ändert sich im Sekundentakt. Ich drehe eine zweite Runde um mehr Fotos zu machen. Auch noch ein weiteres Mal bei völliger Dunkelheit verlasse ich den gemütlichen und warmen Innenbereich, aus dem der Ausblick nebenbei gesagt ebenso spektakulär ist, halt nur durch eine Glasfront. Einige andere Hobbyfotografen haben dieselbe Idee und warten mit uns geduldig auf die Dunkelheit. Jetzt spendet nur noch der Mond durch den bewölkten Himmel etwas Licht von oben. Alles andere Licht kommt von den Hochhaustürmen dieser Mega City und lässt die Stadt erstrahlen.

We love New York!

Mit viel zu vielen Fotos fahren wir den Aufzug wieder runter und verlassen durch den Merch Shop das Empire State Building. Irgendwie kommt man daran nie vorbei. Clevere Architekten. Als wir schon auf der Straße sind fällt mir ein, die Halle durch die wir gerade das Gebäude verlassen haben, sieht auch ganz fotogen aus. Ich sage Jutta, dass ich nochmal kurz rein muss, für ein allerletztes Foto.

Der Portier schaut mich fragend an, als ich zurück komme. Als will er sagen: „Na mein Freund, hast du etwa etwas vergessen oder kannst du einfach nicht genug bekommen von diesem Meisterwerk der Ingenieurskunst?“. Aber er schaut mich nur an und bleibt stumm.

Ich frage stattdessen: „Can I take one last picture?“

Er antwortet lächelnd und sehr freundlich: „The Empire State Building is yours.“ und unterstreicht seine Worte mit ausgebreiteten Armen, als lege er es mir zu Füßen.

Da mein englischer Wortschatz etwas begrenzt ist und ich so spontan nicht die richtigen Worte finde auf die Schnelle, sage ich lediglich: „Ok, thank you, Sir.“

Lieber hätte ich ihm was Anderes geantwortet, etwas worüber wir beide dann wohl herzlich gelacht hätten. Dann hätte ich gesagt: „OK Sir, ich verkaufe es an den Meistbietenden.“ oder aber „Mein lieber Herr, wo kann ich mir die Tageseinnahmen abholen?“

Wir fahren wieder rüber nach Jersey zu LEMMY und beenden einen weiteren großartigen Tag.

Tag 3 in NYC beginnt, wie üblich mit dem Morgenkaffee und einem Plan. Der Plan heute ist als erstes die „HIGH LINE“ Strecke entlang zu spazieren. Das ist eine stillgelegte Tramstrecke durch Westchelsea beim „Meat Packing District“. Danach wollen wir über die Brooklyn Bridge laufen und uns etwas in Brooklyn treiben lassen, denn am Abend möchte ich mit Jutta in den „Lucky 13 Saloon“, der ebenfalls in Brooklyn liegt.

Ich habe noch immer eine Menge Ideen, falls noch Zeit für andere Dinge bleibt, wie zum Beispiel ins MoMA oder ins Guggenheim Museum oder ins Whitney Museum of American Art. Aber leider schaffen wir nicht annähernd das angedachte Tagesprogramm zu absolvieren. Jutta tröstet mich damit, dass wir ja auch mal zwischendurch nach New York fliegen können, um einiges nachzuholen, was jetzt auf der Strecke bleibt. Das muss unbedingt sein, denn sonst können wir hier noch lange nicht weg fahren.

An einer Metrostation im angesagten Meat Packing District steigen wir aus. Von hier aus wollen wir laufen zur High Line. Die grobe Richtung haben wir uns auf Googlemaps angeschaut. Es ist in den letzten Jahren immer hipper geworden hier zu wohnen und dementsprechend haben sich viele Restaurants und Bars angesiedelt. Aber die alten Fleischfabrikshallen und die großen Tore für die LKWs sind noch überall zu sehen. Das Viertel hat was, das muss man schon sagen. Die New Yorker brauchen wohl keinen Stillstand befürchten, was die Stadtentwicklung angeht. War es gestern noch Williamsburg, das schwer angesagt war und ist es heute der Meat Packing District, so kann es morgen schon Westchelsea sein.

Boardwalk NY – Third Level

Die High Line ist eine alte Hochbahntrasse und wir sehen sie bereits. Doch wissen wir nicht, wo es eine Möglichkeit gibt da rauf zu kommen. Als wir an einer Ampel auf Grün warten und neben uns eine nett aussehende Frau mit Kinderwagen steht, fragen wir nach. „Das ist nicht mehr weit.“, sagt sie, „noch ein oder zwei Blocks und dann links. Ich gehe die selbe Richtung.“ Wir sind allerdings etwas flotter unterwegs und sehen schon die Treppe nach oben zu dieser Flaniermeile. Wir drehen uns noch einmal um, zeigen den Daumen nach oben, so dass sie weiß, dass wir es gefunden haben.

Jetzt geht es eine Treppe rauf und schon befinden wir uns auf diesem Boardwalk über den Straßen. Die alten Gleise sind längst von der Natur überwuchert. Zwischendurch gibt es Bänke in schön bepflanzten Sitzecken, für diejenigen, die ihren Spaziergang mal unterbrechen möchten. Aber auch für Leute, die ihre Mittagspause mit einem Kaffee und dem Lunchpaket im Freien verbringen wollen.

Wir sind begeistert von dieser genialen Idee, eine alte, ungenutzte Hochbahn in einen parkähnlichen Spazierweg zu verwandeln. Überall gibt es tolle Ausblicke, mal auf den Hudson River, dann wieder in eine beeindruckende Straßenschlucht. Zwischendurch entdecken wir bunte Graffiti, zum Teil schmücken sie ganze Fassaden. Durch eine enge Häuserschlucht sehen wir Andy Warhole? an der Wand und wie er zu uns rüberblickt, im Hintergrund das ONE WTC.

Ein Spaziergang eine Etage über der Stadt, gewährt ganz besondere Ein- und auch Ausblicke. Wir kommen an futuristischen, vermutlich unbezahlbaren Luxusapartments vorbei und an hypermodernen Wolkenkratzern. Einer hat weit oben eine große, dreieckige Aussichtsplattform, es wäre untertrieben dazu einfach nur Balkon zu sagen.

Dann sehen wir im Gegensatz dazu, auch die alten New Yorker Wohnblocks mit den Feuertreppen, die von ganz oben bis fast runter auf die Straße führen. Was hier wohl im Sommer los ist, wenn die ganze Stadt voller Touristen ist? Ich mag es mir nicht ausmalen.

Normalerweise sind wir mit unseren Berufen auch immer an die Sommerferien gebunden, was eigentlich nie ein Problem war, denn oft flogen wir nach Asien, wo die High- und die Peak Season erst im Herbst und Winter beginnt. Nie würden wir auf die Idee kommen den Sommer an den überfüllten Stränden von Spanien oder Italien zu verbringen. Hier und jetzt sind wir ein weiteres Mal hocherfreut darüber, in der Nebensaison unterwegs zu sein. Besonders wenn es so ein wundervoller, kalter, aber sonniger Tag ist. Wir gehen gemütlich bis ans nördliche Ende der High Line, wo im Augenblick eine Baustelle den weiteren Weg versperrt. Vermutlich wird dieser besondere Spazierweg in der Zukunft noch um Einiges erweitert.

Ganz in der Nähe finden wir eine Metrostation von der wir bis zur Brooklyn Bridge fahren. Diese Brücke übt eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Und das nicht nur, weil sie wunderschön ist. Nein, auch weil sie zwei so bedeutende Stadtteile miteinander verbindet, Brooklyn und Manhattan. Zu Manhattan muss man nicht viel sagen, der Name spricht für sich.

(Jutta fragt mich beim Korrekturlesen: „Wieso spricht der Name für sich?“ Dabei lacht sie, weil ich natürlich sofort fassungslos die Arme ausbreite und sage: Maaaaanhattaaaan?!!! Bremen-Tenever heißt Klein-Manhattan, Frankfurt am Main wird Mainhattan genannt. Jedes Kind kennt Manhattan!)

„Brooklyn“, das klingt doch schon wie Musik. In Hamburg in der „Cowboy & Indianer“ Bar und nebenan im Lehmitz, da gibt es Brooklyn Lager. Selbstverständlich trinke ich nur dieses Bier frisch gezapft, wenn ich in einer der beiden Bars bin. „Brooklyn“, der Name klingt nach einer verführerischen Frau, nach einer heruntergekommenen Hafenspelunke, nach einem betörendem Parfüm und natürlich nach einer großartigen Brücke und einem aufregenden New Yorker Stadtteil. Selbst ein Film heißt „Letzte Ausfahrt Brooklyn“. Wahrscheinlich habe ich in meinen Träumen, wenn ich über die nicht existierende Atlantikbrücke gefahren bin, immer genau diese Ausfahrt genommen.

Da isse, die Brooklyn Bridge!

Und nun sind wir hier und ich sage: „Jutta, sieh dir das an, diese gewaltige Brücke und da drüben gleich die Manhattan Bridge. Und guck mal da unter uns die ganzen Autos, die rüber wollen nach Brooklyn. Da fahren wir auch morgen lang. Hast du Miss Liberty gesehen da hinten und die Skyline, ist das nicht fantastisch?“ Sie amüsiert sich dann gerne über meine kindliche Freude. Aber ehrlich gesagt bin ich ganz froh darüber, dass sie mir erhalten geblieben ist.

Das mir heute wieder die Tränen kullern werden, davon ahne ich jetzt noch nichts. Doch im Gegensatz zu gestern, werden es Tränen der Freude sein und ein unglaubliches Glücksgefühl wird mich überkommen.

Have you seen it?

Wir schlendern weiter und Jutta entdeckt ein selbstgemaltes Plakat, angeklebt an einem Brückenpfeiler. „LOST“ steht dort in großen Lettern ganz oben auf dem Zettel. Darunter etwas kleiner geschrieben steht: „Have you seen my ear? Dann ein gemaltes Porträt ohne Ohr und ein weiterer Text. Offensichtlich sucht Vincent van Gogh in New York nach seinem abgetrennten Ohr. Ich liebe diese Stadt!

Angekommen auf der anderen Seite heißt es dann „WELCOME TO BROOKLYN.“

Es ist bereits später Nachmittag und wir bekommen Lust auf einen Kaffee und vielleicht ein Stück Kuchen. In Brooklyn verlassen wir die Brücke und halten Ausschau nach einem geeigneten Etablissement. Wir gehen intuitiv und lassen uns treiben. Es geht ein kleines Stück links runter Richtung Hudson River und dann sehe ich plötzlich durch eine Häuserzeile, einen Pfeiler der Manhattan Bridge. Majestätisch überragt dieser kleine Ausschnitt auf die Brücke die Häuserzeilen links und rechts und ich denke: „Was für ein geiles Motiv!“

Woher kenne ich diesen Ausschnitt????

Wieder keimt die kindliche Begeisterung in mir auf und ich will diese mit Jutta teilen. „Siehst du das da, sieht das nicht unglaublich aus?“

Irgendwie kommt mir diese ganze Szenerie bekannt vor, ich weiß aber nicht woher. Auf jeden Fall sind wir nicht die Einzigen, die hier fotografieren, alle dasselbe grandiose Motiv. Zufällig ist genau hier in der Straße ein kleines Café, in das wir uns jetzt erstmal rein begeben und einen Café Latte bestellen und dazu ein kleines Stückchen Kuchen.

Der Kuchen ist genau nach meinem Geschmack. Der leckere Kaffee wärmt uns auf und obwohl dieses minimalistische und kühle Ambiente hier drinnen nicht so mein Ding ist, sind wir froh uns eine kurze Pause genehmigen zu können. Weil wir hier ein freies WLAN haben, checken wir kurz unsere Handys und jeder ist etwas für sich beschäftigt. Dann kommt es mir und ich rufe laut: „Ich hab`s. Jetzt weiß ich es wieder. Es war einmal in Amerika!“

Jutta guckt mich erstaunt und mit großen, fragenden Augen an.

„Na, da draußen, die Brücke, die Straße! Das ist das Cover, das Titelbild von „Once upon a time in America“, einem der besten Filme aller Zeiten! Den haben wir doch erst Silvester vor zwei Jahren gesehen!“ Ich kann es kaum fassen und unverzüglich suche ich das Cover im Internet. „Da ist es!“, sage ich triumphierend und halte mein Handy als Beweis Jutta rüber, „los, lass uns die Szene nachstellen. Ich laufe so wie Robert de Niro hier auf dem Cover und du fotografierst mich dabei.“

Also schnell noch kurz in den Restroom, dann zahlen und rauf auf die Straße. Die Dämmerung beginnt schon, was für uns perfekt ist zum Fotografieren. Allerdings sind noch einige andere Filmfans hergekommen, um es uns gleichzutun. Aber das ist jetzt egal und wird in Kauf genommen.

Jürgen auf Noodles Spuren!
Das Original

Ich spreche mit Jutta ab, wie ich mir das Foto vorstelle. Wo sie stehen soll und wo ich stehen werde und das ich versuche in einer bestimmten Pose zu verharren. Ich werde das linke Bein in der Luft halten, als ob ich auf meine Freunde auf der anderen Straßenseite zugehe und die Arme ausbreiten, um sie willkommen zu heißen. So gibt es das Titelbild vor und das will ich nachmachen, obwohl ich dann für einen Moment den anderen Fotografen mitten im Motiv stehen werde.

Ich fühle, wie ich auf den Spuren von Robert de Niro wandle, der im Film als Noodles auftritt, dem besten Freund von Max, gespielt vom wunderbaren James Woods.

„Mach aber schnell!“, sage ich noch zu Jutta, „damit wir nicht länger als nötig die Szene für die Anderen blockieren.“ „Alles klar, geh du in Position und bleib still stehen, dann mache ich die Bilder.“, sagt Jutta.

Nach wenigen Augenblicken ist alles im Kasten und wir machen die Straße frei für die Nächsten. „Jetzt gehen wir noch runter an den Hudson, vom Ufer hier neben der Brooklyn Bridge müssten wir eine grandiose Sicht auf Downtown und Lower Manhattan haben.“, sage ich.

Mir gehen langsam die Superlative aus, mein Wortschatz ist leider nicht nur im Englischen begrenzt. Dieser Ausblick von genau diesem Punkt in Brooklyn, auf Downtown und die beiden Brücken, links die Brooklyn Bridge, rechts die Manhattan Bridge, ist einfach nur zum Niederknien. So etwas Schönes habe ich selten zuvor gesehen. Ich bin sprachlos und mache Bilder, damit dieser unvergessliche Augenblick für immer weiter existiert. Berauscht vor Glück und etwas wehmütig müssen wir langsam weiter.

Ich kann mich kaum losreißen von diesem magischen Ort, wo sogar Jutta die Spucke weg bleibt, bei so einem Anblick. Das ist mehr als nur irgendeine Skyline. Das hier ist vielleicht der perfekte Ort, zur perfekten Tageszeit, um eine der vollkommensten Brücken, vor der wahnsinnigsten Skyline der Welt auf einem Foto festzuhalten.

No words….again….

Mir ist selbstverständlich klar, dass vor mir und auch nach mir, Tausende von Leuten diesen Platz entdeckt haben und entdecken werden. Aber das schmälert mein Glücksgefühl in keinster Weise.

Überaus zufrieden machen wir uns auf den Weg zu einer Metrostation, weil auch Brooklyn groß ist und der Weg in den Lucky 13 Saloon weit.

Unterwegs denke ich so bei mir, dass neben Manhattan, die anderen Teile von New York bestimmt bei den meisten Reisenden viel zu kurz kommen. Bei uns ist es ja ganz genau so. In Queens war ich noch nie. In der Bronx waren wir beim letzten Besuch wenigstens. Und einen Abstecher durch Hoboken haben wir auch beim letzten New York Aufenthalt gemacht. Das allerdings nur wegen meiner Mafia Leidenschaft. Und das PC Spiel Mafia I spielt unter anderem in Hoboken, in einem New York der 30er Jahren. Was also blieb mir da anderes übrig, als mit unserem Leihwagen durch diesen gut klingenden Stadtteil zu fahren?

„Wir müssen hier raus!“, vernehme ich von weit her. „Was?“, frage ich, als Jutta an meinem Arm zerrt. „Wir müssen hier aussteigen, beeil dich!“, vernehme ich nun laut und deutlich von Jutta, die bereits an der Tür des Zuges steht. Oben auf der Straße sind es noch ein paar Blocks zu laufen. Unterwegs gibt es wieder einige Graffiti zu sehen.

An einer Wand sehen wir:

TRUMP=RACISM WE VOTET HIM OUT!

Daneben einige Bilder. Brooklyn gefällt uns immer besser.

We agree!!!!!

Endlich stehen wir vor dem Lucky 13 Saloon und gehen durstig und voller Vorfreude hinein. Naja, auf jeden Fall, ich gehe so hinein. Jutta müsste nicht unbedingt oft ausgehen. Sie macht das mir zuliebe mit. Ich verspreche ihr, dass es nicht zu lange gehen wird und wir mit der letzten Metro noch zurück fahren werden. Ist das nicht auch eigentlich ein Filmtitel? „Die letzte Metro“?

In New York gibt es eigentlich keine letzte Metro, sie fährt immer. Allerdings ist spät in der Nacht die Taktung eine ganz andere und es kann sein, dass man lange auf seine Bahn warten muss. Das ist auch in der heutigen Zeit nicht ganz ungefährlich. Und nachts ist nicht mehr viel los im Untergrund von NYC. Da kann es dann auch schon mal unbehaglich werden, bei den schrägen Gestalten, die dort auch tagsüber und am frühen Abend schon rumlungern. Aber ich sage zu Jutta: „Du bist ja nicht allein, ich bin doch mit dabei.“

Nix mehr los!

(Kleine Notiz am Rande: Jetzt, wo ich an diesem Blog schreibe, sind wir bereits in Vancouver/B.C.. Es ist der 20. April 2022 und vor einigen Tagen habe ich von einer Schießerei in einer Metrostation in Brooklyn gelesen. Es wurden mindestens 23 Menschen verletzt und es war eine der größten Schießereien in der Geschichte der New Yorker U-Bahn. Die Schüsse fielen im morgendlichen Berufsverkehr, am 12.4.2022)

Wir gehen direkt zur Barkeeperin und bestellen uns zwei Bier. Die Musik ist schon mal sehr geil. Es läuft Queens Of The Stone Age. Die Bar ist kleiner als der Double Down Saloon auf der anderen Seite in Lower Mahattan, aber ansonsten sehr ähnlich. Die Wände werden von vielen Filmplakaten verziert, überwiegend Horrorfilme. Masken und Requisiten hängen auch hier und dort rum. Es sind nur wenige Gäste außer uns hier. Wow, und jetzt dröhnt Ministry aus den Boxen. Ich will mit Jutta auf den gelungenen Tag anstoßen und etwas sagen, aber ich merke plötzlich, dass ich gar nicht sprechen kann. Sie sieht mir sofort an was los ist, schließlich kennen wir uns nicht erst seit gestern.

Cheers!

Alles was wir an diesem Tag in New York erlebt haben, überwältigt mich gerade. Der Spaziergang auf der High Line, die Überquerung der Brooklyn Bridge. Das wir zufällig dieses Filmset von „Es war einmal in Amerika“ gefunden haben und dann noch die Aussicht auf die Skyline von New York. Das habe ich auch noch nie erlebt. Mir kullern Tränen der Freude die Wangen runter und ich bin nicht in der Lage irgendetwas zu sagen. Jutta versteht mich natürlich und es geht ihr genauso. Sie lächelt mich an und überglücklich stoßen wir auf den für uns beide sehr gelungenen Tag an.

Dann habe ich die Kontrolle zurück und ich hoffe Niemandem sonst ist es aufgefallen. Wahrscheinlich nicht, denn es ist laut und eben nicht viel los. Und falls doch, na wenn schon, auch egal.

Gibt viel zu gucken und zu hören hier!

Die Musik im Lucky 13 Saloon ist richtig super. Es laufen viele gute Songs und wenn ich hier von Hardcore rede, dann bezieht es sich ausschließlich auf die Bands. Auch New York Hardcore ist vertreten, von Madball läuft „For You“, einer meiner Lieblingssongs.

Aber was war das denn gerade? Zwei Ladies kommen zur Tür rein und huschen hinter mir an der Bar vorbei. Die Barkeeperin begrüßt die Beiden als seien es Stammgäste. Aus dem Augenwinkel sah es aus, als hätten sie nicht viel unter ihren Mänteln an. Sie verschwinden kurz von der Bildfläche und als sie wieder auftauchen, traue ich kaum meinen Augen. Sie haben nicht mehr viel am Leib. Beide sind in sexy schwarze Lederoutfits gekleidet. Ohne ihre Mäntel könnten sie so wohl nicht mehr auf die Straße.

Das ist sogar für New York zu sexy und man würde Beide sofort verhaften. Wie heißt es dann noch gleich? Ach ja, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder so ähnlich. Erregung trifft zu, aber im positiven Sinne. Ärgernis? Nein, das kann ich nicht bestätigen. So langsam dämmert es mir auch, was diese beiden sexy Ladies vorhaben. Denn als Gäste sind sie nicht gekommen. Am Ende des Tresens ist eine lange Stange, daran werden sie wohl abwechselnd tanzen.

Von den Ladies hat Jürgen „leider“ kein Foto gemacht 😉

Und nebenbei fällt mir auf, dass da auch ein paar T-Shirts über der Bar hängen und sogar ein Hoodie. Ich frage die Barfrau, ob sie mir die Shirts und den Hoodie mal zeigen kann und ob ich auch mal was davon anprobieren darf. Der Hoodie ist gekauft. Da tanzt sogar eine der Ladies auf der Vorderseite an der Stange. Auf der Rückseite ist das Logo des Lucky 13 Saloons und natürlich steht auch Brooklyn/New York mit drauf. Das die Stadt mit drauf steht, ist mir sehr wichtig. So habe ich immer ein schönes Andenken an die besuchte Stadt UND eine geile Bar. Früher waren das meistens die Hard Rock Café Shirts. Heute kaufe ich die nur noch selten. Die Hard Rock Cafés gehen für mich nicht mehr als gute Kneipe mit toller Musik durch. Nur, wenn mir das Motiv besonders gut gefällt UND der Städtename draufsteht, gibt’s ab und zu nochmal eins für meine Sammlung.

Ich handele mit Jutta noch zwei weitere Biere für mich aus, sie ist schon zu Wasser übergegangen Danach machen wir uns auf den langen Weg zurück, durch die einsamen Metrostationen von Brooklyn und Manhattan, denn wir müssen zweimal umsteigen. Kann denn die Nacht nach so einem Tag und so einem Abend noch schöner werden?

Wir kommen sicher und unbehelligt in Jersey City an. Da wir uns souverän durch die, des Nachts verlassenen und fast menschenleeren U-Bahn Stationen bewegen, werden wir auch nicht belästigt von irgendwelchen schrägen Gestalten. Hier und da werden wir beäugt und abgecheckt.

Doch ich bilde mir ein, durch selbstsicheres Auftreten können wir uns auf der ganzen Welt relativ sicher bewegen. Das ist es auch, was ich in der Vergangenheit erlebt habe. Sei es in Nairobi im River Road District, in der sogenannten „NO GO“ Zone für Touristen. Oder in Rio de Janeiro, wo Jutta die ersten Tage echt in jedem Typen der irgendwo in der Gegend rumstand einen Gangster gesehen hat. Man muss immer selbstbewusst auftreten und wenigstens so tun, als kenne man sich aus und sollte natürlich den Touristenkram zu Hause, im Hotel, im Auto oder sonst wo lassen. Wer hier unten Nachts mit der großen Kamera um den Hals rumläuft oder unbeholfen auf der Touristen Map sucht, wie und wo es weitergeht, wer eine fette Armbanduhr offen trägt oder eine dicke Brieftasche in der Gesäßtasche zur Schau stellt, der sollte sich nicht wundern, wenn es Probleme geben könnte. Rucksäcke und anderen Touristenstuff sollte man auch nicht dabei haben. Sei ein New Yorker oder gibt dich wenigstens wie einer, dann gibt es in der Regel keinen Ärger.

Just be cool!

Jutta schläft bereits, während ich mir in dieser fantastischen Nacht noch ein Feierabendbier genehmige und etwas Musikvideos schaue. Damit ich Jutta nicht störe, benutze ich meine Bluetooth Kopfhörer. By the way, sie waren mal ein Weihnachtsgeschenk von Juttas Eltern für genau diese Situationen. Bevor ich dann auch irgendwann schlafen gehe, poste ich noch einen „Good Night Song“ auf Facebook. Ich mag diesen Song sehr gerne, obwohl ich absolut kein Bon Jovi Fan bin, im Gegenteil. Aber diesen Song von Jon Bon Jovi, den liebe ich sehr. „Midnight in Chelsea.“

Heute werden wir eine der geilsten Städte unseres Sonnensystems verlassen. Es war von Anfang an klar, wir werden nicht im Mindesten das schaffen, was auf der langen To Do Liste steht. Klar ist aber auch, wir müssen in nicht allzu ferner Zukunft zurück kommen. Über die Atlantikbrücke in meinen Träumen sowieso, letzte Ausfahrt Brooklyn, aber auch in real. In der Nebensaison wird es schon erschwingliche Flüge geben und eine Woche werde ich mir auch schon mal im Theater frei nehmen können. Mit dieser Aussicht fällt es nicht ganz so schwer diese Megametropole zu verlassen.

Allerdings wollte ich so gerne noch über einige Brücken hier fahren. Zunächst mal müssen wir den Umweg über die George Washington Bridge fahren, denn der Holland Tunnel, was der direkteste Weg zu meinen Zielbrücken ist, ist nun absolut tabu für LEMMY. Aber Umwege gibt es nicht, das haben wir uns Zuhause schon gesagt. Der Weg ist immer auch das Ziel!

„Als Erstes würde ich gerne vom FDR Drive über die Williamsburg Bridge fahren.“, sage ich zu Jutta, „dann geht es von dort zur Manhattan Bridge und als krönenden Abschluss fahren wir über die Brooklyn Bridge.“

Eigentlich hätte ich auch noch gerne die Queensboro- und die Pulaski Bridge mitgenommen, aber das wäre schon etwas komplizierter mit der Navigation und vor allem zeitaufwendiger.

Alleine der „Umweg“ über die Brooklyn Bridge kostet uns ca. 90 – 120 Minuten.

Manhattan Bridge, ohne drüber zu fahren… : (

Aber Jutta hat nicht wirklich Bock mit mir über diese ganzen Brücken zu fahren, denn schließlich ist sie die Navigatorin und es ist immer mit etwas Aufwand verbunden mich dann treffsicher zu leiten. Denn auf GoogleMaps sieht man bei den ganzen Brückenzubringern, den Auf- und Abfahrten nicht immer genau, welche Spur und Strecke gemeint ist.Und der Großstadtverkehr stresst sie schon, wenn sie nur als Beifahrer neben mir sitzt. Deswegen drängel ich nicht lange und wir fahren nur über die wichtigste aller Brücken, die Brooklyn Bridge.

Als es dann endlich soweit ist, freue ich mich wie ein Sechsjähriger auf den Weihnachtsmann.

Die nächste Brücke wird die Verrazzano Narrows Bridge sein, die führt rüber nach Staten Island und ist kostenpflichtig. Aber es gibt keine Möglichkeit zu zahlen, wir werden nur gescannt. Was das für uns bedeutet wissen wir noch nicht.

Ach so, eine letzte Frage bin ich ja noch schuldig geblieben. Warum zum Teufel ich 139 $ für einen Parkplatz bezahle? Die Antwort ist ganz simpel. Ich zahle 139 $ für einen Parkplatz, weil: „Zum Teufel, wir sind in NEW YORK CITY!“

…bye bye New York City, see you…

….und was als nächstes geschieht…

CHAPTER III – DOWN THE EASTCOAST TO THE KEYS, 90 MILES TO CUBA

…Hannah Montana does the African Savannah und was meine Freundin Maddi damit zu tun hat…

2. AKT: Chapter 15 – Canada, Nova Scotia

…und wie wir verzweifelt versuchen, doch noch irgendwie nach Halifax zu kommen…

Halifax Waterfront – off season –

Der Flug von Bremen nach Frankfurt verläuft perfekt. Flug AC 0845 mit Air Canada von Frankfurt nach Montreal hat auf jeden Fall schon mal ca. eine Stunde Verspätung. Bevor es los geht auf die Rollbahn werden noch die Tragflächen enteist. Beruhigend. Ich nehme ein kurzes Video davon auf, weil ich von meinem Fensterplatz eine gute Sicht darauf habe. Dann heißt es „Take off“ und wir fliegen und genießen dabei das Inflight-Entertainment Programm. Es gibt verschiedene Filme und auch einige Spiele. Vieles mittlerweile auch in Deutsch.

Als wir anfingen mit unseren Fernflugreisen, damals mit Rucksack, da gab es nur wenige Monitore über den Köpfen der Passagiere. Man musste sich mit den Filmen begnügen, die die Flugbegleiter einspielten. Es war damals nicht dran zu denken, dass ich Jahre später Schach spiele oder Go (japanisches Brettspiel) gegen eine künstliche Intelligenz oder einen anderen Passagier. Heute schaut jeder was er will und wann er will, direkt vor sich im Sitzmonitor. Ach, Musik hören kann man selbstverständlich auch.

„Ob wir die Stunde Verspätung wieder rausholen?“, stelle ich eher als rhetorische Frage und erwarte keine Antwort. Zwischen den Filmen und dem Essens- und Getränkeservice versuchen wir auch mal ein wenig zu schlafen. Wir holen die verlorene Stunde nicht wieder raus. Wir wundern uns, als wir bei den Connecting Flights schauen, ob alles planmäßig läuft und feststellen, dass dem nicht so ist.

Lunenburg – so geniale Häuser und Fassadenfarben

Wir fliegen von Montreal nicht nach Halifax, sondern nach Ottawa. Offensichtlich wurden wir umgebucht. Wir fragen bei den Flugbegleitern nach was da los ist. Der Anschluss sei wohl zu knapp und vorsichtshalber hat man uns umgebucht. Das heißt, wir kommen später an und haben einen zusätzlichen Flug. Na toll, darauf hätten wir gut verzichten können. Das es alles noch viel schlimmer und komplizierter wird, davon ahnen wir jetzt noch nichts.

Auf jeden Fall kommen wir gut in Montreal runter, nach einem sehr angenehmen Flug. Jetzt wird es aufregend, denn die Einreiseformalitäten müssen erledigt werden. Hoffentlich haben wir an alles gedacht. Wir sind doppelt geimpft und danach auch geboostert worden. Wir haben alles digital und auf Papier ausgedruckt und den gelben internationalen Impfausweis auch dabei.

Bevor wir an einen Schalter mit einem Officer kommen, müssen wir uns an einem Computerterminal selber anmelden und registrieren und sogar fotografieren. Wir arbeiten uns durch den Fragenkatalog, stellen uns auf die Markierung für das Foto und drucken alles aus. Jetzt zum Grenzbeamten und in die kurze Schlange vor uns anstellen. Wir sind dran und haben alle Pässe und Papiere parat, ein ganz schöner Stapel. Was wir beruflich machen will er wissen, ob wir genug Bargeld und Kreditkarten haben, ob wir schon einmal im Land waren und wie lange wir bleiben wollen und noch Einiges mehr. Etwas Verwirrung gibt es als wir uns widersprechen. Jutta redet von drei Monaten Verweildauer, ich von 6 Monaten. Schnell kann ich es aufklären, denn wir wollen während dieser Reise drei Monate in den USA verbringen und die anderen drei Monate in Canada. Doch beginnt unsere Reise nun mal hier und deshalb brauchen wir die 180 Tage für dieses riesige Land. Er ist zufrieden mit unseren Antworten und wir bekommen den begehrten Stempel in unsere Pässe. Check!

Lunenburg

Leider schickt er uns aber zum PCR Test. Das wird bei ankommenden Reisenden stichprobenartig gemacht. So ein Mist, ärgern wir uns kurz, aber was solls. Wir sind angekommen in Canada, am Ziel unserer bangen, von Corona geprägten Träume und noch sind wir glücklich.

Das mit dem PCR Test geht alles reibungslos und schnell vonstatten und jetzt gucken wir mal nach unserem Weiterflug.

Air Canada 8005, um 12:45 ist Boarding. Aber was ist jetzt schon wieder los? Der Flug ist verschwunden von der Anzeigetafel. Wir haben aber doch schon die Bordkarten. Also ran an den Schalter und fragen was los ist. „Tut uns sehr leid, aber der Flug ist gecancelt.“ Es gibt aber einen Anderen, knapp drei Stunden später. Mit neuen Bordkarten ausgestattet für Flug AC 8007 um 15:40 Boarding Time soll es dann hoffentlich nach Ottawa gehen. Schließlich wollen wir ja auch noch in Halifax ankommen irgendwann. Jetzt aber haben wir ordentlich Zeit gewonnen und was macht man mit Zeit am Flughafen? Ganz genau, Bier trinken und auf die gelungene Einreise anstoßen. Allerdings kann man es so oder so sehen. Ist die Zeit gewonnen oder verloren? Jutta sieht die Zeit als verloren, weil wir später unser angestrebtes Ziel erreichen werden. Ich bin natürlich auch genervt von der zusätzlichen Wartezeit, aber sehe die Zeit als gewonnen für ein paar leckere Bierchen an einem internationalen Flughafen. Schnell finden wir einen sehr einladend aussehenden Pub in dem ein großes Kaminfeuer lodert. Es gibt Biere von denen ich nicht Eines kenne, denn der Laden gehört einer Microbrauerei, perfekt! Jutta trinkt Kaffee und Wasser, ich probiere drei große, unbekannte Biere. Cheers.

Da freut sich das Beer- Lover- Heart!

Der nächste Flug findet tatsächlich statt und wir erreichen Ottawa gegen späten Nachmittag. Die Temperaturen draußen betragen minus 26 Grad, Wahnsinn!

Unser letzter und finaler Flug heute soll AC 8070 von YOW nach YHZ sein, das sind die Flughafenabkürzungen für Ottawa und Halifax. Boarding ist um 17:55 Uhr. Doch dieser Flug ist wieder mal verspätet und wir bekommen Essens- und Getränkegutscheine von der Airline. Ich sage zu Jutta: „Lass uns in die Micro-Brewery gehen, mit dem schönen Kamin.“ „Ja, meinetwegen.“, sagt sie. Irgendwann wundern wir uns, dass wir sie nicht wieder finden, bis uns einfällt, dass wir mittlerweile auf einem anderen Flughafen in einer anderen Stadt sind. Müdigkeit kommt langsam auf. Doch wir finden einen anderen Pub mit anderem Bier.

Wir sollen die Anzeigetafel mit unserer Flugnummer im Auge behalten und dabei fällt uns auf, dass auf unseren Bordkarten ein komisches handgeschriebenes Kürzel auf. SB steht da drauf, wo eigentlich die Sitzplätze eingetragen wären. Wir finden raus, dass es sich bei unseren Flugkarten um Stand By Tickets handelt. Also ist noch nicht mal klar, ob wir an Bord kommen. Inzwischen wissen wir auch den Grund für die Verspätung. In Halifax tobt ein wilder Wintersturm mit heftigem Eisregen.

Aber wenn wir etwas gut können, dann ist es geduldig warten auf internationalen Flughäfen. Ich liebe sowieso große Airports. Gut Ottawa ist keiner davon, aber egal. Ich liebe dieses Gefühl der Zeitlosigkeit. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Zeit und Raum. Und die Uhren ticken bei Jedem anders. Der Eine kommt gerade aus Singapore, der andere aus London, Capetown oder Tokyo. Alle haben andere Abflugzeiten gehabt und verschiedene Ziele. Wenn also jemand morgens um 9:00 ein großes Bier vor sich hat, so ist das keinesfalls verwerflich. Wir wissen doch gar nicht wie seine Uhr tickt und wo er gerade herkommt. Aber ich schweife ab und denke irgendwann: „Wir werden kaum vor Mitternacht in Halifax ankommen.“ Jutta schreibt bereits über Booking.com an unser Hotel Residence Inn by Marriott, dass wir erst irgendwann in der Nacht ankommen werden.

Endlich kommt der erlösende Aufruf zum Boarding und wir hoffen mit an Bord zu kommen mit den Stand by Tickets.

Übermüdet, aber glücklich besteigen wir den Flieger. Wir sitzen ganz hinten auf den beiden letzten Plätzen und können es kaum fassen, nach bereits weit über 30 Stunden auf den Beinen, den Flug nach Halifax heute noch abzuhaken. Eine Stewardess erzählt uns von einem Australier an Bord (aus Brisbane) als wir von unserer Odyssee berichten. „Der Ärmste ist seit über 50 Stunden unterwegs.“, sagt sie. Danach sind wir ganz still.

Wir sind drin!

Nach einer ¾ Stunde Flugdauer meldet sich der Kapitän zu Wort. Das kennen wir, das ist immer so. Aber heute ist es anders. Er will uns nicht begrüßen oder an Bord willkommen heißen. Er will uns auch nichts über die Flugdauer oder Flughöhe usw. berichten. Er will uns etwas ganz Anderes sagen. Etwas, das wir überhaupt nicht hören wollen.

Er teilt uns mit, dass wir umdrehen müssen. Es sei nicht möglich sicher in Halifax zu landen bei den Wetterbedingungen. Alles andere erfahren wir am Flughafen in Ottawa.

Wir nehmen es gelassen hin, denn wir wissen was jetzt kommt. Die Passagiere werden in Taxis gesetzt und in verschiedene Hotels gefahren. Dafür gibt es wieder Voucher, so dass wir nichts bezahlen müssen. Wir werden ins Sandman Hotel gebracht und haben dort ein schönes Zimmer, ein fast perfektes Zimmer. Zuvor spüren wir noch wie sich 26 Grad minus anfühlen. Was unser tolles Zimmer leider nicht zu bieten hat ist eine Minibar. In den Getränkeautomaten auf diesen endlosen Hotelfluren gibt es nur Softdrinks und Wasser. Fuck!

Aber so lässts sich doch aushalten

Der Flug morgen, AC 8770 geht um 11:00 Uhr. Wir versuchen mal zu schlafen. Irgendwann gelingt es auch und wir dämmern langsam weg. Morgens schreckt uns der Wecker laut, aber pünktlich um 8:30 Uhr hoch. Schnell fertig machen und runter in die Lobby, um mit den anderen Passagieren auf die Taxen zu warten. Es sind immer noch minus 26 Grad, aber die Sonne scheint. Das wird ein schöner Tag, denke ich bei mir.

Nach kurzer Fahrt sind wir wieder am Flughafen und wollen einchecken. Leider habe ich am Flughafen die Banderolen von den Taschen die eingecheckt werden abgerissen. Wer kann denn ahnen, dass wir mit derselben Banderole, die seit Bremen am Gepäck hängt, weiterreisen? Also schnell an die Mülltonne, um die beiden zerknüllten und abgerissenen Banderolen wieder herauszufischen. Die nette Dame beim Check in ist sehr geduldig und glättet die alten Banderolen wieder und versucht noch Stellen zu finden, die sie zum Kleben benutzen kann. Irgendwie bekommt sie es hin und so schlecht sieht es gar nicht aus. Wird schon halten. Jetzt nix wie zum Gate und dann ab nach Halifax. Aber zu welchem Gate? Es steht nicht auf der Bordkarte. Wir gucken auf die Anzeigetafel und finden dort wonach wir suchen.

Um 11:00 soll Boarding sein und eine halbe Stunde später Abflug. Es wird 11:00 Uhr und wir werden ungeduldig. Dann ein Blick auf die Anzeigetafel. Delayed, aber nur 20 Minuten. Ein Glück, damit können wir gut leben. 30 Minuten verstreichen, dann eine Stunde. Es beginnt ein Getuschel unter den anderen Reisenden. Es wird wild spekuliert, was denn wohl wieder sein kann. Jetzt steht nur noch DELAYED hinter unserem Flug, aber nicht mehr wieviel Minuten. Handelt es sich überhaupt noch um Minuten?

Und da kamen noch viel mehr Schläuche!

Was ich sehe, wenn ich durch die riesige Fensterfront schaue, nach unten, wo unsere Maschine am Gate bereit steht, dann stimmt mich das nicht gerade zuversichtlich. Dort stehen einige Service- Fahrzeuge. Techniker mit gelben Helmen laufen draußen in und um die Maschine herum. Jetzt liegen dort auch noch riesige, dicke Schläuche, die scheinbar Luft in die Maschine blasen. Hin und wieder kommt einer dieser Männer mit Helm zum Boardingschalter und es wird geredet. Mal wird genickt, dann mit dem Kopf geschüttelt. Aber wir hören nicht was gesprochen wird. Nach weiteren Sudokus und weiteren Posts über unsere Lage auf dem Ottawa Airport knistert das Mikro und eine Ansage wird gemacht. „Liebe Passagiere, wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, aber Ihre Sicherheit ist unser oberstes Gebot. Das Wassersystem vom gesamten Flugzeug ist eingefroren und wir arbeiten daran, es aufzutauen. Bitte haben Sie noch etwas Geduld!“

Ich glaube ich sagte es bereits, was wir echt gut können, ist warten auf internationalen Flughäfen.

Meine Freundin Katia aus Berlin schickt mir verwundert eine Nachricht. Sie verfolgt in Echtzeit unseren verzweifelten Versuch nach Halifax zu kommen. „Ich bewundere eure Gelassenheit, wie macht ihr das?“ Sie hat wohl schon einige Fotos von mir mit dem Sudoku in der Hand, hier am Gate in unserer scheinbar endlosen Warteschleife, auf Instagram gesehen. Ich antworte ihr unverzüglich. „Hey Katia, das ist dem jahrelangen Training auf den besten Airports der ganzen Welt zu verdanken.“

Gegen Abend kommen wir schließlich mit über einem Tag Verspätung in Halifax an. Jutta findet es komisch, dass sich das Hotel bzw. booking.com nicht zurückgemeldet hat. Sie hatte gestern Nacht noch aus dem Sandman Hotel in Ottawa eine weitere Mitteilung geschickt, dass wir uns nun um einen ganzen Tag verspäten werden, weil unser Flieger wegen dem Eisregen umdrehen musste. Keine Reaktion.

Nach der Landung erstmal gucken zu welchem Baggage Claim wir müssen. Ah Ok: Belt 7, Flight AC 8770 von Ottawa nach Halifax. Warten. Das Band setzt sich in Bewegung und die ersten Gepäckstücke kommen aus dem Nichts und fahren an uns vorbei. Es dauert und wir warten geduldig. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe: Was wir wirklich richtig gut können, dass ist auf internationalen Flughäfen zu warten, da macht uns keiner mehr was vor. Mein Trolley kommt, ich erkenne ihn an der roten Schleife mit der er gekennzeichnet ist, weil er sonst unter den vielen anderen schwarzen Trolleys untergehen würde. Wir schauen dem Gepäckkarussell zu und immer mehr Passagiere verschwinden mit ihren Koffern und Taschen. Wo bleibt Juttas schwarze Sporttasche? Sie kommt nicht. Nach der dritten Leerrunde gehen wir zum Schalter mit der Aufschrift „LOST BAGGAGE“. Es sind außer uns noch drei andere Unglücksraben hier.

Ja beim Warten macht uns keiner was vor!?

Wir bleiben gelassen, denn selbstverständlich haben wir auch diese Prozedur schon etliche Male hinter uns gebracht. Immer erfolgreich. Ich bin nicht stolz drauf, wegen meiner miesen CO2 Bilanz, aber bei einer knappen Million Flugmeilen erlebt man so Einiges auf internationalen Flughäfen.

Wir geben unser Hotel an und rechnen morgen mit dem verlorenen Gepäckstück in unserem Appartement im Residence Inn by Marriott. Jetzt haben wir keinen Nerv mehr auf den Shuttlebus, jetzt genehmigen wir uns ein Taxi. Es wird bereits dunkel. Leider lassen die nächsten Probleme nicht lange auf sich warten.

Draußen vorm Terminal stehen schon die Taxen und wir nehmen das Erstbeste. Der Fahrer steigt sofort aus und hilft mir mit dem Gepäck. Hier haben wir nur noch minus 14 Grad. Im Taxi ist es schön warm und wir plaudern etwas mit dem Fahrer, er heißt Sam. Wir erzählen von unserem Plan mit dem eigenen Wagen an der US-Ostküste runter bis Key West zu fahren, danach von Ost nach West rüber, also einmal durch den Kontinent und wieder vom Süden die Westküste hoch bis nach Kanada zurück. Um dann wieder den ganzen Kontinent zu durchqueren, diesmal von Westen nach Osten, zurück nach Halifax. Im Grunde haben wir Nordamerika damit fast umrundet.

Er beglückwünscht uns zu unserem Vorhaben und wünscht uns alles Gute. Im Gespräch outet er sich sehr schnell auch als Biden-Anhänger. Wir begrüßen das sehr und verheimlichen nicht, dass wir Trump für einen Vollidioten halten. Als wir ihm sagen wo wir die nächste Zeit wohnen werden, beglückwünscht er uns erneut. Dort gibt es alles Wichtige in unmittelbarer Nähe: Restaurants, Bars, nette Cafés und coole Läden. Ob es auch Livemusik gibt, frage ich ihn. „Hey, ihr seid in Halifax, na klar gibt es hier Livemusik.“

Wir wohnen direkt neben der Pizzacorner!

Mittlerweile sind wir beim Residence Inn by Marriott angekommen und zu guter Letzt frage ich noch nach einem Liquor Store. „Dort schräg gegenüber ist ein riesiger Liquor Store, die heißen hier NSLC.“ Check!

Nachdem wir das Gepäck ausgeladen haben, drückt Sam mir noch seine Visitenkarte in die Hand. „Wenn ihr in 6 Monaten wieder hier seid, ruft mich an. Dann bringe ich euch zurück zum Flughafen.“ Ich sage: „Geht klar!“ und wir verabschieden uns.

Glücklich endlich Halifax und unser Hotel in so einer Top Lage in Downtown erreicht zu haben, stiefeln wir in die Lobby und wollen einchecken in unser Appartement. Wir werden sehr freundlich begrüßt und gefragt, ob wir denn eine Reservierung haben. Ja, wir haben eine Reservierung, bestätigen wir und Jutta reicht der netten Dame an der Rezeption die Ausdrucke von booking.com.

„Hm.“, vernehmen wir von ihr, während sie in ihrem System nach unseren Namen sucht. „G. O. D. T. ?“, buchstabiert sie fragend unseren Namen. „Yes, G. O. D. T.“, bestätigen wir beide nickend. Als ob das Nicken die Suche nach unserer Buchung im Computer erfolgreicher machen könnte. „Einen Augenblick bitte!“, sagt sie und verschwindet kurz. Sie kommt mit einer anderen Dame zurück. Begrüßungsformalitäten werden erledigt und dann begibt sich die andere Dame auf die Suche nach irgendwelchen GODTs im Buchungssystem.

Jetzt fängt Jutta an zu erklären, was alles los war unterwegs, das wir eine wahre Odyssee hinter uns haben und mit mehr als 36 Stunden Verspätung in Halifax angekommen sind. Das unser Flieger gestern schon auf dem Weg war, dann aber umgedreht ist und wir zurückgeflogen sind nach Ottawa. Sie sagt auch, dass sie zweimal geschrieben hat und booking.com bzw. das Hotel über unsere Verspätungen informiert hat. Leider wurden diese Nachrichten nicht beantwortet.

Eine dritte Person kommt hinzu, diesmal ein sehr sympathischer Mann. Er hat alles aus dem geöffnetem Zimmer hinter der Rezeption mitbekommen und es scheint ihm etwas unangenehm zu sein. Vermutlich liegt der Fehler bei booking.com, bemerkt er, denn das ist die Vermittlerplattform. Besser wäre es gewesen, wenn wir uns direkt an das Hotel gewendet hätten. Er entschuldigt sich für unsere Unannehmlichkeiten und bietet uns als Entschädigung einen Sonderpreis an. Ich frage, ob es denn auch bei dem gebuchten Appartement bleibt und er bestätigt.

Wir zahlen jetzt 89 Doller statt 139 Doller pro Nacht!!

Wir erzählen auch ihm, dass wir auf unser Motorhome aus Hamburg warten und nicht genau wissen, wann es mit dem Containerschiff Halifax erreichen wird.„Kein Problem.“, sagt er, „ihr könnt bleiben solange ihr wollt!“.

Amazing!

Wir bekommen Room 222, ein Eckappartement im 2. Stock. Als wir sehen und realisieren, wo wir die nächsten 10 – 15 Tage wohnen werden, da sind wir endlich angekommen in Canada, angekommen in Halifax. Wir haben eine fantastische Aussicht, sowohl aus der großen Wohnküche mit dem langen Schreibtisch und dem riesigen Flatscreen TV, als auch aus dem Eckschlafzimmer mit Blick auf die kleine Straßenkreuzung mit dem „Durty Nelly`s“, dem Irish Pub schräg gegenüber und dem „Gahan House“, einer weiteren Micro Brewery. Das Bad ist sehr geräumig mit einer 2 m langen Dusche und alles ist supersauber. Der Kühlschrank ist amerikanisch, also riesig, aber er ist leer.

„Jutta, lass uns mal eben rüber gehen in den Liquor Store, damit der Kühlschrank auch einen Sinn bekommt.“ Wir kaufen etwas Wein und einen Karton Molson Canadian und einen weiteren mit Pabst Blue Ribbon. Jetzt bin ich glücklich und tatsächlich angekommen in Nordamerika.

Tolle Aussicht, was?!

Wie ungewiss war das alles noch vor Wochen? Jetzt fehlt nur noch LEMMY. Ich sehe mich mindestens zwei Sessions arbeiten hier. Zwei Nachtschichten nehme ich mir vor, Georgia Chapter I und Chapter II werde ich hier fertig stellen. Ich habe hier alles was ich brauche. Ich habe hier mehr als ich brauche. Ein stabiles WLAN, einen riesigen Kühlschrank, eine atemberaubende Aussicht auf eine verschneite und inspirierende Hafenstadt. Ich habe einen riesigen TV auf dem ich meine YouTube Videos schauen kann, denn ich bin eingeloggt. Ich kann zur Entspannung Netflix schauen, wenn das Wetter schlecht ist, denn auch damit bin ich eingeloggt. Das Frühstück ist im Preis inklusive und ich kann es mir sogar liefern lassen. Doch bevorzuge ich es, es mir unten selber zusammenzustellen. Eine junge, nette Inderin kümmert sich um unser Frühstück. Sie ist selber gerade erst vor Kurzem in Halifax angekommen, um hier mit ihrer Familie ein neues Leben zu beginnen und erzählt uns immer ein wenig aus ihrem Leben.

Sogar der TV begrüßt uns! Time to relax lassen wir uns nicht zweimal sagen!

Die Probleme liegen tatsächlich erst mal hinter uns und wir akklimatisieren uns im Winter von Nova Scotia. Als Erstes müssen wir groß einkaufen, das machen wir im Atlantic Super Store. Dann erkunden wir die Gegend und haben perfektes Winterwetter. Es sind immer noch minus 14 Grad, aber die Sonne scheint. Wir beginnen mit der Waterfront, mit den ganzen bunten Fressbuden, die allerdings jetzt geschlossen haben und auf den Sommer warten. Wir sehen den Farmers Market und wollen dort unbedingt am Wochenende einkaufen. Sehen das Scotiabank Center, wo demnächst The Offspring spielen soll. Ich überlege mir Tickets dafür zu kaufen. An der Waterfront sage ich zu Jutta: „Wenn LEMMY in Halifax einläuft mit der Atlantic Star, dann will ich das von hier aus beobachten und filmen.“

Waterfront bei -14 °C

Sie sagt, etwas weniger enthusiastisch: „Mal sehen, wir wissen ja noch gar nicht wann das sein wird. Es kann ja auch mitten in der Nacht sein.“

Da hat sie natürlich recht.

Wir genießen die Zeit unglaublich in unserem Appartement. Und wie zu erwarten war, ist auch Juttas Sporttasche mittlerweile eingetroffen. Die Tage gehen dahin und wir fühlen uns schon ganz Zuhause. Ab und zu gehen wir ins Durty Nelly`s, um ein paar Bier zu trinken und Live Musik zu hören. Wobei hier gewissenhaft geprüft wird, ob man geimpft ist. Es geht alles, aber der Impfstatus ist enorm wichtig und das Personal trägt Maske. Der Gast trägt nur Maske bis er am Tisch angekommen ist. Bars und Restaurants haben mit Plexiglasscheiben die einzelnen Sitzbereiche abgetrennt, so wie wir es seit langem kennen.

Erster Einkauf – war noch so viel Platz im Kühlschrank neben dem Bier 😉

Nach einer Weile finden wir auch heraus, dass der Atlantic Super Store ein klasse Laden ist mit einer riesigen Auswahl, wir aber alles viel günstiger woanders bekommen. Wir lernen Halifax kennen. Und ich lerne Halifax lieben. Mich stört es auch nicht, wenn das Durty Nelly`s bereits gegen Mittag anfängt laute Musik aus den Außenboxen auf die Straße zu übertragen, weil es meistens gute Musik ist. Jutta ist manchmal genervt davon. Es ist nicht sehr laut, aber wir hören es im Wohnzimmer und auch im Schlafzimmer.

„Was stört dich das denn, ist doch gute Musik.“, sage ich zu ihr.

Und nachts, so etwa gegen 22:30 Uhr schreit immer Einer wie wild draußen rum. Sehen kann ich ihn nicht, er läuft zu dicht an der Wand entlang und unser Fenster lässt sich nicht öffnen. Wir wissen nicht warum er so brüllt, denn es ist nicht zu verstehen was er brüllt. Aber nach ca. 10 Minuten ist er wieder ruhig. Für mich wird all das zu einer lieb gewonnenen Routine.

Ich schaue oft aus dem Fenster, denn die Aussicht ist wirklich grandios. Die Straßen sind geräumt, aber es ist trotzdem noch fast alles weiß vom Schnee. An den Ecken der Kreuzung türmen sich die Schneeberge. Wenn es Abend wird, färbt sich die Straße gegenüber leicht lila, durch die Straßenbeleuchtung und den bunten Lampen über der Straße, die wohl noch von Weihnachten dort hängen.

Eines Abends, als wir leckere Pasta gegessen haben und dazu einen süffigen Wein getrunken haben, da war Jutta bereits im Bett und ich habe noch Musik gehört und aus dem Fenster geschaut. Die Stunde des Schreihalses war lange vorbei, aber vor dem Durty Nelly`s war noch ein wenig Betrieb.

Ich beobachte also von oben, aus meinem Appartement, wie ein Obdachloser vor dem Irish Pub die Tür für die kommenden Gäste öffnet und auf ein kleines Trinkgeld hofft.

Der Türsteher kommt unverzüglich raus und jagt die obdachlose Person zum Teufel. In dieser Nacht hatte ich einen unruhigen Schlaf. „Du hast tatenlos zugeschaut!“, sagte etwas in mir. Und mit dieser Unzulänglichkeit wurde ich nicht das erste Mal konfrontiert und auch nicht das letzte Mal.

Tage, an denen das Wetter nicht zum Spazierengehen einlädt, vertrödeln wir auch mal komplett zuhause. Der Kühlschrank ist voll und wir haben Spiele dabei, Bücher, Sudokus und natürlich meinen Laptop zum Arbeiten. Allerdings arbeite ich nicht nur, hier an meinem Schreibtisch zocke ich auch ganz gerne mal Hearthstone. Das ist ein ziemlich kompliziertes, virtuelles Kartenspiel mit animierten Karten aus dem World of Warcraft Universum. Lange Erklärungsversuche lasse ich mal beiseite. Auf jeden Fall gehen da schnell ein paar Stunden verloren. Aber auch hier stellt sich mir die Frage: „Sind die Stunden wirklich verloren?“

Mit Netflix können wir Filme in deutscher Sprache schauen, denn ich bin mit meinem Account angemeldet. Wir lieben es Filme zu schauen oder auch mal eine Serie.

Ich könnte heute auch mal wieder eine Nachtschicht einlegen, kommt es mir in den Sinn. Ich will Georgien in zwei Chapter aufteilen und diese beiden Chapter sollen in Halifax geboren werden.

Läuft!

Schon vor dem Abendessen setze ich mich an den Schreibtisch und fahre den Laptop hoch. Aus der Küche hole ich mir einen Becher Tee und spaziere an der, auf dem Sofa lesenden Jutta vorbei, ans Fenster. Kurzer Blick raus, jetzt ist der Laptop startklar.

Der Cursor blinkt oben links auf einer reinen, weißen und unbeschriebenen Seite. Zum Glück muss ich mir um den Titel keine Gedanken machen, denn den weiß ich immer schon, bevor das letzte Chapter vollendet ist. Also schnell den Titel GEORGIA – CHAPTER I eintippen und der erste Bann ist gebrochen. Wie war denn noch der Untertitel? Ich glaube …und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht….

Aber soweit bin ich noch lange nicht, womit fange ich an?

„Stört es dich, wenn ich mir etwas Musik anmache?“, frage ich Jutta.

„Wenn du keine Krachmusik anmachst nicht.“, sagt sie, “dabei kann ich nicht in Ruhe lesen!“

Mir fällt ein, dass mich der Soundtrack von SONS OF ANARCHY schwer begeistert hat und dass es auf keinen Fall Krachmusik ist.

Also schalte ich den riesigen Fernseher ein, öffne YouTube und suche den Soundtrack. Da ist er schon. Etwas leise Musik im Hintergrund wirkt auch inspirierend auf mich. Ich finde irgendwie einen Anfang und fange an zu schreiben. Zwischendurch wechsel ich den Tab und schaue in den Ordner mit den Fotos von Georgien. So gleite ich langsam immer tiefer rein, Erinnerungen werden wieder lebendig, ich bin jetzt nicht mehr in Kanada, ich bin wieder in Georgien….

Es ist schön an einem großen Schreibtisch zu sitzen und zu schreiben. Das habe ich auch im Waterhole genossen. Es geht natürlich auch im Auto, denn da habe ich auch alles was ich brauche. Ich habe einen Kühlschrank, kann mir Tee und Kaffee kochen, habe ein kleines Bad und meine Sitzecke zum Schreiben. Aber alles ist viel enger und wenn Jutta schlafen will, dann störe ich sie und manchmal wacht sie auf, wenn ich mir eine Dose Bier öffne. Ich habe auch schon mit den großartigsten Aussichten draußen geschrieben, doch irgendwann wird es nachts einfach zu kalt und ich muss mich in die beheizte Kabine zurückziehen.

Jedenfalls ist dieses Appartement im Residence Inn by Marriott dermaßen inspirierend, dass ich schnell die Zeit vergesse und meinen Schreibfluss nur für ein kurzes Abendbrot unterbreche.

Nun gebe ich Pearl Jam bei YouTube ein und schreibe weiter.

Das erste Bier steht neben dem Laptop.

Wo ist eigentlich Jutta? Liegt sie schon im Bett? Und was läuft da für Musik?

Ich sehe drüben im Schlafzimmer nach.

„Da bist du ja.“, stelle ich fest.

„Ja, ich lese noch etwas vor dem Schlafengehen.“, sagt sie lächelnd.

„Alles klar, gute Nacht und schlaf schön.“, sage ich. Nach einem Gute Nacht Kuss schließe ich leise die Schlafzimmertür und hole mir etwas aus dem Kühlschrank. Dann mache ich eine andere Musik an und schaue kurz aus dem Fenster. Ist der Schreier eigentlich schon durch heute?

Diese Aussicht gibts in allen Farben

Wenn ich nichts eingebe bei YouTube wird gespielt was die KI für mich passend hält. Weil Jutta keine Krachmusik wollte heute und ich beim Schreiben auch lieber ruhigere Titel höre, ertönt plötzlich ein Song, den ich noch nie zuvor gehört habe. Ich drehe mich in meinem Schreibstuhl zum Fernseher und sehe CHET BAKER. Dabei streife ich das Fenster und draußen tanzen dicke, weiße Schneeflocken vorbei. Wie geil ist das denn? CHET BAKER performt live „I`m a fool to want you“, einen wahnsinnig intensiven und geilen Jazz Song. Gebannt schaue ich mir dieses 9.16 Minuten lange Video an und bin fasziniert von diesem Künstler. Ich mache Fotos von ihm auf dem TV Monitor. Entdecke ich gerade die Liebe zum Jazz? Ich weiß es nicht, aber Chet Baker finde ich grandios und er wird mich in Zukunft weiter begleiten. Es ist Zeit für ein weiteres Bier. Ich hole mir eine kalte Dose Pabst Blue Ribbon aus der Küche und nehme sie mit zum Fenster. Wenn das keine perfekte Nacht ist!

Chet Baker im TV

LEMMY hat nun endlich (mit 8-tägiger Verspätung!) am 18.01.22 den Hafen von Hamburg Richtung Liverpool verlassen. Wir schauen gelegentlich bei „Marine Traffic“ wo sich die „Atlantic Star“ aktuell befindet. Leider muss man jede Positionsabfrage über Satellit mit knapp 2 Euro bezahlen. Allerdings kann man dann für 24 Stunden die weitere Fahrt beobachten. Nur wenn sich das Schiff in Küstennähe befindet, kann man das umsonst verfolgen. Am 24.01.22 verlässt LEMMY dann im Bauch des riesigen Containerschiffs Liverpool in Richtung Halifax, Nova Scotia.

Wir haben uns für die letzten Tage ein Auto reserviert, damit wir hier auch ein bisschen beweglicher sind und unsere Kreise erweitern können. Ich möchte gerne den GMC Suburban und wir haben auch bereits einen Abholtermin am Flughafen. Wir stellen fest, dass die Preise für Leihwagen schwanken wie die Aktienkurse an der Börse. Innerhalb von Minuten kann sich der Preis um 40-100 % erhöhen. Wir schlagen schnell zu, als wir ein guten Deal abschließen können. Leider müssen wir das Fahrzeug vom Flughafen übernehmen. Um rauszufinden, wo der Airportshuttlebus fährt, suchen wir die Haltestelle bei einem Spaziergang schon mal vorher. Dann wissen wir auch wie lange wir brauchen, um von Zuhause dorthin zu laufen. Ich mache dabei auch gerne mal eine Daily Challenge. Von meiner Schwester und ihrem Freund Walter habe ich dazu einen kleinen Karton mit 75 Karten bekommen. ANYWHERE TRAVEL GUIDE steht da drauf. Und darunter steht dann noch: „75 Cards for discovering the unexpected whereever your journey leads.“

Wenn MANN sonst nix zu tun hat….

Auf jeder dieser 75 Karten steht eine andere Aufgabe, die dann meine DAILY CHALLENGE ist. Ich ziehe immer die vorderste Karte aus dem Karton und dann erledige ich, was darauf geschrieben steht. Heute z. B. soll ich überall raufklettern, was sich mir unterwegs so bietet. Das können Mauern sein, Statuen, Balkone, Zäune und im Grunde alles, wo man irgendwie hinauf kommt. Man geht mit so einer Aufgabe ganz anders durch die Stadt. Natürlich wird morgens die Challenge fotografiert und auf Facebook und Instagram gepostet, um dann am Abend die tagsüber gemachten Beweisbilder zu posten. Damit man sieht, dass ich geliefert habe. Die Aufträge können ganz unterschiedlich sein und manchmal fallen sie mir sehr leicht und machen viel Spaß. Aber manchmal sind sie eher unangenehm und ich habe keine große Lust das zu tun, wozu ich aufgefordert bin. Einmal sollte ich nach allem Ausschau halten was blau ist, ein anderes Mal was gelb ist. Im letzten Urlaub gab es eine sehr schöne Aufgabe. Ich sollte eine Botschaft, viel mehr einen Wunsch auf einen Zettel schreiben und derjenige, der den Zettel findet, der sollte selber einen Wunsch aufschreiben und den Zettel irgendwo hinterlegen, wo ein Anderer ihn dann findet. Bei mir war das in Krakau der Fall. Ich hatte einen Wunsch notiert, den Zettel dann zu einem Kranich gefaltet und in einem Restaurant, in dem wir gegessen hatten, in einen Blumenstrauß gesteckt zurückgelassen.

Manche Karten gefallen mir gar nicht, wenn ich z. B. irgendwie „strange“ gehen soll und schlurfen wie ein Zombie, dann mache ich es noch mit (Warschau 2020). Aber wenn ich singen oder tanzen soll, dann nehme ich die Karte und stecke sie ganz nach hinten.

Hier habe ich eine sehr einfache und angenehme Aufgabe:

FIND A PLACE WHERE YOU CAN LIE DOWN

Figure out how the wörld changes from this point of view

the smell, the sounds, the sky.

Describe it to a friend.

Daily Challenge, check!

Mir fällt sofort die Waterfront ein, dort habe ich Hängematten gesehen. Also nichts wie hin und reinlegen und in den Himmel schauen. Was war noch? Ach ja, der Geruch, den soll ich wahrnehmen. Und jetzt soll ich es beschreiben. Na gut, versuchen wir es mal so:

„The sky is blue,

the sound come throu,

the salty sea smells like Stue.“

Daily Challenge Check!

Ein weiterer Wintersturm ist angekündigt worden für das kommende Wochenende. Ausgerechnet jetzt, wo wir den Wagen am Flughafen abholen wollen. So ein Mist, bei Schnee und Eisregen machen wir keine großen Exkursionen mit dem Auto. Jutta storniert den Auftrag und wir buchen einen anderen Wagen für Montag, dann soll die Sonne wieder scheinen. Den Suburban gibt es leider nicht mehr, jedenfalls nicht zu einem akzeptablen Preis. Dafür haben wir einen GMC TRAVERSE reserviert und das sogar in der Stadtfiliale.

Vor dem Wintersturm schauen wir noch mal nach der Atlantic Star, sie ist noch vor dem Sturm, der bereits über dem Atlantik wütet. Wir haben Marine Traffic wieder bezahlt, um aktuelle Informationen zu bekommen. Auch die Wetterkarte können wir sehen und hoffen, dass das Schiff mit LEMMY an Bord nicht in den Sturm gerät.

Wir decken uns noch mit Lebensmitteln und Getränken ein, damit wir nicht raus müssen, wenn das Unwetter tobt. Den Rest sitzen wir in unserem tollen Appartement aus. Abends kochen wir uns leckere Sachen und zum Kaffee gibt es am Wochenende auch gerne mal Kuchen. Wir beobachten das wilde Treiben des wütenden Schneesturmes durchs Fenster und schauen zu, wie sich einzelne Personen durch den Sturm kämpfen und Mühe haben nicht zu stürzen auf der verschneiten, abschüssigen Straße.

So gemütlich…, wenn man nicht vor die Tür muss!

Wir machen es uns gemütlich auf dem Sofa vor dem Fernseher, Jutta liest und ich mache mal ein Sudoku oder spiele etwas Hearthstone. Langeweile haben wir keine.

Mitten in der Nacht werde ich wach. Was ist denn da draußen los? Es hört sich an wie gigantische Staubsauger, die versuchen die ganze Stadt einzusaugen.. Ich stehe auf und schaue aus dem Fenster. Die Schneemassen, die zuvor von den Schneepflügen an den Straßenrand geschoben wurden und sich zu hohen Bergen an den Ecken der Kreuzung auftürmen, werden nun mit Tiefladern und Schaufelbaggern entfernt. Es taut ja auch nichts weg bei minus 14°. Nachtruhe Ade. Ich mach noch mal eine Folge „Die Drei ???“ an, vielleicht klappt es dann doch noch mit dem Schlafen. Wenn nicht, auch egal, dann überlege ich mir, wie es mit GEORGIA CHAPTER II weiter geht.

Trotz wenig Schlaf und einem abrupten Erwachen mitten in der Nacht will ich nicht auf den morgendlichen Kaffee, den Saft und vor allem nicht auf die köstlichen Hash Browns von der Frühstückstheke verzichten. So quäle ich mich morgens dann mal wieder aus dem Bett, um die leckeren Sachen unten abzustauben, bevor der Service um 10:00 Uhr eingestellt wird. Wahlweise gibt es auch Rührei, Joghurt, verschiedenes Obst, Toast und ganz besonders köstliche Cookies oder Muffins. Es ist in der Regel mein Job diese Dinge zu holen, denn Jutta reicht morgens ihr selbstgemachtes Müsli und der Kaffee aus unserer Kaffeemaschine. Wenn ich allerdings morgens schlaftrunken lostapere und mit dem Tablett mit frischem Kaffee und duftenden Hash Browns aufs Zimmer zurückkehre, dann freut sie sich schon, wenn ich alles doppelt geholt habe.

Das Offspring Konzert im Scotia Bank Center wurde leider abgesagt, scheinbar macht auch Kanada aktuell noch keine Großveranstaltungen mit mehreren Tausend Zuschauern. So werde ich noch etwas warten müssen, auf mein erstes Konzert nach langer Zwangspause und nun mehr seit fast zwei Jahren Livemusik Entzug.

Dafür machen wir umso mehr Spaziergänge. Wir haben warme, lange Unterwäsche mitgenommen für die harten kanadischen Wintermonate. Handschuhe, Mützen, Schal sowieso, an alles ist gedacht. Und als wir auch mal wieder an der Waterfront spazieren gehen, den Clocktower und das alte Fort oben auf dem Hügel haben wir längst gesehen, da kommt ein großes Containerschiff auf uns zu, das von Schlepperbooten begleitet wird. Die Atlantic Star kann es nicht sein, das ist unmöglich. Doch ich erkenne ein großes G an der Seite des Schiffes. Das G steht für die Grimaldi Reederei unter der auch die Atlantic Star läuft.

„Jutta!“, rufe ich, „guck dir das mal an, siehst du auch was ich da sehe?“ Ich bin bereits eilig auf dem Weg einem Steg folgend, der mich weiter an die Fahrrinne des Schiffes führt, welches immer näher kommt. Ich zoome mit dem Handy auf den Bug des Ozeanriesen und drücke ab, doch das Foto ist zu unscharf geworden. Ich meine „Atlantic“ kann ich entziffern, doch dahinter steht nicht „Star“. Ich meine „Sun“ könnte es heißen. Es wird ein Schwesterschiff sein, auch unter maltesischer Flagge. Ich werte dies als gutes Omen und freue mich ein ähnliches Schiff beim Einlaufen in den Hafen von Halifax hautnah miterlebt zu haben.

Leider noch nicht die Atlantic Star 🙁

Eine zweite Nachtschicht steht an. Davor habe ich eine Daily Challenge gestartet. Daran werde ich allerdings scheitern. Na ja, nicht komplett, die Challenge beinhaltet mehrere Aufgaben, die ich mir selber stellen soll. Die Karte ist mit vier kurzen Sätzen aufgebaut, die ich in der jeweiligen Leerzeile darunter vervollständigen soll. Nichts leichter als das, wo ist der Bleistift?

Auf der Karte steht:

TODAY I AM GOING TO FIND A: bar with live music

IT`S GOING TO MAKE ME FEEL: drunk and happy

AFTER THAT I WILL: write my Blog

BUT NOT: until tomorrow morning

Eine Bar mit Livemusik zu finden ist nicht schwer in Halifax, außerdem kennen wir ja Eine direkt schräg gegenüber, das Durty Nelly`s. Dort gehen wir hin und trinken ein paar Biere von der Propeller Brauerei. Eins heißt wie ich, auf dem Menü steht: PROPELLER, JURGEN HOPP, das bestelle ich mir. Jutta bevorzugt Wheatbiere wie Hoogaarden oder so ähnlich, ich glaube ich erwähnte es bereits. Die Stimmung ist gut, ein einzelner Künstler spielt mit seiner Gitarre bekannte Coversongs und er hat hier bereits eine Fangemeinde, die fleißig jubelt und mitgrölt.

Jurgen Hopp schmeckt gut!

So, Punkt 1 und 2 von meiner Daily Challenge habe ich erledigt, kommen wir zu Punkt 3, am Blog weiterschreiben. Wir zahlen und gehen zurück in unser Appartement. Drei Minuten später sind wir schon da. Jutta wird noch etwas auf der Couch lesen und ich mache mir ein Molson Canadian auf und setze mich an den Schreibtisch. Etwas leise Musik spiele ich wieder über unseren Fernseher ab, heute Nacht beginne ich mal mit Chet Baker. Irgendwie (finde ich) ist das Großstadtmusik. Das passt perfekt in eine verrauchte Bar in New York oder meinetwegen auch in Hongkong oder Tokyo. Und während Chet am Klavier spielt und ins Mikrofon haucht, da wandert der Blick in meinen Gedanken über die Skyline, denn die Bar ist weit oben und die Fensterfront ist enorm breit.

Aber ich bin weder in New York, Tokyo oder Hongkong. Ich bin in Halifax, muss aber zusehen, dass ich wieder nach Georgien komme. Ich blättere einmal durch die Bilder, versuche mich zu erinnern….Ich öffne meine Blogseite und trinke erst mal einen Schluck. Die Finger liegen über der Tastatur, bereit zu arbeiten. Die Gedanken kreisen. Chet Baker ist im Augenblick nicht das Richtige, ich brauche etwas Anderes. In Georgien hatte Chris doch einmal die Platte von Eddi Vedder laufen, vom „Into the wild“ – Soundtrack, als wir zusammen im Vashlovani National Park unterwegs waren an der aserbaidschanischen Grenze. Das ist jetzt die Musik, die ich brauche. Ich fange an zu schreiben.

Ich schreibe und schreibe, werde aber nicht fertig. Ich wandere in die Küche, hole mir abwechselnd ein Molson und dann ein Pabst, um damit dann aus dem Fenster zu schauen.

Es sieht einfach so grandios aus. Diese Fensteraussicht werde ich vermissen, das ist mir jetzt schon klar. Immer mal wieder muss ich auch den Musikkanal korrigieren und in mich gehen, was ich gerade eigentlich hören will. Viel fehlt nicht mehr bis das Chapter fertig ist, doch heute Nacht schaffe ich es nicht. Es steht auch ein schwieriges Kapitel an, das sollte ich nicht betrunken schreiben. Es geht mal wieder um eine Unzulänglichkeit von mir, als ich einen sterbenden Hund tatenlos habe vorüberziehen lassen. Das wird mir nüchtern aber auch nicht leichter fallen zu schreiben. Ich werde nach diesem Kapitel GEORGIA – CHAPTER II vorzeitig abbrechen, weil es mich emotional echt fertig macht.

Was meine Challenge von heute angeht, so habe ich auch Punkt 3 korrekt erledigt. Ich habe an meinem Blog gearbeitet. Aber Punkt 4 habe ich verkackt, der Morgen ist da und die Sonne geht auf.

Endlich mal wieder rumfahren

Heute ist ein ganz besonderer Tag, wir holen unseren Leihwagen ab. Wir werden ihn für vier Tage behalten bis LEMMY aus dem Hafen geholt wird. Die Sonne scheint und die Schneeberge in der Stadt wurden größtenteils abtransportiert. Wir machen uns auf den Weg zur Stadtfiliale, die am Bahnhof von Halifax ist, nahe dem Atlantic Super Store. Im Bahnhof sehen wir dann auch schon den Avis Schalter.

„Hello, we have a car rental for today.“, begrüßen wir die beiden Damen am Schalter und legen unsere Ausdrucke (die sie uns netterweise im Hotel ausgedruckt haben) vor.

„Da sind sie hier aber falsch, sie müssen in die andere Filiale in Downtown.“, sagt Eine der Beiden.

„Ach so, na gut, vielen Dank!“, sagen wir und verabschieden uns.

Wir wissen genau, wo wir hin müssen, denn dort sind wir schon einige Male dran vorbeigelaufen.

Durch die Stornierung des Suburban und andere Suchoptionen, sind wir wohl etwas durcheinander gekommen. Macht nix, ist nur wenige Minuten zu laufen von hier.

Von Weitem sehen wir schon die Einfahrt in die große Parkgarage und das kleine Office ist in derselben Etage. Ein großer, roter GMC TRAVERSE steht direkt gegenüber. Das ist Unserer und alles klappt ohne Probleme. Der Wagen ist voll getankt und so geben wir ihn auch wieder ab. Wir können unbegrenzte Kilometer fahren und haben eine Vollkaskoversicherung.

Das erste Ziel ist Peggys Cove.

Peggys Cove Lighthouse

Der Wagen begeistert mich sofort. Alles ist vollautomatisch. Es dauert eine Weile bis ich wirklich alles verstanden habe. Ich werde gewarnt, wenn Fußgänger vor mir laufen, wenn ich zu wenig Abstand zum Vorausfahrenden halte. Sogar das Fernlicht schaltet sich automatisch ein, wenn es dunkel ist und wieder aus, bei entgegenkommenden Fahrzeugen. Der Allradantrieb hat sich bei mangelnder Traktion im Schnee selbstständig eingeschaltet, den musste ich manuell dann wieder rausnehmen. Aber das nur am Rande. Wir erreichen Peggys Cove und das dazugehörige Lighthouse. Es ist ein eiskalter, aber sehr sonniger Tag und dieser kleine, verschneite Fischerort hat unglaublich viel Charme. Wir parken oben beim Leuchtturm und stiefeln erst mal dorthin. Von hier haben wir auch einen guten Blick über den Ort. Ich halte Ausschau nach der ATLANTIC STAR, sie wird heute im Laufe des späten Nachmittags oder bis irgendwann in der Nacht in Halifax erwartet. Zu sehen bekomme ich sie nicht.

Wir essen noch zu Mittag hier und ich bekomme im Souvenirshop einen neuen Beercooler. Nach Fish & Chips für mich und einem Fischfilet für Jutta geht es frisch gestärkt weiter nach Lunenburg.

Gedenkstätte des Flugzeugabsturzes von Swissair Flight 111, 1998

Allerdings halten wir vorher noch beim Swissair Flight 111 Memorial und gedenken der 229 Opfer, die bei diesem verheerendem Absturz 1998 ihr Leben verloren haben. Zwei große Granitplatten mit den Namen der Opfer stehen jetzt auf den Felsen an der Küste von Nova Scotia, unweit von Peggys Cove und erinnern für immer an dieses schreckliche Unglück. Wir verbringen hier etwas Zeit, jeder für sich, bis wir dann einvernehmlich, uns nur zunickend, auf den kurzen Weg machen zurück zum Auto.

Lunenburg
An dieser Aussicht hat Jürgen erkannt, dass hier Locke&Key gedreht wurde!

Lunenburg ist eine noch beeindruckendere Kulisse als es Peggys Cove schon war. Dieses kleine Küstenstädtchen wird mit Sicherheit oftmals als Filmmotiv gedient haben und wohl auch in Zukunft werden hier Filme und Serien entstehen. Hier türmen sich die Schneeberge noch meterhoch und es wurde nicht so schnell wie in Halifax geräumt. Die Uhren ticken hier anders, die Zeit scheint stillzustehen. Überall sind alte, bunt gestrichene Holzhäuser. Ein beschaulicher Ort. Viele Häuser scheinen in der Nebensaison leer zu stehen. Es gibt aber einige nette, geöffnete Cafés und kleine Läden mit so allerlei Kram. In vielen Gärten liegt der Schnee mit einer aalglatten Eisschicht über allem und reflektiert das Sonnenlicht. Der Eisregen hatte sich über den Schnee gelegt und gefror sofort. Weil niemand in den unbewohnten Gärten umherläuft, entstehen diese zauberhaften Eislandschaften.

Wir bummeln durch die verträumte Kleinstadt bis uns kalt wird und genehmigen uns einen heißen Kaffee, mit Blick über die Bucht in einem der entzückenden Café-Bars. Danach fahren wir eine andere traumhafte Strecke durch Nova Scotia. Zurück nach Halifax, zurück nach Hause, ein Zuhause auf Zeit. Einen vollen Tag haben wir noch mit unserem roten GMC. Den wollen wir noch komplett nutzen Morgen, am Mittwoch, den 2. Februar 2022, haben wir endlich den Termin um LEMMY aus dem Hafen abzuholen. Vorher müssen wir aber noch zum Zoll und die Einfuhr des eigenen Fahrzeugs regeln. Aber das alles ist erst morgen. Heute haben wir noch frei.

Wir fahren in den Kejimkujik National Park und nach Annapolis Royal. Dieser Rundtrip beginnt morgens und erst am Abend werden wir zurück sein. Es macht Spaß wieder beweglicher zu sein. Ich genieße es sehr wieder hinterm Steuer zu sitzen und neue, unbekannte Gebiete zu erkunden. All das ist hier durch die Verspätung des Containerschiffes zu kurz gekommen. Ursprünglich wollte ich längst mit Jutta und LEMMY auf Neufundland unterwegs sein. Aber durch eine Woche länger OHNE LEMMY haben wir diesen Plan verworfen. Und mit einem Mietwagen nach Neufundland fahren, durch heftige Winterstürme, wo wir hier so fantastisch und günstig wohnen? Nee, haben wir uns gesagt. Wir bleiben hier und nehmen einen Wagen für ein paar Tage, um Nova Scotia etwas zu sehen und um LEMMY aus dem Hafen zu holen. Mit dieser Entscheidung sind wir sehr zufrieden, denn auch heute ist wieder ein kalter, aber sehr sonniger Tag.

Kejimkujik NP

Wir machen uns auf den Weg und zum Teil fahren wir ausgewiesene Scenic Routes, was das Fahren noch großartiger macht. Im Kejimkujik N. P. ist alles voller Schnee und viele Wege sind nicht geräumt, was uns nur zum Teil Einblicke gewährt. Wir fahren alles was geht. Nachdem Jutta erst protestiert hat, lässt sie sich darauf ein, auch die Strecken zu fahren, die eigentlich nicht offen sind. Der Unterschied ist für mich ganz einfach. Es gibt Strecken, da stehen Warnschilder auf denen steht, dass die Strecken im Winter nicht geräumt werden oder nicht patrouilliert werden oder sonst was. Und dann gibt es Strecken die sind zu, da ist dann ein Schlagbaum davor, der abgeschlossen ist. Da fahre ich nicht lang. Die anderen Strecken fahren wir also und lernen nun doch ein wenig diesen Nationalpark kennen. Wir treffen nur auf sehr wenige Menschen und manche sind hier sogar mit Schneeschuhen unterwegs, um nicht so tief einzusinken, denn die Wanderwege sind natürlich auch nicht geräumt.

Noch nicht wirklich für die Saison vorbereitet 😉

Immer mal wieder steigen wir aus dem Auto aus und wandern etwas, gehen mal über eine kleine Hängebrücke oder entlang eines fast zugefrorenen Flusses. Als wir so richtig durchgefroren sind und schon Einiges gesehen haben an den verschiedenen Haltepunkten, verlassen wir diesen einsamen Park, um nach Annapolis Royal an der Bay of Fundy zu fahren. Gegenüber liegt Saint John, dort werden wir in ein paar Tagen übernachten, das wissen wir jetzt aber noch nicht. In Annapolis Royal gehen wir nur etwas spazieren. Genießen noch immer den Schnee und die Sonne, da wir so was etwas vom Waterhole nicht gewohnt sind. Wir essen in einer schäbigen Bar leckere Sweetpotato Fries und trinken dazu einen Kaffee vor der langen Rückfahrt.

Annapolis Royal, auch im Winterwonderland

Mittwoch, 2. Februar 2022

Wir sind um 8:45 Uhr mit Kim Marriott von der Spedition E. H. Mathers am Zollgebäude verabredet. Sie hat Jutta angeboten dorthin zu kommen, damit wir den Weg zu ihrem Büro sparen. Denn dort sind alle im Homeoffice und ihr war es egal, ob sie ins Büro fährt oder sich mit uns am Zoll trifft. Sie muss uns nur einige Papiere übergeben. So sind wir früh aufgestanden heute und ich habe nur kurz ein kleines Frühstück von unten geholt, damit wir pünktlich am verabredeten Treffpunkt sind. Mit dem Aufzug fahren wir direkt in das P2 Parkdeck und um die Ecke steht der rote GMC. Wir kommen pünktlich an und haben es auch direkt gefunden. Das Zollgebäude ist etwas abseits gelegen. Sie sind umgezogen und ca. 8 Meilen vom Hafen entfernt. Von unserem Appartement waren es etwa 20 Minuten zu fahren.

Mein Gesichtsausdruck: Bin bereit, hoffentlich klappt alles!

Wir stehen gerade erst wenige Augenblicke auf dem Parkplatz und da kommt ein weiterer PKW angefahren. Wir gucken wer da kommt und sie guckt, wer da schon steht und schnell ist klar: Wir sind hier verabredet. Sie ist sehr nett und bietet weitere Unterstützung an, sollten wir irgendwelche Fragen haben oder Hilfe benötigen. Auch um die Rückverschiffung wird sie sich kümmern. Sie reicht Jutta einen kleinen Stapel Papiere und wünscht uns alles Gute. Jetzt wird es aufregend. Wir wurden gebrieft, was wir auf bestimmte Fragen antworten sollen und was wir auf keinen Fall sagen dürfen. Das ist aber auch nicht schwer, denn es entspricht alles der Wahrheit. Zum Beispiel sollte man sagen, dass man nie länger als 30 Tage in einer Provinz ist. Sonst muss das Auto in der Provinz angemeldet werden. Man ist natürlich nur als Tourist unterwegs und verschifft das Fahrzeug auch wieder nach Deutschland zurück.

Wir gehen rein und kommen direkt durch an den Schalter, es ist niemand sonst hier außer den Zollbeamten. Eine junge Dame kümmert sich um uns und checkt alle Papiere sorgfältig durch.

„Haben sie auch Fahrräder dabei?“, will sie wissen. Da wir nichts zu verheimlichen haben, bestätigen wir die Frage mit einem Ja. „Die sind nicht angemeldet!“, sagt sie. „Oh, wir haben aber bei Seabridge angegeben, dass wir zwei Mountainbikes mitnehmen werden.“, sagen wir und hoffen, dass es keine Probleme deswegen geben wird.

„Wollen sie die Fahrräder auch wieder mit zurück nach Deutschland nehmen?“ „Ja selbstverständlich!“ bestätigen wir zeitgleich.

Sie will noch wissen wie lange wir bleiben wollen und wann unser Rückflug ist und ob wir schon einmal in Kanada waren. Ich antworte, dass wir schon zweimal in Kanada waren, einmal an der Westküste in BC und Alberta und das andere Mal in Ontario an der Ostküste. Dann berichte ich ihr noch von unserer geplanten Route durch die USA und die Wiedereinreise im Mai in British Columbia.

„Herzlich willkommen in Kanada!“, sagt sie und reicht uns alle abgestempelten Papiere und Unterlagen zurück. „Wow, das ging doch super.“, sage ich zu Jutta. Beide sind wir mega erleichtert eine weitere Hürde genommen zu haben. Wenn es jetzt im Hafen genauso einfach läuft wie vor drei Wochen in Hamburg, dann haben wir bis heute Mittag alles erledigt und LEMMY und wir sind wieder vereint. Jutta hat ein wenig Bauchschmerzen, weil sie dann LEMMY zum Residence Inn by Marriott fahren muss.

Aber jetzt geht es erstmal zum Hafen. Das ist nicht ganz so einfach zu finden, denn die Navigation ist etwas unübersichtlich mit den ganzen Brücken und Unterführungen, so dass wir uns prompt verfahren und einen zweiten Anlauf wagen. Macht aber nichts, denn wir wissen, wo ich falsch gefahren bin und werden es diesmal richtig machen.

Beim zweiten Anlauf nehme ich die richtige Ausfahrt und wir erreichen das Hafengelände. Ich parke meinen roten GMC und laufe zum hohen Maschendrahtzaun, der das gesamte Gelände umgibt. Dann sehe ich LEMMY da stehen. Aufgeregt rufe ich Jutta zu: „Da ist er, ich sehe ihn!“

Da steht LEMMY!!!!!!

In dem kleinen Häuschen vor einer Schranke sagen wir unseren Namen und zeigen die Papiere vor. Wir sollen uns in einen Wagen setzen und dort warten. Kurze Zeit später werden wir durch die Schranke in das Hafengelände gefahren. Hier dürfen wir beide mit. In Hamburg durfte nur eine Person auf das Hafengelände. Ich bin ganz froh, dass Jutta dabei ist. Vor einem weiteren Gebäude werden erneut alle Papiere geprüft und ich bekomme meinen Autoschlüssel ausgehändigt, den ich zuletzt in Hamburg in Händen hielt. Jetzt kann ich LEMMY unter die Lupe nehmen. Er sieht gut aus. Es ist zwar alles gefroren und mir wird auch sofort eine Starthilfe angeboten. Doch LEMMY springt sofort an. Alle Fenster und Türen sind mit roten Aufklebern versiegelt. Wir checken alles und befinden alles für gut. Jetzt mache ich noch die Kennzeichen dran, die ich im Handgepäck mitgenommen hatte, damit sie kein Seemann als Souvenir behält.

Ziemlich durchgefrostet der arme LEMMY!

Jutta schaut mich besorgt an, „Die Bordbatterie ist komplett runter, die Ladespannung ist bei 7 V!“ „FUCK!“, sage ich. Soweit war sie noch nie runter. Der schlimmste Tiefstand war 10,2 V in Split, als wir umdrehen mussten zu unserem Daniel Düsentrieb in Zadar. Wir hoffen, dass sie sich durchs Fahren erholt und keinen bleibenden Schaden genommen hat. Mehr können wir jetzt auch gar nicht machen. Wir sind mehr denn je auf die Bordbatterie angewiesen, denn wir haben uns gegen Stromkabel und Trafo entschieden. Wir werden 6 Monate nur mit Solarstrom reisen und durch das Laden der Batterie während der Fahrt.

Mit einem mulmigen Gefühl verlassen wir den inneren Hafenbereich und ich fahre LEMMY auf den Parkplatz zum GMC. So ein Mist, richtige Freude kommt jetzt noch gar nicht auf. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Aber was solls? Ändern können wir eh nichts.

Ich gebe Jutta meinen Autoschlüssel und fahre sehr langsam mit dem GMC vorweg. Sie folgt mir mit LEMMY. Als wir unser Hotel sehen, fahre ich den Leihwagen direkt in die Parkgarage auf P 2 unter dem Residence Inn by Marriott und Jutta parkt wie verabredet direkt vor dem Hotel. Dort ist ein kostenpflichtiger, geschotterter Parkplatz, wo LEMMY für unsere letzte Nacht im Appartement stehen wird.

Ich fahre mit dem Aufzug vom Parkdeck in die Lobby und gehe rüber zu Jutta auf den Parkplatz. Die Bordbatterie wurde etwas aufgeladen durch die Fahrt, doch die Frage ist, ob sie die Spannung hält bei der Kälte und ob ein bleibender Schaden entstanden ist oder nicht. Das werden wir morgen rausfinden, wenn wir uns auf den Weg machen in die USA. Ein weiterer Wintersturm wurde angekündigt für Nova Scotia und große Teile der Ostküste und wenn möglich, werden wir dem morgen einfach wegfahren. Jetzt geht es für eine letzte Nacht in unser liebgewonnenes Appartement und wir packen schon mal unser Gepäck zusammen. Mein Trolley hat die Reise nicht gut überstanden und der Reißverschluss lässt sich nicht mehr richtig schließen. Deshalb entschließe ich mich dazu, ihn gar nicht erst als Ballast mitzunehmen. Ich werde morgen früh beim auschecken fragen, ob ich ihn dalassen kann. Mein lieber Kollege Frank aus der Dekoabteilung hatte mir den Trolley sogar schon einmal repariert und er hat mir seitdem noch einige Jahre gute Dienste geleistet.

Das Packen haben wir erledigt und nun genehmigen wir uns noch ein Feierabendbier und überlegen wie weit wir morgen fahren wollen und ob wir dem Sturm überhaupt entkommen können. Portland ist Thema und Bangor/Maine ebenfalls. Wir werden sehen. Es hängt am Wetter und wann wir loskommen und so weiter…

Jutta geht ins Bett und ich hole mir noch ein Pabst Blue Ribbon aus dem Kühlschrank. Ich brauche noch etwas Zeit, um aus dem Fenster zu sehen, Musik zu hören und mich still zu verabschieden, aus dem Residence Inn by Marriott. Und von Halifax, einer weiteren Metropole an die ich mich sehr gerne erinnern will und die ich in etwas weniger als 6 Monaten wieder besuchen werde. Nach einem weiteren Pabst Blue Ribbon und einem Molson Canadian und Chet Baker aus der TV Musikbox logge ich mich noch aus Netflix aus, damit niemand hier meinen Account nutzen kann und mache mich bettfertig. Mit gemischten Gefühlen gehe ich schlafen.

Werden wir dem Wintersturm entkommen? Hat die Bordbatterie Schaden genommen? Werden wir ohne Probleme in die USA einreisen können? Wir müssen morgen einige Male laufen um alles Gepäck in LEMMY umzupacken. Dann müssen wir noch tanken. Erst den GMC, den wir auch danach abgeben müssen und anschließend LEMMY, der nur noch etwa 35 Liter Diesel im Tank hat.

Auch die anderen Aussichten sind sehenswert!

Mit diesen Gedanken gehe ich ins Bett und schlafe gut, dank der drei ???.

Es gibt wieder nur ein kurzes und schnelles Frühstück. Die große Dusche mit unbegrenzt heißem Wasser wird ein letztes Mal ausgiebig genutzt und danach wird alles ins Auto verladen. Wie sich rausstellt war meine Strategie die Bessere. Ich hatte im Waterhole (zwei Tage bevor LEMMY in den Hafen von Hamburg gebracht wurde) angefangen zu packen. So wusste ich genau, was im Auto ist und was ich in meinem Trolley habe. Jutta hatte schon zwei Wochen vorher angefangen Sachen im Auto zu verstauen. Immer mal wieder hatte sie was dazu getan. Irgendwann wusste sie gar nicht mehr so genau was sie schon verladen hatte. LEMMY war in Waltershof im Hafen und dann ging es ja noch ans Packen für den Flug. Da hat sie dann auch noch Einiges mitgenommen, um für alles gerüstet zu sein. Ich habe alles am 08.01.22 gepackt, alles was ins Auto soll und den Rest für den Flug, was ich für die erste Zeit in Halifax brauche. Ich wusste genau was ich habe und wo ich es habe. Jutta hatte etwas den Überblick verloren, wie mir schien. Und jetzt, wo sie feststellt, was sie alles schon im Auto hat und nun noch dazu unterbringen muss, da dämmert es ihr. Sie hat viel zu viel mit. Besonders warme Wintersachen hat sie ohne Ende dabei. Ich predige ihr immer schon, dass das Zwiebelprinzip das beste System ist. Ich komme mit wenigen Sachen bei eiskalten Temperaturen klar. Ich fühle mich bestätigt in meiner Philosophie, sie wird dagegen argumentieren. Aber egal, ich kenne das.

Bei so einem krassen Winterwetter MUSS Frau doch mindestens 10 kg dicke Klamotten dabei haben, oder 😉

Nach dem Frühstück tanken wir den GMC voll, an der Tankstelle beim Atlantic Super Store und bringen ihn zurück zu Avis in die Garage.

Danach checken wir aus und ich frage, ob ich meinen defekten Trolley in der Lobby stehen lassen kann und ob wir wieder so einen tollen Deal bekommen, wenn wir im Juli zurück kehren nach Halifax. Kein Problem mit dem Trolley, den kann ich da lassen und sie werden uns wieder eine guten Deal anbieten. Aber weil im Juli Highseason ist, wird es etwas mehr kosten. Wir bedanken uns für die tolle Zeit, die wir dort hatten und für alle Annehmlichkeiten, die sie uns geboten haben und verabschieden uns nur vorübergehend.

Jetzt wird LEMMY voll getankt und es geht weiter in ein neues Reiseabenteuer. Jetzt endlich mit dem eigenen Overlandtruck in Nordamerika.

…und was als nächstes geschieht…

CHAPTER II – LEMMY GOES NEW YORK CITY

…und wie ich auf den Spuren von Robert de Niro wandle und warum ich 139 $ für einen Parkplatz in New York bezahle…

Chapter 14 – Ein kurzes Zwischenspiel

Am 17.12.2021 kommen wir im Dunkeln, erschöpft von der langen Fahrt am Waterhole an. Ich parke LEMMY in der Einfahrt. Wir räumen noch das Bettzeug aus dem Auto und dann betreten wir unser Zuhause nach vielen Monaten Reisezeit. Es ist ein merkwürdiges Gefühl wieder hier zu sein, aber auch nicht so ganz anders, als wenn wir von einer fünfwöchigen Sommerreise zurückkehren.

Damit hatte ich früher richtig Probleme, mit dem nach Hause kommen. Besonders wenn es von meinem Lieblingskontinent Asien zurückging. Da fing die depressive Stimmung spätestens nach der Landung am Bremer Flughafen an und manchmal musste ich mich dann eine Weile in meiner Garage zurückziehen.

Die gleicht mittlerweile einem zweiten Wohnzimmer. Ich habe sie aufwendig hergerichtet mit Tapeten, Teppichen auf dem gefliesten Boden und einem Bierkühlschrank, einer Bar und natürlich einer Musikanlage. Jetzt freuen wir uns über zwei Welcome Drinks von den weltbesten Nachbarn. Ein DMAX Offroad Bier und ein Becks Lemon Brew für Jutta. Die Post liegt schön gestapelt und geordnet auf dem Küchentisch und alles ist sauber und ordentlich. Ohla hat sogar vorher noch kurz durchgelüftet, denn sie wusste, dass wir kommen. Große Klasse! Das mit der Ordnung soll sich ab morgen ändern. Dann werden überall Wäscheberge rumliegen, weil Jutta alle Klamotten aus dem Auto waschen will, egal ob getragen oder ungetragen.

Willkommensgruß 🙂

Ohla und Carsten geben uns Zeit zum Ankommen und die brauchen wir auch. Nach einem Blick durch die Post geht es nur noch ins Bett. Gegessen haben wir schon in Hannover auf einem Parkplatz bei Mc Donalds. Und wie es meine Gewohnheit ist, tanke ich auch in Hannover Garbsen immer voll, wenn wir hier auf der Rückreise durchkommen. Denn es ist immer etwas günstiger als bei uns in Syke. Vor dem Zubettgehen haben wir uns noch zurückgemeldet bei Juttas Eltern und bei Heinz und verabreden in den nächsten Tagen vorbeizukommen.

Langsam lichten sich die Wäscheberge und wir haben uns akklimatisiert.

Allerdings gibt es auch noch einiges zu tun. Die Boosterimpfung für uns beide steht an. Von Sabine und Frank (den Nachbarn von Heinz, die auch immer ein wachsames Auge auf ihn haben und sich ganz toll kümmern) erfahren wir von einer Syker Ärztin, die vormittags ohne Anmeldung impft. First come, first serve. Da das aber nur bis 12.00 geht und man vielleicht länger im Kalten anstehen muss, ist mir das zu früh und zu kalt. Ich gehe ja immer spät ins Bett und komme dann morgens nicht so früh hoch. Jutta, die sowieso meistens eher auf ist als ich, lässt sich dort impfen. Sie hatte ja von unterwegs bereits online einen Termin in Wischhafen für uns beide gebucht. An dem will ich nun festhalten.

Außerdem war ich etwas voreilig mit dem Volltanken in Hannover, denn wir haben ganz vergessen, dass der Fahrzeugtank für die Verschiffung nur bis zu einem Viertel voll sein darf. Ist aber nicht so schlimm, denn mein Jeep ist abgemeldet und ich muss schon noch Einiges erledigen und dabei brauche ich ein Auto, was ich dann gut mit LEMMY machen kann.

Vorher ist aber noch Weihnachten mit Juttas Eltern, Sonja und Lars und natürlich auch mit Heinz. Wir wollen uns mit unseren Freunden treffen. Mit Immi und Erdal möchten wir gerne Silvester verbringen, da ist es immer so schön gemütlich am Kamin und wir spielen dann gerne was zusammen und Immi bereitet köstliches Essen zu. Zwischen den Feiertagen wollen wir MTV zu uns einladen, aber bei Torre auf der Arbeit sind ganz viele Corona- positiv getestet. Wir telefonieren zusammen und verschieben erst mal, denn das Risiko ist uns eigentlich zu hoch. Deshalb wird Jutta und mir klar, das können wir nicht machen. Wir gefährden wohlmöglich unseren Flug. Am nächsten Tag sagen wir ab. Mit unserer Freundin Sonja wollen wir allerdings einen ausgedehnten Spaziergang machen, aber auch dazu wird es nicht kommen. Ohla und Carsten haben wir für den 27.12. zu uns zum Essen eingeladen. Wir wollen uns wenigstens etwas revanchieren fürs Haus hüten, Post empfangen und was sie sonst noch alles für uns machen. Der Termin steht.

Weihnachten rückt immer näher und vorher wollen wir nicht noch groß was abarbeiten von unserer „To do“- Liste, das kann alles warten bis nach Weihnachten. Die wichtigsten Termine sind der 6. Januar (da muss LEMMY nach Hamburg in den Hafen gebracht werden, damit er am 10. Januar auf die Atlantic Star verladen werden kann) und natürlich der 14. Januar, an dem wir dann abfliegen werden zum zweiten Teil unserer großen Reise.

24.12.2021

Heiligabend ist da. Um 18.00 Uhr treffen wir uns alle bei Horst und Renate. Sonja und Lars sind meist die Ersten, dann trudeln wir ein und zuletzt kommt Heinz dazu. Es gibt fast immer Raclette und Jeder bringt was mit und bereitet etwas zu. Ich mache gerne gebratene Champignons und mit Salz, Pfeffer und Knoblauch marinierte, gebratene Zucchini. Jutta macht gerne Kräuterbutter selber und mariniertes Hühnchen, dann noch Rucola-Tomatensalat mit Parmesan, Cranberrys und Walnüssen. Die vegetarischen Leckereien bringen Sonja und Lars mit.

Aber dieses Jahr sind wir freigestellt von irgendwelchen Vorbereitungen, denn sie freuen sich alle sehr, dass wir überhaupt gekommen sind. Es war ja nicht ganz sicher, ob wir an Weihnachten zurück sind. Vieles hing ja vom weiteren Verlauf unserer Reise ab. Aber als die USA am 8. November verkündet hat die Grenzen zu öffnen, da war es auch für mich klar: Wir fahren zu Weihnachten zurück ins Waterhole.

Der Ablauf ist auch immer derselbe. Zuerst ist Bescherung und es werden die Geschenke ausgepackt. Jutta und ich schenken uns dieses Jahr nichts, die Reise ist unser größtes Geschenk. Horst und Renate bekommen oft Karten fürs Theater und Heinz liebt es zu puzzeln und neuerdings findet er auch großen Gefallen an dicken historischen Romanen. Da müssen wir nicht lange überlegen. Nachdem dann jeder seine Gaben bekommen hat, geht es ans Essen und da ist immer eine sehr besinnliche Stimmung. Wir unterhalten uns angeregt und das Essen geht von einem zum Anderen über die große, reich gedeckte Tafel. Das gekühlte Becks Gold steht griffbereit auf der Terrasse vorm Wohnzimmer und mal geht Sonja, Lars oder ich um für Nachschub zu sorgen. Natürlich wird viel über unsere Erlebnisse gesprochen und besonders auch darüber, wie schön es war mit Sonja und Lars zusammen die Zeit auf Naxos verbracht zu haben.

Mit der weltbesten Schwester den Sonnenuntergang genießen, was will man mehr?

Eigentlich planten sie uns im Sommer in Kanada zu besuchen, um dann wieder etwas gemeinsam mit uns zu reisen, aber daraus wird nun leider doch nichts. Sie können nicht Beide für vier Wochen Urlaub nehmen. Jutta und ich wollen ab Mai an der Westküste sein, in British Columbia, aber wenn Sonja und Lars nur für 2-3 Wochen Urlaub nehmen können, um uns in Vancouver zu treffen, dann sind die Kosten für den Flug und den Leihwagen im Verhältnis zur Entfernung und der Zeit die sie haben, zu hoch. Ich finde es sehr bedauerlich, da ich wirklich gerne dort den Part des Reiseleiters übernommen hätte. Wir waren mal für fünf Wochen in BC unterwegs, vier davon mit einem geliehenen Camper von Cruise Canada und eine Woche mit einem Mietwagen, einem GMC Envoi. Mit dem sind wir rüber nach Seattle in Washington und nach Snowqualmie, Northbend, Redmond usw. gefahren, um auf den Spuren von Twin Peaks zu wandeln.

Das ist eine fantastische Serie aus den 90er Jahren, gedreht von David Lynch und wir alle lieben sie sehr. Sonja und Lars gucken sie sogar jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester komplett durch und es wäre mir ein wahnsinniges Vergnügen gewesen, ihnen die ganzen Drehorte zu zeigen. Ganz besonders das Double R Diner mit dem köstlichen Kaffee und dem berühmten Cherrypie, der in das ganze Land verschickt wird. Dann natürlich das Great Northern Hotel, den Wasserfall, die Packard Saw Mill, Big Eds Tankstelle, das Roadhouse usw..

DER Wasserfall (Da waren wir schon, das Bild ist aber nicht von uns.)

Na ja, ich schweife schon wieder ab. Wer die Serie nicht kennt, aber was mit David Lynch anfangen kann, der sollte mal probieren sie zu schauen. Sie ist Kult!

So langsam werden wir alle immer satter und nach dem Essen räumen wir den Tisch ab und stellen alles rüber in die Küche. Danach wird noch weiter gequatscht und noch etwas später meist auch noch gespielt. Gerne spielen wir Activity, wobei Horst, Lars und ich dann gegen die Damen antreten und meistens verlieren. Heinz ist dann schon wieder zu Hause. Er bleibt meist noch etwas nach dem Essen und verabschiedet sich dann. Zu guter Letzt spielen Lars, Horst und ich noch ein paar Runden Skat, bevor wir dann einen wunderschönen und sehr gemütlichen und friedvollen Abend beschließen.

Diesmal läuft es aber etwas anders, denn ich frage Jutta, nachdem alles abgeräumt ist, ob sie mir den Gefallen tun würde etwas aus meinem Blog vorzulesen. Sie stimmt zu und für mich ist auch das ein Weihnachtsgeschenk. Sonja und Lars verfolgen meinen Blog sowieso, aber das neueste Chapter kennen sie noch nicht. Ich habe es vor Kurzem erst fertig geschrieben. Auch Heinz ist noch immer mit dabei und Jutta liest vor. Ich sehe wie gebannt besonders Renate, Horst und Heinz dasitzen und zuhören. Renate und Horst haben ein breites Lächeln im Gesicht und das macht mich gerade richtig glücklich und zufrieden. Heinz erzählt mir ein paar Tage später, wie sehr es ihm gefallen hat, an diesem Abend als Jutta vorgelesen hat

So endet dieser besondere Weihnachtsabend ohne Spiele, aber mit einer etwas anderen Weihnachtsgeschichte.

Zuvor musste natürlich Chapter III aus der Türkei geschrieben werden und auch Chapter IV. Ich hatte mir ja vorgenommen zwei oder drei Nachtschichten einzulegen im Waterhole. Zwei habe ich geschafft. Und das dritte Chapter, das Jutta zum Teil an Heiligabend vorgelesen hat, das habe ich in der Nacht vom 21.12. auf den 22.12. fertiggestellt.

Ich habe dieses Mal oben im Arbeitszimmer an meinem Computer gesessen und das hat mir richtig gut gefallen. Wir haben das Arbeitszimmer auch als Gästezimmer hergerichtet und nennen es „das afrikanische Zimmer“. Ich habe es mit einer dunklen Holztapete tapeziert, so dass es wie eine Blockhütte von innen aussieht.

Im Flow im Waterhole

An die Schräge habe ich eine Leopardenmuster -Tapete geklebt. Die Decke habe ich mit Bambusmatten verkleidet. An den Wänden hängen einige Bilder von einer Keniareise. Dann haben wir eine sandfarbene Schlafcouch für Gäste oder auch gelegentlich mal für mich. Denn wenn ich erst nach 2:00 Uhr schlafen gehe, dann bleibe ich im Arbeitszimmer, um Jutta nicht mehr zu wecken, da sie morgens früh raus muss zur Schule. Also mache ich es mir bequem auf meinem Schreibtischstuhl, dämme das Licht und beginne zu schreiben. Eine kleine Kühlbox mit 5 Hemelingern habe ich mir schon bereit gestellt. Das reicht erst mal für eine Weile. Musik läuft leise zu meiner Inspiration und irgendwann kommt Jutta vorbei, um ins Bett zu gehen.

„Na kommst du voran?“, fragt sie und ich antworte: „Ja, bestens! Schlaf gut und bis morgen früh dann.“

Ich sitze und schreibe, hole mir irgendwann eine zweite Ladung eiskaltes Bier aus der Garage aus meinem Bierkühlschrank. Das ist jetzt etwas umständlicher, weil der abgemeldete Jeep in der Garage im Weg steht. Geht aber. Dann spiele ich mal Musik über Youtube, mal über Spotify oder von meiner Festplatte. Je nachdem worauf ich gerade Lust habe oder was zu meiner Schreibstimmung passt.

Ich nutze auch immer mal die Fotos, die wir unterwegs gemacht haben, wenn ich beim Schreiben die eine oder andere Situation nicht mehr so ganz genau vor Augen habe. Aber eigentlich klappt das recht gut mit der Erinnerung. Ich beame mich irgendwie zurück zum Ort des Geschehens und dann läuft es und ich tippe mir die Finger wund. Ich komme in den Flow.

Leider klappt das nicht immer so gut und dann höre ich entweder auf oder quäle mich weiter, bis ich den Flow finde. Jetzt jedenfalls habe ich ihn und schreibe bis Jutta aufsteht und sich Kaffee kocht. Nun kann ich sogar ins Schlafzimmer gehen und muss nicht im Arbeitszimmer schlafen. Feierabend für heute, Türkei Chapter III ist fertig.

Weshalb ich nur zwei Schreibsessions geschafft habe liegt auch an Lincoln Clay. Er ist ein farbiger Vietnam Veteran oder sagt man POC (People Of Colour), damit es politisch korrekt ist? Ich weiß es nicht genau und ich glaube sogar, dass es irgendjemand einfach vorgibt, was denn gerade politisch korrekt sei. Nicht mal die Schwarzen selber sind sich einig, wie sie genannt werden wollen. Von Einem habe ich gehört, er finde den Begriff POC völlig daneben, denn schließlich sei er nicht bunt. Mir ist das alles nicht so wichtig und ich muss auch nicht immer politisch korrekt sein. Ich unterscheide nicht zwischen Hautfarben, ich versuche den Menschen zu sehen. Ob mir das immer gelingt, weiß ich nicht, hoffe es aber sehr. Wer ist denn eigentlich ein POC? Sind das alle anderen, außer den sogenannten weißen Menschen? Sind es die Chinesen, die Menschen aus Afrika? Was ist mit Brasilianern, Indern oder den Nachkommen, zwischen den Kulturen und Völkern? Oder sind wir alle People Of Colour? Aber wozu braucht es denn dann überhaupt diesen Begriff? Dann könnte man genauso gut sagen „Mensch“. Manchmal ist aber eine genauere Definition der Herkunft und/oder der Hautfarbe nötig.

Nun, für Lincoln Clay brauche ich eine andere Beschreibung als Mensch, denn er erlebt die Diskriminierung und den Rassenhass der 60er Jahre in Louisiana und ich hoffe niemanden zu verletzen, wenn ich schreibe er ist ein „farbiger“ Vietnam Veteran.

Was hat jetzt Lincoln Clay damit zu tun, dass ich nur zwei statt der erhofften drei Sitzungen schaffe? Das ist ganz einfach, denn zu Weihnachten habe ich von Juttas Eltern ein Computerspiel geschenkt bekommen. Es ist so, dass wir immer einen Umschlag mit Bargeld geschenkt bekommen. Aber sie möchten auch eine kleine Überraschung dazu schenken und fragen Jutta, ob es nicht noch etwas gibt, was ich mir wünsche. Und das war im letzten Jahr das PC Spiel Mafia III.

Ich habe bereits vor vielen Jahren Mafia I gespielt. Was rede ich! Nicht gespielt, ich habe es zelebriert. Das erste Durchspielen der gesamten Story habe ich mit meinem Kumpel Stefan an meinem PC erlebt. In eben diesem Arbeitszimmer, nur war es damals noch nicht das afrikanische Zimmer, das kam später. Wir verabredeten uns meist per Mail und das sah dann ungefähr so aus: „Moin Stefan, wollen wir heute Abend New York in Schutt und Asche legen?“ (Das war lange vor 9/11, so würden wir das heute natürlich nicht mehr sagen.) „Klaro, ich bin um sieben Uhr bei dir.“

Die Story spielte in Lost Heaven, einem New York in den 1920 Jahren, entsprechend waren die Autos, die Klamotten und das ganze Set-Design. Auch die Musik im Radio war aus dieser Zeit. Es ging um einen Taxifahrer, der durch Zufall in eine Situation gerät, in der ein flüchtender Gangster einer Schießerei entkommen muss und in genau unser Taxi einsteigt. In „unser“ Taxi, weil Stefan und ich uns abgewechselt haben beim Spiel. Immer wenn einer von uns erschossen wurde, dann kam der Andere auf den begehrten Schreibtischstuhl und an die Maus und Tastatur. Man brauchte gute Reflexe, um nicht erschossen zu werden. Man musste in Echtzeit die richtigen Entscheidungen treffen und die Auge-Hand-Koordination sollte auf Topniveau funktionieren. Dann waren wir die Hauptdarsteller in einem Blockbuster. Es gab immer neue Aufträge, z.B einen Senator umlegen oder ein Rennen fahren, weil ein Fahrer ausgefallen ist. Mal mussten wir die Schwester vom Boss begleiten, damit sie auf dem Heimweg nicht immer von den selben Typen belästigt wird. Wir konnten uns in einer Open World frei bewegen. Wenn wir wollten konnten wir Autos klauen, die an der Straße parkten und dann unserem Fuhrpark zufügen. Wenn Stefan oder ich (ohne erschossen worden zu sein) einen Auftrag abgeschlossen haben, dann darf der Andere auf den begehrten Stuhl und die nächste Spieletappe versuchen. So gingen viele Stunden und Nächte dahin und ich habe dieses Spiel geliebt und es dreimal komplett durchgespielt. Eines Tages, viele Jahre später, sah ich dann zufällig Mafia II auf dem Cover einer PC-Zeitschrift und bevor Juttas Eltern fragen konnten, was ich mir denn wohl zu Weihnachten wünsche, sagte Jutta ihnen: „Ach übrigens, Jürgen wünscht sich Mafia II zu Weihnachten.“ Es war nicht ganz so grandios wie das erste Mafia, doch trotzdem habe ich es zweimal durchgespielt. Allerdings alleine, Stefan hat später nicht mehr mitgespielt.

Wieder vergingen viele Jahre und Mafia verschwand aus meinem Leben. Ich spielte auch andere PC Spiele, eine ganze Weile sogar mal World of Warcraft online. Auch Civilization und vieles mehr, aber nichts war derart faszinierend und fesselnd wie die Mafia Spiele.

Und da sich Weihnachten jedes Jahr aufs neue einstellt, kommt auch immer wieder irgendwann die Frage von Juttas Eltern: „Schätzele, was wünscht sich Jürgen denn zu Weihnachten?“

Dieses Mal sah ich es online auf dem STEAM-Portal. Es gibt eine Neuauflage von Mafia I und Mafia II. Remasterd, in neuem, aufgearbeitetem Design, besserer Grafik, besserem Sound und vielen anderen Features mehr. Aber was sehe ich denn da? Ich kann es nicht fassen, das war noch nicht alles. Da sehe ich noch ein drittes Cover in diesem Onlinepaket enthalten. MAFIA III.

Ich schreie aus dem Arbeitszimmer nach unten: „Jutta, Jutta, ich weiß jetzt was ich mir zu Weihnachten wünsche!“

Damit bin ich jetzt bei Lincoln Clay und bei Mafia III. Dieses Spiel teilt die Gemüter der Fangemeinde. Dafür gibt es mehrere Gründe, die ich nicht alle erwähnen kann. Wieder ist es ab 18 Jahren und wieder ist es sehr brutal. Aber es übertrifft meine Erwartungen um ein Vielfaches. Lincoln Clay kommt gerade aus dem Vietnamkrieg nach Hause, nach New Bordeaux. Er ist der Diskriminierung und dem Rassenhass ausgesetzt und ich bekomme das als Spieler sehr deutlich zu spüren. Denn ich bin in diesem überaus dichten und intensiven Spielerlebnis der Hauptdarsteller. Die Story ist extrem gut ausgearbeitet und es gibt viele Videosequenzen die sein/mein Leben begleiten. Es spielt in der Gegenwart der 1968er Jahre. Aber immer wieder kommen Leute zu Wort, die im Umfeld von Lincoln Clay eine wichtige Rolle spielen und auch von früheren Zeiten erzählen. Von Zeiten, in denen er/ich noch nicht so ein rücksichtsloser Verbrecher war. Gnadenlos geworden durch den Krieg, durch den Rassenhass, durch alles was einem im Leben so prägt, zieht sich eine blutige Spur durch New Bordeaux. So wie noch in Mafia I New York Vorbild war für das Spieldesign, so sind es jetzt die Sümpfe von Louisiana und New Orleans. Ich befinde mich erneut in einer Open World, die fantastisch designt ist. Ich habe auf einer riesigen Map verschiedene Handlungsoptionen zur Auswahl und mache worauf ich gerade Lust habe. Immer wieder gehe ich in eine Bar. Dort gibt es in den Washrooms Medipacks, die einem beim Überleben helfen. Ich kann auch jemanden anrufen, der mich mit Waffen und Ausrüstung versorgt, dann aber muss ich es bezahlen. In den Bars bekomme ich es umsonst, aber nicht immer bin ich willkommen. Werde ich freundlich begrüßt, dann nehme ich mir das Medipack und verschwinde. Ist der Barkeeper aber ein Rassist, dann gibt es was auf die Fresse und ich plündere seine Kasse. Ich könnte ihn auch erschießen, aber ich belasse es meist bei einem KO-Schlag. Der Soundtrack ist so fantastisch, das ich manchmal, wenn ich einen bestimmten Auftrag erledigen will, noch im Auto sitzen bleibe bis der geile Song im Autoradio zu Ende ist. So wie ich es im echten Leben auch machen würde. Das Spielerlebnis ist dermaßen intensiv, dass ich mich jetzt schon auf Louisiana und New Orleans freue, was auf jeden Fall Teil unserer Route sein wird.

Was ich eigentlich sagen wollte, wegen Lincoln Clay habe ich keine dritte Schreibsession mehr hinbekommen. Ich hatte einfach zu viel in New Bordeaux zu erledigen.

27.12.2021

Heute kommen Ohla und Carsten zum Abendessen. Die Zwillinge Emily und Daniel kommen natürlich auch mit. Für die Kids gibt es selbstgemachte Hackfleischpizza, allerdings nicht ganz so spicy, wie wir sie für uns selber machen würden. Für uns gibt es scharfes Basilikum Huhn mit Zuckerschoten und Cashewnüssen, dazu Basmati Reis. Als Beilage haben wir einen scharfen Gurkensalat mit Chilis und zerstoßenen, ungesalzenen Erdnüssen. Außerdem gibt es noch indische Papadams, wobei ich für das Hauptgericht zuständig bin und Jutta für den Rest.

Sie kommen pünktlich und wir sind auch ohne Stress mit allem rechtzeitig fertig.

Es gibt Bier und Wein zum Essen und für die Kinder Limonade. Alle sagen, dass es ihnen sehr gut schmeckt, doch ich bin mit meinem Gericht nicht ganz zufrieden. Der Reis ist etwas verwässert und die Zuckerschoten habe ich vorher etwas zu lange im heißen Wasser gehabt, so dass sie verkocht sind und nicht den nötigen Biss haben. Das passiert mir eher selten, da wir dieses Gericht lieben und ich es entsprechend oft zubereite. Auch dass wir immer dünnen Flammkuchenteig für unsere Pizza nehmen, ist für Emily und Daniel ein bisschen ungewohnt. Na ja, gelobt wird das Essen trotzdem und schnell komme ich drüber weg.

Ohla sagte schon zu Beginn des Abends, dass da noch was wäre, was sie unbedingt wissen muss und ich weiß auch schon worauf sie hinaus will. Die Zwillinge sind längst im Wohnzimmer und spielen oder schauen sich was im TV an. Wir sitzen noch gemütlich in der Küche und unterhalten uns angeregt über alles Mögliche, aber auch über Corona und die Impfungen und eine mögliche Impfpflicht. Es wird heiß diskutiert und nicht immer sind wir einer Meinung. Trotzdem verläuft der Abend harmonisch und sehr gesellig. Toll, wenn man unterschiedliche Meinungen gelten lassen kann. Ich hole noch Hemelinger für Carsten und mich und schenke den Ladies Wein nach.

Jetzt kommt Ohla und fragt mich: „Jürgen, eins muss ich noch wissen, was ist da gewesen in Skeponi auf Naxos?“ „Du MUSST es mir sagen, bitte!“

Ich ziehe die Schultern hoch und zeige auf meine versiegelten Lippen. Sie dringt nicht weiter in mich und begreift schnell, dass alle Fragerei keinen Sinn macht. Denn darüber liegt der Mantel des Schweigens. Wir alle lachen herzlich darüber, aber kein weiteres Wort kommt über meine Lippen.

Unser Dankeschön-Geschenk wollen wir aber auch noch übergeben und Jutta holt einen Umschlag von oben aus dem Arbeitszimmer. Selbstverständlich hatten wir uns im Vorfeld was überlegt für die Beiden. Einen Hamburg-Gutschein, mit dem sie dann ein Wochenende oder auch nur eine Nacht auf der Reeperbahn verbringen können. In einem Hotel nach Wahl, mit einer Show dabei und Restaurants, Kneipen und Bars. Wir kümmern uns dann um die Kinder, so dass Carsten und Ohla mal Zeit für sich haben. Ohla liest den Gutschein und danach Carsten und wir sind glücklich, dass es ihnen zu gefallen scheint. Es wird Zeit für die Kinder ins Bett zu kommen und das erledigt Ohla, „Aber vielleicht komme ich gleich noch mal wieder.“, sagt sie.

Wir wechseln rüber ins Wohnzimmer, Ohla kommt nicht noch mal rüber und Jutta hat auch genug für heute. Ich mache auf dem Fernseher You Tube an und spiele mit meinem Handy Musikvideos ab. Das mache ich ganz gerne mal, auch wenn ich nach der Spätschicht nach Hause komme und noch nicht schlafen kann. Jetzt unterhalten wir uns nur zu zweit, trinken noch einige Hemelinger und Carsten überlegt sich mal mit auf das RELAOD FESTIVAL in Sulingen zu kommen. Das ist nur eine halbe Stunde mit dem Auto von uns entfernt. Jutta und ich werden rechtzeitig zum RELOAD 2022 wieder zurück sein aus Amerika. Einen Wohnwagen haben unsere Nachbarn ja auch seit kurzem und von daher steht einem Festivalbesuch nichts im Wege. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, wie ernst es Carsten damit ist, denn wir haben schon einige Biere intus und jeder einen White Russian. Ich rate ihm sich schnell ein Ticket zu sichern, denn noch gibt es die Early Bird Tickets. Die sind 10 Euro günstiger als in der nächsten Verkaufsstufe.

Spät in der Nacht endet dann dieser schöne Abend. Ich begleite Carsten zur Tür, der noch eine Runde mit Herrn Schubert drehen wird, dem Familienhund, groß wie ein Pony. Ich genehmige mir ein letztes Bier und begebe mich auch zur Nachtruhe.

Herr Schubert (an seinem ersten Geburtstag)

Zwei Tage nach diesem wundervollen Abend bekommt Jutta eine Nachricht von Ohla geschickt. Sie und Carsten sind Corona-positiv. Die Kinder sind negativ, was sich allerdings in wenigen Tagen in ein positives Testergebnis ändert. Bis auf Weiteres bleiben sie in häuslicher Quarantäne. Wir reden jedoch durch die Hecke in unserer Einfahrt mit den Beiden. Zum Glück haben sie nur leichte Symptome.

„Verdammte Scheiße!“, denken wir uns. „Sollte das beschissene Virus uns so kurz vor dem zweiten Teil unserer Reise einen Strich durch die Rechnung machen?“

Wir sagen Silvester bei Immi und Erdal ab, testen uns jeden Tag und vermeiden alle Kontakte. Die Tests bleiben negativ und wir sind erst mal erleichtert. Doch ist uns klar geworden, wie dicht wir an einer Katastrophe vorbeigerasselt sind. Nicht auszudenken, würden wir uns jetzt noch mit dem Virus infizieren.

29.12.2021

Testergebnis negativ. Heute ist mein Impftermin in Wischhafen, aber Jutta drängt mich, es bei der Syker Ärztin zu versuchen. „Lass uns da doch vorher vorbeifahren. Wenn keine lange Schlange vor der Tür ist, sparen wir uns einen halben Tag im Auto.“ „Na gut, meinetwegen“. ,sage ich und wider Erwarten ist keine Schlange vor der Tür. Ich gehe hin, nachdem LEMMY geparkt ist und frage die wenigen Leute, die draußen vor der Tür warten, ob sie für die Impfung anstehen. Keiner steht an, alle warten auf ihren regulären Arzttermin. Am Schalter frage ich die Sprechstundenhilfe, ob ich mich hier kurzfristig boostern lassen kann.

„Kein Problem, kann in fünf Minuten losgehen.“ „Ich brauche nur Ihren Ausweis und die Krankenkassenkarte.“

„Einen Augenblick, wo habe ich die Karte…..?“, sage ich, während ich mein Portemonnaie absuche. „Sie liegt wohl zuhause auf dem Schreibtisch, ich bin von einer langen Reise zurück und habe sie gerade wohl nicht dabei. Kann ich sie schnell holen, ich wohne fünf Minuten von hier?“

Es ist Freitag der 29.12.2021 und es ist kurz vor 12:00 Uhr.

„Das geht leider nicht, um 12 machen wir zu und das Quartal endet und dann können wir es nicht mehr abrechnen. Tut mir sehr leid.“

„Ah, ok.,“ sage ich, „vielen Dank!“…..“Tut mir auch sehr leid.“, denke ich mir bloß noch.

Als wir später dann im Impfzentrum von Wischhafen ankommen, erschreckt Jutta mich total mit der Frage: „Und was, wenn die jetzt auch deine Krankenkassenkarte brauchen?“

Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber mal überlegen. Wie war es denn bei den anderen Impfungen? Ich komme zu dem Ergebnis, dass ich im Impfzentrum Bremen keine Karte von meiner Krankenkasse vorzeigen musste.

Nach weniger als einer Stunde komme ich geboostert wieder raus. Check.

Auf dem Rückweg auf der Autobahn knallt es plötzlich an der Frontscheibe. Steinschlag, ein ganz schön großer Krater tut sich inmitten der Scheibe auf. So ein Mist jetzt auch noch, da müssen wir was machen, so können wir nicht Offroad fahren. Jutta bucht einen Termin bei Carglas gleich zu Beginn des neuen Jahres. Das muss noch vor der Verschiffung gemacht werden.

„Na ist doch gut!,“ sagt sie, „du musst den Tank doch eh noch auf ein Viertel leer fahren.“

31.12.2021

Silvesterabend alleine Zuhause, na nicht ganz alleine, zu zweit alleine. So wie es auch schon im Jahr davor war. Ich erinnere mich, als wäre es gestern. Wir haben uns ein tolles, relativ aufwendiges Essen zubereitet. Dazu gab es Rotwein. Jutta machte vietnamesische Frühlingsrollen, ich kleine Hackfleischbällchen, die mit gewässertem Reis paniert und gedämpft wurden. Fertig sehen die Bällchen aus, wie kleine weiße Igel. Dazu hatten wir die Papadams und den scharfen Gurkensalat, was wir auch unseren Nachbarn serviert hatten vor ein paar Tagen. Draußen schneite es seit Tagen, so wie wir es wirklich sehr selten erleben dürfen in Norddeutschland. Meine Terrasse war eine bildschöne, weiße Winterlandschaft.

Vietnamesische Frühlingsrollen
Mett- Igel mal anders 😉

Wir wollten nach vielen Jahren mal wieder „Es war einmal in Amerika“ schauen. Das ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme und ich habe ihn selbstverständlich auf DVD. Dieser Film ist ein episches Meisterwerk von Sergio Leone und geht länger als vier Stunden. Er spielt zur Zeit der Prohibition in New York und erzählt die Lebensgeschichte von Noodles, Max und den Anderen aus der Clique. Es geht um Liebe, Freundschaft und Verrat. Robert de Niro und James Woods sind herausragend in diesem Film, aber hier ist alles herausragend. Die Musik ist unübertroffen. Die Geschichte springt hin und her in den Zeiten. Mal sehen wir die Freunde als Kinder, dann wieder als Erwachsene. Gab es mal Streit zwischen Noodles und Max, dann hieß es immer: „Gehen wir schwimmen?“ und damit war der Streit begraben.

Dieser Film gehört für mich zu den 10 besten Titeln aller je gedrehten Filme.

Als wir in der Küche mit der Zubereitung des Menüs fertig waren, servierten wir uns das Essen im Wohnzimmer und genossen dabei dieses epische Meisterwerk in Dolby Surround. Schon bei den ersten Klängen der Filmmusik bekomme ich sofort eine Gänsehaut.

Danach schauten wir noch kurz nach draußen, um mit den Nachbarn anzustoßen und allen ein frohes neues Jahr zu wünschen. Wir verschickten und bekamen einige Nachrichten auf dem Handy von Freunden von hier und dort. Eine Zeit lang haben wir dann noch Musik gehört und uns unterhalten über die verschobene Reise. Wir wollten zu diesem Zeitpunkt ja so gerne direkt im Juli 2021 nach Kanada verschiffen und ganz Nordamerika durchkreuzen. Aber noch wusste keiner so genau, wo die Reise hin gehen wird.

Jutta hatte irgendwann keine Lust mehr Musik zu hören und müde war sie eh schon, so dass ich alleine noch vor dem Fernseher saß und You Tube lief. Wenn ich selber nichts mehr vorgebe, dann wird gespielt was zu meinem Profil passt und plötzlich höre ich „One Bourbon, one Scotch, one Beer“, von George Thorogood. „Gute Idee!“, denke ich und sehe wie draußen alles verschneit war, auch mein 6 m langer Tresen vor der Terrasse.

Irgendwie bin ich der Meinung, ich sollte meine gesamte Bar aus der Garage in den Schnee stellen, auf meinen Tresen. Das gibt bestimmt auch ein tolles Foto. Gedacht, getan. Ich hole alle Flaschen aus der Garage und drapiere sie in den Schnee, dann stelle ich eine Flasche Hemelinger neben den Jack Daniels und den Johnny Walker Black Label und dazu zwei Whiskygläser mit Eis. Ich trinke „On the rocks“.

Dann fülle ich eines der Gläser mit Jack Daniels, davon habe ich zwei volle Flaschen, beide von Maddi bei zwei Wetten gewonnen. Eine der Wetten war mir ein Leichtes. Es war auf einer von vielen gemeinsamen Fehmarnreisen mit MTV. Wir sind oft über Silvester (wenn ich nicht gearbeitet habe) in ein Ferienhaus nach Fehmarn gefahren. Nach Albertsdorf am Goldstrand, gleich links hinter der Fehmarnsundbrücke. Bei einem Strandspaziergang an einem kalten Wintertag vernahm ich ungläubig Maddis Worte. „Jürgen, wenn du bis über die Knie ins Wasser gehst, dann bekommst du eine Flasche Jack Daniels.“ Torre schaute mich nur kopfschüttelnd an und schien zu denken: „Maddi…, Maddi…!“ Und während er immer noch kopfschüttelnd da stand, hatte ich bereits die Hose aus und stand bis zu den Oberschenkeln im Wasser. Check.

Das andere Glas fülle ich mit dem Rest aus der fast leeren Flasche Black Label. Warum die Flasche fast leer ist, möchte ich hier gerne kurz erläutern. Mein lieber Freund Erdal trinkt gerne Weinbrand und auch Whisky mit Cola. Und so begab es sich bei einem unserer jährlichen Sommerbrunches, dass er sich wohl dachte, dass der Johnny Walker Black Label doch eine feine Marke sei und der bestimmt ganz toll mit Cola schmeckt. Ich bekam davon erst was mit, als ich von einem anderen Gast darauf aufmerksam gemacht wurde, die Flasche aber bereits über die Hälfte an Inhalt verloren hatte. Ich griff mir Erdal und sagte ihm, er möge doch bitte einen günstigeren Whisky nehmen für sein Mixgetränk. Das wird dann genauso beschissen nach Cola schmecken.

Tresen am nächsten Morgen

Jetzt hatte ich ein tolles Fotomotiv, one Bourbon, one Scotch, one Beer. Als Nächstes kam wieder ein George Thorogood and the destroyers Song, der besser nicht hätte passen können. „I drink alone, with nobody else…“. In dem Video dazu sind Szenen zu sehen aus Barfly (mit Mickey Rourke) und aus Leaving Las Vegas, wo Nicolas Cage für seine Rolle verdientermaßen den Oscar bekommen hat.

Zu guter Letzt tippe ich noch Tennessee Whisky in mein Handy und der Song von Chris Stapleton läuft auf meinem großen TV-Apparat und ich genehmige mir noch einen Bourbon. Cheers.

So, das war letztes Jahr Silvester. Dieses Jahr ist irgendwie viel weniger präsent. Es war sicher auch schön, aber durch den ganzen Stress mit der Boosterimpfung, durch die Angst sich infiziert zu haben bei dem Abendessen mit Ohla und Carsten und durch die ganzen abgesagten Treffen mit unseren Freunden, die wir so gerne mal wiedergesehen hätten, ist das alles so ein bisschen nebensächlich geworden mit Silvester. Außerdem hat es nicht geschneit.

An Neujahr war nur chillen angesagt, etwas den Kater auskurieren und ab und an sagte ich zu Jutta: „Ich geh mal eben nach New Bordeaux, hab noch was zu erledigen!“

Allerdings haben wir noch Einiges zu erledigen. Auch gibt es noch wichtige Entscheidungen zu treffen. Polarvux, Martina und Hans Peter wollen wir in Oldenburg besuchen. Sie waren so nett und haben uns überflüssigen Ballast in Albanien abgenommen, den wir noch abholen wollen. Aber auch diese Verabredung sagen wir ab, um nicht das kleinste Risiko einzugehen, sich noch bei einem nicht absolut notwendigen Treffen zu infizieren und damit den Flug zu gefährden.

Über Seabridge verschiffen wir LEMMY von Hamburg nach Halifax. Sie bieten dort einen Trafo an, den wir brauchen, um LEMMY an das Stromnetz der Campingplätze in Nordamerika anschließen zu können. Dort gibt es ja 110 V und wir brauchen 230 V. Der Stromwandler wiegt 14 kg und ist laut Aussage der netten Dame von Seabridge ungefähr so groß wie eine kleine Mikrowelle.

Wir haben den Trafo bestellt, aber es stellt sich heraus, dass er durch die Feiertage nicht rechtzeitig ankommen wird, um ihn mit LEMMY zu verschiffen. Und 14 kg zusätzlich im Fluggepäck? Ausgeschlossen. Wir entscheiden uns gegen den Trafo und stornieren den Auftrag. So spare ich eine Menge Gewicht ein und Raumvolumen dazu, denn damit fallen auch die ganzen Kabel weg, die man brauchen würde. Wir müssen uns also darauf verlassen ein halbes Jahr ohne Landstrom auszukommen. Das bedeutet wir sind auf den Solarstrom angewiesen und darauf, dass die Bordbatterie während der Fahrt geladen wird. Auf die dritte Variante mit Landstrom verzichten wir bewusst und hoffen es wird gut gehen über diese 6 Monate. Es wird sich zeigen, ob es die richtige Entscheidung ist.

Ein anderes Thema ist die Gasversorgung. Wir haben zwei Alugasflaschen mit einer Füllmenge von je 2,7 Litern Propangas. Mit einer Flasche kommen wir knapp 3 Monate aus. Für die Verschiffung müssen diese Flaschen zertifiziert entleert sein. Es wird unterschiedlich streng gehandhabt, je nach Reederei und Hafen. Bei Schröder Gas in Thedinghausen lasse ich sie füllen, aber sie stellen kein Zertifikat für die leeren Gasflaschen aus. Was jetzt? Wir entscheiden uns vor Ort welche zu kaufen oder zu leihen und nehmen unsere raus. Einen Adapter zum Befüllen haben wir bereits im Internet bestellt und erhalten. Zum Glück sind wir im regen Austausch mit anderen Travellern, die auch einen Offroad Camper fahren. Sie verfolgen unsere Reise und/oder wollen nach uns rüber nach Amerika verschiffen. Einer von diesen Globetrottern ist Omi Hans, Er weist uns glücklicherweise darauf hin, dass die Flaschen in Amerika ganz andere Maße haben als unsere und das sie nicht in unser Gasfach passen werden. Das mit der Höhe hatten wir nachgeguckt, aber dass der Durchmesser der kleinsten amerikanischen Gasflasche immer noch zu groß für unser Fach ist, haben wir übersehen. Planänderung! Ich entleere die Flaschen von Hand und packe sie wieder ins Gasfach von LEMMY. Wird schon gut gehen, auch ohne Zertifikat.

Gehört haben wir von Autos, die nicht verschifft wurden, weil der Tank zu voll war, aber nicht wegen unzertifizierter Gasflaschen. Außerdem könnte ich sie in Hamburg im Hafen immer noch auspacken und mit nach Hause nehmen. Darauf lassen wir es ankommen.

04.01.2022

Seabridge teilt uns mit, dass die Atlantic Star Verspätung haben wird. Das Containerschiff liegt noch immer im Hafen von Baltimore. Es wird nicht vor dem 15. Januar in Hamburg erwartet. Laut Fahrplan sollte es eigentlich am 10. Januar in Hamburg auslaufen. Die Feiertage und schlechtes Wetter seien dafür verantwortlich, heißt es. „Aber wie soll sie es denn in elf Tagen von Baltimore nach Hamburg schaffen?“, fragen wir nach. Sie wird einige Häfen auslassen, z.B. Halifax, und/oder Liverpool/Antwerpen.

„Dann brauchen wir eigentlich auch noch nicht am 6. Januar mit LEMMY in Waltershof im Hafen sein, oder?“

„Genau, es reichen zwei Werktage vor dem 15.01.22.“

Jetzt fahre ich erstmal nach Bremen, um LEMMY gründlich zu waschen und danach zu Carglas, damit der Steinschlag in der Windschutzscheibe repariert wird. Bei der Autowäsche stelle ich einen weiteren Defekt fest. Die Rückleuchte oben links an der Kabine ist abgerissen. Ich denke sofort an den Vashlovani N. P. in Georgien. Na ja, nicht so schlimm. Ersatz bekomme ich bestimmt bei Autoteile Gehlsen in Syke.

Der Steinschlag wird repariert, bleibt aber deutlich sichtbar. Mir wird versichert, dass die Stabilität der Scheibe jetzt wieder wie neu ist. Ich will es mal glauben.

Um noch etwas mehr Verwirrung reinzubringen, bietet uns Seabridge eine Umbuchung an. Wir könnten bis zum 07.01.22 unser Fahrzeug nach Antwerpen bringen, dort würde die Atlantic Sail am 12.01.22 starten und voraussichtlich planmäßig am 24.01.22 in Halifax einlaufen.

Wir bereden das Ganze und kommen zu dem Schluss, dass das alles für uns viel mehr Stress bedeuten würde. Wir müssten Hals über Kopf packen, zusehen wie wir zurück kommen aus Belgien und hätten härtere Richtlinien zu beachten. Hier ist das Zertifikat für entleerte Gasflaschen zwingend vorgeschrieben und wird wohl auch kontrolliert und noch Einiges mehr. Wir sagen dankend ab und so übel finden wir es gar nicht, denn dann haben wir mehr Zeit LEMMY zu packen. Jetzt ist der Plan LEMMY am 10.01 nach Hamburg in den Hafen zu bringen, das heißt wir gewinnen vier Tage.

Jutta ist schon seit zwei Wochen am Packen. Ich fange zwei Tage bevor wir nach Hamburg fahren an. LEMMY ist schon wieder ganz schön dreckig durch dieses Schmuddelwetter, das wir nicht anders gewohnt sind. Das bedeutet, dass in Hamburg noch eine erneute Autowäsche fällig ist. Seabridge liefert uns alle nötigen Informationen. Was die Anfahrt angeht, wo eine Autowaschanlage kurz vor dem Hafengelände ist und den Ablauf der ganzen Prozedur im Hafengelände.

Extrem wichtig, Unterboden und Radkästen!

10.01.2022

Wir kommen in Hamburg an, genau an der Waschanlage, die Seabridge uns genannt hat. Geschlossen! Na toll. Jutta kommt kurz nach mir mit ihrem Dacia Sandero. „So ein Scheiß!“, fluche ich. So dreckig wie LEMMY ist, geht der nicht aufs Schiff. Jetzt hilft nur noch Google. Nicht weit von hier ist eine andere Self Wash Anlage. Wir sind zeitig aufgebrochen, um auf keinen Fall in Zeitnot zu geraten. Das ist jetzt auf jeden Fall schon mal beruhigend. Denn aufregend ist es schon, so eine Expeditionsmobil-Verschiffung. Auf jeden Fall stimmt schon mal die Tanknadel, sie zeigt exakt viertel voll an.

Schon fast porentief rein!

Diese Waschanlage hat geöffnet und LEMMY passt gerade so drunter mit seinen 3 Metern Höhe. Auch der Rest geht dann relativ schnell und problemlos. Wir fahren in den Hafen, ziehen unsere Westen an und folgen der Prozedur auf dem Ablaufplan. Auf das Gelände darf nur eine Person. Jutta wartet am Dacia und jubelt, als ich ohne die Gasflaschen unterm Arm zurückkomme. Check, LEMMY ist weg, steht neben FATBAASTARD und anderen Overlandern in Hamburg Waltershof. Den Autoschlüssel habe ich abgegeben und werde ihn erst wieder in Halifax/Nova Scotia entgegen nehmen. Ein ganz komisches Gefühl.

Bye bye LEMMY!
Wartest in guter Gesellschaft!

„Jutta, ich muss mal eben nach New Bordeaux, wir sehen uns später, hab dich lieb.“

„Wolltest du nicht noch schreiben?“, fragt sie.

Ach ja, stimmt. Das wollte ich doch noch machen, bevor wir fliegen. Ich bin in Verzug, drei Sessions kann ich mir abschminken. Aber zwei MUSS ich machen. Also nix wie ran.

Ich packe mir meine Bierbox und setze mich bei gedämpftem Licht an den Schreibtisch. Musik an, Hemelinger auf und die Suche nach dem Flow beginnt. Wo war ich zuletzt? Ach ja, die Odyssee mit dem PCR Test für die Georgien Einreise.

Ich versuche mich zurückzubeamen. Es ist Wochen her als wir dort waren….

Ich fange an zu schreiben, erst langsam, dann wird es schneller…, ja genau, so war es und ich sehe alles vor mir und tippe und tippe. Ich habe den Flow gefunden und arbeite bis zum nächsten Morgen. Keine Ahnung wieviel Bier ich nachgeholt habe und keine Ahnung, wann ich ins Bett gekommen bin. Aber Turkey – Chapter IV is done.

14.01.2022

Mitten in der Nacht müssen wir aufstehen. Gepackt ist alles. Ein Taxi ist bestellt, um uns zum Flughafen Bremen zu fahren. Der Flieger nach Frankfurt geht um 6:30 Uhr. Den ersten Kaffee und ein Croissant gibt es in Bremen am Airport. Bis Frankfurt läuft alles planmäßig, danach geht alles schief….

Koffer sind gepackt!

CANADA – CHAPTER I

….und wie wir verzweifelt versuchen, doch noch irgendwie nach Halifax zu kommen….

Chapter 13 – From Georgia to Turkey and the long way back to the Waterhole

Diese Nacht soll die letzte Nacht in Georgien sein und die wollen wir in Batumi verbringen. Schließlich will ich noch in die Metalkneipe, die wir vom Hinweg her kennen. Dort lief Guns’n Roses, wenn ich mich recht entsinne und es wurde mittags schon Bier getrunken vor dem Lokal, auf dem Bürgersteig. So etwas finde ich sehr sympathisch und einladend. Wir parken dieses Mal allerdings nicht auf dem Parkplatz auf dem wir das erste Mal standen, sondern am Hafen. Dort ist irrsinnig viel Platz und es kostet wenig Geld. Von der Lage ist es sogar fast noch besser, denn die beiden Kneipen, in die wir gehen wollen, die wir im Internet schon gefunden haben, sind nur wenige Gehminuten vom Platz entfernt. Und die Aussicht auf die Hochhäuser um uns herum kann sich sehen lassen. Dazu kommt das Hafenflair und das Rauschen des Wassers, bei dem man so gut einschlafen kann.

Sehr spezielle Gebäude hier in Batumi…

Die Metalkneipe vom letzten Mal habe ich allerdings noch nicht im Internet gefunden, aber das ist erstmal nebensächlich. Wir sind froh angekommen zu sein und freuen uns auf einen schönen letzten Abend in dieser modernen georgischen Stadt, um einen fantastischen Aufenthalt von ca. drei Wochen in einem aufregenden, wundervollen und beeindruckenden Land zu beschließen. Ich habe Lust auf Ausgehen und zwei Adressen parat, in der ersten Bar ist für heute sogar Livemusik angesagt.

Wir haben etwas Schwierigkeiten die Bar zu finden, denn wie sich herausstellt hat der Besitzer gewechselt. Sie hat gerade erst unter neuem Namen an derselben Adresse aufgemacht. Wir gehen rein und bestellen uns zwei Bier. Häufig machen wir es so, dass wir uns zwei verschiedene Sorten Bier bestellen, um mehr Vielfalt zu haben. Wir testen dann welches von beiden besser schmeckt. Der Laden ist ziemlich klein und es sind noch nicht viele Leute da, überwiegend wohl der eigene Freundeskreis des neuen Barbetreibers. Wir gehen in den vorderen Bereich wo die Band spielt und hören eine Weile zu. Die Rock Bar, die es mal gewesen sein soll, ist es nicht mehr. Die Band ist ganz nett, aber nicht so unser Ding. Also beschließen wir nach nur einem Bier zu gehen.

Gemütlich?….naja….speziell?…ja

Die zweite Adresse ist nicht weit von hier und wir finden den Laden auf Anhieb. Adgili heißt er. Hier gefällt es mir viel besser, es geht eine kleine Treppe hinunter und alles ist schummrig rot beleuchtet. Alternative laute Rockmusik dröhnt aus den Boxen, etwas 80er Style meine ich auf den ersten Eindruck herauszuhören, obwohl ich den Song nicht kenne. Wir bestellen zwei Bier und gehen dann durch die Bar in das Hinterzimmer. Der DJ ist durch ein Gitter von der tanzenden Meute geschützt, aber heute ist nicht viel los, so dass er nicht ständig an seinem Pult stehen muss. Es gibt Sofas und Sessel und verschiedene Sitzecken. Hin und wieder tanzen Leute auf der kleinen Tanzfläche. Wir haben uns für ein bequemes Sofa entschieden, wo wir eine gute Übersicht über die kleine Location haben. Wir orientieren uns und beobachten erst mal eine Weile die anderen Gäste. Das Publikum ist jung und eher der Punk- und Gothicszene zuzuordnen. Was ich als sehr wohltuend empfinde, obwohl ich mich mehr der Metal- und Hardcore Szene zuordne.

Hier genehmigen wir uns auf jeden Fall noch ein zweites Bier und auch noch ein Drittes. Die Musik ist insgesamt gut bis sehr gut und wir unterhalten uns anfangs auch relativ angeregt über das was wir so alles hinter uns haben und auch über das was als Nächstes kommen soll. Das ist zunächst mal der Grenzübertritt in die Türkei. Der sollte ohne Problem und große Hürden gelingen. Und dann wollen wir dem Winter ein weiteres Mal entkommen und runter in den Süden der Türkei fahren, zum Dragon Camp. Da sind unsere Schweizer Freunde vom Orange Landrover Team drei Wochen geblieben, weil es dort so schön war.

Wir reden über Dies und Das, aber leider sind wir auch immer mal mit unseren Handys beschäftigt. Dann will Jutta mir gerade was erzählen, als ich einen Post mache und um etwas Geduld bitte. Dann bin ich soweit und Jutta ist nun aber mit ihrem Mobilphone beschäftigt und irgendwie fangen wir an zu Streiten, weil erst der Eine nicht konnte und dann der Andere nicht und im Übrigen habe ich noch immer nicht raus gefunden, wo denn eigentlich die Metalkneipe ist, in die ich ursprünglich gehen wollte. Wir fangen an zu debattieren wer denn nun Schuld sei und Jutta hat letztendlich keine Lust mehr. Schon gar nicht darauf, sich auf die Suche nach der anderen Metalkneipe zu machen und will nach Hause. „Na gut!“ sage ich „dann bringe ich dich eben nach Hause und suche noch die Metalkneipe. Gesagt, getan.

Back to LEMMY

Ich begleite Jutta zurück auf unseren Parkplatz am Hafen und mache mich erneut, aber alleine auf den Weg um die Kneipe zu suchen. Viel Chancen rechne ich mir ehrlich gesagt nicht aus, aber ich will noch mal los.

Bevor ich mich allerdings auf die hoffnungslose Suche begebe, kehre ich noch mal ein in die abgerockte Kellerkaschemme. Dann muss ich mich wenigstens nicht durstig auf Entdeckungstour begeben. Ein paar Leute sind mittlerweile dazu gekommen und auf der Tanzfläche ist auch hin und wieder was los. Ich beobachte und trinke, bis ich denke: „Wenn du jetzt nicht los gehst, dann versackst du hier die ganze Nacht.“ Also marschiere ich die Treppe nach oben und überlege mir die Strategie die Straßen S-förmig abzulaufen, wenigstens die ersten vier parallel verlaufenden Straßen. Keine laute Musik zu hören, keine Kneipe zu sehen. Aber ich habe einen großartigen Spaziergang, bin fast alleine unterwegs auf einsamen und unvertrauten Wegen. Ich mache tolle Fotos in einer fremden Stadt, in der die meisten Menschen bereits schlafen. Dort sehe ich einen goldenen Löwen. Nein, einen Hund oder was soll das für ein Tier sein? Ich weiß es nicht. Dann sehe ich eine weiße Kaffeetasse größer als das weiße Auto daneben.

To big for takeaway
Siehst du sie auch?

Und dort zwei Balkone, die mich an Waldorf und Stettler erinnern, aus der Muppetsshow. Die beiden alten Opas haben einen Logenplatz und lästern über Alles und Jeden und die Balkone, die ich sehe, darauf könnten sie sitzen. Aber eigentlich könnten die Balkone sogar Waldorf und Stettler sein. Eine gewisse Ähnlichkeit kann ich erkennen. Aber da inzwischen wahrscheinlich nur ich so etwas sehe, entschließe ich mich, mich auf den Rückweg zu machen. Die Kneipe habe ich mir längst abgeschminkt. Zufrieden kehre ich zurück und versuche mich (so leise wie möglich und ohne Jutta zu wecken) bettfertig zu machen.

Bis zur Grenze ist es nur einen Katzensprung und bis auf eine Kleinigkeit haben wir auch an alles gedacht. Aber eben nicht an diese eine Kleinigkeit. In Hopa mussten wir eine Autohaftpflichtversicherung für Georgien abschließen. Das wussten wir und das haben wir auch gemacht. Denn unsere deutsche Versicherung wird nicht akzeptiert in diesem Land. Es gab ja diese Odyssee mit dem PCR Test für die Einreise nach Georgien und meinen fehlenden bzw. falschen Testunterlagen im Office von Turkish Airlines und bis alles korrigiert war, hat es echt gedauert. Deshalb ist uns wahrscheinlich gar nicht mehr aufgefallen, dass wir die Versicherung nur für zwei, statt für drei Wochen abgeschlossen haben.

Verdammt, was ist nun zu tun? Was hat das für Konsequenzen? Sie müssen eine Strafe zahlen, erfahren wir. Ok. Wann und wo und vor allem wie viel müssen wir bezahlen? Die nette Dame nennt uns einen lächerlich geringen Betrag und sagt, wir könnten das bei der Ausreise oder bei der Wiedereinreise bezahlen. Check!

Na wunderbar, dann weiter zum nächsten Kontrollposten. Passport please!

War das jetzt alles? Ich glaube ja. Jetzt kommt schon die Einreise in die Türkei.

Alles klar, dann zahlen wir das Versäumnis bei der nächsten Einreise nach Georgien.

Die Wiedereinreise in die Türkei ging genauso problemlos vonstatten, wie die Ausreise aus Georgien. Allerdings ist uns das Wetter nicht besonders freundlich gesonnen. Es regnet heftig und der Wind peitscht hohe Wellen an die Küste. Das ist uns aber egal, denn wir sitzen im warmen Auto. Es ist sogar richtig beeindruckend, mit welcher Gewalt und Intensität die Wellen an die Strände peitschen. Wir fahren jetzt bis Trabzon an der Schwarzmeerküste entlang und genießen dieses Spektakel da draußen. Überglücklich, die letzten drei Wochen in Georgien mit so einem Traumwetter gesegnet worden zu sein, fahren wir nach Westen.

Ein Tagesziel gibt es auch schon, doch das sollte zu einem echten Ärgernis werden. Durch unsere bisherigen Erfahrungen sind wir richtig auf den Geschmack gekommen frei zu stehen. Wir haben herausgefunden, dass es geht, wie es geht und wo es geht. Das gilt natürlich immer nur unter Vorbehalt. Es kann in jedem Land anders sein, es kann sich von Region zu Region unterscheiden und man muss die Umstände und Bedingungen und Risiken kennen, abschätzen und beurteilen. Durch erworbene Erfahrungen fällt so etwas natürlich leichter und je mehr Erfahrung man macht, desto besser gelingt die richtige Beurteilung. In Georgien haben wir nur positive Erfahrungen gemacht. Das prägt uns natürlich für alles was noch folgen mag. Bis Trabzon sind wir in westlicher Richtung unterwegs, jetzt geht es links runter Richtung Süden. Es geht auch wieder durch die Berge, besser gesagt durch das Pontische Gebirge und weiter oben sehen wir schon die schneebedeckten Gipfel.

Auf Klostersuche

Übernachten wollen wir in der Nähe des Sümela Klosters, welches in den Fels gebaut wurde. Hierfür hat Jutta einen Platz an einem Restaurant rausgesucht, das aber einen ziemlich geschlossenen Eindruck macht. Es ist nicht ein einziger Camper hier, aber wir sehen den Garten, sehen wo die Stellplätze sind und die Teiche mit der Forellenzucht des Betreibers. Jemand kommt aus dem Haus auf uns zu. Das Restaurant ist gleichzeitig auch das Wohnhaus. „Hallo!“, sagen wir. „Können wir hier für eine Nacht auf dem Parkplatz stehen?“ Der Parkplatz vor dem Restaurant ist groß und fast leer.

„Wir haben geschlossen.“ , sagt die Frau. Sie winkt ihren Mann aus dem Garten herbei, ein riesiger Bullterrier folgt ihm. Sie besprechen sich und er bietet uns an zu bleiben, wenn wir 20 Euro bezahlen. Wir können auch die Duschen nutzen. Da es schon spät ist und wir lange gefahren sind, nehmen wir an. Obwohl wir es reichlich teuer finden, 20 Euro für einen schnöden Parkplatz? Da sind wir aus Georgien aber Besseres gewöhnt. Dort standen wir meistens umsonst oder für ganz kleines Geld. Dieser Wucher hier geht uns mächtig auf die Nerven. Sogar Jutta, die tendenziell immer zu sicheren und dann meist auch kostenpflichtigen Stellplätzen neigt, ist hier so gar nicht einverstanden. Aber wie gesagt, weiter wollen wir jetzt auch nicht mehr. Also nutzen wir wenigstens die Dusche ausgiebig und lassen uns das WLAN Passwort geben, um unser eigenes Datenvolumen zu schonen. Es wird noch schnell was zu Essen zubereitet und ein Film auf Netflix gestreamt und dann geht es ab ins Bett.

Am Morgen als wir aufbruchbereit sind, kommt der Hausherr vorbei um zu fragen, wo es hingehen soll. Seine Kampfmaschine trottet hinter ihm her. „Zum Sümela Kloster.“, antworte ich. Das sei geschlossen wegen Restaurierungsarbeiten. „Ok, aber von außen können wir es doch anschauen, oder?“ Er nickt uns zu. „Ihr könnt hinten raus fahren, das ist kürzer zur Straße.“ Wir bedanken und verabschieden uns.

Jetzt geht es weiter hoch in die Berge, rauf zum Schnee und ich habe Bock zu fahren. Wir müssen eine ganze Weile suchen, denn das Kloster ist nicht ausgeschildert oder wir haben es übersehen. So landen wir auf einem hohen und schneebedecktem Pass. Ich komme voll auf meine Kosten hier durch das Pontische Gebirge zu fahren, die Straßen zum Teil mit Schnee bedeckt und unzählige Kurven und Serpentinen.

Juchu, ein bisschen Schnee!

Auf der Passhöhe halten wir und Jutta guckt wie es weiter geht. Wir müssen zurück und einen anderen Abzweig nehmen. Wir haben eine Vermutung und wenden. Dort muss es sein und diesmal sind wir richtig. Schon von Weitem sieht man das Kloster eng an den Fels geschmiegt. Jetzt sehen wir auch ein Hinweisschild zu einem Parkplatz. Dort stellen wir LEMMY ab und steigen etliche Stufen hinauf, um dem Kloster näher zu kommen. Nach der nächsten Biegung sehen wir es dann in voller Pracht, aber immer noch weit weg.

Kloster Sümela

Der weitere Weg ist abgesperrt und wir sehen auch warum. An den Felsen hängen Arbeiter, gesichert an langen Seilen wie Bergsteiger. Einer von ihnen rührt sich nicht, hängt schlaff in den Seilen sozusagen. Ich beobachte ihn eine Weile und denke fast es ist eine Attrappe, was keinen Sinn ergeben würde. Oder macht der da ein Nickerchen? Ich mache mir langsam ernsthaft Sorgen um den Kerl und teile Jutta meine Befürchtung mit. Vielleicht hat er einen Steinschlag abbekommen. „Ach was, guck mal die anderen Arbeiter. Die hätten das doch mitbekommen!“ „Ja, vermutlich hast du recht.“, sage ich und wir machen uns auf den Rückweg. Es kommt uns ein junges türkisches Pärchen entgegen. „Die werden sicher die selbe Beobachtung machen wie ich und nötigenfalls was unternehmen.“, denke ich bei mir. Ich sage ihnen noch im vorbeigehen, dass der eine da oben sich nicht rührt. Damit habe ich die Verantwortung abgegeben und nehme weiter an, dass er nur ein kleines Schläfchen abhält in seiner Mittagspause.

Um dem Winter ein Schnippchen zu schlagen, wollen wir in den Süden an die Mittelmeerküste fahren. Das bedeutet, wir durchqueren die gesamte Türkei von Nord nach Süd, vom schwarzen Meer bis an die Küste von Anamur, dort wo es die leckersten Bananen geben soll. Das Orange Landrover Team ist dort nach 3 Wochen Verweildauer mittlerweile aufgebrochen, um weiter gen Westen zu fahren. „Wir holen euch schon noch ein.“, schreiben wir ihnen auf Instagram. „Das macht ihr glatt!“, kommt prompt als Antwort zurück mit einem lachenden Smily. Wir haben jetzt eine Tour von 1108 km vor uns und peilen an es mit zwei weiteren Übernachtungen zu schaffen. So teuer wie letzte Nacht wollen wir allerdings nicht wieder stehen. Also recherchiert Jutta nach park4night – Plätzen die auf unserer Route liegen und mit dem Tages- bzw. Etappenziel harmonieren. Für mich bedeutet das, zwei Tage hintereinander lange Fahrten, die mir aber richtig Spaß machen. Nachdem wir die Pontischen Berge hinter uns lassen wird es direkt wärmer und wir können die Pullover wieder ausziehen und im T-Shirt weiterreisen. Unterwegs gibt es reichlich Auswahl an Straßenlokalen, in denen wir uns gerne zum Lunch mit Köfte, Ayran und Salat für die Weiterfahrt stärken. Der Chai nach dem Essen wird nie ausgelassen. Einmal habe ich nicht aufgepasst und bin dann doch in eine Radarfalle geraten und wurde auch kurze Zeit später raus gewunken und musste mich ausweisen, Papiere und Führerschein vorzeigen. So wie wir es von Zuhause kennen. 30 Euro solle es in etwa kosten, aber zahlen sollen wir erst bei der Ausreise beim Zoll oder aber in Istanbul in einem Office. Damit kann ich sehr gut leben und etwas langsamer fahren wir weiter.

Einfach nur zum Übernachten, wie schööön!

Gegen späten Nachmittag erreichen wir Tördürge Gölü, einen tollen Übernachtungsspot. Ich fahre etwas um den See herum, um von der Straße weiter weg zu stehen und um nicht sofort gesehen zu werden. Wir kommen an einem ganz merkwürdigem Holzgebäude vorbei, das wir uns morgen vor der Weiterreise näher anschauen wollen. Jetzt geht es primär um einen guten Stellplatz und den finden wir auch. Hinter einer Biegung und einem holperigen Hügel, den ein normaler PKW nicht nehmen könnte, stehen wir fast unsichtbar direkt am nebeligen See. Von drei Seiten durch die Landschaft geschützt und von vorne durch den See, fühlen wir uns hier sehr wohl und gut aufgehoben für die Nacht.

Tinyhouse mal anders?

Wir finden leider nicht raus, welchem Zweck dieses merkwürdige Holzhaus dient. Es sieht ein wenig aus wie ein Wachturm. Der Grundriss ist quadratisch und im inneren führt eine Treppe zu vier offenen Balkonen die einen 360 Grad Rundumblick gewähren. Erst darüber kommt das eigentliche, aus vier Giebeln bestehende Haus. Hat sich dieses Bauwerk ein Architekt als Wochenenddomizil gebaut? Ist es vielleicht ein Aussichtsturm, der im Sommer geöffnet ist und besichtigt werden kann. Ohne es herauszufinden fahren wir weiter zu unserem nächsten und letzten Etappenziel vor dem Dragon Camp.

Karoman Gödet Baraj ist der nächste See an dem wir wieder etwas versteckt die Nacht verbringen. Dieses Mal sind wir von drei hohen Felswänden den Blicken Neugieriger verborgen. Nur ein paar Angler von gegenüber können herüber schauen. Ein wärmendes Lagerfeuer haben sie bereits am Start, denn sobald die Sonne verschwindet, wird es empfindlich kühl draußen.

Auch hier verläuft die Nacht erwartungsgemäß ruhig und unbehelligt von irgendwelchen feierwütigen Jugendlichen, Trunkenbolden oder gar der Gendarmerie verbringen wir die Nacht. Wir verlassen diesen empfehlenswerten Park4night-Platz und fahren auch noch an einem ziemlich großen Waldbrandgebiet vorbei, was etwas auf die Stimmung drückt. Doch bald sind wir wieder besserer Laune, da Turbonegro vom USB Stick läuft und wir an einer beeindruckenden Küstenstraße entlang fahren, ähnlich der Magistrale in Kroatien. Nur noch eine Etappe, um dann unser Lager für mindestens drei Nächte an der Mittelmeerküste aufzuschlagen.

Auch schön….
…. oder?

Vorher wird in Anamur eingekauft, damit wir LEMMY auch mal stehen lassen können. In einen Baumarkt müssen wir auch noch, denn leider hat unsere Wasserpumpe letzte Nacht ihren Dienst quittiert. Zum Glück haben wir eine Ersatzpumpe dabei, denn vor etwa einem Jahr auf unserer zweiten Reise mit LEMMY durch Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen hatte sich unsere erste Pumpe verabschiedet. Das war in Zakopane in Polen, in der hohen Tatra. Und um etwas zu lernen beim Pumpenwechsel habe ich aufmerksam zugeschaut, als ich nach der Reise die Pumpe in einer Werkstatt habe tauschen lassen. Dort allerdings wurde der Anschlussschlauch mit dem Rückschlagventil in der Pumpentülle verklebt, was mir jetzt zum Problem werden sollte. Jutta meinte in einem Baumarkt könnten wir vielleicht ein Rückschlagventil oder etwas Ähnliches finden. Wobei dieses Mal ich der Pessimist und Skeptiker war und sie die Optimistin. Wir finden nichts was passt, aber einen tollen Wasserschlauch, der sich ausdehnen kann. Er ist kurz, leicht und gut zu verpacken, dehnt sich in Gebrauch dann erst aus. So kann ich komfortabel unseren 100 Liter Frischwassertank befüllen ohne dauernd mit meinem 10 Liter Kanister von der Wasserstelle zum Frischwassertank laufen zu müssen. Natürlich muss das Drehgewinde zum Anschluss passen.

Dragon Camp – direkt am Beach

Als wir dann endlich alles erledigt haben mit den Einkäufen und auf den Dragon Motel & Campingplatz fahren, da sind wir sprachlos vor Begeisterung. Wir fahren direkt durch den mit großen, alten Pinien bewachsenen Campingplatz bis vorne an den Strand. Wir stehen in der ersten Reihe, neben uns ein bunter Offroadbus aus Polen mit einem jungen Pärchen. Dann ist da noch ein drittes Fahrzeug mit türkischen Tagesgästen, die hier ein Barbecue veranstalten und dann am Abend fahren werden. Ansonsten haben wir den Strand für uns alleine. Es ist fast Mitte November und wir können noch schwimmen gehen und uns die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Drei bis viermal am Tag kommt die Oma bei uns vorbei an den Strand, um in Bewegung zu bleiben. Wir hören ihren schlurfenden Gang immer schon bevor sie zu sehen ist. Auch die Tochter Belgin und ihr Bruder, die in erster Linie den Campingplatz betreiben (das Restaurant hat geschlossen), lassen sich regelmäßig blicken. Wir werden aufgefordert uns aus dem Garten Orangen zu pflücken, für frisch gepressten Saft. Hin und wieder bringt die Oma uns selbst eingelegte Oliven oder andere Köstlichkeiten vorbei. Belgin versorgt uns mit selbstgemachten Süßspeisen, die wir unbedingt kosten müssen. Hier ist Familienanschluss oberstes Gebot.

So lässt sichs aushalten!

Wir bleiben nicht nur drei Tage, es werden sechs. Die Zeit vergeht wie im Flug. Das Pärchen neben uns reist ab, dafür kommt dann mal jemand anderes. Aber meistens sind es Türken, die sich eine kurze Auszeit gönnen und nach einer Nacht oder einem Essen wieder fahren. Einmal kommt ein anderer Deutscher, ein Lehrer im Ruhestand. Er heißt Detlef und war schon oft hier. Einen unserer Abende werden wir an den Strand eingeladen zum Lagerfeuer. Der Bruder kümmert sich um das Feuer, die Schwester um die Versorgung der Gäste mit Wein. Detlef kam vorher schon bei uns vorbei um Hallo zu sagen. „Ich bin der Neue hier“, waren seine Worte.

Besucht werden wir noch von den kleinen, süßen Kätzchen, die von Jutta stets gut versorgt werden, aber leider auch von hartnäckigen Fliegen. Von denen werden wir allerdings eher belagert als besucht. Besonders morgens beim Frühstück sind diese Biester unausstehlich. Das inspiriert mich zu folgenden Überlegungen:

Haben Fliegen ein Gehirn?

Die gleiche Frage müssen sich auch Mücken gefallen lassen. Ich jedenfalls stelle mir diese Frage schon länger. Es ist nicht das erste Mal hier am Dragon Beach in der Türkei. Nein, auch schon zuhause auf meiner eigenen Terrasse haben mich die Fliegen in den Wahnsinn getrieben, haben mich bis zur Weißglut gereizt. Und jetzt, wo ich im November hier sitze, morgens vor meinem Camper, am Strand und frühstücken möchte, an einem reichlich gedecktem Tisch, da fallen sie über mich und die gedeckte Tafel her. Ich schlage nach ihnen, ich fluche und schimpfe und sie lassen sich von nichts beeindrucken. Dann fange ich an mit meinen Händen über den Tisch zu wedeln. Aber sie kommen immer wieder. Wer hält länger durch? scheint die entscheidende Frage zu sein. Ich muss mich eindeutig geschlagen geben, sie sind zu siebt gegen einen. Sieben. Irgendwie sind es immer so um die sieben Fliegen die einen belagern. Warum ist das so? Auch diese Frage habe ich mir schon früher gestellt. Schlag eine tot oder auch zwei, aber weniger werden es trotzdem nicht. Mehr als sieben oder acht sind aber auch nicht da. Wie kann das sein? Gibt es da irgendwo eine Kommandozentrale die den Nachschub steuert?

Was ist mit Mücken? Diese Viecher haben doch gar keinen Nutzen, oder etwa doch? Die machen einem das Leben zur Hölle, besonders nachts, wenn man schlafen will. Und erst recht im Camper. Wir haben schon überall Fliegengitter, doch irgendwie mogelt sich immer so ein Plagegeist rein und nervt rum. Aber Mücken sind langsam und nicht so flink wie die schnellen Fliegen. Trotzdem attackieren sie uns. Ist ihnen denn nicht bewusst, dass sie von uns weg geklatscht werden, wenn wir merken, dass sie uns ihren Stechrüssel in die Haut rammen? Oder nehmen sie es einfach in Kauf für den Kick, für den Schuss den sie sich abholen? Ist der Druck wohlmöglich so groß, dass sie gar nicht anders können? Leiden sie unter Entzugserscheinungen, wenn sie kein Menschenblut bekommen?

Und wieso schwirren sie mir um den Kopf herum, an meinen Ohren vorbei? Dann höre ich sie doch und schlage nach ihnen. Wollen sie mich in den Wahnsinn treiben oder haben sie kein Gehirn, das sich dann einschaltet und sagt: “Weg vom Ohr, da ist es zu gefährlich, greif weiter unten an.“ Wie lange gibt es eigentlich Mücken? Sind sie in der Evolution einfach auf der Strecke geblieben oder gibt es schlaue und dumme Mücken? So wie es bei den Menschen schlaue und weniger schlaue Individuen gibt.

Die Mücken, die im Oberstübchen etwas spärlicher möbliert sind, die schwirren wohl eher um die Ohren herum. Die Anderen, die Schlaueren, die saugen sich ihr Elixier aus den Waden und den Fußknöcheln, da kann sie niemand hören, wenn sie angreifen. Dort können sie sich laben und eine Dröhnung abholen, von der sie lange zehren können. Doch gefährlich leben sie auch. Vielleicht wissen sie, dass sie jederzeit von einer heransausenden Handfläche ins Jenseits befördert werden können. Daraus könnte man schlussfolgern, dass sie ein Gehirn haben und es eine Entwicklung in der Evolution gegeben hat.

Aber zurück zu den Fliegen, die mich hier an den Rand eines Tobsuchtsanfalls bringen. Ständig sind es sieben oder acht die mich und den ganzen Tisch belagern. Egal was ich mache, egal wie oft ich eine von ihnen verscheuche, sie kommen wieder. SIE verlieren nie die Geduld. Ich schon. „Jutta, kannst du mir bitte die Fliegenklatsche raus geben?“ „Ja, einen Augenblick.“ So, jetzt bin ich bewaffnet und nehme den Kampf an gegen diese Übermacht von kleinen Monstern. Sie belagern die Marmelade, setzen sich auf den Rand meines Kaffeebechers und krabbeln über den Tisch. Alles Wedeln, alles Fluchen und Schimpfen hat nichts genutzt, aber jetzt werde ich euch das Fürchten lehren. Jetzt bin ich bewaffnet und schrecke nicht davor zurück meine Klatsche einzusetzen. Ich stehe einer Übermacht von ca. 7 oder 8 Feinden gegenüber, genau lässt sich das nicht sagen. Aber die entscheidende Frage ist ja auch, ob immer nachgerückt wird oder ob die Fliegenkompanie irgendwann kapituliert.

Jürgen schweift ab…..

Zack, erwischt! Eines dieser Mistviecher auf der Tischkante. Yes, ein Triumphgefühl steigt in mir auf. Klatsch, noch ein Fliegenviech weg. Die war der Butter zu nahe gekommen. Aber werden es jetzt weniger?

„Diane, Cooper hier, wir werden angegriffen. Schick Verstärkung, bitte!“

Nee verdammt, immer noch so viele wie vorher, obwohl ich zwei erwischt habe. Sie geben sich große Mühe sich nicht zählen zu lassen, immer fliegen sie durcheinander.

Flatsch! Mist daneben. „Jutta, zwei von den Arschgeigen hab ich schon erwischt!

„Diane, Big Ed konnte gerade noch entwischen, aber Leland und Ben hat es erwischt!

„Cooper, hörst du mich?“

„Ja Diana, Cooper hier, ich höre dich.

„Ich schicke dir Leo und Bobby. Ok?“

„Hmm, na gut, schick sie rüber.“

„Kommst du gleich mit dem Rührei raus? Ich habe Hunger. Zwei Fliegen habe ich schon erwischt, aber es werden nicht weniger.“

„Komme gleich, muss nur kurz die Orangen auspressen.“

Klatsch, wieder Eine weniger. Die hat sich zu nah an die Salami gewagt.

„Diane, Cooper hier. Wir haben es mit einem äußerst aggressivem Individuum zu tun. Wir haben Leo verloren. Der Berserker schlägt wild um sich. Ich weiß nicht was wir machen sollen. Ist es vielleicht besser den Rückzug anzutreten? Over.“

„Cooper, hörst du mich? Diane hier. Kein Rückzug hörst du? Der Boss sagt auf keinen Fall Rückzug. Ihr müsst dranbleiben…“

„Aber Diane….“

Klatsch! „Jutta ich habe wieder Eine erwischt.“

Diese Scheißviecher, ich kann machen was ich will, trotzdem sind sie überall.

„Cooper, Diane hier, ich schick euch Verstärkung. Truman, Andy und Hawk. Kommst du damit klar?“

„Diane, hier spricht Cooper. Damit komme ich sehr gut klar. Das ist ja das A-Team.

Diane, wenn du nur diesen Kaffee auf dem Tisch hier vor dem Camper riechen könntest…., da bekomme ich glatt Lust auf Kirschkuchen…“

Flatsch! „Jutta ich habe wieder eine erwischt. Ich glaube es werden langsam weniger…“

„Diane, Sheriff Truman hat mir durchgegeben dass wir Hawk verloren haben. Andy musste wieder weinen, aber sag bitte dem Boss nichts davon.“

„Ok Coop, mache ich nicht. Wie viel seit ihr noch da draußen?“

„Augenblick, ich zähl mal durch….“

Klatsch….

„Coop,….Cooper,….Diane hier, Agent Cooper…..Cooooper,……

Zoe Nr. 2, soooooo süß!!!!!

Eine von den kleinen Kätzchen sieht genauso aus wie unsere Zoe, unsere zweite, leider auch bereits verstorben Katze. Ich berichtete schon darüber. Sie kommt jeden Morgen zum Frühstück und verbringt einen Großteil des Tages bei uns am Camper und sogar im Camper. Sie liegt bei uns im Bett, fleezt sich zu mir in meine Sitzecke und verbringt die Nachtschicht bei mir, während ich an TURKEY – CHAPTER I arbeite.

So vergehen die Tage. Ich gehe schwimmen, rätsel Sudoku, Jutta liest. Abends koche ich gelegentlich am Lagerfeuer und wir genießen einen großartigen Spätsommer im November.

Allerdings gibt es ja noch das Problem mit der Wasserpumpe. Zuerst sind wir mit unserem 10 Liter Kanister ganz gut zurecht gekommen. Außerdem haben wir noch einen Faltkanister und einen Beutel zum aufhängen, so dass wir in Bad, Küche und im Staufach außen immer gut versorgt sind mit Wasser. Aber irgendwann muss ich das ja mal angehen mit der Pumpe. Heute soll dieser Tag sein. Zuerst muss alles Wasser raus aus dem 100 Liter Wassertank. Das mache ich mit einem dünnen Schlauch, den ich eigens dafür dabei habe. Ich sauge das Wasser an und lasse es durch den Schlauch neben dem Auto ab. Danach reinigen wir den Tank und wischen eine Menge Sand am Boden des Tanks zusammen. Woher der auch immer kommen mag, es ist mir ein Rätsel.

Jetzt kommt es zum schwierigsten Teil, Schlauch und Pumpe müssen voneinander getrennt werden. Ich bekomme es nicht hin. Meine Befürchtung ist, mehr Schaden mit grober Gewalt anzurichten, als das ich das Problem so lösen könnte. Ich vertage es auf morgen, obwohl es mich ziemlich nervt. Aber wir kommen ja so schon eine ganze Weile zurecht und wollen uns dadurch nicht die Laune verderben lassen. Am nächsten Tag nach dem Frühstück wage ich es erneut. Es passiert genau das, was ich erwartet habe. Ich breche einen Teil des Rückschlagventils, in dem der Schlauch vor einem Jahr von einer Fachwerkstatt verklebt wurde, ab. Jetzt habe ich zwar die Pumpe in der Hand, aber das Rückschlagventil klebt noch am Schlauch. Auch nach mehrmaligen Versuchen kann ich beides nicht voneinander trennen. Wieder breche ich die Arbeit unvollendet ab.

Wie es der Zufall so will kommen am nächsten Tag vier ältere Herrschaften vorbei, sie sprechen deutsch. Es sind zwei Frauen und zwei Männer. Sie sehen uns da beim Nachmittagskaffee unter unserem Tarp sitzen und sprechen uns an. Drei von Ihnen gehen weiter an den Strand, eine der Frauen unterhält sich weiter mit uns. Sie kommen seit über 30 Jahren in die Türkei und kennen auch diese Familie hier am Dragon Camp sehr gut. Die Oma sei eine wunderbare Köchin verrät sie uns. Sie wurden sogar von ihr bekocht, auch als das Restaurant schon geschlossen hatte. Irgendwie kommen wir auf unser Pumpenproblem zu sprechen, ich habe keine Ahnung mehr, wie es dazu kam. Jedenfalls sagt sie, ihr Mann habe früher als Installateur gearbeitet, er kann es sich ja gleich mal anschauen. „Ja gerne!“, schießt es aus mir heraus, überaus dankbar über so eine glückliche Fügung.

Kurz darauf ist ihr Mann dann auch schon zugange und wurschtelt mit seinen Händen in unserem Frischwassertank herum und schafft es tatsächlich das Rückschlagventil vom Schlauch zu trennen. Er hat es mit grober Gewalt geschafft und im Augenblick bin ich noch ziemlich erfreut darüber, was sich aber bald ändert und einen Wasserschaden zur Folge haben wird. Zunächst aber heißt es: „Tausend Dank! Sie schickt der Himmel usw…“. Dann verabschieden sie sich und wir sind glücklich und sie vermutlich auch, da sie vermeintlich geholfen haben. Mein Job ist es nun die harten Klebstoffreste aus dem zum Teil abgebrochenen Rückschlagventil rauszukratzen, damit ich den Schlauch und die neue Pumpe mit dem beschädigten Ventil wieder zu einer Einheit verbinden kann. Dazu bedarf es einiger Stunden Fleißarbeit mit einem kleinen Schraubendreher. Damit arbeite ich mich Millimeter für Millimeter durch den harten Kleber und reinige so die Tülle von innen, bis alle Klebereste völlig entfernt sind. Der Arbeitsplatz jedenfalls hat schon was. Draußen am Strand, unterm Tarp kurz vor einem prächtigen Sonnenuntergang. „Morgen verklebe ich das mit der neuen Pumpe!“, verkünde ich Jutta, nachdem ich meine Fleißarbeit vollbracht habe.

„Nein!“, protestiert sie „bloß nicht wieder verkleben.“ „Ist doch egal.“, sage ich „ist doch eh fast hinüber das Ventil. Muss jetzt nur noch bis zum Waterhole funktionieren, dann mache ich es ganz neu.“ „Mach das nicht, verkleb das bloß nicht.“, erwidert sie.

Ich schlafe eine Nacht drüber und habe eine Eingebung. Irgendwo habe ich doch Teflonband in meiner Werkzeugkiste, damit müsste es genauso gut gehen wie mit Klebstoff. Stolz verkünde ich meine grandiose Idee am nächsten Morgen und mache mich gleich daran das Teflonband zu suchen.

Es funktioniert alles auf Anhieb hervorragend und ich frage mich, warum das nicht immer so laufen kann. Jetzt sind wir fast so weit, dass wir einen Testlauf starten können. Pumpe, Schlauch und Rückschlagventil sind fest verbunden miteinander. Stromkabel ist auch wieder mit neuer Lüsterklemme verbunden und abisoliert. Tank ist sauber und erstmal mit 20 Liter Wasser befüllt. Jutta ist am geöffnetem Fenster im Bad, bereit den Wasserhahn aufzudrehen. Ich stehe draußen am Tank. „Bist du bereit?“, frage ich. „Bin bereit.“ Wasser marsch. Die Pumpe arbeitet, das höre ich. „Kommt was?“ „Nee, kommt nix!“ „Wie jetzt kommt nix?“ „Die Pumpe pumpt doch.“ „Ja, es kommt aber nichts.“

„Scheiße, was ist das denn jetzt. Es läuft hier unten am Tank raus!“, sage ich.

„Verdammt, hier läuft es aus der Heizung raus und die Küche steht unter Wasser!“, sagt Jutta. „Mach den Wasserhahn zu!“, rufe ich. Dann wischen wir drinnen wieder alles trocken und gehen auf Fehlersuche. Nach einem furiosen Start gebe ich frustriert auf. Keine Ahnung, was da jetzt schief gelaufen ist. Meine Befürchtung mit grober Gewalt mehr Schaden als Nutzen anzurichten scheint sich bewahrheitet zu haben. Der nette Installateur hat es mit Sicherheit gut gemeint, aber vermutlich trotzdem einigen Schaden angerichtet. Jetzt ist klar, wir brauchen eine Werkstatt und professionelle Hilfe.

Jutta beginnt mit der Recherche. Da wir weiter nach Westen fahren werden, genauer gesagt nach Cirali, wo Güler und Murat gerne ihren Sommerurlaub verbringen, kommen wir auch durch Antalya. Dort wird es wohl was geben, nehmen wir an. Dort sind haufenweise Touristen und Camper und Expats usw. Und dort finden wir Gergin Garage. Sofort nehmen wir Kontakt auf und sofort wird auch reagiert. Können wir Freitagvormittag einen Termin bekommen, fragen wir an, es ist wirklich dringend. Klar, kein Problem. Worum geht es denn? Wir schildern so gut es geht unser Problem und Merve schreibt umgehend zurück, dass sie es vor Ort händeln können. Mit dieser positiven Aussicht verbringen wir noch eine tolle Restzeit in Anamur, wo die Bananen wirklich intensiv bananisch schmecken und der Sommer nie zu enden scheint.

Doch wie es immer so ist müssen wir irgendwann weiter ziehen. Diesmal haben wir einen Termin in Antalya. Die sechs Tage vergingen wie im Flug. Jutta würde am liebsten unser kleines Kätzchen mitnehmen und auch mir fällt der Abschied extrem schwer. Doch wir bleiben vernünftig und lassen die Katze dort wo sie hingehört. Zum Abschied gibt es Kaffee und selbstgemachten Kuchen und dann bekommen wir noch Orangen und Oliven mit auf den Weg. Jetzt geht es ab nach Antalya. Heute ist Donnerstag und wir wollen gegen späten Nachmittag ankommen, damit Freitagvormittag der Fehler gesucht und im Idealfall schnell behoben werden kann. Denn der Plan ist sofort danach weiter nach Cirali zu fahren, mit funktionierender Wasserpumpe und ohne ausströmendes Wasser im Innenbereich. Da wir erst gegen Mittag los kommen und die Fahrt deutlich über vier Stunden dauert (ohne Pausen) sind wir so gegen 16:45 Uhr bei Gergins Garage in Antalya. Wir parken an der Seite neben dem Laden und noch bevor ich richtig stehe, sehe ich ein junges Mädel an der Treppe, die uns beobachtet. „Das ist bestimmt Merve.“, sage ich zu Jutta. Als LEMMY akkurat eingeparkt ist, gehe ich direkt auf sie zu und frage, ob sie denn Merve heißt. „Nein, die ist im Laden und wartet auf euch.“ Also gehen wir rein um zu fragen, wann es morgen losgehen kann. „Wir haben auch jetzt noch Zeit, wollen wir uns das Problem mal anschauen?“, sagt Merve. Mittlerweile ist auch ihr Mann dazu gekommen, offensichtlich der Chef des Unternehmens, und ein Techniker. Yes, sehr gerne doch. Wir schildern die Problematik und das gesamte Garagenteam ist jetzt mit uns am Auto. Ich öffne alle Klappen, zeige die ausgetauschte Pumpe und das vermutete Leck im Heizungsschrank, wo das Wasser raus läuft. Jetzt wollen sie sehen was passiert, wenn die Pumpe läuft. Also dreht Jutta im Bad den Wasserhahn auf. Die Pumpe arbeitet und schon läuft das Wasser im Innenbereich Richtung Küche.

Es läuft …

Aus der Karosserie läuft es unter dem Wassertank auf den Parkplatz und auf der anderen Seite rinnt es jetzt auch noch raus. Das Wasser geht durch das gesamte Staufach von einer Seite zur anderen Seite, weil ich etwas schräg stehe. Das sehe ich jetzt zum ersten Mal. Ich befürchte schon das Schlimmste. Das Wasser läuft überall, nur nicht aus dem Wasserhahn.

„Ja, das tut mir leid, da können wir auch nichts machen. Die Teile haben wir hier gar nicht. Das müssen wir bestellen, das kann dauern…., und was das kostet….“

Aber er sagt nichts dergleichen. Der Techniker biegt sich irgendwie in das Fach über dem Frischwassertank und prüft die ganzen Schlauchverbindungen. Wir schauen bange zu und warten. Ich denke, ich kann die Zeit etwas sinnvoller nutzen und räume das komplette Staufach aus, um es dann trocken zu wischen. Das geht relativ schnell, da alles gut in Kisten organisiert ist. Als ich nach einer viertel Stunde etwa fertig bin, soll Jutta erneut den Wasserhahn betätigen. Die Stunde der Wahrheit. „Und? Kommt Wasser?“, frage ich hoffnungsvoll. „Es gluckert.“, sagt Jutta und kurz darauf: „Ja jetzt kommt was. Und läuft noch irgendwo anders was raus?“ Tut es nicht, alles ist wieder perfekt. Nach einer knappen halben Stunde ist alles wieder repariert und ich zahle 25 Euro für die ganze Geschichte. Überglücklich räume ich alles wieder ein und dabei plaudern wir noch ein wenig. Sie lieben alle unseren Wagen, so was sieht man hier selten in Antalya. Selber bauen sie auch Offroadfahrzeuge aus und haben Dachzelte und eine Menge Equipment im Laden.

Wir fragen noch, ob wir über Nacht hier stehen bleiben können und werden erstaunt angeschaut. „Warum wollt ihr denn hier bleiben? Fahrt doch an den Fluss, da picknicken wir selber immer gerne.“ Merve beschreibt uns den Weg und wir verabschieden uns von einem tollen Team, von einer sehr sympathischen und kompetenten jungen Firma. Den Platz am Fluss finden wir nicht, deshalb entscheiden wir uns am Meer nach einem Stellplatz zu suchen und werden prompt fündig. Ein Parkplatz, auf dem schon ein großer Overlander LKW steht, fällt uns sofort ins Auge. Dort stellen wir uns direkt daneben. Ein Wohnwagen ist auch noch hier und zwei Vans. Wir befinden uns in bester Gesellschaft. Jetzt geht es mit unseren beiden kleinen Campinghockern und ein paar kalten Bieren kurz über die Straße und an den Strand. Unter dem klaren Sternenhimmel genießen wir das erfrischende Bier in einer lauen Spätsommernacht und sind mega glücklich das alles wieder so läuft wie es sein soll.

Antalya

Der Weg nach Cirali verläuft relativ unspektakulär, um nicht zu sagen langweilig. Vorher füllen wir noch Wasser auf an einer Quelle an der Straße. Dazu benutze ich das erste Mal den neuen Wasserschlauch und finde es großartig im Vergleich zum vorherigen Kanister schleppen. Tanken müssen wir eigentlich auch, aber das verschiebe ich auf Cirali. Das es ein ganzes Stück eine Serpentinenstraße runter geht, raus aus den Bergen auf Meeresniveau und das es dort im ganzen Ort keine Tankstelle gibt, das wusste ich noch nicht. Ausgerechnet jetzt geht auch noch die Reserveleuchte an. Es gibt dort auch keine anderen Ortschaften mit Tankstelle. Man muss den Ort auf dem gleichen Weg verlassen, wie man ihn erreicht hat. Also sage ich zu Jutta, dass wir lieber nicht heizen sollten, um Sprit zu sparen.

Aber erst mal kommen wir an und finden es auf Anhieb ganz schnuckelig hier. Ein richtig schöner, kleiner Ferienort. Überall gibt es nette Shops, kleine Restaurants, die allerdings zum Teil die Saison schon beendet haben. Leider auch der Pizzaladen, den Güler mir empfohlen hat. Kneipen für Biertrinker gibt es selbstverständlich auch. Wir gehen auf Ende November zu und trotzdem sehen wir noch Leute im Meer schwimmen. Wir wissen einen guten Campingplatz, doch zuerst schauen wir uns einen Freistehplatz an, der ziemlich nah am Strand ist. Ganz nett, finden wir, aber mehr auch nicht. Dann gucken wir uns den Campingplatz an, der in einer herrlichen Gartenanlage liegen soll. Aber wie kommen wir da hin? „Da musst du links!“, sagt Jutta. „Was? Da wo der ganze Weg voller Holz liegt!“ Es ist nur eine sehr schmale Straße, wie viele dieser kleinen, engen Gassen hier. Straße ist eigentlich übertrieben, es ist eher ein sandiger Weg. Und offensichtlich wird hier Feuerholz für den Winter vorbereitet. Ich fahre trotzdem rein und es bleibt nicht unbemerkt. Ruck zuck wird von drei kräftigen Kerlen der Weg freigeräumt und ich kann nach wenigen Minuten passieren. Dann geht es mal links und mal rechts rum und wir sind da.

Bellerofon Caravan & Camping

Es ist ein kleines Paradies, der Garten Eden und fast alle Stellplätze sind frei. Ein paar Zeltcamper sind noch hier und zwei andere Fahrzeuge. Schon kommt uns der Betreiber entgegen und spricht uns auf deutsch an. Wir besprechen die Einzelheiten, wie z. B. das Frühstück für kleines Geld, das wirklich ganz ausgezeichnet ist. Jeden Morgen gibt es was Anderes, frisch zubereitet von ihm und seiner hübschen Frau. Dann gibt es eine Ecke, wo ich mir Feuerholz nachholen darf, wenn das, was er mir jeden Tag zu unserer Feuertonne legt, aufgebraucht ist. Es gibt ausreichend Toiletten, Duschen und natürlich den Frühstücksraum, den man auch als Bibliothek nutzen kann. Wie lange wir bleiben wollen, will er noch wissen. Wir sagen, dass es wohl so drei Tage werden sollen, aber ganz genau wissen wir es noch nicht. „Kein Problem, ihr könnt bleiben so lange ihr wollt!“ Es werden auch hier sechs Tage und die vergehen viel zu schnell. Wir hängen ab, sitzen jeden Abend am Lagerfeuer und genießen noch immer die spätsommerlichen Temperaturen. Wir haben auch hier wieder eine kleine Horde Katzen um uns herum, die gut von Jutta versorgt werden. Eine kleine schwarze Katze freundet sich mit mir an, allerdings ist sie etwas hyperaktiv und lässt sich auch nicht auf den Arm nehmen. Sie streift mir aber pausenlos um die Beine und will gestreichelt werden, aber zur Ruhe kommt sie nicht. Erst nach vier oder fünf Tagen wird sie ruhiger und vertrauter mit mir und lässt sich schon mal auf den Schoß nehmen. Lange hält sie das allerdings auch nicht aus.

Wir machen Spaziergänge an den Strand, radeln mit den Bikes durch den Ort und gehen gelegentlich in einem Restaurant essen. Die Türkei ist ja ein wirklich günstiges Reiseland für uns. Dann wird LEMMY auch mal wieder gründlich gereinigt. Jutta kümmert sich innen um alles, ich mich um den Außenbereich. Ich räume alle Staufächer aus und fege und wische sie durch. Die Kisten werden leergeräumt und wieder neu und ordentlich eingeräumt, denn während einer langen Reise schleicht sich immer ein bisschen Unordnung ein. Ich putze alle Fenster und die Scheinwerfer und Spiegel, für eine klare Sicht bei der Weiterfahrt. Auch die beiden Bikes werden abgespült, denn wir haben einen Wasseranschluss am Platz. Die Abdeckplane ist ebenfalls ziemlich eingestaubt und wird einer kleinen Wäsche unterzogen. So gehen die Tage ziemlich schnell dahin und ich denke, hier ist doch der perfekte Ort für eine Nachtschicht. Also wird auch ein weiteres Chapter von meinem Reiseblog geschrieben, Istanbul wird fertig gestellt bevor der Morgen erwacht. An diesem Tag haben wir das köstliche Frühstück ausgelassen und ich habe bis zum Mittag geschlafen.

Mount Chimaera

Ein ganz besonderes Highlight war es die ewigen Flammen in den Bergen zu sehen. Diese brennen bereits seit 2500 Jahren,

Der griechischen Mythologie nach sind diese Flammen der Atem einer Chimaera (dreiköpfiges Tier / Mischung aus Löwe, Ziege und Schlange). Bellerophon (Enkel des Sisyphos) bekam den Auftrag die Chimaira zu töten. Mit Hilfe des geflügelten Pferdes Pegasos konnte er sie aus der Luft überwältigen…. aber vielleicht hat sie ja überlebt und atmet tief unter der Erde weiter?

Ganz klar der Atem der Chimaera

Wir mussten dazu ein ganzes Stück laufen, Jutta hatte nicht so richtig Lust mit den Rädern zu fahren. Es ist weiter als gedacht. Doch als wir dann endlich den ganzen Ort durchlaufen und den Berg bestiegen haben, da sehen wir die Flammen aus dem felsigen Boden lodern. So etwas haben wir zuvor noch nie gesehen. Und die Flammen sind noch nicht mal alles. Die Aussicht von hier oben geht bis zum Meer und Strand hinüber. Wir haben uns ein kleines Picknick mitgenommen, eine Thermosflasche mit frischem Tee, etwas Obst und ein paar kleine Snacks. So genießen wir hier oben die tolle Sicht über einen Teil des Strandes und mal wieder leistet uns eine Katze Gesellschaft dabei.

Den Rückweg gehen wir barfuß am Strand entlang.

Bei mir hat sich irgendwie ein kleiner Schnupfen eingeschlichen. Vielleicht habe ich mich in einer der lauen Nächte zu lange am Lagerfeuer aufgehalten. Denn bei Bier, Musik mit meiner Boombox und dazu noch Lagerfeuer, da vergesse ich schon mal die Zeit. Vielleicht hat mich auch unser türkischer Gastgeber angesteckt, er war oft am Husten.

Oder es ist einfach so irgendwann, irgendwo passiert. Es sollte sich zu einer richtigen Grippe entwickeln, die mich zwei Wochen lang begleiten wird. Bei Jutta wird es vier Tage später losgehen.

So lecker! Da kann ich sogar den löslichen Kaffee verkraften.

Ein letztes Mal genießen wir noch das leckere Frühstück und bedanken uns für die tolle Gastfreundschaft, für das tägliche Anliefern des Feuerholzes und dem ganzen Drum und Dran. Wir haben diese Tage hier sehr genossen und werden es unseren Freunden weiter empfehlen. „Wie weit ist es eigentlich bis zur nächsten Tankstelle?“, will ich von ihm noch wissen. „Ach, das sind nur ca. 30-40 km in Richtung Antalya, da kommt dann eine Tankstelle.“ Ich komme ein wenig ins Schwitzen, denn ich weiß, wir fahren die selben Serpentinen die wir runter gefahren sind auch wieder hoch. Was ich nicht so genau weiß ist, wieviel Diesel muss mindestens im Tank sein bei steilen Berganfahrten? Ich habe ja den großen 140 Liter Lone Ranger Tank. Wann läuft es soweit nach hinten, dass nicht mehr genug Diesel angesaugt wird. Oder ist es genau umgekehrt? Das es kritisch wird bei steilen Abfahrten? Auch das weiß ich nicht. Naja, wird schon gut gehen.

Bevor wir losfahren, bitte ich unseren Gastgeber noch darum, besonders auf die kleine schwarze Katze acht zu geben. Denn sie ist mir ganz besonders ans Herz gewachsen und von Tag zu Tag zutraulicher geworden. „Die kleine Schwarze kenne ich noch gar nicht, sie ist erst mit euch hier aufgetaucht.“

Wir kommen die Bergstrecke ohne Probleme hoch und erreichen auch die Tankstelle. Ich tanke voll, 136 Liter!

Bodrum in der Nebensaison

In unserem großartigen Reiseführer habe ich von Bodrum gelesen und bin neugierig darauf geworden. Außerdem hat uns jemand in Istanbul im Kneipenviertel von Beyoglu von Bodrum vorgeschwärmt. Da wir jetzt wieder Richtung Norden fahren, zurück nach Istanbul, dachte ich, wir könnten da mal eben vorbei fahren. Jutta ist einverstanden und wir machen uns mit einem vollen Tank und einer fiesen Erkältung im Gepäck auf den Weg. Das Wetter wird zunehmend schlechter und kühler, je weiter wir nach Norden kommen. Sommer ade heißt es jetzt wohl.

Bis Bodrum ist es zu weit für eine Tagesetappe, deshalb ist Jutta schon wild am recherchieren. Mir wird es immer unwohler und natürlich bleibt es Jutta nicht verborgen. „Wie geht es dir denn?“, fragt sie und „Wie lange willst du noch fahren?“ „Lass uns mal noch ein paar Stunden machen.“, sage ich „wenn wir stehen geht es mir auch nicht besser und ich will noch gerne etwas weiter kommen.“ Irgendwann am Nachmittag schlägt Jutta dann einen guten Stellplatz auf einer Anhöhe in einem Wald vor. Damit bin ich einverstanden und wir fahren diesen Platz an. Gegen frühen Abend treffen wir ein und finden einen netten Stellplatz abseits der Straße und gehen früh schlafen. Der nächste Tag verläuft ähnlich, wir fahren lange und treffen am Nachmittag in Bodrum ein. Mit grippeähnlichen Symptomen, bei herbstlichem Wetter und kaputt von einem langen Reisetag hält sich meine Begeisterung von Bodrum in Grenzen.

Gibt aber trotzdem schöne Ecken

Der Campingplatz hat geöffnet, liegt fast direkt am Strand. Nur geschlossene Bars und Restaurants liegen noch zwischen uns. Trostlos ist es und es scheint ein Sturm aufzuziehen. Andere Camper sind kaum noch da. Ich lege mich erst mal ins Bett und versuche mich gesund zu schlafen. Jutta macht sich auf in eine Apotheke um ein paar Mittel zu kaufen, die Linderung verschaffen können. Dann testen wir uns das erste Mal seit langem auf Corona. Negativ.

Wir bleiben hier für drei Tage, machen kurze Spaziergänge und bei mir wird es ganz langsam etwas besser. Jetzt fängt es bei Jutta an mit Schnupfen und Husten. Nun bin ich für die Einkäufe und Tee kochen usw. zuständig.

Erst hat Jutta mich gepflegt, jetzt kann ich mich etwas revanchieren. Es gibt unter anderem Grießbrei mit Apfelmus. Den liebe ich, wenn ich krank bin.

Außerdem können wir die Zeit hier sehr gut nutzen, um mit Frau Docke von Travel Overland Kontakt aufzunehmen. Dort buche ich seit Ewigkeiten meine Flugreisen. Das habe ich schon länger vor und jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. Ich habe mich ja nur bereit erklärt zurück zu fahren, ins Waterhole zu fahren, wenn wir nach Amerika verschiffen im neuen Jahr. Jutta recherchiert also fleißig Visaangelegenheiten und Einreisebestimmungen und ich schreibe Frau Docke per Mail an. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es geht darum, ob wir nach Halifax oder Baltimore verschiffen, ob wir ein Visum brauchen oder nicht. (Bei 90 Tage reicht das ESTA, für 180 Tage brauchen wir ein Visum. Dafür reicht aber die Zeit jetzt schon nicht mehr, da die Bearbeitung mehrere Wochen dauern kann und man persönlich bei der amerikanischen Botschaft vorstellig werden muss.) Mist, das haben wir schon mal gründlich verkackt.

Wie soll man denn bei so tollen Aussichten komplizierte Sachen planen wollen?

Seit dem 8. November wissen wir, dass wir in die USA einreisen dürfen. Auf diese Information haben wir sehr lange gewartet, uns dann aber doch nicht gleich um diese Angelegenheiten gekümmert. Jetzt ist die Zeit zu knapp, so dass nur noch die 90 Tage in Frage kommen. Letztendlich ist der Plan nach Halifax, Nova Scotia zu verschiffen und dann über Land in die USA einzureisen und nach 90 Tagen wieder auszureisen. Im Grunde ist die Route mein Plan und Jutta unterstützt mich dabei. Legt aber hier und da ein Veto ein und bringt ihre Schwerpunkte mit ein, so dass wir beide glücklich sind mit der ganzen Geschichte. Nach einigem Hin und Her haben wir dann auch ein Ergebnis und das ist überaus zufriedenstellend. Der Plan sieht in etwa so aus: Wir fliegen nach Halifax und nehmen dort LEMMY entgegen. Dann haben wir ca. 2 Wochen für Nova Scotia und Neufundland Zeit. Anfang Februar will ich dann in die USA einreisen und die Monate Februar, März und April in den USA verbringen. Ich möchte die Ostküste runter fahren bis nach Key West. Dann wollen wir rüber nach Westen bis Los Angeles und die Westküste wieder hoch fahren nach Kanada, nach British Columbia. Dabei wird natürlich viel Zickzack gefahren und es gibt keine Umwege. Danach haben wir dann noch etwa zweieinhalb Monate Zeit für Kanada. Ein Problem ist noch, dass ich nach Alaska will, aber unsere 90 Tage für die USA dann schon aufgebraucht sind. Aber das wird erstmal nach hinten verschoben. Kommt Zeit, kommt Rat. Und dann müssen wir natürlich auch wieder zurück an die Ostküste, denn die Rückverschiffung und der Rückflug geht wieder von Halifax nach Deutschland. Soviel zur Route und zur Theorie.

Jetzt zu den Fakten:

LEMMY wird am 10.01.2022 verschifft. Es geht von Hamburg nach Halifax. Dort soll LEMMY am 24.01.2022 ankommen. Wir fliegen dann am 14.01.2022 von Bremen nach Frankfurt und von Frankfurt nach Montreal und von Montreal nach Halifax. Zurück geht unser Flug dann von Halifax direkt nach Frankfurt am 13.07.2022, also sechs Monate später. So haben wir es gebucht und so haben wir auch gehofft, dass es kommen wird. Aber es wird mal wieder ganz anders kommen als erwartet.

Oder?

Nach der dritten Nacht fahren wir weiter Richtung Istanbul. Wie weit wir heute kommen ist noch nicht klar als wir losfahren. Es wird sich im Laufe der Fahrt klären. Ich plädiere für Izmir, dort soll es eine tolle Altstadt geben und einen sehr schönen Hafen. Ich stelle es mir ähnlich schön vor wie in Split in Kroatien. Warum ich es mir so vorstelle, weiß ich gar nicht so genau. Ich habe von Izmir gelesen und hatte irgendwie die Assoziation Split. Jutta hat nichts dagegen, also kann sie schon mal wieder schauen, wo wir dort umsonst oder günstig stehen können. Sie wird fündig. Direkt am Meer nah am Hafen. Der Parkplatz kostet zwar etwas, dafür ist die Lage top. Ein Glück, dass in der Platzbeschreibung von Park4night jemand dazu geschrieben hat, dass man leicht die Einfahrt verpassen kann. Was dann einen größeren Umweg bedeuten würde, um wieder hierher zurück zu kommen. Man müsste dann wieder über eine Brücke fahren und durch einen Tunnel und erneut versuchen die Einfahrt nicht zu verpassen. Mitten in der Einfahrt steht so ein verdammter Pfeiler und hätte ich nicht gewusst, dass man hier leicht vorbei fahren kann, wäre es mir mit Sicherheit passiert.

Wir machen einen kleinen Spaziergang und verlieren schnell die Lust. Die Altstadt sehen wir wenigstens von Ferne am Hang liegen, können uns aber nicht aufraffen dort hin zu pilgern. Bei mir wird es jeden Tag wenigstens ein kleines bisschen besser, bei Jutta wird es eher schlimmer. Wieder machen wir einen Corona Schnelltest. Wieder ist er negativ.

Ohne Izmir kennengelernt zu haben, fahren wir weiter. Aber ein Fähnchen werde ich setzen auf meiner Weltkarte. Ich bin rein, raus und durchgefahren und habe eine Nacht hier verbracht.

Es wird wieder ein langer Fahrtag, aber was spricht auch dagegen? Uns beiden geht es nicht besonders gut. Das Wetter, das uns vorher so verwöhnt hat, scheint uns nun im Stich zu lassen. Wir denken immer öfter mal an Weihnachten und freuen uns auf Schnee und auf Weihnachtsmärkte. Der Dezember steht vor der Tür und wir haben noch einiges vor. Wir wollen nach Sofia fahren, nach Bukarest, evtl. auch nach Budapest und/oder Prag. Hin und wieder ertappe ich mich dabei, wie ich an die vergangenen Weihnachten denke. Die verbringen wir immer zusammen mit Juttas Eltern, das sind Horst und Renate. Wir feiern bei ihren Eltern zuhause. Sonja und Lars sind auch immer dabei und bevor meine Ma gestorben ist (20.02.2020), da waren sie und mein Stiefvater Heinz auch mit von der Partie. Jetzt ist Heinz für ein paar Stunden immer noch mit dabei. Und es ist jedes Mal sehr schön in diesem Kreis zusammen zu sein an Weihnachten. Es wird lecker gegessen, getrunken, gespielt und es kommt zu schönen Gesprächen. Wenn es Zeit ist, dann nehmen wir ein Taxi zu uns nach Hause und in den letzten Jahren sind Sonja und Lars dann noch mit zu uns gekommen. Wir haben noch ein paar Stunden zusammen gesessen, bis wir dann schließlich irgendwann so müde waren, dass es ins Bett ging. Am nächsten Mittag gab es dann immer Gans mit Klößen und Rotkohl. Sonja und Lars bringen sich immer eine vegetarische Alternative mit. Ich hatte meistens noch einen ziemlichen Kater, aber danach ging es dann auch schon wieder ins Bett zum Mittagsschlaf.

Noch ein schöner Spruch, wenn kein Bild da ist, dass zur Geschichte passt 😉

Wie die weiteren Tage danach verliefen hing hauptsächlich davon ab, ob ich an den Feiertagen arbeiten musste oder nicht. Es kam häufig vor, dass ich an den Weihnachtstagen und Silvester gearbeitet habe. Dann ist auch im Theater eine ganz besondere Stimmung und es macht mir immer Spaß an diesen besonderen Tagen zu arbeiten. Habe ich allerdings frei, dann treffen wir unsere Freunde. MTV zum Beispiel, das sind Maddi, Torre und der Junior Vince. Oder Immi und Erdal. Das ist dann auch immer was Besonderes, wenn man sich um Weihnachten rum trifft und nicht an einem gewöhnlichen Wochenende. Und ich ertappe mich dabei, wie ich an die Vorbereitungen denke für Amerika. Ich nehme mir vor mindestens zwei oder drei Nachtschichten einzulegen, um mit meinem Blog voranzukommen. Ich will versuchen in Amerika nicht immer soviel hinterher zu sein, wie es jetzt im Augenblick der Fall ist. Ich liege um Wochen zurück. Das soll sich ändern.

Jutta bräuchte jetzt gar nicht zurück nach Istanbul, das macht sie wieder mal mir zuliebe mit. Für mich ist es sehr wichtig diese fantastische Metropole ein weiteres Mal, nunmehr das dritte Mal zu besuchen und nicht einfach vorbeizufahren. Das käme mir einem Verbrechen gleich. Auf der Fahrt in diese Megacity ist jetzt Thema zwischen Jutta und mir, wo wir mit LEMMY stehen werden. Denn es gibt zwei Möglichkeiten. Ich plädiere für den bereits bekannten Parkplatz, auf dem wir schon fast eine Woche gestanden haben, direkt am Marmarameer, in der Bosporuseinfahrt der Supertanker. „Aber da ist es jede Nacht so laut gewesen!“, bringt Jutta als Argument. „Ja das stimmt.“, sage ich „aber jetzt ist fast Dezember und bestimmt ist nun weniger los dort.“

„Ich habe aber einen anderen Stellplatz, der dort ganz in der Nähe ist. Dort ist es etwas teurer, aber dafür gibt es da auch eine Toilette und Dusche, eine Waschmaschine und mit Sicherheit ist der Platz nachts ruhig.“ Dort können einige Overlander stehen und sich das Vereinsheim mit einem Sportklub teilen.

Overlander- Stellplatz

Da ich schon sehr froh darüber bin, dass wir Istanbul überhaupt machen und es keine große Diskussion gibt, stimme ich zu. Wir kommen näher und ich bin begeistert ein weiteres mal über die Bosporusbrücke zu fahren. Dieses Mal allerdings von der asiatischen Seite, von Üsküdar rüber nach Europa. Wir fahren auch wieder über die Galatabrücke und vorbei an unserem alten Stellplatz, an dem wir vor Wochen standen, mit Dandovueltas und den ganzen Istanbuler Busfahrern. Allerdings verfehlen wir nun die Einfahrt zum neuen Stellplatz und was uns in Izmir noch so gut gelungen ist, verpatzen wir hier leider. Jetzt geschieht genau das, was für Jutta ein regelrechter Albtraum ist. Und tatsächlich habe ich schon Jahre bevor wir mit LEMMY nach Istanbul gefahren sind, zuhause davon geträumt, wie wir uns in den Gassen von Karaköy verfahren. Die Gassen sind extrem eng und steil und es fahren nur kleine PKW durch. Wir kannten diese Ecke von unserer ersten Istanbulreise. Aber bei mir war das nur ein Traum, nicht mal ein Albtraum. Jetzt allerdings lotst Jutta mich unbeabsichtigt und aus Versehen in das Gassenwirrwarr von Sultanahmet.

„Wo geht es lang?“, frage ich, nachdem wir die richtige Zufahrt verpasst haben. „Moment mal, ich glaube da rechts rein jetzt.“, sagt Jutta. Und dann war es auch schon geschehen. Ein Zurück gibt es hier nicht mehr. Wir befinden uns innerhalb der alten Stadtmauer und müssen einen Weg hinaus finden aus diesem Labyrinth. Eines der Probleme ist, dass hier alles Einbahnstraßen sind und Jutta auf MapsMe nicht genau sieht, wie der Verlauf weiter geht. Ein anderes Problem ist, dass Jutta extrem gestresst ist, obwohl ich entspannt bin und obwohl ich fahre. Sie entschuldigt sich ein ums andere Mal, dass sie mich in diese Situation gebracht hat. Ich versichere ihr, dass das alles kein Problem für mich ist. Im Gegenteil, ich habe sogar Spaß daran hier zu fahren, so was erlebt man auch nicht alle Tage. Ich denke gerade, dass ihr größtes Problem wahrscheinlich darin besteht, dass sie denkt, mir muss es jetzt genau so fürchterlich gehen, wie ihr in dieser Situation. Sie realisiert nicht, dass es mir mitnichten so geht, wie sie sich jetzt fühlen würde an meiner Stelle. Ein anderes Problem gibt es aber auch noch, die Enge der Gassen. Auf der einen Seite blockieren parkende Autos die Spur, auf der anderen Seite ist ein Bürgersteig für die Fußgänger. Dieser ist flankiert von Betonpollern, die die Fußgänger vor den durchfahrenden Autos schützen sollen. Sie sind etwa kniehoch. Der Bordstein misst auch noch mal so ca. 15-25 cm. Und die Gassen sind oben in der Mitte gewölbt. Das heißt, ich fahre hier mit einer nicht unerheblichen Schräglage und muss mich an den parkenden Autos vorbeimanövrieren. Jetzt kommt mir auch noch jemand entgegen, obwohl es eine Einbahnstraße ist, nicht ungewöhnlich übrigens in Istanbul,

Auch Straßenbahngleise und Fußgängerzonen werden als Durchfahrgelegenheit genutzt. In diesem Fall erwies es sich allerdings als außerordentlich glückliche Fügung. Denn als der Fahrer mich kommen sieht, fährt er rasch rückwärts, denn er war der deutlich Kleinere von uns Beiden. Er blieb allerdings in der Gabelung stehen und gestikulierte wild und deutet in meine Richtung. Dann steigt er sogar aus und ruft: „Problem, Problem…!“ Es dauert, bis ich verstehe was er meint. Durch meine Schräglage bin ich kurz davor mir die gesamte linke Seite von LEMMY durch die ollen Betonpoller aufzureißen. Wie damals die Titanic, als sie 1912 auf ihrer Jungfernfahrt über den Atlantik von einem Eisblock aufgeschlitzt wurde, weil er zu spät erkannt wurde. Ich bedanke mich über die Maßen, dass dieser aufmerksame Fahrer, dem ich sogar im Wege war, dem ich quasi die Tour vermasselt habe, mich vor diesem Unglück bewahrt hat. Ab jetzt geht es im Schritttempo und Zentimeter genau zwischen parkenden Autos und Betonpollern durch dieses Hindernis.

Was noch zu beachten war und die Spannung weiter steigerte, war LEMMYS Höhe von knapp drei Metern. Es gab niedrige Überhänge und Balkone an den Häusern, die wir auch im Blick haben mussten. Aber irgendwann gelang es uns mit einer Mischung aus meiner Intuition und Juttas Navigation aus diesem Labyrinth zu entkommen. Und ich muss wirklich sagen, dass es mir Spaß gemacht hat, dass ich es als Challenge und Herausforderung angenommen habe und dass es mich um eine Erfahrung reicher gemacht hat. Für Jutta war es purer Stress, aber erleichtert und glücklich waren wir beide, als wir noch einen der wenigen verblieben Stellplätze in Sultanahmet auf dem Overlander Wohnmobilstellplatz bekommen haben. Hier wird LEMMY für wenigstens drei Tage stehen bleiben, auf der anderen Seite der Altstadtmauer.

Zeit für die kleine Wäsche

Wir nutzen in Istanbul jedes Verkehrsmittel. Wir fahren mit dem Bus, nehmen die Straßenbahn und die Metro und wir fahren mit der Fähre von der europäischen Seite auf die asiatische Seite und zurück. Wir fahren mit dem Taxi, wenn es zu spät für die Metro ist oder wir zu bequem sind und nicht mehr umsteigen wollen von Metro auf Tram und Bus. Mit dem eigenen Fahrrad radeln wir durch Beyoglu und am Bosporus entlang, über die Galatabrücke und durch Sultanahmet, fahren hoch zum Taksim Platz und zurück. Mit dem Bosporusdampfer geht es bis fast bis ans schwarze Meer und zurück nach Istanbul in den Sonnenuntergang. Ach ja, wir laufen und laufen und laufen. Istanbul ist eine Stadt, die zu Fuß erkundet werden will. Wer nicht laufen mag, der kann auch woanders hin fahren.

Auch hier wird eine Nachtschicht eingelegt, diese Stadt inspiriert. Ich arbeite bis morgens früh an meinem Blog und entsprechend müde bin ich am nächsten Tag. Da fallen die Aktivitäten dann eben etwas sparsamer aus. Wir erkunden die Gegend um uns herum und stellen fest, dass die Lage hier sehr viele Vorteile bietet. Gute Verkehrsanbindung, Märkte und wildes Treiben um uns herum. Da wo wir neulich noch im Gassenwirrwarr mit LEMMY umherirrten, bummeln wir jetzt zu Fuß und überall sind Verkaufsstände aufgebaut.

Ein sehr cooles Spiel….wenn man erstmal die Regeln verstanden hat 😉

Bei nicht so gutem Wetter spielen wir endlich mal wieder Pandemic, ein Spiel, das aktueller nicht sein kann in dieser Zeit. Es ist ein Brettspiel und kann von 2 – 6 Personen gespielt werden. Das Besondere ist, dass man kooperativ spielt, gegen das Spiel. Man gewinnt im Team, oder man verliert im Team. Es geht darum eine Pandemie mit verschieden Experten in den Griff bekommen und jeder Experte hat Spezialfähigkeiten. Das ist nur eine ganz grobe Erklärung, damit ihr einen Eindruck bekommt.

Einmal nehmen wir die Fähre rüber nach Üsküdar, um dort etwas zu bummeln. Von Kadiköy aus fahren wir zurück. Es gibt so viel zu sehen und unsere Zeit ist einfach viel zu kurz. Aber einen Eindruck gewinnen wir, auch von der asiatischen Seite.

Yvonne, vom Layla on Tour Team hat uns in Kappadokien vom Pudding Café erzählt, davon hatte ich zuvor nie gehört. Das steht natürlich auch noch auf dem Plan und selbstverständlich darf eine Sache nicht fehlen, ein weiterer Besuch im ROCK N ROLLA.

Lieblingskneipe

Von unserer Basis in Istanbul bummeln wir erst mal zum großen Basar, vielleicht finden wir die leckeren Schoko-Mandeln wieder, die wir vor langer Zeit in Mardin gekauft haben. Ich würde mir gerne ein Kilo davon mitnehmen. Und tatsächlich finden wir einen Stand mit diesen und anderen Sweets. Wir bekommen auch sofort einen Chai gereicht und etwas zum Probieren. Ich frage, was denn die blauen Schoko- Mandeln kosten und die mit Zimtgeschmack. Der Verkäufer nennt mir einen Preis der viermal so hoch ist wie in Mardin, kurz vor der syrischen Grenze. Ich frage ihn, ob er mir einen anderen Preis machen kann und schlage direkt den Preis vor, den ich dort bezahlt habe. Er sagt nur noch, wir sollen uns unseren Tee schmecken lassen und wendet sich ab. Wir verlassen den großen Basar ohne ein Geschäft abzuschließen und fahren zwei Stationen mit der Tram zum Pudding Café, das sich ganz in der Nähe der Hagia Sophia befindet.

Pudding gibts hier aber nicht!

Schon von weitem ist PUDDING SHOP in leuchtenden Lettern zu lesen, darunter steht LALE RESTAURANT. Das muss wohl gemeint sein und es sieht einladend aus. Da wir noch nichts gegessen haben beschließen wir es nicht nur von außen zu betrachten, sondern auch die Küche zu probieren. Danach wollen wir noch weiter ins ROCK N ROLLA. Dann gibt es die leckeren Kroketten aus dem ROCK N ROLLA eben erst morgen, an unserem letzten Abend. Da will ich dann noch ein paar Bierchen trinken bei guter Musik und mich von Istanbul verabschieden. Aber erst mal werden wir hier überaus freundlich empfangen und ich werde sogleich gefragt, ob ich denn schon mal hier gewesen bin. Ich verneine, mit Sicherheit nicht, in Istanbul schon, aber nicht im Pudding Café. Wir werden an die Glasvitrine gebeten, um uns etwas aus den gebotenen Köstlichkeiten auszusuchen und finden das Essen ganz gut, aber auch nicht besonders. Das Besondere an diesem Ort ist, dass sich schon in den 70er Jahren viele Globetrotter hier getroffen haben um sich auszutauschen oder eine Fahrgelegenheit zu finden. Entweder weiter nach Indien oder Nepal oder aber auch wieder zurück in die Heimat.

Noch immer hängen Zettel mit verschiedenen Anfragen im Fenster und man kann sein Glück auf eine Mitfahrgelegenheit suchen. Schon im Time Magazin wurde damals über dieses Café berichtet. Wir bewundern auch die alten Fotografien von dem Platz vor dem Café, wo man früher direkt mit seinem alten Bulli vor der Tür parken konnte. Die Zeiten haben sich geändert, heutzutage parkt hier niemand mehr.

Nach dem Essen geht es weiter zur Straßenbahn und danach in die Metro. Es ist ein tolles Gefühl, wenn man sich in so einer Metropole auskennt und nicht immer gucken muss, wo es lang geht und wo fährt eigentlich der Bus? Mit der Istanbulkart, die wir noch in der Brieftasche hatten, können wir alle Verkehrsmittel nutzen. Wir mussten nur das Guthaben am Automaten aufladen. Eben mit der Tram über die Galatabrücke, dann kurz in die Metro zum Taksim Platz und der Rest bis ins ROCK N ROLLA wird gelaufen. Wir werden sofort wieder erkannt und herzlich reingebeten.

Die kleine, nette Bardame, die mir damals das T-Shirt geschenkt hat, fragt auch sofort: „Two Tuborg Gold?“

Wir verbringen hier einen schönen vorletzten Abend bei kaltem Bier und guter Musik und reden über das was als Nächstes folgen soll. Klar ist, wir wollen von hier nach Sofia fahren und danach nach Bukarest, alles andere wird später entschieden. Irgendwann werden wir müde und fahren wieder zurück nach Hause.

Ein bisschen traurig bin ich schon, als der letzte Tag in Istanbul anbricht, aber ich bin es gewohnt Abschied zu nehmen von faszinierenden Städten. Der letzte Abend wird relativ kurz gehalten im ROCK N ROLLA und nach den besten Kroketten der Welt und wenigen Bieren geht es schon wieder nach Hause, denn morgen wird ein langer Fahrtag und ein Grenzübertritt steht an. Ach ja, die Sache mit dem Strafzettel müssen wir an der Grenze beim Custom Service ja auch noch erledigen. Ich genehmige mir noch ein Abschiedsbier auf unserem jetzt auch von mir recht liebgewonnenen Stellplatz und Jutta macht sich bettfertig. Cheers!

Los geht’s. Doch bevor wir auf die Straße rollen, leeren wir den Abwassertank, füllen Frischwasser auf und leeren den Peetank. Eine Dusche gönnen wir uns auch noch im Vereinsheim und dann nichts wie rauf auf die Straße. Bye Bye Istanbul, du Schöne, du beeindruckende Bosporusmetropole, du einzige Stadt auf zwei Kontinenten.

Immer neue interessante Ecken (Beyoglu)

An der Grenze verläuft alles planmäßig. Es wird sogar im Computer gesehen, dass noch eine Rechnung offen ist. Jutta bekommt einen Zettel in die Hand gedrückt mit dem Hinweis, diese Gebühr an dem nächsten Häuschen zu bezahlen. Es waren in etwa 0,75 Euro. Das kann nur noch ein Restbetrag sein von einer Brücke oder Mautstraße, die mit dem HGN Aufkleber auf meiner Windschutzscheibe noch nicht abgegolten war. Das kann aber nicht der Strafzettel von ca. 30 Euro gewesen sein, für mein zu schnelles Fahren. Jutta fragt nach, ob sonst noch was ist und bekommt zur Antwort, das sonst alles klar sei. Den Strafzettel in ihrer Handtasche zeigt sie hier dann nicht mehr vor.

Bis zum späten Nachmittag fahren wir, aber bis Sofia kommen wir heute nicht mehr. Wir wollen auch nicht erst im Dunkeln ankommen und deshalb hat Jutta von unterwegs schon bei einem Engländer in Bulgarien ein Nachtlager klargemacht, das Sakar Hills Camping. Er hat in seinem Garten ein paar Stellplätze und es kostet nicht viel. Dafür stehen wir sicher und das ist Jutta immer besonders wichtig, wenn wir in ein neues und unbekanntes Land kommen. Wir finden ohne Probleme hin und ein einsamer Motorradfahrer steht mit seinem Zelt auch schon dort. Wir sind froh im beheizten LEMMY die kalte Nacht verbringen zu können und fragen uns, was macht man Anfang Dezember mit dem Motorrad und Zelt in Bulgarien?

Stellplatz Sofia

Ausgeruht geht es nach einem ausgiebigen Frühstück und ohne Eile weiter nach Sofia und am späten Nachmittag erreichen wir unser Ziel und parken LEMMY direkt in der Innenstadt am Vasil Levski National Stadium. Aber einen Spaziergang will ich unbedingt noch machen. Wir laufen drauf los und sehen schon von weitem die riesige St. Alexander Nevski Kathedrale.

Überall hängen auch schon Weihnachtsdekorationen über den Straßen und einen Weihnachtsmarkt hinter einem Bretterzaun erkennen wir auch. Sofia macht auf uns erst mal einen ganz angenehmen Eindruck. Nach einer langen Fahrt und einem kurzen Spaziergang beenden wir den Tag.

Besonders viel sehen wir nicht von Sofia, aber was wir sehen gefällt uns gut. Wir klappern ein paar Touristen Hotspots ab und lassen uns auch mal treiben. Schnee liegt in der Luft, mag aber noch nicht so richtig fallen. Vielleicht morgen.

In einer Straße fällt mir ein Kiosk auf, der liegt im Keller. Als wir dort vorbei laufen sieht es aus wie ein großer, aufgeklappter Kühlschrank und der Verkauf findet aus dem Kellerfenster durch den geöffneten Kühlschrank statt. Sensationell.

Cool, oder?

Um Sofia herum entdecken wir von hier aus verschneite Berge und wir sehen große Kontraste zwischen arm und reich. Ein betrunkener Mann torkelt uns entgegen und legt sich direkt vor uns auf die Klappe. Er ist über einen Bordstein gestolpert und sieht recht schlimm aus. Der Mann ist überall verbeult und das ganze Gesicht ist voller Blutergüsse. Er wird schon des öfteren gefallen sein und rappelt sich gerade wieder auf. Er setzt sich und wir beobachten das Ganze um Zeit zu gewinnen, um zu entscheiden, ob wir etwas tun müssen. Er redet mit sich selbst, scheint seine Umwelt garnicht richtig wahrzunehmen und bleibt sitzen. Wir gehen bedrückt weiter.

Sofia

Gegessen haben wir auch noch nicht und deshalb halten wir Ausschau nach einem ansprechendem Restaurant und schon laufen wir an einem vorbei. Es ist ein vegetarisches Künstlerlokal, Daorganic Art Space & Natural Food Restaurant. Es sieht einladend aus und Jutta ist begeistert von ihrem Gericht und ich finde meines so lala. Aber die Objekte und Bilder in dieser Location gefallen mir sehr gut, besonders ein Schild finde ich super und auch sehr treffend: „Life is like riding a bicycle, to keep your balance you must keep moving“,

Ich habe im Internet eine coole Rock Kneipe entdeckt, die Adams Rock Bar. Aber als wir dort ankommen, klebt ein Zettel an der Tür: „Closed because of Covid“. Das ist nicht das erst Mal, dass ich vor verschlossenen Türen stehe, wenn ich mal eine verheißungsvolle Bar im World Wide Web entdeckt habe. Zum Glück sehe ich in der gleichen Straße, quasi next door eine andere Bar, die Vitamin B Bar. Dort kehren wir ein und probieren uns ein wenig durch die riesige Auswahl des Biermenüs. Hier zählen wir mal die Länder durch, die wir bereits bereist haben und kommen auf 60, d. h. Rumänien wird Nr. 61 werden. Wir reden auch über Corona, denn wir haben uns die letzter Zeit häufig getestet, zum Glück immer negativ. Es besteht evtl. die Möglichkeit sich hier in Sofia eine Booster-Impfung verabreichen zu lassen. Wir wollen das morgen versuchen, bevor wir weiter fahren nach Bukarest. Die Grippesymptome haben uns aus ihren Fängen entlassen und es geht uns viel besser als noch vor einigen Tagen. Nach der Bierverkostung gehen wir wieder zurück nach Hause zum Stadion und haben doch noch eine ganze Menge Eindrücke von Sofia mitgenommen. Der Weihnachtsmarkt allerdings bleibt uns verwehrt, denn unser digitaler Impfausweis wird nicht anerkannt und die gelben internationalen Impfpässe liegen im Auto.

Als wir am Morgen aufstehen ist um uns herum alles weiß und es schneit. Das ist ein schöner Start in den Tag. Wir fahren sofort nach dem Frühstück zu dem Krankenhaus, wo ein Impfzentrum eingerichtet wurde. Nach etwas längerer Parkplatzsuche finde ich endlich einen Platz, von wo es gerade noch akzeptabel ist zu laufen. Leider bin ich etwas zu dünn angezogen und friere schnell, aber nützt jetzt nichts. Wir ziehen unseren Plan durch und versuchen eine Booster Impfung zu bekommen. Nach kurzer Suche finden wir hinter dem Krankenhaus einen Container, der wohl das Impfzentrum ist. Nur zwei Leute stehen in der Schlange vor uns, obwohl da ja von Schlange keine Rede sein kann. Wann spricht man eigentlich von Schlange? Wie viele Leute müssen es sein, dass dieses Wort angebracht ist? Ich habe keine Zeit mir darüber Gedanken zu machen, denn wir müssen einen Zettel ausfüllen und dann geht auch schon die Tür auf und wir sind dran. Die nette Ärztin hat die Spritze schon fast in der Hand, doch sie fürchtet, weil wir Ausländer sind, könnte es Schwierigkeiten mit der Registrierung geben und damit, dass die Impfung für uns und in unserem digitalen Impfnachweis anerkannt wird. Sie telefoniert und fragt an anderer Stelle nach und wird in Ihrer Vermutung bestätigt. No foreigners, unfortunatly. Wir bedanken uns und ziehen weiter, dem ersehnten Piks so nah. Aber wir nehmen uns vor es in Rumänien erneut zu versuchen. Es gibt sowohl in Bulgarien, als auch in Rumänien Impfstoff in Hülle und Fülle, denn die Bevölkerung dort ist sehr zurückhaltend und skeptisch den Impfungen gegenüber.

Zur Stärkung gibt es noch schnell eine kleine Pizza auf die Hand und schon sitzen wir wieder im Auto, um von Bulgarien nach Rumänien zu fahren. Von der einen Hauptstadt Sofia in die andere Capitalcity Bukarest. Was sofort auffällt, nachdem wir die Grenze überquert haben und damit Land Nr. 61 bereisen, sind die schlechten Straßen. Die Formalitäten an der Grenze gingen überraschend schnell. Wir passieren ein kleines Grenzhäuschen mit zwei Fenstern direkt nebeneinander. Links sitzt eine junge Dame, rechts neben ihr ein nicht mehr ganz so junger Mann. Sie checkt uns aus Bulgarien aus, er checkt uns in Rumänien ein. So habe ich das auch noch nie erlebt. Er ist auch ein wenig der Sprücheklopfer und scheint ihr imponieren zu wollen.

St. Alexander Nevski Kathedrale. Sofia

Wir wollen nur eins und zwar schnell über die Grenze, denn wir haben noch viel Strecke vor uns. Diesmal wird es dunkel bevor wir ankommen. Doch ich will trotz der schlechten Straßen (schlechter als in Georgien) ankommen in Bukarest und nicht vorher irgendwo eine Zwischenübernachtung einlegen. Jutta ist eigentlich dagegen, zieht aber mit. Ziemlich erschöpft erreichen wir Bukarest. Die Fahrt war sehr anstrengend und das Wetter war schlecht. Es hat geschneit und doll geweht. Trotz kilometerlanger und weihnachtlich beleuchteter Straße war es ein kleiner Kraftakt, bei viel Verkehr, schlechter Sicht und schlechten Straßenverhältnissen hierher zu kommen. Umso glücklicher sind wir, heil angekommen zu sein in Bukarest, auf einem Parkplatz, dem „Vereinigungsplatz“, der verhältnismäßig teuer ist, dafür aber direkt an die Altstadt grenzt. Es geht in nur zwei Minuten über den Dambovita Fluss und schon ist man mitten in der Altstadt. Das steht zumindest so auf der Karte, die wir vom Parkplatzwächter bekommen. Denn heute machen wir gar nichts mehr, außer etwas essen und schlafen.

Nicht schön, aber zentral und safe!

Hier wütet das Virus noch so richtig. Das ist überall zu spüren. Ohne Maske geht gar nichts und viele Läden haben den Außenbereich so hergerichtet, dass es coronakonform ist. Es gibt durchsichtige, beheizte Plastikkugeln, in denen man separiert Kaffee trinken kann. Dann gibt es anderswo gläserne Trennwände zwischen den Tischen. So hat jeder Wirt versucht Vorkehrungen zu treffen, damit er seinen Kunden einen möglichst sicheren Aufenthalt bieten kann und die Behörden zufriedengestellt sind. Bukarest sei hässlich, höre ich auch schon mal. Doch das kann ich so nicht bestätigen. In der Altstadt ist vieles baufällig und es gibt viel Leerstand, was den Gesamteindruck trübt. Doch erkenne ich auch den Charme der Stadt, der sich wie in vielen anderen Städten erst auf den zweiten Blick offenbart.

Wir erlaufen uns hier tatsächlich nur den Altstadtbereich und sehen ansonsten nicht viel von Bukarest. Am zweiten Abend will ich aber unbedingt in den „Private Hell Club“ gehen. Das ist eine Metal Kneipe und die wird ja verdammt nochmal nicht auch geschlossen haben. Am Tag haben wir schon alles ausgekundschaftet, so dass wir genau wissen, wo welche Bar ist und wie lange es dauert von unserem Parkplatz aus dahin zu kommen. Der Laden hat auf, aber es spielt sich alles draußen vor der Tür ab. Lediglich zum Getränkeholen geht man mit Maske an die Bar. Draußen gibt es Stühle, Tische und Heizpilze und etwa ein Dutzend Metalheads. Die Musik ist laut und gut. Das Publikum ist überwiegend jung bis sehr jung, doch wir sind nicht die Ältesten. Selbstverständlich fallen wir auf und werden „unauffällig“ beäugt von den Stammgästen. Einer spricht uns an, ein Typ mit langen Haaren etwa in unserem Alter. Woher kommt ihr, wohin wollt ihr und so das Übliche wird gefragt und wir erzählen gerne und beantworten bereitwillig alle seine Fragen. Dann will ich noch ein weiteres Bier holen und höre mit Schrecken, „Last order!“. Es ist noch nicht mal neun Uhr, doch wegen dem scheiß Virus müssen alle Läden schon sehr früh zur Sperrstunde schließen. Was soll’s, nicht zu ändern.

Two local beer please!

Mit zwei großen Flaschen kehre ich zurück unter den Heizpilz und berichte Jutta was los ist und sie findet es gar nicht so schlimm. Im Gegenteil, sie freut sich, dass es früh nach Hause geht. Ich habe mich damit abgefunden, denn mein eigener Kühlschrank ist ja auch gut gefüllt. Bevor unser Bier leergetrunken ist, kommt der Langhaarige von vorhin zu uns mit drei Shotgläsern in der Hand. Er reicht uns jeweils eines davon, das Dritte behält er für sich. Er bedankt sich dafür, dass wir hier sind und es hat ihn gefreut uns kennengelernt zu haben und darum gibt es jetzt zum Abschied einen Absinth. Cheers!

Wir verlassen mit einem sehr guten Gefühl Bukarest, halten nur noch kurz beim Hard Rock Café, das etwas abseits der Altstadt liegt, an, um im Merch Shop nach T-Shirts zu gucken. Früher habe ich mir in jedem HRC ein T-Shirt gekauft, manchmal auch einen Hoodie oder etwas anderes, aber gekauft werden musste immer etwas. Außer natürlich, bei für meinen Geschmack, unattraktiven Zielen, wie beispielsweise Pattaya, Marbella, Ibiza, Orlando oder so ähnlich. Die Ziele sind vielleicht nicht mal so unattraktiv, aber ich denke in Schubladen und packe dann alles zusammen in diese Schublade und will von dort dann kein Souvenir haben. Jedenfalls ist es jetzt nicht mehr so wie früher und ich kaufe nur noch dort etwas, wo mir auch das Motiv auf dem Shirt gefällt. Ist das nicht der Fall, dann kann der Standort ganz fantastisch sein, aber ich kaufe trotzdem nichts. Hier finde ich leider kein T-Shirt was mir gefällt, aber ich sehe eine schwarze, ganz kuschelig weiche Wolldecke. Die muss ich haben und damit kaufe ich nicht nur ein HRC Andenken aus Bukarest, damit kaufe ich eine Bereicherung für unsere weitere Reise. Eine Decke die mich wärmen wird, wenn es im Winter kalt ist im Camper. Eine Decke die ich mir über meine Bettdecke legen kann, wenn sie mich nicht ausreichend wärmt. Eine Decke, die mich Abends am Lagerfeuer warm hält oder morgens, wenn es friert, aber die Sonne scheint und wir den Kaffee draußen trinken wollen. Sehr zufrieden mit mir und dem Beginn des neuen Tages, knipse ich noch beim Verlassen des Merchandising Bereichs im HRC Bukarest den schön geschmückten Weihnachtsbaum und wir machen uns auf den Weg zum Dracula Schloss.

Schloss Bran ohne andere Touris, sehr cool!

Das Tolle abseits der Saison zu reisen ist, abseits vom Touristentrubel zu reisen. Vom Schloss Bran habe ich schon im Fernsehen Berichte gesehen, wie sich die Menschenmassen von einem Zimmer ins Nächste drängen. Wir sind hier fast ganz alleine unterwegs. Das Schloss gehört uns. Wir können gemütlich, in unserem Tempo alles unter die Lupe nehmen. Wir können die relativ neuen Multimedia Beiträge ungestört genießen und Fotos machen, ohne das dauernd jemand ins Bild läuft. Es ist fast ein bisschen unheimlich, so alleine hier durch das alte Gemäuer zu streifen.

Als Horrorfilm Fan ist es für mich ein besonderes Vergnügen und am liebsten würde ich auch nach dem Besuch vom Grafen unten noch in das „House of Horror“ gehen. Das soll noch viel besser und gruseliger sein als das Dracula Schloss. Doch da macht Jutta nicht mit. Ich berichtete bereits darüber, wie wir in Patpong auf Phuket in so einem Horror House waren. Das wird Jutta im Leben nicht wieder machen und all meine Überredungsversuche scheitern. „Geh doch alleine da rein!“, bekomme ich immer wieder zu hören, doch wo bleibt da der Spaß? Ich will es doch teilen dieses Vergnügen, mich ergötzen daran, wie der Andere sich erschreckt, will selber den Nervenkitzel spüren und zusammenzucken, wenn da plötzlich eine Schreckgestalt vor mir auftaucht. Ist doch langweilig, wenn das niemand miterlebt. So lassen wir das House of Horror leider aus und fahren weiter zur Transfagarasan.

Die Transfagarasan ist eine Scenic Route, die leider im Winter oft gesperrt ist bzw. zum Teil gesperrt ist. Wir haben verabredet (da es mir sehr wichtig ist die Route zu fahren) soweit wie möglich zu kommen und erst dann umzudrehen, wenn es nicht mehr weiter geht. Schnee hatten wir ja auch schon etwas, aber hier erhoffe ich mir noch viel mehr Schnee, denn jetzt habe ich Lust bekommen auf Winter, auf richtigen Winter.

Man kann nicht alles haben….

Nicht auf solche Winter, wie wir sie in Norddeutschland kennen, dort sind es im Grunde keine richtigen Winter. Ich kenne da nur zwei Jahreszeiten, Frühling und Herbst. Richtig tolles Winterwetter mit Schnee, Kälte und Sonne gibt es fast nie. Auch die Sommer enttäuschen in der Regel, wobei ich da sagen muss, dass ich in den Sommerferien immer außer Landes bin. Aber vor und nach den Sommerferien kriege ich schon alles mit, was da wettertechnisch abgeht im Norden. Aber egal, das soll jetzt gar nicht Thema sein. Wir machen uns nach dem Kaffeekränzchen mit Dracula auf zur Transfagarasan und finden, dass Rumänien einiges zu bieten hat. Wir sind ja eigentlich nur auf der Durchreise, wollen zurück ins Waterhole, um dann alles in die Wege zu leiten für den zweiten Teil unseres Abenteuers. Für die Reise über den Atlantik. Wir merken, dass wir diesem Land in keiner Weise gerecht werden. Wir hetzen hier durch und lassen soviel Schönes am Wegesrand außer acht. So geht das nicht und wir müssen hier wieder herkommen mit mehr Zeit. Aber jetzt ist die Situation eben wie sie ist und wir haben eine Verabredung im Waterhole. Wir wollen zu Weihnachten bei Juttas Eltern sein. Wir wollen Sonja und Lars wieder sehen und gemeinsam Weihnachten feiern, wie wir es in den letzten Jahren immer gemacht haben. Auch mein Stiefvater Heinz hat schon das stolze Alter von 92 Jahren erreicht und wer weiß, wie viele Weihnachten er noch erleben darf. Wir freuen uns auch auf unsere Freunde, wollen viele von Ihnen treffen. Doch auch da wird Einiges anders kommen als geplant. Ich schweife schon wieder ab, Rumänien ist ein tolles Reiseland und durchaus eine ganze lange Reise wert. Das ist uns schon nach kurzer Zeit klar geworden. Wir fahren eine Kurve nach der Anderen und die Sonne scheint. Es ist eine Traumstrecke auch für Biker, dass kann ich beurteilen, da ich früher selber Motorrad gefahren bin. Allerdings nicht im Winter. Je höher wir kommen, desto mehr Schnee liegt auf der Straße und tatsächlich kommt es so, wie es kommen musste. Da steht ein Schild an der Straße: „Durchfahrt verboten!“ Der Pass ist gesperrt.

Widerwillig drehe ich um. Unzufrieden bin ich auch, denn jemand Anderes kommt genau aus der Richtung, wo die Straße gesperrt ist. Ich hadere mit mir und mit Jutta, die natürlich fürs Umdrehen plädiert. Wir wussten es eigentlich und haben auch damit gerechnet. Schon von Oktober an bis März, glaube ich, soll der Pass dicht sein. Zu groß ist die Lawinengefahr und Geröllabgang. Trotzdem denke ich, wir könnten es doch einfach probieren. Wird schon gutgehen, so ist mein Motto. Doch Jutta setzt sich durch und ich gebe klein bei. Wir finden Unterschlupf auf einem zugeschneiten Parkplatz bei einem Restaurant. Eigentlich sind sie dort nicht darauf eingestellt Gäste zu beherbergen, aber wir wollen ja auch nur dort parken. Es wird kurz mit dem Chef telefoniert und dann heißt es: „Na klar könnt ihr dort stehen bleiben.“ 10 Euro soll es kosten und wir sind einverstanden, weil wir nicht mehr weiter fahren wollen und ich immer noch Hoffnung habe, dass morgen alles anders ist und der Pass wie durch ein Wunder freigegeben wird. Wir freuen uns auf jeden Fall in so einem weißen Winterwonderland zu stehen und genießen den Abend bei einem Wein, Käse und Kräckern und einem guten Film. Hier passt sehr gut „Mount Everest“, den habe ich schon mal in Leipzig im Kino gesehen und auch das Buch von Jon Krakauer habe ich verschlungen. Es geht um die Mount Everest Expedition im Jahr 1996 an der Jon Krakauer teilgenommen hat, um im Time Magazin darüber zu berichten. Dies war ein schwarzes Jahr in der Geschichte der Everest-Besteigungen, denn selten oder gar nie zuvor gab es so viele Todesfälle in einer Saison. Ich kann dieses Buch uneingeschränkt empfehlen.

LEMMY im Winterwonderland

Als wir am nächsten Morgen aufbrechen wollen, kommt der Gastwirt raus und will sich von uns verabschieden. Ich halte kurz an und er fragt ob alles in Ordnung war. „Ja klar, alles bestens,“, sage ich. Fast habe ich das Gefühl, dass er ein schlechtes Gewissen hat wegen der 10 Euro, die er uns abgeknöpft hat. Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, dass wir noch bei ihm duschen wollen und evtl. im Restaurant zu Abend essen und wohlmöglich sogar Frühstücken. Hätte er geahnt, dass wir nur dort parken wollen, ohne jeglichen Service in Anspruch zu nehmen, dann hätte er vermutlich nichts verlangt. Aber egal, wir sind zufrieden so wie es ist und ich frage mit einem Fünkchen Hoffnung; „Der Pass rüber nach Sibiu ist gesperrt, richtig?“

„Ja, der Pass ist im Winter gesperrt.“

Jetzt kann ich entspannt und nichts unversucht gelassen zu haben, umdrehen und den Weg, den wir gekommen sind zurückfahren. Nach Hermannstadt, so hieß Sibiu früher, soll es trotzdem gehen. Die 20 Kilometer, die mir über die Passhöhe fehlen werden irgendwann im Sommer nachgeholt. Jetzt sehen wir ganz andere Perspektiven auf der Route, die wir gestern in der anderen Richtung gefahren sind. Und das Allerbeste kommt noch. Ich sehe aus einiger Entfernung ein Auto stehen, mitten auf der Straße. Das muss doch einen Grund haben. Und dann sehen wir den Grund. Direkt am Waldrand an der Straße sind drei Bären. Eine Bärenmutter mit ihren zwei kleinen Bärenkindern. Ich schalte das Warnblinklicht an und halte dort, wo das andere Auto langsam weiter fährt. Sie haben genug gesehen, jetzt sind wir dran. Die Bärenmama ist im Wald und beobachtet uns genau, sie lässt uns nicht aus den Augen. Eines der Bärenkindern kommt zu mir ans Auto und setzt sich auf die Straße, schaut mich an und spricht mit mir. Das ist ein unglaublicher Augenblick. Ich fahre meine Fensterscheibe runter und spreche zu dem Bärenkind. Es antwortet und ohne einander zu verstehen, fahren wir nach einigen Minuten weiter. Ich hatte zuvor schon in Kanada Bären in freier Wildbahn gesehen und auch im Yosemite National Park in Kalifornien, aber nie zuvor war die Begegnung so intensiv.

Bärenmama mit ihren beiden Jungen

Als wir dann weiter fahren, gibt es plötzlich eine Warnmeldung auf unseren Handys. Ich fahre und kann auf meinem Mobilphon nicht nachschauen und Jutta tippt sofort auf die Meldung, die danach nicht mehr zu lesen ist und einfach verschwindet. Sie vermutet einen Unfall vor uns. Vorher in Kappadokien haben wir von den anderen Globetrottern erfahren, dass alle ,auch Touristen, im Land so vor Gefahren gewarnt werden können. Jetzt wird das wohl so eine Warnung gewesen sein, spekulieren wir. „Ist egal!“, meint Jutta „wir fahren sowieso gleich rechts ab und nehmen eine schöne kleine Bergstrecke!“ Auf dieser Passage komme ich mal wieder voll auf meine Kosten, denn es geht auf unbefestigten Dirtroads weiter. Wir sehen viele Dörfer, die weit abgeschnitten sind von der Außenwelt. Die Bewohner müssen beschwerliche Wege auf sich nehmen, um z. B. einzukaufen oder zum Arzt zu kommen. Und ich fahre hier zum Spaß durch und freue mich etwas Offroadfeeling zu haben. Die Menschen, die hier leben wären vermutlich glücklich über eine geteerte Straße oder sogar über eine Schotterpiste. Wie verrückt ist das doch alles und ich komme wieder ins Grübeln. Dankbar für alles, was wir haben und erleben dürfen, fahre ich weiter und werde versuchen meine Eindrücke irgendwie zu ordnen und zu sortieren. Das wird eine ganze Weile dauern.

Auf der Transfagarasan haben wir zuvor an einem Straßenstand eine ganze Stange kleine Brezeln gekauft, für den kleinen Hunger zwischendurch. Die waren aber schon relativ trocken und schmeckten nicht mehr so ganz lecker. Dort gab es auch Gläser zu kaufen, die mit einer bunten Paste gefüllt waren. Da wollte ich schon wissen, was da drin ist und fragte nach. Nutella, bekam ich zur Antwort. Jetzt sehen wir auch wieder wilde Hunde und ich denke: „Den Beiden dort draußen können wir doch unsere Brezeln geben, die werden sie liebend gerne nehmen. Wir halten und verfüttern die Brezeln an die Hunde und danach schaue ich mal auf mein Handy. Ich habe ja dieselbe Warnmeldung (die Jutta so schnell weggetippt hat) auch bekommen und jetzt sind wir schlauer. Ich entsperre mein Handy und die Meldung ploppt auf. Jutta fotografiert sie mit der Übersetzter App ab, da sie ja auf rumänisch ist. Es war eine Gefahrenmeldung, dass man auf einem bestimmten Abschnitt der Transfagarasan nicht das Auto verlassen soll. Es wurden drei Bären gesichtet.

Das Bunte soll Nutella sein…

Sibiu erreichen wir am späten Nachmittag und der Park4night Platz ist voll. Wir stehen in einer langen Schlange. Diesmal ist der Begriff gerechtfertigt, denn es stehen mindestens ein Dutzend Autos vor uns. Jedes Mal wenn ein PKW rausfährt, kann ein Anderer durch die Schranke hinein. Jutta will schon nach einen anderen Parkplatz suchen, doch die Lage hier ist zu perfekt und ich dränge zur Geduld. Wir sind wieder direkt im Altstadtbereich und selbst wenn wir hier eine halbe Stunde oder länger warten, dann wird es sich auszahlen. „Aber kommen wir dann auch in die engen Parklücken?“, ist Juttas Sorge und ich versichere ihr, dass wir eine finden werden die passt. Und das Warten hat sich gelohnt. Nach ca. 25 min. stehen wir an der Schranke und es fährt jemand runter und wir können drauf. Die erste Parklücke, die wir sehen passt. Check. Bis in die Altstadt ist es ein Katzensprung und wir ziehen sofort los. Das Wetter spielt mit und wir haben eine verschneite, schnuckelige und weihnachtliche Altstadt vor uns. Wir spazieren am wunderschönen Weihnachtsmarkt vorbei, der Zaun ist niedrig und wir sehen wie die Kinder Schlittschuh laufen und die Erwachsenen an den Buden und Ständen stehen. Wir suchen uns ein nettes Restaurant aus, wo wir einen schönen Ausblick haben. Ich bestelle mir nach langer Zeit mal wieder ein schönes Filetsteak mit Bratkartoffeln und Gemüse an einer Pfeffersoße. Dazu ein großes local beer.

Weihnachtsstimmung kommt

Auf dem Weg über den Weihnachtsmarkt haben wir einen Container gesehen, in dem arbeitswillige Ärztinnen hinter einer riesigen Glasfront saßen, die aber nichts zu tun hatten. Nach dem Essen haben wir dort angeklopft und wurden sofort reingebeten. Wir haben gefragt, ob wir uns hier boostern lassen können und wieder waren wir soo kurz davor. Doch auch hier sind die bürokratischen Hürden zu hoch. Wir hätten hier, wie auch in Sofia, sofort den Piks bekommen können, doch wäre er international nicht anerkannt worden. Wir hätten also den Schutz gehabt, doch wir wollen weiter reisen, wollen in die USA und nach Kanada, wo die Auflagen besonders hoch sind. Also versucht Jutta von unterwegs am Waterhole eine Boosterimpfung für uns zu organisieren.

Budapest und Prag haben wir bereits von unserer Liste gestrichen. Wir hatten Einladungen von unserer neuen Reisebekanntschaft aus Griechenland erhalten, Helmut und Katrin. Wir könnten doch dort auf unserem Rückweg ins Waterhole vorbeikommen. Schließlich waren wir uns bei unserem ersten Treffen an den Meteoraklöstern auf Anhieb sehr sympathisch. Während unserer gesamten Reise bin ich immer wieder in Kontakt mit Helmut und er liest meinen Blog sehr gründlich und teilt mir mit, was er davon hielt. Er macht mir Mut weiterzuschreiben und motiviert mich. Manchmal gibt es ausführliche Rezensionen und er beschreibt ganz genau, was er bei manchen Passsagen, die ich durchlebt und beschrieben habe, gefühlt hat. Das gibt mir viel und dafür bin ich ihm auch sehr dankbar. Also kündigen wir schon mal einen Termin an, an dem wir vermutlich in Deutschland einreisen werden.

Auch bei Manfred und Achim aus Nürnberg sind wir eingeladen. Die beiden kennen wir von einem Oman Treffen, das im Jahr 2019 stattgefunden hat. Dort sind Leute, die dasselbe Fahrzeug wie wir fahren, um zu einem Erfahrungsaustausch zusammen zukommen. Manfred hat auch sehr dazu beigetragen, dass ich motiviert weiter schreibe. Nach meinem Griechenland Blog hat er mir mitgeteilt, dass er nun auch nach Griechenland fahren will und sich einen Müllgreifer zulegen wird, wie ich einen habe, um dort Müll zu sammeln, wie ich es getan habe.

Straßenkunst aus Sibiu

Um jetzt die Kurve zu kriegen für den weiteren Routenverlauf kommt nun noch Wien ins Spiel. Dort arbeitet ein lieber Ex Kollege von mir. Er heißt Athi, ist Tonmeister und hat die Tonabteilung in Bremen geleitet. Nun ist er an der Staatsoper in Wien als Tonmeister und Abteilungsleiter beschäftigt. Den können wir ja auf dem Rückweg auch mal kurz besuchen.

Dann gibt es noch einen anderen lieben Kollegen aus meiner eigenen Abteilung, den Karl. Der ist vor einigen Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gegangen und hat eine besonders große Lücke hinterlassen. Der lebt jetzt in Passau.

Jetzt kommt noch eine Gastspielreise mit dem Theater ins Spiel, die auch einen erheblichen Einfluss auf die Route nimmt. Ich war vor langer Zeit mit einer kleinen Oper, mit „RAOUL“ auf Tour in Szeged. Das war ein besonders einprägsames Erlebnis. Wir waren zu einem Festival in Ungarn eingeladen. Nun war es so, dass wir in einem sehr skurrilen und heruntergekommenen Hotel untergebracht wurden. Zu früheren Zeiten mag es wohl mal eine Klinik gewesen sein. Jedenfalls konnten wir durch die alten Hotelflure das Nebengebäude betreten und in dem alten, verlassenen Sanatorium umherlaufen. Das war abenteuerlich und unheimlich, denn die Arztzimmer waren zum Teil noch mit Mobiliar ausgestattet und man konnte sich vorstellen, wie die Patienten hier behandelt wurden. Da wir nun tagsüber viel gearbeitet haben und dann abends noch die Vorstellung war, blieb nicht viel Zeit diese Örtlichkeit zu untersuchen, außer in der Nacht, wenn wir ziemlich betrunken aus der Kneipe zurück kamen. Die Kneipe ist das nächste Stichwort. Wir Techniker waren auf der einen Seite vom Fluss, die Künstler waren auf der anderen Seite vom Fluss. Auf der Seite, wo auch das Theater war und das schicke Hotel, in dem sie wohnten. Wir liefen also jeden Tag über die Brücke zum Theater und dabei kamen wir an einer ziemlich abgefuckten Kneipe vorbei. Marianne von der Kostümabteilung, Mirko und ich sind dann also nach der Schicht immer in diese olle Spelunke rein um noch ein paar Bier zu trinken. So ist das auf Gastspiel halt, man kommt zusammen wie es sonst im regulären Betrieb selten möglich ist. Und diese Kneipe war echt speziell. Einer der Stammgäste dort tanzte mit Jogginghose auf der kleinen Tanzfläche oder vielleicht war es auch ein Schlafanzug. Das war damals keinesfalls modern, falls das jemand denken sollte. Naja, die Kneipe war dreckig, sie war rustikal und laut. Genau so wie ich es mag. Und jetzt, wo ich all das für mich so sortiere, ergibt sich die Route fast von alleine.

Wiener Staatsoper – Athis Arbeitsplatz

Nur eine Sache fehlt noch. Maddi hat mir geschrieben, das Ceski Krumlov in der Tschechei so toll sein soll und dass dort auch Hostel gedreht wurde. Jetzt ist wirklich alles klar. Wir fahren von Hermannstadt nach Szeged, dann kann ich Jutta mal die abgefuckte Kneipe zeigen. Danach fahren wir Athi in Wien besuchen und von dort geht es weiter nach Ceski Krumlov, um die Hostel Filmkulisse zu sehen. Von dort aus fahren wir durch Passau bei Karl vorbei und besuchen anschließend Helmut und Katrin auf ein Abendessen und bleiben über Nacht. Um die Etappe nach dem Besuch bei Katrin und Helmut in Ingolstadt nicht zu lang zu gestalten, wollen wir noch eine letzte Zwischenübernachtung in Leipzig machen, da wir diese Stadt sehr mögen.

Dann heißt es endgültig zurück ins WATERHOLE, um Weihnachten bei der Familie zu sein und die Vorbereitungen für den 2. Akt von unserem Abenteurer vorzubereiten.

Zunächst geht es jetzt weiter von Sibiu nach Szeged in Ungarn. Um unsere dürftigen Rumänieneindrücke noch ein wenig zu erweitern, nehmen wir nicht die Autobahn, sondern entscheiden uns für ein langsameres Vorankommen auf Landstraßen. So sehen wir doch noch einiges mehr von diesem schönen Land, auch wenn es nur im vorbeifahren ist.

Wir kommen bei regnerischem und kaltem Wetter in Szeged an und ich erkenne die Brücke gleich wieder, über die wir immer zum Theater auf die andere Flussseite gelaufen sind. Hier können wir auf einem großen Parkplatz umsonst stehen. „Die Kneipe müsste gleich da drüben sein.“, sage ich zu Jutta.

Ich mache es kurz, wir gehen rüber zu der Kneipe und sie ist nicht wiederzuerkennen.

Es wurde alles komplett neu renoviert und vom damaligen Charme ist nichts mehr übrig geblieben. Ein seelenloses Bistro ist daraus geworden und mehr gibt es dazu nicht zu sagen, außer dass ich meinem Kollegen Mirko ein paar Fotos schicke und ihn frage, ob er erraten kann, wo ich gerade bin. Ein paar Tipps habe ich ihm natürlich gegeben und er schickt mir ein anderes Bild zurück, von einer abgefuckten Disco, an der wir auch vorbei gelaufen sind, auf dem Weg zu unserer Schicht. Er wusste sofort, wo wir uns gerade befinden und konnte sich noch gut an unsere gemeinsame Gastspielreise erinnern.

Viel zu gepflegt für Jürgen

Fast überflüssig zu erwähnen, aber auch das alte Hotel wurde renoviert und ist nicht mehr wiederzuerkennen. Enttäuscht verlassen wir Szeged (naja, enttäuscht war eigentlich nur ich…), um Abends dann meinen alten Kumpel Athi in Wien zu besuchen.

Selbstverständlich habe ich uns angemeldet, allerdings hatte ich seine Telefonnummer nicht mehr. Ich habe meiner Kollegin Corinna eine Nachricht geschickt, ob sie denn noch Athis Kontaktdaten habe. Hatte sie nicht, allerdings hat sie Jack (einen anderen Tonkollegen) angeschrieben, der sich dann bei mir gemeldet hat. So kam es dann, dass wir einen schönen Abend in Wien verbracht haben, mit einem Bummel über den Weihnachtsmarkt und einem Besuch bei meinem Kollegen zu Hause.

Cesky Krumlov

Von Wien aus fahren wir nach Tschechien, nach Cesky Krumlov. Dort hat Jutta einen kostenpflichtigen Parkplatz rausgesucht, der aber sehr zentral an der Altstadt liegt. Es ist bereits dunkel als wir uns auf den Weg machen. Schnell sehen wir die alte Stadtmauer, die schön beleuchtet wird und ich erkenne auch direkt die Filmkulisse aus HOSTEL von Eli Roth. Wir durchschreiten das Tor, kommen über eine Brücke über die Moldau und befinden uns mitten in der Altstadt. Es sind kaum Menschen unterwegs, das macht es etwas unheimlich in den düsteren Gassen, besonders wenn man an den Film denkt. Im Film geht es darum, das perverse reiche Leute Gefallen daran finden andere Menschen zu quälen und zu foltern. In Bratislava (der Drehort ist eben zum Teil Cesky Krumlov) können sie gegen eine nicht unerhebliche Summe, auf einem alten Fabrikgelände ihre perversen Triebe ausleben.

Mehr wird nicht verraten. Der Film lohnt sich auf jeden Fall, wenn man etwas härtere Horrorfilmkost mag.

Wieder mal kaum Touristen, sehr schön!

Wir entdecken noch ein tolles, ganz kleines Museum „C. K. Kupecky Kram“, wo wir nicht umhinkommen diverse alte Blechschilder zu kaufen. Die sollen später unsere Garage von außen schmücken und unsere Sammlung erweitern. Etwas essen wollen wir auch noch und finden nach längerem Suchen ein landestypisches Restaurant, KRCMA Satlavske. Dort endet unser Abend in Cesky Krumlov.

Wir lieben Blechschilder!

Heute sind wir bei Katrin und Helmut in der Nähe von Ingolstadt zum Essen eingeladen und wir werden nach Monaten das erste Mal wieder in Deutschland sein.

Vorher aber wollen wir meinen Requisiteurkollegen Karl in Passau besuchen. Leider konnte ich ihn telefonisch nicht erreichen, aber da es fast auf dem Weg liegt, fahren wir einfach spontan vorbei. Die Adresse hatte ich natürlich auch nicht dabei, aber ich habe meine Kollegin Addi in der Requisite im Theater angerufen und sie konnte mir alle Daten geben, die ich brauchte. Ich klingele an seiner Türe und er öffnet, ein wenig verschlafen. Ich habe wohl seine Mittagsruhe gestört.

„Hallo Karl.“, sage ich, „kennst mich noch?“ Ich trage eine FFP 2 Maske.

„Jürgen, ja klar, was machst du denn hier?“

Wir kommen etwas ungelegen und unangemeldet, darum quatschen wir nur ein wenig, gucken uns einmal unser Reisemobil an und verschieben alles andere auf einen zukünftigen Besuch. Dann aber mit Anmeldung. Ich freue mich trotzdem sehr Karl mal wieder gesehen zu haben und ihm auch persönlich noch mal mitzuteilen, wie sehr er mir fehlt in der Abteilung.

Das wär was für dich, Maddi!

Etwas verspätet, kurz nach sechs Uhr, fahren wir dann bei Katrin und Helmut vor. Hier verbringen wir einen wunderbaren Abend in einer kleinen geselligen Runde. Der Nachbar der Beiden, der sich genauso ein Fahrzeug wie unseren LEMMY bestellt hat, war damit quasi der Auslöser für das Kennenlernen in Griechenland. Helmut hat uns ja nur wegen unserem LEMMY bei den Meteora Klöstern angesprochen. Und da der Nachbar ebenfalls meinen Blog liest, wollte er uns gerne kennenlernen und war später an diesem Abend mit dabei. Weil Helmut am nächsten Morgen einen wichtigen Termin hat und wir nach dem gemeinsamen Frühstück weiter wollen nach Leipzig, wird es auch nicht zu spät an diesem Abend.

Beim Frühstück wird genauso ungezwungen weitergequatscht, als würden wir uns schon lange kennen. Wir nehmen uns vor, das nächste Mal ein Treffen bei uns zu verabreden, wenn wir wieder zurück sind von unserer weiten Reise durch Nordamerika.

Mit Manfred und Achim klappt das Treffen leider nicht, dort in Nürnberg wollten wir eigentlich wenigstens auf einem Kaffee halt machen. Ursprünglich wären wir am Freitag bei Helmut und Katrin aufgelaufen, jetzt wurde es doch schon Donnerstag, weil wir keine zweite Nacht in Cesky Krumlov verbracht haben.

Ambiente top …
…Essen not, aber auch nicht schlecht!

Nun, einen Tag früher hatte Manfred einen Termin und das Treffen platzte leider und wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Mit Leipzig wird es auch nichts, denn das Coronavirus wütet wieder sehr im Osten und es gibt viele Einschränkungen was das öffentliche Leben angeht. Und eigentlich wollten wir dort entspannt bummeln, shoppen und einen schönen Abend verbringen…

Ich sage zu Jutta: „Scheiß drauf, dann fahren wir einfach durch ins WATERHOLE!“

…und was als nächstes geschieht….

Ein kurzes ZWISCHENSPIEL im WATERHOLE

  1. AKT

KANADA – CHAPTER I

Eine Expeditionsmobil Überseeverschiffung und wie wir verzweifelt versuchen doch noch irgendwie Halifax zu erreichen.

Chapter 12 – Georgien

…und wie wir verlassene Sanatorien durchstreifen und warum mir ein Hund Tränen in die Augen treibt und schlaflose Nächte beschert…

…..Habe ich das gerade geträumt oder habe ich da eben Motorengeräusche gehört?“ Abrupt werde ich aus dem Schlaf in die Realität geholt. „Hast du das auch gehört?“, frage ich Jutta, die noch nicht ganz wach ist. „Was soll ich denn gehört haben?“, bekomme ich erwidert. „Ich glaube sie sind gekommen, die sind echt verrückt.“ Dann höre ich wie sie näher kommen und die Motorengeräusche lauter werden. Da kommen sie um die Ecke mit ihren beiden Kastenwagen mit der Doppelbereifung. Ohne Allrad zwar, aber 4 Wheel Drive kann man ja trotzdem sagen, auch wenn es nur hinten ist, oder?

„Lass uns schnell anziehen und die Verrückten begrüßen.“, sage ich zu Jutta und dann geben wir echt Gas. Sie fahren vorne an den Fluss und der strenge Ranger lässt sie gewähren. Möglicherweise liegt es daran, dass Erika russisch spricht und sich mit den Georgiern verständigen kann. Wir freuen uns sehr, dass sie heile und ohne Schäden angekommen sind. Auf meine Frage wie die Abfahrt mit ihren Autos war, bekomme ich zu hören, dass sie manches Mal die Spur haben ausbessern müssen. Löcher und tiefere Rinnen, bei denen ein Umkippen drohte, mussten teilweise mit Steinen, Sand und Ästen gefüllt werden. „Das war schon ganz schön anspruchsvoll.“, bemerkt Chris, der mit seinem Kastenwagen besonders kopflastig ist. Ich habe aller größten Respekt vor dem Wagemut, den die beiden Fahrer hier an den Tag legen. Denn Chris und Sebastian haben nicht die technischen Möglichkeiten, wie ich mit dem Ford Ranger. Sie müssen die fehlende technische Unterstützung mit Tollkühnheit, mit Erfahrung und mit fahrerischem Können ausgleichen. Und natürlich mit gelegentlichem Präparieren der Strecke.

Levin bereitet das Lagerfeuer vor

Wir geben ihnen Zeit zum Ankommen, genießen die wärmende Sonne am Fluss und schauen rüber nach Aserbaidschan. Dabei löse ich ein Sudoku und genehmige mir ein Bier. Am Abend sind wir zum Lagerfeuer verabredet. Levin, der Junior von Chris und Erika, ist bereits fleißig am Holz sammeln, sägen und stapeln. Dann verbringen wir einen schönen Abend gemeinsam am Feuer und lernen uns etwas besser kennen. Wir verabreden auch noch den nächsten Tag zusammen zu verbringen und gemeinsam in die Black Mountains zu fahren. Mit drei Fahrzeugen ist es natürlich sicherer. Bei Problemen kann man sich gegenseitig helfen und wir finden auch alle beiden Teams sehr sympathisch. Natürlich merken wir sofort, dass wir zwei eingespielte Teams vor uns haben, die sich schon länger kennen und auch schon das ein und andere Abenteuer zusammen erlebt haben. Das stört uns aber auch nicht und wir sind gerne, uns etwas zurücknehmend, einfach mit dabei. Da es nicht mein Lagerfeuer ist, an dem wir dann am Abend zusammen kommen, beobachte ich nur wie hin und wieder Mal etwas Holz nachgelegt wird und genieße die Wärme und die lichtspendenden Flammen. Irgendwann zieht sich Jutta zurück und eine Weile darauf verabschiede ich mich dann auch.

Am nächsten Morgen haben wir wieder super Spätsommerwetter. Damit haben wir nicht wirklich gerechnet zu dieser Jahreszeit. Wir freuen uns auf das, was der Tag uns so bringen mag. Nach dem Frühstück sind wir dann auch so um 11:00 Uhr startklar … und müssen uns in Geduld üben. Am Feuer gestern Abend haben wir erfahren, dass „Globelotte53“ und Frieda und Sebastian es gerne gemütlich angehen lassen. Aber das es so gemütlich wird, damit haben wir nicht gerechnet. Chris will noch eben den Wagen von unten abschmieren und parkt dazu um, auf unsere Seite zwischen den beiden Bungalows. Da kann er sich besser unter den Wagen legen auf der grünen Rasenfläche. Dazu spielt er mit seiner Boom Box den grandiosen Soundtrack von Eddie Vedder aus dem Film INTO THE WILD, einem tollen Roadmovie. Ich fülle Wasser auf, mache Sudoku, genieße die Ausblicke über den Fluss auf dieses fremde und unerreichbare Land und suche mir noch andere Aufgaben, die ich erledigen kann, während wir warten, bis die anderen fertig sind.

Es wird zwölf Uhr. Es wird ein Uhr. Wir werden langsam ungeduldig und überlegen schon mal vorzufahren. Das könnte aber auch unhöflich wirken. So als ob wir keinen Bock mehr haben, denken wir so bei uns. „Geh doch mal rüber und frag wie lange es noch dauert.“, sage ich zu Jutta. „Mach du doch!“, kriege ich zu hören und sage: „Ok, dann geh ich eben.“ Ich gehe zuerst zu Erika, sie kommt gerade aus der Dusche und kämmt sich die Haare. „Hey du, wie lange braucht ihr noch ungefähr? Wir überlegen sonst schon mal vorzufahren.“ „Weiß ich auch nicht, frag mal Chris.“, sagt sie. Ich gehe rüber zu Frieda und Sebastian und frage dort. „Sind gleich fertig.“, bekomme ich als Antwort von Frieda, die auch noch mit der Morgentoilette beschäftigt ist. Was „gleich fertig“, bedeutet, weiß ich jetzt aber auch noch nicht. Ich gehe zu Chris und frage ihn, ob sie es denn bis halb zwei schaffen werden, denn sonst fahren wir schon mal vor. Gleichzeitig entschuldige ich mich für mein Drängeln. „Klar!“, sagt Chris „das schaffen wir, wir brauchen den Druck, sonst kommen wir nicht in Gang.“ Um 13:30 sind wir alle startklar. Beim Verlassen dieses traumhaften Platzes kommen wir wieder an diesem kurios abgestellten Stuhl an dem Baumstumpf vorbei.

Sit down and relax!

Jetzt sind wir mit drei Fahrzeugen unterwegs. Chris fährt vorweg mit Erika, Levin und dem Hund Ayla. Dann dahinter Sebastian und Frieda und das Schlusslicht bilden Jutta und ich mit LEMMY. Wir müssen den selben Weg zurück, den wir gekommen sind, denn die Route entlang des Grenzflusses ist aktuell nicht passierbar. Es hat zu viel geregnet in der letzten Zeit und konnte in der Ebene nicht abfließen. So kommen wir wieder durch dieselbe Furt, passieren die Kontrollstation, ohne kontrolliert zu werden und erreichen eine scheinbar verlassene Farm. Wenn im Winter die Herden von den Weiden heruntergetrieben werden, füllt sich dieser Ort wieder mit Leben. Jetzt können wir aber alles ungestört erkunden. Vor einer alten Scheune hängt ein breites „Kentucky Fried Chicken“ Banner. Alle stellen sich an und tun so als ob sie etwas bestellen wollen und es nicht schnell genug geht. Sie rufen und schimpfen und drängeln. Ich fotografiere die ganze Szene. Es gibt noch mehr zu entdecken, zugewachsene Gärten, Häuser und eine kleine Schlafkammer eines Hirten, vermute ich. Ayla macht sich derweil selbständig und muss mühevoll überzeugt werden sich uns wieder anzuschließen.

Einen Eimer Chickenwings bitte!

Weiter geht es denselben anspruchsvollen Weg, den wir schon auf dem Hinweg gemeistert haben, zurück. Der größte Unterschied ist diesmal, dass es meistens bergauf geht. Ich freue mich auf diese Erfahrung auch mal längere Passagen mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad bergan zu fahren. Es ist auch noch relativ trocken, da hier das abgeregnete Wasser abfließen konnte und die Piste nicht so aufgeweicht ist, wie der Boden entlang des Flusses. Trotzdem müssen wir das ein und andere Mal halten, um die Strecke erneut zu präparieren. Eine steile Passage aufwärts knickt oben noch vor der Kuppe links ab und Chris fürchtet in eine tiefe Auswaschung auf der linken Seite zu rutschen. Der Boden ist feucht und die Spur schmal und eine starke Schräglage ist nicht zu vermeiden. Sollte er in diese tiefe Auswaschung, in diese Spur reinrutschen, dann könnte er mit seinem Wagen umkippen, fürchtet er. Also alle Mann ran an die Schaufeln, raus aus den Autos und Sand schippen. Die große Rinne wird gefüllt. Alle helfen mit. Die Ladys schmeißen Steine rein, Levin sammelt rumliegende Äste und wir schippen Sand und füllen damit auf. Danach treten wir die ausgebesserte Stelle fest. Chris fährt als Erster. Durch die große Steigung muss er ordentlich Gas geben im kleinen ersten Gang. Er braucht etwas Geschwindigkeit, um hier diese Hürde zu nehmen. Er kommt gut durch, dann ist Sebastian dran. Auch das gelingt gut. Jetzt fahre ich mit LEMMY hoch oder soll ich sagen LEMMY mit mir? Ich fahre mit 4 Wheel Low und muss nichts machen außer lenken. Den Rest macht die Technik vom Ranger. Manchmal beneide ich Chris und Sebastian für ihre Tollkühnheit, für ihren Wagemut und den Abenteuergeist. Es wurde ihnen abgeraten mit diesen Fahrzeugen in den Park zu fahren. „Das geht nicht ohne Allradantrieb.“, hieß es. Naja, Allradantrieb haben sie nicht, aber mit der Doppelbereifung hinten gleichen sie dieses Defizit etwas aus und es geht deutlich mehr, als man erwarten mag. Das haben sie bewiesen.

Mal wieder ein Fotostop

Langweilig wird es nicht. Die Auswaschungen werden etwas weniger, doch die Steigung nimmt zu, es wird feuchter und der lehmige Boden wird rutschiger. Teilweise haben wir das Gefühl, wir fahren eine Wand mit 45 % Steigung hoch. Wieviel die Steigung tatsächlich beträgt, wissen wir nicht. Wir folgen und verlassen uns auf das Routing der Anderen. Jutta hat eher Zweifel als ich, aber wir kommen dennoch an. Obwohl es manchmal nicht ganz klar war, ob wir links oder rechts weiterfahren sollten. Die Aussicht wird immer spektakulärer, wir kommen immer höher und schauen auf die Umgebung und die anderen Berge runter. Wenn es besonders steil aufwärts geht warten wir, bis Sebastian oben ist. Dann erst fahre ich hinterher. Sebastian klebt immer ziemlich nah am Heck von Chris, obwohl das nicht ganz ungefährlich ist. Chris könnte nach vorne Probleme haben und zurücksetzen müssen oder wollen. Er könnte technische Schwierigkeiten bekommen und hinter sich Platz brauchen. Oder er könnte ins Rutschen kommen und dann nicht nur sich, sondern auch den nachfolgenden Fahrer ins Unglück reißen oder oder oder. Chris scheint es nicht zu stören und er lässt Sebastian gewähren. Jedenfalls sind wir oben bevor es dunkel wird und die Aussicht ist der Wahnsinn.

Jetzt müssen wir nur noch überlegen, wie wir die Nacht über stehen werden. Da es eine Sackgasse ist und wir den selben Weg morgen zum Teil wieder zurückfahren, können wir ruhigen Gewissens auf der Piste stehen bleiben. Es wird heute Abend niemand mehr kommen, der noch an uns vorbei fahren will. Das ist die vorherrschende Meinung. Also geht es jetzt nur noch darum eine Position zu finden, die einigermaßen gerade ist. Es wird etwas diskutiert, wie es so üblich ist. Mach doch dies, fahr doch dahin und so weiter. Sebastian entscheidet sich schnell und fährt abseits des Pfades um zu drehen und schon knallt es laut und der Motor steht still. Ein verficktes Metallgeflecht, unsichtbar im hohen Gras hat sich von unten in den Motor gefressen.

Verf* Eisenstange!

Mit grober Kraft und ohne Rücksicht auf Verluste reißt Chris das verdammte Metallgeflecht heraus. Sebastian startet das Auto. Alle drücken die Daumen und tatsächlich, der Motor läuft anschließend ohne Probleme. Nachdem wir alle die perfekte Parkposition gefunden haben treffen wir uns zum Lagerfeuer wieder. Erneut verbringen wir einen sehr angenehmen Abend mit anderen Overlandern, mit für uns eigentlich fremden Menschen, mit denen uns trotzdem soviel verbindet. Die Liebe zum Reisen, die Welt zu entdecken und Neues zu erleben. Hier und heute lernen wir uns noch besser kennen am Feuer. Erika erzählt lustige Anekdoten von Zuhause, Frieda will wissen, wie wir (Jutta & ich und Erika & Chris) uns/sich kennengelernt haben. Ich kippe mit meinem kleinen Klapphocker kopfüber nach hinten (denn ich sitze ziemlich abschüssig) und sorge damit für Heiterkeit, Zum Glück passiert mir weiter nichts. Wir haben erneut einen tollen Abend am Lagerfeuer, aber auch dieser Abend geht irgendwann zu Ende und wir gehen schlafen…

Bis zur Weiterfahrt mit unseren neuen Reisepartnern auf Zeit, müssen wir wieder etwas länger warten, das wissen wir ja schon. Deshalb lassen wir uns besonders viel Zeit für das Frühstück und unsere beiden obligatorischen Morgenkaffees. Was Jutta und mir jetzt noch nicht klar ist, wir werden uns noch am heutigen Tag trennen von unseren Gefährten. Es wird zu unschönen Begegnungen auf einem alten Militärflughafen kommen.

Braucht noch jemand nen Hoodie?

Was mir jetzt auch noch nicht klar ist, dass eine „Followerin“ von uns auf Instagram die Freundin von meinem alten Schulkumpel Stefan ist. Sie gibt mir sehr wertvolle Tipps, denn sie war kurz vor uns mit Stefan hier in Georgien.

Heute müssen wir den Vashlovani N.P. verlassen. Es ist der vierte Tag und damit läuft unser Permit aus. Von Sarah haben wir über Instagram erfahren, was ihre Highlights auf ihrer dreiwöchigen Reise waren. Sie hat mir sehr ausführlich beschrieben, was sie alles gesehen, erlebt und gemacht haben. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank. Für den N.P. hatten sie sich einen kleinen Suzuki mit Allrad gemietet. Bedenken hatte sie wegen unserer Größe, ob wir da wohl überall durchkommen mit LEMMY? Wie sich jetzt zeigt, ist LEMMY bestens gerüstet für diesen Park.

Stepanzminda im großen Kaukasus, nahe der russischen Grenze war besonders schön, schreibt sie uns. Erstmal der Weg dahin durch die Berge und dann die Aussicht auf den 5047 m hohem Kazbegi. Das solltet ihr auf jeden Fall machen. Obwohl, hieß es nicht der große Kaukasus sei ab Oktober nicht mehr befahrbar? Wir wollen es noch herausfinden. Dann erfahre ich von alten, verlassenen Sanatorien in Zqaltubo (Tskaltubo, Tschaltubo). Erfahre von heißen Quellen, die nach faulen Eiern stinken, aber ein Bad darin trotzdem empfehlenswert und belebend sein soll. Sarah schwärmt von einer feuchtfröhlichen Begegnung in einer Pension, in der sie die Nacht verbracht haben und dabei ziemlich viel gebechert wurde. Sie wurden zum Wassermelone essen eingeladen, von einem Georgier und einer russischen Frau. Dazu gab es reichlich lokalen Wein und Chacha. „Ushguli ist eine ganz andere Welt, das solltet ihr auf keinen Fall auslassen, ebenso Mestia.“, schreibt sie. In Bordjomi gibt es das berühmte Quellwasser zu trinken, das kann aber unter Umständen auch schon mal Brechreiz auslösen. Wir erfahren unfassbar viel, z. B. das Kutaissi, neben der Hauptstadt Tbilisi auch Einiges zu bieten hat. Alles was sie uns von ihrem dreiwöchigen Roadtrip durch Georgien berichtet, können wir gar nicht mehr schaffen. Ich will wohl sehr gerne nach Ushguli fahren, davon schwärmen alle. Doch auch dieser Ort liegt mitten im großen Kaukasus und im Winter kommt es oft vor, dass dann einige Pässe wegen starkem Schneefall nicht befahrbar sind. Das kann von ein paar Tagen bis hin zu Wochen dauern, bis sie wieder geräumt werden. Obwohl die Straße von und nach Ushguli soll geräumt werden, hören wir jedenfalls. Ob diese Information verlässlich ist, wissen wir nicht. Jutta sagt erstmal „No“ und wir versuchen zunächst mal nach Stepanzminda zu kommen, um einen Eindruck vom großen Kaukasus zu gewinnen. So bekomme ich also viele tolle Tipps und Anregungen von Sarah aus Hamburg und wir nehmen Einiges davon mit in unsere Reiseplanung auf.

Landebahn des verlassenen Militärflughafens

Am späten Vormittag sind wir alle startklar. Der Motor von Sebastians Mercedes läuft und hat keinen Schaden genommen durch dieses verbogene Eisengestänge im hohen Gras gestern. Wir haben die Fahrzeuge in Fahrtrichtung ausgerichtet und fahren los, den Weg zurück, den wir gestern gekommen sind. Dann kommt eine Gabelung und wir biegen ab auf eine uns unbekannte Piste. Das gemeinsame Ziel ist ein alter Militärflughafen, ein „Lost Place“ der besonderen Art. Die Permits der anderen Teams enden auch am heutigen Tag. Bevor es zu regnen anfängt, wollen wir den Vashlovani Park verlassen haben. Es geht gut voran und mit einigem Abstand folgen wir wieder an dritter Position. Was wir hier die letzten Tage erlebt und an Erfahrung und Fahrpraxis gesammelt haben, das ist wirklich unbezahlbar. Ich bin viel vertrauter geworden mit LEMMY und was Jutta jetzt in einer unglaublichen Gelassenheit mitmacht, ist vor einer Woche unvorstellbar gewesen.

Wieder geht es rauf und runter und wir verarbeiten noch die Eindrücke der letzten Tage. Gestern sahen wir in weiter Ferne noch die schneebedeckten Gipfel des großen Kaukasus und nebenan im nebligen Dunst, die verschwommenen Black Mountains.

Das war heikel! Das passende Video dazu gibts auf Instagram 😉

Was ist jetzt? Vor uns wird gestoppt und alle steigen aus den Autos aus. Auch wir steigen aus, um zu sehen was los ist, warum wir hier anhalten. Eine Vermutung liegt nahe: Der vor uns liegende Streckenabschnitt muss begutachtet werden. Was sich herausstellt ist Folgendes: Der Weg führt feucht und rutschig ziemlich steil runter. Erschwerend kommt hinzu, dass die Strecke nach rechts arg schräg abfällt. Man droht in eine tiefe Rinne zu rutschen, was ein Umkippen des Fahrzeugs zur Folge haben könnte. Besonders Chris befürchtet, das genau dieser Fall eintreten könnte. Also wieder alle ran an die Schaufeln, um diese Rinne von etwa 3 Metern Länge zu füllen. Sollte es dann so sein, dass die Reifen ins Rutschen kommen, kippt man wenigstens nicht gleich so tief weg. Chris probiert es sehr langsam und vorsichtig, bremst kurz an und rutscht sofort. Dann kommt er zum Stehen. Das war nur ein Test vor der Abfahrt. Hier sieht man sehr anschaulich, was passieren kann, wenn man in solchen Situationen auf die Bremse tritt. Ist man etwas schneller unterwegs und bremst zur falschen Zeit an der falschen Stelle, dann wird ein mehrere Tonnen schweres Fahrzeug ganz schnell unkontrollierbar.

Mit erneuten Ausbesserungsarbeiten an der Spur, mit dem Festtreten des geschaufelten Sandes und mental auf die Strecke vorbereitet, geht es los. Chris fährt los, ganz langsam. Erika filmt von vorne. Ich schicke sie dort weg. Sie steht genau an der kritischen Stelle, an der die Strecke eine leichte Linkskurve macht und das Auto droht nach rechts abzurutschen. Zeitgleich hupt Chris schon und fuchtelt mit den Händen, dass sie dort verschwinden soll. Langsam geht es runter und ohne zu bremsen kommen die Hinterräder ein wenig ins Rutschen. Der rechte Hinterreifen kommt der präparierten Stelle immer näher. Doch dann fangen sich die Räder wieder, haben mehr Grip. Ohne abzurutschen auf unserem notdürftig reparierten Abschnitt, kommt Chris heil und unversehrt an dieser Passage vorbei. Als Nächster fährt Sebastian und wird dabei von Frieda gefilmt. Alles geht gut. Jetzt kommen wir dran und Frieda filmt auch uns. Ich nutze die Untersetzung und fahre mit 4 Wheel Low, schalte gleich in den zweiten Gang und lasse LEMMY einfach laufen. Ich muss nur noch lenken und nehme den Fuß von der Bremse, das übernimmt jetzt der Motor für mich. Gleichmäßig ackern sich die BF Goodrich AT Reifen durch den feuchten, weichen Lehmboden. Ich spüre ein kleines Rutschen der Hinterräder, wie es zuvor auch bei Chris der Fall war. Dann ist der Ranger wieder in der Spur und kommt ebenso unbeschadet bei den Anderen an.

Wir erreichen eine Lichtung mit schöner Aussicht und machen einen Fotostop. Sebastian und Frieda fotografieren viel und gerne, schließlich haben sie ihr Hobby zum Beruf gemacht. Von Weitem sehen wir ein anderes Fahrzeug kommen. Aus der Richtung, die wir bereits hinter uns haben. Es ist noch weit weg und nur winzig klein, aber es scheint ein weißer Pickup Camper zu sein. „Bestimmt Deutsche“ ist die meistgehandelte Vermutung. Den Einzigen, den Frieda & Sebastian und Chris & Erika außer uns noch im Park getroffen haben (abgesehen von vereinzelten Rangern) war ein einsamer Wanderer, ein Franzose. Der war alleine unterwegs mit kleinem Gepäck und Zelt, um Tiere zu beobachten und aufzunehmen. Die Wetten laufen und wir können erkennen, als der Wagen näher kommt, dass er ein georgisches Kennzeichen hat. Sie bleiben hinter LEMMY stehen und steigen aus.

Es ist ein junges Paar mit kleinem Kind dabei. „Hallo!“, begrüßen sie uns und wir brechen in Gelächter aus. Sie gucken etwas irritiert und wir klären das Missverständnis auf. Das wir fast drauf gewettet hätten, dass da Deutsche hinter uns herkommen. Dann wird ihr geliehener Pickup unter die Lupe genommen und alles von innen und außen begutachtet. Man sah ihm, dem Fahrer noch die Strapaze an. Er hatte fast noch Schweißperlen auf der Stirn und sicher im Traum nicht damit gerechnet, mit was für Strecken er es hier im Nationalpark zu tun haben wird. „Ist ganz schön abenteuerlich hier zu fahren!“, spielt er seine Anspannung etwas runter, die ihm aber deutlich anzumerken ist. Er ist vermutlich nicht geübt darin, in dieser Art Terrain zu fahren und dann noch mit einem geliehenen, nicht vertrautem Auto. Dazu kommt noch die große Verantwortung für Frau und Kind, das höchstens zwei Jahre alt ist. Nach einer netten Plauderei verabschieden wir drei Teams uns von der jungen Familie und setzen unsere Fahrt zum verlassenen Militärflughafen fort.

Wir kommen raus aus der Wildnis und fahren dann auch bald wieder auf Asphalt. Vor einem kleinen Shop rechts am Straßenrand wird kurz gehalten und Chris zeigt mir pantomimisch, dass er Zigaretten braucht. „Brauchen wir auch noch was?“, will Jutta wissen und ich verneine. Mit ein paar Softdrinks, Süßigkeiten und Zigaretten in den Händen kommt Chris aus dem Laden und wir fahren weiter bis wir nach links abbiegen. Eine besonders schlechte Straße, bei der man fast in den großen Löchern verloren gehen kann (Also nochmal höchste Konzentration und jede Ausweichstrecke neben der Straße nutzen!) führt an einigen verlassenen, verfallenen Gebäuden vorbei. Dann erreichen wir den alten Airport.

Über die Rollbahn, von der wohl schon länger kein Flieger mehr abgehoben oder gelandet ist, fahren jetzt wir mit unseren drei Campern. Das Gelände ist riesig und überall stehen verschlossene und mit Gras bewachsene Hangars. Sebastian parkt direkt vor so einem Hangar und lugt durch das Tor. Chris und ich bleiben auf der Rollbahn stehen. Levin ist sofort bei Sebastian, um zu schauen, ob noch ein Flugzeug hinter dem Tor zu sehen ist. Und dann besteigen wir eine dieser großen Kampfjetgaragen. Irgendwo soll hier noch ein abgewracktes Flugzeug stehen. Von oben können wir es noch nicht entdecken. Aber wie groß das Gelände ist, dass sehen wir jetzt mit eigenen Augen. Frieda ist jetzt mit Levin schon beim nächstgelegenen Hangar und sie spähen hinein. Sie macht Bilder durch einen Spalt des verschlossenen Tores. Es läuft auf großen verrosteten Rollen, die in Schienen geführt werden. Sebastian kommt dazu und versucht diese großen Ungetüme, die in der Mitte geteilt sind, auseinander zu schieben. Ein Schloss ist nirgends zu sehen, aber allein mit Muskelkraft dürfte dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt sein. Ich schaue noch von oben runter auf das Treiben und mache selber Fotos.

What’s inside?

Dann sehe ich wie da ein kleiner Wagen mit blinkendem Signalhorn auf dem Dach angerast kommt. Er macht eine Vollbremsung neben unseren Autos auf der Rollbahn und geht zu den Anderen. Ich steige herunter vom Hangar und denke bei mir: „Das gibt Ärger.“ Als ich ankomme wird schon wild diskutiert. Hauptsächlich spricht Erika mit dem älteren, äußerst aufgebrachtem Mann, der wirklich verärgert scheint. Er hat ein kleines Kärtchen an einem Band um seinen Hals hängen und einen langen Stock in der Hand. Er macht uns unmissverständlich klar, dass es nicht erlaubt ist, was wir hier treiben. Dazu muss man keine georgisch oder russisch können, um das zu verstehen. Aber er wird nicht ernst genommen. Erika erklärt uns, sie vermute er spiele sich nur auf und habe gar keine Befugnisse hier irgendwas zu sagen. Uns ist das Ganze dennoch sehr unangenehm. Es wird vereinzelt gelacht. Sebastian greift immer wieder zu dem Kärtchen, das der Mann um den Hals trägt, um zu sehen, was darauf geschrieben steht. Doch der ältere Herr weist ihn jedes mal ab und schiebt ihn weg. Jetzt wird es uns noch unangenehmer und wir finden Sebastians Verhalten schon etwas respektlos.

Ich betrachte mich hier als Gast in diesem Land und damit auch auf diesem alten Flugplatz. Und ich sehen es so, dass der deutlich Jüngere, dem deutlich Älteren Respekt zollt. Es wird weiter gestritten und umhergelaufen. Der Mann lässt nicht ab davon uns zu vermitteln, dass wir hier unbefugt sind und gehen sollen. Jutta und ich bereden uns kurz und sind uns einig was zu tun ist. Mal sind Erika und Chris bei ihm, dann wieder Sebastian, der sich für unser Empfinden echt übergriffig verhält. Uns ist das alles zu viel hier und so sagen wir zuerst Erika und Chris, das wir weiter fahren werden. „Wir wollen schon los nach Stepanzminda, das hatten wir sowieso vor.“, sage ich den Beiden. Dann verabschieden wir uns noch von Frieda und Sebastian. Weiter als bis zu diesem Ort hatten wir eh noch keine gemeinsamen Pläne geschmiedet. Ohne das Ende dieser bizarren Situation abzuwarten, trennen sich unsere Wege.

Als erstes wollen wir zurück nach Dedopliszqaro fahren. Dort wo diese schummrige Miss Marple Filmkulisse an der Wasserquelle ist. Der Frischwassertank ist fast leer und muss dringend wieder aufgefüllt werden. Außerdem können wir im Laden dort einen größeren Einkauf machen. Nach den langen Lagerfeuernächten ist mein Biervorrat beträchtlich zur Neige gegangen. Ein warmes Shoti frisch aus dem Ofen wäre auch mal wieder was Feines. Also erst mal an die Wasserquelle, damit wir es wieder auf 100 Liter Frischwasser bringen. Plus meinem 10 Liter Kanister, den ich dort auch auffülle und dann verstaue.

Immer noch gruselig!

Danach zur Bierquelle, dem kleinen Supermarkt, um auch hier das nötige Elixier aufzufüllen. Wir parken wieder genau dort, wo wir vor einigen Tagen standen, zwischen Office und Supermarkt. Ein wenig unheimlich ist es hier auch, sobald der Nebel aufzieht und es dunkel wird. Kaum Menschen auf der Straße und die Häuser sind alt, brüchig und zum Teil verlassen. Das frische Shoti bekommen wir aus einer winzigen Backstube durch ein kleines Fenster verkauft und sind damit für einen gemütlichen Videoabend mit Käse und Wein vollkommen versorgt. Cheers.

Shoti frisch aus dem Ofen, mmmmh!

Um nach Stepanzminda zu kommen fahren wir die alte georgische Heerstraße entlang bis ca. 12 km vor der russischen Grenze, die für uns auch verschlossen bleiben wird. So wie es schon die aserbaidschanische Grenze über Land war, geschlossen wegen Corona. Es ist ein regnerischer Tag mit gelegentlichen Sonnendurchbrüchen durch den ansonsten wolkenverhangenen Himmel. Immer wieder gibt es trotz des Dunstes und Nebels tolle Ausblicke auf die uns umgebenden Berge. Wir fahren durch den großen Kaukasus! Von Schneefall weit und breit nichts zu sehen, außer auf den Gipfeln der Fünftausender. Wir kommen durch kleine Dörfer. Kommen vorbei an Road Houses, die zum Essen einladen, an kleinen Hotels und Pensionen und fahren lange Zeit an einem Fluss entlang. An dem wird an vielen Stellen Wildwasser-Rafting angeboten, Übernachtungsplätze inklusive. Das ist aber wohl eher ein Sommervergnügen, denn gesehen haben wir weder ein Boot auf dem Wasser, noch irgendwelche Camper an den Flussufern.

Es geht weiter hoch über verschiedene Pässe. Oft geht es sehr langsam voran, da viele LKWs über die georgisch/russische Grenze wollen und ich durch die vielen Kurven selten eine Gelegenheit zum Überholen bekomme. Für den Warenverkehr der Lastwagen ist die Grenze nicht kategorisch geschlossen. Meistens ist die Straße nass und mein Borddisplay zeigt mir Glättegefahr an, sobald die Temperatur unter 4 Grad absinkt. Trotz schlechtem Wetter, trotz Kälte und Nässe genieße ich die Fahrt. Bin ich doch außerordentlich glücklich darüber, im Oktober noch in den großen Kaukasus vorzudringen. Obwohl es eigentlich nicht gehen sollte zu dieser späten Jahreszeit. Haben wir das dem Klimawandel zu verdanken? Möglicherweise ja, denke ich. Vor 10 oder 20 Jahren waren die Winter hier wahrscheinlich ausgeprägter und verlässlicher zu Beginn des 10. Monats. In diesem Moment will ich mich darüber aber nicht beklagen.

Bidara Travertines

Dann sehe ich in einer Kurve was Sonderbares aus dem Augenwinkel und entscheide mich sofort auf dem Parkplatz, auf der gegenüberliegenden Seite zu halten. Dafür muss ich schon etwas kräftiger in die Eisen gehen, aber da ich mich schnell entschlossen hatte, war es kein Problem. Dort auf der anderen Seite der Straße rollt sich ein Gletscher den Berg runter. Es sieht aus wie eine ausgestreckte Zunge, die nach unten hin immer breiter wird. Aber es ist kein Gletscher. Es ist weder glatt noch kalt. Das ist sowas wie in der Türkei in Pamukkale. Nur hier ist die Färbung eine Schattierung zwischen terra und weiß. Kein Wunder, dass es hier eine Menge Souvenirstände, eine Toilette und diesen großen Parkplatz gibt. So prächtig wie in der Türkei ist es zwar nicht und warme Pools, in denen man baden kann gibt es auch nicht, aber eine Attraktion am Wegesrand ist es allemal.

Weiter geht es durch viele Steilkehren den Berg rauf und dann auch mal wieder runter. Langsam den russischen LKWs folgend oder Lastwagen aus Kasachstan, aus der Ukraine und der Türkei. Wenn sich die Möglichkeit bietet und ich ein paar hundert Meter eine Gerade ausmache, dann überhole ich auch schon mal, falls die Sicht es zulässt. Wir kommen durch dunkle Tunnel, dann wieder umfahren wir gesperrte Tunnel an der Bypass-Straße. Warum die Tunnel zum Teil gesperrt sind, erschließt sich uns nicht, vermutlich sind sie baufällig. Manchmal fahren wir durch richtige Wintersportgebiete, wie zum Beispiel Gudauri. Hier ist aber noch nichts los, mangels Schnee. Einige Hotels scheinen noch im Bau zu sein und bei manchen sieht es so aus, als seien sie noch während der Bauphase in eine finanzielle Schieflage geraten und vor dem Ruin. Man weiß es oft nicht so genau: Wird da noch was passieren oder steht auch dort ein Investor, ein Bauherr am Abgrund? Und manchmal sieht man es ganz deutlich, da ist seit Jahren kein Handwerker mehr erschienen. Das Gebäude verfällt bevor es richtig fertiggestellt wurde. Viele Schicksale hängen daran, viele Hoffnungen und Träume. So manch einer wird wohlmöglich alles auf eine Karte gesetzt haben und verliert alles. Ob es allen klar war, auf was für eine Pokerpartie sie sich da einlassen? Ich weiß es nicht und ich versuche nicht depressiv zu werden bei meinen Gedankengängen über diese möglichen Schicksale.

Noch ist nicht ganz klar, wo wir die Nacht verbringen. Es gibt eine Möglichkeit, bevor wir Stepanzminda erreichen. „Das können wir uns ja mal anschauen, weiterfahren geht dann ja immer noch, wenn es uns nicht gefällt.“, sage ich zu Jutta, die natürlich auch eine Alternative direkt im Ort parat hat. Ich biege von der alten Heerstraße ab und durchquere ein kleines Dorf. Aber bevor wir uns auf eine mehrere Kilometer lange Holperpiste einlassen, ohne zu wissen, was uns am Ende erwartet, brechen wir dieses Unterfangen ab. Schon jetzt zu Beginn ist der Weg nämlich dermaßen schlecht und wir müssten den selben Weg auch zurück nehmen, dass wir uns das nicht antun wollen. Außerdem wollen wir Stepanzminda erkunden. Das geht eindeutig besser, wenn man im Ort steht.

Also schnell zurück auf die alte Heerstraße und vorbei an der endlosen Reihe hintereinander stehender Lastwagen, die alle darauf warten etwas aufzurücken, um der Grenze nach Russland näher zu kommen. Viele Kilometer lang stehen sie hintereinander am rechten Rand der Straße und die Polizei überwacht und schaut, dass sie alle richtig stehen, das Lücken bleiben und keiner drängelt. Wir können links an ihnen vorbeifahren und erreichen den Ort. „Da noch über die Brücke rüber und dann links in das Wäldchen rein.“, sagt Jutta. Wir sind da. Über Park4night hat sie diesen Platz hier für heute Nacht entdeckt. Als ich gerade auf den Wald zufahre, um mir einen Stellplatz auszusuchen, da sehe ich einen großen Overlander – Truck mit spanischem Nummernschild. An der Seite sehe ich einen Aufkleber, „overlandingbytruck“, steht da drauf.

overlandingbytruck, what a surprise!

Noch bevor ich richtig stehe mit LEMMY kommt ein Pärchen raus, um uns zu begrüßen. Das ist etwas besonders schönes beim Reisen über Land. Sofort ist eine gemeinsame Basis da, eine Verbindung und eine Leidenschaft, die man teilt. Es ist nicht so, wie z.B auf einem Campingplatz. Dort hat man zwar auch eine Leidenschaft, nämlich Camping und in der Natur sein mit Gleichgesinnten. Trotzdem ist es anders. Es fällt mir schwer auszudrücken, was ich meine. Wir waren schon auf vielen Campingplätzen und man hat es ja auch selber in der Hand, wie viel Kontakt man zulassen möchte oder eben auch nicht. Aber eigentlich ist es auch Quatsch, glaube ich, was ich gerade von mir gebe. Im Grunde ist es das Gleiche auf dem Campingplatz, nur unsere persönliche Haltung ist dann eine andere. Wir sind da eher zurückhaltend und gehen nicht so sehr auf Andere zu. Hier ist man weit weg von Zuhause und sieht verhältnismäßig selten andere Overlander. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum es einem intensiver vorkommt als es ist.

Gaaaanz hinten der Kazbegi!

Ein Mann und eine Frau stehen vor uns, er spricht ganz gut englisch. Woher man kommt und wohin man will ist immer schnell Thema und es dauert nicht lange, da kommen wir auf „Dandovueltas“ zu sprechen. Sie kennen sich natürlich und sind schwer begeistert, dass wir sie schon dreimal getroffen haben während unserer Reise. Sie wollen sich auch noch treffen, denn sie haben ein gemeinsames Ziel, den Iran. Kurze Zeit später, als wir uns so langsam eingerichtet haben zwischen den Bäumen und umherlaufenden Rindern, klopft es an der Tür. Unser spanischer Nachbar hat Jose, alias „Dandovueltas“, ein Foto von LEMMY geschickt und ihm geschrieben, dass wir uns gerade neben seine Truck gestellt haben. Prompt hat Jose eine Sprachnachricht zurückgeschickt. Die spielt er uns jetzt vor und übersetzt anschließend, was Jose über uns zu sagen hat. Es ist sehr schmeichelhaft für uns und darüber freuen wir uns sehr. Auch, dass er gleich rüberkommt, um es uns vorzuspielen, empfinden wir als sehr nette Geste.

Es dämmert bereits und wir wollen noch einen Spaziergang durch Stepanzminda machen und in den Supermarkt, um ein paar frische Zutaten für das Abendessen zu kaufen. Es ist ein etwas verschlafener, aber sehr schöner Ort. In wenigen Gehminuten sind wir schon da, nur kurz über den Fluss, über die Brücke. Zuerst entdecken wir eine kleine Kirche, die in ein unheimliches grünes Licht gehüllt ist. Wieder könnte es eine Filmkulisse sein, diesmal vielleicht aus einem alten Edgar Wallace Film. „Der schwarze Abt“ würde gut hierher passen. Wir laufen umher und genießen ein wenig die Atmosphäre um dieses alte Gemäuer. Das Tor in die Kirche ist leider schon zugesperrt, weil es auf den Abend zu geht. Ich hätte große Lust Jutta von hinten zu erschrecken. Aber da ich weiß wie sehr sie das hasst, lasse ich es lieber.

Wir bummeln noch etwas durch den Ort und dann geht es noch schnell in den Supermarkt. Sofort im Eingangsbereich bietet sich mir wieder ein Bild, das mich zum Lächeln bringt. Vor dem Gemüse steht ein kleiner Tresen (wie in einer Kneipe) und frisches Bier wird gezapft. Aber Bier habe ich noch genug. Jutta guckt nach Obst und Gemüse und ich schaue mir mal die Spirituosenabteilung an. Dabei bekomme ich irgendwie Lust auf „White Russian“ und packe mir eine Flasche Kahlua und einen polnischen Vodka (weil mir die Aluflasche gefällt) in den Einkaufswagen. Danach spazieren wir gemütlich zurück, um uns was Leckeres zu kochen. Unterwegs treffen wir auf die beiden Spanier, die ihrerseits noch einen kleinen Gang unternehmen.

Sarah hatte von Stepanzminda und besonders von der Aussicht oben bei der Dreifaltigkeitskirche geschwärmt. Aber der Weg dort hoch ist der Albtraum hatte sie mir geschrieben. Sie sind mit ihrem klapprigen Suzuki dort hoch gefahren, aber sie hat nicht geschrieben, warum es so ein Albtraum war. Sie riet uns ein Taxi zu nehmen oder zu laufen. Ich fahre lieber selber. Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von „overlandingbytruck“, da wir nach dem Ausflug hoch zur Kirche direkt weiterwollen und zurückfahren. Zurück bedeutet zunächst mal grob in Richtung Kutaissi. Denn viel weiter kommt man hier auch sowieso nicht. Es geht nur weiter nach Russland. Links und rechts der alten Heerstraße ist nur Gebirge, nur Kaukasus, keine Straßen und keine Wege. „Wir fahren auch gleich hoch zur Kirche.“, sagt mir unser Nachbar. Er hat schon den Helm in der Hand und das Motorrad vom Truck geholt. „Ach, alles klar, dann sehen wir uns oben.“

What a view!

Als alles pistenfest verstaut ist geht es los. Finden wir halt selber raus, warum die Strecke ein Albtraum war für Sarah. Tatsächlich finden wir es nicht raus. Ich kann nur spekulieren. Es geht schon durch einige steile Serpentinen, aber das sollte mit einem kleinen Suzuki kein Problem sein. Besonders dann nicht, wenn man damit zweieinhalb Tage im Vashlovani N. P. unterwegs war. Ein Teilstück der Strecke ist nur einspurig befahrbar, da die rechte Spur über mehrere hundert Meter abgesperrt ist. Man kann nicht die gesamte Teilstrecke einsehen. Kann es das sein? Sollten sich zwei Fahrzeuge treffen auf halben Weg, dann muss einer von beiden zurückfahren. Das wird in der Regel das kleiner Fahrzeug sein. Einen großen Unterschied macht natürlich die Reisezeit aus. Als Sarah mit meinem alten Schulkumpel Stefan hier war, wird viel mehr los gewesen sein. Es war Sommer. Da werden Reisebusse unterwegs gewesen sein und viel mehr Autos, als jetzt im November. Ich kenne die Situationen, wenn man vor einer Steilkehre ist und ein übermächtiger Reisebus kommt frontal auf einem zu. Man ist vielleicht sogar schon in der Kehre drin, weil man das Ungetüm nicht hat kommen sehen. Da kann man schon ins Schwitzen geraten. Uns bleibt nur zu spekulieren, aber eigentlich ist es auch völlig egal.

Hier gehts rauf!

Wir haben keine Probleme und erreichen den Parkplatz vor der Dreifaltigkeitskirche. Das Wetter spielt mit und ich sehe schon, vor dem Einparken, im Rückspiegel den 5047 Meter hohen Kazbegi. Er ist mit Schnee bedeckt und dahinter strahlt der blaue Himmel. Hin und wieder schiebt sich ein kleines Wölkchen vor diesen majestätischen Berg. Man kann auch jetzt im Winter Touren buchen um ihn zu besteigen. Wir schauen nur. Ich erkenne das Moped von unseren Nachbarn und dann sehe ich sie auch schon. Sie kommen gerade von einem Aussichtspunkt mit Münzfernrohr herunter. Wieder mal quatschen wir uns ein bisschen fest, dann verabschieden wir uns endgültig. Aber wir werden verfolgen wie sie in den Iran fahren werden. Sie hat ihr Visum bereits erhalten, er aber leider nicht. Darauf müssen sie noch warten. Auch „Dandovueltas“ wird den Iran erreichen und wir werden immer mal wieder schauen, wo sie gerade sind. Genauso wie sie uns verfolgen wollen, wenn wir über den Atlantik nach Amerika verschiffen. Wir verbringen eine ganze Weile hier oben, sehen uns die Kirche an und genießen die ganzen verschiedenen Ausblicke in alle vier Himmelsrichtungen. Unten der Ort ist gut zu erkennen und die anderen Berge verblassen alle im Schatten des majestätischen Kazbegi.

Kazbegi

Als wir wieder runter fahren will ich mit unserer DJI Kamera aus dem Cockpit filmen. Dazu mache ich laut Turbonegro vom USB Stick an und fahre los. Nach sehr kurzer Zeit geht die Kamera aus. Ich schiebe Jutta die Schuld zu, da sie als Beifahrerin dafür zuständig ist hin und wieder die Akkuladung zu prüfen. Ich bin etwas sauer, weil mir hier die Aufnahme einer geilen Panoramafahrt entgeht. Später, beim Sichten der Videos sehe ich das ich selber Schuld bin. Ich hatte schon auf dem Weg nach oben auf „Aufnahme“ gedrückt und die Kamera nicht wieder ausgeschaltet. Auf dem Monitor sehen wir uns, wie wir die Spanier treffen und uns unterhalten und was alles dann noch vor unserem Auto passiert, während wir uns die Dreifaltigkeitskirche anschauen.

Mountainlove

Auf dem Rückweg heute haben wir viel besseres Wetter als gestern auf dem Hinweg. So macht das Fahren noch mehr Spaß und alles sieht um ein Vielfaches freundlicher aus. Das steigert auch die Laune und ich ärgere mich nicht mehr darüber, dass der Akku der DJI Kamera leer war. Jetzt laden wir die Kamera während der Fahrt vorne im Cockpit wieder auf. Bis Kutaissi ist es noch weit, das werden wir nicht schaffen in einem Rutsch. Jutta hat einen Übernachtungsplatz in Mtskheta direkt am Fluss Mtkvari vorgesehen. Der Ort ist ein religiöses Zentrum des Landes und die Svetitskhoveli Cathedral ist Weltkulturerbe und Pilgerstätte vieler orthodoxer Christen. Die Kathedrale ist die wichtigste orthodox-christliche Kirche in Georgien und die zweitgrößte des Landes. Im und um den Ort herum gibt es viele Kirchen, Klöster und Kulturdenkmäler. Dort fahren wir jetzt hin und werden vermutlich am frühen Nachmittag ankommen. Je nachdem wie lange wir uns unterwegs Zeit lassen.

View Point

Eine Sache gibt es, die will ich unbedingt sehen bevor wir ankommen. Den Gudauri View Point, das „Friendship Monument“, das die Freundschaft zwischen Georgien und Russland symbolisieren soll. Das lag gestern komplett im Nebel. Man konnte nur erahnen, dass da was Imposantes ist, verborgen von dichtem Dunst und tiefhängenden Wolken. Jetzt sehen wir es schon aus einiger Entfernung und halten dort selbstverständlich an. Hoch oben auf dem Berg befindet sich eine große, runde, begehbare Plattform, begrenzt von einer Mauer die von großen Rundbögen getragen wird. Die Mauer besteht aus bunten Kacheln, die zusammen schöne Motive ergeben. Der Blick ist atemberaubend. Überall am Parkplatz gibt es verschiedene Möglichkeiten etwas zu Trinken und zu Essen zu bestellen. Kleine Buden bieten heiße und kalte Getränke, mit oder ohne Alkohol. Bei manchen lockt gute Musik, bei anderen nette Sitzgelegenheiten mit tollen Ausblicken über die Bergwelten.

Friendship Monument

Dann gibt es Stände mit leckeren, frisch gepressten Säften. Es gibt süßen Mais aus riesigen dampfenden Kochtöpfen. Eine andere Spezialität sind ganze Kartoffeln, die über eine kleine mechanische Schneidevorrichtung in eine lange Spirale geschnitten werden, um dann an einem Stäbchen in heißem Fett kurz aufgebacken werden. Natürlich gibt es auch die unterschiedlich gefüllten Teigtaschen (mal mit Käse und mal mit Kartoffeln) und selbstverständlich das „georgische Snickers“. Das sind Haselnüsse oder Walnüsse, die auf einen Faden aufgefädelt und dann mit einer klebrigen Masse aus Traubensaft überzogen werden. Ein Fest für Auge, Nase und Gaumen. Nach dieser erquicklichen Mittagspause geht es dann auch schon wieder los.

Chips mal anders

Weiter unten sehen wir dann wieder die Wildwasser Rafting Camps und alles was wir auf dem Hinweg gesehen haben, nur dieses Mal in einem anderen Licht. Dann kommen wir im Ort mit dem unaussprechlichem Namen an und wollen an den Fluss fahren. Schon kommt jemand, der uns auf einen kostenpflichtigen Parkplatz lotsen will, aber wir wollen das nicht. Etwas irritiert halte ich kurz und dann fahre ich weiter. Erstmal um aus dieser Situation zu entkommen und dann um mich neu zu orientieren. Hinter dem Parkplatz mit dem Einweiser geht ein Weg runter zum Fluss, den nehme ich jetzt und finde den richtigen Stellplatz, den Jutta ja schon rausgesucht hatte. Neben uns ist auch gleich ein Restaurant und vor uns werden Bootstouren angeboten. Wir stehen dicht am Wasser und sogar einigermaßen gerade, so dass ich die kleine Schieflage mit den Luftfedern ausgleichen kann. Jetzt wird hier noch durch den Ort gebummelt und die bunten Souvenirstände durchstöbert. Wir absolvieren gerade das typische Touristenprogramm und schauen uns unter anderem die Cathedral an. Allerdings nur von außen, weil gerade ein Gottesdienst stattfindet. Wir hören den Chor singen und nehmen die Stimmung auf, während wir um das Gebäude herum gehen innerhalb dicker und hoher Mauern. Irgendwie finden wir Gefallen an diesem Ort und bleiben zwei Nächte. Wir essen noch in dem Restaurant, dort wo wir mit LEMMY stehen. Wir sehen uns noch weiter Kirchen und Klöster an und erkunden zu Fuß diesen beliebten Pilgerort. Nach der zweiten Übernachtung geht es dann mit LEMMY hoch zur Jvari Monastery und danach sind wir wieder on the road.

Direkt am Mtkvari

Heute haben wir einen langen Fahrtag vor uns. Jutta achtet immer sehr darauf, dass ich nicht zu lange hinter dem Lenkrad sitzen. Vor Jahren habe ich mal von einem Kollegen im Theater erzählt, der mit seinem Kumpel von einer Motorradreise zurück kam. Sie haben den ganzen Tag im Sattel gesessen und wollten nach Hause, denn die Arbeit rief. Als sie dann in Bremen die Ausfahrt Hemelingen nahmen, waren sie bereits so drüber, nach stundenlanger monotoner Autobahnfahrt, dass sie kein Gefühl mehr für die angemessene Geschwindigkeit hatten und flogen beide aus der Kurve. Sie überlebten schwerverletzt und verbrachten eine lange Zeit im Krankenhaus. Ich selber neige auch dazu, lange Zeit am Stück zu fahren, solange ich mich gut dabei fühle. Aber ich weiß um diese Gefahren und habe das Negativerlebnis vom Kollegen innerlich abgespeichert. Ich mache ausreichend Pausen und trinke zwischendurch mal einen Kaffee oder einen Energie Drink. Ich vertrete mir die Beine an der frischen Luft. Mache ein paar Dehnübungen, um meinen kaputten Rücken zu entlasten. Denn um den ist Jutta auch immer sehr besorgt. Als wir früher selber noch viel Motorrad gefahren sind (besonders gerne in Nordthailand) da kam es auch schon mal zu 7-8-stündigen Touren. Aber immer bevor es dann wieder in die Stadt zurück ging, was in der Regel Chiang Mai war, da haben wir vorher eine große Pause gemacht. Wir haben noch mal alle Kraftreserven mobilisiert, damit für die letzten Kilometer die nötige Konzentration und Aufmerksamkeit vorhanden war.

Jetzt achtet Jutta halt immer sehr genau darauf, dass ich nicht zu viel oder zu lange fahre. Deswegen geht es ihr auch heute nicht um den allerbesten Übernachtungsplatz, sondern darum, einen schönen Platz zu suchen, der sich gut als Zwischenstopp eignet. Bisher habe ich keinen Grund mich zu beklagen, denn das macht sie einfach super. Etwas zermürbend ist es schon auf dieser Strecke durch die endlosen Baustellen zu fahren. Es sind viele LKWs unterwegs und es geht langsam auf schlechter Straße voran. Ich hänge oft dicht hinter einem Laster, wenn ich versuche zu überholen, was nur selten gelingt. Ich werde auch ständig von schnelleren PKWs überholt, so dass ich mich schon ziemlich konzentrieren muss auf alles was vor, hinter und neben mir passiert. „Kannst du noch?“, und „Wie geht’s dir?“, werde ich immer häufiger von Jutta gefragt. Zwischendurch bietet sich neben dieser Strecke eine Umfahrung über eine kleine Bergstraße an. Es ist die frühere alte Hauptstraße, (mittlerweile wenig befahren) und eine echte Panoramastrecke. Sie ist zwar ein kleiner Umweg, doch eine sehr angenehme Abwechslung nach dieser Baustellenmonotonie. Sowas sucht mir Jutta dann auch gerne mal raus, weil sie weiß das ich das mag. Nach wenigen Kilometern kommen wir wieder auf die sich im Bau befindliche Straße und nähern uns Ubisa, unserem Übernachtungsort.

Ubisa Kloster

Dort gibt es einen Fluss und ein altes Kloster. Gegenüber vom Kloster ist ein kleiner, vollkommen leerer Parkplatz. Dort will Jutta stehen. Unten zum Fluss führt ein schmaler Weg durch eine enge Häuserzeile. Da will ich stehen. Zunächst parke ich oben bei dem Ubisa Monastary. Von hier kann man runterschauen und den Fluss sehen. Wir diskutieren. „Guck doch mal, wie schön es ist da unten zwischen den Bäumen am Fluss.“ Jutta argumentiert dagegen. „Siehst du nicht das ganze grüne Gras, willst du dich wieder fest fahren? Und durch die Häuser kommst du eh nicht durch, das ist viel zu eng.“ Ich gebe mich für heute geschlagen, kündige aber schon an, dass ich morgen früh runter fahren will. Um zu sehen was uns entgangen ist und um Jutta zu zeigen, wie wohl ich durch die Häuser komme und ohne mich auf der Wiese festzufahren. Das Kloster steht auch auf dem Tagesplan vor der Weiterfahrt morgen. Heute gibt es nur noch was zu Essen und dann legen wir uns zeitig ins Bett.

Jaaaaa Jürgen! Das wär auch ein schöner Stellplatz gewesen.

Plötzlich schrecken wir hoch. Da ist jemand an der Tür zugange. Der ganze Wagen hat gewackelt. Ich springe aus dem Bett und schnappe mir die Taschenlampe. Dieses Szenario bin ich in Gedanken schon durchgegangen. Was machst du eigentlich, wenn mal jemand versucht hier einzubrechen? „Erstmal nicht einschüchtern lassen!“, denke ich mir, „und auf keinen Fall wehrlos erscheinen.“ Unsere Taschenlampe ist extrem hell und damit blende ich den ungebeten Gast als Erstes. Dann würde ich den Übeltäter mit dem Handy knipsen und hoffen, dass er dann schon die Flucht ergreift. Soviel zur Theorie. Die Taschenlampe habe ich bereits in der Hand. Jetzt ran ans Fenster, das Rollo hoch und mit der Lampe die Gegend absuchen. Nichts zu sehen. Dann gehe ich an die Tür, öffne sie und suche weiter mit hellem Strahl der Taschenlampe. Erleichtert sehe ich die Übeltäter: Einige Rinder laufen an unserem Auto vorbei (wahrscheinlich auf dem Rückweg von der Weide?). Vielleicht standen wir ihnen im Weg oder eines fand unser Auto ganz spannend und war mit den Hörnern irgendwie an die Tür gekommen. Ohne weitere Zwischenfälle schlafen wir durch.

St. Georgs Church

Als Erstes wollen wir uns die St. Georgs Church and Monastary, wie es korrekt heißt, ansehen, bevor es nach Kutaissi geht. Die Sonne scheint und die Laune könnte besser nicht sein. Den kleinen Schreck von gestern Abend haben wir gut verdaut. Wir sind die einzigen Besucher heute morgen und diese Kirche mit Kloster gefällt uns ganz besonders gut. Innen sind diese typischen Freskenmalereien, wie wir sie auch schon aus den türkischen Felsenkirchen kennen. Sie sind unterschiedlich gut erhalten, mal farbenfroh und kontrastreich, dann wieder einfarbig und verblasst. Ich glaube auch, dass wir hier ganz alleine sind (Jutta ist irgendwo draußen im Garten) trägt zu dieser besonderen Stimmung bei. Für mich ist das Ubisa Monastary eines der Schönsten auf dieser Reise.

St. Georgs Church

Aber da war doch noch was. Ich will noch einmal kurz wenigstens an den Fluss fahren. Ohne Probleme fahre ich durch die Häuserreihe und ohne mich festzufahren gelangen wir an den Fluss. Einige Pferde laufen hier frei herum, ob es Wildpferde sind weiß ich allerdings nicht. „Hier hätten wir doch toll stehen können.“, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen und dann geht es wieder auf die Straße.

Bis nach Kutaissi ist es nicht weit, deshalb überlegen wir uns während der Fahrt, dass wir erstmal weiter fahren nach Tskaltubo. Das ist kurz hinter Kutaissi und dort wollen wir uns die verlassenen Sanatorien und Kurkliniken anschauen. Wir haben noch den ganzen Nachmittag Zeit und wissen auch schon, wo wir am Abend in Georgiens zweitgrößter (oder drittgrößter?) Stadt stehen werden. Am Holy Annunciation Temple, einer katholischen Kirche mitten im Zentrum.

We love lost places!!!

Gegoogelt haben wir bislang noch nichts, sondern fahren erstmal drauf los. So groß wird Tskaltubo schon nicht sein und wir orientieren uns einfach mal aus dem Auto heraus. Wir fahren an einem großen Kurpark mit einem auffälligen, mintgrünen Eingangsportal vorbei. Ob das schön ist dürfte Geschmackssache sein. Dann sehen wir auf einer Anhöhe einige größere Bauten (krankenhausähnlich zumindest) und suchen einen Weg dort hinauf. Als wir vor einem dieser großen Betonblöcke stehen, stellen wir fest, dass in einigen Etagen noch Menschen leben, denn es hängt Wäsche auf manchen Balkonen. Jutta ist es äußerst unangenehm hier zu sein und bleibt im Auto. Ich will wenigstens ein paar Fotos machen von diesem baufälligem und hässlichem Betonklotz. Unsere Ankunft blieb nicht lange unbemerkt, ein Hund taucht auf und jemand schaut vom Balkon zu unserem Auto runter. Jutta schimpft mit mir, weil ich fotografiere, wie die Menschen in bitterer Armut in abbruchreifen Baracken leben müssen und ich sehe es ein. Schnell verlassen wir dieses nicht gänzlich verlassene Gebäude. Ich kurve noch ein wenig in Tskaltubo rum und wir finden nun einen wirklichen „Lost Place“, dort schauen wir als nächstes rein. Jetzt ist Jutta auch mit dabei.

Früher mal Kurklinik
Zum Teil bewohnt

Dies ist hier eine wirkliche Ruine und niemand könnte hier leben, zu verfallen ist alles. Die Natur erobert sich langsam die alten Mauern zurück. Moos überzieht die Treppenstufen und Pflanzen wachsen durch den Stein. Auch der Garten gleicht eher einem Urwald in dem seit Jahren kein Landschaftsgärtner Hand angelegt hat. Irgendwann haben wir genug gesehen und wollen weiter. Da kommen wir an diesen drei alten russischen Trucks vorbei. Solche Fahrzeuge sehen wir hier öfter auf der Straße fahren. Doch die da stehen und ich will LEMMY mit ihnen ablichten. Er passt genau in eine Lücke zwischen ihnen. Es stehen hier Fabrikate wie GAZ und ZIL. Der ZIL ist einer der erfolgreichsten und beliebtesten LKWs in der Geschichte der sowjetischen Automobilindustrie. Er wurde von 1962 – 2014 produziert. Ich frage die Trucker, die rauchend an ihren Lastern stehen, ob ich fotografieren darf und sie nicken mir zu. Natürlich poste ich auch hiervon einige Bilder auf Instagram und Facebook und wünschte mir später, das niemals getan zu haben.

Am späten Nachmittag machen wir uns auf den Rückweg nach Kutaissi. Irgendwie bin ich nicht ganz glücklich mit den Eindrücken von heute. Die Orte die wir gesehen haben waren schon speziell und auch am Ende noch die Trucks und mittendrin LEMMY. Ich weiß auch gar nicht so genau, woran das liegen könnte. Vielleicht daran, dass wir Menschen gesehen haben, die unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen? Ohne Strom, ohne Heizung und fließendes Wasser.

Parkplatz an der katholischen Kirche in Kutaissi

Noch bevor es dunkel wird wollen wir die Kirche erreicht haben. Denn in Georgien, wie auch in vielen anderen Ländern, ist es besser nicht im Dunkeln zu fahren. Das wissen wir aus eigener Erfahrung, denn nicht immer kommen wir rechtzeitig im Hellen an. Hier kommt es sehr häufig vor, dass ohne Licht gefahren wird. Egal ob es stockfinster ist oder dichter Nebel einem die Sicht nimmt. Auch die oftmals tiefen Löchern und anderen Straßenschäden und Hindernisse sind im Dunkeln nicht zu sehen. Da es aber nur ein Katzensprung ist von Tskaltubo ins Zentrum von Kutaissi, kommen wir rechtzeitig vor der Dämmerung an. Jutta lotst mich wie üblich durch den Innenstadtverkehr und wir finden sofort die katholische Kirche mit einem kleinen Parkplatz direkt davor. Vor der Kirche auf einer Bank sitzt ein Priester und unterhält sich mit einer Frau. Ich gehe auf sie zu und frage kurz, als sie mich bemerken und zu mir hoch sehen, ob wir denn hier für eine Nacht stehen bleiben dürfen? Wir dürfen, wird mir deutlich signalisiert, nachdem sie mich verstanden haben.

Raucherbalkon Old Galeon

Mir ist mal wieder nach ausgehen zumute und da wir in einer Stadt sind, wird sich sicher eine nette Kneipe finden lassen. Es gibt hier sogar eine Rock und Metal Kneipe, das „Old Galeon“. Da werden wir zuerst hingehen. Die Bar liegt direkt am Rioni River an der Rustaveli Bridge. Das heißt: Sie wird nicht schwer zu finden sein, wir haben heute noch einen schönen Spaziergang und bekommen einen noch besseren Eindruck von der Innenstadt. Dabei gewinnen wir einmal mehr, tolle Einblicke in die georgische Kunstszene. Wir sehen großartige Graffitis, (die mich seit Naxos echt faszinieren), kommen vorbei an Skulpturen, an bunt besprühten Autos (kein Vandalismus!), bis wir dann vor dem Old Galeon stehen. Eine an die Wand gesprühte, züngelnde Schlangenfrau begrüßt uns.

Welcome!

Wir betreten die leere Bar. Nur eine Barfrau und ein langhaariger Gast am Tresen, mit einem Glas Bier vor sich, sind außer uns noch da. „Yes, ein Metalhead!“, denke ich mir und wir bestellen gezapftes, lokales Bier. Das Ambiente gefällt uns total gut, es ist schummrig und rustikal. Der langhaarige Gast entpuppt sich als Gastgeber und führt uns herum. Er zeigt uns das gemütliche, mit unbequemen Sesseln und Sofas ausgestattete, Kaminzimmer und den Balkon für die Raucher, direkt über dem Fluss. Wir kommen ins Plaudern. Woher wir kommen und wohin es geht, will er natürlich wissen und gerne erzählen wir ihm von unseren Abenteuern und Plänen. Dann reden wir über Musik. Was ihm gefällt und was ich gerne höre und Plattentipps werden ausgetauscht. Ich rate ihm dringend sich mal TURNSTILE anzuhören, auf die fahre ich aktuell besonders ab. Wir nehmen mit unseren Bieren im Kaminzimmer platz und merken sofort, dass die aus alten Ölfässern gebauten Stühle stylisch aussehen, aber für unsere kaputten Knochen nicht geeignet sind. Etwas besser geht es uns auf den Bänken, die aus Palletten gezimmert wurden.

Kaminzimmer imOld Galeon

Der Metalhead ist jetzt mit der Bardame am quatschen und wir wundern uns, dass keine Musik läuft. Ist doch ne Rock Bar hier. Er sitzt mittlerweile am anderen Ende des Raumes mit Blick auf den Tresen und beschäftigt sich mit seinem Laptop. Ob sie denn keine Musik hier spielen, will ich wissen und rufe zu ihm rüber. Doch, eigentlich schon, aber ausgerechnet heute ist der Computer abgestürzt. Ich könne ja meine Boombox anmachen, sofern ich denn eine hätte. Habe ich schon, aber im Auto und das ist nicht gerade um die Ecke. So bleibt es dann auch bei zwei Bieren in der Bar und wir zahlen und hoffen im „Press House“ mehr Glück zu haben mit der Musik. Aber vorher gehe ich noch auf die Toilette, denn der Liter Bier drückt auf die Blase. Es gibt nur ein Klo für alle Geschlechter. Als ich fertig bin, komme ich begeistert zurück. „Geh mal aufs Klo!“, sage ich zu Jutta. Dann gehen wir.

Das „Press House“ finden wir nicht. Wir laufen die Straße rauf und runter, aber es scheint nicht mehr an der angegebenen Adresse zu sein. Was wir sehen ist ein kleiner Laden vollgestopft mit allem möglichen Autozubehör. Neben Öl und anderen Fluids entdecken wir tatsächlich auch Adblue. Das gab es hier in Georgien an keiner Tankstelle. Wir hatten gehört, dass es ins ganz Georgien nicht zu bekommen sei. Deswegen haben wir in der Türkei den Tank aufgefüllt und kommen auch jetzt lange Zeit ohne aus. Aber es ist gut zu wissen, dass man in den Städten hier Adblue bekommen kann.

Etwas frustriert, weil ich keine Rockbar mehr gefunden habe, machen wir uns auf den Heimweg. Dabei wird noch hier und dort, links und rechts geschaut und wir kommen an einem grünen, hell erleuchtetem Durchgang vorbei. „Das ist doch wohl auch Kunst, oder?“

Ist das Kunst oder nicht?

Zuhause genehmige ich mir noch ein kaltes Bier und mache Musik mit meiner Boombox. Turnstile, da ist mir gerade nach. Jeder ist ein bisschen mit seinem Handy beschäftigt und ich sehe die Reaktionen auf meinen Instagram Post mit LEMMY, zwischen den russischen Trucks. „GAZ forever!“, kommentiert „Orange Land Rover“ und Angela schreibt, wie schade es sei, dass ich verkehrt herum stehe. Da hat sie total recht, ich hätte natürlich rückwärts reinfahren sollen, das hätte viel besser ausgesehen. Da gucken wir morgen erneut vorbei, wenn sie da noch immer stehen. Vielleicht bekomme ich eine zweite Chance. Jutta geht langsam ins Bett und ich stülpe mir die Kopfhörer über die Ohren, damit ich noch etwas länger Musik hören kann, ohne Jutta zu stören. Cheers.

Irgendwie hat Jutta gemerkt, dass ich etwas unglücklich war mit dem ganzen Tag. Und während ich Musik höre und mir ein paar Bierchen gönne, recherchiert sie im Bett vor dem Schlafengehen im Internet. „Ich habe noch ein anderes, ganz tolles verlassenes Sanatorium gefunden.“, verkündet sie mir gutgelaunt beim Frühstück. „Und eine Tropfsteinhöhle auch noch. Wollen wir uns das nicht heute noch ansehen?“ Die Zeit haben wir locker zur Verfügung und begeistert stimme ich sofort zu. Tagesprogram also heute: Iveria Sanatorium und die „Prometheus Cave Tskaltubo“. Ach ja und bei den russischen Trucks vorbei, um ein besseres Foto zu machen. Überaus glücklich beginnt der Tag. Enden wird er anders.

Prometheus Cave Tskaltubo

Wir beginnen mit der nicht weit entfernten Tropfsteinhöhle. Alles in allem ist es auch ganz schön hier, so wie man es eben kennt, wenn man zuvor schon mal in so einer Höhle war. Leider ist der Guide unserer Gruppe (ca. 20 Leute) etwas zu flott unterwegs. Auch die Informationen sind schwer verständlich, obwohl er sie auf georgisch und danach (mit deutlich weniger Worten) auf englisch in sein Mikrophon spricht. Er nuschelt und wirkt alles in allem etwas lustlos. Trotzdem gibt einige tolle Momente, bei denen an markanten Stellen die Höhle theatralisch beleuchtet wird und dazu laute, klassische Musik vom Band läuft. Ein ganz besonderes Highlight ist die unterirdische Bootstour zurück zum Ausgangspunkt. Dazu gibt es für jeden auf dem Elektroboot einen Schutzhelm und man muss gucken, nicht mit dem Kopf anzustoßen, an den Felsen dicht über unseren Köpfen.

Eingangshalle Iveria Sanatorium

Das Iveria Sanatorium liegt fast direkt auf dem Weg zu den Trucks und da wir supergut in der Zeit sind, wollen wir heute sogar nach weiter fahren bis nach Batumi. Unsere Zeit in Georgien neigt sich dem Ende. Von hier bis Batumi sind es ungefähr 150 km, das ist in unter 3 Stunden zu machen, ohne Pausen. Aber vorher schauen wir uns das Sanatorium an. Nur wo kommen wir da rein, ist die Frage. Es ist alles von einem hohen Alublechzaun umgeben. Doch da, eine Lücke. Jemand vor uns hat ein Element rausgetreten oder umgebogen, wie auch immer. Wir nutzen diese Lücke auch für uns und gehen rein. Erst sind wir ganz alleine hier unterwegs und staunen nicht schlecht, als wir dieses große Loch in der Decke sehen.

Das ist mal eine prachtvolle Empfangshalle gewesen. Wer weiß, welche Persönlichkeiten hier schon gesund kuriert wurden? Welche Zaren hier wohltuende Bäder und Schlammpackungen verabreicht bekamen? Lange ist das alles her. Nur mehr erahnen lässt sich der einstige Prunk der High Society aus der ehemaligen Sowjetunion. Jetzt zeugen hier eher weniger kunstvolle Graffitis von der Gegenwart. Wir lassen uns treiben und jeder macht für sich Fotos. Jeder sieht was anderes aus einer anderen Perspektive. Wir streifen durch alle Stockwerke, bis hinauf zum Dachgeschoss. Eine kleine abgebrochene Wendeltreppe führt hinauf in ein kleines Türmchen, mit einem Blickwinkel nach oben in den Himmel.

Dies hier müsste der große Speisesaal gewesen sein, noch immer prangen verzierte Stuckarbeiten unter der Decke. Viele Dielenbretter wurden bereits geplündert, aber einige sind noch unter Schutt und Dreck zu erkennen. Wir gehen in die Zimmer der Kurgäste, jedes mit eigenem Balkon mit Blick in den Garten und auf den verspielten Jugendstilspringbrunnen. Teilweise sehen die Zimmer aus, als könnte man mit wenig Renovierungsaufwand direkt einziehen. Meist sind sie aber total verfallen. Die Tapeten hängen zum Teil noch und lösen sich von der Wand, als hätte der Maler zu wenig Kleister genommen. Manchmal weht noch eine alte Gardine vor den offenen Fenstern im Wind. Überall gibt es was zu entdecken. Plötzlich höre ich Stimmen.

Ein Badezimmer?
….spooky….

Ich mache mich auf den Weg nach unten, es scheint aus der Empfangshalle zu kommen. Höre ich da nicht Jutta mit jemandem sprechen? Ein anderer „Lost Places“ Spotter hat unser Auto außen am Zaun gesehen und denselben Weg hinein gefunden wie wir. Er ist Spanier und alleine unterwegs. Ausgerüstet mit einer großen Kamera und einem kleinen Mietwagen. Er wird jetzt auch hier umherstreifen und alles aus seiner eigenen Perspektive sehen. Ich grüße ihn, beteilige mich kurz an der Unterhaltung und dann ziehe ich weiter. Später treffe ich Jutta wieder und wir befinden genug gesehen zu haben, um aufbrechen zu können. Nur eine Sache jetzt noch, bevor wir endgültig nach Batumi fahren. Auf zu den russischen Trucks.

Wir haben Glück, da stehen sie alle noch, genau so wie gestern. Es ist Platz und ich kann rückwärts in eine Lücke fahren. Die Trucker wundern sich wahrscheinlich mich heute schon wieder zu sehen, aber was soll’s? Ich frage wieder ob ich Ihre Wagen fotografieren darf und sie nicken. Was jetzt passiert wird mich über Wochen verfolgen. Ich stelle mich mitten auf die Straße um eine gute Position auf mein Motiv zu haben. Ich finde einen guten Blickwinkel und spiele ein bisschen mit der Brennweite, da sehe ich im Augenwinkel einen Hund von rechts kommen. Er läuft mitten auf der Straße und ich schaue nicht genau hin, so dass ich erst (als er mir vor die Linse läuft) realisiere, was da gerade geschieht. Ich drücke ab als er mir in das Bild läuft und…….

…..ich jetzt erst erkenne, das er mehr tod als lebendig ist. Er besteht nur noch aus Haut und Knochen. Durch das dünne, völlig verfilzte Fell erkenne ich seine Rippen. Ein Auto fährt an ihm vorbei und es kümmert ihn nicht. Er geht stoisch seinen schleppenden Gang weiter, als will er sagen, erlöst mich doch endlich….

Diese furchtbare, traurige Bild brennt sich mir ins Gehirn und ich kann nicht einschlafen, wenn ich daran zurückdenke. Weil ich mich schuldig fühle. Weil ich mich schuldig fühle, wegen unterlassener Hilfeleistung. Wir sind einfach gefahren, nachdem ich mein verdammtes Foto gemacht habe. Und auch jetzt geht es mir beschissen, während ich hier schreibe und ich fühle mich schuldig. Wir, besser gesagt ich, hätte etwas tun können und tun müssen. Jutta ist im Auto geblieben und hat gar nicht die ganze Tragweite mitbekommen. Ich hätte den Hund ins Auto laden müssen, um ihn zu einem Tierarzt zu fahren. Der hätte dann entschieden, ob er noch eine Chance hat auf ein lebenswertes Leben und behandelt und aufgepäppelt wird. Oder ob er eine Spritze bekommt, um ihn von seinen Leiden zu erlösen. Aber ich habe nichts dergleichen getan. Ich bin einfach weggefahren….

Und damit endet etwas vorzeitig Georgia – Chapter II

….und was als nächstes geschieht….

From Georgia to Turkey and the long way back to the waterhole – Chapter I

Chapter 11 – Georgien

…und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht…

Es kann doch so einfach sein!

BATUMI wird heute unser Ziel sein, wahrscheinlich die zweitgrößte Stadt Georgiens. Manchmal liest man auch Kutaissi sei die zweitgrößte Stadt. Uns ist das egal. Davor müssen wir aber erst die Grenze überqueren. Gerüstet sind wir mit aktuellen PCR Tests und allen nötigen Formularen und Versicherungen. Von anderen Reisenden haben wir erfahren, dass sie an der Grenze abgewiesen wurden, weil der PCR Test zwei Stunden überfällig war, also 74 Stunden alt. Sie wurden zurückgeschickt nach Hopa und mussten den Test noch einmal machen lassen. Unser Test ist erst ein paar Stunden alt. Bevor wir aufbrechen, lasse ich noch meine Latschen beim Schuhmacher richten. „10 Lira wird es kosten!“, sagt er mir vorher. Er ist eine Weile damit beschäftigt und braucht eine Menge Kleber. Ich beobachte, während ich warte, die backgammonspielenden Männer, die gelegentlich an ihrem Tee schlürfen. Andere Männer schauen ihnen beim Spielen zu und kommentieren hin und wieder. Meine Latschen werden noch auf Hochglanz geputzt nachdem sie repariert sind. Ich gebe dem Schuster 20 Lira, weil ich denke, dass er sich eventuell dabei verschätzt hat, wieviel Kleber er wirklich dafür braucht. Ich bin glücklich und er ist glücklich. Jetzt können wir fahren, Jutta sollte LEMMY soweit klar haben.

Batumi – schräge Bauten überall

Bis Batumi sind es nur etwa 45 Minuten, ohne die Zeit an der Grenze mitzurechnen. Auf dem Weg wird kurz Thema, was da in Kars wohl mit dem PKW war, der sich oben am Castle neben uns gestellt hatte und die ganze Nacht dort oben geblieben ist bis zum nächsten Morgen. Und das bei Temperaturen unter Null Grad. Jutta war das zunächst etwas unheimlich. So dachten wir beide unabhängig voneinander darüber nach. Ich hatte die Idee, dass er wohlmöglich zu unserem Schutz dort steht, was Jutta für völlig abwegig hielt. Passiert ist uns nichts dort oben, also Böses wollte er nicht. Kars ist eine sehr, sehr arme Stadt mit enorm hoher Arbeitslosigkeit. Ich hielt es für durchaus möglich, dass wir beim rauffahren gesehen wurden und sich jemand darum sorgte, dass den Fremden nichts geschieht in ihrer Stadt, wo die Not der Menschen groß ist. Erfahren werden wir es nie, aber ich will gerne an meine Theorie glauben, weil es sich gut anfühlt.

Sarpi – Grenzstation Georgien

Wir erreichen die Grenze und es warten nur wenige Fahrzeuge vor uns. Jetzt wird es spannend, haben wir auch an alles gedacht? Langsam aber stetig geht es voran, bis wir endlich an der Reihe sind. Die Ausreise aus der Türkei gelingt problemlos. Ein kurzes Stück fahren wir im Niemandsland und dann dasselbe von vorne. Wir zeigen alles was wir vorbereitet haben vor und es wird gewissenhaft geprüft. „Welcome to Georgia!“, heißt es kurz darauf von der netten Beamtin. Wir lassen das futuristische Grenzgebäude hinter uns und fahren durch ein neues und uns unbekanntes Land, drauf los in ein neues Abenteuer.

Batumi – Vorstadt

Das Erste was dann zu tun ist, das ist Juttas Part. Eine Simkarte für unseren Router muss her, damit wir Internet haben und recherchieren können, damit wir verbunden sind mit der Welt. Dazu halte ich schnellstmöglich, nachdem wir die Stadtgrenze von Batumi erreicht haben. Es ist noch Vorstadt und wir sammeln erste Eindrücke. Der Verkehr soll besonders fürchterlich sein und auch die Straßen, aber ich bin darauf eingestellt und rechne jederzeit mit allem. Ich parke vor einem Beeline Telecommunitation Shop, den Jutta schon in Hopa rausgesucht hatte, und warte wie üblich eine gefühlte Ewigkeit. Dann kommt sie grinsend aus dem Laden, mit einer neuen Tasche als Geschenk, weil sie den Premiuminternetdeal abgeschlossen hat. Die Beratung und Verständigung war perfekt und megafreundlich. Mit diesem Deal sind wir voll ausgerüstet mit reichlich Volumen für wenig Geld. Georgien empfängt uns mit offenen Armen.

Batumi Zentrum

Jetzt geht es durchs Zentrum, um hinter Batumi einen Stellplatz in einem botanischen Garten anzufahren, den Jutta auch schon im Vorfeld recherchiert hat. Dort kann man über Nacht stehen, für ca. 10 Euro. Aber Augenblick mal! „Was war das denn, hast du das auch gerade gesehen?“, frage ich Jutta. „Nee, was denn? Ich hab nichts gesehen.“, sagt Jutta. „Da war so ein Tower mit einem Riesenrad oben dran, den muss ich mir näher ansehen.“, sage ich. Ich wende und wir fahren zu einem kostenpflichtigem Parkplatz, an dem wir zuvor schon vorbeigefahren sind. „Es war irgendwo in dieser Richtung, meine ich.“, sage ich zu Jutta und die Suche beginnt. Das Tolle dabei ist, dass wir jetzt schon mal einen Innenstadtbummel machen, der gar nicht geplant war, denn Batumi hatten wir eher für den Rückweg vorgesehen. Wir kaufen zwei Flaschen georgischen Rotwein in einem kleinen, netten Weinladen, entdecken eine Metalkneipe, bei der auch auf dem Bürgersteig Guns N‘ Roses aus den Boxen dröhnt und mittags Bier getrunken wird. Wir sehen den Hafen und die Promenade und finden auch irgendwann diesen Tower, der tatsächlich im oberen Drittel ein Riesenrad an der Außenfassade trägt.

Batumis Zentrum macht im Gegensatz zur Vorstadt einen sehr modernen und wohlhabenden Eindruck. Das ist aber erstmal nur sehr oberflächlich, denn auch hier gibt es viel Armut. Das was wir zu sehen bekommen, bevor wir diese moderne Metropole zunächst verlassen, das wird uns deprimieren und eine Weile verfolgen. Wir kaufen noch etwas Kaffee in einem Spezialitätenladen und essen ein Rollo mit Hühnchen, nachdem wir auf deutsch angesprochen wurden, als wir an einem offenen Fenster darüber gesprochen haben, was wir denn zu Mittag essen wollen. Ein Mann, der vorher in Deutschland gelebt hat, hörte unsere Unterhaltung vor seinem geöffnetem Fenster, an dem er auch Außer-Haus Verkauf anbietet. Er kann uns überzeugen seine Rollos zu probieren, die Besten der Stadt. Wir teilen uns ein riesiges Rollo in seinem Restaurant und können danach gesättigt aufbrechen zum Stellplatz im botanischen Garten. Ich bin glücklich schon mal einen guten Eindruck von Batumi gewonnen zu haben und diesen Tower mit dem Riesenrad an der Fassade gefunden zu haben. Ich nehme mir vor, auf dem Rückweg mindestens eine Nacht hier zu verbringen, um dann noch die Metalkneipe zu besuchen. Als wir auf dem Parkplatz zurückkommen bietet sich uns ein Bild, das wir nicht so schnell vergessen werden. Wir schauen wo wir den Parkschein bezahlen können und dann sehen wir einen kleinen Jungen, der halb unter unserem Camper hockt, genauer gesagt unter dem Fahrradträger und dort seine Notdurft verrichtet. Wir geben ihm Zeit und drehen eine kleine Runde, um das erstmal zu verdauen. Es ist wohlgemerkt ein öffentlicher Parkplatz, mitten in der belebten Innenstadt, zu allen vier Seiten offen und einzusehen. Schutz bot diesem Jungen nur eine Seite unseres Fahrzeugs und die Bikes über ihm. Toilettenpapier hatte er nicht zur Verfügung und als wir kurz darauf den Parkplatz verlassen, da steht er schon wieder bei seiner bettelnden Familie am Rande der Ausfahrt. Wir fahren weiter, etwas überfordert mit der Situation und reden nicht viel.

Innenstadtparkplatz Batumi

Bald darauf verpassen wir die richtige Einfahrt zum botanischen Garten und müssen einen kleinen abenteuerlichen Pfad hochfahren, auf dem wir dann aber glücklicherweise wenden können und finden schließlich die richtige Abbiegung zu Juttas angestrebtem Platz für die kommende Nacht. Durch die Probleme, die wir hier in wenigen Minuten haben werden, vergessen wir den Vorfall mit dem kleinen Jungen, der unter unseren Wagen gekackt hat und sich die Hose hochziehen musste, ohne sich richtig sauber machen zu können.

Wir müssen umgerechnet etwa 10 Euro zahlen und das ist ganz schön teuer. Aber Jutta will gerne die erste Nacht in Georgien auf einem sicheren, als Stellplatz ausgeschrieben Ort stehen. Wir zahlen im Voraus und bekommen eine Map mit den markierten Flächen, wo wir überall stehen dürfen. Leider hat es viel geregnet die letzten Wochen. Das haben wir ja schon von unseren neuen Freunden erfahren, von den Schweizern, dem Orange Land Rover Team. Die markierten Grünflächen sind alle frei, hinten steht noch eine Familie mit einem Zelt. Dazwischen verläuft eine schmale geteerte Straße, die gerade mal ca. 2 m breit ist und in etwa U-förmig verläuft. Wir fahren einmal die Strecke auf dieser Straße ab und diskutieren, wo wir denn wohl stehen können. Das Wenden am Ende der Strecke wird schon mal zu einem Problem, denn wir merken sofort, als wir auf die Grünfläche fahren, wie weich der Untergrund ist und wie schnell wir mit unseren 3,5 Tonnen absacken. Naja, woanders wird es besser sein ist meine Devise. Jutta hat sofort Zweifel und plädiert jetzt schon dafür auf festem Untergrund zu parken. Es gäbe eine Möglichkeit vor einem verschlossenem Tor, direkt am kleinen Bahnhof. Hinter dem Bahnhof ist auch gleich das schwarze Meer. „Auf keinem Fall will ich hier auf Asphalt stehen, wir haben All Terrain Reifen und Allrad!“, erwidere ich. Jutta murrt und ich versuche es an anderer Stelle erneut. Ich merke es sofort. Als ich mit allen vier Reifen vom Asphalt runter bin, drehen die Räder durch und ich sinke ab. „Fuck, was ist denn jetzt los?“ Mir wird klar, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe, dass LEMMY auch mit Allrad und AT Reifen nicht aus dieser weichen Matsche rauskommt, nicht ohne Hilfsmittel. Ich weiß sofort, dass ich Mist gebaut habe und vergeude keine Zeit mit irgendwelchen verzweifelten Versuchen mich freizufahren, da mir klar ist, das ich mich nur weiter eingraben würde. Juttas Todesblicke treffen mich, aber sie sagt nichts, denn ich komme ihr zuvor. „Ja, jetzt ist es halt passiert, wir stecken fest, aber mach dir keine Sorgen, ich regel das schon.“

Todesblick, schon etwas abgemildert! Lemmy weiß auch: „Du hast uns das eingebrockt!“
Fotografiert wird erst, wenn das Problem gelöst ist!
Spurenbeseitigung

Ohne viel Zeit zu verlieren mache ich mich ran die Fahrräder vom Träger zu holen und sie beiseite auf den Rasen zu legen. Dann kommen die Sandbleche an die Reihe, die ich jetzt bereits zum dritten Mal aus der Halterung löse. Das erste Mal war noch am Tuz Gölü, um zu versuchen das Filmteam zu bergen, das zweite Mal war auf dem Kaya Camp, um sie zu reinigen. Jutta schaut skeptisch zu, sagt nichts und lässt mich machen. Ich begutachte die Lage. LEMMY ist mit allen vier Rädern auf der Grünfläche eingesunken, der Asphalt ist kurz dahinter. Ich bin tief drinnen im Schlamassel, vom Rasen ist nichts mehr zu sehen in meiner Fahrspur. Jeden Fehlversuch, den ich jetzt unternehme, würde mich weiter und tiefer eingraben. Also die Sandbleche hinten am Heck unter die Reifen platzieren und zwar nicht zu knapp, so wie die Kollegen es am Tuz Gölü gemacht haben, denn dann ist es verschwendete Energie. Natürlich habe ich den Vorteil von vier angetriebenen Rädern, trotzdem schiebe und drücke ich die Sandbleche so weit wie irgendwie möglich unter die Hinterräder und schalte den Allradantrieb „4 Wheel Low“ ein. Jetzt mit viel Gefühl etwas Gas geben….und noch etwas mehr und LEMMY bewegt sich rückwärts. In mir steigt eine triumphierendes Gefühl auf und ich bin nicht mal unglücklich über diese Situation, denn ich habe daraus gelernt. Höre auch mal auf deine Frau, war die eine Erkenntnis. Aber wer keine Erfahrung macht, der lernt auch nichts dazu, war die andere Erkenntnis. Nachdem ich erleichtert wieder zum größten Teil festen Boden unter den Rädern hatte, da kommt so ein kleiner Elektrozug mit Besuchern des botanischen Gartens daher und drängt mich zur Eile, da ich noch den Weg versperre.

Nur nicht wieder festfahren!

Aber ohne mich stressen zu lassen rangiere ich LEMMY so, dass die beiden linken Räder Kontakt mit dem Asphalt haben und lasse den Zug vorbei. Wir parken dann auf der von Jutta präferierten Parkposition am verschlossenen Tor vor dem Bahnhof. Es muss nicht viel gesagt werden. Mir ist klar, dass ich einen Fehler gemacht habe und Jutta sieht ein, dass man auch aus solchen Situationen lernen kann. Im Grunde haben wir beide davon profitiert, was uns noch im weiteren Verlauf der Reise enorm helfen wird. Als alles wieder verstaut und verzurrt ist, da wollen wir noch etwas die Umgebung erkunden und merken, dass es im Tor noch eine Tür gibt. Durch die können wir den kleinen Bahnhof erreichen und den hinter den Schienen liegenden Strand. Kurzer Blick nach rechts und links, kein Zug in Sicht, also schnell über die Gleise zu dem kleinen Kiosk.

Hier gibt es unter anderem Bier und Chips. Jetzt fühlen wir uns angekommen. Wir sitzen am schwarzen Meer, haben ein kaltes Bier und den Blick über die weit entfernte Skyline von Batumi vor uns und einen erlebnisreichen Tag hinter uns. Der Sonnenuntergang und das nächste Bier runden diesen fast perfekten Tag ab und wir begeben uns zur Nachtruhe.

Blick vom Stellplatz…..durch den Bahnhof….am schwarzen Meer…..und Sonnenuntergang…..Amazing!

Beim zweiten Morgenkaffee, nachdem das Frühstück bereits erledigt ist, kommt eine junge Mutter mit kleinem Kind im Tragetuch und einem etwa vierjährigen Jungen an der Hand an meinem Fenster vorbei. Sie schaut hoch, ich schaue runter. Das Fenster ist offen, da wir morgens immer ordentlich lüften müssen und sie grüßt mich mit „Guten Morgen!“ Obwohl es noch recht früh ist, schalte ich schnell und denke: „Sie hat wohl unser Kennzeichen gesehen, woher sollte sie sonst wissen, das wir deutsch sprechen?“ Sie heißt Ricky und steht nicht weit von uns am Strand mit ihrem Mann und den beiden Kindern. Auf Instagram heißen sie „Into the Box“ und reisen auch ein ganzes Jahr lang. „Kommt doch auch an den Strand, da kann man super stehen und es kostet nichts.“ Jutta kommt zu mir rüber auf meine Seite ans Fenster und wir unterhalten uns eine Weile. Wir legen uns nicht fest, aber lassen uns diese Option offen. Wir finden sie sehr sympathisch, aber Jutta hat natürlich bereits wieder einen Platz recherchiert, während ich noch im Land der Träume unterwegs war. Es gibt einen Eco-Campingplatz direkt am Meer. Es ist aber ungewiss, ob der gegen Ende Oktober noch offen hat. Trotzdem möchte Jutta dorthin fahren. Wir besprechen es und ich würde gerne an den Strand fahren zu „Into the Box“, aber Jutta will sich vorher den anderen Platz anschauen. „Na gut, wenn das da nichts ist, dann können wir immer noch zurückfahren und uns zu den Anderen ans Meer stellen.“ So verbleiben wir also und fahren ein paar Kilometer zu diesem Campingplatz, um dort festzustellen, dass er bereits geschlossen hat. Auf dem Weg zurück an die Küste füllen wir noch unser Trinkwasser auf.

An einer Trinkwasserquelle zapfe ich mit meinem 10 Liter Kanister solange nach, bis der 100 Liter Frischwassertank komplett gefüllt ist. Dann fahren wir an die Küste ans schwarze Meer zu „Into the Box“ und haben eine fantastische Zeit. „Ihr müsst an dem einen Hochhaus vorbeifahren und danach über eine kleine Brücke, dann links Richtung Meer, danach nochmal links, dann seht ihr uns schon.“ Genau so kommt es dann auch. Wir stehen direkt am schwarzen Meer. Nicht weit von dem kleinen Bahnhof, wo wir uns gestern kennengelernt haben. Vor uns steht der grüne LKW von „Into the Box“. „Hey, da seid ihr ja, wie schön!“, werden wir herzlich empfangen von Ricky. Danach lernen wir auch Tim kennen, ihren Partner. Beide sind in Elternzeit und können deshalb diese lange Reise machen.

Es kündigt sich noch ein weiteres Team an, Freunde von „Into the Box“. Sie kommen am nächsten Tag. Auch sie sind zu viert unterwegs in ihrem LKW mit zwei kleinen Kindern. Ich denke es wäre doch schön, einen gemeinsamen Abend am Lagerfeuer zu verbringen und sammle fleißig Treibholz.

Well prepared!

Zuvor bekommen wir noch Besuch von einem Polizisten, der um unsere Sicherheit besorgt ist. Ricky und Tim kennen das schon, da sie schon sehr lange in Georgien unterwegs sind. Wir wurden aufgeklärt, dass es total üblich ist, dass die Polizeibeamten gelegentlich kommen und einem raten, woanders zu übernachten, wo es vermeintlich sicherer ist. Manchmal haben sich Ricky und ihre Familie daran gehalten, manchmal auch nicht. Hier war es so, dass der Schutzmann in seinem Auto übernachtet und uns nicht alleine lässt. Am nächsten Tag ist dann Schichtwechsel, immer sind wir unter Polizeischutz und wir fühlen uns dabei nicht unwohl. Das es nötig ist glauben wir allerdings alle nicht, denn dieses Land ist so überaus freundlich und wohlgesonnen Fremden gegenüber, dass spüren wir sofort. Abends haben wir dann eine lange Nacht am Lagerfeuer. Ich spiele mit meiner Boombox meine Lieblingslieder und bekomme dabei Unterstützung von Ricky, die auch gerne mal was Härteres hören mag, anstatt der ewigen Kinderlieder den ganzen Tag. So gehen die Stunden dahin und dann geht auch noch Rauchware durch die Runde, die ich nicht näher beschreiben will.

Perfekt gestapelt vom Lagerfeuermeister 😉

Das Feuerholz, das ich mit dem Junior von Tim und Ricky gesammelt habe, geht langsam zur Neige und die Damen verabschieden sich so nach und nach. Zuletzt sitzen noch Tim und sein Kumpel aus Holland bei mir am Feuer. Das letzte Bier aus Tims zwei Liter Plastikflasche wird nachgeschenkt und später noch das was mein Kühlschrank zu bieten hat und dann gehen wir alle pennen. Es bleibt nichts mehr übrig vom gesammelten Feuerholz in dieser Nacht.

Manchmal kommen morgens Delfine vorbei und die Kids gehen mit ihren Müttern schwimmen. Wir stehen hier drei Tage zusammen und haben eine gute Zeit. Irgendein Polizist ist immer vor Ort, um auf uns aufzupassen. Doch bald wollen wir einfach weiter und so verabschieden wir uns dann auch, denn uns zieht es nach Tiflis. Wieder mal merken wir, das wir nicht die Ruhe und Gelassenheit haben, um lange zu verweilen, wobei „lange verweilen“ natürlich relativ ist und von jedem anders interpretiert werden kann. Wahrscheinlich werde ich auch wieder gerügt dafür, das ich in der Mehrzahl spreche, denn eigentlich bin ich es der weiter will. Ich bin es der nach Tiflis will, in die Stadt, wieder was Neues sehen und erleben. Der Abschied fällt mir nicht zu schwer, da es hier heute morgen ziemlich stürmisch ist, die Wellen immer höher schlagen und es aus Eimern schüttet. Man mag eigentlich keinen Fuß vor die Tür setzen. Trotzdem gehen wir an die Türen der Camper, klopfen um Tschüss zu sagen und dann fahren wir in die Hauptstadt von Georgien, nach Tiflis.

Bye bye!

„Die Straßen sind schlecht!“, hieß es von allen Seiten. „Fahrt nicht bei Regen!“, hieß es, „Da seht ihr nicht wie tief die Schlaglöcher sind.“ Uns wurde auch gesagt, es sei nicht mehr möglich den großen Kaukasus ab Oktober zu befahren. Aber ich muss mich etwas bremsen, denn da sind wir noch nicht. Bis Tiflis kommen wir zunächst mal ohne besondere Vorkommnisse. Die Straße bis dorthin ist nicht so schlecht wie erwartet, dennoch muss man stets damit rechnen, dass plötzlich große Löcher auftauchen. Doch es wird auf vielen Strecken gebaut. Tunnel werden in Berge gesprengt, Brücken werden vorbereitet und überall sind Baustellen. In wenigen Jahren wird es wohl eine Autobahn von Peking über Tiflis bis nach Istanbul geben. Aber auch daran will ich noch nicht denken. Was mir auffällt, je näher wir Tiflis komme, desto egoistischer werden die Fahrer. Sie fahren ohne Rücksicht auf Verluste. Wer hier zimperlich ist, der kommt nicht weit. Hier muss man sich sein Recht erkämpfen.

Wozu braucht man auch Stoßstangen?

Da ich erprobt bin durch viele Reisen in und durch Asien, mit dem Motorrad oder dem Auto, fällt es mit nicht schwer mich hier durch den Verkehr zu wühlen und mir meinen Weg zu bahnen. Geschenkt bekommt man hier nix und wer darauf hofft, irgendwo mal reingewunken zu werden, der wird lange warten müssen.

Relativ entspannt komme ich an, relativ gestresst Jutta. Sie leitet mich perfekt durch jeden Verkehr, bringt mich von A nach B und es ist für mich niemals ein Problem, wenn sie einen Fehler macht und für sie ist es kein Problem, wenn ich mal falsch abbiege. Dennoch ist sie oft gestresst, wenn wir durch Städte fahren. Sie will mich immer perfekt leiten und leidet, wenn ich im engen Gewühl umdrehen muss. Ich wünschte ich könnte ihr diesen Stress nehmen. Wir erreichen dann jedenfalls den Parkplatz für die nächsten Tage in Tiflis. Aber Fuck, was jetzt? Da kommen mir Autos entgegen, an der Schranke, wo ich gerade reinfahren will. Offensichtlich bin ich an der Ausfahrt gelandet. Ich setze zurück und schon kommt da jemand aus dem Kassenhäuschen zu uns ans Auto. Er bedeutet uns zu warten und lässt uns an derselben Schranke passieren, in dem Moment in dem niemand entgegen kommt. Er spricht englisch, ist sehr hilfsbereit und nimmt sich Zeit für uns.

Wieder mal DIE perfekte Parkposition!

Wir können hier stehen so lange wir wollen, teilt er uns mit und weist uns eine Platz links am Rand des Parks zu. Mit diesem Stellplatz sind wir sehr zufrieden. Vor uns die Public Service Hall, die von oben aussieht wie eine Blume, hinter uns der Park und die Kura, die durch Tiflis fließt. Da es bereits dunkel ist und wir müde von der langen Fahrt sind, unternehmen wir heute nichts weiter. Morgen ist auch noch ein Tag.

Nach dem Frühstück haben wir den ganzen Tag Zeit uns einen ersten Eindruck zu verschaffen. Beginnen wollen wir mit der Altstadt. Die Sonne scheint und wir haben herrliches Spätsommerwetter am 25 Oktober. Wir überqueren eine Brücke und danach eine Unterführung und schon sind wir mitten in der Altstadt.

Wer braucht hier mehr Mut, Balkongucker oder Banksitzer?

Hier lassen wir uns treiben und bestaunen die ganzen neuen Eindrücke. Die leckeren Auslagen in den Schaufenstern lassen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wir bestellen zwei von den warmen, gefüllten und gebackenen Teigwaren und probieren jeweils von dem Anderen. Fantastisch. Und alles so preiswert hier. Georgien ist anders. Anders als viele Länder, die wir schon gesehen haben. Die Häuserfassaden sind alt und brüchig, aber gerade das macht den besonderen Charme der Stadt aus.

Ein Lost Place? Wir sind uns nicht sicher….

Kleine Balkone mit gusseisernen Gittern sind an fast allen Fassaden und die bunten Farben sind ausgeblichen. In den Durchgängen zu den Hinterhöfen sehen wir viele kunstvolle Graffitis, keine Schmierereien. Es werden sogar geführte Touren angeboten, die an besonders schönen Graffitis entlang führen und an Kunstobjekten der Künstler der Tbiliser Szene. Davon gibt es reichlich in der ganzen Stadt.

Manche dieser Kunstinstallationen sehen wir zufällig bei unserem Streifzug, zum Beispiel eine Schaufensterfigur, die auf dem Geländer eines Balkons sitzt und auf die vorbeilaufenden Passanten herunter schaut. Wir kommen an dem verwinkelten Uhrturm des Gabriadze Puppentheaters vorbei, an zwei bronzenen Männern, die faul auf einer Bank sitzen und noch vielen anderen schrägen Figuren, die hier und dort auftauchen. Überall gibt es was zu entdecken. Tbilisi, wie es in Georgien geschrieben wird, gefällt uns ganz ausgezeichnet. Wir sind beide richtig angefixt und haben uns verliebt in den Charme der Stadt, schon nach dem ersten Rundgang durch Oldtown. Dann entdecke ich einen roten Schriftzug über einer Tür. Davor hockt ein Türsteher auf einer abgewrackten Lederbank und eine Treppe führt durch einen halbgeöffneten roten Samtvorhang in die untere Etage. Ich frage, ob ich das Eingangsportal fotografieren darf und erkläre dem Türsteher auch warum ich das Foto machen will. Aber ich nehme an, er versteht kein Wort von dem was ich sage, nickt aber, da ich mit meinem Handy rumfuchtele und er sich sicher denken kann, was ich vorhabe. Über der Tür steht: „THE WORLD IS YOURS….“

Einkaufen wollen wir auch noch. Brot ist alle und hier gibt es doch dieses leckere Shoti aus dem Steinofen. Der Ofen ist ein großer, runder Zylinder, von unten befeuert und der Teig wird einfach an die Innenwand geklatscht. Sobald es fertig ist, wird es mit einem langen, spitzen Holzstab geschickt herausgelöst und landet dampfend auf dem Tresen. Bier könnte ich auch mal wieder nachkaufen, denn es gibt wirklich süffige Sorten hier in Georgien. Dann brauchen wir noch Wasser, Muesli, Obst und Gemüse und so kommt eins zum anderen. Chips sind auch fast alle. Bald kommen wir im Carrefour in die Gemüseabteilung und mir gehen die Augen über. Eine Zapfanlage! An den vier Zapfhähnen hängen vier leere zwei Literflaschen die nur darauf warten befüllt zu werden. Allerdings ist jetzt gerade Pause, denn von 15:00 – 16:00 Uhr ist niemand zum Zapfen vor Ort, verrät ein aufgestelltes Schild.

Frisches Shoti direkt aus dem Ofen, soooo lecker!
Beeindruckend, nicht wahr? 😉

Das macht aber auch überhaupt nichts, denn es gibt diese großen Flaschen auch aus dem Regal. Es gibt auch Dosen und Flaschen in handlicheren Größen. Die Auswahl ist schier überwältigend. Zu den vielen lokalen Bieren gibt es noch reichlich internationale Biere. Aber ich entscheide mich natürlich für die lokalen Sorten. Zum Glück ist der Carrefour nicht allzu weit von unserem Parkplatz entfernt, denn wir haben ganz schön zu schleppen. Alle unsere Beutel sind prall gefüllt und wir sind wieder gut versorgt für die nächsten Tage. Als alles in den entsprechenden Schränken und Fächern verstaut ist, kochen wir uns noch einen Kaffee und genießen ihn draußen auf einer Bank im Park. Da es für uns nie zu spät ist einen Mittagsschlaf zu machen, gönnen wir uns den auch noch.

Am Abend will ich etwas in die Kneipenkultur der Hauptstadt eintauchen. Dazu ziehen wir uns dicke Pullover und eine warme Jacke an. Schal und Handschuhe müssen auch sein, denn sobald die Sonne weg ist, wird es schon ganz schön kalt. Wir haben zwei Optionen laut Reiseführer. Dem Fluss aufwärts folgen oder in die andere Richtung nach unten gehen. Es gibt zwei Ausgehmeilen hier und ich wähle die, die uns flussaufwärts führt. Ein Grund dafür ist das riesige Bike, welches ich im Internet gesehen habe und was dort in der Nähe der Straße sein soll, wo die ganzen Bars und Kneipen sind. Das Bike ist auch dort, aber die Kneipenstraße habe ich mir anders vorgestellt.

Wahrscheinlich ist sie im Sommer auch anders und erst recht, wenn kein Corona Virus die ganze Welt ausbremst. Es gibt hier einige Thai Massage Salons, aber viel weniger Kneipen, als ich erwartet habe. So landen wir in einem Irish Pub der fast leer ist. Eine Barfrau begrüßt uns und am Nebentisch sitzen vier Typen mit ihren Bieren. Ich meine aus den Wortfetzen rauszuhören, dass es Schweizer, Deutsche und ein Engländer oder Amerikaner sind. Sie bleiben nicht konsequent bei einer Sprache. Die Musik ist gut, Beth Hart läuft in angenehmer Lautstärke. Ich bestelle mir ein Guinness und Jutta ein Wheat Beer. Wenn möglich bestellt Jutta Hoegaarden, ein belgisches Witbeer, aber das gibt es nur selten auf der Karte. Laut Internet müssen die meisten Läden im Moment um 23:00 Uhr zumachen, aber wir gehen schon kurz vorher, nach dem zweiten Guinness. Zurück nehmen wir einen anderen Weg.

Wir kommen durch die Prachtstraße und sehen eindrucksvolle Gebäude, das Theater, die Oper, todschicke Boutiquen, teure Nobelhotels mit beleuchteten Wasserspielen davor und hören sowas wie Livemusik. Erst leise, dann immer lauter und das klingt echt super. Wir nähern uns der Straßenband, dessen Sänger eine coole, raue Stimme hat und hören zwei Songs lang zu. Dann geschieht etwas Seltsames. Von allen Seiten kommen Polizeifahrzeuge an uns vorbei. Alle mit Blaulicht, aber ohne Sirene. Vorher ist uns die große Präsenz an Einsatzfahrzeugen auch schon aufgefallen, doch da haben wir uns noch nicht viel dabei gedacht. Jetzt werden überall ganze Straßen und alle Parkplätze abgesperrt, Flatterband wird gespannt und wir machen uns auf den Rückweg zum Camper. LEMMY steht nun auch hinter Flatterband auf dem fast leeren Parkplatz. Da wir eh noch ein paar Tage bleiben wollen, beunruhigt uns das nicht weiter. Aber was hier los ist interessiert uns schon. Jutta geht schnell vorne zum Kassenhäuschen und fragt nach. In der Public Service Hall wird morgen eine Parteiveranstaltung sein, findet sie raus. Zur anstehenden Wahl am kommenden Wochenende will Jutta raus sein aus Tiflis, da sie Krawalle und Randale befürchtet. Morgen bei der Veranstaltung wird schon alles friedlich verlaufen.

Public Service Hall

Als wir dann morgens noch im Bett liegen und aus dem Fenster schauen ist der Parkplatz bereits gerammelt voll. Das Flatterband, das uns quasi eingeschlossen hat liegt bereits auf dem Boden und immer mehr Kleinbusse drängen auf den Platz und die Polizeibeamten kapitulieren. Sie versuchen jetzt nicht mehr die abgesperrte Fläche freizuhalten, zu groß der Andrang und der Druck der Fahrer, die die Besucher dieser Wahlveranstaltung ankarren. Wir beobachten während des zweiten Kaffees das ganze Treiben und machen uns dann auf den Weg flussabwärts, um zu schauen wo die Ausgehmeile in der anderen Richtung ist. Außerdem wollen wir uns Nariqala Fortress ansehen und mit der Seilbahn dort hoch fahren, denn die Aussicht soll spektakulär sein von der alten Festung. Wir finden alles auf Anhieb, dort sitzt schon der bronzene Trinker mit seinem Trinkhorn in der Hand und kennzeichnet den Beginn des Restaurant- und Barviertels.

Und um die Ecke steht der Typ mit dem Schnurrbart und dem Koffer, an der Konka Station. Wir gehen einmal durch die beiden parallel verlaufenden Straßen, um uns ein Bild zu machen und zu überlegen, wo wir denn auf dem Rückweg einkehren können. Es sieht überall sehr nett aus und wir kommen an keinem Restaurant vorbei ohne angesprochen zu werden. Draußen liegen Wolldecken auf den Stühlen und Heizpilze stehen überall. Hier ist auch jetzt schon deutlich mehr los als gestern Abend in der anderen Richtung. Niemand ist wirklich aufdringlich, aber Jutta nervt trotzdem immer, wenn wir pausenlos angequatscht werden. „Hier gibt es das beste Essen in Tiflis!“ oder „Kommt wieder, ich warte hier auf euch.“ und so weiter…“Sie machen doch auch nur ihren Job!“, sage ich zu Jutta und hin und wieder sage ich: „Maybe later!“ zu den Damen, die uns auf das Menü ihres Lokals aufmerksam machen. Nachdem wir uns erfolgreich den Weg gebahnt haben ohne irgendwo einzukehren, müssen wir einmal über die Brücke und über den Fluss.

Von dort geht die Seilbahn hoch zur Festung. Davor steht ein großer Baum aus Metall, der Stamm besteht aus lauter Öfen, in den Ästen diverse Vögel, Vogelhäuser und einzelne Blätter. Wieder eines dieser großartigen Kunstobjekte. Für kleines Geld bekommen wir einen Fahrschein für die Seilbahn und ohne zu warten können wir eine Gondel besteigen. Schon die Fahrt nach oben gewährt eine tolle Aussicht.

Wir sehen die Freedom Bridge, deren Architektur mich durchaus anspricht, was nicht auf jeden zutrifft. Die Spötter nennen sie die Schildkröte. Dann sehen wir auf der anderen Seite der Brücke so eine Art Füllhörner, zwei riesige, gebogene Flaschenhälse, die wohl als Konzerthäuser genutzt werden, denke ich zumindest. Noch ein Stück weiter, hinter der Freedom Bridge, ist die, von hier oben blumenförmige, Public Service Hall, wo wir zur Zeit auf dem Parkplatz wohnen.

Mother Georgia

Oben angekommen stehen wir vor einer gigantischen Statue, der MOTHER GEORGIA. Sie überblickt von hier ganz Tbilisi. So wie wir jetzt gerade, und der Ausblick kann sich sehen lassen. In weiter Ferne sehen wir die typischen georgischen Kirchen, sehen Berge und die beiden durch den Fluss getrennten Stadthälften. Zur Festung geht es noch etwas weiter nach oben, diesmal allerdings zu Fuß. Hier sehen wir noch eine schöne Kirche auch von innen. Draußen vor der Kirche läuft ein professionelles Fotoshooting mit einer georgischen Schönheit. Wir gehen weiter aufwärts.

Einmal über Jürgens rechtes Knie gucken!

Was ich dann sehe lässt mir den Atem stocken. Die Festungsruine hat einen runden Turm, der nach außen 100 Meter oder mehr steil abfällt. Abgerundete Zinnen, neun oder zehn krönen den Turm und oben auf den Zinnen steht jemand. Jetzt läuft er los, hüpft von einer zur anderen Zinne. Ist der denn komplett irre? Er posiert, teilweise sieht es so aus, als will er einen Golfball abschlagen.

Oben links isser der verrückte Typ!

Offensichtlich filmt er sich. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich weiß, dass es einige verrückte You Tuber gibt, die ihr Leben riskieren um solche Aufnahmen zu machen. Scheinbar ist da vor meinen Augen genau so ein verrückter Typ. Es sieht bei ihm alles sehr geschmeidig aus, als ob er das nicht zum ersten Mal macht. Und wäre da nicht dieser wahnsinnige Abgrund, wäre es wahrscheinlich nicht einmal schwierig. Aber der Abgrund ist da. Und ein falscher Tritt, ein Ausrutscher würde den sicheren Tod bedeuten. Innerhalb der Zinnen kann er sich bewegen, dort fällt er auch nicht tief, aber außen runter…..Er springt nach innen und stellt seine Kamera samt Stativ um und macht sich wieder auf, die kleinen Rundbögen zu erklimmen um erneut zu posieren. Er wechselt die Gangart und tänzelt wieder von einer Zinne zur Anderen. Stellt sich in Pose und schaut.

Etwas ungefährlicher die Pose, aber fast genauso crazy, der Typ 😉

Er weiß, dass er beobachtet wird. Außer uns sind da noch zwei junge Ladys, die sich auf dem Weg zu ihm machen. Ich wundere mich nur, dass nicht längst schon irgendwelche Ordner oder Polizisten da sind, um ihn von seinem lebensgefährlichen Tun abzuhalten. Jutta drängt zum Weitergehen, will ihn nicht durch noch mehr Publikum anheizen. Irgendwie fasziniert von diesem crazy Typen gehen wir. Runter fahren wir nicht mit der Seilbahn, sondern wir laufen. Dann kommen wir wieder genau bei den Restaurants von vorhin raus und wissen auch schon, wo wir essen wollen. Nach einem tollen Dinner in einer plüschigen und gemütlichen Atmosphäre unter einem Heizpilz verabschieden wir uns von der Katze, die es sich auf meinem Schoß bequem gemacht hat, zahlen und wollen auf dem Rückweg noch bei der Freedom Bridge vorbei gehen.

Wieder hallt uns Livemusik entgegen und die Akustik ist phänomenal unter dem Panzer der Schildkröte. Mitten auf der Freedom Bridge spielt Jozef New mit seiner Gitarre und einem kleinen Verstärker. Ich nehme an er spielt seine eigenen Kompositionen. Er hat eine tiefe und traurige, ausdrucksvolle Stimme. Das Lied ist sehr melancholisch und wunderschön anzuhören. Ich filme die ganzen 5-6 Minuten und frage mich, worüber er da wohl gerade singt. Hin und wieder landen ein paar Münzen von Passanten in seinem Gitarrenkoffer, auch Jutta schmeißt was hinein. Irgendwie passt dieser stimmungsvolle Moment unter diesem Schildkrötenpanzer mit dieser grandiosen Akustik zu diesem wundervollen Tag. Hand in Hand machen wir uns auf den Heimweg.

Freedom Bridge

Notiz am Rande, heute ist der 19.01.2022 um 00:15 Uhr. Ich sitze an meinem Schreibtisch in unserem Apartment in Downtown Halifax und höre Chris Cornell mit dem Cover „Nothing compares to you“ von Shinead O Conner. Hinter mir läuft das Video dazu auf einem riesigen Flatscreen TV. Draußen sind es – 18 Grad und es liegt Schnee auf den Straßen. Wir sind in Quarantäne, haben aber vor wenigen Minuten die „negativen“ Testergebnisse bekommen. Die Aussicht aus dem Fenster ist fantastisch, es ist alles noch so schön beleuchtet, als wäre immer noch Weihnachten. Es war eine echte Odyssee bis hierher zu kommen, aber dazu später mehr.

Tbilisi ist eine Weltmetropole. Unabhängig vom Fahrverhalten der Hauptstadtbewohner halte ich diese Stadt für weltoffen, für modern und zukunftsorientiert. Wir leben hier für eine knappe Woche auf dem Parkplatz und fühlen uns absolut wohl und genießen die Zeit in Capital City. Wir werden mit offenen Armen empfangen und der nahende Abschied fällt mir schwerer als Jutta. Ich mache noch eine Nachtschicht und schreibe an meinem Blog, dementsprechend müde bin ich am nächsten Tag. Wir lassen uns treiben und verweilen mal hier und mal dort. Pläne werden geschmiedet für die nächsten Etappen. Von „Into the Box“ wissen wir, der Vashlovani Nationalpark ist ein Paradies für Offroader. Da will ich gerne hin und Jutta stimmt zu. Dafür braucht man aber ein Permit und der Weg ist weit. Also müssen wir erstmal nach Dedopliszqaro um die Genehmigung zu bekommen, um in dieses Wunder der Natur fahren zu dürfen. Dort soll es noch den letzten lebenden kaukasischen Leoparden geben, in freier Wildbahn. Vorher kaufen wir noch Postkarten und Briefmarken, besuchen einen wunderbaren Waschsalon und begeben uns dann auf die Weiterreise.

Vashlovani NP wir kommen. Rock’n Roll!

Da wir einige Tage gestanden haben ist unser Wasservorrat zur Neige gegangen, denn wir mussten ja auch zwischendurch duschen. Aber direkt an unserem neuen Stellplatz soll eine Quelle sein, an der ich unseren 100 Liter Frischwassertank wieder auffüllen kann. Unterwegs gibt es frisch gebackenes, süßes Brot vom Straßenverkauf, welches sich hervorragend während der Fahrt für den kleinen Hunger anbietet. Nach vielen Stunden Fahrt kommen wir endlich im Ort an. Es ist bereits dunkel und dazu noch sehr neblig. Wir finden die Quelle und unseren Stellplatz für die Nacht. Ein paar Rinder werden an uns vorbeigetrieben. Ein Betrunkener kommt, beobachtet uns während wir LEMMY auf die Rampen fahren, dann zieht er weiter. Ein kleiner PKW hält neben uns und füllt fünf große Kanister Wasser auf und verlädt sie im Kofferraum. Danach begebe ich mich an die Quelle und fülle mit unserem 10 Liter Kanister den Frischwassertank auf bis die Anzeige 98 Liter anzeigt. Der Nebel wabert um uns herum. Ich fühle mich wie in einem Miss Marple Film.

Ich finds gruselig hier!

Alles ist schwarz-weiß. Dann kommt ein altes Moped vorbei mit Beiwagen. Es hält auf einer Brücke und ein paar junge Leute quatschen miteinander, dann fährt es weiter und die kleine Gruppe löst sich auf. Der Nebel wird dichter und Jutta fühlt sich nicht wohl hier, das merke ich. Sie ist die ganze Zeit mit ihrem Handy beschäftigt und plötzlich fragt sie, ob wir nicht doch schon zu diesem Office fahren können, bei dem wir morgen früh das Permit für den Nationalpark beantragen wollen. „Wenn du gerne möchtest. „, sage ich. „Dann machen wir das.“ „Ich weiß auch schon wo wir lang müssen, ist nicht weit von hier.“, bekomme ich zu hören. Es sind tatsächlich nur wenige Minuten zu fahren, dann sind wir schon da. Der Parkplatz ist zwischen dem Office und einem kleinen Supermarkt.

Er bietet Platz für fünf bis sechs Fahrzeuge, je nachdem wie weit sie auseinander stehen. Allerdings ist ein breiter Graben zwischen Straße und Parkplatz und nur zwei etwa fahrzeugbreite Überwege führen über den Graben auf den Parkplatz. Das hatte Jutta überhaupt nicht gesehen. Sie hat nur die Parklücke gesehen, hinter dem Graben. „Was machst du denn da?“, ruft sie laut, als ich weit aushole um rückwärts über diese Art Brücke zu fahren und aus ihrer Sicht vermeintlich auf ein anderes, hinter mir parkendes Auto zu zusteuern. „Ich parke ein.“ , erkläre ich mich. „Hast du den Graben nicht gesehen?“ „Oh Gott, scheiße nein! Das habe ich überhaupt nicht gesehen.“ Sie entschuldigt sich tausendmal und kriegt sich kaum wieder ein.

Im Dunkeln kann Frau das echt leicht übersehen 🙁

„Wie gut, das du das gesehen hast.“, wiederholt sie mehrmals. Vermutlich hat sie sich gedacht: „Wenn das schief gegangen wäre!“ Und ich hätte beim rückwärts Einparken den Hinterreifen im Graben versenkt und mit der Achse aufgesetzt, dann hätten wir eine längere Pause einlegen können und LEMMY wäre für eine ganze Weile in irgendeiner Werkstatt verschwunden. Es geht alles gut und ich kann LEMMY S-förmig in die Parklücke fahren. Damit wir gerade stehen, fahre ich auch noch vorne links auf eine Rampe. Jutta entschuldigt sich ein weiteres Mal, dass sie das übersehen hat, aber ich versuche sie zu beruhigen. Denn als Fahrer ist es schließlich meine Verantwortung genau zu gucken wohin ich fahre und was ich tue. Am nächsten Morgen ist alles vergessen und wir bekommen unser Permit für den Nationalpark. Ob wir „4 Wheel Drive“ haben, war glaube ich die entscheidende Frage bzw. „Yes, of course!“ die entscheidende Antwort.

Ob der uns wohl über den Weg läuft 😉

Wir sehen ein großes gerahmtes Bild mit dem kaukasischen Leoparden. Unter der Fotografie steht, dass die Aufnahme im Jahr 2006 entstanden ist. Aufgenommen wurde dieses Foto von einer Wildkamera, die weit ab mitten im Park installiert war. Eine englischsprachige Map gibt es leider nicht mehr, nur noch eine in georgischer Sprache. Aber da werden einige Punkte von der netten Dame mit einem roten Kuli markiert. Auf Juttas Handy markiert sie uns ebenfalls einige markante Punkte in der „Maps me“ App. Damit fühlen wir uns gut gerüstet für den Vashlovani National Park. Vorher müssen wir aber noch dieses Permit bestätigen lassen, da wir sehr nahe an der armenischen und aserbaidschanischen Grenze sind. Dafür müssen wir nur wenige Minuten weiter zur Borderpolice fahren. Vorher wird kurz im Supermarkt das Nötigste für ein paar Tage in der Wildnis eingekauft und dann geht es auch schon los. Wir erreichen den Stützpunkt, geben unser Permit an den Wachsoldaten am Tor und werden aufgefordert zu warten, nur zwei Minuten. Nach ca. 20 Minuten kommt er wieder und händigt mir ein Papier aus. Jetzt ist wohl alles klar. Bevor wir nun endgültig aufbrechen in das Offroad Paradies, in den Vashlovani N.P., will ich noch das nahe gelegene World War II Memorial sehen. Jutta wartet im Auto, während ich einen Hügel hinaufspaziere um mir dieses verfallene Monument anzuschauen.

Denkmal und Lost Place

Danach kann es endlich losgehen und voller Vorfreude starte ich und voller Skepsis, aber bereit für ein Abenteuer, startet Jutta neben mir auf dem Beifahrersitz. Und bevor es so richtig los geht, da beginnen schon die ersten Probleme.

Wir fahren zunächst auf geteerten Straßen. Sie haben viele Löcher und Bodenwellen, aber dann enden sie abrupt. Jetzt beginnt die Piste, nur noch Dreck unter den Reifen, dunkelbrauner Sand mit noch viel mehr Löchern als auf allen Straßen davor. Eigentlich ist es eher eine Reibeisenpiste, die Löcher machen den größeren Teil der Strecke aus. Ich fahre langsam, zum Teil sehr langsam, denn wir können nie wissen, wie tief die Löcher sind, alle sind bis oben mit Wasser gefüllt. So geht es die nächsten 20 km weiter, weiß Jutta zu berichten. Spaß macht mir das hier auch nicht, aber das gehört eben mit dazu.

Ausweichstrecke?

Was ist das denn jetzt für ein verdammtes Geräusch? Irgendetwas quietscht und kratzt vorne links an der Bremse. „Scheiße!“, fluche ich laut, echt abgenervt sofort nach dem Einstieg in die Route, in das Abenteuer, ausgebremst zu werden. Ich halte und gucke, fahre weiter. Ich trete fest auf die Bremse und höre wie sich das Geräusch verändert. „Lass uns noch ein bisschen weiter fahren, vielleicht hört es ja von alleine wieder auf.“, sage ich optimistisch zu Jutta. Es hört nicht auf. Was jetzt? Sollen wir in eine Werkstatt fahren? Wir haben ein 3-Tage Permit für den Park. Ist das Abenteuer vorbei, bevor es richtig begonnen hat? Ausgerechnet von Jutta kommt der Vorschlag, den Reifen einmal abzunehmen und zu gucken, was da los ist. Ich bin erstaunt, aber sofort dabei. „Ja, auf jeden Fall, das machen wir.“

Es klappt mit normalem Bordwerkzeug, yes!

Wagenheber hinter dem Beifahrersitz rausgekramt und Kreuzschlüssel hinter dem Fahrersitz und dann los. Mal sehen, ob unser serienmäßiges Equipment ausreicht. Es geht, ich pumpe LEMMY mit dem Wagenheber so hoch, das ich den Reifen abnehmen könnte, aber ich bekomme die Schrauben nicht los. Der Reifen dreht sich mit. Dann fällt mir ein, dass man die Schrauben natürlich lösen muss, wenn der Reifen noch Bodenkontakt hat. Damit er sich eben nicht mit dreht beim Lösen der Radmuttern. Also Wagenheber absenken und Bodenkontakt herstellen. Jetzt die Muttern lösen und dann wieder hoch pumpen. Nun kann ich den Reifen abziehen und mit der Taschenlampe mal schauen was da los ist. Ein winzig kleines, verdammtes Steinchen hat sich eingeklemmt zwischen einem Blech und der Bremsscheibe. Mit unserem Brotmesser kann ich den kleinen Krachmacher dort rausdrücken. Überglücklich dieses Problem eigenständig gelöst zu haben und unsere Reise ohne Werkstattbesuch fortsetzen zu können, fahren wir weiter.

Übeltäter gefunden!

Hin und wieder gabelt sich die vor uns liegende Piste oder es gibt sogar rechts und links Ausweichmöglichkeiten. Dann müssen wir entscheiden, welche der zwei oder drei möglichen Routen wir nehmen. Meistens führen sie nach einigen Kilometern wieder zusammen, sie sind aber unterschiedlich in der Qualität. So sind diese Pisten dann wohl auch entstanden. Es wurde probiert, ob es nicht etwas ruckelfreier geht, ob man nicht neben der Hauptpiste entlang schneller voran kommt. Es ist ein bisschen wie Russisch Roulette spielen, denn man kann nie wissen was einen erwartet und ob nicht die linke Route vorzuziehen gewesen wäre, wenn wir uns für die rechte entscheiden.

Eindeutig…oder etwa doch nicht?

Aber darum geht es hier ja auch, um Offroad zu fahren, abseits der Zivilisation. Wenn es denn mal nicht weiter gehen sollte, dann kann man immer noch umdrehen oder soweit zurück fahren, bis ein Wenden wieder möglich wird. Nur festfahren sollte man sich auf keinen Fall, jedenfalls nicht so sehr, dass man sich alleine nicht helfen kann. Es kann dann schon mal Tage dauern bis jemand vorbeikommt. Man könnte im Notfall wohl das Office oder die Ranger anrufen. Telefon- oder Internetempfang gibt es hier aber nur selten, was einen Hilferuf natürlich deutlich erschwert. Wir haben aus Gewichtsgründen keine Winde dabei, die helfen könnte, wenn die Sandbleche nicht mehr ausreichen. Zum Glück war es jetzt länger trocken, so dass nur noch in den Bodenlöcher das Wasser steht. Die Piste ist meistens trocken, nur gelegentlich leicht feucht. Wir haben ein Ziel für heute Abend, einen markierten Übernachtungspunkt im „Bear Canyon.“ Mit MapsMe (einer Navigationsapp, die wir offline verwenden können) klappt es ganz gut. Es ist jetzt im Grunde unser erstes echtes Offroadabteuer. Hier sind wir komplett auf uns gestellt. Hier können wir auch niemanden fragen oder eine zweite Meinung einholen, wenn es darum geht, ob eine Passage befahrbar ist oder nicht.

Ich finde Gefallen daran und Jutta ist relativ entspannt. Auch wenn es mal ordentlich schaukelt und hinten in der Kabine die Sachen durch die Gegend fliegen, was auch im Fahrerhaus zu hören ist. „Nicht so schnell!“, schimpft Jutta zwischendurch und ihre Blicke sagen den Rest. Da ich dankbar und glücklich bin, dass sie überhaupt mit mir diese viertägige Offroad Tour macht (wir haben drei Übernachtungen hier im N. P.) will ich sie nicht überstrapazieren und fahre etwas langsamer. Die Piste wird immer anspruchsvoller und durch Bäume und Sträucher links und rechts des Weges wird LEMMY ganz schön in Mitleidenschaft gezogen. Es quietscht und knarzt, wenn die Äste und Sträucher am Fahrzeug entlang schrammen. Manchmal kommt es überraschend und wir fahren mit verkniffenen Gesichtern bei diesen fürchterlichen Kratzgeräuschen weiter. Doch dann werden wir immer entspannter.

Ja, da zwischen Büschen und Felsen müssen wir durch.

Die Kratzer gehören halt dazu und uns war natürlich klar, dass wir Spuren am Fahrzeug sehen werden, nach so einer Tour. Einmal hatte ich großes Glück, als mich bei geöffnetem Fenster ein großer, hereinschnellender Ast nur knapp verfehlte, der mir sonst wohl die Wange aufgerissen hätte. Die Herausforderungen steigen weiter, wenn es Engstellen an Felswänden gibt und noch dazu riesige Furchen, die den Wagen kippen lassen und uns ganz schöne Schräglagen bescheren. Jutta steigt dann aus und schaut wie viel Platz zum Fels bleibt, denn Äste sind eine Sache, Felsenüberhänge eine andere. Die Kabine wollen wir tunlichst nicht aufreißen durch ein unbedachtes Fahrmanöver oder durch ein nicht vorhergesehenes Abkippen, weil die Räder durch eine tiefe Mulde fahren. Noch aufregender wird es, wenn Vieles zusammen kommt. Zum Beispiel eine Engstelle in einer Kurve mit einer großen Steigung. Dazu kommen selbstverständlich wieder die tiefen Auswaschungen im Boden, große Löcher und unbefestigter Untergrund aus Sand, Geröll oder matschiger, lehmiger Boden.

Easy! Keine Steigung, trocken und rechts und links Platz!

In diesen Situationen nutze ich dann das volle technische Programm, das der Ranger zu bieten hat. Dann fahre ich aus Mangel an Erfahrung mit 4 Wheel Low, obwohl wahrscheinlich 4 Wheel High reichen würde. Vielleicht bräuchte man in manchen Situationen nichts davon. Ich bin jetzt hier um dieses Defizit bei mir auszugleichen und praktische Erfahrung zu sammeln und dieser Ort ist das perfekte Terrain dafür. Während meinem 2-tägigen Offroad Lehrgang in Langenaltheim gab es verschiedene Philosophien zum Fahren in extremen Situationen. Die eine Philosophie ist genau die, an die ich mich im Augenblick noch halte. Sie besagt, im Zweifelsfall alles nutzen, was das Fahrzeug zur Unterstützung anbietet. Die andere besagt, sich erstmal rantasten und ausprobieren, damit im Ernstfall noch Optionen verbleiben, um noch Spielraum zu haben, wenn man festsitzt. Ich verfolge erst einmal die Strategie das volle Programm des Ford Rangers zu nutzen, um dann später durch gewonnene Erfahrung zu reduzieren. Damit fahre ich bisher ganz gut, im wörtlichen Sinne. Wir kommen dem Bear Canyon auch schon näher, aber Jutta wird immer unruhiger, was nicht an der Strecke oder meiner Fahrweise liegt. „Komisch!“, sagt sie „die verbleibende Entfernung zum Ziel passt nicht mit der Zeit zusammen, die mir für die Strecke angezeigt wird.“ Mich beunruhigt das weniger, weil ich denke: „Dann stimmt die Zeitangabe einfach nicht, scheiß drauf!“ Für 7 km noch acht Stunden fahren kann ja wohl nicht sein.“, sagt sie. „Nee!“, stimme ich zu, „da wären wir zu Fuß ja schneller.“ Aus eben diesem Grund muss es eine Fehlermeldung sein, warum auch immer.

Wunderschön! Aber wenn es hier anfängt zu regnen?

Am späten Nachmittag kommen wir an, sind mitten im Canyon. Zu beiden Seiten geht es steil die Felswände hoch. Wir sind unten in der Ebene, mal ist sie etwas breiter und an machen Stellen schmal. Ich parke LEMMY vor einer erhöhten Schutzhütte. Wir schauen uns um. In der unverschlossenen Hütte ist absolut nichts, aber sie bietet Platz für mehrere Personen, die dann ihre Isomatten ausbreiten können um sich auszuruhen. Wir gehen etwas umher, um die nähere Umgebung zu erkunden und finden noch ein gutes Stück höher einen Pfad hinauf zu einem Zeltplatz mit großer Feuerstelle. Niemand ist dort. Eine kleine Feuerstelle habe ich bei unserem Camp auch schon entdeckt und genau dort wollen wir heute Abend unsere Bratwürste grillen. Die stammen noch aus einem Supermarkt in Griechenland und warten darauf aus unserem kleinen Gefrierfach entnommen zu werden. Jutta bereitet drinnen etwas Gemüse und Salat zu, während ich Holz zum Grillen sammle. Ein Bär, der dem Canyon seinen Namen gibt, kommt leider nicht vorbei.

Lagerfeuer…in the making 😉

Irgendwann wird es dann dunkel. Ich sitze bereits am Feuer und freue mich über diesen fantastischen Tag, dessen Abend wir noch vor uns haben. Eine große Dose eiskaltes Bier steht neben mir. In Gedanke erlebe ich die vergangenen Stunden noch einmal. Erinnere mich an schwierige Passagen, die wir gemeistert haben und stelle fest, dass ich es liebe Offroad zu fahren. Der morgige Tag kann kommen, ich habe Bock genau so weiterzumachen wie bisher. „Wann willst du die Würstchen haben?“, ruft Jutta zu mir rüber. Ich überlege kurz: „In einer halben Stunde ungefähr, das Feuer braucht noch etwas.“ Ich habe gesammelt soviel ich konnte. Jetzt bin ich dabei das geschürte Feuer etwas abbrennen zu lassen, damit wir dann die perfekte Grillkohle für das Gemüse und die Würste haben.

Ich sehe einen großartigen, klaren Sternenhimmel wie selten zuvor. Die einzigen Lichtquellen hier sind mein glimmendes Feuer und die von innen erleuchteten Fenster vom etwas entfernt stehenden Camper. Wie schön der Himmel aussieht, es ist unglaublich. Ruhe kehrt in mir ein und ich entdecke einen Stern, der heller ist als alle anderen. Nur das knisternde Feuer ist zu hören, sonst ist es still. Ist das der Polarstern? Mit derlei Fragen habe ich mich zuvor nie beschäftigt. Ich beobachte den Himmel, während ich gelegentlich an meiner Bierdose schlürfe, stochere mal etwas im Feuer. Dann geht der Blick schon wieder nach oben gen Nachthimmel. Irgendwas ist anders, bilde ich mir ein. Ein hoher Baum oben am Rand des Canyons ragt weit in den Nachthimmel hinauf. Ich sitze am Fuße dieser beeindruckenden Kulisse und sehe wie der helle Stern der Baumkrone immer näher kommt. Jetzt will ich es genau wissen. Ich rücke mich zurecht und bleibe steif in meiner Position sitzen, schaue auf meine Armbanduhr und verharre die nächsten fünf Minuten lang. Ich präge mir den Abstand des hellsten aller Sterne vor der Baumkrone ein. In etwa zehn vor zwölf, wenn man sich das ganze Szenario als Uhr vorstellt. Jetzt warte ich die fünf Minuten ab und dann schaue ich wieder nach oben. Jetzt ist es fünf vor zwölf, der Stern ist der Baumkrone näher gekommen. Ich sehe wie die Erde sich dreht! Man mag jetzt denken: „Ja und? Ist doch nichts Besonderes.“ Aber für mich war es was Besonderes. Ich saß weit ab der Zivilisation in einem Nationalpark in Georgien. Vor ca. 15 Jahren gab es hier noch den kaukasischen Leoparden. Ich war irgendwie so ganz bei mir, saß am Lagerfeuer und beobachte den Sternenhimmel und auch ich wusste vorher, dass die Erde sich dreht. Aber zugeschaut habe ich ihr dabei noch nie.

Nach dem Essen sitzen wir noch lange am Feuer und ich lege Holz nach bis es zur Neige geht. Jutta verabschiedet sich schon mal und geht rein. Ich nehme draußen noch ein Bier und schaue zu wie das Feuer runter brennt, wie es sich selbst verzehrt. Stundenlang kann ich am Lagerfeuer sitzen und gucken, wie es sich entwickelt. Wie die Flammen sich das nachgelegte Stück erobern, wie sie durch die erst kleinen und dann aufbrechenden Risse ihren Weg bahnen um dann später lodernd durchzubrechen. Ich halte mich selber für einen Meister des Nachlegens. Bei mir wird nicht einfach ein Stück Holz nachgeschmissen. Nein, es muss arrangiert werden. Ein gutes Lagerfeuer ist eine Inszenierung des Lichts und der tanzenden Flammen. Ein gutes Lagerfeuer brennt lange und wird mit minimalen Mitteln maximal lange am Leben erhalten. Aber auch bei mir geht irgendwann jedes Feuer aus.

Vashlovani NP, immer neue Aussichten!

Nach einer ruhigen und erholsamen Nacht geht es nach einem kleinen Frühstück wieder los. Wir durchfahren enge Schluchten und dann später befinden wir uns oben am Rand einer Schlucht und gucken runter in endlose Weiten. Wir sehen in der Ferne lange Bergkämme, blauen Himmel und weite Ebenen mit grünen Bäumen, mit dürren Sträuchern. Die Natur bietet uns ein Farbspektrum von sattem Grün, über Gelb und Orange bis leuchtend Rot. Immer wieder kommen kleine Abschnitte, wo manchmal Jutta aussteigt, um zu schauen wie schwierig die Passage ist und manchmal komme ich dazu, damit ich mir selber ein Eindruck verschaffen kann.

Blind Summit

Eine Situation läuft nicht so wie gewünscht und wir diskutieren anschließend, woran es gelegen haben kann. Wir stehen vor einem „Blind Summit“. Das heißt vor einer Bergkuppe, bei der ich als Fahrer nicht sehen kann, was mich dahinter erwartet. Der Ranger hat eine lange Haube und wenn es steil bergauf geht, dann sehe ich nur Haube und den Himmel. Das ist nicht weiter schlimm, denn auf dem Scheitelpunkt kann man ja anhalten, um sich ein Bild zu machen. Oder man geht vorher einmal rauf und beurteilt die Situation mit dem Blick auf das Ganze. Im Offroad-Training habe ich gelernt diese Umstände zu meistern, wenn ich damit konfrontiert werde. Sollte es beispielsweise erforderlich sein, nach dem höchsten Punkt sofort scharf abzubiegen, dann sollte man sich einweisen lassen. Oder man sucht hohe Bäume oder andere markante sichtbare Hilfsmittel, die man anvisieren kann, um dann rechtzeitig einzulenken. Da wir aber zu zweit sind ist es nicht nötig, dass ich mir bestimmte Merkmal einpräge. So also halte ich erst auf der Bergkuppe an und dann steigen wir beide aus und besprechen wie ich mir die kurze, aber steile Abfahrt vorstelle.

Da will man nicht reinrutschen!

Es gibt extreme Auswaschungen und enorm tiefe Spurrillen, die ich um jeden Preis vermeiden will, um die Kippneigung nicht zu sehr auszutesten. Auf der rechten Seite wird die Spur von Bäumen und dichtem Buschwerk begrenzt, auf der anderen Seite geht es steil abwärts. Also zeige ich Jutta genau die Spur, die ich fahren möchte. Ich gehe sie sogar vor ihren Augen ab mit ausgestreckten Armen, wobei meine Fingerspitzen den Abstand der Reifen symbolisieren. Ich erzähle ihr worauf sie achten soll und was ich auf keinen Fall riskieren möchte. Sie steht unten vor mir, um mich in Echtzeit zu navigieren. So wie wir es von den Instruktoren in Langenaltheim gelernt haben.

Wir hatten zwei Instruktoren und waren eine kleine Gruppe mit sieben Fahrzeugen. Uns hatten sie der LKW-Gruppe zugewiesen. Mit unseren 3,5 Tonnen waren wir das kleinste Fahrzeug. Dann gabs einen Iveco mit 5,5 Tonnen, einen LKW mit 7,5 t und die anderen brachten über 10 t bzw. 12 t auf die Waage. Jedenfalls erzählte einer der Instruktoren, dass dieses Training in der Regel von Paaren besucht wird und die Damen den Part des Einweisers übernehmen. Das habe schon oft mal einen handfesten Ehekrach ausgelöst, denn der Fahrer muss sich auf den Einweiser verlassen und umgekehrt. Ich sitze jetzt also oben auf der Bergkuppe im Auto und rufe zu Jutta runter, ob sie denn bereit sei. Sie nickt mir zu mit angespanntem Gesichtsausdruck. Ich fahre und sie bedeutet mir, irgendwie so ganz anders zu fahren als eben besprochen. Sie zeigt mal hierhin, dann dorthin. Dann macht sie ein Stopzeichen, obwohl das eigentlich vermieden werden soll bei steilen Abfahrten. Es sei denn, es geht um einen drohenden, großen Schaden, den es zu verhindern gilt. Warum soll das Stoppen bei steilen Abfahrten vermieden werden? Weil man bremsen muss, was zum Beispiel bei Nässe schnell zum Kontrollverlust führen kann. Weil beim Treten der Kupplung die Motorbremse fehlt und der Wagen immer schneller wird und ich dann wieder bremsen muss. Oder weil beim Treten der Kupplung sofort die Drehzahl abfällt und ich den Schwung verliere, obwohl das allerdings eher bei Bergauffahrten zum Problem werden könnte. Bevor man also die Kupplung tritt, sollte man eher den Wagen abwürgen.

Upps, ein Baum war da ja auch noch!

Es ist nicht nass, aber ich fahre jetzt intuitiv runter, ohne auf Juttas Signale und Anweisungen zu achten. Theoretisch weiß sie auch, dass sie mich nicht zum Halten nötigen soll, wenn ich gerade eine etwas heikle Passage händeln muss. Aber ich merke, dass sie mit dieser Situation überfordert ist, wie es auch schon einmal in Albanien der Fall war. Dort sollte sie mich eine schwierige Passage hinauf navigieren und ist mir beim Bergauffahren dicht vor der Haube rumgeturnt und hat mich auch damit zum Bremsen genötigt. Ich komme gut runter und wir besprechen wie es dazu kommen konnte. Das Ergebnis ist im Grunde einfach. Ich habe zu viel geredet, habe zu komplexe Anweisungen gegeben und viel unnützes Zeug dabei von mir gegeben. Was sie von mir braucht, stellt sich jetzt heraus, sind knappe, klare Anweisungen. Zum Beispiel so: „Der rechte Vorderreifen soll immer auf dieser Linie bleiben!“ Am besten noch mit einem Stock einem Strich oder Steinen kennzeichnen, vielleicht auch abgebrochene Äste als Markierungen an kritische Punkte legen. Dann ist es immer noch schwer genug, so ein verantwortungsvolles Manöver hinzulegen. Wobei sie natürlich nicht alleine die Verantwortung hat. Ich als Fahrer bin letztendlich die letzte Instanz, die die volle Verantwortung hat. Ich treffe die Entscheidung, auch mal gegen die Anweisung des Navigators. Sie sollte dann trotzdem immer nach bestem Wissen und Können weiter navigieren. Auch wenn der Fahrer, aus welchen Gründen auch immer, unerwartet anders handelt als vorher besprochen. Es kann sein, dass es sich anders besser anfühlt, dass Umstände eintreten, die nur der Fahrer gerade erlebt. Aber die Unterstützung sollte trotzdem einfach weiter ausgeführt werden. Es kann ja wieder kurze Zeit später nötig sein.

Es gibt da so ein schönes Video auf You Tube eigentlich übers „gendern“ auf dem „maiLab“-Kanal. Ich mag Kim Mai Thi Nguyen sehr gerne und schaue mir viele von Ihren Filmen an. Sie erklärt wieder sehr unterhaltsam und erwähnt dabei den Wissenschaftler Jean-Luc Doumont , der sich mit “The Three Laws of Professional Communication” beschäftigt. Er unterscheidet zwischen signal und noise. Um sein „Publikum“ zu erreichen, muss man alle unwichtigen Informationen (noise/Rauschen) weglassen. Die „signal to noise ratio“muss maximiert werden.

Jede überflüssige Information in Vorträgen, Unterhaltungen oder eben auch in Anweisungen wird also als Rauschen wahrgenommen. Durch mein ganzes Palaver hat Jutta vor allem eins gehört, Rauschen.

Gigantische Ausblicke

Es geht gut voran und wir haben auch wieder ein Ziel für heute Abend. Aber es gibt dieses mal zwei verschieden Wege und für einen müssen wir uns entscheiden. Wir schlagen erstmal eine Richtung ein, gucken wie sich die Stecke entwickelt. Mit der Option umzudrehen um die alternative Piste zu fahren. An einer Ranger Station machen wir kurz Halt. Doch bevor wir fragen können, ob unser eingeschlagener Weg der Richtige ist zum Fluss an der aserbaidschanischen Grenze, ist der Ranger (der eben noch da war) verschwunden. Macht nix, es gibt hier einen kleinen Wander-Trail, den laufen wir mal lang. Vielleicht ist er ja auch gleich wieder zurück.

The Eldest Tree Trail

Wir laufen knapp zwei Kilometer, dann erreichen wir einen kleinen Aussichtspunkt, an dem eine Informationstafel über die Flora und Fauna in dieser Region steht. Eine andere Schautafel mit der Fotografie des letzten kaukasischen Leoparden, der wohl längst verstorben sein dürfte, gibt es auch noch. Wir gehen noch etwas weiter und ich bin etwas schneller als Jutta unterwegs. Da ruft sie mich plötzlich zurück. „Komm schnell her, aber nicht ganz zu mir. Da ist eine Schlange auf dem Weg. Da wo du gerade lang gelaufen bist.“ Ich komme zurück und dort ist sie noch immer, regungslos, mitten auf dem Weg. „Man gut, dass ich nicht auf sie drauf getreten bin. Wir müssen später unbedingt mal gucken, was für eine Schlange das ist. Vielleicht ist die giftig.“ Mit gebührendem Abstand mache ich Fotos.

Giftig oder nicht?

Später vermuten wir es handelt sich um die Levantinische Viper, eine Giftschlange. Ganz sicher sind wir aber nicht, anhand unserer Aufnahme und der Bilder aus dem Internet können wir das nicht eindeutig klären. Knöchelhohe Schuhe, die vor Schlangenbissen schützen, haben wir beide Gott sei Dank an. Ein paar hundert Meter gehen wir noch weiter, dann drehen wir um und gehen zurück. Die Schlange sehen wir nicht wieder. Vermutlich hatte sie sich totgestellt, als sie unsere Vibration spürte und als wir weitergingen zog auch sie wieder los. Den Ranger finden wir auch bei unserer Rückkehr nicht. Nur eine Menge kleiner Katzen streifen um sein Haus und folgen uns bis zum Auto. Eine springt zu mir rein. Ohne Katze fahren wir dann unserem eingeschlagenen Weg folgend weiter. Es geht eine Weile über breite Hügellandschaften und der Blick reicht weit in jede Richtung.

Über mangelnde Abwechslung können wir uns absolut nicht beklagen. Immer wieder werden uns großartige Aussichten über die massiven Berge geboten, über weite Steppen und eine fast unberührte Natur. Abgesehen natürlich von den Spuren, denen wir folgen. Die Landschaft ändert sich schlagartig, es geht wieder abwärts und die Strecke wird enger. Der Weg schlängelt sich relativ steil runter und ich muss mich wieder mehr konzentrieren. Dann plötzlich, auf einem kleinen Plateau, das auf der Map auch als Viewpoint gekennzeichnet ist, stehen zwei große Kastenwagen. Sofort wandert mein Blick auf das Kennzeichen. SP steht da drauf, sie kommen aus Deutschland. Wir halten und sehen den zweiten Mercedes Kastenwagen. Scheint das gleiches Modell wie der Erste zu sein, ein Mercedes 711 D.

Nice to meet you, globelotte53!

Sie genießen alle die Aussicht und haben sich noch nicht entschieden wie es für sie weitergeht. Die Strecke die uns bevorsteht ist richtig anspruchsvoll. Sie wissen das schon und wägen ab, was sie tun wollen. Sie, das sind zum einen Chris und seine Frau Erica mit ihrem gemeinsamen Sohn Levin und zum Anderen sind da noch Sebastian und seine Freundin Frieda. Ach ja, ein Hund gehört auch noch zu Chris und Erica, Ayla. Adoptiert irgendwo in der Türkei. Wir lernen uns kennen und tasten uns ein bisschen ab. Frieda und Sebastian sind noch sehr jung, etwas über 20. Beide sind Fotografen und haben sich während der Ausbildung ineinander verliebt. Jetzt sind sie schon seit geraumer Zeit auf Tour, den Großteil davon in der Türkei. Irgendwann und irgendwo trafen sie dann auf Chris und Erica und reisen seitdem immer mal wieder gemeinsam. Seit einer ganzen Weile auch schon in Georgien und im Vashlovani NP sind sie schon zum wiederholten Male. Chris und Erica sind eher unser Alter, vielleicht 7-8 Jahre jünger. Levin ist etwa 12 Jahre alt und wird von Erica unterwegs unterrichtet.

Da müssen wir runter!

Unsere Richtung ist klar definiert. Der sich steil abwärts schlängelnden, kurvigen Strecke hier folgen, runter an den Fluss (Alasani), der Aserbaidschan von Georgien trennt. „Kommt doch auch runter, dann trinken wir heute Abend ein paar Bierchen zusammen.“, schlage ich vor. Sie legen sich nicht fest und scheinen noch unentschlossen zu sein. Wir wollen jedenfalls weiter und machen uns langsam auf den Weg. Erst verabschieden wir uns noch von den Fünfen und dann geht es los. Und was uns jetzt erwartet wird ein Härtetest. Nicht nur für Juttas Nerven, auch für meine. Es wird ein Test für das Material, also für LEMMY, ein Test für mein fahrerisches Können und unsere Fähigkeit die Situation und Strecke zu beurteilen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin mir sicher, dass uns die beiden anderen Teams nicht folgen werden. Gleichzeit denke ich aber auch, wenn sie uns folgen, dann wird sehr schnell der Punkt für sie erreicht sein, an dem sie nicht umdrehen können. Dann müssen sie die schwierige Entscheidung treffen, ob sie rückwärts zurückfahren oder ob sie sich sagen, Augen zu und durch. Sie haben keinen Allradantrieb, einen kleinen, ersten Gang zwar schon und auch hinten die Doppelbereifung, aber sie sind länger und kopflastiger als wir mit LEMMY. Wir bedauern es sehr keine Nummern ausgetauscht zu haben, denn dann hätten wir versucht ihnen von der Strecke abzuraten.

Aber dafür lohnt sich der Weg

„Folgt uns bloß nicht!“, hätte ich gesagt. Die Passage ist äußerst fordernd. Es geht rauf und runter, oftmals gibt es Engstellen mit zum Teil großen Verschränkungen. Die tiefen Auswaschungen gehören hier überall dazu. Ich nutze häufig 4 Wheel High und auch 4 Wheel Low, wenn es besonders wild aussieht. Bei Nässe wäre es hier kaum befahrbar, doch Regen ist erst für den vierten Tag angesagt. Irgendwann erreichen wir dann einen militärischen Kontrollposten und werden gebeten unser Permit vorzuzeigen. Alles in Ordnung. Wir fragen nach dem Weg zum Fluss, denn hier gibt es wieder zwei Möglichkeiten weiter zu fahren. Er weist uns den Weg, der (wie sollte es anders sein) der Abenteuerlichere ist. Wir müssen einmal mehr einen steilen Hang runter, der abrupt abkippt. Durch eine Furt, die wenig Wasser führt, fahren und auf der anderen Seite einen ebenso steilen Hang hinauf. Es gelingt alles problemlos, doch Herzklopfen habe ich dabei trotzdem. Jutta bleibt erstaunlich ruhig und gelassen. Sie hat offensichtlich Vertrauen aufbauen können. Durch meine Fahrweise, durch die bisher richtig getroffenen Entscheidungen und durch LEMMYS Allradantrieb und die AT Reifen. Als wir ankommen stehe ich immer noch etwas unter Strom, bin aber froh und erleichtert, dass alles gut gegangen ist, dass Jutta alles relativ stressfrei mit macht und LEMMY nur ein paar weitere Kratzer aufzuweisen hat.

Stellplatz 2. Wahl

Nachdem wir uns zunächst schön direkt an den Fluss gestellt haben, werden wir von einem strengen Ranger an dieser Übernachtungsstation zwischen zwei Bungalows platziert. Die Bungalows kann man auch mieten, sie sind allerdings im Moment nicht bewohnt. Vor uns liegt der Fluss und auf der anderen Seite ist Aserbaidschan, unerreichbar für uns, denn auf dem Landweg sind die Grenzen geschlossen. Wieder denken wir an die anderen. An „Globelotte53“ (so nennen sie sich auf Instagram) und an Sebastian und Frieda und hoffen, dass sie vor dem „Point of no return“ umgekehrt sind oder das sie von vornherein gesagt haben, wir fahren die andere Richtung. Im Grunde fällt mir jetzt auf, standen sie ja dort, wo wir uns getroffen haben, schon am Scheideweg. Dort ging es ja nur vorwärts weiter oder den Weg, den man gekommen ist zurück. Wenn sie den jetzt weiter fahren, dann möglicherweise, weil wir den Ausschlag gegeben haben und sie mit uns eine paar Bierchen trinken wollen am Abend. Wir hoffen, dass sie nicht kommen, damit sie nicht wegen uns in Schwierigkeiten geraten, sich irgendwo festfahren oder nicht weiter kommen und malen uns verschiedene Horrorszenarien aus. Dann hauen wir uns noch ein Stündchen hin.

Und mir fällt eine lange zurückliegende Situation im Theater ein. Ich saß an meinem Schreibtisch in der Requisite und hatte etwas Zeit. Lucie, unsere Bühnenbildassistentin und ihre Hospitantin waren auch da. Sie machten gerne Mittagspause bei mir, denn es gab immer Kaffee. Auf der Bühne lief die Probe und auf meinem Monitor lief ein YouTube Video, wo sich gerade jemand durch den Schlamm wühlte. Es war ein getunter und aufgemotzter Jeep, der durch eine nasse Schlammrinne fuhr. Lucie wusste von unserer bevorstehenden Reise und kannte auch LEMMY. Denn gelegentlich kam ich mit ihm zum Theater, wenn zum Beispiel eine Premiere anstand oder ich an Silvester Vorstellung hatte und danach noch feiern wollte. Sie bemerkte beiläufig, während sie ihr Butterbrot aß und das Video schaute: „Offroadfahren ist doch einfach, oder?“ In Bruchteilen von Sekunden gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. „Was hat sie da gerade gesagt?“ Naja, sie ist sehr jung und hat gerade dieses eine Video gesehen. Ich mag und schätze sie sehr, aber sie weiß nicht, wovon sie da gerade redet. Vermutlich würde sie so etwas nicht sagen, wenn sie etwas besser Bescheid wüsste. Offroadfahren kann leicht aussehen und einfach erscheinen, besonders wenn es um nicht viel geht. Habe ich eine alte, getunte Schrottkarre, mit der ich einfach durch den Matsch brettern kann, dann sieht es vermutlich alles spielerisch einfach aus. Aber fahre ich ein kleines Expeditionsmobil, das eine ordentliche Stange Geld gekostet hat, dann ist das was ganz anderes. Ihr wird vermutlich nicht ganz klar gewesen sein, dass es verschiedene Schwierigkeitsgrade gibt.

Das ham wa uns verdient!

Ich habe es in einem Buch von der „Lila Pistenkuh“ gelesen, in dem der Autor beschreibt, wie er diese Schwierigkeitsgrade in etwa definiert. Ich zitiere nicht, sondern gebe es nur sinngemäß wieder. Er unterteilt in 5 Schwierigkeitsgrade. Der erste Grad ist eigentlich von jedem zu bewältigen, ohne Erfahrung und ohne Vorkenntnisse. Auch der zweite Grad dürfte niemanden vor allzu große Herausforderungen stellen, nur durch Unachtsamkeit könnte es zu leichten Schäden kommen. Beim dritten Grad sollte man schon etwas Erfahrung mitbringen oder zumindest wissen, wie man sein Fahrzeug beherrscht. Hilfreich ist es auch, wenn man weiß wie die Differentialsperre funktioniert. Was geschieht, wenn man die verschiedenen Untersetzungen einsetzt, wie sich der Kurvenradius und das Fahrverhalten ändert. Was das für Konsequenzen für das Fahrzeug, den Verschleiß des Getriebes hat, wenn man es unsachgemäß einsetzt. Wenn wir über den vierten Grad reden, dann sollte man wissen, dass man sein Fahrzeug so gut kennen und beherrschen sollte, dass man auch unter Stress, in angespannten Situationen, kurzfristig die richtigen Entscheidungen treffen muss, um Schäden am Fahrzeug oder Unfälle zu verhindern. Das man physisch wie psychisch in der Lage sein muss, extreme Situationen auszuhalten. Es kann hier bereits zu großen Schäden am Fahrzeug kommen, bis hin zum Totalschaden und zu Personenschäden oder sogar zu Todesfällen. Bei Stufe 5 sollte man sein Fahrzeug perfekt beherrschen und auch in der Lage sein die Situation und die Umstände exakt richtig einzuschätzen. Man muss dann in extremen Situationen richtig funktionieren. Man muss dann vielleicht an einer Steilkehre, an einer extrem steilen aufwärts führenden Piste reversieren, um die Kurve zu kriegen. Dabei gibt es keine Randsicherung und ein kleiner Fahrfehler könnte einen Sturz in den Abgrund bedeuten. Manchmal macht den Unterschied zwischen Stufe 4 und Stufe 5 aus, ob es nass oder trocken ist. Auf jeden Fall braucht man verdammt gute Nerven um hier zu fahren. Lucie weiß von alledem nicht viel. Darum antworte ich ihr, nachdem ich diese Gedanken in einer Sekunde abgehandelt habe: „Das kommt immer auf die Situation an Lucie.“ Und damit ist das Thema für mich beendet, weil ich keine Lust auf lange Erklärungen habe.

Plötzlich schrecke ich hoch aus dem Schlaf und bilde mir ein Motorengeräusche gehört zu haben.

…und was als nächstes geschieht…

GEORGIA – Chapter II

…und wie wir verlassene Sanatorien durchstreifen und warum mir ein Hund Tränen in die Augen treibt und schlaflose Nächte beschert…