….und wie man es anstellt, in der kalifornischen Wüste liegenzubleiben, obwohl man einen großen 140 Liter Dieseltank und 2 x 20 Liter Reservekanister hat
„Was sind eigentlich Arches?“, haben wir uns gefragt, als wir uns auf den Weg gemacht haben in den Arches National Park. Dem imposanten Bild nach zu urteilen, wegen dem wir hier überhaupt herfahren, sind es große natürliche Rundbögen bzw. Löcher im Felsen, die gigantische Ausmaße annehmen können. Entstanden durch Erosion, Wasser, Frost und große Hitze. Über Zeiträume, die wir als Menschen kaum fassen können, wird der Fels durch Wind und Sand quasi abgeschliffen. Dann kommt im Winter noch das gefrierende Wasser dazu, welches in die Hohlräume und Spalten fließt, sich beim Gefrieren ausdehnt und Teile des Fels absprengt. Im Sommer ist es im Park dann wieder sehr heiß und windig. Dieses Wechselspiel zwischen eisig kalt und extremer Hitze, Wind, Wasser und Sand verformt die mächtigen Felsen, so dass kuriose Formationen entstehen.
Aber bis jetzt haben wir noch keinen einzigen Arch gesehen, auf unserem Weg. Und ob wir dort im National Park überhaupt unterkommen ist noch ungewiss. Denn auf dem einzigen Campingplatz im Park ist alles komplett ausgebucht. So jedenfalls steht es auf der Homepage des Campgrounds. Wir versuchen es trotzdem, auf gut Glück sozusagen. Der März hat gerade erst begonnen und wir haben im Leben nicht damit gerechnet, dass bereits jetzt, lange vor der Sommersaison, ganze Plätze ausgebucht und reserviert sind. Dieses Ärgernis wird uns lange begleiten. So lange, bis wir über die Grenze nach Canada fahren.
Ich bin der Optimist und denke, es wird schon klappen. Wenn nicht heute, dann morgen. Jutta hofft auch, aber sie ist eher am Zweifeln.

Wir finden dieses Reservierungssystem, wo bereits 6 Monate im Voraus gebucht werden kann, nicht besonders gut, denn da haben wir keine Chance einen Platz zu ergattern. Oft wissen wir noch nicht, wo wir in drei Tagen sein werden, geschweige denn in Wochen oder Monaten. Uns gefällt ein anderes System viel besser: „First come, first serve!“
Mittlerweile sind wir in Utah angekommen und der National Park ist nicht mehr weit. Da sehen wir schon immer mehr von den rot gefärbten Sandsteinformationen und eine Weile später taucht der erste gewaltige Arch auf, noch bevor wir im Park angekommen sind. Ich trete fest auf die Bremse und stelle mich in eine kleine Parkbucht, um da oben in dieses riesige Auge zu steigen. Einige wenige andere Personen turnen schon da rum. Ich frage Jutta, ob sie mich begleiten will, aber sie verneint. Na egal, dann kann ich von hoch oben fotografieren und sie von weit unten.

Der Aufstieg ist ganz schön beschwerlich, ich gerate ins Schwitzen und muss eine kurze Pause einlegen, dann geht es weiter. Ich habe Glück, der blaue Himmel ist zwar bewölkt, aber immer wieder blickt die Sonne durch. Der Ausblick ist großartig und LEMMY da unten ist winzig klein. Mir gelingen einige tolle Fotos, während ich im Auge des Arches stehe, manchmal auch liege, um eine andere Perspektive zu bekommen.

Sehr zufrieden steige ich wieder hinunter und bin total gespannt auf das, was uns wohl erst im Park erwarten wird.
„Gleich links abbiegen!“, sagt Jutta, „da müsste dann das Gate kommen, der Zugang in den Arches National Park. Hoffentlich kommen wir rein.“
Am Gate fragen wir, ob es noch freie Plätze auf dem Campground gibt. Da müssen wir direkt beim Campingplatz nachfragen, bekommen wir mitgeteilt. Also lösen wir das Ticket für den National Park, das eine Gültigkeitsdauer von einer Woche hat und fahren hinein. Leider können wir wieder keinen Pass erwerben, der für alle US Parks gilt. Auf dem Weg hinein, kommen uns andere Camper entgegen und Jutta spekuliert schon, dass sie umkehren müssen, weil der Campingplatz komplett voll ist und auch wir bestimmt abgewiesen werden. Es ist bereits Nachmittag und die reguläre „Check out time“ ist meistens gegen Mittag. Manchmal auch schon um 11 Uhr, selten um 13 oder 14 Uhr. Es werden also tatsächlich keine Leute sein, die regulär abreisen, denn dafür ist es zu spät. „Es können auch Tagesbesucher sein.“, sage ich zu Jutta.
Wir fahren weiter in den Park und die Kulisse, die sich uns bietet wird immer spektakulärer und das ist nicht übertrieben. Die Felsen werden bizarrer und die Formen ändern sich hinter jeder Kurve. Es geht stetig weiter hinauf, denn wir befinden uns in einer Hochwüste.

Jetzt wird es spannend, denn wir erreichen den Campingplatz. Eine Rezeption sehen wir nicht, nur ein kleines Häuschen. Ein Zettel hängt dort am Tor: „Die Rezeption ist geschlossen. Wenden Sie sich an den Camping Host auf Platz 71!“ Noch gibt es also Hoffnung.
Wir fahren auf den Platz und ein Paar in Rangeruniformen kommt uns zu Fuß entgegen. Ob sie das wohl sein mögen? Sie winken uns bereits zu und ich fahre das Beifahrerfenster runter, als wir ungefähr auf ihrer Höhe sind. Beide lächeln und sind offenbar fasziniert von LEMMY. Jutta fragt, ob sie die Hosts sind und sie nicken bestätigend. „Haben Sie noch eine Campsite für uns, wir konnten im Internet leider nichts buchen, weil bereits alles reserviert war?“, fragt Jutta zögerlich und zugleich hoffnungsvoll.
„Ja, wir haben noch etwas frei. Es gab einige Absagen wegen dem Wetter. Aber schaut euch um, die Sonne scheint!“, sagt der Host.
Und er hat recht, es ist windig und etwas kühl, aber die langsam untergehende Sonne scheint noch. Und der bewölkte Himmel ist ein Spektakel aus grauen und weißen Wolken, darüber tiefes Blau und immer wieder bricht die Sonne durch das Wolkendach und es fängt an zu glühen dort oben.

Es wird noch etwas über unser Auto gesprochen, woher wir kommen, wohin uns die Reise führt und wo wir uns hinstellen können. Die beiden Hosts, ich vermute ein Ehepaar, erweisen sich als außerordentlich sympathisch und sind sehr an unserer Reise interessiert. Sie weist mit der Hand nur wenige Meter weiter und sagt: „Gleich da vorne ist ein besonders schöner freier Stellplatz. Ihr könnt euch aber auch erst umschauen, eine Campsite auswählen und uns danach Bescheid geben, wie ihr euch entschieden habt.“
So verbleiben wir und schauen uns den ersten Platz an. Mehr müssen wir nicht sehen, denn jetzt erst realisieren wir, wie geil diese Kulisse um uns herum ist. Irgendwie nicht von dieser Welt.

So stelle ich es mir auf dem Planeten Mars vor. Wir befinden uns auf einem Hochplateau in der Wüste. Rundlich glatt abgeschliffene Sandsteinfelsen, das Werk von Mutter Natur über Jahrhunderte. LEMMY steht in der finalen Parkposition und ich erkunde die Felsenterrasse vor meinen Füßen, vor meiner Haustür. Ich steige etwas höher, immer weiter nach vorne und der Rundumblick ist atemberaubend. In weiter Ferne erkenne ich wieder die schneebedeckten Gipfel, die uns schon länger begleiten. Dann weite Steppenlandschaften unter uns und überall bizarre Felsformationen.

Schlagartig bin ich wieder Kind, denke an die Perry Rhodan Heftchen, die meine 2 ½ Jahre ältere Schwester verschlungen hat. Ich hatte damals mehr Spaß an Comics wie Lucky Luke, das Phantom, Asterix & Obelix und Isnogud, der bitterböse Großwesir, der unbedingt Kalif werden wollte, anstelle des Kalifen. Aber jede noch so niederträchtige Idee schlug am Ende fehl und immer er selbst scheiterte in seiner eigenen Falle.
Meine Schwester hingegen las viele dieser dünnen Perry Rhodan Heftchen und mich faszinierten daran lediglich die Titelbilder. Sie waren immer knatschbunt und weil es um Raumfahrt ging und andere Planeten in fernen Galaxien, waren die Cover dementsprechend gestaltet. Was ich jetzt vor Augen habe könnte direkt einem dieser Heftchen als Titelbild dienen. Es fehlen nur die runden Raumfahrzeuge, die am Himmel umherschwirren.
Wieder im Hier und Jetzt angekommen und den Kinderschuhen entwachsen, denke ich: „Jetzt ist es Zeit für ein kleines Lagerfeuer und ein kühles Bier.“
Drei Nächte wollen wir bleiben, denn es gibt viel zu entdecken. Wir haben eine Map bekommen, auf der die verschiedenen Arches verzeichnet sind und auch das Straßen- und Wegenetz. Außer den Arches gibt es auch noch andere besondere Felsformationen zu sehen. Was mir sofort ins Auge springt, es sind auch Offroadstrecken auf der Karte eingezeichnet. Und wenn ich etwas lese wie z. B. „Four Wheel Only“ oder „Unimproved Road, Impassable when wet!“, dann weckt das mein Interesse in besonderem Maße. So verabreden Jutta und ich, dass wir morgen eine Tour durch den Park machen, um die wichtigsten und beeindruckendsten Arches und Felsformationen zu sehen und am Tag darauf eine kleine Pistenexkursion. Dann können wir alles, was wir bis dahin nicht geschafft haben noch nachholen, wenn wir am dritten Tag aus dem N. P. raus fahren.

Jutta ist nicht so begeistert von meinem Wunsch Offroad zu fahren, stimmt aber zu. Es gibt nämlich einen heiklen Streckenabschnitt, der von nördliche in südliche Richtung als besser befahrbarer gilt, als umgekehrt. Ich versichere ihr sofort umzudrehen, sollten wir Bedenken haben diesen Abschnitt zu fahren. Und selbstverständlich fahren wir in der angeratenen Richtung.
Nach dem morgendlichen Frühstück, draußen auf dem Mars, fahren wir los und kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. Es läuft heute immer folgendermaßen ab: Wir fahren zu einem Parkplatz innerhalb des Nationalparks und von dort beginnt der Trail zu einem oder auch mal mehreren Hotspots. Mal ist der Weg etwas kürzer und manchmal ist es eine kleine Wanderung. Wir sind gut gerüstet mit unseren Wanderschuhen, kleinen Rucksäcken mit Wasser, Snacks und auch mit etwas warmer Kleidung zum Überziehen, sollte sich das Wetter ändern.
Der Park hat über 2000 natürliche Steinbögen, die durch Erosion und Verwitterung ständig neu entstehen und wieder vergehen. Wir gucken uns nur die Imposantesten, die mit Trails in der Karte verzeichnet sind, an. Fünf oder sechs Arches erklimme ich, steige bis nach oben in das Auge hinein. Höher geht es für mich natürlich nicht, da ich kein Freeclimber bin und keinen Ärger mit Jutta oder der Parkverwaltung haben will.
Nur den LANDSCAPE-ARCH kann ich nicht besteigen, der bleibt aus der Ferne zu bewundern. Zu gefährlich wäre es sich in der Nähe aufzuhalten, denn er wird nicht mehr sehr lange überdauern. Es ist der breiteste Arch von allen, er misst 92 Meter. Der Bogen ist schon so dünn, dass man meint er könne jeden Augenblick brechen, sobald dort oben ein Vogel landet. 1991 brach ein Felsblock von 18 x 3,40 x 1,20 m aus der Unterseite des Bogens. Seitdem ist er an seiner dünnsten Stelle weniger als 3 m dick.

Ein anderer Arch hat nicht nur ein Auge, sondern gleich drei. Die Bögen überspannen die Felsen und aus jedem Blickwinkel sieht es komplett anders aus. Schon von unten ist es wunderschön anzusehen, doch mich zieht es nach oben. Ich will etwas klettern und die Aussicht genießen. Jutta verweilt lieber am Fuße des Giganten und genießt die Aussicht von dort.

So vergeht der Tag wie im Flug. Wir sehen einen Felsen, der wie ein Elefant ausschaut und einen Anderen, der Ähnlichkeit mit einem brüllenden Kopf hat. Der Kopf trägt eine Mütze und der Mund ist weit aufgerissen, als will er seinen Protest hinaus in die Welt schreien. Was mag er wohl sagen? Ich denke er sagt: „Stop the war!“

Manchmal liegt ein riesiger Felsbrocken auf einem dünnen Stiel aus Fels und wieder stellt man sich unweigerlich die Frage: „Wie lange mag das wohl noch gut gehen? Wann wird der Wind den Stiel brechen, wann wird der Brocken oben drauf zu schwer oder kommt ins Schwanken?“
Wir fahren, parken und wandern. Weite Steppen sind zu bewundern mit faszinierender Pflanzenvielfalt. Hier haben wir wieder das Gefühl uns am Frühlingsanfang zu befinden und alles steht bereits in den Startlöchern und wartet darauf zu erblühen.

Irgendwann haben wir so viele verschiedene Eindrücke zu verarbeiten, dass wir beschließen für heute Schluss zu machen und ins Camp zurück zu fahren. Wir haben einen überwältigenden Tag erlebt, der uns fast überfordert mit den ganzen beeindruckenden Naturwundern.
Heute starte ich mit Vorfreude in den Tag und Jutta mit gemischten Gefühlen. Wahrscheinlich denkt sie: „Was wird uns erwarten, wie anspruchsvoll wird die Route sein, wird Jürgen sich bereit erklären umzudrehen, wenn es zu heikel wird oder wird er „sein Ding durchziehen“ wollen, auch wenn ich protestiere?“
Aber bevor es los geht, genießen wir unser zweites Frühstück auf dem Mars, in dieser unglaublichen Umgebung. Fast nicht möglich es angemessen zu beschreiben, so einzigartig erscheint uns dieser Platz, so wenig vergleichbar mit anderen Orten. Wir waren vor Jahren (2011) schon in einer anderen High Desert, im Joshua Tree National Park und wir werden auch auf dieser Reise bald wieder dort sein. Doch ist es trotzdem kaum möglich beide Wüsten miteinander zu vergleichen, zu unterschiedlich sind sie. Das liegt zum Einen natürlich an den Joshua Bäumen, die dem N. P. seinen Namen geben, aber auch an der gesamten Flora & Fauna und den Felsenformen im Arches Nationalpark, die eben einzigartig sind.
Der zweite Kaffeebecher ist geleert und die Wasserflaschen vorne im Cockpit für Fahrer und Navigatorin sind voll gefüllt. Es kann los gehen.
Zuerst geht es über Asphalt, dann taucht der erste Warnhinweis auf. Wir wechseln von schwarzem Teer auf roten Sand. Es könnte genauso gut das australischem Outback sein. Dort sieht der Sand exakt ebenso aus, dieselbe Farbe und so fein wie an einem Badestrand.

Neben uns weite Steppe, links und rechts. Hin und wieder rollen Steppenläufer, das Tumbleweed über die Sandpiste. Noch gibt es keine Schwierigkeiten. Nur geht es hin und wieder rauf und danach wieder runter, aber ohne allzu große Steigung oder Gefälle.
Es dauert nicht lange, dann wird es unbequemer und die Auswaschungen nehmen deutlich zu. Ich muss das Tempo reduzieren und merke, wie Juttas Anspannung steigt. Es gibt tiefe Spuren und große Löcher, die ich zum Teil umfahren und vermeiden kann. Aber manchmal muss ich durch und versuche es so schonend wie möglich, schonend für Jutta und für LEMMY. Denn die Verschränkungen, die durch die Vertiefungen im Boden zwangsläufig entstehen, sind eine große Belastung für das Fahrzeug und damit auch für Jutta. Auch der rote Sand verhärtet sich und es wird immer felsiger. Wir scheinen uns der Stelle zu nähern, an der der Eintritt in die heikle Passage beginnt. Ich fahre noch etwas weiter und Jutta sitzt schon nicht mehr still im Sattel, überall wandert ihr Blick. Sie rutscht im Sitz hin und her.

Dann halte ich an. Es geht steil einen Hang hinauf. Große Felsbrocken liegen tief eingegraben im Weg. Auch die Mulden und Auswaschungen sind extrem. Und ein Ende der anspruchsvollen Passage ist nicht in Sicht, denn weiter oben verschwindet alles hinter einer Kurve. Ich steige aus und schaue es mir ganz genau an, besonders wie es oben weiter geht. Genauso wie es unten schon begonnen hat, kein Ende ist in Sichtweite. Mein Gehirn rattert kurz und wägt ab….

Im Grunde ist es wie im Theater. Dort muss ich auch gelegentlich abwägen, was zu tun ist. Besonders wenn es um pyrotechnische Effekte geht und die Sicherheit unserer Schauspieler. Besonders wenn sie sich aus dramaturgischen Gründen in der Nähe des Effektes befinden sollen. Es ist eine Risiko/Nutzen Abwägung. Wie hoch ist das Risiko und wie wahrscheinlich ist es, dass etwas passiert? Wie hoch kann der vermeintliche Schaden sein, der eintreten könnte? Das stelle ich gegen den Nutzen des gewünschten Effektes.
Da hatten wir einmal beispielsweise eine große Feuerfontäne, wie man sie von Rammsteinkonzerten kennt. Wir haben sie bei der Vorstellung „Cafe Umberto“ in der Inszenierung von Nicolai Sykosch mittels Druckluft, Lykopodium und einem heißen Glühdraht gezündet. Eine ca. 2 Meter lange Feuersäule schießt wie aus einem Flammenwerfer (im Grunde war es ein selbstgebauter Flammenwerfer) aus dem Off auf die Bühne.
Kurz vor der Aktion ging unsere Schauspielerin Irene Kleinschmidt von der Bühne ab. Sie hat sich vor ihrem Abgang eine Flasche Schnaps über den Kopf geschüttet und dann ein Feuerzeug angezündet. Der dramaturgische Effekt war der, dass sie sich selbst verbrennt. Sichtbar gemacht durch diese lange Flamme, die dort für einige Sekunden auf die Bühne züngelt. Sie selbst stand absolut sicher hinter der Flamme. Ein Schreckmoment für jeden Zuschauer und ein nachvollziehbarer wichtiger Effekt.
Unsere Aufgabe war nun, das alles so sicher zu machen, dass jedes Risiko einer Verbrennung von Personen, Dekorationen und Bühnenelementen auszuschließen bzw. so klein wie möglich zu halten ist. Ein Restrisiko bleibt aber immer. Es kann defekte Technik sein, die falsch oder nicht funktioniert. Es kann auch der unvollkommene Mensch sein, in dem Fall der Pyrotechniker. Dann heißt es hinterher gerne (wenn das Aufsichtsamt fragt, woran es denn gelegen hat, dass die Schauspielerin mit Brandwunden überseht ist): „Menschliches Versagen!“
Zum Glück nehmen wir unsere Aufgabe sehr ernst und wissen um die Risiken, so dass nie jemand ernsthaft zu Schaden kam.
Einmal war es der Fall, dass Irene bereit war für den Abgang von der Bühne und mein Kollege Karl per Funk das „Achtung für die Zündung!“ von unserer Inspizientin bekam und kurz darauf dann: „Zündung Go!“ Aber mein Kollege Karl hat nicht gezündet und die Inspizientin rief erneut: „Zündung Go!“ Nichts tat sich. Was war der Grund?
Karl hat alles richtig gemacht, denn nur er hatte die komplette Einsicht auf die gesamte Umgebung und er hat erkannt, dass Irene sich nicht auf die verabredete sichere Position gestellt hatte. Sie war zu nah am Flammenwerfer und deshalb konnte und durfte er nicht zünden. Schade für den Zuschauer, gut für Irene.
…was hat es für einen Nutzen diese Strecke zu fahren? Der Nutzen ist klein, bis fast nicht vorhanden, denn ich kann eine alternative Strecke fahren. Der einzige Nutzen wäre der, meine eigenen Offroad-Fähigkeiten und die Belastungsgrenzen des Fahrzeugs weiter auszuloten. Ach ja, Juttas Belastungsgrenzen würden wir dabei auch weiter ausloten.
Ich bin der Meinung, meine eigenen und LEMMYS technische Fähigkeiten wären der Aufgabe gewachsen, aber jetzt kommen wir zur Risikobewertung.
Die Wahrscheinlichkeit eines großen Schadens ist nicht gerade klein und durchaus vorhanden. Das Risiko ist überschaubar, aber im Falle einer Fehleinschätzung meinerseits oder eines Fahrfehlers könnte der Schaden im schlimmsten Fall groß bis enorm sein. Die Belastung des Fahrwerks/Rahmens etc. sind auf so einer Strecke natürlich erheblich. Das sind Juttas üblichen Argumente und die kann ich in diesem Fall nicht widerlegen.
So komme ich in weniger als einer Sekunde zu dem Ergebnis, dass das Risiko zu hoch und der Nutzen zu gering ist. Der gesunde Menschenverstand triumphiert über die Abenteuerlust.
Ich sage zu Jutta: „Wir drehen um und fahren die andere Route.“
Erleichtert steigt sie mit mir ins Auto und ich wende.

Zunächst geht es denselben sandigen Weg zurück auf die asphaltierte Straße, doch dann biegen wir ab in eine andere Offroadpiste. Es geht ähnlich los wie vorhin, roter weicher Sand eine ganze Weile. Jutta sagt: „Gleich müsste rechts eine Abbiegung kommen, fahr langsamer!“
Ich gehorche und gehe vom Gas. Denn jetzt möchte ich den Einstieg sehen in die abgebrochene Route von gerade eben, nun aber von der anderen Seite, von Süd nach Nord.
Als wir um die Ecke biegen, geht es auch schon zur Sache. Hier kommt man nur durch mit großer Bodenfreiheit, Schilder weisen ausdrücklich darauf hin: „Require High Clearence 4×4 Vehicles!“
Die Bodenfreiheit haben wir allerdings auch mit LEMMY. Es ruckelt ordentlich und das Fahrzeug gerät immer wieder in Schieflage, aber bei langsamer Fahrweise alles kein Problem. Die typischen Auswaschungen mit viel Fels und Geröll sind da, es geht rauf und runter. Alles kein Problem, bis sich uns ein ähnliches Bild bietet wie vor etwa einer Stunde. Ich muss erneut nicht eine Sekunde überlegen, dann ist es mir klar. Wir drehen um. Aber ich wollte mich selber von der Strecke überzeugen und sie unter die Lupe nehmen. Allerdings fahren wir jetzt nur zurück bis zur letzten Abbiegung und dann rechts weiter und nicht etwa links zurück auf die asphaltierte Straße. Kurz bevor wir die kleine T-Kreuzung erreichen, kommt mir ein PKW entgegen und ich muss schmunzeln.
„Der hat wohl vorher nicht gelesen, was ihn erwartet. Oder er ist übergeschnappt. „Ich wette in weniger als fünf Minuten sehen wir den wieder!“, sage ich zu Jutta.
Wir erreichen die Abbiegung und ich stelle mich so, dass wir direkt in die Richtung blicken, wo der PKW wohl in wenigen Minuten erscheinen sollte. Es dauert keine zwei Minuten, da quält er sich im Schritttempo rückwärts zur T-Kreuzung, um dann wieder auf die asphaltierte Straße zurückzukehren.

Leider hat Jutta bei meiner kleinen Wette nicht dagegen gehalten.
Die Nord-Süd Route ist etwas für richtige Offroad PKWs, höher gelegte Toyotas und Jeeps. Wir setzen nun unsere Tour fort und leider verliert Jutta hier schnell den Spaß an der wilden Fahrt. Und die Landschaft ist für sie nicht so grandios, dass sie das für die Juckelei entschädigen würde. Es geht nur sehr langsam voran und wir fahren mittlerweile meistens über felsigen Boden. Es sind noch weit mehr als 20 km und bei dem Tempo kann das eine Weile dauern. Die Piste ist breit und ich muss pausenlos wählen, wo ist die beste Spur, wo ruckelt es am wenigsten. Überall im harten Untergrund sind tiefe Löcher und ich kann nicht alle umfahren. Ich muss ständig entscheiden, wo ist es am schonendsten für LEMMY und damit auch für Juttas Nerven? Welches Loch ist nicht ganz so tief wie das Andere? Dabei geht es auch steil rauf und wieder steil runter. Für mich ist dieser Untergrund ein neues Terrain und eine neue Herausforderung, die ich gerne annehme, felsiges Hochplateau.

So lange es trocken ist, werden wir auch keine Problem bekommen, es sei denn das Terrain ändert sich. Regen ist erst für den späten Nachmittag angesagt, dann sollten wir hier durch sein. Ohne Allradunterstützung arbeiten wir uns langsam vor und die Piste ändert sich nicht nennenswert. Felsiger, harter Untergrund, etwas Geröll und Sand in den Felslücken. Der Sand ist allerdings meistens weggespült durch den Regen, so dass tiefe Lücken entstehen. Und ausgerechnet jetzt fängt es an zu regnen, etwas früher als vorhergesagt.
Ich bleibe entspannt, denn wenn es weiter geht wie bisher, dann wird auch der Regen kein Problem sein.
Jutta bleibt ebenfalls entspannt, hat sich arrangiert mit der Rolle des Beifahrers, der eh nichts an der Situation ändern kann und es nehmen muss, wie es kommt. Es gibt jetzt sowieso nur noch diesen Weg.

Wir kommen an den Rand des N. P. und entdecken, dass man das Gate über diese Piste umgehen kann. Wer es darauf anlegt, kann also ohne die Gebühr für den Park zu entrichten in den Arches National Park fahren. Das könnte allerdings unangenehme Konsequenzen haben, sollte ein Ranger den Parkausweis kontrollieren. Wir sehen einige Camper, die ihre Fahrzeuge auf einer jetzt, durch den einsetzenden Regen, schlammigen Fläche parken. Offensichtlich ist es kostenlos. Im Park ist es nicht erlaubt frei zu stehen. Diese Fahrzeuge werden die Piste, die wir gerade gekommen sind, nicht befahren können. Sie haben zu wenig Bodenfreiheit.
Außerhalb des Parks geht es auf dem Weg zurück, den wir gekommen sind. Wir passieren das Gate, zeigen nur kurz den Ausweis vor und schon öffnet sich die Schranke. Obwohl wir den selben Weg fahren wie vor zwei Tagen sind wir genau so beeindruckt wie beim ersten Mal. Es ist wie beim Sex, vielleicht sogar besser als beim ersten Mal.

Am Abend beim Lagerfeuer sind wir uns einig, der Arches National Park ist was ganz besonderes und hinterlässt einen bleibenden und durchweg positiven Eindruck. So was wie hier haben wir nie zuvor gesehen. Und auch unsere Campsite dürfte auf einer Rangliste einen der vordersten Plätze belegen. Wer kann schon von sich sagen, er habe auf dem Mars kampiert?

Nach der dritten Übernachtung an diesem ganz speziellen Ort müssen wir leider abreisen. Weiter geht unser langer Weg nach Westen, unser Weg, der uns in das gelobte Land führen soll > California. Doch zunächst geht es runter in den Süden. Wir wollen nach Arizona, um den Grand Canyon zu sehen. Ich war bereits zwei- oder dreimal in Arizona, aber nie beim Grand Canyon, sondern nur bei den Four Corners, im Vorbeihüpfen. Ich springe von Utah nach Colorada, nach New Mexico und wieder nach Arizona.

Auf dem Weg raus aus dem Arches National Park machen wir die Trails, die wir vorher nicht geschafft haben und schauen uns das an, was wir bewusst für den Rückweg aufgespart haben. Mit der Gewissheit hier fast alles gesehen zu haben, können wir zufrieden abreisen und uns neuen Zielen zuwenden.
Ähnlich wie in New Mexico geht es durch weite Prärielandschaften, nur sind wir hier wohl insgesamt etwas höher, denn es liegt mehr Schnee abseits der Straße. Der Frühling scheint sich zu verabschieden und der Winter sagt: „Hallo, da bin ich wieder. Dachtest du etwa du bist mich los? Mitnichten mein Lieber, ich werde euch noch eine Weile begleiten!“ Dann weht er noch drohend hinterher: „Und wenn es sein muss, dann hole ich euch wieder ein!“
Manchmal halte ich an einem View Point und wir sehen von oben auf eine dünne Spur aus grauem Asphalt mit einer gestrichelten gelben Linie herunter, die sich wie eine endlose Schlange durch diese verdammte Weite zieht, als gäbe es keinen Anfang und kein Ende.

Doch irgendwann kommt immer ein Ende. Besonders dann, wenn ein erschöpfter Fahrer genug vom Lenken hat. Das kommt selten vor bei mir, doch als Jutta einen Übernachtungsplatz in der freien Wildbahn herausgefunden hat, bin ich sofort bereit dafür.
„Nur noch eine halbe Stunde von hier.“, sagt sie, „dann biegen wir rechts ab und dort können wir frei stehen.“

Es gibt sie also doch, freie Stellplätze mitten in der Natur. Sie sind nicht so häufig wie Walmarts oder andere große Einkaufszentren, aber wenn man gezielt danach sucht, dann wird man auch fündig. Dank der iOverlander App.

Ich würde auch gerne mal, ohne diese Netzfunde, selber auf die Suche gehen, nach genau solchen Plätzen. Dafür reicht Juttas Abenteuergeist, besonders am Ende von langen Fahrtagen, nicht aus. Sie ist sogar hier noch relativ unentspannt und fürchtet, dass ein Ranger kommen könnte, um uns in der Nacht von hier wegzuschicken.
Doch genau von diesem Abenteuergeist lebt die iOverlander App, von Leuten, die Plätze auskundschaften, sie dann online stellen, um sie mit anderen Globetrottern zu teilen.
Wir finden schnell den angegebenen Platz und fahren einen verschneiten Waldweg rein, eine kurze Anhöhe hinauf und stellen LEMMY ab. Jutta schläft verhältnismäßig ruhig und entspannt. Ich schlafe wie ein Murmeltier.
Wir haben schon im Arches N. P. überlegt, uns auch den Bryce Canyon anzuschauen, doch schließlich haben wir uns dagegen entschieden. Es liegt dort noch zu viel Schnee und gerade die Spots, die wir sehen wollen, sind noch nicht freigegeben.
Jetzt müssen wir trotzdem wieder eine Entscheidung treffen, was die Route angeht und ich bin überwältigt, was Jutta mir da gerade beim Morgenkaffee vorschlägt.
Sie sagt: „Wir können die Cottonwood Road fahren, eine Dirtroad. Das ist zwar die langsamere Strecke zum Grand Canyon, aber auch die Attraktivere.“

Ich trinke einen Schluck Kaffee um kurz in mich zu gehen, ob ich gerade richtig verstanden habe, was über Juttas Lippen kam und dann sage ich: „Yes, Cottonwood Road!“
Das Wetter wechselt wie im Zeitraffer. Gerade noch haben wir im Schnee gestanden, befinden wir uns nun wieder auf einer roten Sandpiste im prallen Sonnenschein, auf der Cottonwood Road. Nach einer Weile auf dieser Dirt Road frage ich Jutta, ob sie nicht mal fahren möchte und werde ein weiteres Mal überrascht.
„Ja, warum eigentlich nicht.“, bekomme ich als Antwort.
Ungläubig, kopfschüttelnd halte ich an und steige aus, um auf die Beifahrerseite zu wechseln. Ich freue mich und sehe eine neue Jutta emporsteigen, eine abenteuerlustige, eine wagemutige und eine risikofreudigere Jutta, die nichts mehr aufhalten kann.

Dann geht es weiter und Jutta macht ihren Job hervorragend. Sie fährt erst langsam und bedächtig. Sie wird etwas forscher und gibt ein wenig mehr Gas. Plötzlich übersieht sie eine tiefe Spurrille, quer über die gesamte Breite der Piste. Sie ist zu schnell unterwegs. Es ruckelt heftig und sie merkt wie schnell es geht, dass man etwas übersehen kann. Hätte ich am Steuer gesessen, würde Jutta mir schwere Vorwürfe machen, weil ich IMMER! VIEL! zu schnell fahre.
Ich sage: „Macht doch nix, LEMMY kann das ab!“
Ich merke, wie angespannt sie ist und als die erste, steilere Steigung kommt auf einem feuchten Untergrund, da fragt sie mich, ob wir nicht wieder tauschen wollen. Ich sage: „Jetzt noch nicht, du machst das schon.“
Hin und wieder helfe ich bei der Gangwahl und sage etwas zur perfekten Drehzahl, damit bei der Steigung der Motor nicht ins Straucheln gerät. Jutta meistert diese Aufgabe mit Bravour. Aber leider verliert sie schnell die Lust am Fahren bzw. ist es für sie anstrengender und so lässt ihre Konzentration schneller nach. Und nach einigen Steilkehren mit nassem Untergrund, da will sie dann nicht mehr. Ich bin eh schon überglücklich, dass sie sich auf eine halbe Stunde „Offroad-Selber-Fahren“ eingelassen hat und will sie nicht überstrapazieren, denn es soll ja Spaß machen und nicht in Stress ausarten.
So tauschen wir also wieder die Plätze und ich lege den Allrad Antrieb ein, denn es geht einen schlammigen Weg relativ steil nach oben und LEMMY fräst sich seine Bahn aufwärts, ohne irgendwelche Probleme und ich bedauere nur, dass Jutta nicht selbst auch noch diese positive (Fahr) Erfahrung machen konnte. Sie hätte im Grunde nur lenken müssen, alles andere hätte die Elektronik übernommen. Sie hätte kein Gas geben müssen, hätte nicht bremsen müssen, alles hätte LEMMY selber gemacht und ich hätte von der Beifahrerseite aus jederzeit verbal eingreifen können, um zu sagen, was zu tun ist, sollte sie in Schwierigkeiten geraten. Aber soweit sind wir noch nicht.
Die Cottonwood Road ist auf jeden Fall eine Empfehlung, sie ist einfach zu befahren und bei Trockenheit auch ohne Allradantrieb zu bewältigen. Wer also etwas Zeit hat und ohne Eile unterwegs ist, der sollte sich für diese Dirt Road entscheiden, auf dem Weg vom Arches N. P. zum Grand Canyon.
Kurz bevor wir unser heutiges Ziel erreichen hat Jutta wieder einen freien Übernachtungsplatz parat. Und abermals ist er von iOverlander. Kurz vor dem Grand Canyon National Park fahren wir rechts ab und stehen erneut im Schnee. Durch die positive Erfahrung gestern, schlafen wir heute beide wie ein Murmeltier. Den morgendlichen Kaffee genießen wir in weißer, schneeverwehter Landschaft. Die Sonne scheint und der Tag begrüßt uns verheißungsvoll.

Nach dem zweiten Kaffee fahren wir weiter in den Grand Canyon National Park und schon vor dem Gate gibt es hier und dort einen netten Aussichtspunkt. Manchmal halten wir und steigen aus, manchmal fahren wir nur langsam daran vorbei. Dann kommt das Gate, an dem wir die Eintrittsgebühr entrichten müssen und ich halte vor der geschlossenen Schranke am kleinen Häuschen, fahre das Fenster runter und sehe eine freundliche junge Dame dahinter sitzen. Sie lächelt schon bevor ich zum Stehen komme.
Ich frage: „Could we buy a pass here for all…“ Sie nickt bereits unaufhörlich, weil sie genau weiß, wie meine Frage enden wird. „…US National Parks?“ Dann fragt sie, ob wir bereits in anderen Parks Eintrittsgebühren bezahlt haben und Jutta kramt auch schon in ihrem Portemonnaie.
„Yes, we did!“, sagen wir und Jutta findet tatsächlich noch die Bons vom Garner N. P. und vom Arches N. P.
Diese beiden Parks werden mit der Gebühr verrechnet und das finden wir ganz fantastisch. Den Everglades National Park könnte sie jetzt eh nicht mehr berücksichtigen, weil es länger als zwei Wochen zurückliegt, als wir dort waren.
Gut gelaunt verabschieden wir uns und setzen unseren Weg fort. Nun als Inhaber eines Passes für alle US-amerikanischen National Parks, State Parks und Provincial Parks. Darüber hinaus dürfen wir auch legal in Gebieten des „Bureau Of Land Management“ über Nacht stehen. Das waren z. B. unsere beiden letzten Overnight Stellplätze, an denen wir in diesem Fall illegal gestanden haben.

Was kann man zum Grand Canyon sagen? Jeder kennt ihn. Jeder weiß, wo er ist. Er ist alt, uralt sogar und wären wir nicht so nah dran, dann wären wir vermutlich daran vorbei gefahren. Ich habe zuvor schon viel darüber im Fernsehen geschaut und auch unzählige Bilder gesehen, dass ich eigentlich kein großes Interesse hatte, jemals hier her zu fahren. Aber ich dachte, wenn wir schon mal da sind, sollten wir ihn uns auch ansehen.
Und ich bereue diese Entscheidung nicht. Wie gesagt, ich wusste aus den Medien wie gewaltig dieser Canyon ist, aber als wir nun direkt davor stehen, dann ist das irgendwie was ganz anderes.

Wir halten wieder an diversen View Points und staunen einfach nur über dieses Wunder der Natur. Der Colorado River, der über Millionen von Jahren diesen Canyon in die Landschaft gefräst hat ist kaum zu sehen, so weit weg ist er und so wenig Wasser fließt jetzt im März, im Jahr 2022.
Wir parken LEMMY in Grand Canyon Village und nutzen den Bus, denn ab hier dürfen wir mit dem eigenen Fahrzeug nicht weiter. Der Bus fährt einen Rundkurs und man kann an verschiedenen Stationen aus- und wieder zusteigen. Wir entscheiden uns bis zu einem bestimmten Punkt zu fahren und von dort zurückzulaufen, denn dann sehen wir die besten Spots auf dem Rückweg. So steht es jedenfalls in unserem Reiseführer.

Wir warten kurz auf den Bus und steigen zu. Masken tragen ist immer noch Pflicht. Dann steigen wir aus an der fünften oder sechsten Haltestelle und begeben uns auf den Fußweg. Die Wapitis, die wir am Wegesrand sehen, manchmal an der Straße oder auch mal am felsigen Abgrund, sind nur angenehmes Beiwerk. Der Canyon ist der Star.

Der Grand Canyon an sich ist gigantisch. Er ist ungefähr 450 km lang und reicht bis zu 1800 Meter in die Tiefe. Wir kommen an Warnschildern vorbei, auf denen steht, dass immer wieder Menschen in den Tod stürzen, weil sie nicht auf den vorgegebenen Wegen bleiben. Weil sie über Absperrungen steigen und sich auf Felsvorsprünge stellen, um spektakuläre Fotos zu machen. Das ist eigentlich genau mein Ding und ich sehe viele dieser Felsvorsprünge und tolle Fotomotive, wo ich mich gerne aufnehmen lassen würde. Aber ich weiß genau, dass Jutta von ihrem Vetorecht Gebrauch machen wird und ich möchte auch nicht in Misskredit bei den Rangern kommen. So zügele ich meine Begierde und vermeide alle verlockenden Abgründe und Felsnasen, die weit über den tiefen Canyon hinausragen und es gibt keine waghalsigen Fotos. Davon konnte ich ja in Griechenland bei den Meteora Klöstern Einige machen.

Wir kommen an Trails vorbei, wo Wanderer mit guter Kondition tief in den Canyon hinab steigen, um an anderer Stelle wieder hinauf zu marschieren. Für uns ist das allerdings nichts, denn wir haben hier nur einen halben Tag eingeplant. Natürlich könnten wir unsere Pläne ändern, doch wir befinden uns kurz vor Kalifornien und ich werde nach wie vor magnetisch angezogen von diesem magischem State. Und auch Seligman, der Ort an der historischen Route 66 ist für heute Abend eingeplant. Dort möchte ich gerne in Lilos Diner, einem deutschen Restaurant, ein Jägerschnitzel essen.
Abschließend kann ich sagen, am Grand Canyon fühle ich mich klein und unbedeutend, was negativ klingen mag, aber positiv gemeint ist. Vielleicht muss man so etwas Großartiges erst mit eigenen Augen sehen, damit man sich selber einmal schüttelt, zurecht rückt und dann erkennt, welche Bedeutung man selbst eigentlich hat. Ich komme für mich zu dem Schluss, keine besonders Große.

Mit wahnsinnigen Eindrücken verlassen wir den Grand Canyon.
Am Abend, nach stundenlanger Fahrt kommen wir in Seligman an. Es ist ein kleiner Ort, nur einige Häuser sind es links und rechts neben der MOTHER ROAD. Hier befinden wir uns auf einem Teil der historischen Route 66, der Mutter aller Straßen. Die Sonne geht unter und der Himmel färbt sich dunkelgelb, fast orange. Es sind nur wenige Wolken am Himmel, dominierend sind die leuchtenden Reklametafeln von Dinern und Tankstellen.

Wir sind auf der Suche nach einem bestimmtem Diner, nach „Westside Lilo’s“.
Und dann sehen wir es auch schon. Ich parke direkt vor der Tür neben einem alten Traktor, der dort zur Dekoration steht, nehme ich an. Ich möchte, dass sie von innen durch das große Fenster unseren Offroader ausmachen können. Wir gehen hinein und setzen uns an einen Tisch mit Blick auf LEMMY und die Straße. Die Bedienung kommt und fragt, ob wir essen möchten und was wir trinken wollen. Ich antworte, dass wir gerne etwas essen und auch was trinken wollen, aber dass es davon abhängt, ob wir hier über Nacht stehen bleiben dürfen. Ich zeige durch das Fenster auf unseren Wagen und sie sagt etwas zögerlich, ja schon, aber wir sollten dann auf die Seite des Diners fahren und nicht direkt vor dem Restaurant stehen bleiben.

Dann bestelle ich ein großes Bier und das Jägerschnitzel mit Pommes, umparken kann ich ja auch noch nach dem Essen. Jutta wählt ein kleines Bier und einen Salat. Was ich vorher nicht wusste und auch nicht auf der Speisekarte nachgelesen habe, ein großes Bier ist in Lilo’s Diner ein ganzer Liter.
Normalerweise bekomme ich einen Pint, wenn ich ein großes Bier bestellen. Na ja, egal. Ich muss nicht mehr weit fahren, nur noch um die Ecke. Das Essen ist echt lecker, die Portion ist üppig, aber es ist auch verdammt teuer. Dazu kommt dann noch mindestens 15 – 25% Trinkgeld. Früher waren es noch 10 -15%. Heutzutage kann man am Kreditkartenleser nur noch zwischen 15, 18, 20% und aufwärts wählen.
Etwas angetrunken parke ich nach dem Essen um, auf die andere Seite des Diners und dann gehen wir schlafen. Morgen werden wir die Mother Road fahren und Kalifornien erreichen. Mit diesem Gedanken schlafe ich ein.

Bevor wir allerdings weiter fahren nach Kalifornien wollen wir uns noch Seligman anschauen. Gestern war es ja bereits dunkel als wir angekommen sind und wir hatten großen Hunger. Darum wird das jetzt erledigt.
Seligman dürfte wohl das Aushängeschild der Mother Road sein, denn nirgendwo sonst ist alles diesem Thema gewidmet, der historischen Route 66. Überall ist etwas zu entdecken. Hier gibt es weit mehr als nur nette Souvenirläden. An jeder Ecke stehen alte amerikanische Autos, die Hausfassaden sind farbenfroh angemalt und mit Blechschildern und Stickern verziert. Manchmal stehen Schaufensterpuppen auf den Dächern und vor einem anderen Haus parkt ein alter Polizeiwagen aus den 30er Jahren. Es scheint als stehen aus jeder Dekade diese alten Ami Straßenkreuzer in Seligman verteilt. Allerdings fahren wohl die meisten nicht mehr, denn oft sind die Reifen platt und diese Liebhaberstücke fristen ihr Dasein nur noch als Dekoration und rosten still vor sich hin. Schade eigentlich!

Ich fühle mich zurückversetzt in eine andere Zeit, in ein anderes Zeitalter. Vermutlich sind es die wilden 60er und der Freiheitsdrang ist groß. Ich denke an Easy Rider und stelle mir vor, sie kommen gleich hier angefahren mit ihren Harleys. Auf der einen Maschine sitzt Dennis Hopper und auf der anderen Peter Fonda. Ich kann die Motoren schon hören.
Kurz keimt in mir der Gedanke auf, mal selber auf eine Harley Davidson zu steigen. Ich bin schon viele Motorräder gefahren, aber eine Harley noch nie. Und gibt es einen besseren Ort auf der Welt, als die Route 66 in Arizona, um sie mit einer Harley zu befahren? Ich denke nicht.
Vor der Fahrt nur noch schnell das Kopftuch mit den Totenköpfen aufsetzen, damit die Haare nicht so sehr im Wind wehen und ohne Helm geht es auf den schwarzen Asphalt. Es ist kaum Verkehr hier, denn fast alle nehmen den schnelleren Highway um von Ost nach West zu gelangen oder umgekehrt. Diese Straße ist nur was für Nostalgiker. Ich habe die ganze Breite schwarzen Teers unter mir. Nur für mich. Ich fahre Schlangenlinie, immer schön durch die gestrichelten gelben Straßenmarkierungen durch. Die Mother Road gehört in diesem Moment mir, mir ganz alleine. Die Zeit steht still. In meinem Kopf fängt Steppenwolf an zu singen: „Born to be wild“ und ich drehe am Gashebel. Drehe ihn voll auf und der Schub drückt mich nach hinten und die Arme werden immer länger. Ich halte mich am Lenker fest und spüre den frischen Wind im Gesicht, ein Hauch von Haschisch strömt mir in die Nase und ich will nie wieder anhalten…
Aus weiter Ferne klingt eine leise Stimme in mein Ohr. „Hallo? Alles klar bei dir?“ Jutta guckt mich an. „Ähhh, was?“, stammele ich vor mich hin, rausgerissen aus meinem kleinen Tagtraum. „Jaja, alles klar bei mir. Wollen wir bald weiter?“

Wir schauen in einige Läden rein und ich kaufe mir eine Schirmmütze von der Route 66 und ein Kopftuch. Elvis Presley und Marilyn Monroe sind auch da, aber leider nur als lebensgroße Figuren. Ein paar Blechschilder wandern in die Einkaufsbeutel und dann müssen wir uns echt ausbremsen, denn sonst bräuchten wir hier einen riesigen Einkaufwagen. Es macht Spaß einfach zu stöbern in dem bunten Sortiment. Hier gibt es irgendwie alles, was man nicht wirklich braucht, aber doch gerne hätte.
Ich glaube Jutta geht es ähnlich wie mir. Irgendwie kann ich mich nicht richtig losreißen von diesem Ort. Raus aus dem einen Laden, sieht man schon wieder etwas nebenan oder gegenüber. „Komm!“, heißt es dann, „lass uns nur da drüben noch kurz gucken!“

Aber irgendwann schaffen wir den Absprung dann doch noch. Wir sind wieder auf der Straße, on the road. Auf der Mother Road. Ursprünglich ging sie, soweit ich weiß, von Chicago nach Los Angeles. Wir werden nur einen Bruchteil dieser legendären Route von Ost nach West fahren. Aber ich werde jede verdammte Meile genießen, will jeden Inch zurückgelegter Strecke in mich aufnehmen. Ich will den Asphalt unter den Rädern wahrnehmen und die frische Luft durch das offene Fenster atmen, den Wind auf der Haut spüren.
Der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Die Musik kommt vom USB Stick. Links und rechts neben uns wird die Landschaft karger, die Wüste kommt näher. Aber dieses Mal ist es keine Hochwüste.

Auf dem grauen Asphalt vor meiner Motorhaube ist eine gestrichelte gelbe Linie, auf der gegenüberliegenden Spur kommen mir einige Biker mit ihren Harleys entgegen. Dann höre ich das weit entfernte Tröten eines endlos langen Zuges, wie ich es schon tausend Mal davor gehört habe. Bei dem Horn des Zuges denken Jutta und ich immer an „Stand by me“, einem Film nach einem King Roman. In der Szene überqueren vier Freunde gerade eine Brücke, um einen toten Jungen zu finden und von hinten kommt der dröhnende Zug angedonnert. Sie müssen ganz schön rennen, um nicht überfahren zu werden.
Kurze Zeit später sehen wir den meilenlangen Güterzug uns entgegen kommen. Links neben uns fährt er auf Schienen in die eine Richtung, wir fahren auf dunklem Teer in die andere Richtung. Auf dem Weg nach Kalifornien. Wer weiß, wo der endlose Güterzug ankommen wird?
Ich bin in einer perfekten Stimmung um diesen langen Highway zu fahren, fühle mich pudelwohl auf der Route 66 und dann erwischt es mich von hinten und überwältigt mich so wie ich es nie im Leben erwartet hätte.

Alles ist perfekt, der letzte Song aus dem Autoradio verstummt und Johnny Cash fängt an zu singen.
Ich kann es nicht zurückhalten, die Tränen kullern nur so runter und ich fühle mich erinnert an 2011, an Kalifornien. Wir waren mit einem brandneuem Dodge Durango unterwegs, den ich in Los Angeles am Flughafen übernommen habe. Er hatte gerade mal 3 Meilen auf dem Tacho und Jutta und ich waren irgendwo zwischen Tijuana und Palm Springs unterwegs.
Dann lief Free Bird im Radio von Lynyrd Skynyrd und mir liefen Tränen der Freude die Wangen runter. Denn in dem Augenblick war einfach alles perfekt. Wir hielten kurz davor an einem weißen Kreuz am Straßenrand, dort angebunden wehte ein langer pastellfarbener Seidenschal und die Prärie war endlos. Das war so ein schönes Bild, dass ich es jetzt noch vor Augen habe, wenn ich daran denke.
Ich habe Jutta davon erst erzählt, als wir wieder zuhause waren, im Waterhole, lange nach der Reise und sie hat mir gesagt, dass sie an derselben Stelle, bei dem selben Song von Lynyrd Skynyrd auch vor Glück geweint hat.
Johnny Cash singt seinen Song „The Mercy Seat“ und ich frage Jutta, ob sie mir meine Sonnenbrille aus der Konsole gibt. Sie reicht mir meine Brille und weiß genau was los ist. Es geht ihr so wie mir und wie es uns 2011 ergangen ist und Tränen der Freude laufen unsere Wangen runter. Es braucht keine Worte. Ich fahre einfach weiter und wir genießen diesen einmaligen, diesen perfekten Augenblick.
Danach folgt Pearl Jam und kein DJ der Welt könnte ein besseres Timing für einen Song wählen als dieser Radiomoderator in diesem Augenblick. Der Song heißt „Black“!
Eins wird mir bewusst: So etwas hast du auf allen deinen Reisen nie erlebt, nie zuvor hast du während der Reise vor Freude geweint, nur hier in den USA und das jetzt bereits zum dritten Mal.
Ich sage zu Jutta auf der Beifahrerseite: „Wie wäre es eigentlich, wenn wir uns mal eine Harley mieten?“ Jutta zuckt mit den Schultern. „Du musst selber wissen, ob du das willst!“
Immer wieder muss ich anhalten, weil es tolle Motive am Wegesrand gibt. Mal ist es eine alte, verwaiste Tankstelle. Dann stehen wieder fantastische alte Classic Cars auf weichem, beigem Sand am Straßenrand, mit den großen Rundungen und den schönen Heckflossen. Damals sahen die Autos noch nicht alle gleich aus, wie es heute üblich ist. Jetzt kann ich kaum noch einen Honda CRV von einem Golf oder einem Porsche Cayenne unterscheiden. Die alten US Autos hatten Klasse und Stil. Leider haben sie ihren letzten Zündfunken verloren und keiner dieser Oldtimer wird je wieder anspringen. So wie „Christine“, ein knallroter 58er Plymouth Fury aus einer anderen King Verfilmung. „Sie“ sprang immer an, wenn Artie Cunningham lieb zu „Ihr“ war.

Es bereitet mir einen Riesenspaß diese Straße zu fahren und mit jeder zurückgelegten Meile kommen wir unserem Ziel Kalifornien etwas näher. Und auch der Mojave Desert. Dann sehe ich am Straßenrand etwas und kann es kaum glauben. Ich trete auf die Bremse und fahre rechts ran. Dann schaue ich mich um, ob von hinten oder vorne etwas kommt. Kein Auto und kein Biker in Sicht. Ich wende und fahre zurück. Jutta will wissen was los ist und warum ich umdrehe.
„Ich hab da was Kurioses gesehen!“, sage ich.

Route 66
Dort steht eine Toilette auf einer Holzpalette, inklusive Spülkasten. Darüber ein Holzschild „Rest Stop“. Hier kann man also sein Geschäft an der frischen Luft verrichten und es ist ja eh wenig Verkehr. Etwas Rückendeckung bietet ein vertrockneter Busch, aber von vorne ist man komplett offen. Was für ein genialer Einfall hier so etwas hinzustellen. Genau diese Momente sind es, die den Reiz dieser Strecke ausmachen. Abgesehen von der grandiosen Natur und der bildschönen Landschaft.
Es gibt noch einige andere Kuriositäten zu bestaunen und ich muss oft halten damit wir uns alles in Ruhe anschauen können. Mal ist da der Giganticus Headicus, ein riesiger grüner Kopf aus Pappmaché, dann ein kleines Roadhouse mit einem alten Indianer davor und immer wieder diese wundervollen alten Autos und manchmal auch Motorräder.

Zwischendurch taucht dann ein kleines Diner auf, damit man sich bei einem Kaffee und vielleicht einem Stück Kuchen etwas ausruhen kann oder ein alter General Store für eine erfrischende Limonade.

So wird unsere Fahrt nie langweilig. Aber irgendwann fällt uns ein, dass wir noch einkaufen sollten, denn wir wollen heute Abend im Joshua Tree National Park ankommen und dort wenigstens drei Nächte verbringen. Dafür brauchen wir Vorräte und reichlich Wasser. Außerdem muss ich tanken. Jutta hat einen Ort rausgesucht, der etwas abseits liegt, aber dort sollten wir alles bekommen. Kingman. Da gibt es einen Safeway, eine Tankstelle und einen Liquor Store.
Wir werden allerdings leider heute nicht mehr im Joshua Tree Park ankommen. Stattdessen stranden wir in Desert Center, einer Geisterstadt.
„Willst du erst tanken oder kaufen wir vorher ein?“, fragt Jutta als wir auf den Parkplatz in Kingman rollen. Wir haben bereits alles im Blick von hier. „Erst einkaufen, danach tanken!“, antworte ich knapp.

Ich mag die Safeway Supermärkte sehr. Sie sind zwar teuer, aber das Einkaufsambiente ist um ein Vielfaches besser als z. B. im Walmart. Wir bummeln gemütlich durch alle Gänge und der Einkaufswagen wird voller. Es stehen immer zwei Preise auf allen Waren, einmal der „Member“ Preis und darunter der teurere Preis für alle Anderen. Wir müssen also „Member“ werden um Geld zu sparen. Ich frage einen Angestellten wie das geht und er sagt, man müsse nur seine Telefonnummer an der Kasse angeben. Irgendeine Amerikanische. Ich nehme die Nummer der Cousine meiner Kollegin, das ist eine amerikanische Telefonnummer. Check.
Es klappt. Ohne Tüten packen wir wieder alles vom Laufband in den Einkaufwagen und rollen damit direkt zum Auto. Als ich draußen fertig bin mit den Sachen für die Staufächer ist Jutta innen noch beschäftigt.
„Ich gehe mal schauen, wie teuer hier der Diesel ist!“, rufe ich in die Kabine. „Ok“, höre ich von innen. Entsetzt komme ich zurück. „Ich glaube ich spinne, die sind ja völlig bekloppt!“, sage ich aufgebracht zu Jutta. „Weißt du was die Gallone hier kostet?“ Woher sollte sie das wissen. Sie schüttelt den Kopf.
„6,79 $ wollen die haben für eine beschissene Gallone Diesel! Hier tanke ich nicht!“
Normalerweise haben wir knapp über 4 $ für die Gallone bezahlt, mit Glück auch mal nur 3,79 oder so ungefähr.
„Wie weit kommen wir noch mit der Tankfüllung?“, will Jutta wissen. „Mal sehen was der Bordcomputer anzeigt.“ Auf dem Display steht, dass wir noch etwa 160 Meilen kommen.

„Das ist doch eine gute Reichweite.“, denke ich. Tankstellen gab es bisher an fast jeder größeren Kreuzung. Zu dumm nur, dass ich vorher keinen Blick auf die Karte geworfen habe. Große Kreuzungen und selbst kleine Orte werden wir bald nicht mehr antreffen, sobald wir von Arizona nach California wechseln. Denn dann fahren wir durch einsame und endlose Wüste, durch die Mojave Desert. Unglücklicherweise hat auch Jutta nicht so genau die Karte studiert, als das ihr aufgefallen wäre, dass wir durch ähnliche Weiten und abgelegenen Gebiete fahren, wie vor einer Weile in New Mexico. Schuld an diesem Dilemma, in das ich uns bringe, ist aber selbstverständlich der Fahrer. Jutta wollte tanken, ich war zu geizig. Wir wissen, dass es am Krieg in der Ukraine liegt, dass die Spritpreise so explodiert sind.
„Wir fahren erstmal weiter.“, sage ich zu Jutta. „Na gut, wenn du meinst.“

Wir passieren die Landesgrenze und verlassen Arizona. California, here we are. Die Orte verschwinden hinter uns und vor uns tauchen Berge auf. Nur ein kleiner Bergkamm, links und rechts davon ist alles flaches Land. Sie sind nicht besonders hoch, aber in der ansonsten flachen Umgebung fallen sie schon auf. Das Thermometer steigt langsam aber stetig. Seit langem geht es auf die 20 Grad zu und dann sogar darüber. Wir kommen den Bergen immer näher. Vergessen ist der Krieg in der Ukraine und vergessen sind die hohen Spritpreise. Wir fahren durch eine Postkartenidylle und sind wieder allerbester Laune.
Als ich die Berge vor uns sehe, kommt eine Erinnerung in mir hoch. Ich war schon mal hier, allerdings ungefähr 11000 Meter höher. Es war als wir 2011 nach Los Angeles geflogen sind. Ich hatte einen Fensterplatz und habe aus dem Flugzeug runter geschaut. Ich bin mir sicher, dass ich genau diese braunen Bergspitzen gesehen habe. Und schon damals im Flugzeug dachte ich daran, eines Tages tatsächlich die USA zu durchqueren. Auf der Route 66 zu fahren. Und jetzt, genau 11 Jahre später, im März 2022 fahre ich mit meinem eigenen kleinen Expeditionsmobil durch die USA, von einem Bundesstaat in den Nächsten.
Jetzt schaue ich von unten nach oben, suche nach einem Flugzeug, kann aber keins entdecken. Ich erzähle Jutta, was gerade in mir vorgeht, sie saß ja 2011 im selben Flieger neben mir. Es ist ein melancholisches Gefühl und irgendwie fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen, als ich im KLM Flieger saß und von oben hier runter schaute.
Wir fahren in die Berge und die Ausblicke werden schöner. Einer Kurve nach der anderen, dann geht es wieder runter. So geht es eine ganze Weile, rauf und wieder runter. Ich glaube, dass Kalifornien der schönste Bundesstaat von allen ist. Und endlich sind wir da. Angekommen! Die Berge bleiben langsam hinter uns zurück und vor uns wird es etwas flacher.
Vereinzelt sehen wir in den Bergausläufern andere Camper stehen. Mitten in der Wüste. Es ist aber auch traumhaft schön hier. Dann werden es immer mehr Camper, alle weit auseinander. Aber teilweise sind es auch kleine Ansammlungen von Caravans, großen Bussen oder normalen Wohnmobilen.
Wir kommen ins Grübeln, ob wir nicht auch eine Nacht hier verbringen sollen. Es geht schon seit einigen Meilen so, immer wieder stehen andere Leute nicht weit von der Straße in der wundervollen Natur. Manche sehen zu uns rüber und winken. Wir sind total unentschlossen und können uns nicht entscheiden, was wir tun sollen. Eigentlich war der Plan heute Abend im Joshua Tree N. P. zu stehen. Aber es wäre bei weitem nicht das erste Mal, dass wir einen Plan verwerfen oder ändern.
Leider bekommen wir es nicht hin uns klar zu entscheiden, so dass wir einfach weiter fahren. Ist ja irgendwie auch eine Entscheidung, aber eine unbefriedigende.

Ich werfe mal einen Blick auf die Tankanzeige und bekomme einen kleinen Schreck. Die Tanknadel ist schon recht weit nach links gewandert.
Ich sage etwas beiläufig zu Jutta: „Lange keine Tankstelle gesehen, wah?“ „Ja stimmt!“, sagt sie, „ich gucke mal, wann und wo die Nächste kommt. Wie weit kannst du noch fahren?“
Ich wechsel auf dem Display von der Geschwindigkeitsanzeige zum Verbrauch und weiter zur Restreichweite. „Noch knapp 100 Meilen.“, sage ich. „Oh gut.“, sagt sie, „da kommt gleich Eine, nicht mehr weit!“
Wir sehen die Tankstelle schon von weitem, doch als ich mich soweit nähere, dass ich die Preise in großen leuchtenden Zahlen auf der Anzeigetafel erkennen kann, da glaube ich erneut, ich spinne. Die Gallone Diesel kostet hier 7,89 $. Ich fahre an der Tankstelle vorbei und hoffe auf die Nächste.
„Kannst du bitte mal gucken wann und wo die nächste Tankstelle kommt?“, frage ich Jutta. Sie macht sich sofort ran auf MapsMe zu gucken, Internet hat sie hier schon lange nicht mehr. Sie sagt, dass in 30 Meilen eine kommen muss. Die zeigt auch unser TomTom Navi an. Weiter geht es und die Tanknadel bleibt auch nicht stehen, sie neigt sich weiter nach links, immer weiter an den roten Bereich heran.
Die Sonne geht langsam unter und färbt den Himmel über den weit entfernten Bergketten leuchtend orange. Da sehe ich plötzlich eine Tankstelle in einiger Entfernung. Ist das etwa eine Fata Morgana? Wir sind doch noch keine 30 Meilen gefahren?

An dieser Tankstelle gibt es kein Benzin und kein Diesel. Die Zapfsäulen, die hier mal waren sind nicht mehr da. Jetzt gibt es bloß noch Schuhe. Überall sind abgetragene Treter angebunden. Oben an der Überdachung hängen sie paarweise und auch einzeln. Sogar an der trockenen Palme vor der verlassenen Tankstelle hängen Schuhe. Manche wurden wohl einfach an den Schnürsenkeln zusammengebunden und dann hoch geworfen. Auf dem Boden verteilt sind auch welche. Wieder mal ein ganz kurioses Bild, irgendwie schräg.

Jutta ruft schon nach mir und sie hat recht, wir wollen weiter zu einer Tankstelle, die mehr zu bieten hat als nur alte Treter.
Die benötigte Tankstelle müsste jeden Augenblick auftauchen, wir sind die 30 Meilen gefahren. Auch auf dem TomTom wird sie unmittelbar bevorstehend angezeigt. Aber wir sehen nichts. Hier ist weit und breit gar nichts. Jetzt liegt sie auf dem Navi bereits hinter uns. Langsam werde sogar ich unruhig. „So ein Scheiß!“, sage ich. Hier gibt es keine Tankstelle.
Noch könnten wir umdrehen und zu der Tankstelle zurück fahren, wo sie die Gallone für fast 8 Dollar verkaufen. Noch ist der „Point Of No Return“ nicht erreicht. Noch nicht!
Jutta schaut bei MapsMe und sucht nach der nächsten Tankstelle. Es kommen noch zwei große Kreuzungen, dort gab es doch immer welche. Was ist denn bloß los hier? Sie findet eine am Highway, aber bis dorthin ist es noch ein ganzes Stück zu fahren. Wenn vorher nichts kommt, dann könnte es echt knapp werden, aber wir wollen es wagen. Wir entscheiden uns weiter zu fahren.

Letztendlich bin ich es, der die Verantwortung trägt, ich bin der Fahrer und damit verantwortlich alles im Blick zu haben, einschließlich der Tankfüllung. Ich beruhige mich etwas und sage mir, mit den 60 Meilen Restreichweite müsste es doch mit dem Teufel zu gehen, sollten wir keine Tankstelle mehr erreichen. Das sind immerhin ungefähr 100 Kilometer, die wir noch fahren können. Optimistisch fahre ich weiter. Wo in Europa muss ich so weit fahren, um eine Tankstelle zu erreichen?
Doch mein Optimismus verlässt mich genau so schnell, wie die Tanknadel auf den roten Bereich zu rast. „Wie weit kommen wir noch?“ Diese Frage bekomme ich nun in sehr regelmäßigen Abständen gestellt.
Ich habe das Display mit der Restreichweite jetzt ständig im Blick. Ich wechsel nicht mehr auf die digitale Geschwindigkeitsanzeige. Das wird mir ja analog noch angezeigt.
„Noch 36 Meilen.“, sage ich.
Inzwischen gab es auch den Warnton und die gelbe Anzeige im Cockpit, dass ich doch nach Möglichkeit tanken sollte. Würde ich auch liebend gerne du bescheuerte Warnleuchte, aber es gibt hier nicht eine einzige beschissene Tankstelle. Soll die scheiß Gallone doch verfickte 10 Dollar kosten, ich zahle es ja!
„Wie weit kommen wir noch?“, will Jutta wissen. „Noch 27 Meilen sagt der Bordcomputer.“ Wie weit müssen wir noch fahren bis zu dieser großen Kreuzung am Highway?“
Wir haben uns abgeschminkt, dass vorher etwas kommt. Der Traum ist ausgeträumt. Das war nur Wunschdenken und der blöde Optimist hat sich wohl verrechnet. Du Vollidiot, denke ich, zweimal hättest du tanken können. Zuerst in Kingman und danach an dieser wundervollen Tankstelle mitten im Nirgendwo. Wer ist denn so bescheuert und fährt in der Wüste an einer Tankstelle vorbei???
Und warum zum Teufel sind die beiden Reservekanister leer? 40 Liter könnten da hinten am Heck sein, aber nein, zu viel Gewicht heißt es dann.
Scheiße Scheiße Scheiße…
„Noch 35 Meilen!“, sagt Jutta mit gerunzelter Stirn.
Weit und breit ist nichts. Es wird immer dunkler und seit einer Ewigkeit haben wir kein anderes Auto mehr gesehen.
„Was machen wir, wenn wir liegenbleiben?“, fragt Jutta. „Wir bleiben nicht liegen!“ „Wie weit kommen wir noch?“ „Noch 8 Meilen.“
Es scheint so, als wollen wir nicht nur Sprit sparen (Ich fahre im Eco Modus und halte die Drehzahl im optimalen Bereich), sondern als wollen wir auch an Worten sparen. Die Sätze werden knapper und nur das Nötigste wird gesprochen. Die Anspannung steigt.
Die Fahrt geht weiter.
Jetzt frage ich zuerst. „Wie weit müssen wir noch?“ Jutta antwortet. „Noch 6 Meilen.“ „Wie weit kommen wir noch?“ „Restreichweite 0!“
In 6 Meilen sollte es also eine Tankstelle geben. Das werden wir wohl noch schaffen, ich werde wieder optimistischer. Es ist bereits stockdunkel und wir nähern uns einer größeren Kreuzung, an der eine Gas Station verzeichnet ist. Hoffentlich haben die dort auch Diesel, das ist in Amerika nicht selbstverständlich an den Tankstellen. Die meisten PKW fahren mit Benzin und es sind vor allem die LKWs, die Diesel benötigen.
Die Tanknadel ist im roten Bereich, aber noch nicht ganz am Ende angelangt. Desert Center, wir kommen!

„Wie weit noch?“, frage ich wieder. „Nur noch 2 Meilen!“
Wir sehen im Dunkel einige Lichter leuchten. Als wir näher kommen identifizieren wir sie als die Frontscheinwerfer einiger LKWs. Und dann sehen wir die Tankstelle….
Wie weit kann man wohl noch fahren, wenn der Bordcomputer „Restreichweite 0“ anzeigt? Das ist eine sehr interessante Frage und ich will das eigentlich nicht selber herausfinden müssen. Und wie konnte es überhaupt so weit kommen, wenn man einen 140 Liter großen Dieseltank hat? Mit einem vollen Tank und einem durchschnittlichen Verbrauch von ca. 12,5 Litern pro 100 Kilometer haben wir eine Reichweite von knapp 1000 Kilometern. Und wenn dann noch die beiden Reservekanister mit je 20 Liter betankt sind, dann haben wir 180 Liter an Bord und eine Reichweite von etwa 1350 Kilometern. Da sollte es doch möglich sein nicht mitten in der Wüste zu stranden. Aber leider sind die Reservekanister leer und weiß der Teufel, wieviel Diesel noch im großen Lone Ranger Tank ist.
Wir rollen über Sand auf die Tankstelle zu. Es ist alles dunkel. Die Zapfsäulen sind verrottet und die Scheiben sind zertrümmert. Hier sind schon lange keine Dollars mehr für Benzin über den Tresen gegangen und haben den Besitzer gewechselt. Nein, nicht hier in Desert Center. Irgendwie passt dieser Name perfekt zu diesem Ort. Wir sind in einer Ghost Town gestrandet.

Die wenigen Gebäude in dieser staubigen und dreckigen Wüste sind verlassen und verfallen langsam. Das erkenne ich durch das dürftige Licht unseres Rangers.
Ich habe einen Entschluss gefasst. Aber vorher wagen wir einen letzten verzweifelten Versuch doch noch an Diesel zu kommen. Hier stehen einige LKWs mit laufendem Motor, so als wollten sie gleich noch los fahren, durch die Nacht. Ich frage Jutta, ob sie nicht mal einen der Trucker fragen mag, ob er uns eine oder zwei Gallonen verkaufen könnte.
Ich halte direkt neben der riesigen Fahrerkabine und Jutta steigt aus und fragt den Mann, der hoch über ihr sitzt bei geöffnetem Fenster. Ich höre trotz runtergefahrener Scheibe nicht was gesprochen wird, zu laut brummt der Motor der fetten Maschine im LKW, aber hoffe das Beste. Fehlanzeige.
Ich fahre noch bei zwei anderen Trucks vorbei und Jutta fragt nach Diesel gegen Bargeld, dann geben wir auf. Sie haben keine Reservekanister dabei, heißt es. Und sie können uns ja nichts aus ihrem Tank abzapfen. Wahrscheinlich denken sie sich alle: „Diese blöden Touristen, fahren hier in die Wüste und haben kein Geld zum Tanken oder wollen sich bei den explodierten Preisen billig Sprit schnorren.“
Jetzt steht mein Entschluss endgültig fest. Wir bleiben die Nacht über hier stehen. Ich habe absolut keinen Bock mehr und ich riskiere es nicht auf den Highway zu fahren, wo noch einiges an Verkehr sein dürfte, um dann mitten in der Nacht an einer stark befahrenen Straße liegen zu bleiben.
Jutta ist sofort damit einverstanden und ich suche eine etwas ruhigere Ecke. Etwas weiter weg von den laufenden und dröhnenden LKW-Motoren.
„Morgen früh sieht die Welt schon wieder anders aus!“, sage ich, um Jutta und mich selber etwas aufzumuntern.

Wir sind gestrandet in Desert Center, am Arsch der Welt, in einer ausgestorbenen Geisterstadt. Nur einige LKW Fahrer geistern hier noch rum. Das liegt an der Nähe zum Freeway oder ist es die Interstate? Ich habe keine Ahnung mehr und will es auch nicht wissen. Ich will nur noch schlafen und morgen aus diesem Albtraum erwachen.
„Hey guten Morgen Schatz, das duftet ja lecker nach Kaffee. Mmhh, da hast du dich aber mal wieder selbst übertroffen. Und wie schön der gedeckte Frühstückstisch aussieht. Wow, frisch gepresster Orangensaft! Soll ich uns schnell ein paar Eier in die Pfanne hauen, was meinst du?“
„Ach übrigens, wie voll ist eigentlich der Tank? Fast bis zum Überlaufen sagst du? Geht kein Tropfen mehr rein? Na das ist doch super, dann können wir ja gleich ganz entspannt starten, wenn wir dieses köstliche Breakfast in Amerika verdrückt haben.“
Jutta hat ein bisschen Netz hier, wir sind der Zivilisation etwas näher gekommen. In ungefähr 20 Meilen auf dem Highway gibt es eine Tankstelle, sagt Google. Außerdem findet sie einen „Mann für alle Fälle“. Der bietet im Netz einen Benzinbringdienst an. Wir scheinen also nicht die Einzigen zu sein, denen hier der Sprit ausgeht. Die Rezensionen machen aber klar, dass er sich das sehr teuer bezahlen lässt. Also versuchen wir es erstmal so.
Wir frühstücken ohne frisch gepressten Orangensaft und ohne Rührei, aber trotzdem lecker und mit köstlichem, wohlduftenden Kaffee.
Die Welt sieht tatsächlich heute morgen schon ganz anders aus. Desert Center hat sogar Charme bei Sonnenschein. Ich bin ja während unserer Reise ein kleiner Fan geworden von Lost Places.

Außerdem habe ich mir in der Nacht überlegt, wenn wir jetzt am Tag am Freeway liegen bleiben, dann ist es Erstens nicht so schlimm, weil ja Tag ist und wir gut zu sehen sind von den vorbeidonnernden Trucks. Und Zweitens hole ich dann die beiden Bikes vom Träger runter und wir fahren mit den Rädern zur Tankstelle, füllen dort die Reservekanister und radeln zurück zum Auto. Und wenn es 20 Meilen sind, dann sind es eben 20 Meilen. Scheißegal.
Jutta hatte ganz ähnliche Gedanken in der Nacht und sie ist heute morgen genau so entspannt wie ich es bin. Kein Vergleich mehr zu gestern. Obwohl wir auch da relativ gut funktioniert und harmoniert haben, trotz der Stresssituation. Ein eingespieltes THE WÖRLD IS YOURS Team eben.

Nach einem kleinen Spaziergang durch Desert Center wagen wir uns auf den Freeway.
Anzeige im Bordcomputer unverändert: „Restreichweite 0!“ 6 Meilen bin ich bereits gefahren mit dieser Anzeige auf dem Display, ca. 20 Meilen liegen jetzt vor uns.
„Fahr bitte sparsam!“, sagt Jutta. „Geht klar.“, sage ich.
Die Tanknadel bewegt sich weiter nach links, kommt dem Ende des roten Bereichs immer näher. Hinter dem roten Bereich ist es schwarz. Tiefes, abgründiges Schwarz. Vanta Black. Da soll sie nicht rein gehen, bitte nicht, nur noch ein paar Meilen…., komm schon LEMMY, komm alter Junge, halt durch…..
Wenn wir wandern und der Weg beschwerlich wird und steil nach oben geht oder auch bei anstrengenden Treppenaufstiegen, dann sage ich immer, um uns zu motivieren: „Nur noch 10 Schritte, dann haben wir es geschafft.“ Und das wiederhole ich auch gerne von Zeit zu Zeit, denn es hilft mir wirklich. „Nur noch 10 Schritte!“
Ich habe diese Worte von Joe Simpson geklaut, na ja oder er hat mich inspiriert dazu, denn ihm haben diese Worte das Leben gerettet. Er ist bei einer Kletterexpedition (Buch und Dokumentarfilm „Sturz ins Leere“) in den peruanischen Anden verunglückt und extrem schwer verletzt, hat er sich mit genau diesen Worte zurückgekämpft in die Zivilisation und überlebt. „Nur noch 10 Schritte….“
15 Meilen haben wir schon geschafft. Nur noch 5 Meilen, dann kommt die rettende Oase. Das Wasserloch. Dort soll der Diesel sprudeln und die Palmen blühen. Komm schon LEMMY,….halt durch….., nur noch 10 Schritte…
Die Tanknadel gelangt an das Ende des roten Bereichs. Vanta Black ist der Abgrund in den sie jeden Augenblick abzurutschen droht. Da sehe ich die großen Reklametafeln einer Tankstelle. Halt durch LEMMY, enttäusche uns jetzt nicht, komm schon, good boy…. Ich streichele zärtlich über die Konsole.
Der Motor läuft noch als ich bereits an der Zapfsäule stehe. DIESEL steht dort in großen Buchstaben aufgedruckt. Die Tankstelle ist in gutem Zustand, keine zerbrochenen Scheiben, innen brennt Licht und Leute gehen ein und aus. Andere Menschen tanken ihre Autos voll. Es gibt reichlich Benzin, Diesel, Propane und alles was das Herz begehrt.
Ich stoppe den Motor, setze Bordcomputer A zurück auf Null, steige aus und tanke voll.

36,7 Gallonen Diesel sehe ich auf dem Display der Zapfsäule, das sind exakt 139,2 Liter. Das bedeutet, wir sind mit einem kläglichen Rest von 0,8 Litern Diesel im Tank hier vorgefahren.
In mir kommen Gedanken hoch, was ich wohl dem Sheriff sagen würde, wären wir am Highway liegengeblieben und er würde mich fragen, wie es dazu kommen konnte, wenn ich doch hinten zwei große Reservekanister am Auto habe?
Na was sollte ich dem dann schon sagen?
„Mit Verlaub, Sir, können Sie denn nicht lesen, auf dem linken Reservekanister steht GIN und auf dem rechten Kanister steht TONIC!“

….und was als nächstes geschieht…
CHAPTER VII – CALIFORNICATION, VOM ATLANTIK ZUM PAZIFIK, EINMAL QUER DURCH DIE USA, IN DIE STADT DER ENGEL
…und wie wir in LOS ANGELES in Lemmy Kilmisters Stammkneipe den Rock ‚N‘ Roll spüren und in West Hollywood an Johnny Ramones Grab stehen….