…und wie mir Elvis Presley den Abend versaut…
Wir nähern uns dem Ende der Mojave National Preserve, diesem Wunder der Natur, der einsamen Straße durch die Wüste. Hin und wieder ein paar kleinere Berge, dann wieder eine weite Fläche unzähliger Joshua Trees und einer der fantastischsten Sonnenuntergänge bleiben hinter uns zurück.

Der Highway Nr. 15 nach Las Vegas ist nicht mehr weit.
Und dann kommt sie die große Straße und die Einsamkeit endet schlagartig. Wir biegen rechts ab auf den Highway 15 und es geht langsam bergan, denn der Mountain Pass steht uns bevor. Ich bin auf der zweiten Spur von rechts, denn ganz außen fahren im Schritttempo die großen LKWs mit Warnblinklicht, damit ihnen niemand zu dicht auf die Pelle rückt. Ich bin ein klein wenig schneller unterwegs als sie und fahre das, was LEMMYS 160 PS starker (oder sollte ich sagen schwacher?) Motor hergibt. Genau in solchen Momenten wünsche ich mir etwas mehr Horse Power. Ich sage es auch gerne laut. Was Jutta jedes Mal dazu veranlasst LEMMY über die Konsole zu streicheln, um ihm tröstend mitzuteilen, dass alles so in Ordnung ist wie es ist.

Ich quäle mich also weiter der Mountain Passhöhe entgegen und rechne bereits damit, kurz dahinter die Lichter der Großstadt zu sehen. Einen LKW nach dem Anderen lasse ich rechts liegen. Auf zwei, manchmal drei Spuren links neben mir ziehen die ganzen Pickup Trucks und die PKWs vorbei. Dann kommt die Kuppe in einer Linkskurve und ich merke wie LEMMY schneller wird. Jetzt geht es runter mit nur wenig Gefälle, dafür aber stetig und in weiter Ferne sehen wir einen großen leuchtenden Punkt in ansonsten rabenschwarzer Nacht. Die einzigen Lichter um uns herum sind die Straßenlaternen und die Autoscheinwerfer. Die Linien auf dem dunklen Asphalt leuchten gelb, um die Spuren deutlich voneinander zu trennen. Die LKWs werden schneller und schalten die Warnlichter ab. Vor uns liegt eine Wüstenstadt. Vor uns liegt Las Vegas und vor uns liegt „The Strip“.
Jetzt noch mal allerhöchste Konzentration damit wir gut und sicher durch das Verkehrsgewühl kommen, denn es ist noch ordentlich Betrieb auf den Straßen von Downtown. Jutta hat einen Parkplatz mitten im Zentrum für uns vorgesehen. Hinter dem Bally’s Hotel gleich bei dem Riesenrad. Im Internet wurde zwar gewarnt vor Fahrraddieben auf diesem Parkplatz, aber wir wollen es riskieren und im Zentrum stehen. Unsere Bikes sind sehr gut gesichert und ich bin zuversichtlich, dass jeder potenzielle Dieb schnell die Lust verlieren wird. Ich fahre runter vom Highway und direkt über den Strip.
Jutta hätte einen zweiten Besuch in Vegas nicht gebraucht, aber ich kann nicht daran vorbei fahren, wenn ich schon so nah dran bin. Und mit dem eigenen Auto über den Strip zu fahren ist für mich ähnlich bedeutsam, wie mit LEMMY nach New York City oder nach LA an den Pazifik zu fahren. Aus der Perspektive der Fußgänger kenne ich das alles hier bereits. Aber aus der Sicht des Fahrers, der über den Strip rollt, ist es ein ganz anderer Eindruck. Jutta ermahnt mich immer wieder zur Achtsamkeit wegen des Verkehrs, doch trotzdem schweifen meine Blicke von links nach rechts und von oben nach unten. Überall die bunten Lichter, die großen Hotels und Casinos, davor spektakulär inszenierte Wasserspiele und der Eiffelturm in klein.

Aber es wird langsam Zeit auf unseren angestrebten Overnight Stellplatz zu kommen. Jutta manövriert mich runter vom Strip und die Straßen werden kleiner, der Verkehr lässt nach. „Da ist der Parkplatz!“, sagt Jutta und zeigt in die Richtung vor uns. Er ist riesig und hat offensichtlich mehrere Bereiche, aber wo zum Teufel ist die Zufahrt?
„War das da gerade die Einfahrt?“, frage ich. „Kann sein!“, sagt sie, „Fahr noch einmal rum, die Zufahrt müsste eigentlich direkt beim Hotel sein.“
Da die Straßen hier fast überall rechtwinklig angeordnet sind, ist so eine kleine Extrarunde in der Regel kein Problem und man verfährt sich auch nicht so ohne Weiteres. Beim zweiten Anlauf finden wir die Zufahrt und ich suche einen hell beleuchteten Platz unter einer Laterne. Wir stehen hinter dem Bally’s Hotel und dort befinden sich an einer Rampe ein paar alte Sofas, Tische und einige Stühle. Wahrscheinlich für das Personal, das dort eine kurze Kaffee- oder Raucherpauseeinlegen kann. So ähnlich sieht es bei mir im Schauspielhaus im Theater auch aus, am Hintereingang zur Seitenbühne. Ich fühle mich hier auf Anhieb wohl und gut aufgehoben.

Es ist zwar schon spät und wir haben einen langen Fahrtag hinter uns, aber ein Spaziergang über den Strip muss noch sein, bevor wir zu Bett gehen. So machen wir uns nur kurz etwas frisch und haben kein schlechtes Gefühl das Auto hier alleine zurück zu lassen.
Draußen bei den Sofas sind einige Angestellte vom Hotel und unterhalten sich mit Zigaretten in der Hand. Etwa eine handvoll anderer Camper steht auch hier, wild verteilt über den ganzen Parkplatz.
In nur wenigen Gehminuten sind wir wieder mitten im Geschehen und es kommt mir vor, als sei ich gestern hier gewesen und nicht etwa vor 11 Jahren. Wir wohnten damals im Hard Rock Hotel & Casino und waren mit einem Dodge Durango unterwegs, der dort in der hoteleigenen Parkgarage stehen konnte. Wir wollten für drei Nächte dort bleiben, genau so lange wie wir es jetzt geplant haben. Damals sind wir dann allerdings schon nach zwei Nächten abgereist, weil Vegas uns recht schnell genervt und auch gelangweilt hat.

Das Hotel war auf den ersten Blick sensationell. Das Zimmer war stylisch und beeindruckend groß. Das schicke Bad und eine wahnsinnige Aussicht durch eine breite Fensterfront haben uns begeistert. Doch als wir gelesen haben wie die Minibar funktioniert, hat das unsere Begeisterung gedämpft. Denn sobald etwas auch nur angehoben wird, registrieren Sensoren das und die Kreditkarte wird automatisch belastet. Dann wollten wir einmal an den hoteleigenen Pool gehen, in der tollen Oasenlandschaft im Innenhof. Das kostete aber auch extra (Eintritt, Miete für den Liegestuhl oder eine Cabana, ach ja und die Mitnahme eigener Getränke und sei es auch nur eine Flasche Wasser war auch nicht erlaubt!) insgesamt fast mehr als das ganze Zimmer. Man kann also im Grunde zwar günstig ein Zimmer bekommen in Vegas und sich an den Buffets ordentlich durchfuttern, aber alles Andere kostet extra. Und diese Kosten sind enorm. Das hat uns schnell die Laune verdorben.
Wir sind keine Zocker, die ihre Dollars im Casino verspielen. Die großen Leuchtreklamen, die aufwendig designten Casinos und das Blingbling ist auf den ersten Eindruck toll, wird aber schnell langweilig.
Ich sage zu Jutta: „Mal sehen, wann der erste Mexikaner mir die kleinen, bunten Pappkärtchen reicht, hochglänzend versteht sich!“ Darauf sind leicht bekleidete, sexy Escort Ladys abgebildet, mit ihrer Telefonnummer. Keine fünf Minuten später habe ich bereits einen kleinen Stapel davon in die Hand gedrückt bekommen. Ich denke, als Lesezeichen sind die vielleicht gar nicht so schlecht. Früher habe ich noch nach jeder Reise zwei große Fotoalben angefertigt. Ich musste nach fünfwöchigen Reisen die zahlreichen Fotos immer auf 600 runter reduzieren, damit ich sie in zwei Alben bekomme. Dazu habe ich dann Eintrittskarten, Bordkarten und Tickets jeglicher Art mit eingeklebt und selbstverständlich auch die Pappkärtchen mit den Escort Damen. Ich nehme mir vor die Alben mal vom Dachboden zu holen und durchzublättern.

Ich erinnere mich an eine KISS Cover Band, die wir 2011 gesehen haben. Das war in einer coolen Location, die ich allerdings nicht wieder finde und die Musik, die heute von innen nach außen dringt, nervt mich jetzt schon. Nur Mainstream Popmusik und Hiphop dröhnt aus jeder Bar an der wir vorbei laufen. Nicht auszuhalten! Und die ganzen Ballermann Touristen, die gerade nicht auf Malle sind, scheinen heute hier zu sein. Hier ist es erlaubt auf offener Straße bzw. in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Überall laufen betrunkene Touristen rum, die an großen Plastikkolben mit bunten Cocktails nuckeln. Das scheint schwer angesagt zu sein, denn an jeder Ecke steht so eine kleine mobile Cocktail Bar und füllt die Dinger wieder auf, wenn man entsprechend ein paar Scheine über den Tresen schiebt. Leider werden sie aber oft auch einfach weggeworfen und verschandeln das Straßenbild.
Wir finden nicht eine Kneipe mit einladender Musik, so ein Mist. Dabei hätte ich wohl Lust nach dem langen Tag ein schönes kaltes Bier aus einem großen Pint Glas zu trinken, eiskalt und bis zum Rand voll gezapft. War das damals nur Zufall mit der KISS Cover Band und einer einladenden Rock Bar?
Ich weiß noch wie der Barkeeper die Damen direkt aus der Schnapsflasche beglückte. Er stand auf dem Tresen, Oberkörper frei und sie mussten nur den Mund weit aufmachen und die Zunge raus strecken und dann lief der Stoff aus der Pulle in begierige Münder. Oh ja Vegas, du Sündenpfuhl.
Jetzt bereue ich langsam diesen Weg gewählt zu haben, denn weiter weg vom Strip, in die andere Richtung, gibt es eine Bar, die mit Gewissheit meine Musik spielt: den Double Down Saloon. Über der Tür dort steht ein Schild mit der Aufschrift: „THE BEST PLACE ON EARTH“, das hatte ich bereits Tage vorher recherchiert. Wir kennen bereits einen Double Down Saloon aus Manhattan, in dem es mir ausgesprochen gut gefallen hat, als wir im Februar dort waren. Aber jetzt ist es zu spät, heute Abend wollen wir beide nicht mehr dort hinlaufen.
Wir spazieren noch etwas weiter den Strip entlang und werden häufig angesprochen, ob wir nicht mit im Vegas-Style aufgebrezelten Ladys posieren wollen? Sie sind meistens sehr schrill angezogen, haben Overknee Lackstiefel an und bunte Kostüme mit vielen Federn. Besonders attraktiv finde ich keine von ihnen. Dann folgen zwei stramme Kerle, die sich gegenseitig einölen, um danach mit betrunkenen Touristen Fotos zu schießen. Das alles natürlich nur gegen bare Dollars.

Möglicherweise machen sie diese Jobs auch nicht besonders gerne, aber scheinbar bringt es Geld.
Wir verabreden noch bis zum Riesenrad zu gehen, um dann von hinten wieder zu unseren Parkplatz zu kommen. Eventuell finden wir auf dem Rückweg noch eine Bar, in der die Musik uns nicht zum Kotzen bringt. Wir biegen rechts ab, gehen durch eine etwas schmalere, aber nicht minder volle Straße, genau auf das Riesenrad zu. Erst kommt auf der einen Seite ein Irish Pub, dann etwas weiter hinten auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein anderer Irish Pub. Autos fahren hier nicht durch, diese Meile ist den trinkfreudigen Partygängern vorbehalten. Ich horche an beiden Pubs und kann weder irische Musik hören noch irgendwelche rockigen Klänge. Lustlos gebe ich mich für heute geschlagen und wir machen uns auf den Rückweg zum Auto. Ich fühle mich sowieso schon den ganzen Tag etwas angeschlagen, der Hals kratzt und es scheint sich eine Erkältung anzukündigen.
Für einen zweiten Anlauf auf dem Strip haben wir morgen oder übermorgen noch Zeit, obwohl der kommende Abend mit einer Elvis Show bereits verplant ist. Den Double Down Saloon können wir dann in der dritten Vegas Nacht besuchen.

Die Elvis Show ist übrigens auch einer DER Gründe, warum ich unbedingt ein weiteres mal nach Las Vegas musste. Denn Jutta wollte sich 2011 schon die Show vom King of Rock ’n‘ Roll ansehen, aber ich hatte keine Lust dazu. Ich fürchtete einen billigen Elvis präsentiert zu bekommen, wie man es von den berüchtigten Vegas Hochzeiten kennt oder wie ich es auch schon in anderen Ländern erlebt habe. Beispielsweise habe ich in Bangkok einen Thai-Elvis gesehen, der gar nicht so schlecht war oder einen malaiischen Elvis in Kuala Lumpur, KL genannt.
Elf Jahre ist das jetzt her und elf Jahre habe ich es bereut, denn kurz nach der Reise habe ich eine Arte Dokumentation (vielleicht war es auch 3Sat) im TV gesehen, von einer spektakulären Elvis Show. So weit ich mich jetzt noch erinnern kann, war es in einem großen Theatersaal, in einem der riesigen Casinos. Diese Elvis Show war bombastisch, mit einem großen Orchester, mit Tänzern und Backgroundsängerinnen. Die Bühne hatte mehrere Ebenen und es gab ein fliegendes weißes Piano. Der Elvis sah aus wie ein Elvis aussehen muss und er konnte singen. Für beinahe jeden Song schlüpfte er in ein anderes Kostüm. Ich sah also diese Show nach der Reise im Fernseher und ärgerte mich schwarz, dass Jutta mich nicht überreden konnte diese einmalige Chance zu nutzen. Eine Elvis Presley Show in Las Vegas. Das sollte kein zweites Mal passieren schwor ich mir.
Wir gehen unter dem Riesenrad hindurch und sehen schon unseren Parkplatz. Dann verschwinden wir heute halt mal früh im Bett und morgen sind wir eher am Start. Wir laufen jetzt wieder an einer für den Autoverkehr zugelassenen Straße entlang. Einige Poser mit aufgemotzten und hoch getunten Kisten kommen vorbei. Den Arm locker aus dem offenen Fensterrahmen gelehnt und lautes und unerträgliches Geseier dröhnt aus den Boxen. Stretchlimos sehen wir in jeglicher Form, als Hummer Variante, einen sogar von Jeep oder klassisch als weiße Limousine. Entgegen kommen uns Leute in Abendgarderobe, andere etwas bequemer mit Jogginghose und Trainingsjacke. Ich mag es auch eher bequem und trage zwei verschiedenfarbige Schuhe. Das hat noch nie irgendjemand gestört, obwohl manchmal gucken die Leute irritiert. Hier in Vegas wird es vermutlich nicht einmal bemerkt. Dann stehen wir vor LEMMY und sagen gute Nacht für heute.

Die Karten für die Elvis Show im Pegasus Showroom im Alexis Park All Suite Resort hat Jutta online reserviert, für viel Geld. Ich dachte, wenn es soviel kostet, dann muss es auch gut sein, dann MUSS es die Show sein von der ich vor Jahren die Dokumentation im TV gesehen habe. „Es gibt nur noch wenige Plätze!“, drängelt sie bereits. „Welche soll ich buchen, die VIP Plätze in einer Reihe hinter den Tischen oder einen Tisch an dem wir zu viert sitzen?“ Ich antworte: „Ich weiß es doch auch nicht!“. Doch dann denke ich: „Lieber hinter den Tischen in der VIP Reihe, denn an den kleinen Tischen könnte es eng werden und man weiß nicht mit wem man den Tisch teilen muss.“ Also haben wir zwei Platzreservierungen für die einzige Elvis Show in Vegas auf den VIP Plätzen. Das kann dann doch nur die richtige Show sein, oder?
Mitten in der Nacht werde ich durch etwas Geruckel geweckt und sehe Jutta hinten am Küchenfenster stehen. „Wahrscheinlich war sie nur kurz auf der Toilette.“, denke ich im Halbschlaf und döse schnell wieder ein.
Am nächsten Morgen fühle ich mich krank, müde und schlapp. Aber nach einer Dusche und zwei Bechern Kaffee wird es schon gehen, denke ich. Jutta ist bereits auf und der Kaffee köchelt vor sich hin, während unsere Heizung im Booster Modus das Duschwasser erhitzt. Ich quäle mich aus dem Bett und kurz darauf klopft es an der Tür.
Zwei nett aussehende Damen vom Bally’s Hotel fragen, ob alles in Ordnung ist. Sie dachten es brennt bei uns. Denn die Brennstäbe unserer Truma Heizung sind etwas verrußt und sobald wir die Heizung anschmeißen qualmt es erstmal ordentlich aus einem Abluftgitter nach außen. Das legt sich zwar immer rasch nach ein, zwei Minuten. Es reichte aber aus, um diese beiden aufmerksamen Damen zu veranlassen, sich nach unserem Wohlbefinden zu erkundigen. Wir bedanken uns vielmals und erklären, woran es liegt, dann ziehen sie beruhigt wieder ab.
„Hast du heute Nacht das Geruckel gespürt?“, fragt Jutta. „Ich dachte, das warst du.“, sage ich.
„Nee, ich glaube da hat sich jemand an den Rädern zu schaffen gemacht. Ich habe gemerkt, wie das ganze Auto gewackelt hat. Dann bin ich aufgestanden und habe hinten rausgeschaut. Es war aber niemand zu sehen. Wahrscheinlich hat der Dieb mitbekommen, dass sich im Auto etwas bewegt hat und ist abgehauen.“ „Shit!“, sage ich zu Jutta, „ich gehe mal eben nachschauen!“

Und tatsächlich, die Schutzhülle, die über den Bikes verzurrt ist, ist an einer Seite unten entfernt worden und ich sehe einen platten Reifen. Mehr ist zum Glück nicht passiert. Der Schaden ist gering. Kaffee und Müsli sind mittlerweile fertig und beim Frühstück reden wir über den nächtlichen Vorfall, der mich nicht weiter beunruhigt. „Was, wenn der es heute Nacht wieder versucht?“ meldet Jutta ihre Bedenken an.
Ich argumentiere, dass so ein Dieb in erster Linie daran interessiert ist, schnelle Beute zu machen. Schnell und unauffällig. Und Beides ist ihm hier nicht möglich, denn wir stehen unter einer hellen Laterne, die die ganze Nacht leuchtet. Und dann hat er schon bei der Schutzhülle aufgegeben. Er ist noch nicht mal bei den beiden schweren Bügelschlössern angekommen, geschweige denn hat er sie sehen können. Spätestens dann wäre ihm die Diebeslust vergangen. Ich bin überzeugt, auch so ein Langfinger stellt eine Risiko/Nutzen Abwägung an. Das Risiko von einer vorbeifahrenden Streife entdeckt zu werden, ist viel zu hoch. Der Zeitaufwand diese gut gesicherten Räder zu stehlen viel zu groß.
„Außerdem schreibe ich noch eine Botschaft auf die verstaubte Schutzplane und verzurre sie wieder so gut, dass er so schnell weder einen Anfang noch ein Ende findet vom Spannseil.“

Ich schreibe mit dem Finger auf das Plastiksichtfenster der Plane: WARNING – DON’T TOUCH und dann noch I WATCH YOU. Das alles ist eher symbolisch und pro forma, aber ich glaube eh nicht, dass er wieder kommt und jeder andere wird genauso scheitern wie der kleine Ganove von gestern Nacht.
Jetzt nur noch schnell unter die Dusche und dann bummeln wir mal bei Tag über den Strip. Bis zur Elvis Show heute Abend im Pegasus Show Room haben wir noch reichlich Zeit. Ich mag noch gar nicht daran denken, was mich erwarten wird, aber ich ahne, dass meine schlimmsten Befürchtungen wahr werden könnten.

Nach der Dusche geht es mir etwas besser und wir stiefeln langsam los. Jutta ist immer noch beunruhigt wegen dem Langfinger. Sie hat eine Parkgarage recherchiert, wo auch höhere Fahrzeuge bewacht und geschützt stehen können. Allerdings teilen sich diese riesige Garage das Planet Hollywood, ein großes Hotel und dann noch einige exklusive Geschäfte. Wir schauen kurz rein und sehen Wegweiser, Schranken, Spuren in alle vier Himmelsrichtungen, ähnlich wie auf einem Flughafenterminal. Jemanden den wir fragen können, finden wir nicht. Es gibt eine Telefonnummer der Security, aber die mag Jutta nicht so gerne anrufen. Im persönlichen Gespräch klappt das alles ganz gut mit der Verständigung, aber am Telefon ist das immer etwas schwieriger und anstrengender. Wir setzen unseren Weg fort und kommen von einer anderen Seite wieder zu einer Einfahrt in dieselbe Garage und Jutta will es von hier aus auch noch versuchen. Ich sage nur: „Wenn du meinst!“ und laufe etwas gelangweilt hinterher. Nach ca. 20 Minuten gibt sie auf, weil niemand da ist, den man fragen könnte, weil es verboten ist hier unten die Autoauffahrten zu Fuß rauf und runter zu laufen und weil wir ja bereits einen guten Platz haben.
Heute haben wir etwas weiter ausgeholt und rollen den Strip mehr vom East End auf. Aber nicht zu weit. Dort sollte man sich nicht unnötig aufhalten, da es nicht ganz ungefährlich ist. Ich kann mich noch gut erinnern an 2011, als wir mit dem Dodge dort durchgefahren sind. Eine ziemlich miese Gegend war das.
Bei Tag ist es auch schon sehr laut und die unerträgliche Musikrotze dröhnt aus den Fast Food Läden, wie aus den niemals schließenden Bars. Jutta braucht Einiges aus der Drogerie und so shoppen wir heute auch etwas. Was ist das hier überhaupt für ein Laden? Hier gibt es irgendwie fast alles, was es im Supermarkt gibt, aber auch alles was eine Drogerie und ein Souvenirshop zu bieten haben. Darüber hinaus kann man auch jeden erdenklichen Alkohol kaufen, von Bier und Wein bis zum Wodka und Absinth. Ich finde zwei schöne Beercooler mit Las Vegas Motiven, einen für kleine Biere und einen für halbe Liter Dosen. Jutta findet ein toll riechendes Lemon Deo und noch andere nützliche Dinge.
Wieder draußen, die Einkäufe in kleine Beutel verpackt, scheint die Sonne und der Himmel ist blau. Wir haben angenehme 23 Grad und entsprechend laufen hier alle rum, freizügig und sommerlich. Das liebe ich auch an den USA, wenn man will, dann kann man in den Sommer fahren, auch im März.

Leider sehen wir hier nicht nur feiernde Amis oder saufende Touristen, sondern auch, wie in allen anderen Großstädten, die gescheiterten Existenzen. Sie sitzen in den Ecken, liegen auf den Grünflächen oder hocken in irgendwelchen abgelegenen Eingängen. Ein Mädchen wühlt vor uns in einer Mülltonne und sucht nach etwas Verwertbarem. Sie redet in einer Tour mit sich selbst und sie sieht schwer Meth geschädigt aus. Ich nehme an, sie wird 20 Jahre jünger sein als es den Anschein hat. Wir sind viel zu gehemmt ihr etwas zu geben oder überhaupt Kontakt aufzunehmen. Ich würde ihr gerne ein Sandwich kaufen, aber mir geht es wie Jutta. Wir trauen uns nicht sie anzusprechen, weil wir befürchten ihre Reaktion könne unberechenbar sein. Vielleicht würde sie es dankend annehmen, dann hätte sie uns den Tag versüßt. Aber vielleicht würde sie uns das Sandwich auch um die Ohren hauen, weil sie gerade einen Film fährt. Ohne es herauszufinden, gehen wir frustriert weiter.
Bei dieser Gelegenheit muss ich wieder mal an einen Film denken. An einen meiner absoluten Lieblingsfilme. Irgendwie geht mir das dauernd so seit wir in den USA sind. Der Film an den ich jetzt denke heißt „Leaving Las Vegas“. Das ist kein lustiger Film, obwohl er seine komischen Momente hat, aber meist bleibt einem das Lachen im Halse stecken bevor die Szene zu Ende ist. Es geht um einen alkoholkranken Mann, der beruflich und privat gescheitert ist. Nachdem ihm gekündigt wurde, beschließt er nach Las Vegas zu gehen, um sich dort zu Tode zu trinken. Irgendwann lernt er die Prostituierte Sera kennen und beide verlieben sich ineinander. Sie geht ihrem Business nach, getrieben von ihrem Zuhälter und er lässt nicht von seinem Plan ab, sich mit dem Schnaps alle Lebenslichter auszuknipsen. Dieser Film ist meiner Ansicht nach ein Meisterwerk, inszeniert von Mike Figgis und die Aufnahmen der Stadt, die Kamera, der fantastische Soundtrack und ein unglaublicher Nick Cage machen daraus ein ganz besonderes cineastisches Erlebnis. Nicolas Cage hat für diese Rolle einen Oscar bekommen und auch seine Filmpartnerin Elisabeth Shue spielt an seiner Seite hervorragend und glaubwürdig die verzweifelte Prostituierte Sera.
Jedes Mal, wenn ich den Film im Waterhole schaue (selbstverständlich habe ich die DVD in meiner Sammlung) kann ich nicht umhin, einige Biere dabei zu trinken und evtl. auch mal einen White Russian oder einen Whisky…, etwas schräg ist das vielleicht schon, wenn man bedenkt, dass sich da einer zu Tode trinkt …
Wir bummeln weiter und kommen vorbei am Caesars Palace, am Bellagio, dem Flamingo und ich könnte noch etliche weitere Hotels, Casinos und Restaurants aufzählen, an denen wir entlang laufen, erspare uns das aber. Faszinierend finde ich es schon in so einer Metropole zu sein. Wo andere Regeln gelten, wo die Nacht niemals endet und wo es egal ist wer du bist, woher du kommst, was du angestellt hast und wohin du willst. Hauptsache du hast genug Geld, denn ohne eine prall gefüllte Brieftasche ist der Spaß ganz schnell vorbei.

Aber was mir ganz und gar nicht gefällt, das ist die schlechte Musik, der Mainstream und dass alles dem Kommerz und dem Dollar untergeordnet ist. Las Vegas ist eine Hure, wer am meisten bezahlt, nach dessen Pfeife wird getanzt. Ich sagte bereits etwas Ähnliches über Istanbul, aber in einem anderen Kontext. Und diese Stadt ist im Grunde billig, obwohl sie sehr hochpreisig ist. Ein Paradoxum.

Wo wir schon mal da sind, gehen wir natürlich auch kurz in ein Casino. Aber wir spielen nicht, sondern gucken nur. Damals haben wir uns mal probiert an den einarmigen Banditen, den Slotmaschinen und nach wenigen Minuten waren 20 Dollar weg. Es gab Freibier, deswegen wollte ich das mit dem Spielen unbedingt mal probieren. Aber man bezahlt seine Drinks doppelt und dreifach, solange man kein professioneller Poker-, Roulette- oder Black Jack-Spieler ist. Wir lassen es gut sein und brechen auf.

Ich selber trinke und feiere gerne, bin gesellig und mag es schräg, bunt und laut. Aber auch bei unserem zweiten Anlauf werde ich nicht warm mit der Stadt. Zu viel Ballermann und zu wenig Rock ’n‘ Roll. Werden wir erneut früher abreisen als geplant?
Mal sehen was uns der Abend mit Elvis Presley bringt?
Vor der großen Elvis Show wollen wir noch einen Mittagsschlaf machen. Deswegen begeben wir uns auf den Weg zurück zu LEMMY, ein bisschen die aufkeimende Erkältung wegschlafen.
Nach dem kleinen Schläfchen machen wir uns fertig für einen hoffentlich umwerfenden Theaterabend. Da Jutta zuerst im Bad verschwindet um sich in Schale zu werfen, mache ich mir erstmal ein Bier auf. Noch hoffe ich das Beste, befürchte aber schon das Schlimmste.

Was ich jetzt schon weiß, die Show ist in keinem der großen Hotels am Strip. Wir müssen ungefähr 20 bis 30 Minuten in die entgegengesetzte Richtung laufen, um zum Pegasus Show Room zu kommen. Diese Erkenntnis und andere kleinere Faktoren lassen mich immer mehr zweifeln an einer großen Las Vegas Show. So zum Beispiel auch der Saalplan, wo ich ungefähr einschätzen kann, wie viel bzw. wie wenig Leute da rein passen. Aber was soll’s? Die Tickets sind gekauft und bezahlt und ein Fünkchen Hoffnung habe ich mir noch erhalten können.
„Wie lange brauchst du noch?“, frage ich Jutta und bekomme zur Antwort: „Ich bin fertig!“
Ich ziehe eine lange Hose an und streife mir ein Hemd über, dann können wir los. Wir sind sehr rechtzeitig dran, da wir eine Weile laufen müssen und vorher noch etwas in der Bar trinken wollen.
Wir gehen über den Parkplatz und Jutta meint eine Abkürzung zu erkennen, eine kleine Rampe runter über einen komplett leeren Parkplatz. Wir sehen schon, dass der gesamte Parkraum eingezäunt ist, verlassen uns aber darauf, dass es schon eine Lücke geben wird, durch die wir dann gehen können, um auf den Bürgersteig zu kommen. Reingefallen. Es gibt eine winzige Lücke im zerschnittenen Gitter-Zaun, durch die die Obdachlosen zu ihren Zelten gelangen die unweit stehen, aber da würden wir uns vermutlich die Klamotten zerreißen.

Wir müssen also umdrehen und verlieren ungefähr 20 Minuten, aber sind immer noch sehr früh dran. Nach einem netten Spaziergang kommen wir im Hotel an und fragen an der Rezeption nach dem Pegasus Show Room. Wir werden direkt weitergeleitet in den Bar- und Wartebereich. Eine andere Show läuft aktuell noch auf der Bühne und wir sehen einige der Darstellerinnen durch die Bar huschen. Ich bestelle uns zwei Bier und zahle mit Tip 20 $. Ich sage zu Jutta: „Das sind ja Preise wie im Puff!“, aber zum Lachen ist uns beiden nicht.
Drei offensichtlich sehr gut gestimmte Ladys kommen herein und sie sind nicht gerade zurückhaltend. Eine von Dreien ist recht attraktiv, die anderen Beiden sind die typischen Begleiterinnen, die die attraktive Blondine in Szene zu setzen haben. Die Blondine bestellt für alle drei verschiedene Cocktails und zahlt diese auch direkt. Es macht den Anschein, als kennen sie die Barfrau, jedenfalls scherzen sie offensiv mit ihr. Leise sind sie nicht gerade, aber das macht auch nichts. Wir wollen heute alle eine fantastische Elvis Show genießen. Aber braucht es für einen grandiosen Theaterabend so viel Alkohol? Die drei Damen haben bereits ordentlich getankt, das ist kaum zu übersehen.
Wir hören den Schlussapplaus der anderen Show, die gerade zu Ende geht. Dann huschen die Protagonisten wieder durch die Bar in ihre Garderoben und die Bühne wird umgebaut. Ich nutze die Gunst der Stunde und schaue schnell durch die halboffene Tür, um einen Blick auf die Bühne und den Saal zu erhaschen. Was ich da zu sehen bekomme, stimmt mich so gar nicht fröhlich. Der Saal ist winzig klein und die Bühne enttäuschend.
Jetzt ist es klar was uns erwarten wird: Keine große Las Vegas Elvis Presley Show mit Band und Orchester, keine fliegenden Pianos und kein Chor hübscher Background Sängerinnen. Wir bekommen wohl einen Hochzeits-Elvis zu sehen.
Und im Double Down Saloon ist heute Abend ein geiles Punkrock Konzert.
Nun ist es zu spät. Der Portier bittet uns alle in den Saal, aber ich brauche vorher noch eine kleine Bierdose für 10 $ von der Barfrau, um die Show zu überstehen. Dann folge ich den Leuten zur Bühne. Jutta hat bereits Platz genommen auf unseren VIP Plätzen. Die drei betrunkenen Ladys sind links von uns vor der Bühne und haben schon Kontakt zu den Nachbarn aufgenommen. Wenigstens die haben Spaß. Mir ist klar geworden, dass ganz genau das eingetreten ist, was mein größter Albtraum war. Es ist das passiert, was ich 2011 unbedingt verhindern wollte. Jetzt bekomme ich, was ich 2011 nicht wollte und 2011 hätte ich das bekommen, was ich heute will.
Wie grausam kann das Schicksal sein? Und warum eigentlich sind die Plätze auf denen wir sitzen VIP Plätze? Wir sitzen auf ganz normalen Stühlen. Vor uns sind einige Vierer-Tische mit ähnlichen Stühlen und hinter uns, eine Ebene höher, sind lederne Sofas. Ich sage etwas empört zu Jutta, dass sie sie nur VIP Plätze nennen, um den verdammten Stühlen einen Namen zu geben, der besser klingt, als das was es ist. Fast würde ich das Vorspiegeln falscher Tatsachen nennen.
Meine Laune saust steil abwärts, wie ein Aufzug im Empire State Building im freien Fall. Auf der Bühne ist hinter einer dreckigen Plexiglaswand ein kleines Drumset aufgebaut. Ich frage mich zum Einen: „Warum ist die dreiteilige Plexiglaswand voller schmieriger Handabdrücke und warum wird das nicht gesäubert nach dem Aufbau?“ Und zum Anderen: „Warum ist der Drummer hinter Glas, während Elvis, der Gitarrist und der Bassist ohne Schutz dastehen?“
Mein Hals fängt an zu kratzen, aber wenigstens kann man was zu trinken bestellen. Denn regelmäßig kommt jemand vorbei und fragt, ob es noch was sein darf.
Das Licht geht aus und es wird still im Saal. Sogar die drei besoffenen Weiber geben kurz Ruhe.
Dann wird es etwas heller und ein abgehalfterter Elvis betritt unter lautem Gejohle die kleine Bühne. Es folgen ein alter Gitarrist und ein jüngerer Basser. Elvis performt seinen ersten Song in einem roten Dress. Die Lichter über der Bühne sind etwas üppiger als die in meiner Garage, der Mermaid Lounge.
Jutta ist bemüht mich etwas aufzuheitern und bemerkt immer wieder: „Sooooo schlecht ist der doch gar nicht!“ Überzeugt wirkt sie aber auch nicht. Meine schlimmste Befürchtung ist wahr geworden, es ist ein Albtraum. Vor uns auf der Bühne steht eine schlechte Elvis Kopie. Er singt schlecht, sein Hüftschwung ist peinlich und tanzen kann er auch nicht. Aber die drei betrunkenen Ladys gehen ab wie Schmidts Katze. Das ist offensichtlich Entertainment nach ihrem Geschmack. Sie juchzen und schreien bei jeder noch so peinlichen Verbiegung von dem Möchtegern Elvis. Die beiden Herren an den Zupfinstrumenten versuchen, so gut es ihnen möglich ist, zu rocken. Aber sie scheitern genau so jämmerlich wie dieser Elvis. Da war der Thai-Elvis in Bangkok um Längen besser und erst recht der KL Elvis in Malaysia.
Was ist das für eine erbärmliche Show und warum toben und feiern die anderen Leute um mich herum alle? Sind sie alle so besoffen, dass sie nichts mehr merken oder ist das Niveau hier eben auf einer anderen Ebene? Ich verstehe es nicht so ganz, denn sogar Jutta sagt immer noch zwischendurch: „Sooooo schlecht ist der nicht!“
Ich sage nur ein Wort: „DOCH!“

Ich bestelle mir noch ein Bier bei der Bedienung und dann kommt auch bald eine kurze Pause. Ich sage zu Jutta: „Wetten nach der Pause hat er seinen weißen Glitzeranzug an!“
Die Lichter werden gedimmt und ich fürchte, dass die Pause schon vorbei ist und sollte recht behalten. Elvis betritt die Bühne in seinem weißen Glitzeranzug und macht so weiter wie er aufgehört hat. Unerbittlich werden meine Augen und Ohren gequält und malträtiert. Als ob ich nicht schon genug mit der Erkältung und den Halsschmerzen auszustehen hätte.
Ruhige Passagen gibt es kaum, denn da würden wohlmöglich auch andere Zuschauer dahinter kommen, dass dieser Typ nicht singen kann. Als sich das Finale nähert ist das Ganze an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten. Eine etwas unbeholfen wirkende Angestellte muss dem missglückten Elvis von der Seite einige kurze lilafarbene Seidenschals zuwerfen. Er fängt die meisten etwas ungelenk und legt sie sich um den Hals, um sie dann an geifernde Weiber weiterzureichen. Manche dieser lila Schals reibt er über seine nackte verschwitze Brust und gibt sie dann weiter. Die attraktive Blondine bekommt auch so ein Teil und kann ihr Glück kaum fassen. Sie kreischt und jubelt und streckt ihre Trophäe in die Luft, nachdem sie einen tiefen Atemzug genommen hat.
Sie wissen doch wohl schon, dass der Typ da vorne nicht der echte Elvis ist, oder?
Entsetzt und ratlos bleibe ich zurück, als nach einem heftigen Applaus der Saal geräumt wird. Ich trinke den letzten Schluck von meinem 10 $ Bier und dann gehe ich mit Jutta nach Hause. Es ist tatsächlich ein kleiner Trost, dass sie dem Abend ein wenig abgewinnen konnte und nicht alles ganz so fürchterlich fand wie ich. Das der Elvisimitator durch die übertriebenen Reaktionen der kreischenden Weiber oft leicht irritiert wirkte, fand sie sogar ganz amüsant.
Wir werden morgen Las Vegas verlassen. Einen Tag früher als geplant. So wie es vor elf Jahren schon gelaufen ist. Ich habe im Augenblick nicht mal mehr Lust in den Double Down Saloon zu gehen. Ich teile meinen Unmut auf Instagram und Facebook mit und mache keinen Hehl daraus, was ich von dem Wedding Chapel Elvis halte und bekomme prompt eine Reaktion darauf. Eine Freundin aus Vilsen schreibt mir: „Du hättest mal in den Double Down Saloon gehen sollen, da war ein geiles Konzert heute Abend.“
Ich schreibe zurück: „Schönen Dank Steffi, das weiß ich schon, aber wir haben uns heute für die falsche Show entschieden! Im übrigen werden wir morgen Vegas verlassen, ins Death Valley.“
Leaving Las Vegas! Sind doch eh nur ein paar helle Lichter in der Wüste, mehr nicht.
Zum zweiten Mal verlassen wir Sin City vorzeitig. Ob ich noch einen dritten Anlauf wage, irgendwann, kann ich nicht sagen, jetzt noch nicht. Jutta würde ein drittes Mal sicher nicht mitkommen.

Wir haben ein klares neues Ziel definiert: Death Valley. Jetzt im Frühjahr ist die beste Reisezeit für diese extreme Region in Kalifornien, wo die Temperaturen im Sommer auf 50° Celsius und darüber steigen.
Es geht ein letztes Mal über den Strip, durch das abgefuckte East End und dann sehen wir Vegas nur noch im Rückspiegel. Bald darauf verlassen wir auch den Staat Nevada und queren die Landesgrenze nach Kalifornien. Der erste Punkt an dem wir halten wollen ist der Zabriskie Point.
Es sei nur am Rande erwähnt, dass es auch einen Film gibt, der nach diesem Ort im Death Valley benannt ist. Aber weder kenne ich den Film, noch weiß ich worum es darin geht. Aber als Filmfan ist mir der Titel des Streifens geläufig.
Während der Fahrt gehen mir viele Gedanken durch den Kopf. Unter anderem bedaure ich es sehr den Double Down Saloon in Vegas verpasst zu haben und noch mehr ärgere ich mich darüber, dass ich einmal mehr die falsche Entscheidung getroffen haben. Ich hätte mich gegen Elvis und für den Saloon entscheiden sollen, dann hätten wir sehr wahrscheinlich ein geiles Punkrock Konzert erlebt und nicht so einen armseligen Jahrmarktsbuden Elvis. Außerdem hätte ich dann von mir sagen können: „I was at THE BEST PLACE ON EARTH!“
Ich versuche all das hinter mir zu lassen und freue mich tatsächlich sehr auf die Wüste. Jutta ist leider nicht für große Städte zu begeistern und Wüsten und hohe Temperaturen liebt sie auch nicht besonders. Im Grunde kommen wir gerade aus einer großen Stadt in einer Wüste, aber die Temperaturen waren in Vegas sehr angenehm. Im Death Valley wird es erheblich wärmer werden, aber nicht so unerträglich heiß wie im Juli und August, denn es ist immer noch März. Wenn wir der Wettervorhersage vertrauen können, wird es nicht viel heißer als 30° werden.
Etwas über zwei Stunden Fahrt bis zum Zabriskie Point sind es schon und ich will im Auto keine bösen Überraschungen erleben, soll heißen keine schlechten Songs. Das hatten wir in Vegas mehr als genug. Deswegen hören wir Musik vom Stick und nicht aus dem Radio und genießen die Landschaft, die an uns vorüber zieht.

Die besten Spots im Death Valley sind alle seit Monaten reserviert. Es ist High Season, dass kennen wir ja schon, aber wir haben Alternativen. Es gibt Campgrounds die noch nicht voll sind. Und man darf frei stehen (wie in der Mojave), wenn man sich mindestens eine Meile von der Durchgangsstraße entfernt hin stellt. Selbstverständlich nur auf ausgewiesenen Pisten, man darf nicht wild durch die Natur brettern. Das Death Valley ist trotz seiner Kargheit, trotz der extremen Temperaturen einer der artenreichsten Nationalparks der USA und einer der flächenmäßig größten Parks ist es auch. Es gibt eine unglaubliche Pflanzenvielfalt und auch die Fauna kann sich sehen lassen. Obwohl sie das damals nicht tat, „sich sehen lassen“. Jedenfalls hatten wir nicht das Glück eine Schlange, einen Skorpion oder eine große Vogelspinne zu sehen.
Vielleicht haben wir dieses Mal mehr Glück, dieses Mal im März und nicht im Hochsommer.
Ich sage zu Jutta, dass ich den Zabriskie Point noch genau vor Augen habe. Ich sehe quasi die Fotos vor mir, die ich damals geschossen habe. Sie sieht es noch nicht, aber wenn wir gleich da sind, dann wird sie es wieder erkennen, da bin ich sicher. Nur noch drei Meilen, dann sind wir da, kündigt ein Schild am Straßenrand an.
Ich parke und wir spüren sofort die Hitze, als wir die mit Aircondition runtergekühlte Fahrerkabine verlassen. Eine große Schautafel weist uns sofort darauf hin: HEAT KILLS! Um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen ist darunter ein Grabstein abgebildet von Val Nolan, einem Opfer der Elemente.

Dann folgen noch in mehreren Sprachen, auch in deutsch, einige Hinweise, die unbedingt beachtet werden sollten.
Wir kennen das aus anderen Wüsten, doch das Death Valley ist extremer und heißer als andere Wüsten, jedenfalls im Sommer. Wir müssen uns im Augenblick keine großen Sorgen machen, denn erstens haben wir immer noch März und zweitens kennen wir die Regeln. Trotzdem fasse ich die wichtigsten Warnhinweise kurz zusammen:
- Immer reichlich Wasser dabei haben (im Fahrzeug sowieso, aber auch bei Wanderungen!)
- Bei Wanderungen umdrehen, wenn der Wasservorrat zur Hälfte aufgebraucht ist.
- Im Fall einer Pannen beim Fahrzeug bleiben und auf Hilfe warten.
- Nirgendwo hintreten oder hin greifen, was man nicht genau sehen kann. Es gibt giftige Schlangen, Skorpione und Spinnen.
- Im Sommer höhere Lagen aufsuchen und die Tiefebene meiden.
- Es gibt selten Handyempfang, eine Karte und gesunder Menschenverstand kann Leben retten
- Auf befestigten Straßen bleiben.
- In Canyons mit Sturzfluten rechnen und immer bereit sein, höhere Lagen aufzusuchen.
Die meisten Todesfälle gibt es durch liegengeblieben Fahrzeuge. Man sollte bedenken, wo man ist und darauf vorbereitet sein. Es gibt Berge im Death Valley. Das bedeutet, das Fahrzeug muss bei extremer Hitze arbeiten und Steigungen bewältigen, es sollte technisch einwandfrei funktionieren. Habe ich genug Diesel im Tank? ist nur eine von vielen Fragen, die man unbedingt mit „JA!“ beantworten sollte, bevor man in diese lebensfeindliche Umgebung fährt.
Wir sind sensibilisiert, besonders was den Diesel angeht und fühlen uns gut präpariert für das Death Valley, schließlich waren wir schon mal hier, sogar im Hochsommer.
Jutta erkennt alles wieder und wir machen uns auf den Weg den Hügel zu erklimmen, um die Aussicht auf die Umgebung zu genießen. Es weht ziemlich stark, was zum Einen eine gute Abkühlung bietet, aber das Fotografieren wird erschwert. Jedenfalls wenn man scharfe Bilder bevorzugt. Um uns herum sehen wir Berge und Täler, mal sind die Berge sandfarben und dann wechselt die Farbpalette von dunkelbraun bis rostrot. In den Tälern flimmert die Luft über dem Boden und der Himmel ist blau. Aber darunter ziehen schnell weißgraue Wolken von Westen nach Osten.
Ich freue mich wieder hier zu sein, aber wir müssen noch etwas weiter fahren, nämlich zu unserem Stellplatz für die kommende Nacht, dem Sunset Campground in Furnace Creek.

Mehr ist für heute nicht geplant, denn wir werden für ein paar Tage hier bleiben, um etwas tiefer einzutauchen und etwas mehr zu erfahren über diese Wüste, als beim letzten Mal. So steigen wir also wieder runter vom Zabriskie Point und fahren zu unserem Übernachtungsplatz. Da ich weiß, dass LEMMY technisch einwandfrei funktioniert, drehe ich die Aircondition auf volle Pulle, ohne mir darüber Gedanken machen zu müssen, dass er überhitzen könnte.
Als wir den Stellplatz erreichen sind wir erstmal nicht gerade begeistert, denn im Grunde ist es ein großer Parkplatz in der Wüste. Na ja, dass die besten Campsites schon seit langem vergeben sind wussten wir vorher. Aber so übel ist der Platz gar nicht, nur der heftige Wind trübt etwas die gute Laune. Egal, jetzt sind wir hier und für heute ist auch keine weitere Aktivität geplant. Da können wir es uns genauso gut gemütlich machen und uns auf das freuen, was vor uns liegt. Und das ist Einiges!
Zum Abend gibt sogar der Wind klein bei und verzieht sich, so dass wir einen traumhaften Sonnenuntergang erleben, ohne dass der Wüstensand die Sicht trübt.

Für den kommenden Tag haben wir einige Programmpunkte und beginnen werden wir mit einer Wanderung durch den Golden Canyon bis zum Endpunkt der Red Cathedral. Dazu müssen wir allerdings erst ein Stück fahren, da es etwas von unserem Camp entfernt liegt. Der Parkplatz bietet ausreichend Platz für alle Wanderwilligen. Als Erstes füllen wir die Wasserflaschen bis zum Rand und dann geht es los. Noch liegt die Temperatur bei angenehmen 26°. Es ist 11 Uhr am Vormittag und meist spendet ein Rand des Canyons Schatten, je nachdem wie der Weg sich vorwärts schlängelt. Es gibt zwischendurch Entfernungsangaben auf kleinen Schildern am Wegesrand und als Jutta sieht, dass es noch über 1,2 Meilen sind bis zur roten Kathedrale und die Sonne immer unerbittlicher auf uns niederbrennt, entschließt sie sich zurückzukehren und im Auto zu warten. Einen großen Teil des Weges und einen tollen Eindruck vom Canyon haben wir ja auch bereits hinter uns. Ich will trotzdem weiter bis zum Endpunkt wandern, denn es gefällt mir, dass nicht viel los ist und meine Wasserflasche ist noch fast voll. Als ich am Ende des Weges ankomme, halte ich Ausschau nach einem Felsen, der mit einer Kathedrale Ähnlichkeit hat, finde aber nichts Eindeutiges. Rote Felsen sehe ich und mit viel Fantasie könnte man vielleicht auch eine Kathedrale hineininterpretieren, aber mir will es nicht so richtig gelingen. Ich habe reichlich Wasser getrunken und möglicherweise sieht man die Red Cathedral besser, wenn man ordentlich dehydriert ist. Wer weiß, wer diesem Ort seinen Namen gegeben hat?

Ich steige noch einen relativ steilen Hang hinauf, um eine besser Sicht zu haben, finde aber auch von hier keine Anzeichen einer Kathedrale. An anderer Stelle klettere ich wieder runter in den Canyon und begebe mich auf den Rückweg. Die Temperatur hat jetzt sicher die 30° Marke erreicht, aber mir macht das nicht viel aus, im Gegenteil. Ich liebe es warm und gerne auch noch mit einer hohen Luftfeuchtigkeit dabei, was hier allerdings nicht der Fall ist.

Etwa eine halbe Stunde später bin ich wieder auf dem Parkplatz, wo Jutta es sich hinten in der Kabine mit einem Buch bequem gemacht hat.

Meine Wasserflasche ist geleert und wird direkt wieder aufgefüllt, dann geht es weiter zum Devil’s Golf Course. Auch hier bleibt mir verborgen, warum diese weite Ebene so genannt wird. Die Fläche sieht aus, als sei sie von einem riesigen Traktor umgegraben worden und die Salzkruste dieser verkraterten Fläche ist aufgrund seiner scharfen Kanten sehr gefährlich. Sollte man abrutschen beim Kraxeln über das Gelände, könnte man sich tiefe und große Schnitte an den Knöcheln und Schienbeinen zufügen. Einzig dem Teufel wäre es möglich hier Golf zu spielen, denn mit seinen Pferdehufen kann er ungehindert in dieser verkraterten Umgebung umherlaufen. Dies ist denn auch die einzige Erklärung die mir einfällt für den Namen: „Devil’s Golf Course“.

Die wir weder Golf spielen noch Pferdehufen haben, verlassen wir nach kurzem Erkunden diese nicht gerade behindertengerechte, aber sehr eindrucksvolle Sehenswürdigkeit. Die Berge um uns herum sind eh nur durch einen Schleier sichtbar, durch den umher wehenden Sand. Was ich allerdings dazu anmerken muss. Es gibt überall markierte Parkplätze für Rollstuhlfahrer und gehbehinderte Menschen. Egal wo im NP und wie abgelegen es ist, sollte man mit dem Auto zu einer Sehenswürdigkeit kommen, dann wird es dort einen gesonderten Parkplatz, einen gut zu bewältigenden Weg und in der Regel auch behindertengerechte Toiletten geben. Das ist etwas, wo wir in Europa und in Deutschland noch von unseren Nachbarn auf der anderen Seite des Atlantiks lernen können.

Weiter geht es nach Badwater, besser gesagt ins Badwater Basin, 85,5 Meter unter dem Meeresspiegel. Nicht weit vom Devil’s Golf Course erreichen wir eine hohe Bergkette mit dem Dantes View, nur leider sind wir genau auf der anderen und unzugänglichen Seite von diesem Aussichtspunkt. Um dort hoch zu gelangen, müssten wir mit vielen zusätzlichen Meilen diese Berge umfahren, worauf wir heute keine Lust haben.
Wir wollen noch einen Schlenker fahren zur Artist’s Palette. Dort geht es so schön steil rauf und sofort wieder runter, fast wie in einer Achterbahn. Deshalb dürfen auch keine Gespanne und lange Fahrzeuge diesen Abschnitt befahren. Ich habe vergessen wie viel Fuß ein Camper maximal messen darf, um in den Genuss dieser reizvollen Strecke zu kommen. Es ist aber deutlich gekennzeichnet, so dass niemand unbeabsichtigt in Schwierigkeiten gerät und nicht die Kurve kriegt oder in einer Senke oder auf einer Kuppe aufsetzt.
Aber zunächst stehen wir am Berg unter dem Dantes View und parken LEMMY in Badwater. Mal sehen wie es sich anfühlt, wenn wir das runtergekühlte Cockpit verlassen. Der Wind hat etwas nachgelassen und es ist hot. Aber wir kennen es hier noch viel heißer. Als wir mal im August hier waren hatten wir 47°, jetzt sind es wohl knapp über 30° und ich bin froh, dass Jutta mich begleitet auf diese lange, weiße Salzkruste, die links und rechts flankiert wird von den dunkleren Salt Flats. Beim letzten Besuch musste ich alleine gehen, weil Jutta die extreme und trockene Hitze kaum aushalten konnte und das Gefühl hatte, dass die Sonne ihr die Haut von den Knochen brennt.

Heute geht es besser und mit gut gefüllten Wasserflaschen marschieren wir los. Damals steckte ein großes Thermometer im Boden, das suche ich leider vergebens. Dort konnten wir die Temperatur genau ablesen, doch vermutlich hat es einen Liebhaber gefunden und wurde entführt. Im Umkreis von einigen hundert Metern um uns herum ist alles gut zu erkennen, doch die Berge in der Ferne verschwimmen wie bei einer Fata Morgana. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich die Bergkette vor uns gar nicht wahrnehmen. Wir laufen bis in den fast runden Mittelpunkt dieser weißen Salzkruste und kehren dann um. Auf den Schildern steht allerhand Wissenswertes, zum Beispiel dass es oben auf dem Dantes View Point bis zu 14° kühler ist als hier unten im Badwater Basin. Die Rekordtemperatur wurde vor Jahrzehnten bereits gemessen. Das war im August und es waren 57° Celsius.

Dieser Ort ist einer der heißesten auf der Erde und es fällt am wenigsten Niederschlag in ganz Nordamerika. Mit diesen Erkenntnissen begeben wir uns auf den Weg zum Parkplatz, um dann weiter zu fahren zur Artist’s Palette.

LEMMY starten, Aircon eine Stufe höher drehen und los geht’s. Obwohl der Death Valley N. P. recht groß ist, sind die Hotspots relativ dicht beieinander. Ich hätte auch noch richtig Lust darauf, unser Wüstenabenteuer zu intensivieren und in die ganz abgelegenen Ecken zu fahren, die nicht minder attraktiv sein sollen. Aber Jutta ist und wird kein Wüstenfan mehr, das sagt sie mir ganz deutlich und sogar jetzt im März ist es ihr zu heiß. Wie in Florida ist auch hier im Frühjahr die beste Reisezeit. Es ist High Season, da es nicht ganz so extrem heiß ist wie im Hochsommer, aber damit kann ich sie nicht umstimmen.

Ich biege rechts ab in die kleine Einbahnstraße und den Beginn der Scenic Route zur Artist’s Palette. Es dauert nicht lange und die Wellen der Straße beginnen. Würde ich den Höhenverlauf auf einem Blatt Papier aufzeichnen, dann wäre es eine Art Wellendiagramm, relativ gleichmäßig rauf und wieder runter. Manchmal kommt aber direkt auf dem Scheitelpunkt eine Kurve. Da muss ich dann ganz besonders aufpassen, dass ich nicht zu schnell bin, denn dann könnte ich aus der Kurve fliegen. Man kann es vorher unmöglich sehen, weil jeder Hügel ein „Blind Summit“ ist. Also kann ich immer erst im letzten Moment sehen, ob es links, rechts oder geradeaus weiter geht. Ich nehme schon immer Anlauf, wenn ich den letzten Scheitelpunkt hinter mir habe und in der Abwärtsbewegung bin. Aber Jutta hat weniger Spaß als ich und schimpft mit mir, weil ich zu schnell unterwegs bin. Ich drossele etwas das Tempo, so dass sie zufrieden ist und ich trotzdem noch auf meine Kosten komme. In der ersten Kurve werde ich tatsächlich auch überrascht, dass es sofort rechts rum geht. Aber weil ich sehr aufmerksam fahre geht alles gut. Da man hier nicht mit Gegenverkehr rechnen muss, ist es eine wilde Achterbahnfahrt.

Bei der Artist’s Palette halte ich kurz, um ein paar Fotos von den red, pink, orange, purple, yellow, green and magentafarbenden Rocks zu schießen, während Jutta im kühlen Auto wartet. Ich sehe eine ältere Dame auf einem Steinhaufen sitzen, sie ist in Begleitung einer jungen Frau, möglicherweise die Tochter. Aber weil es beschwerlich ist hier hoch zu kommen, frage ich nach ob alles OK ist. Sie versichern mir lächelnd und offensichtlich erfreut, es ist alles in Ordnung. Sie machen nur eine kleine Verschnaufpause, so dass ich beruhigt weiter gehen kann. Oben angelangt mache ich schnell ein paar Fotos und wir haben immer noch Zeit für einen weiteren Hotspot, die Mesquite Flat Sand Dunes. Auf dem Weg runter sehe ich die beiden Ladys, jetzt wieder auf den Beinen. Ich winke ihnen kurz zu und sie erwidern es.

Als wir nach ein paar Meilen bei den Sand Dunes ankommen, sehe ich einen LKW, der mir irgendwie bekannt vorkommt. „Guck mal da vorne!“, sage ich zu Jutta, „das ist doch der LKW den wir in der Mojave National Preserve bei den Sanddünen gesehen haben!“ „Ja stimmt, ist ja witzig.“, sagt Jutta. Es ist niemand beim oder im Fahrzeug, so dass wir uns erstmal auf den Weg zu den Dünen begeben.
Ich hatte in der Mojave Wüste, im Vorbeifahren ein Foto vom LKW gemacht und habe gesehen, dass jemand von innen gewunken hat. Mehr konnte ich allerdings nicht erkennen.
Der Wind hat wieder etwas zugelegt und deshalb macht es gerade nicht soviel Spaß von einer Düne zur Nächsten zu laufen. Ich bin auch nicht ganz zufrieden mit den Fotos, die ich mache, denn der Himmel ist kaum zu sehen und die Kulisse verschwimmt vor mir. Jutta dreht direkt ab zum Auto, ich will wenigstens noch etwas weiter in die Dünenlandschaft vordringen. Wenn morgen weniger Wind ist, kommen wir noch mal hierher zurück. Wenn es genau so doll weht, dann habe ich wenigstens ein paar Schnappschüsse gemacht. Mit knirschenden Zähnen und Sand in den Schuhen erklimme ich eine Düne nach der Anderen, bis auch ich genug habe und kehre zum Parkplatz zurück. Es ist schon eine wahnsinnige Landschaft und so stelle ich mir auch die Sahara vor, nur viel, viel größer. Jetzt will ich morgen doch unbedingt noch mal hierher kommen, um mein Glück zu versuchen und bin sicher, es wird ein traumhaft windstiller Tag werden.

Nach der letzten Düne nehme ich einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche und spüle den Sand runter. Danach leere ich meine Turnschuhe und es entsteht eine Minidüne zu meinen Füßen.

Jetzt sehe ich LEMMY auf dem Parkplatz und drei Leute stehen davor und unterhalten sich. Das wird wohl Jutta sein und die beiden Trucker, bin ich mir sicher. Er sieht aus wie einer der Jungs von ZZ Top und daneben, das wird wohl seine Frau sein. Ich komme dazu, stelle mich kurz vor und die Unterhaltung wird fortgesetzt. Die Beiden kommen aus Alaska und sind ohne Zeitlimit unterwegs.

Sie sind schon länger im Ruhestand und lieben das Reisen. Wir plaudern eine ganze Weile und erzählen dann auch von unseren Plänen und auf welcher Route wir bis ins Death Valley gekommen sind. Dann verabschieden wir uns, ohne zu ahnen, dass wir uns morgen wieder begegnen.
Es ist schon bald Abenddämmerung und vor lauter Abwechslung haben wir völlig das Mittagessen und den Nachmittagskaffee vergessen. Jetzt stellt sich auch langsam ein Hungergefühl ein und der Magen beginnt zu knurren. Wir verschieben den Mosaic Canyon auf morgen.
Auf dem Weg in unser Camp diskutieren wir, ob wir eine dritte Nacht im Death Valley verbringen oder ob wir morgen schon abreisen werden, nach dem Tagesprogramm, versteht sich. Jutta möchte gerne weiterfahren und ich erkläre mich bereit dazu. Wir haben heute im Laufe des Tages sehr viel zu sehen bekommen, es hat viel geweht an beiden Tagen und in den abgelegenen Teil des Valleys fährt sie mit mir auf gar keinen Fall. Dann können wir eigentlich morgen auch weiter fahren. So kann Jutta mir wenigstens nicht vorwerfen, dass es immer so geht wie ich es will.

„Wir müssen uns überlegen, wie es überhaupt weiter gehen soll.“, sagt Jutta. Das war selbstverständlich vor einigen Tagen schon mal Thema, aber jetzt werden wir eine Entscheidung treffen müssen.
„Ja stimmt.“, sage ich, „das sollten wir heute Abend mal besprechen.“

Im Camp angekommen machen wir uns was zu essen und gehen unsere Optionen durch. Ursprünglich wollten wir von hier aus in den Yosemite National Park fahren, so wie damals vor elf Jahren. Aber das verwerfen wir, weil der Tioga Pass frühestens ab April/Mai zu befahren ist. Nicht so schlimm, finden wir beide. Wir waren ja bereits dort. Dann überlegen wir in den Sequoia National Forest zu fahren, aber der Wetterbericht spricht von sehr viel Schneefall und Temperaturen um den Gefrierpunkt in den kommenden Tagen. Der Park liegt deutlich höher als das Death Valley und von über 30° Celsius und Wüstenklima wollen wir nicht direkt in den Winter hoch in die Berge fahren.
So wie es aussieht müssen wir komplett umdenken, aber das können wir ganz gut. Wir entscheiden uns nach Oceano zu fahren, an den Pismo Beach. Dort kann man direkt am Strand stehen mit seinem Camper. Das wollte ich immer schon mal machen. Danach sehen wir weiter. Auch wie weit wir kommen, auf dem Weg zum stillen Ozean, werden wir unterwegs raus finden. So ist das erstmal beschlossene Sache und wir schauen uns noch einen Film an, bevor wir zu Bett gehen.
Heute ist Reisetag und der beginnt windstill mit viel Sonne, blauem Himmel und reichlich Morgenkaffee. Beim Auschecken nach dem Frühstück gibt es noch einen Death Valley Kaffeebecher aus dem Stove Pipe Wells Shop. Eine Tankstelle gibt es hier auch, Benzin UND Diesel sind erhältlich. Ab 10,89 $ aufwärts ist man dabei für eine Gallone. Wie gut, dass ich aus vergangenen Fehlern gelernt und vor der Wüste den Dieseltank bis zum Rand aufgefüllt habe. Wir fahren zuerst zu den Sanddünen. Solange der Himmel so schön blau und klar zu erkennen ist, will ich die Chance auf ein paar bessere Fotos in den Dünen nutzen. Jutta reicht noch der Eindruck von gestern, also gehe ich alleine los, die Wüste ohne Wind zu erkunden. Viel ist noch nicht los heute morgen, das gefällt mir besonders gut und am liebsten würde ich meine hohen Turnschuhe ausziehen in dem warmen Sand. Aber ich weiß, es gibt hier Klapperschlangen und giftige Skorpione und auch Spinnen. Da bin ich lieber vorsichtig, denn besonders Spinnen liebe ich so gar nicht.

Schlangen mag ich sogar und Skorpione finde ich nicht schlimm, obwohl sie zur Gattung der Spinnen gehören. Sie sind artverwandt und gehören zu den Arachniden. Also nehme ich den Sand in den Schuhen in Kauf und steige von einer Düne auf die nächste Düne, so wie gestern schon.

Wo die Wüste aus dem Fernsehbeitrag liegt, von der ich im letzten Chapter (oder vorletztem Chapter?) geschrieben habe oder wie die Doku hieß, die ich damals sah, weiß ich immer noch nicht und ich fürchte ich finde es auch nicht mehr heraus. Denn immer wenn ich gerade daran denke, dann habe ich keine Zeit oder keine Lust zu recherchieren. Oder es ist kein Netz verfügbar. So wie in diesem Augenblick. Es ist so wunderschön, ganz alleine in dieser stillen und einsamen und sich ständig verändernden Umgebung. Gerade befinde ich mich in einer Senke und sehe nur die Sandhügel um mich herum. Ich muss mir hier keine Sorgen machen, dass ich mich verlaufe, denn bei dieser guten Sicht erkenne ich die Bergketten in der Ferne, sobald ich wieder auf eine Düne hochsteige. Dann sehe ich wieder in welche Richtung ich laufen muss. Außerdem tauchen immer irgendwo andere Dünenwanderer auf und das Gebiet ist überschaubar. Im Hochsommer, wenn wenig Leute unterwegs sind und bei starkem Wind, könnte man leicht die Orientierung verlieren. Und wenn dann nicht genug Wasser parat ist, dann gute Nacht.
Ich denke: „ Jetzt habe ich genug Fotos.“ und mache mich auf den Rückweg. Schlangen, Spinnen und Skorpione sehe ich leider keine. Schade. Angekommen am Rande der Dünen leere ich meine Schuhe aus und fotografiere noch eine Sidewinder Schlange von einer Schautafel ab.
Dieses Bild zeige ich Jutta, als ich zurück bin als Erstes. Mit den Worten: „Was sagst du dazu?“

„Wow, wie cool is das denn?“ Mein, mir nicht gerade angeborenes, Pokerface verrät mich, denn ich muss lachen und sie durchschaut den Trick.
Weiter geht es zum Mosaic Canyon. „Hey, guck mal da, den LKW kennen wir doch.“, sage ich zu Jutta, als ich den ZZ Top Camper erspähe. „Na so was, dann wandern die wohl auch hier!“, sagt Jutta.

Wasserflaschen füllen bis zum Rand und rein in den Canyon. Bei so einem Wetter, ohne Wind und knirschenden Zähne macht es mir viel mehr Spaß, aber Jutta ist es zu heiß und sie stoppt, kurz nachdem wir einige Kurven hinter uns gelassen haben und die Rentner aus Alaska treffen und wartet im Schatten. „Ich gehe noch etwas weiter, bis meine Wasserflasche halb leer ist.“, sage ich und dann gehe ich. Ich wandere die Schlucht entlang, mal ist sie ganz eng und spendet Schatten, dann wird sie wieder breiter und die Sonne brennt unerbittlich von oben auf meine Mütze.

Vor mir sehe ich einen natürlichen Torbogen, einen Arch sozusagen und halte es für eine gute Idee die linke, offene Röhre (so eine Art Kamin mit nur drei Seiten) hochzusteigen. Ich finde genügend Halt und Griffe, um ohne Problem hoch zu kommen. Oben genieße ich die Aussicht und mache einige Bilder, bis mir einfällt, dass ich auch irgendwann, irgendwie wieder runter klettern muss. Das stellt sich jetzt allerdings als gar nicht so einfach heraus. Im Augenblick kann ich mich nicht daran erinnern wie ich meine Wasserflasche hier hinauf befördert habe. Genau das scheint mir jetzt zum Verhängnis zu werden. Ich traue mir ohne Weiteres zu, heile hier herunter zu kommen, aber nicht mit meiner Wasserflasche, die jetzt zu meinem Handicap geworden ist. Und was soll ich Jutta sagen, wenn ich zurück bin? „Tja Schatz, meine Wasserflasche habe ich leider irgendwo vergessen, weil mich ein wilder Puma angegriffen hat.“ Keine gute Idee. Runter werfen will ich sie auch nicht, denn dann würde sie vermutlich platzen, da sie aus Plastik ist und es einige Meter abwärts geht. Ich benutze meine Autowasserflaschen bis zu einem halben Jahr, bis ich sie dann gegen eine neue Flasche ersetze. Es gibt ja immerhin 25 Cent Pfand dafür. Nee, Spaß beiseite, darum geht es nicht. Ich will einfach nicht in Erklärungsnot geraten, warum denn meine Wasserflasche weg oder kaputt ist. Es könnte so aussehen, als ob ich etwas Unüberlegtes getan habe. Also brauche ich Hilfe, fällt mir dann als ein möglicher Lösungsweg ein. Ich beobachte, aus meiner Deckung heraus, wer vorbei kommt und dann schlage ich zu. Eine Familie mit zwei Kindern sehe ich um die Ecke biegen. Ungeeignet denke ich mir. Warten. Nur Geduld, der Richtige wird schon kommen. Ein junges Pärchen kommt als Nächstes vorbei. Sie scheinen frisch verliebt zu sein. Soll ich ihm die Chance geben sich als Held aufzuspielen?

Seiner Freundin könnte es imponieren, aber ich denke: „Es ist noch immer etwas Wasser in meiner Flasche, also warte noch. Er würde die Flasche bestimmt fallen lassen. Du hast noch ein wenig Zeit. Bloß nicht in Panik geraten.“ Die Mittagssonne ist gnadenlos und ich gönne mir einen winzigen Schluck aus der Flasche. Niemand kommt um die Ecke gebogen. Was soll ich nur machen? Abwarten und ruhig bleiben, sage ich zu mir selber. Soll ich ohne meine Autoflasche zurück kehren, dafür aber lebend und unversehrt? Wenn ich den ganzen Rest jetzt trinke, wird es wohl reichen bis zu dem Platz wo Jutta wartet? Bestimmt hat sie noch etwas Wasser in ihrer Flasche. Ich weiß nicht was ich tun soll, aber dann keimt ein Fünkchen Hoffnung auf. Ein kräftiger Kerl biegt um die Ecke und ich nutze den Überraschungsmoment. „Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie meine Wasserflasche auffangen, damit ich hier herunter klettern kann?“ Er guckt mich verdutzt an, nickt mir aber zu. Ich habe etwas feuchte Hände und der Schweiß rinnt mir von der Stirn ins Auge. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Stirn und fixiere den Typen etliche Meter unter mir. Er nickt mir zu und ich weiß, er kann es schaffen. Ich werfe und in Zeitlupe fliegt die Flasche in seine Richtung, sie dreht sich dabei mehrmals um ihre eigene Achse. Er fängt sie sicher.

Mein gut ausgetüftelter Escape Plan geht auf und unversehrt komme ich mit heiler, aber fast leerer Wasserflasche bei Jutta an. Ohne zu ahnen in welcher Lage ich mich befunden habe, setzt sie ihre Fahrt mit mir fort.
Wir verlassen die Wüste und ich denke mir im Stillen: „What happens in Death Valley, stays in Death Valley.“

Der Weg raus aus der Wüste ist allerdings nicht so einfach. Wir verfahren uns aber nur einmal, dann sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Meistens sind es asphaltierte Straßen auf denen wir fahren, selten sind es Pisten und Dirtroads. Die Orte durch die wir kommen sind zum Teil schon echt schräg und abgewrackt. Manchmal sind es nur wenige Häuser links und rechts an der Durchgangsstraße und selten gibt es eine intakte Infrastruktur, wie Post, Schule, Restaurant und Supermarkt. Was zuletzt stirbt sind die Liquor Stores und Bars. Die Menschen, die wir in diesen Ortschaften sehen, sprechen für sich.

…und was als nächstes geschieht…
CHAPTER IX – FRISCO, VIEL MEHR ALS GOLDEN GATE BRIDGE UND HIPPIEKULT
…und wie wir uns in die Straßen von San Francisco verlieben…
