Chapter 20 – Von Arches und Canyons, von High Deserts und der Historic Route 66

.und wie man es anstellt, in der kalifornischen Wüste liegenzubleiben, obwohl man einen großen 140 Liter Dieseltank und 2 x 20 Liter Reservekanister hat

„Was sind eigentlich Arches?“, haben wir uns gefragt, als wir uns auf den Weg gemacht haben in den Arches National Park. Dem imposanten Bild nach zu urteilen, wegen dem wir hier überhaupt herfahren, sind es große natürliche Rundbögen bzw. Löcher im Felsen, die gigantische Ausmaße annehmen können. Entstanden durch Erosion, Wasser, Frost und große Hitze. Über Zeiträume, die wir als Menschen kaum fassen können, wird der Fels durch Wind und Sand quasi abgeschliffen. Dann kommt im Winter noch das gefrierende Wasser dazu, welches in die Hohlräume und Spalten fließt, sich beim Gefrieren ausdehnt und Teile des Fels absprengt. Im Sommer ist es im Park dann wieder sehr heiß und windig. Dieses Wechselspiel zwischen eisig kalt und extremer Hitze, Wind, Wasser und Sand verformt die mächtigen Felsen, so dass kuriose Formationen entstehen.

Aber bis jetzt haben wir noch keinen einzigen Arch gesehen, auf unserem Weg. Und ob wir dort im National Park überhaupt unterkommen ist noch ungewiss. Denn auf dem einzigen Campingplatz im Park ist alles komplett ausgebucht. So jedenfalls steht es auf der Homepage des Campgrounds. Wir versuchen es trotzdem, auf gut Glück sozusagen. Der März hat gerade erst begonnen und wir haben im Leben nicht damit gerechnet, dass bereits jetzt, lange vor der Sommersaison, ganze Plätze ausgebucht und reserviert sind. Dieses Ärgernis wird uns lange begleiten. So lange, bis wir über die Grenze nach Canada fahren.

Ich bin der Optimist und denke, es wird schon klappen. Wenn nicht heute, dann morgen. Jutta hofft auch, aber sie ist eher am Zweifeln.

Unser erster Arch

Wir finden dieses Reservierungssystem, wo bereits 6 Monate im Voraus gebucht werden kann, nicht besonders gut, denn da haben wir keine Chance einen Platz zu ergattern. Oft wissen wir noch nicht, wo wir in drei Tagen sein werden, geschweige denn in Wochen oder Monaten. Uns gefällt ein anderes System viel besser: „First come, first serve!“

Mittlerweile sind wir in Utah angekommen und der National Park ist nicht mehr weit. Da sehen wir schon immer mehr von den rot gefärbten Sandsteinformationen und eine Weile später taucht der erste gewaltige Arch auf, noch bevor wir im Park angekommen sind. Ich trete fest auf die Bremse und stelle mich in eine kleine Parkbucht, um da oben in dieses riesige Auge zu steigen. Einige wenige andere Personen turnen schon da rum. Ich frage Jutta, ob sie mich begleiten will, aber sie verneint. Na egal, dann kann ich von hoch oben fotografieren und sie von weit unten.

Kurz vor dem Arches National Park

Der Aufstieg ist ganz schön beschwerlich, ich gerate ins Schwitzen und muss eine kurze Pause einlegen, dann geht es weiter. Ich habe Glück, der blaue Himmel ist zwar bewölkt, aber immer wieder blickt die Sonne durch. Der Ausblick ist großartig und LEMMY da unten ist winzig klein. Mir gelingen einige tolle Fotos, während ich im Auge des Arches stehe, manchmal auch liege, um eine andere Perspektive zu bekommen.

Im Auge des Arches

Sehr zufrieden steige ich wieder hinunter und bin total gespannt auf das, was uns wohl erst im Park erwarten wird.

„Gleich links abbiegen!“, sagt Jutta, „da müsste dann das Gate kommen, der Zugang in den Arches National Park. Hoffentlich kommen wir rein.“

Am Gate fragen wir, ob es noch freie Plätze auf dem Campground gibt. Da müssen wir direkt beim Campingplatz nachfragen, bekommen wir mitgeteilt. Also lösen wir das Ticket für den National Park, das eine Gültigkeitsdauer von einer Woche hat und fahren hinein. Leider können wir wieder keinen Pass erwerben, der für alle US Parks gilt. Auf dem Weg hinein, kommen uns andere Camper entgegen und Jutta spekuliert schon, dass sie umkehren müssen, weil der Campingplatz komplett voll ist und auch wir bestimmt abgewiesen werden. Es ist bereits Nachmittag und die reguläre „Check out time“ ist meistens gegen Mittag. Manchmal auch schon um 11 Uhr, selten um 13 oder 14 Uhr. Es werden also tatsächlich keine Leute sein, die regulär abreisen, denn dafür ist es zu spät. „Es können auch Tagesbesucher sein.“, sage ich zu Jutta.

Wir fahren weiter in den Park und die Kulisse, die sich uns bietet wird immer spektakulärer und das ist nicht übertrieben. Die Felsen werden bizarrer und die Formen ändern sich hinter jeder Kurve. Es geht stetig weiter hinauf, denn wir befinden uns in einer Hochwüste.

The Wall

Jetzt wird es spannend, denn wir erreichen den Campingplatz. Eine Rezeption sehen wir nicht, nur ein kleines Häuschen. Ein Zettel hängt dort am Tor: „Die Rezeption ist geschlossen. Wenden Sie sich an den Camping Host auf Platz 71!“ Noch gibt es also Hoffnung.

Wir fahren auf den Platz und ein Paar in Rangeruniformen kommt uns zu Fuß entgegen. Ob sie das wohl sein mögen? Sie winken uns bereits zu und ich fahre das Beifahrerfenster runter, als wir ungefähr auf ihrer Höhe sind. Beide lächeln und sind offenbar fasziniert von LEMMY. Jutta fragt, ob sie die Hosts sind und sie nicken bestätigend. „Haben Sie noch eine Campsite für uns, wir konnten im Internet leider nichts buchen, weil bereits alles reserviert war?“, fragt Jutta zögerlich und zugleich hoffnungsvoll.

„Ja, wir haben noch etwas frei. Es gab einige Absagen wegen dem Wetter. Aber schaut euch um, die Sonne scheint!“, sagt der Host.

Und er hat recht, es ist windig und etwas kühl, aber die langsam untergehende Sonne scheint noch. Und der bewölkte Himmel ist ein Spektakel aus grauen und weißen Wolken, darüber tiefes Blau und immer wieder bricht die Sonne durch das Wolkendach und es fängt an zu glühen dort oben.

Unsere Campsite auf dem Mars

Es wird noch etwas über unser Auto gesprochen, woher wir kommen, wohin uns die Reise führt und wo wir uns hinstellen können. Die beiden Hosts, ich vermute ein Ehepaar, erweisen sich als außerordentlich sympathisch und sind sehr an unserer Reise interessiert. Sie weist mit der Hand nur wenige Meter weiter und sagt: „Gleich da vorne ist ein besonders schöner freier Stellplatz. Ihr könnt euch aber auch erst umschauen, eine Campsite auswählen und uns danach Bescheid geben, wie ihr euch entschieden habt.“

So verbleiben wir und schauen uns den ersten Platz an. Mehr müssen wir nicht sehen, denn jetzt erst realisieren wir, wie geil diese Kulisse um uns herum ist. Irgendwie nicht von dieser Welt.

From Outer Space!

So stelle ich es mir auf dem Planeten Mars vor. Wir befinden uns auf einem Hochplateau in der Wüste. Rundlich glatt abgeschliffene Sandsteinfelsen, das Werk von Mutter Natur über Jahrhunderte. LEMMY steht in der finalen Parkposition und ich erkunde die Felsenterrasse vor meinen Füßen, vor meiner Haustür. Ich steige etwas höher, immer weiter nach vorne und der Rundumblick ist atemberaubend. In weiter Ferne erkenne ich wieder die schneebedeckten Gipfel, die uns schon länger begleiten. Dann weite Steppenlandschaften unter uns und überall bizarre Felsformationen.

Devils Campground

Schlagartig bin ich wieder Kind, denke an die Perry Rhodan Heftchen, die meine 2 ½ Jahre ältere Schwester verschlungen hat. Ich hatte damals mehr Spaß an Comics wie Lucky Luke, das Phantom, Asterix & Obelix und Isnogud, der bitterböse Großwesir, der unbedingt Kalif werden wollte, anstelle des Kalifen. Aber jede noch so niederträchtige Idee schlug am Ende fehl und immer er selbst scheiterte in seiner eigenen Falle.

Meine Schwester hingegen las viele dieser dünnen Perry Rhodan Heftchen und mich faszinierten daran lediglich die Titelbilder. Sie waren immer knatschbunt und weil es um Raumfahrt ging und andere Planeten in fernen Galaxien, waren die Cover dementsprechend gestaltet. Was ich jetzt vor Augen habe könnte direkt einem dieser Heftchen als Titelbild dienen. Es fehlen nur die runden Raumfahrzeuge, die am Himmel umherschwirren.

Wieder im Hier und Jetzt angekommen und den Kinderschuhen entwachsen, denke ich: „Jetzt ist es Zeit für ein kleines Lagerfeuer und ein kühles Bier.“

Drei Nächte wollen wir bleiben, denn es gibt viel zu entdecken. Wir haben eine Map bekommen, auf der die verschiedenen Arches verzeichnet sind und auch das Straßen- und Wegenetz. Außer den Arches gibt es auch noch andere besondere Felsformationen zu sehen. Was mir sofort ins Auge springt, es sind auch Offroadstrecken auf der Karte eingezeichnet. Und wenn ich etwas lese wie z. B. „Four Wheel Only“ oder „Unimproved Road, Impassable when wet!“, dann weckt das mein Interesse in besonderem Maße. So verabreden Jutta und ich, dass wir morgen eine Tour durch den Park machen, um die wichtigsten und beeindruckendsten Arches und Felsformationen zu sehen und am Tag darauf eine kleine Pistenexkursion. Dann können wir alles, was wir bis dahin nicht geschafft haben noch nachholen, wenn wir am dritten Tag aus dem N. P. raus fahren.

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Jutta ist nicht so begeistert von meinem Wunsch Offroad zu fahren, stimmt aber zu. Es gibt nämlich einen heiklen Streckenabschnitt, der von nördliche in südliche Richtung als besser befahrbarer gilt, als umgekehrt. Ich versichere ihr sofort umzudrehen, sollten wir Bedenken haben diesen Abschnitt zu fahren. Und selbstverständlich fahren wir in der angeratenen Richtung.

Nach dem morgendlichen Frühstück, draußen auf dem Mars, fahren wir los und kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. Es läuft heute immer folgendermaßen ab: Wir fahren zu einem Parkplatz innerhalb des Nationalparks und von dort beginnt der Trail zu einem oder auch mal mehreren Hotspots. Mal ist der Weg etwas kürzer und manchmal ist es eine kleine Wanderung. Wir sind gut gerüstet mit unseren Wanderschuhen, kleinen Rucksäcken mit Wasser, Snacks und auch mit etwas warmer Kleidung zum Überziehen, sollte sich das Wetter ändern.

Der Park hat über 2000 natürliche Steinbögen, die durch Erosion und Verwitterung ständig neu entstehen und wieder vergehen. Wir gucken uns nur die Imposantesten, die mit Trails in der Karte verzeichnet sind, an. Fünf oder sechs Arches erklimme ich, steige bis nach oben in das Auge hinein. Höher geht es für mich natürlich nicht, da ich kein Freeclimber bin und keinen Ärger mit Jutta oder der Parkverwaltung haben will.

Nur den LANDSCAPE-ARCH kann ich nicht besteigen, der bleibt aus der Ferne zu bewundern. Zu gefährlich wäre es sich in der Nähe aufzuhalten, denn er wird nicht mehr sehr lange überdauern. Es ist der breiteste Arch von allen, er misst 92 Meter. Der Bogen ist schon so dünn, dass man meint er könne jeden Augenblick brechen, sobald dort oben ein Vogel landet. 1991 brach ein Felsblock von 18 x 3,40 x 1,20 m aus der Unterseite des Bogens. Seitdem ist er an seiner dünnsten Stelle weniger als 3 m dick.

Landscape Arch

Ein anderer Arch hat nicht nur ein Auge, sondern gleich drei. Die Bögen überspannen die Felsen und aus jedem Blickwinkel sieht es komplett anders aus. Schon von unten ist es wunderschön anzusehen, doch mich zieht es nach oben. Ich will etwas klettern und die Aussicht genießen. Jutta verweilt lieber am Fuße des Giganten und genießt die Aussicht von dort.

Der dreiäugige Arch

So vergeht der Tag wie im Flug. Wir sehen einen Felsen, der wie ein Elefant ausschaut und einen Anderen, der Ähnlichkeit mit einem brüllenden Kopf hat. Der Kopf trägt eine Mütze und der Mund ist weit aufgerissen, als will er seinen Protest hinaus in die Welt schreien. Was mag er wohl sagen? Ich denke er sagt: „Stop the war!“

The Prophet: „Stop the war!“

Manchmal liegt ein riesiger Felsbrocken auf einem dünnen Stiel aus Fels und wieder stellt man sich unweigerlich die Frage: „Wie lange mag das wohl noch gut gehen? Wann wird der Wind den Stiel brechen, wann wird der Brocken oben drauf zu schwer oder kommt ins Schwanken?“

Wir fahren, parken und wandern. Weite Steppen sind zu bewundern mit faszinierender Pflanzenvielfalt. Hier haben wir wieder das Gefühl uns am Frühlingsanfang zu befinden und alles steht bereits in den Startlöchern und wartet darauf zu erblühen.

High Desert

Irgendwann haben wir so viele verschiedene Eindrücke zu verarbeiten, dass wir beschließen für heute Schluss zu machen und ins Camp zurück zu fahren. Wir haben einen überwältigenden Tag erlebt, der uns fast überfordert mit den ganzen beeindruckenden Naturwundern.

Heute starte ich mit Vorfreude in den Tag und Jutta mit gemischten Gefühlen. Wahrscheinlich denkt sie: „Was wird uns erwarten, wie anspruchsvoll wird die Route sein, wird Jürgen sich bereit erklären umzudrehen, wenn es zu heikel wird oder wird er „sein Ding durchziehen“ wollen, auch wenn ich protestiere?“

Aber bevor es los geht, genießen wir unser zweites Frühstück auf dem Mars, in dieser unglaublichen Umgebung. Fast nicht möglich es angemessen zu beschreiben, so einzigartig erscheint uns dieser Platz, so wenig vergleichbar mit anderen Orten. Wir waren vor Jahren (2011) schon in einer anderen High Desert, im Joshua Tree National Park und wir werden auch auf dieser Reise bald wieder dort sein. Doch ist es trotzdem kaum möglich beide Wüsten miteinander zu vergleichen, zu unterschiedlich sind sie. Das liegt zum Einen natürlich an den Joshua Bäumen, die dem N. P. seinen Namen geben, aber auch an der gesamten Flora & Fauna und den Felsenformen im Arches Nationalpark, die eben einzigartig sind.

Der zweite Kaffeebecher ist geleert und die Wasserflaschen vorne im Cockpit für Fahrer und Navigatorin sind voll gefüllt. Es kann los gehen.

Zuerst geht es über Asphalt, dann taucht der erste Warnhinweis auf. Wir wechseln von schwarzem Teer auf roten Sand. Es könnte genauso gut das australischem Outback sein. Dort sieht der Sand exakt ebenso aus, dieselbe Farbe und so fein wie an einem Badestrand.

Offroad im Arches N. P.

Neben uns weite Steppe, links und rechts. Hin und wieder rollen Steppenläufer, das Tumbleweed über die Sandpiste. Noch gibt es keine Schwierigkeiten. Nur geht es hin und wieder rauf und danach wieder runter, aber ohne allzu große Steigung oder Gefälle.

Es dauert nicht lange, dann wird es unbequemer und die Auswaschungen nehmen deutlich zu. Ich muss das Tempo reduzieren und merke, wie Juttas Anspannung steigt. Es gibt tiefe Spuren und große Löcher, die ich zum Teil umfahren und vermeiden kann. Aber manchmal muss ich durch und versuche es so schonend wie möglich, schonend für Jutta und für LEMMY. Denn die Verschränkungen, die durch die Vertiefungen im Boden zwangsläufig entstehen, sind eine große Belastung für das Fahrzeug und damit auch für Jutta. Auch der rote Sand verhärtet sich und es wird immer felsiger. Wir scheinen uns der Stelle zu nähern, an der der Eintritt in die heikle Passage beginnt. Ich fahre noch etwas weiter und Jutta sitzt schon nicht mehr still im Sattel, überall wandert ihr Blick. Sie rutscht im Sitz hin und her.

Extreme ways

Dann halte ich an. Es geht steil einen Hang hinauf. Große Felsbrocken liegen tief eingegraben im Weg. Auch die Mulden und Auswaschungen sind extrem. Und ein Ende der anspruchsvollen Passage ist nicht in Sicht, denn weiter oben verschwindet alles hinter einer Kurve. Ich steige aus und schaue es mir ganz genau an, besonders wie es oben weiter geht. Genauso wie es unten schon begonnen hat, kein Ende ist in Sichtweite. Mein Gehirn rattert kurz und wägt ab….

Offroad

Im Grunde ist es wie im Theater. Dort muss ich auch gelegentlich abwägen, was zu tun ist. Besonders wenn es um pyrotechnische Effekte geht und die Sicherheit unserer Schauspieler. Besonders wenn sie sich aus dramaturgischen Gründen in der Nähe des Effektes befinden sollen. Es ist eine Risiko/Nutzen Abwägung. Wie hoch ist das Risiko und wie wahrscheinlich ist es, dass etwas passiert? Wie hoch kann der vermeintliche Schaden sein, der eintreten könnte? Das stelle ich gegen den Nutzen des gewünschten Effektes.

Da hatten wir einmal beispielsweise eine große Feuerfontäne, wie man sie von Rammsteinkonzerten kennt. Wir haben sie bei der Vorstellung „Cafe Umberto“ in der Inszenierung von Nicolai Sykosch mittels Druckluft, Lykopodium und einem heißen Glühdraht gezündet. Eine ca. 2 Meter lange Feuersäule schießt wie aus einem Flammenwerfer (im Grunde war es ein selbstgebauter Flammenwerfer) aus dem Off auf die Bühne.

Kurz vor der Aktion ging unsere Schauspielerin Irene Kleinschmidt von der Bühne ab. Sie hat sich vor ihrem Abgang eine Flasche Schnaps über den Kopf geschüttet und dann ein Feuerzeug angezündet. Der dramaturgische Effekt war der, dass sie sich selbst verbrennt. Sichtbar gemacht durch diese lange Flamme, die dort für einige Sekunden auf die Bühne züngelt. Sie selbst stand absolut sicher hinter der Flamme. Ein Schreckmoment für jeden Zuschauer und ein nachvollziehbarer wichtiger Effekt.

Unsere Aufgabe war nun, das alles so sicher zu machen, dass jedes Risiko einer Verbrennung von Personen, Dekorationen und Bühnenelementen auszuschließen bzw. so klein wie möglich zu halten ist. Ein Restrisiko bleibt aber immer. Es kann defekte Technik sein, die falsch oder nicht funktioniert. Es kann auch der unvollkommene Mensch sein, in dem Fall der Pyrotechniker. Dann heißt es hinterher gerne (wenn das Aufsichtsamt fragt, woran es denn gelegen hat, dass die Schauspielerin mit Brandwunden überseht ist): „Menschliches Versagen!“

Zum Glück nehmen wir unsere Aufgabe sehr ernst und wissen um die Risiken, so dass nie jemand ernsthaft zu Schaden kam.

Einmal war es der Fall, dass Irene bereit war für den Abgang von der Bühne und mein Kollege Karl per Funk das „Achtung für die Zündung!“ von unserer Inspizientin bekam und kurz darauf dann: „Zündung Go!“ Aber mein Kollege Karl hat nicht gezündet und die Inspizientin rief erneut: „Zündung Go!“ Nichts tat sich. Was war der Grund?

Karl hat alles richtig gemacht, denn nur er hatte die komplette Einsicht auf die gesamte Umgebung und er hat erkannt, dass Irene sich nicht auf die verabredete sichere Position gestellt hatte. Sie war zu nah am Flammenwerfer und deshalb konnte und durfte er nicht zünden. Schade für den Zuschauer, gut für Irene.

…was hat es für einen Nutzen diese Strecke zu fahren? Der Nutzen ist klein, bis fast nicht vorhanden, denn ich kann eine alternative Strecke fahren. Der einzige Nutzen wäre der, meine eigenen Offroad-Fähigkeiten und die Belastungsgrenzen des Fahrzeugs weiter auszuloten. Ach ja, Juttas Belastungsgrenzen würden wir dabei auch weiter ausloten.

Ich bin der Meinung, meine eigenen und LEMMYS technische Fähigkeiten wären der Aufgabe gewachsen, aber jetzt kommen wir zur Risikobewertung.

Die Wahrscheinlichkeit eines großen Schadens ist nicht gerade klein und durchaus vorhanden. Das Risiko ist überschaubar, aber im Falle einer Fehleinschätzung meinerseits oder eines Fahrfehlers könnte der Schaden im schlimmsten Fall groß bis enorm sein. Die Belastung des Fahrwerks/Rahmens etc. sind auf so einer Strecke natürlich erheblich. Das sind Juttas üblichen Argumente und die kann ich in diesem Fall nicht widerlegen.

So komme ich in weniger als einer Sekunde zu dem Ergebnis, dass das Risiko zu hoch und der Nutzen zu gering ist. Der gesunde Menschenverstand triumphiert über die Abenteuerlust.

Ich sage zu Jutta: „Wir drehen um und fahren die andere Route.“

Erleichtert steigt sie mit mir ins Auto und ich wende.

Utah

Zunächst geht es denselben sandigen Weg zurück auf die asphaltierte Straße, doch dann biegen wir ab in eine andere Offroadpiste. Es geht ähnlich los wie vorhin, roter weicher Sand eine ganze Weile. Jutta sagt: „Gleich müsste rechts eine Abbiegung kommen, fahr langsamer!“

Ich gehorche und gehe vom Gas. Denn jetzt möchte ich den Einstieg sehen in die abgebrochene Route von gerade eben, nun aber von der anderen Seite, von Süd nach Nord.

Als wir um die Ecke biegen, geht es auch schon zur Sache. Hier kommt man nur durch mit großer Bodenfreiheit, Schilder weisen ausdrücklich darauf hin: „Require High Clearence 4×4 Vehicles!“

Die Bodenfreiheit haben wir allerdings auch mit LEMMY. Es ruckelt ordentlich und das Fahrzeug gerät immer wieder in Schieflage, aber bei langsamer Fahrweise alles kein Problem. Die typischen Auswaschungen mit viel Fels und Geröll sind da, es geht rauf und runter. Alles kein Problem, bis sich uns ein ähnliches Bild bietet wie vor etwa einer Stunde. Ich muss erneut nicht eine Sekunde überlegen, dann ist es mir klar. Wir drehen um. Aber ich wollte mich selber von der Strecke überzeugen und sie unter die Lupe nehmen. Allerdings fahren wir jetzt nur zurück bis zur letzten Abbiegung und dann rechts weiter und nicht etwa links zurück auf die asphaltierte Straße. Kurz bevor wir die kleine T-Kreuzung erreichen, kommt mir ein PKW entgegen und ich muss schmunzeln.

„Der hat wohl vorher nicht gelesen, was ihn erwartet. Oder er ist übergeschnappt. „Ich wette in weniger als fünf Minuten sehen wir den wieder!“, sage ich zu Jutta.

Wir erreichen die Abbiegung und ich stelle mich so, dass wir direkt in die Richtung blicken, wo der PKW wohl in wenigen Minuten erscheinen sollte. Es dauert keine zwei Minuten, da quält er sich im Schritttempo rückwärts zur T-Kreuzung, um dann wieder auf die asphaltierte Straße zurückzukehren.

Hier fühlt LEMMY sich wohl

Leider hat Jutta bei meiner kleinen Wette nicht dagegen gehalten.

Die Nord-Süd Route ist etwas für richtige Offroad PKWs, höher gelegte Toyotas und Jeeps. Wir setzen nun unsere Tour fort und leider verliert Jutta hier schnell den Spaß an der wilden Fahrt. Und die Landschaft ist für sie nicht so grandios, dass sie das für die Juckelei entschädigen würde. Es geht nur sehr langsam voran und wir fahren mittlerweile meistens über felsigen Boden. Es sind noch weit mehr als 20 km und bei dem Tempo kann das eine Weile dauern. Die Piste ist breit und ich muss pausenlos wählen, wo ist die beste Spur, wo ruckelt es am wenigsten. Überall im harten Untergrund sind tiefe Löcher und ich kann nicht alle umfahren. Ich muss ständig entscheiden, wo ist es am schonendsten für LEMMY und damit auch für Juttas Nerven? Welches Loch ist nicht ganz so tief wie das Andere? Dabei geht es auch steil rauf und wieder steil runter. Für mich ist dieser Untergrund ein neues Terrain und eine neue Herausforderung, die ich gerne annehme, felsiges Hochplateau.

Anspruchsvolle Piste

So lange es trocken ist, werden wir auch keine Problem bekommen, es sei denn das Terrain ändert sich. Regen ist erst für den späten Nachmittag angesagt, dann sollten wir hier durch sein. Ohne Allradunterstützung arbeiten wir uns langsam vor und die Piste ändert sich nicht nennenswert. Felsiger, harter Untergrund, etwas Geröll und Sand in den Felslücken. Der Sand ist allerdings meistens weggespült durch den Regen, so dass tiefe Lücken entstehen. Und ausgerechnet jetzt fängt es an zu regnen, etwas früher als vorhergesagt.

Ich bleibe entspannt, denn wenn es weiter geht wie bisher, dann wird auch der Regen kein Problem sein.

Jutta bleibt ebenfalls entspannt, hat sich arrangiert mit der Rolle des Beifahrers, der eh nichts an der Situation ändern kann und es nehmen muss, wie es kommt. Es gibt jetzt sowieso nur noch diesen Weg.

Blick aus der Hochwüste auf die umliegenden Schneeberge

Wir kommen an den Rand des N. P. und entdecken, dass man das Gate über diese Piste umgehen kann. Wer es darauf anlegt, kann also ohne die Gebühr für den Park zu entrichten in den Arches National Park fahren. Das könnte allerdings unangenehme Konsequenzen haben, sollte ein Ranger den Parkausweis kontrollieren. Wir sehen einige Camper, die ihre Fahrzeuge auf einer jetzt, durch den einsetzenden Regen, schlammigen Fläche parken. Offensichtlich ist es kostenlos. Im Park ist es nicht erlaubt frei zu stehen. Diese Fahrzeuge werden die Piste, die wir gerade gekommen sind, nicht befahren können. Sie haben zu wenig Bodenfreiheit.

Außerhalb des Parks geht es auf dem Weg zurück, den wir gekommen sind. Wir passieren das Gate, zeigen nur kurz den Ausweis vor und schon öffnet sich die Schranke. Obwohl wir den selben Weg fahren wie vor zwei Tagen sind wir genau so beeindruckt wie beim ersten Mal. Es ist wie beim Sex, vielleicht sogar besser als beim ersten Mal.

Am Abend beim Lagerfeuer sind wir uns einig, der Arches National Park ist was ganz besonderes und hinterlässt einen bleibenden und durchweg positiven Eindruck. So was wie hier haben wir nie zuvor gesehen. Und auch unsere Campsite dürfte auf einer Rangliste einen der vordersten Plätze belegen. Wer kann schon von sich sagen, er habe auf dem Mars kampiert?

Devils Campground on Mars

Nach der dritten Übernachtung an diesem ganz speziellen Ort müssen wir leider abreisen. Weiter geht unser langer Weg nach Westen, unser Weg, der uns in das gelobte Land führen soll > California. Doch zunächst geht es runter in den Süden. Wir wollen nach Arizona, um den Grand Canyon zu sehen. Ich war bereits zwei- oder dreimal in Arizona, aber nie beim Grand Canyon, sondern nur bei den Four Corners, im Vorbeihüpfen. Ich springe von Utah nach Colorada, nach New Mexico und wieder nach Arizona.

Four Corners

Auf dem Weg raus aus dem Arches National Park machen wir die Trails, die wir vorher nicht geschafft haben und schauen uns das an, was wir bewusst für den Rückweg aufgespart haben. Mit der Gewissheit hier fast alles gesehen zu haben, können wir zufrieden abreisen und uns neuen Zielen zuwenden.

Ähnlich wie in New Mexico geht es durch weite Prärielandschaften, nur sind wir hier wohl insgesamt etwas höher, denn es liegt mehr Schnee abseits der Straße. Der Frühling scheint sich zu verabschieden und der Winter sagt: „Hallo, da bin ich wieder. Dachtest du etwa du bist mich los? Mitnichten mein Lieber, ich werde euch noch eine Weile begleiten!“ Dann weht er noch drohend hinterher: „Und wenn es sein muss, dann hole ich euch wieder ein!“

Manchmal halte ich an einem View Point und wir sehen von oben auf eine dünne Spur aus grauem Asphalt mit einer gestrichelten gelben Linie herunter, die sich wie eine endlose Schlange durch diese verdammte Weite zieht, als gäbe es keinen Anfang und kein Ende.

Irgendwo in Utah

Doch irgendwann kommt immer ein Ende. Besonders dann, wenn ein erschöpfter Fahrer genug vom Lenken hat. Das kommt selten vor bei mir, doch als Jutta einen Übernachtungsplatz in der freien Wildbahn herausgefunden hat, bin ich sofort bereit dafür.

„Nur noch eine halbe Stunde von hier.“, sagt sie, „dann biegen wir rechts ab und dort können wir frei stehen.“

free parking in USA

Es gibt sie also doch, freie Stellplätze mitten in der Natur. Sie sind nicht so häufig wie Walmarts oder andere große Einkaufszentren, aber wenn man gezielt danach sucht, dann wird man auch fündig. Dank der iOverlander App.

Free Overnight Parking

Ich würde auch gerne mal, ohne diese Netzfunde, selber auf die Suche gehen, nach genau solchen Plätzen. Dafür reicht Juttas Abenteuergeist, besonders am Ende von langen Fahrtagen, nicht aus. Sie ist sogar hier noch relativ unentspannt und fürchtet, dass ein Ranger kommen könnte, um uns in der Nacht von hier wegzuschicken.

Doch genau von diesem Abenteuergeist lebt die iOverlander App, von Leuten, die Plätze auskundschaften, sie dann online stellen, um sie mit anderen Globetrottern zu teilen.

Wir finden schnell den angegebenen Platz und fahren einen verschneiten Waldweg rein, eine kurze Anhöhe hinauf und stellen LEMMY ab. Jutta schläft verhältnismäßig ruhig und entspannt. Ich schlafe wie ein Murmeltier.

Wir haben schon im Arches N. P. überlegt, uns auch den Bryce Canyon anzuschauen, doch schließlich haben wir uns dagegen entschieden. Es liegt dort noch zu viel Schnee und gerade die Spots, die wir sehen wollen, sind noch nicht freigegeben.

Jetzt müssen wir trotzdem wieder eine Entscheidung treffen, was die Route angeht und ich bin überwältigt, was Jutta mir da gerade beim Morgenkaffee vorschlägt.

Sie sagt: „Wir können die Cottonwood Road fahren, eine Dirtroad. Das ist zwar die langsamere Strecke zum Grand Canyon, aber auch die Attraktivere.“

Cottonwood Road

Ich trinke einen Schluck Kaffee um kurz in mich zu gehen, ob ich gerade richtig verstanden habe, was über Juttas Lippen kam und dann sage ich: „Yes, Cottonwood Road!“

Das Wetter wechselt wie im Zeitraffer. Gerade noch haben wir im Schnee gestanden, befinden wir uns nun wieder auf einer roten Sandpiste im prallen Sonnenschein, auf der Cottonwood Road. Nach einer Weile auf dieser Dirt Road frage ich Jutta, ob sie nicht mal fahren möchte und werde ein weiteres Mal überrascht.

„Ja, warum eigentlich nicht.“, bekomme ich als Antwort.

Ungläubig, kopfschüttelnd halte ich an und steige aus, um auf die Beifahrerseite zu wechseln. Ich freue mich und sehe eine neue Jutta emporsteigen, eine abenteuerlustige, eine wagemutige und eine risikofreudigere Jutta, die nichts mehr aufhalten kann.

Jutta übernimmt LEMMY auf der Cottonwood Road

Dann geht es weiter und Jutta macht ihren Job hervorragend. Sie fährt erst langsam und bedächtig. Sie wird etwas forscher und gibt ein wenig mehr Gas. Plötzlich übersieht sie eine tiefe Spurrille, quer über die gesamte Breite der Piste. Sie ist zu schnell unterwegs. Es ruckelt heftig und sie merkt wie schnell es geht, dass man etwas übersehen kann. Hätte ich am Steuer gesessen, würde Jutta mir schwere Vorwürfe machen, weil ich IMMER! VIEL! zu schnell fahre.

Ich sage: „Macht doch nix, LEMMY kann das ab!“

Ich merke, wie angespannt sie ist und als die erste, steilere Steigung kommt auf einem feuchten Untergrund, da fragt sie mich, ob wir nicht wieder tauschen wollen. Ich sage: „Jetzt noch nicht, du machst das schon.“

Hin und wieder helfe ich bei der Gangwahl und sage etwas zur perfekten Drehzahl, damit bei der Steigung der Motor nicht ins Straucheln gerät. Jutta meistert diese Aufgabe mit Bravour. Aber leider verliert sie schnell die Lust am Fahren bzw. ist es für sie anstrengender und so lässt ihre Konzentration schneller nach. Und nach einigen Steilkehren mit nassem Untergrund, da will sie dann nicht mehr. Ich bin eh schon überglücklich, dass sie sich auf eine halbe Stunde „Offroad-Selber-Fahren“ eingelassen hat und will sie nicht überstrapazieren, denn es soll ja Spaß machen und nicht in Stress ausarten.

So tauschen wir also wieder die Plätze und ich lege den Allrad Antrieb ein, denn es geht einen schlammigen Weg relativ steil nach oben und LEMMY fräst sich seine Bahn aufwärts, ohne irgendwelche Probleme und ich bedauere nur, dass Jutta nicht selbst auch noch diese positive (Fahr) Erfahrung machen konnte. Sie hätte im Grunde nur lenken müssen, alles andere hätte die Elektronik übernommen. Sie hätte kein Gas geben müssen, hätte nicht bremsen müssen, alles hätte LEMMY selber gemacht und ich hätte von der Beifahrerseite aus jederzeit verbal eingreifen können, um zu sagen, was zu tun ist, sollte sie in Schwierigkeiten geraten. Aber soweit sind wir noch nicht.

Die Cottonwood Road ist auf jeden Fall eine Empfehlung, sie ist einfach zu befahren und bei Trockenheit auch ohne Allradantrieb zu bewältigen. Wer also etwas Zeit hat und ohne Eile unterwegs ist, der sollte sich für diese Dirt Road entscheiden, auf dem Weg vom Arches N. P. zum Grand Canyon.

Kurz bevor wir unser heutiges Ziel erreichen hat Jutta wieder einen freien Übernachtungsplatz parat. Und abermals ist er von iOverlander. Kurz vor dem Grand Canyon National Park fahren wir rechts ab und stehen erneut im Schnee. Durch die positive Erfahrung gestern, schlafen wir heute beide wie ein Murmeltier. Den morgendlichen Kaffee genießen wir in weißer, schneeverwehter Landschaft. Die Sonne scheint und der Tag begrüßt uns verheißungsvoll.

Morning Coffee

Nach dem zweiten Kaffee fahren wir weiter in den Grand Canyon National Park und schon vor dem Gate gibt es hier und dort einen netten Aussichtspunkt. Manchmal halten wir und steigen aus, manchmal fahren wir nur langsam daran vorbei. Dann kommt das Gate, an dem wir die Eintrittsgebühr entrichten müssen und ich halte vor der geschlossenen Schranke am kleinen Häuschen, fahre das Fenster runter und sehe eine freundliche junge Dame dahinter sitzen. Sie lächelt schon bevor ich zum Stehen komme.

Ich frage: „Could we buy a pass here for all…“ Sie nickt bereits unaufhörlich, weil sie genau weiß, wie meine Frage enden wird. „…US National Parks?“ Dann fragt sie, ob wir bereits in anderen Parks Eintrittsgebühren bezahlt haben und Jutta kramt auch schon in ihrem Portemonnaie.

„Yes, we did!“, sagen wir und Jutta findet tatsächlich noch die Bons vom Garner N. P. und vom Arches N. P.

Diese beiden Parks werden mit der Gebühr verrechnet und das finden wir ganz fantastisch. Den Everglades National Park könnte sie jetzt eh nicht mehr berücksichtigen, weil es länger als zwei Wochen zurückliegt, als wir dort waren.

Gut gelaunt verabschieden wir uns und setzen unseren Weg fort. Nun als Inhaber eines Passes für alle US-amerikanischen National Parks, State Parks und Provincial Parks. Darüber hinaus dürfen wir auch legal in Gebieten des „Bureau Of Land Management“ über Nacht stehen. Das waren z. B. unsere beiden letzten Overnight Stellplätze, an denen wir in diesem Fall illegal gestanden haben.

BLM Stellplatz

Was kann man zum Grand Canyon sagen? Jeder kennt ihn. Jeder weiß, wo er ist. Er ist alt, uralt sogar und wären wir nicht so nah dran, dann wären wir vermutlich daran vorbei gefahren. Ich habe zuvor schon viel darüber im Fernsehen geschaut und auch unzählige Bilder gesehen, dass ich eigentlich kein großes Interesse hatte, jemals hier her zu fahren. Aber ich dachte, wenn wir schon mal da sind, sollten wir ihn uns auch ansehen.

Und ich bereue diese Entscheidung nicht. Wie gesagt, ich wusste aus den Medien wie gewaltig dieser Canyon ist, aber als wir nun direkt davor stehen, dann ist das irgendwie was ganz anderes.

Grand Canyon

Wir halten wieder an diversen View Points und staunen einfach nur über dieses Wunder der Natur. Der Colorado River, der über Millionen von Jahren diesen Canyon in die Landschaft gefräst hat ist kaum zu sehen, so weit weg ist er und so wenig Wasser fließt jetzt im März, im Jahr 2022.

Wir parken LEMMY in Grand Canyon Village und nutzen den Bus, denn ab hier dürfen wir mit dem eigenen Fahrzeug nicht weiter. Der Bus fährt einen Rundkurs und man kann an verschiedenen Stationen aus- und wieder zusteigen. Wir entscheiden uns bis zu einem bestimmten Punkt zu fahren und von dort zurückzulaufen, denn dann sehen wir die besten Spots auf dem Rückweg. So steht es jedenfalls in unserem Reiseführer.

Colorado River

Wir warten kurz auf den Bus und steigen zu. Masken tragen ist immer noch Pflicht. Dann steigen wir aus an der fünften oder sechsten Haltestelle und begeben uns auf den Fußweg. Die Wapitis, die wir am Wegesrand sehen, manchmal an der Straße oder auch mal am felsigen Abgrund, sind nur angenehmes Beiwerk. Der Canyon ist der Star.

Der Grand Canyon rockt

Der Grand Canyon an sich ist gigantisch. Er ist ungefähr 450 km lang und reicht bis zu 1800 Meter in die Tiefe. Wir kommen an Warnschildern vorbei, auf denen steht, dass immer wieder Menschen in den Tod stürzen, weil sie nicht auf den vorgegebenen Wegen bleiben. Weil sie über Absperrungen steigen und sich auf Felsvorsprünge stellen, um spektakuläre Fotos zu machen. Das ist eigentlich genau mein Ding und ich sehe viele dieser Felsvorsprünge und tolle Fotomotive, wo ich mich gerne aufnehmen lassen würde. Aber ich weiß genau, dass Jutta von ihrem Vetorecht Gebrauch machen wird und ich möchte auch nicht in Misskredit bei den Rangern kommen. So zügele ich meine Begierde und vermeide alle verlockenden Abgründe und Felsnasen, die weit über den tiefen Canyon hinausragen und es gibt keine waghalsigen Fotos. Davon konnte ich ja in Griechenland bei den Meteora Klöstern Einige machen.

Danger!

Wir kommen an Trails vorbei, wo Wanderer mit guter Kondition tief in den Canyon hinab steigen, um an anderer Stelle wieder hinauf zu marschieren. Für uns ist das allerdings nichts, denn wir haben hier nur einen halben Tag eingeplant. Natürlich könnten wir unsere Pläne ändern, doch wir befinden uns kurz vor Kalifornien und ich werde nach wie vor magnetisch angezogen von diesem magischem State. Und auch Seligman, der Ort an der historischen Route 66 ist für heute Abend eingeplant. Dort möchte ich gerne in Lilos Diner, einem deutschen Restaurant, ein Jägerschnitzel essen.

Abschließend kann ich sagen, am Grand Canyon fühle ich mich klein und unbedeutend, was negativ klingen mag, aber positiv gemeint ist. Vielleicht muss man so etwas Großartiges erst mit eigenen Augen sehen, damit man sich selber einmal schüttelt, zurecht rückt und dann erkennt, welche Bedeutung man selbst eigentlich hat. Ich komme für mich zu dem Schluss, keine besonders Große.

Was für ein Ausblick!

Mit wahnsinnigen Eindrücken verlassen wir den Grand Canyon.

Am Abend, nach stundenlanger Fahrt kommen wir in Seligman an. Es ist ein kleiner Ort, nur einige Häuser sind es links und rechts neben der MOTHER ROAD. Hier befinden wir uns auf einem Teil der historischen Route 66, der Mutter aller Straßen. Die Sonne geht unter und der Himmel färbt sich dunkelgelb, fast orange. Es sind nur wenige Wolken am Himmel, dominierend sind die leuchtenden Reklametafeln von Dinern und Tankstellen.

Ankunft in Seligman

Wir sind auf der Suche nach einem bestimmtem Diner, nach „Westside Lilo’s“.

Und dann sehen wir es auch schon. Ich parke direkt vor der Tür neben einem alten Traktor, der dort zur Dekoration steht, nehme ich an. Ich möchte, dass sie von innen durch das große Fenster unseren Offroader ausmachen können. Wir gehen hinein und setzen uns an einen Tisch mit Blick auf LEMMY und die Straße. Die Bedienung kommt und fragt, ob wir essen möchten und was wir trinken wollen. Ich antworte, dass wir gerne etwas essen und auch was trinken wollen, aber dass es davon abhängt, ob wir hier über Nacht stehen bleiben dürfen. Ich zeige durch das Fenster auf unseren Wagen und sie sagt etwas zögerlich, ja schon, aber wir sollten dann auf die Seite des Diners fahren und nicht direkt vor dem Restaurant stehen bleiben.

Historic Route 66

Dann bestelle ich ein großes Bier und das Jägerschnitzel mit Pommes, umparken kann ich ja auch noch nach dem Essen. Jutta wählt ein kleines Bier und einen Salat. Was ich vorher nicht wusste und auch nicht auf der Speisekarte nachgelesen habe, ein großes Bier ist in Lilo’s Diner ein ganzer Liter.

Normalerweise bekomme ich einen Pint, wenn ich ein großes Bier bestellen. Na ja, egal. Ich muss nicht mehr weit fahren, nur noch um die Ecke. Das Essen ist echt lecker, die Portion ist üppig, aber es ist auch verdammt teuer. Dazu kommt dann noch mindestens 15 – 25% Trinkgeld. Früher waren es noch 10 -15%. Heutzutage kann man am Kreditkartenleser nur noch zwischen 15, 18, 20% und aufwärts wählen.

Etwas angetrunken parke ich nach dem Essen um, auf die andere Seite des Diners und dann gehen wir schlafen. Morgen werden wir die Mother Road fahren und Kalifornien erreichen. Mit diesem Gedanken schlafe ich ein.

Bevor wir allerdings weiter fahren nach Kalifornien wollen wir uns noch Seligman anschauen. Gestern war es ja bereits dunkel als wir angekommen sind und wir hatten großen Hunger. Darum wird das jetzt erledigt.

Seligman dürfte wohl das Aushängeschild der Mother Road sein, denn nirgendwo sonst ist alles diesem Thema gewidmet, der historischen Route 66. Überall ist etwas zu entdecken. Hier gibt es weit mehr als nur nette Souvenirläden. An jeder Ecke stehen alte amerikanische Autos, die Hausfassaden sind farbenfroh angemalt und mit Blechschildern und Stickern verziert. Manchmal stehen Schaufensterpuppen auf den Dächern und vor einem anderen Haus parkt ein alter Polizeiwagen aus den 30er Jahren. Es scheint als stehen aus jeder Dekade diese alten Ami Straßenkreuzer in Seligman verteilt. Allerdings fahren wohl die meisten nicht mehr, denn oft sind die Reifen platt und diese Liebhaberstücke fristen ihr Dasein nur noch als Dekoration und rosten still vor sich hin. Schade eigentlich!

Classic Cars

Ich fühle mich zurückversetzt in eine andere Zeit, in ein anderes Zeitalter. Vermutlich sind es die wilden 60er und der Freiheitsdrang ist groß. Ich denke an Easy Rider und stelle mir vor, sie kommen gleich hier angefahren mit ihren Harleys. Auf der einen Maschine sitzt Dennis Hopper und auf der anderen Peter Fonda. Ich kann die Motoren schon hören.

Kurz keimt in mir der Gedanke auf, mal selber auf eine Harley Davidson zu steigen. Ich bin schon viele Motorräder gefahren, aber eine Harley noch nie. Und gibt es einen besseren Ort auf der Welt, als die Route 66 in Arizona, um sie mit einer Harley zu befahren? Ich denke nicht.

Vor der Fahrt nur noch schnell das Kopftuch mit den Totenköpfen aufsetzen, damit die Haare nicht so sehr im Wind wehen und ohne Helm geht es auf den schwarzen Asphalt. Es ist kaum Verkehr hier, denn fast alle nehmen den schnelleren Highway um von Ost nach West zu gelangen oder umgekehrt. Diese Straße ist nur was für Nostalgiker. Ich habe die ganze Breite schwarzen Teers unter mir. Nur für mich. Ich fahre Schlangenlinie, immer schön durch die gestrichelten gelben Straßenmarkierungen durch. Die Mother Road gehört in diesem Moment mir, mir ganz alleine. Die Zeit steht still. In meinem Kopf fängt Steppenwolf an zu singen: „Born to be wild“ und ich drehe am Gashebel. Drehe ihn voll auf und der Schub drückt mich nach hinten und die Arme werden immer länger. Ich halte mich am Lenker fest und spüre den frischen Wind im Gesicht, ein Hauch von Haschisch strömt mir in die Nase und ich will nie wieder anhalten…

Aus weiter Ferne klingt eine leise Stimme in mein Ohr. „Hallo? Alles klar bei dir?“ Jutta guckt mich an. „Ähhh, was?“, stammele ich vor mich hin, rausgerissen aus meinem kleinen Tagtraum. „Jaja, alles klar bei mir. Wollen wir bald weiter?“

Hello Mr. President!

Wir schauen in einige Läden rein und ich kaufe mir eine Schirmmütze von der Route 66 und ein Kopftuch. Elvis Presley und Marilyn Monroe sind auch da, aber leider nur als lebensgroße Figuren. Ein paar Blechschilder wandern in die Einkaufsbeutel und dann müssen wir uns echt ausbremsen, denn sonst bräuchten wir hier einen riesigen Einkaufwagen. Es macht Spaß einfach zu stöbern in dem bunten Sortiment. Hier gibt es irgendwie alles, was man nicht wirklich braucht, aber doch gerne hätte.

Ich glaube Jutta geht es ähnlich wie mir. Irgendwie kann ich mich nicht richtig losreißen von diesem Ort. Raus aus dem einen Laden, sieht man schon wieder etwas nebenan oder gegenüber. „Komm!“, heißt es dann, „lass uns nur da drüben noch kurz gucken!“

Sein oder Nichtsein???

Aber irgendwann schaffen wir den Absprung dann doch noch. Wir sind wieder auf der Straße, on the road. Auf der Mother Road. Ursprünglich ging sie, soweit ich weiß, von Chicago nach Los Angeles. Wir werden nur einen Bruchteil dieser legendären Route von Ost nach West fahren. Aber ich werde jede verdammte Meile genießen, will jeden Inch zurückgelegter Strecke in mich aufnehmen. Ich will den Asphalt unter den Rädern wahrnehmen und die frische Luft durch das offene Fenster atmen, den Wind auf der Haut spüren.

Der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Die Musik kommt vom USB Stick. Links und rechts neben uns wird die Landschaft karger, die Wüste kommt näher. Aber dieses Mal ist es keine Hochwüste.

Auf dem grauen Asphalt vor meiner Motorhaube ist eine gestrichelte gelbe Linie, auf der gegenüberliegenden Spur kommen mir einige Biker mit ihren Harleys entgegen. Dann höre ich das weit entfernte Tröten eines endlos langen Zuges, wie ich es schon tausend Mal davor gehört habe. Bei dem Horn des Zuges denken Jutta und ich immer an „Stand by me“, einem Film nach einem King Roman. In der Szene überqueren vier Freunde gerade eine Brücke, um einen toten Jungen zu finden und von hinten kommt der dröhnende Zug angedonnert. Sie müssen ganz schön rennen, um nicht überfahren zu werden.

Kurze Zeit später sehen wir den meilenlangen Güterzug uns entgegen kommen. Links neben uns fährt er auf Schienen in die eine Richtung, wir fahren auf dunklem Teer in die andere Richtung. Auf dem Weg nach Kalifornien. Wer weiß, wo der endlose Güterzug ankommen wird?

Ich bin in einer perfekten Stimmung um diesen langen Highway zu fahren, fühle mich pudelwohl auf der Route 66 und dann erwischt es mich von hinten und überwältigt mich so wie ich es nie im Leben erwartet hätte.

Car Cemetary

Alles ist perfekt, der letzte Song aus dem Autoradio verstummt und Johnny Cash fängt an zu singen.

Ich kann es nicht zurückhalten, die Tränen kullern nur so runter und ich fühle mich erinnert an 2011, an Kalifornien. Wir waren mit einem brandneuem Dodge Durango unterwegs, den ich in Los Angeles am Flughafen übernommen habe. Er hatte gerade mal 3 Meilen auf dem Tacho und Jutta und ich waren irgendwo zwischen Tijuana und Palm Springs unterwegs.

Dann lief Free Bird im Radio von Lynyrd Skynyrd und mir liefen Tränen der Freude die Wangen runter. Denn in dem Augenblick war einfach alles perfekt. Wir hielten kurz davor an einem weißen Kreuz am Straßenrand, dort angebunden wehte ein langer pastellfarbener Seidenschal und die Prärie war endlos. Das war so ein schönes Bild, dass ich es jetzt noch vor Augen habe, wenn ich daran denke.

Ich habe Jutta davon erst erzählt, als wir wieder zuhause waren, im Waterhole, lange nach der Reise und sie hat mir gesagt, dass sie an derselben Stelle, bei dem selben Song von Lynyrd Skynyrd auch vor Glück geweint hat.

Johnny Cash singt seinen Song „The Mercy Seat“ und ich frage Jutta, ob sie mir meine Sonnenbrille aus der Konsole gibt. Sie reicht mir meine Brille und weiß genau was los ist. Es geht ihr so wie mir und wie es uns 2011 ergangen ist und Tränen der Freude laufen unsere Wangen runter. Es braucht keine Worte. Ich fahre einfach weiter und wir genießen diesen einmaligen, diesen perfekten Augenblick.

Danach folgt Pearl Jam und kein DJ der Welt könnte ein besseres Timing für einen Song wählen als dieser Radiomoderator in diesem Augenblick. Der Song heißt „Black“!

Eins wird mir bewusst: So etwas hast du auf allen deinen Reisen nie erlebt, nie zuvor hast du während der Reise vor Freude geweint, nur hier in den USA und das jetzt bereits zum dritten Mal.

Ich sage zu Jutta auf der Beifahrerseite: „Wie wäre es eigentlich, wenn wir uns mal eine Harley mieten?“ Jutta zuckt mit den Schultern. „Du musst selber wissen, ob du das willst!“

Immer wieder muss ich anhalten, weil es tolle Motive am Wegesrand gibt. Mal ist es eine alte, verwaiste Tankstelle. Dann stehen wieder fantastische alte Classic Cars auf weichem, beigem Sand am Straßenrand, mit den großen Rundungen und den schönen Heckflossen. Damals sahen die Autos noch nicht alle gleich aus, wie es heute üblich ist. Jetzt kann ich kaum noch einen Honda CRV von einem Golf oder einem Porsche Cayenne unterscheiden. Die alten US Autos hatten Klasse und Stil. Leider haben sie ihren letzten Zündfunken verloren und keiner dieser Oldtimer wird je wieder anspringen. So wie „Christine“, ein knallroter 58er Plymouth Fury aus einer anderen King Verfilmung. „Sie“ sprang immer an, wenn Artie Cunningham lieb zu „Ihr“ war.

Can I help you….?

Es bereitet mir einen Riesenspaß diese Straße zu fahren und mit jeder zurückgelegten Meile kommen wir unserem Ziel Kalifornien etwas näher. Und auch der Mojave Desert. Dann sehe ich am Straßenrand etwas und kann es kaum glauben. Ich trete auf die Bremse und fahre rechts ran. Dann schaue ich mich um, ob von hinten oder vorne etwas kommt. Kein Auto und kein Biker in Sicht. Ich wende und fahre zurück. Jutta will wissen was los ist und warum ich umdrehe.

„Ich hab da was Kurioses gesehen!“, sage ich.

Route 66

Dort steht eine Toilette auf einer Holzpalette, inklusive Spülkasten. Darüber ein Holzschild „Rest Stop“. Hier kann man also sein Geschäft an der frischen Luft verrichten und es ist ja eh wenig Verkehr. Etwas Rückendeckung bietet ein vertrockneter Busch, aber von vorne ist man komplett offen. Was für ein genialer Einfall hier so etwas hinzustellen. Genau diese Momente sind es, die den Reiz dieser Strecke ausmachen. Abgesehen von der grandiosen Natur und der bildschönen Landschaft.

Es gibt noch einige andere Kuriositäten zu bestaunen und ich muss oft halten damit wir uns alles in Ruhe anschauen können. Mal ist da der Giganticus Headicus, ein riesiger grüner Kopf aus Pappmaché, dann ein kleines Roadhouse mit einem alten Indianer davor und immer wieder diese wundervollen alten Autos und manchmal auch Motorräder.

Don’t be to fast

Zwischendurch taucht dann ein kleines Diner auf, damit man sich bei einem Kaffee und vielleicht einem Stück Kuchen etwas ausruhen kann oder ein alter General Store für eine erfrischende Limonade.

always watch policemen

So wird unsere Fahrt nie langweilig. Aber irgendwann fällt uns ein, dass wir noch einkaufen sollten, denn wir wollen heute Abend im Joshua Tree National Park ankommen und dort wenigstens drei Nächte verbringen. Dafür brauchen wir Vorräte und reichlich Wasser. Außerdem muss ich tanken. Jutta hat einen Ort rausgesucht, der etwas abseits liegt, aber dort sollten wir alles bekommen. Kingman. Da gibt es einen Safeway, eine Tankstelle und einen Liquor Store.

Wir werden allerdings leider heute nicht mehr im Joshua Tree Park ankommen. Stattdessen stranden wir in Desert Center, einer Geisterstadt.

„Willst du erst tanken oder kaufen wir vorher ein?“, fragt Jutta als wir auf den Parkplatz in Kingman rollen. Wir haben bereits alles im Blick von hier. „Erst einkaufen, danach tanken!“, antworte ich knapp.

Vorräte auffüllen, bevor es in die Wüste geht

Ich mag die Safeway Supermärkte sehr. Sie sind zwar teuer, aber das Einkaufsambiente ist um ein Vielfaches besser als z. B. im Walmart. Wir bummeln gemütlich durch alle Gänge und der Einkaufswagen wird voller. Es stehen immer zwei Preise auf allen Waren, einmal der „Member“ Preis und darunter der teurere Preis für alle Anderen. Wir müssen also „Member“ werden um Geld zu sparen. Ich frage einen Angestellten wie das geht und er sagt, man müsse nur seine Telefonnummer an der Kasse angeben. Irgendeine Amerikanische. Ich nehme die Nummer der Cousine meiner Kollegin, das ist eine amerikanische Telefonnummer. Check.

Es klappt. Ohne Tüten packen wir wieder alles vom Laufband in den Einkaufwagen und rollen damit direkt zum Auto. Als ich draußen fertig bin mit den Sachen für die Staufächer ist Jutta innen noch beschäftigt.

„Ich gehe mal schauen, wie teuer hier der Diesel ist!“, rufe ich in die Kabine. „Ok“, höre ich von innen. Entsetzt komme ich zurück. „Ich glaube ich spinne, die sind ja völlig bekloppt!“, sage ich aufgebracht zu Jutta. „Weißt du was die Gallone hier kostet?“ Woher sollte sie das wissen. Sie schüttelt den Kopf.

„6,79 $ wollen die haben für eine beschissene Gallone Diesel! Hier tanke ich nicht!“

Normalerweise haben wir knapp über 4 $ für die Gallone bezahlt, mit Glück auch mal nur 3,79 oder so ungefähr.

„Wie weit kommen wir noch mit der Tankfüllung?“, will Jutta wissen. „Mal sehen was der Bordcomputer anzeigt.“ Auf dem Display steht, dass wir noch etwa 160 Meilen kommen.

Letterboxes

„Das ist doch eine gute Reichweite.“, denke ich. Tankstellen gab es bisher an fast jeder größeren Kreuzung. Zu dumm nur, dass ich vorher keinen Blick auf die Karte geworfen habe. Große Kreuzungen und selbst kleine Orte werden wir bald nicht mehr antreffen, sobald wir von Arizona nach California wechseln. Denn dann fahren wir durch einsame und endlose Wüste, durch die Mojave Desert. Unglücklicherweise hat auch Jutta nicht so genau die Karte studiert, als das ihr aufgefallen wäre, dass wir durch ähnliche Weiten und abgelegenen Gebiete fahren, wie vor einer Weile in New Mexico. Schuld an diesem Dilemma, in das ich uns bringe, ist aber selbstverständlich der Fahrer. Jutta wollte tanken, ich war zu geizig. Wir wissen, dass es am Krieg in der Ukraine liegt, dass die Spritpreise so explodiert sind.

„Wir fahren erstmal weiter.“, sage ich zu Jutta. „Na gut, wenn du meinst.“

Bye bye Arizona

Wir passieren die Landesgrenze und verlassen Arizona. California, here we are. Die Orte verschwinden hinter uns und vor uns tauchen Berge auf. Nur ein kleiner Bergkamm, links und rechts davon ist alles flaches Land. Sie sind nicht besonders hoch, aber in der ansonsten flachen Umgebung fallen sie schon auf. Das Thermometer steigt langsam aber stetig. Seit langem geht es auf die 20 Grad zu und dann sogar darüber. Wir kommen den Bergen immer näher. Vergessen ist der Krieg in der Ukraine und vergessen sind die hohen Spritpreise. Wir fahren durch eine Postkartenidylle und sind wieder allerbester Laune.

Als ich die Berge vor uns sehe, kommt eine Erinnerung in mir hoch. Ich war schon mal hier, allerdings ungefähr 11000 Meter höher. Es war als wir 2011 nach Los Angeles geflogen sind. Ich hatte einen Fensterplatz und habe aus dem Flugzeug runter geschaut. Ich bin mir sicher, dass ich genau diese braunen Bergspitzen gesehen habe. Und schon damals im Flugzeug dachte ich daran, eines Tages tatsächlich die USA zu durchqueren. Auf der Route 66 zu fahren. Und jetzt, genau 11 Jahre später, im März 2022 fahre ich mit meinem eigenen kleinen Expeditionsmobil durch die USA, von einem Bundesstaat in den Nächsten.

Jetzt schaue ich von unten nach oben, suche nach einem Flugzeug, kann aber keins entdecken. Ich erzähle Jutta, was gerade in mir vorgeht, sie saß ja 2011 im selben Flieger neben mir. Es ist ein melancholisches Gefühl und irgendwie fühlt es sich an, als wäre es gestern gewesen, als ich im KLM Flieger saß und von oben hier runter schaute.

Wir fahren in die Berge und die Ausblicke werden schöner. Einer Kurve nach der anderen, dann geht es wieder runter. So geht es eine ganze Weile, rauf und wieder runter. Ich glaube, dass Kalifornien der schönste Bundesstaat von allen ist. Und endlich sind wir da. Angekommen! Die Berge bleiben langsam hinter uns zurück und vor uns wird es etwas flacher.

Vereinzelt sehen wir in den Bergausläufern andere Camper stehen. Mitten in der Wüste. Es ist aber auch traumhaft schön hier. Dann werden es immer mehr Camper, alle weit auseinander. Aber teilweise sind es auch kleine Ansammlungen von Caravans, großen Bussen oder normalen Wohnmobilen.

Wir kommen ins Grübeln, ob wir nicht auch eine Nacht hier verbringen sollen. Es geht schon seit einigen Meilen so, immer wieder stehen andere Leute nicht weit von der Straße in der wundervollen Natur. Manche sehen zu uns rüber und winken. Wir sind total unentschlossen und können uns nicht entscheiden, was wir tun sollen. Eigentlich war der Plan heute Abend im Joshua Tree N. P. zu stehen. Aber es wäre bei weitem nicht das erste Mal, dass wir einen Plan verwerfen oder ändern.

Leider bekommen wir es nicht hin uns klar zu entscheiden, so dass wir einfach weiter fahren. Ist ja irgendwie auch eine Entscheidung, aber eine unbefriedigende.

Hier gab es damals Treibstoff zu kaufen…

Ich werfe mal einen Blick auf die Tankanzeige und bekomme einen kleinen Schreck. Die Tanknadel ist schon recht weit nach links gewandert.

Ich sage etwas beiläufig zu Jutta: „Lange keine Tankstelle gesehen, wah?“ „Ja stimmt!“, sagt sie, „ich gucke mal, wann und wo die Nächste kommt. Wie weit kannst du noch fahren?“

Ich wechsel auf dem Display von der Geschwindigkeitsanzeige zum Verbrauch und weiter zur Restreichweite. „Noch knapp 100 Meilen.“, sage ich. „Oh gut.“, sagt sie, „da kommt gleich Eine, nicht mehr weit!“

Wir sehen die Tankstelle schon von weitem, doch als ich mich soweit nähere, dass ich die Preise in großen leuchtenden Zahlen auf der Anzeigetafel erkennen kann, da glaube ich erneut, ich spinne. Die Gallone Diesel kostet hier 7,89 $. Ich fahre an der Tankstelle vorbei und hoffe auf die Nächste.

„Kannst du bitte mal gucken wann und wo die nächste Tankstelle kommt?“, frage ich Jutta. Sie macht sich sofort ran auf MapsMe zu gucken, Internet hat sie hier schon lange nicht mehr. Sie sagt, dass in 30 Meilen eine kommen muss. Die zeigt auch unser TomTom Navi an. Weiter geht es und die Tanknadel bleibt auch nicht stehen, sie neigt sich weiter nach links, immer weiter an den roten Bereich heran.

Die Sonne geht langsam unter und färbt den Himmel über den weit entfernten Bergketten leuchtend orange. Da sehe ich plötzlich eine Tankstelle in einiger Entfernung. Ist das etwa eine Fata Morgana? Wir sind doch noch keine 30 Meilen gefahren?

…irgendwo im nirgendwo…

An dieser Tankstelle gibt es kein Benzin und kein Diesel. Die Zapfsäulen, die hier mal waren sind nicht mehr da. Jetzt gibt es bloß noch Schuhe. Überall sind abgetragene Treter angebunden. Oben an der Überdachung hängen sie paarweise und auch einzeln. Sogar an der trockenen Palme vor der verlassenen Tankstelle hängen Schuhe. Manche wurden wohl einfach an den Schnürsenkeln zusammengebunden und dann hoch geworfen. Auf dem Boden verteilt sind auch welche. Wieder mal ein ganz kurioses Bild, irgendwie schräg.

Schuhtankstelle

Jutta ruft schon nach mir und sie hat recht, wir wollen weiter zu einer Tankstelle, die mehr zu bieten hat als nur alte Treter.

Die benötigte Tankstelle müsste jeden Augenblick auftauchen, wir sind die 30 Meilen gefahren. Auch auf dem TomTom wird sie unmittelbar bevorstehend angezeigt. Aber wir sehen nichts. Hier ist weit und breit gar nichts. Jetzt liegt sie auf dem Navi bereits hinter uns. Langsam werde sogar ich unruhig. „So ein Scheiß!“, sage ich. Hier gibt es keine Tankstelle.

Noch könnten wir umdrehen und zu der Tankstelle zurück fahren, wo sie die Gallone für fast 8 Dollar verkaufen. Noch ist der „Point Of No Return“ nicht erreicht. Noch nicht!

Jutta schaut bei MapsMe und sucht nach der nächsten Tankstelle. Es kommen noch zwei große Kreuzungen, dort gab es doch immer welche. Was ist denn bloß los hier? Sie findet eine am Highway, aber bis dorthin ist es noch ein ganzes Stück zu fahren. Wenn vorher nichts kommt, dann könnte es echt knapp werden, aber wir wollen es wagen. Wir entscheiden uns weiter zu fahren.

Mojave Desert

Letztendlich bin ich es, der die Verantwortung trägt, ich bin der Fahrer und damit verantwortlich alles im Blick zu haben, einschließlich der Tankfüllung. Ich beruhige mich etwas und sage mir, mit den 60 Meilen Restreichweite müsste es doch mit dem Teufel zu gehen, sollten wir keine Tankstelle mehr erreichen. Das sind immerhin ungefähr 100 Kilometer, die wir noch fahren können. Optimistisch fahre ich weiter. Wo in Europa muss ich so weit fahren, um eine Tankstelle zu erreichen?

Doch mein Optimismus verlässt mich genau so schnell, wie die Tanknadel auf den roten Bereich zu rast. „Wie weit kommen wir noch?“ Diese Frage bekomme ich nun in sehr regelmäßigen Abständen gestellt.

Ich habe das Display mit der Restreichweite jetzt ständig im Blick. Ich wechsel nicht mehr auf die digitale Geschwindigkeitsanzeige. Das wird mir ja analog noch angezeigt.

„Noch 36 Meilen.“, sage ich.

Inzwischen gab es auch den Warnton und die gelbe Anzeige im Cockpit, dass ich doch nach Möglichkeit tanken sollte. Würde ich auch liebend gerne du bescheuerte Warnleuchte, aber es gibt hier nicht eine einzige beschissene Tankstelle. Soll die scheiß Gallone doch verfickte 10 Dollar kosten, ich zahle es ja!

„Wie weit kommen wir noch?“, will Jutta wissen. „Noch 27 Meilen sagt der Bordcomputer.“ Wie weit müssen wir noch fahren bis zu dieser großen Kreuzung am Highway?“

Wir haben uns abgeschminkt, dass vorher etwas kommt. Der Traum ist ausgeträumt. Das war nur Wunschdenken und der blöde Optimist hat sich wohl verrechnet. Du Vollidiot, denke ich, zweimal hättest du tanken können. Zuerst in Kingman und danach an dieser wundervollen Tankstelle mitten im Nirgendwo. Wer ist denn so bescheuert und fährt in der Wüste an einer Tankstelle vorbei???

Und warum zum Teufel sind die beiden Reservekanister leer? 40 Liter könnten da hinten am Heck sein, aber nein, zu viel Gewicht heißt es dann.

Scheiße Scheiße Scheiße…

„Noch 35 Meilen!“, sagt Jutta mit gerunzelter Stirn.

Weit und breit ist nichts. Es wird immer dunkler und seit einer Ewigkeit haben wir kein anderes Auto mehr gesehen.

„Was machen wir, wenn wir liegenbleiben?“, fragt Jutta. „Wir bleiben nicht liegen!“ „Wie weit kommen wir noch?“ „Noch 8 Meilen.“

Es scheint so, als wollen wir nicht nur Sprit sparen (Ich fahre im Eco Modus und halte die Drehzahl im optimalen Bereich), sondern als wollen wir auch an Worten sparen. Die Sätze werden knapper und nur das Nötigste wird gesprochen. Die Anspannung steigt.

Die Fahrt geht weiter.

Jetzt frage ich zuerst. „Wie weit müssen wir noch?“ Jutta antwortet. „Noch 6 Meilen.“ „Wie weit kommen wir noch?“ „Restreichweite 0!“

In 6 Meilen sollte es also eine Tankstelle geben. Das werden wir wohl noch schaffen, ich werde wieder optimistischer. Es ist bereits stockdunkel und wir nähern uns einer größeren Kreuzung, an der eine Gas Station verzeichnet ist. Hoffentlich haben die dort auch Diesel, das ist in Amerika nicht selbstverständlich an den Tankstellen. Die meisten PKW fahren mit Benzin und es sind vor allem die LKWs, die Diesel benötigen.

Die Tanknadel ist im roten Bereich, aber noch nicht ganz am Ende angelangt. Desert Center, wir kommen!

Desert Center

„Wie weit noch?“, frage ich wieder. „Nur noch 2 Meilen!“

Wir sehen im Dunkel einige Lichter leuchten. Als wir näher kommen identifizieren wir sie als die Frontscheinwerfer einiger LKWs. Und dann sehen wir die Tankstelle….

Wie weit kann man wohl noch fahren, wenn der Bordcomputer „Restreichweite 0“ anzeigt? Das ist eine sehr interessante Frage und ich will das eigentlich nicht selber herausfinden müssen. Und wie konnte es überhaupt so weit kommen, wenn man einen 140 Liter großen Dieseltank hat? Mit einem vollen Tank und einem durchschnittlichen Verbrauch von ca. 12,5 Litern pro 100 Kilometer haben wir eine Reichweite von knapp 1000 Kilometern. Und wenn dann noch die beiden Reservekanister mit je 20 Liter betankt sind, dann haben wir 180 Liter an Bord und eine Reichweite von etwa 1350 Kilometern. Da sollte es doch möglich sein nicht mitten in der Wüste zu stranden. Aber leider sind die Reservekanister leer und weiß der Teufel, wieviel Diesel noch im großen Lone Ranger Tank ist.

Wir rollen über Sand auf die Tankstelle zu. Es ist alles dunkel. Die Zapfsäulen sind verrottet und die Scheiben sind zertrümmert. Hier sind schon lange keine Dollars mehr für Benzin über den Tresen gegangen und haben den Besitzer gewechselt. Nein, nicht hier in Desert Center. Irgendwie passt dieser Name perfekt zu diesem Ort. Wir sind in einer Ghost Town gestrandet.

Tankstelle? Fehlanzeige!

Die wenigen Gebäude in dieser staubigen und dreckigen Wüste sind verlassen und verfallen langsam. Das erkenne ich durch das dürftige Licht unseres Rangers.

Ich habe einen Entschluss gefasst. Aber vorher wagen wir einen letzten verzweifelten Versuch doch noch an Diesel zu kommen. Hier stehen einige LKWs mit laufendem Motor, so als wollten sie gleich noch los fahren, durch die Nacht. Ich frage Jutta, ob sie nicht mal einen der Trucker fragen mag, ob er uns eine oder zwei Gallonen verkaufen könnte.

Ich halte direkt neben der riesigen Fahrerkabine und Jutta steigt aus und fragt den Mann, der hoch über ihr sitzt bei geöffnetem Fenster. Ich höre trotz runtergefahrener Scheibe nicht was gesprochen wird, zu laut brummt der Motor der fetten Maschine im LKW, aber hoffe das Beste. Fehlanzeige.

Ich fahre noch bei zwei anderen Trucks vorbei und Jutta fragt nach Diesel gegen Bargeld, dann geben wir auf. Sie haben keine Reservekanister dabei, heißt es. Und sie können uns ja nichts aus ihrem Tank abzapfen. Wahrscheinlich denken sie sich alle: „Diese blöden Touristen, fahren hier in die Wüste und haben kein Geld zum Tanken oder wollen sich bei den explodierten Preisen billig Sprit schnorren.“

Jetzt steht mein Entschluss endgültig fest. Wir bleiben die Nacht über hier stehen. Ich habe absolut keinen Bock mehr und ich riskiere es nicht auf den Highway zu fahren, wo noch einiges an Verkehr sein dürfte, um dann mitten in der Nacht an einer stark befahrenen Straße liegen zu bleiben.

Jutta ist sofort damit einverstanden und ich suche eine etwas ruhigere Ecke. Etwas weiter weg von den laufenden und dröhnenden LKW-Motoren.

„Morgen früh sieht die Welt schon wieder anders aus!“, sage ich, um Jutta und mich selber etwas aufzumuntern.

Into the desert, without Diesel

Wir sind gestrandet in Desert Center, am Arsch der Welt, in einer ausgestorbenen Geisterstadt. Nur einige LKW Fahrer geistern hier noch rum. Das liegt an der Nähe zum Freeway oder ist es die Interstate? Ich habe keine Ahnung mehr und will es auch nicht wissen. Ich will nur noch schlafen und morgen aus diesem Albtraum erwachen.

Hey guten Morgen Schatz, das duftet ja lecker nach Kaffee. Mmhh, da hast du dich aber mal wieder selbst übertroffen. Und wie schön der gedeckte Frühstückstisch aussieht. Wow, frisch gepresster Orangensaft! Soll ich uns schnell ein paar Eier in die Pfanne hauen, was meinst du?“

Ach übrigens, wie voll ist eigentlich der Tank? Fast bis zum Überlaufen sagst du? Geht kein Tropfen mehr rein? Na das ist doch super, dann können wir ja gleich ganz entspannt starten, wenn wir dieses köstliche Breakfast in Amerika verdrückt haben.“

Jutta hat ein bisschen Netz hier, wir sind der Zivilisation etwas näher gekommen. In ungefähr 20 Meilen auf dem Highway gibt es eine Tankstelle, sagt Google. Außerdem findet sie einen „Mann für alle Fälle“. Der bietet im Netz einen Benzinbringdienst an. Wir scheinen also nicht die Einzigen zu sein, denen hier der Sprit ausgeht. Die Rezensionen machen aber klar, dass er sich das sehr teuer bezahlen lässt. Also versuchen wir es erstmal so.

Wir frühstücken ohne frisch gepressten Orangensaft und ohne Rührei, aber trotzdem lecker und mit köstlichem, wohlduftenden Kaffee.

Die Welt sieht tatsächlich heute morgen schon ganz anders aus. Desert Center hat sogar Charme bei Sonnenschein. Ich bin ja während unserer Reise ein kleiner Fan geworden von Lost Places.

Desert Center

Außerdem habe ich mir in der Nacht überlegt, wenn wir jetzt am Tag am Freeway liegen bleiben, dann ist es Erstens nicht so schlimm, weil ja Tag ist und wir gut zu sehen sind von den vorbeidonnernden Trucks. Und Zweitens hole ich dann die beiden Bikes vom Träger runter und wir fahren mit den Rädern zur Tankstelle, füllen dort die Reservekanister und radeln zurück zum Auto. Und wenn es 20 Meilen sind, dann sind es eben 20 Meilen. Scheißegal.

Jutta hatte ganz ähnliche Gedanken in der Nacht und sie ist heute morgen genau so entspannt wie ich es bin. Kein Vergleich mehr zu gestern. Obwohl wir auch da relativ gut funktioniert und harmoniert haben, trotz der Stresssituation. Ein eingespieltes THE WÖRLD IS YOURS Team eben.

Ghost Town

Nach einem kleinen Spaziergang durch Desert Center wagen wir uns auf den Freeway.

Anzeige im Bordcomputer unverändert: „Restreichweite 0!“ 6 Meilen bin ich bereits gefahren mit dieser Anzeige auf dem Display, ca. 20 Meilen liegen jetzt vor uns.

„Fahr bitte sparsam!“, sagt Jutta. „Geht klar.“, sage ich.

Die Tanknadel bewegt sich weiter nach links, kommt dem Ende des roten Bereichs immer näher. Hinter dem roten Bereich ist es schwarz. Tiefes, abgründiges Schwarz. Vanta Black. Da soll sie nicht rein gehen, bitte nicht, nur noch ein paar Meilen…., komm schon LEMMY, komm alter Junge, halt durch…..

Wenn wir wandern und der Weg beschwerlich wird und steil nach oben geht oder auch bei anstrengenden Treppenaufstiegen, dann sage ich immer, um uns zu motivieren: „Nur noch 10 Schritte, dann haben wir es geschafft.“ Und das wiederhole ich auch gerne von Zeit zu Zeit, denn es hilft mir wirklich. „Nur noch 10 Schritte!“

Ich habe diese Worte von Joe Simpson geklaut, na ja oder er hat mich inspiriert dazu, denn ihm haben diese Worte das Leben gerettet. Er ist bei einer Kletterexpedition (Buch und Dokumentarfilm „Sturz ins Leere“) in den peruanischen Anden verunglückt und extrem schwer verletzt, hat er sich mit genau diesen Worte zurückgekämpft in die Zivilisation und überlebt. „Nur noch 10 Schritte….“

15 Meilen haben wir schon geschafft. Nur noch 5 Meilen, dann kommt die rettende Oase. Das Wasserloch. Dort soll der Diesel sprudeln und die Palmen blühen. Komm schon LEMMY,….halt durch….., nur noch 10 Schritte…

Die Tanknadel gelangt an das Ende des roten Bereichs. Vanta Black ist der Abgrund in den sie jeden Augenblick abzurutschen droht. Da sehe ich die großen Reklametafeln einer Tankstelle. Halt durch LEMMY, enttäusche uns jetzt nicht, komm schon, good boy…. Ich streichele zärtlich über die Konsole.

Der Motor läuft noch als ich bereits an der Zapfsäule stehe. DIESEL steht dort in großen Buchstaben aufgedruckt. Die Tankstelle ist in gutem Zustand, keine zerbrochenen Scheiben, innen brennt Licht und Leute gehen ein und aus. Andere Menschen tanken ihre Autos voll. Es gibt reichlich Benzin, Diesel, Propane und alles was das Herz begehrt.

Ich stoppe den Motor, setze Bordcomputer A zurück auf Null, steige aus und tanke voll.

DIESEL

36,7 Gallonen Diesel sehe ich auf dem Display der Zapfsäule, das sind exakt 139,2 Liter. Das bedeutet, wir sind mit einem kläglichen Rest von 0,8 Litern Diesel im Tank hier vorgefahren.

In mir kommen Gedanken hoch, was ich wohl dem Sheriff sagen würde, wären wir am Highway liegengeblieben und er würde mich fragen, wie es dazu kommen konnte, wenn ich doch hinten zwei große Reservekanister am Auto habe?

Na was sollte ich dem dann schon sagen?

„Mit Verlaub, Sir, können Sie denn nicht lesen, auf dem linken Reservekanister steht GIN und auf dem rechten Kanister steht TONIC!“

Noch Fragen?

….und was als nächstes geschieht…

CHAPTER VII – CALIFORNICATION, VOM ATLANTIK ZUM PAZIFIK, EINMAL QUER DURCH DIE USA, IN DIE STADT DER ENGEL

…und wie wir in LOS ANGELES in Lemmy Kilmisters Stammkneipe den Rock ‚N‘ Roll spüren und in West Hollywood an Johnny Ramones Grab stehen….

CHAPTER 19 – Durch Texas nach New Mexico

… von extraterrestrischem Leben in Roswell und einer UFO Sichtung über Santa Fe

Wir rollen über texanischen Asphalt und es regnet. Ich wünschte, ich könnte es mit Sailors Worten sagen, die er zu Lula spricht. Lula fährt gerade den Wagen im Lynch Film „Wild At Heart“ und Sailor sagt grinsend vom Beifahrersitz ihr zugewandt: „Gib Gummi Baby, du bist heißer als der Asphalt von Georgia!“

Aber jetzt fährt keine Lula. Ich sitze am Steuer und heiß ist der Asphalt auch nicht. Außerdem sind wir nicht mehr in Georgia, sondern in Texas. Es ist der 25. Februar 2022.

Unser Ziel ist der Garner State Park. Da die Strecke zu weit ist um durchzufahren, übernachten wir in Baytown, kurz vor Houston.

Santa Fe Graffiti

Es gibt auch wieder etwas zu diskutieren. Nach dem intensiven Erlebnis auf der Whitney Plantage kommen wir erst am Nachmittag richtig los. Ich möchte nun aber mit nur einer Zwischenübernachtung den Garner State Park erreichen. Das wird aber sehr schwierig, wenn wir heute keinen langen Fahrtag machen. Jutta mag es allerdings nicht so gerne, wenn wir spät irgendwo ankommen. Ich sage: „Es ist doch ganz egal, um welche Uhrzeit wir den Zwischenstopp einlegen und finden werden wir immer etwas. Wir sind hier nicht mehr in der Türkei oder in Georgien, wo man damit rechnen muss, dass unbeleuchtete Fahrzeuge nachts unterwegs sind oder sich unvermutet riesige Schlaglöcher auftun.“

Sie lässt sich darauf ein und wir fahren erstmal auf unbestimmte Zeit weiter.

Es stellt sich sogar als sehr angenehm heraus am Abend zu fahren. Erstens ist viel weniger Verkehr um die Ballungsgebiete herum und zweitens ist eine sehr angenehme Stimmung im Auto, wenn draußen alles dunkel wird und im Radio nette Musik läuft. Wir unterhalten uns gut und haben eine gemütliche Fahrt durch das nächtliche Texas.

In Baytown ist dann aber auch gut mit Fahren und am nächsten Tag sollten wir den Garner State Park erreichen.

Nach Houston wollte ich immer schon. Da gibt es in Downtown eine ganz besondere öffentliche Toilette. Die habe ich mal irgendwo abgebildet gesehen. Das wäre eine tolle Ergänzung für meine Klofotosammlung in unserem Gäste-WC im Waterhole. Diese Public Toilet ist ein Quader und besteht komplett aus verspiegeltem Glas. Das Verrückte daran ist, dass man von Innen ALLES sieht, was außen um Einen herum geschieht. Was das wohl für ein Gefühl ist? Dort sein Geschäft zu erledigen, während draußen evtl. jemand seine Frisur im Spiegel überprüft und genau zu dir schaut. Das habe ich mich immer schon gefragt. Leider finde ich keinen einzigen Eintrag im Internet, wo der genaue Standort dieser Toilette ist und Jutta will sowieso weiter in den State Park.

Da ich nicht besonders motiviert an die Sache gehe, bleibt das Ergebnis negativ und wir fahren an Houston vorbei.

Pueblo Architektur

In Texas dürfen wir schneller fahren, als in allen anderen Bundesstaaten zuvor. Vielleicht noch ein Wildwestüberbleibsel? Wir lassen Houston hinter uns. Auf dem stark befahrenen 6-spurigen Highway wird gerade ein LKW abgeschleppt. Er ist direkt vor uns. Aber da er rückwärts gezogen wird, glotzt er mich böse an mit seinen runden gelben Augen und das riesige, verchromte Kühlergrill sieht aus, als wären es fletschende Zähne. Ein beängstigender Gedanke, wenn so ein Ungetüm plötzlich auf dich zurast. Ich gehe ein wenig vom Gas und lasse den Abstand zwischen uns etwas größer werden.

Jutta fragt: „Hat Earl sich eigentlich mal wieder gemeldet?“

Earl ist ein Cousin von mir, von dem ich noch nicht allzulange weiß, geschweige denn, dass wir Cousins sind. Er hat mir vor Jahren schon eine Freundschaftsanfrage auf Facebook geschickt und hin und wieder hat er was von mir geliked oder auch mal kommentiert. Wenn ich z. B. gepostet habe, dass ich in Hamburg auf einem Konzert bin oder so. Er heißt Earl Godt und lebt in Washington, auf Vashon Island, nicht weit von Seattle entfernt. Seit unserer THE WÖRLD IS YOURS TOUR nimmt er regen Anteil und folgt mit großem Interesse unserer Reise. Besonders allerdings, seit wir mit dem Flugzeug nach Kanada geflogen sind und LEMMY mit dem Containerschiff nach Halifax geschickt haben. Earl ist tagtäglich mit dabei und ich freue mich über sein Interesse. Als wir an Portland vorbei gefahren sind, hat er mich angeschrieben und gefragt, ob wir bei Portland/Maine sind oder bei Portland/Oregon? Er wohnt nicht weit weg von Portland/Oregon und wir seien jederzeit herzlich willkommen. Ich bin mir ganz sicher, er wusste ganz genau, dass wir bei Portland/Maine waren, an der Ostküste. Aber er wollte die Gelegenheit nutzen eine indirekte Einladung auszusprechen.

Ich schrieb ihm also zurück, dass wir in Maine sind, aber im weiteren Verlauf unserer Tour nach Oregon an die Westküste kommen und auch nach Washington. Er bekräftigte seine Einladung und ich nahm dankend an.

„Ja, hat er.“, sage ich. „Er schreibt, dass er im April für eine Woche auf Hawaii ist. Er fliegt mit seiner Frau zu deren Schwester. Vom 15. bis zum 22. April sind sie nicht Zuhause. Davor und danach können wir jederzeit kommen.“

Seit wir New Orleans und Louisiana verlassen haben (the German Coast, wie es damals zu Zeiten des Sklavenhandels hieß), hat uns der Frühling eingeholt. Nach subtropischen Temperaturen auf den Keys und in den Everglades und nach einem kurzen Sommer in NOLA ist es merklich kühler geworden, seit wir durch Texas fahren. Wir erleben jetzt zum zweiten Mal in diesem Jahr den Frühlingsanfang. Gar nicht schlecht, könnte man denken, wenn das Jahr gerade erst begonnen hat und wir noch Februar haben. Aber der Frühling wird auf unserer weiteren Tour immer wieder von vorne beginnen. Und wenn wir denken, jetzt ist er endgültig vorbei und der Sommer startet durch, dann kommt er wieder um die Ecke. Wieder und wieder und wieder…

Lunchpause machen wir am Highway. Es wird schon immer gut lesbar vorher auf großen Schildern dafür geworben, was die nächste Abfahrt alles zu bieten hat: Taco Bell, A&W, Dunkin Donut, Gas & Diesel usw.

Roswell

Wir gehen in einen großen Tankstellenshop, der keine Wünsche offen lässt. T-Shirts, Kampfmesser, Souvenirs und selbstverständlich auch was das Autofahrerherz und den Trucker erfreut. Sogar eine Buffettheke mit warmen Gerichten gibt es. Ich wähle das Crispy Chicken, einmal spicy und einmal regular. Jutta isst immer öfter vegetarisch seit wir in Nordamerika angekommen sind. Nicht 100 % konsequent, aber doch viel mehr als ich ursprünglich geglaubt habe. Entsprechend fällt ihre Wahl hier aus. Wir nehmen alles mit und essen im Auto. Dann geht es weiter, vorbei an San Antonio in Richtung El Paso. Doch lange vor El Paso kommen wir im weitläufigen Garner State Park an. Da dieser Park wirklich riesig ist, können wir ohne Problem einchecken und für drei Tage bleiben. Er ist nicht jetzt schon komplett ausgebucht, hier scheint die Saison später zu starten. Wir entscheiden uns für eine geräumige Campsite nah am Fluss. Ein Bündel Feuerholz wird noch mitgenommen und drei Tage Natur pur stehen an.

Zuerst gibt es Kaffee. Je nach der Uhrzeit, wann man irgendwo ankommt, variiert meine Wahl. Hier und heute finde ich es noch zu früh, um mir ein Bier aufzumachen. Dafür ist noch reichlich Zeit. Jetzt wollen wir uns erst mal akklimatisieren. Von der Größe des State Parks konnten wir uns schon beim Reinfahren überzeugen. Die Nachbarn um uns herum sind alle weit weg, keine anderen Camper sind in unmittelbarer Nähe. Ich bereite das Lagerfeuer vor und sammle noch kleine Äste und Zweige als Starthilfe, Grillanzünder brauche ich nicht. Größere Holzstücke, die lose rumliegen nehme ich auch gerne mit. Eine Axt und eine kleine Säge habe ich dabei, um sie lagerfeuertauglich zu bearbeiten. Ich bekomme noch den Auftrag eine Wäscheleine zu spannen, Jutta hat Wäsche gemacht. Nach dem Kaffee in unserem neuen Camp machen wir noch einen kleinen Spaziergang runter zum Frio River und zu einem nahegelegenen Aussichtspunkt. Den Trail auf den Berg und durch den Wald verschieben wir auf morgen. Den Abend lassen wir gemütlich am Lagerfeuer ausklingen. Dazu gibt es einige kleine Biere, bevor wir glücklich und erschöpft zu Bett gehen.

…just arrived, Garner State Park

Der nächste Tag beginnt nicht so toll. Wir erfahren was in der Ukraine los ist und sind entsetzt. Putin hat seine russischen Truppen in den Krieg geschickt. Das macht uns besorgt und betroffen zugleich. Wir erkundigen uns bei unseren Nachbarn Olha und Carsten, wie es ihnen geht und besonders Olhas Eltern, die in der Ukraine leben.

Olha hat große Angst um ihre Eltern und es geht allen sehr schlecht mit der Situation. Die Eltern leben in Sumy und dieses Gebiet ist besonders betroffen. Noch gibt es leider keine Fluchtkorridore, doch Olha ist fest entschlossen, ihre Eltern sobald es geht, aus dem Krisengebiet rauszuholen. Jutta und ich sind uns sofort einig und bieten unser Haus als Unterkunft an. Ohla lehnt zunächst mal ab. Da kann man später immer noch drüber nachdenken, wenn sie erst mal sicher in Deutschland angekommen sind. Wenigstens kann sie täglich mit der Mutter telefonieren, ihr Anbieter übernimmt die kompletten Kosten für alle Anrufe in die Ukraine.

Wir versuchen das alles so gut es geht auszublenden und fühlen uns hilflos. Mit Bauchschmerzen starten wir in den Tag.

Auf Facebook sehe ich immer mehr Ukraine Flaggen auf den Profilbildern und lasse mich inspirieren, ein Foto, das ich hier im Park aufgenommen habe, zu bearbeiten. Das Motiv ist ein blauer Himmel über trockenem, beigem Gras und vertrockneten Büschen. Ich verstärke die Intensität der Farben so stark, dass mein Bild wie die Ukraine Flagge aussieht. Oben blau und unten gelb.

Uns erreichen auch diverse Nachrichten aus Deutschland, wir sollen froh sein, dass wir so weit weg sind. Froh macht es mich allerdings nicht, (in der Situation) weit weg zu sein. Aber vielleicht es ist tatsächlich einfacher für uns, das alles etwas aus unserem Kopf zu verdrängen, beiseite zu schieben. So wie wir bzw. ich es schon bei Corona gemacht habe. Ich, der Meister des Verdrängens, kann das.

Wenigsten kurzzeitig.

Wir machen das Beste draus und gehen wandern. Es gibt einen schönen Trail hier im Park, rauf auf einen Berg, durch Waldgebiet und eine neue Vegetation. Zwischen den Felsen wachsen hier sogar kleine Kakteen, die mich eher an Mexico erinnern als an Texas. Aber ich war zuvor auch noch nicht in Texas.

Texas Flora

Bisweilen ist es etwas beschwerlich, weil es steil nach oben geht, aber Jutta hat ihre Wanderstöcke dabei. Kurze Passagen müssen dann auch schon mal geklettert werden und oben am Berg ist sogar eine kleine Höhle, die ich mir auch von innen anschaue. Jutta lässt sich berichten wie es war. Auf solche Kletter-Exkursionen hat sie keine Lust, wenn sie sich vermeiden lassen. Der Rundumblick von ganz oben ist schon toll. Wir sehen, wie sich der Fluss durch das Tal schlängelt und wie der Frühling den Winter verdrängt. Die anderen Camper sind zwischen den Bäumen da unten kaum zu sehen. Auch LEMMY ist verdeckt unter einem Blätterdach, aber die Campsite können wir von hier oben ungefähr ausmachen.

Wie immer vergehen die Tage schnell. Ich arbeite an meinem Blog und bin mittlerweile bei der Rückreise aus Georgien durch die Türkei, Bulgarien, Rumänien usw. angekommen, auf der Rückreise ins Waterhole. Leider konnte ich noch immer nicht aufholen und etwas tagesaktueller schreiben. Mehr als zwei Chapter pro Monat werde ich kaum schaffen, aber egal. Dann ist es eben so. Es soll ja auch keinen Stress bereiten, sondern Spaß machen. Und das tut es, es macht Spaß, besonders an Orten wie Diesem. Für die drei Tage haben wir alles was wir brauchen vorher eingekauft. Es gibt eine Feuerstelle direkt am Platz, in der Nähe ist ein Fluss. Das inspiriert mich und ich schreibe bereits am Tag und dann noch die Nacht durch. So kann ich auch den Scheiß, der in Europa passiert, ein wenig vergessen.

Coffee & Cookies

Unseren Nachmittagskaffee genießen wir am Frio River. Dazu nehmen wir die kleinen Stühle mit, ein kleines Beistelltischchen, das eigentlich ein Klapphocker ist, die Kaffeemugs und ein paar Kekse. Das Wasser ist kristallklar, aber eiskalt. Die Bäume vom gegenüberliegenden Ufer spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Wir planen grob, wie es weiter gehen soll. Der nächste Halt wird in Roswell sein und von dort wollen wir nach Santa Fe weiter fahren. Das heißt, morgen werden wir Texas verlassen und New Mexico erreichen.

„Wenn wir morgen wieder auf der Straße sind, müssen wir dringend tanken!“, sage ich zu Jutta.

somewhere in Texas
Diesel für LEMMY

Mit vollem Tank und einer ungefähren Reichweite von mehr als 900 Kilometern fahren wir über endlose und wenig befahrene Highways. In New Mexico ändert sich die Landschaft langsam und fließend zu immer mehr Steppe. Die Bäume und Felder aus Texas weichen einer wüstenartigen, unendlichen Weite. Die Sonne strahlt von einem blauen Himmel auf uns herab und vom Stick läuft Tito & Tarantula/After Dark, besser geht es nicht.

Doch, es geht noch besser. Je nach Windrichtung rollen immer wieder diese runden, vertrockneten Grasballen (Tumbleweed, Steppenläufer) über die Straße, mal von links, dann wieder von rechts. Wir sind in unserem eigenen Roadmovie, mit einem geilen Soundtrack unterwegs in New Mexico. Perfekt wird das ganze Bild, als die Sonne untergeht und sich ein rot glühendes Band zwischen Himmel und Erde schiebt. Dafür muss ich dann auch mal kurz anhalten, um ein Foto zu schießen.

New Mexico

Wir genießen die Einsamkeit und diese Weite, denn über Stunden kommt nicht eine Ortschaft in unser Sichtfeld, nicht eine Tankstelle. Nur ein paar Trucks begegnen uns gelegentlich oder auch mal ein Pickup.

Erst am Abend kommen wir in Roswell an, es ist bereits total dunkel. Wir suchen nur noch unseren Overnight Stellplatz an einem Einkaufscenter auf und verschieben alles Weitere auf morgen.

Das Roswell „Welcome Sign“ ist natürlich ein „Must Do“ für mich. Das erledigen wir als Erstes. Wir fahren durch den Ort und alles, wirklich alles ist im Zeichen der Aliens. Jeder Laden hat etwas mit extraterrestrischem Leben zu tun. Jedes Geschäft hat einen Außerirdischen vor der Tür oder ein entsprechend dekoriertes Schaufenster. Die Straßenlaternen sind designt wie die Köpfe von Aliens und McDonalds sieht aus wie eine fliegende Untertasse.

McFlight?

An vielen Gebäuden befinden sich bunte Graffiti mit Raumschiffen und Weltraummotiven. Auch der „Roswell-Vorfall“ ist als Graffiti an die Wand gesprüht. Was genau der „Roswell-Vorfall“ ist, das erfahren wir im Museum. In das Museum gehen wir auf jeden Fall, bevor wir heute noch weiter fahren nach Santa Fe. Aber erst muss ich meine Fotos vom „Welcome Sign“ machen. Der Einfachheit halber und damit wir hier nicht ein zweites Mal herfahren müssen, mache ich gleich alle Bilder auf einmal. Also das Roswell „Welcome Sign“ von vorne und dann noch das Roswell „Goodbye Sign“, das sich praktischerweise auf der Rückseite befindet und nicht etwa am Ortsausgang.

UFO Hauptstadt

Im Museum erfahren wir was sich damals, im Jahr 1947, auf einer Farm abgespielt hat und was als so genannter „Roswell-Vorfall“ gilt. Bevor wir hinein gehen, lasse ich mich von Jutta zwischen zwei Aliens in der Wüstenkulisse fotografieren.

Meine neuen Cousins Laurel & Hardy

Earl wird dieses Foto später auf Facebook kommentieren. „Sind das deine neuen Freunde?“ Er setzt einen lachenden Smiley dahinter.

Und ich werde antworten: „Nein, das sind meine beiden neuen Cousins Laurel und Hardy!“ Auch ich füge einen Smiley hinten an.

Wir gehen hinein und stellen sehr schnell fest, was wir selbstverständlich vorher schon wussten. Hier ist vieles nicht ganz ernst gemeint. Dieses Museum ist zur Unterhaltung da und das funktioniert auch ganz gut, nicht nur bei den Kleinen. Natürlich klärt es auch auf und widerlegt die Verschwörungstheorien.

Museum Roswell

Es bleiben aber auch Fragen offen, was extraterrestrisches Leben angeht. Beispielsweise gibt es Aufnahmen von uralten Höhlenzeichnungen, auf denen vermeintlich Außerirdische abgebildet werden. Wir sehen auch eine riesige, aus Holz gefertigte Schnitzarbeit der Maya, auf der es so aussieht, als ob dort ein Mayahäuptling in einem Raumschiff sitzt. Er nimmt genau so eine Sitzposition ein, wie es die modernen Astronauten heutzutage tun. Dann kommen wir in einen Laborbereich. Hier werden die Aliens, wie wir sie uns vorstellen, untersucht. Sie liegen auf Pritschen und Ärzte in weißen Kitteln stehen drum herum. Nebenan werden sie in einen Kernspintomografen geschoben und in riesigen Einweggläsern konserviert. So ähnlich, wie wir es vor kurzem im House Of Death in New Orleans gesehen haben.

help me….

Sogar eine Bibliothek gibt es hier. Alles dreht sich um Roswell und außerirdisches Leben, um Ufos und angebliche Sichtungen von unbekannten Flugobjekten. Es gibt Berichte zu lesen von Leuten, die behaupten entführt worden zu sein. Für eine Zeit, so behaupten sie, waren sie an Bord von fremdartigen Raumschiffen und wurden danach unbeschadet nach Hause gebracht. Nichts davon ist jemals bewiesen worden.

Der Roswell-Vorfall

Hier stehen auch Regale mit meterweise weißen Kartons mit blauen Schildern. Hierin befinden sich dieAkten vom „Roswell-Vorfall“.

Es heißt, der Vorfall wurde als „die berühmteste, am gründlichsten untersuchte und am gründlichsten widerlegte Ufobehauptung der Welt“ beschrieben.

Der „Roswell-Vorfall“ ereignete sich 1947 bei einer Ranch in der Nähe von Corona, Lincoln County, New Mexico. (Koordinaten 33°58,1’N 105°14,6’W).

Im Grunde ging es dort um die Bergung von Ballontrümmern durch Offiziere der United States Army Air Forces.

Am 8. Juli 1947 gab Roswell Army Airfield eine Pressemitteilung heraus, in der es hieß, dass sie eine fliegende Scheibe geborgen hätten. Die Armee zog diese Aussage allerdings schnell zurück und sagte stattdessen, dass das abgestürzte Objekt ein herkömmlicher Wetterballon sei.

…ist das außerirdisch?

Erst viele Jahre später, Ende der 1970er tauchte der „Roswell-Vorfall“ wieder auf. Als der mittlerweile pensionierte Oberstleutnant Jesse Marcel mit dem Ufologen Stanton Friedman sprach und ihm erzählte, er glaube, die von ihm gefundenen Trümmer seien außerirdischen Urspungs.

Das war natürlich ein gefundenes Fressen für alle Ufologen und etliche Verschwörungstheorien sind entstanden. Es seien Raumschiffe abgestürzt und das Militär beteilige sich an der Vertuschung.

Noch 1994 veröffentlichte die United States Air Force einen Bericht, indem das abgestürzte Objekt als Atomtest-Überwachungsballon von Projekt Mogul identifiziert wurde.

Ein weiterer Bericht, der 1997 veröffentlicht wurde, erklärte, dass die Geschichten über „Körper von Außerirdischen“ wahrscheinlich von Testdummies stammen, die aus großer Höhe abgeworfen wurden. Nachlesen kann man alles über den „Roswell-Vorfall“ z.B. auf Wikipedia.

Das wir schon in kürzester Zeit selber Zeuge eines unglaublichen Ereignisses werden, davon ahnen wir jetzt noch nichts.

Der Besuch in diesem unterhaltsamen und spannenden Museum hat sich für uns absolut gelohnt. Es war sehr interessant und aufschlussreich. Möge jeder selber für sich entscheiden auf welche Seite man sich stellen will. Zu den Ufologen und Alienfans oder zu den Kritikern und Zweiflern.

Roswell gibt darauf eine eindeutige Antwort: „We Believe!“

Was ist mit Dir? „Do you believe?“

Für uns geht es nun weiter nach Santa Fe. In die Stadt mit den schönen Häusern, gebaut im Pueblo Stil, den ich so mag.

Aber vorher geht es rauf auf die Straße, auf die Interstate und durch traumhafte, einsame, ja menschenleere Wüstenlandschaften. Begleitet wird die Fahrt durch coole Roadmusik von meinem Stick. Mir kommt ein Song in den Sinn, den ich kürzlich gehört habe.

Der Song ist von Johnny Hobo and the Fraight Trains

Und Johnny singt:

And now he’s driving us

100 miles an hour down the interstate

Another beer in his hand

Swearing we won’t be late.

That was before everyone moved to New Mexico.

They all left a couple of month ago

Until the day my friend

When I sleep on the floor of your van again

I’ll be waiting in this parking lot,

And in my dreams , I am dirty broke, beautiful, and free.

My hands clenched in a fist, and my face in a smile,

After hitching to many miles.

So fahren wir dahin, durch diese endlose Weite, down the Interstate, 100 miles an hour…

Campsite in Santa Fe

….bis wir in Santa Fe ankommen.

Wir wählen einen Stadtcampingplatz, der ist relativ zentral und bietet ein gutes Preis/Leistungs- Verhältnis. Auf dem Weg dorthin bekommen wir bereits einen kleinen Eindruck von den im Pueblo Stil erbauten Häusern. Sollte ich mal richtig zu Geld kommen, dann würde ich mein nächstes Haus im Pueblo Stil bauen. Irgendwo an einem Bergsee. Unten am Wasser hätte ich einen kleinen Steg, raus auf den See. Daneben ein Bootshaus mit einem kleinen Motorboot. Im Wohnzimmer müsste ein Kamin sein und ein großes Fenster mit Blick auf den See.

Na ja, ein kleines rollendes Expeditionsmobil mit einem Zimmer, Küche, Bad haben wir ja schon und manchmal stehen wir auch an einem schönen Bergsee damit. Aber jetzt sind wir in Santa Fe, haben uns entschieden diese Stadt in New Mexico anzuschauen. Allerdings erst morgen. Für heute ist es bereits zu spät. Für einen Kaffee ist es allerdings noch nicht zu spät. Das Auto ist geparkt auf unserem Stellplatz und ich breite draußen auf dem dazugehörigen Tisch unsere Landkarten aus. Wir müssen mal wieder einige Entscheidungen treffen, denn es gibt viele Optionen, wie es weiter gehen könnte.

Mit einem frisch gebrühten Kaffee und dem Blick auf die Landkarte überlegen und diskutieren wir, was wir als Nächstes wollen. Jutta ist auf dieser Reise mehr damit beschäftigt im Reiseführer zu lesen, als ich es bin. Das ist bei den vergangenen Reisen eher andersrum gewesen. Ich habe die Reiseführer fast komplett durchgelesen, schon bevor wir in den Flieger oder in das Auto gestiegen sind. Weil ich jetzt aber mental vollkommen auf meinen Blog fokussiert bin, habe ich Jutta gebeten diese Sache zu übernehmen. So kann sie mir auch zu allen möglichen Richtungen was erzählen, was die Entscheidungsfindung aber nicht einfacher gestaltet.

Eine Möglichkeit wäre straight nach Norden zu fahren, Richtung Denver. Auf dem Weg liegt Taos, das wollte ich gerne besuchen. In der Nähe von Taos Pueblo leben die Nachfahren der Anasazi Indianer. Es ist die älteste ununterbrochen bewohnte Siedlung des amerikanischen Kontinents. Die Taos Indianer leben bis heute in den bis zu 800 Jahre alten Pueblos. Das sind mehrstöckige Gebäude in Terrassenbauweise, gebaut aus Lehmziegeln.

Der Great Sand Dunes N. P. und die Royal Gorge ist ebenfalls vor Denver. Leider ist Taos aber für Besucher gesperrt, wegen dem verdammten Virus. Da wir Taos also nicht besuchen können, fällt diese Route bei unserer Wahl durch.

Die nächste Möglichkeit wäre es direkt nach Westen zu fahren, da wollen wir sowieso hin. Los Angeles ist nicht mehr ganz weit weg. Vorher würde aber der Grand Canyon und die alte Route 66 auf dem Programm stehen.

Die dritte Variante, die wir beratschlagen, ist in der Mitte Richtung Nord-Westen.

Wir sehen auf einer unserer Karten ein beeindruckendes Bild von einem Arch, aufgenommen im Arches N. P.. Das Bild ist dermaßen imposant, dass wir uns für den Weg nach Nord-Westen entscheiden in den Arches N. P..

Dann können wir unterwegs noch in Los Alamos Halt machen. Den Grand Canyon und die Historic Route 66 verschieben wir um ein paar Tage nach hinten. Die Kaffeebecher sind geleert und die nächste Etappe steht, Check!

Jetzt darf ich mir auch ein Bier aufmachen.

Am Morgen nach dem Frühstück will ich die Fahrräder vom Gepäckträger holen. Jutta tüdelt drinnen noch rum und ich entferne die Schutzplane von den Bikes. Die Reifen sind alle ok, aber ich kann die Pedalen nicht bewegen. Was ist das denn jetzt? Ich stelle mit Erschrecken fest, dass die Ketten von beiden Rädern vollkommen rostig und steif sind. Ich überlege, wann wir wohl das letzte mal auf den Rädern im Sattel gesessen haben. „In Amerika noch nicht.“, denke ich mir „also wann dann?“ Es muss in Cirali in der Türkei gewesen sein. Ja, ich erinnere mich. Es war etwa Ende November, auf dem tollen Campingplatz in Cirali, wo Güler und Murat immer ihre Sommerferien verbringen. Dort hatte ich die Bikes auch vom Träger geholt, um sie zu waschen und um durch den Ort zu radeln. Das ist jetzt gut drei Monate her. Danach haben wir noch reichlich Staub aufgewirbelt und es gab inzwischen Regen, Schnee und Eis.

Service Point Santa Fe

Wie gut, dass ich noch eine Dose WD 40 dabei habe. Ich sprühe die beiden Fahrradketten gründlich ein und versuche die Pedalen zu bewegen. Geht nicht. Nichts rührt sich. Ich bewege die Glieder mit den Fingern auf und ab, Stück für Stück und versuche so, die Beweglichkeit wieder herzustellen. So arbeite ich mich langsam vor und es wird etwas besser. Jetzt nehme ich meinen Schlauch und schließe ihn am Wasserhahn an, um den gelockerten Dreck aus der Kette zu spülen. Mit größtmöglichem Druck spritze ich das Wasser auf die Kette. Es wird etwas besser. Ich trockne alles ab und beginne mit WD 40 von vorne. Nach mühevoller Fleißarbeit geht es dann ganz gut mit dem Drehen der Pedalen. Zeit für eine Probefahrt über den Campingplatz. Es ruckelt noch und knirscht, aber es wird weniger und ich merke wie das Öl nach und nach seine Wirkung zeigt. Ich sprühe ein weiteres Mal nach, steige wieder auf und verkünde froh im Vorbeifahren: „Kannst raus kommen, wir können gleich los!

Pueblo Style

Mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken und einer Wasserflasche am Bike geht es dann los. Eine leichte Jacke und ein Pulli reicht aus, an diesem sonnigen Tag. Den Weg haben wir uns vorher auf der Karte angesehen. Es geht an einem ausgetrockneten Flussbett entlang. Ein schöner Weg für Fahrräder und Spaziergänger. Um Santa Fe herum sehen wir die großen, zum Teil noch schneebedeckten Berge in der Ferne. Sogar hier liegt im Schatten der Mauern noch Einiges an Schnee.

Snow, in the shadow…

Auf dem Weg ins City Center sehen wir schon einige schöne Pueblo Häuser, viele nette Graffiti an Mauern und Wänden und ausgedörrte Büsche im vertrocknetem Flussbett. Froh über etwas Bewegung auf dem Rad, an so einem wundervollen Tag, kommen wir schließlich in Downtown an. Ein weiteres Fähnchen auf meiner Weltkarte in der Küche vom Waterhole ist gebongt.

Santa Fe umgeben von Bergen

Die Bikes werden an einer Laterne angeschlossen und zu Fuß geht die Erkundung weiter.

Wir befinden uns genau im Zentrum, inmitten eines kleinen quadratischen Parks. Um uns herum sind einige Geschäfte, eine alte Kirche, das Museum of Native Art und auch ein paar Restaurants und Bars. Einige Natives verkaufen hier am Rande des Parks, unter einem Säulengang, ihr Kunsthandwerk. Bevor wir zum Lunch gehen, schauen wir uns etwas um. Was wir dann in der Lunchpause erleben werden, das wird uns und alle Anderen um uns herum, staunend und mit vielen unbeantworteten Fragen zurück lassen.

Santa Fe Church

Zuerst besichtigen wir die kleine Kirche, dann bummeln wir an den Verkaufsständen der Natives vorbei, um danach noch ein wenig durch die Seitenstraßen zu spazieren.

Shopping

In der alten Trading Post vermutet Jutta was zum Stöbern und wir müssen da noch eben rein. Ich bin schnell durch mit dem Sortiment und schaue etwas gelangweilt durch das Schaufenster über die Straße. Da sehe ich eine Bikerbar direkt gegenüber, die mir vorher nicht aufgefallen ist. Ursprünglich wollte ich heute Abend in die „The Matador Bar“, aber die Kneipe gegenüber sieht auch nicht schlecht aus. Jutta ist irgendwann dann durch mit den Artikeln im Trading Post Store und wir sind hungrig und haben Lust auf mexikanisches Essen. Links oben am Park haben wir bereits ein Restaurant entdeckt, das außen eine schöne Terrasse bietet. Denn wir wollen bei dem tollen Wetter nicht drinnen sitzen. Ich wähle die Chicken-Enchiladas und ein großes Modelo Beer. Jutta nimmt die Enchiladas in der vegetarischen Variante und einen frisch gepressten Saft.

…beim Mexicaner um die Ecke…

Das Essen ist vorzüglich und unsere Stimmung ist bestens.

Die Route für die nächsten Tage steht, das Wetter ist hervorragend. Santa Fe ist eine tolle Stadt, die uns auf Anhieb super gut gefällt und wir sind im Augenblick wunschlos glücklich. Ich erzähle Jutta von der Biker Bar, die ich aus dem Schaufenster gesehen habe und biete an, nur dort noch etwas zu trinken, bevor es mit den Rädern zurückgeht. Damit es auch nicht zu spät wird und wir noch bei Tageslicht auf unserem Camp ankommen.

„In die Matador Bar müssen wir meinetwegen dann nicht noch unbedingt rein.“, sage ich zu Jutta.

Dann geschieht etwas Seltsames. Wir sind mit dem Essen fertig, aber unsere Getränke haben wir noch nicht ganz ausgetrunken. Die Leute auf der Straße schauen alle nach oben. Manche zeigen mit der Hand in Richtung Himmel, als ob es dort was zu sehen gäbe. Es bilden sich kleine Menschentrauben und sie bleiben auf der Straße stehen und richten den Blick nach oben. Es werden immer mehr und ich blicke auch nach oben, sehe aber nur den schattenspendenden Sonnenschirm über mir. Jutta sieht mich irritiert an, wundert sich darüber, dass ich plötzlich so verwundert dreinschaue. Kein Wunder, alles spielt sich hinter ihrem Rücken ab. Sie sieht nicht, was ich gerade sehe. Ich stammle vor mich hin: “Da muss irgendwas los sein, da am Himmel…“

…what the fuck…

Ich stehe auf von unserem Tisch und gehe zu den Anderen auf den Bürgersteig vor der Terrasse. Jutta folgt mir, mit fragendem Blick. Unsere Augen richten sich nach oben in den blauen Himmel. Jetzt stehen wir hier wie alle anderen und gucken fasziniert hoch und können nicht fassen, was sich dort abspielt.

look at that…

Ich sehe kleine weiße Punkte. Sie scheinen irrsinnig weit entfernt zu sein und sie bewegen sich ohne erkennbares Muster. Wir stehen etwas schräg unter einem Baum, der mir gut als Orientierungshilfe dient. Ich zähle mindestens 20 (vielleicht sind es auch ein paar mehr) Objekte. Luftballons halte ich für ausgeschlossen, denn sie bleiben konstant an der selben Stelle über der Baumkrone. Sie werden nicht verweht und sie fliegen auch nicht weiter. Nein, sie bewegen sich unregelmäßig zirkulierend über dem Baum. Ich mache Aufnahmen mit meinem Handy, so wie viele Andere es auch tun. Ich mache einige Fotos und ein Video. Sind dort oben UFO’s am Himmel? Werden wir Zeugen von etwas Unglaublichem? Gestern noch waren wir in Roswell, der UFO-Hauptstadt. Oder sind wir jetzt einfach nur durchgedreht? Aber was ist mit den anderen Leuten hier? Das bilden wir uns doch nicht ein. Sie alle gucken ungläubig nach oben, nicht nur wir. Das ganze Spektakel dauert ungefähr 15 Minuten, dann ziehen die unbekannten Flugobjekte weiter. Etwa eine Viertelstunde tänzeln sie dort oben am Himmel, an der gleichen Position über der Baumkrone. Dann ziehen sie weiter, immer weiter, bis sie aus unserem Sichtfeld verschwinden.

Es ist ein großer Spaß für alle, doch Antworten hat keiner von uns. Genauso ratlos wie wir es sind, löst sich eine Menschentraube nach der anderen auf. Es ist der 2. März 2022. Ich nehme mir vor irgendwann mal zu recherchieren, ob es im Internet Einträge zu diesem (Santa Fe) Vorfall gibt.

Wir trinken unsere Drinks aus, holen uns bei Häagen Dazs einen Eiskaffee für mich und einen Eisbecher für Jutta und setzen uns in den Park. Ein paar Musiker mit etwas Equipment sitzen dort auf einer Bank und wir hoffen, dass sie bald loslegen werden. Sie sehen aus wie Rock’n’Roller. Während wir warten, spekulieren wir über das, was wir gerade gesehen haben, kommen aber zu keinem schlüssigen Ergebnis. Aber bei einem Punkt sind wir uns einig. Es waren Ufos, unbekannte Flugobjekte.

Rock ’n‘ Roll Band?

Die Band macht keine Anstalten ihr Equipment aufzubauen, stattdessen quatschen sie lieber vorübergehende Passanten an. Der Basser zupft gelegentlich an seinem Instrument, mehr passiert aber nicht. Dann läuft ein Typ mit langen Haaren und Hippieklamotten barfuß und mit Räucherstäbchen an uns vorbei. Er bückt sich auch mal und hebt Unrat vom Boden auf, manchmal auch eine Zigarettenkippe. Es scheint als will er den Park reinigen, physisch und spirituell. Das finden wir sehr sympathisch.

Die Rock’n’Roller ziehen weiter ohne gespielt zu haben und auch wir machen uns auf den Weg in die Biker Bar. Obwohl es nicht weit ist, nehmen wir die Räder mit, schließen sie bei den Motorrädern an und gehen rein. Es ist nicht viel los. Ist ja auch noch relativ früh, noch nicht mal fünf Uhr. Wir bestellen uns Local Beer und reden über alles Mögliche, während ich beobachte, was sich drinnen und draußen so abspielt. Die Tür ist offen und der Doorman ist redselig und scheint alle zu kennen, die draußen vorbeilaufen an dieser Bar.

Biker Bar Santa Fe

Auf dem Heimweg kommen wir noch an der Matador Bar vorbei. Doch da wir morgen viel vor haben und nicht so spät aufstehen wollen, kehren wir nicht ein und lassen die Vernunft siegen. ICH lasse die Vernunft siegen. Das Teufelchen auf meiner Schulter sagt: „Komm schon, nur ein Bier noch. Hier gibt es das beste Beer von ganz New Mexico, so etwas Erfrischendes hast du nie zuvor getrunken!“

Jutta bekommt von alledem nichts mit, was sich da auf meiner Schulter abspielt. Das alles geschieht innerhalb von Sekunden, in einem Paralleluniversum.

Das Engelchen spricht zu mir: „Hast du denn immer noch nicht genug? Der Tag war doch schon perfekt, was willst du denn noch? Denk doch auch mal an Jutta. Sie will noch nach Hause, bevor es dunkel wird.“

Ich bin hin und hergerissen. Was soll ich nur machen? Irgendwie haben doch beide recht. Soll ich auf das köstlichste Bier von ganz New Mexico verzichten, nur weil Jutta „im Hellen“ nach Hause will? Was kann es schon schaden nur noch ein erfrischendes, kühles Bier zu trinken?

Andererseits habe ICH es ja angeboten, nach Hause zu fahren, nachdem wir in der Biker Bar was getrunken haben.

Das Teufelchen meldet sich zu Wort, bevor ich in meinen Gedanken zu einem Entschluss komme.

„Bestimmt haben sie in der Matador Bar einen Billardtisch und eine Music Box und Jutta wird viel Spaß haben und tanzen wollen.“

Aber das Engelchen kontert und gibt zu bedenken: „Wenn du jetzt da rein gehst, dann hast du dein Wort nicht gehalten und wie glaubhaft wirst du dann noch sein?“

Ich hadere mit mir und gehe das Für und Wider durch. Ich sage den Beiden auf meiner Schulter, sie sollen die Schnauze halten, aber das interessiert sie nicht im geringsten.

Das Teufelchen spricht: „Komm schon mein Freund, ein Bier hat noch niemandem geschadet und Jutta wird drüber weg kommen. Gib ihr einen Moscow Mule aus und alle deine Probleme lösen sich in Luft auf, so wie sich die Raumschiffe am Himmel heute Nachmittag in Luft aufgelöst haben.“

Yes or No?

Ja verdammt, Recht hat er. Es ist doch noch früh. Warum müssen wir immer „im Hellen“ zurück kommen? Ich bin drauf und dran Jutta mitzuteilen, dass sich meine Meinung geändert hat und will gerade sagen: „Ich will doch noch in die Matador Bar, scheiß auf morgen und überhaupt: Warum müssen wir eigentlich immer „im Hellen“ zurück nach Hause?“

Doch bevor mir diese Worte raus rutschen spricht das Engelchen auf meiner Schulter zu mir: „Bedenke, was du damit anrichtest, wenn du dein Wort nicht hältst. Du wirst für immer unglaubwürdig sein. Willst du das etwa riskieren? DU hast gesagt: „Nach dem Drink in der Biker Bar geht es nach Hause, noch bevor es dunkel wird!“

Das Geplänkel zwischen Engelchen und Teufelchen geht noch weiter, über alle 12 Runden. Doch das Engelchen gewinnt. Jutta bekommt von alledem nichts mit.

Nach dem Santa Fe Beer in der Biker Bar geht es im Hellen nach Hause. Schließlich wollen wir morgen früh, bevor wir nach Los Alamos fahren, noch ins MEOW WOLF.

Biker Bar Beer

Das MEOW WOLF ist schwer zu beschreiben. Wir haben auf dem Parkplatz, wo die übergroße Spinne, der Roboter und der Wolf zu sehen sind, sogar überlegt nicht hinein zu gehen. Der hohe Eintrittspreis ließ uns zögern. Doch Jutta hatte auf Google die vielen guten und interessanten Bewertungen gelesen. Und nach kurzem Überlegen haben wir entschlossen, es zu wagen.

MEOW WOLF

Wir haben uns entschieden eine fremde Welt zu betreten, eine Art Raumschiff, wie es hier üblich scheint im Staat New Mexico. Es fällt mir tatsächlich schwer zu beschreiben, was wir hier sehen. Ich versuche es in wenigen Sätzen zusammen zu fassen.

Es ist wie ein Drogenrausch, leider sind wir komplett nüchtern. Wir könnten einer Story folgen, doch wir tun es nicht, weil es eine Menge Zeit kostet. Es geht durch ein Labyrinth und wir versuchen einem Weg zu folgen ohne uns zu verlaufen. Mal gelingt es, mal nicht. Die Farben, die wir wahrnehmen sind grell, bunt und irre. Die Geräusche steuern wir selbst. Rätsel wollen und können gelöst werden. Ich sitze in meinem eigenen Gehirn. Danach gehe ich in den Kühlschrank, in den „Frozen A Plus“ und komme als ein anderer Mensch wieder heraus. Ich betrete einen Raum und setze mich auf eine Bank. Ich sehe durch ein rundes Fenster. Später sehe ich von der anderen Seite durch das gleiche Fenster. Ich war in einer Waschmaschine.

Washing Machine

Das MEOW WOLF ist eine verrückte Welt. Eine bunte Welt und eine virtuelle Welt, die irgendwie nicht von dieser Welt ist. Sie lässt uns abtauchen in andere Galaxien, in fremde Universen und unbekannte Dimensionen.

Crazy Bathroom

Ich muss unweigerlich an mein Theater denken. Ich muss an „Young Dogs“ denken, eine Tanztheaterproduktion von Samir Akika, unserem Hauschoreographen. Und ich muss an Anja denken, die das Bühnenbild dazu geschaffen hat und an unsere Tanzkompanie, die unermüdlich geprobt hat, um diese großartige Produktion auf die Bühne zu bringen. Ich denke an all die Arbeit, die wir mit dieser Produktion hatten, an all die Anstrengungen und Hürden, die wir meistern mussten, damit wir dieses choreographische und auch bühnenbildnerische Meisterwerk rausbringen konnten. Bevor uns die Corona Pandemie diktiert hat, dass wir es nur einmal nach der Premiere spielen dürfen.

inside my brain

Ich denke daran, weil MEOW WOLF mich an diese aufwändige Arbeit erinnert, an das Bühnenbild von Anja und an die gesamte Produktion. Ich denke auch daran, weil ich meinen Job so liebe und weil es immer dann am Besten ist, wenn ich ordentlich gefordert werde. Wenn es darum geht Prioritäten zu setzen, denn darin bin ich ziemlich gut.

was denke ich gerade???

Und jetzt denke ich, dass ich wieder etwas abschweife.

MEOW WOLF war das Eintrittsgeld mehr als wert und bevor wir nach Los Alamos fahren, lasse ich mich von Jutta unter Tarantula fotografieren.

Ich hasse Spinnen!

Dann heißt es: Bye, bye Meow Wolf!

Auf dem Weg ins Bradbury Science Museum in Los Alamos kommen wir durch grandiose Wildwest- Landschaften. Es wird auch mal etwas bergiger und in der Ferne sehen wir wieder schneebedeckte Gipfel. Los Alamos gilt als der Ort, an dem die Atombombe entwickelt wurde. Das „Manhattan Projekt“. Im Bradbury Science Museum dreht sich alles um die Entstehung der Bombe und um den zweiten Weltkrieg. Dazu schauen wir uns einen kurzen Einführungsfilm an und werden Zeuge, wie es damals war, diese monströse Waffe zu entwickeln.

…on the road…

Innerhalb des Museums gibt es dann sehr viel zu lesen. Das ist für uns anstrengend, da alles auf Englisch ist und gespickt mit wissenschaftlichen Fachausdrücken. Wir halten den Besuch relativ kurz, denn wir wollen heute noch weit fahren. Ansonsten könnte man hier durchaus 3-4 Stunden zubringen. Wir belassen es bei etwa 90 Minuten. Dennoch bekommen wir einen guten Eindruck, wie es damals ablief und was es für Schwierigkeiten und Probleme bei der Entwicklung der Bombe gab. Es wird dokumentiert welche und wie viele Menschen an der Entstehung der Atombombe beteiligt waren. Natürlich bekommen wir auch eine originalgetreue Nachbildung der „Little Boy“ und „Fat Man“ Massenvernichtungswaffe zu sehen, die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden.

Little Boy

Nach informativen und lehrreichen anderthalb Stunden verlassen wir das Bradbury Science Museum.

Fat Boy

Wir sind unterwegs zu den „Four Corners“, dort treffen sich vier Bundesstaaten an einem Punkt. Das heißt, man kann von einem Bein auf das andere hüpfen, von Arizona nach Colorado und dann von Utah nach New Mexico. Das wird zwar relativ unspektakulär, doch trotzdem will ich es mir nicht entgehen lassen, wo es doch fast auf dem Weg liegt.

Übernachtungsstellplatz in Farmington

Allerdings schaffen wir es heute nicht mehr bis ganz dort hin. Farmington ist das anvisierte Ziel für die Übernachtung. Immer wieder sehen wir links und rechts am Wegesrand Native Communities. Doch leider sind sie alle für Besucher gesperrt. Es gibt oft Tage an denen wir das Virus und die Pandemie vergessen, aber dann werden wir auch schnell wieder in die Realität zurückgeholt.

Teilweise befahren wir schon die historische Route 66, ohne es zu merken. Sie soll in meinem nächsten Chapter unter Anderem zum Thema werden. Jetzt freue ich mich über dieses bunte Graffiti am Straßenrand, ohne das ich nicht gewusst hätte, dass wir bereits mit LEMMY über die MOTHER ROAD rollen.

The Mother Road

In Farmington stellen wir uns wieder auf den Parkplatz eines großen Einkaufscenters. Es ist bereits dunkel als wir ankommen. Hier findet man immer eine gute Parkmöglichkeit für die Nacht und auch hier stehen wieder einige Autos, in denen Leute leben. Wir haben uns schon an dieses sich wiederholende Bild gewöhnt.

Als wir morgens aufbrechen ist es relativ windig. Ständig rollen mir diese Steppenläufer vor die Haube, über die Straße. Doch ich freue mich jedes Mal wieder darüber. Besonders ein Film aus den 80er Jahren kommt mir in den Sinn: „Critters“. Der Streifen ist purer Trash. Ein Horrorfilm, der nicht besonders gruselig ist, aber eben echt trashig. Kleine rollende Fellmonster von einem anderen Stern befallen die Erde und sie haben große Mäuler. Mehr muss man nicht wissen.

Lemmy in New Mexico

Und woran mich diese ganze Kulisse in New Mexico noch erinnert, das ist eine der besten Serien überhaupt: „Breaking Bad“. Ich ertappe mich dabei, wie ich nach dem alten Winnebago Camper von Walter White und Jesse Pinkman Ausschau halte. Sie haben sich eine Drogenküche in dem Camper eingerichtet, um Meth zu kochen.

Wenn mir jemand mit einem schwarzen Hut entgegenkommt, dann denke ich an Mr. Heisenberg. Freunde der Serie werden verstehen, wovon ich rede.

Next Stop Utah

Angekommen an den Four Corners machen wir kurz unsere Fotos und hüpfen von einen Bundesstaat in den Nächsten. Das wird schnell langweilig und wir wollen weiter. Jutta kauft sich an einem kleinen Stand der Natives einen Traumfänger und es zieht immer mehr Wind auf. Vielleicht ist das auch der Grund, warum hier heute so wenig los ist. Gerade als wir wieder ins Auto steigen, bricht ein höllischer Sandsturm los. Er bricht über uns herein, von 0 auf 100.

The Four Corners

„Mach bloß schnell die Tür zu!“, rufe ich zu Jutta rüber, während ich versuche meine Tür zu schließen. Das ist gar nicht so einfach, denn der Sturm fegt mächtig durch die offene Beifahrertür zu mir rüber.

Ich muss mit aller Gewalt und großer Kraftanstrengung am Griff zerren, damit sie endlich ins Schloss fällt.

Sandsturm

Aber es ist schon zu spät. Das ganze Armaturenbrett, die Konsole mit dem Schaltknüppel und der komplette Innenraum ist voll rotem Sand.

Mit knirschenden Zähnen und staubig rot machen wir uns auf in den Arches National Park.

…und was als Nächstes geschieht…

CHAPTER VI – VON ARCHES UND CANYONS, VON HIGH DESERTS UND DER HISTORIC ROUTE 66

.und wie man es anstellt, in der kalifornischen Wüste liegenzubleiben, obwohl man einen großen 140 Liter Dieseltank und 2 x 20 Liter Reservekanister hat…

Chapter 18 – NOLA, ein Hauch von Voodoo und wie der Lincoln Clay in mir erwacht…

Wir fahren seit Stunden. Heute ist ein Road Day, wie ich es gerne nenne. Gehalten wird nur wenn es nötig ist. Das wäre zum Tanken, für die Toilette, wenn jemand in Not ist oder wir selber in Schwierigkeiten sind und zum Essen.

Unser Ziel ist New Orleans/Louisiana. Das wollen wir morgen gegen Abend erreichen. Heute wollen wir bis Tallahassee fahren. Anschauen werden wir uns dort nur den Overnight Stellplatz, sonst nichts. Es wird ein kleines Abendbrot geben und wir werden früh zu Bett gehen, damit wir für den zweiten Road Day ausgeruht sind.

New Orleans, vor dem French Quarter

Natürlich überlegen wir zwischendurch immer mal, wie es in naher Zukunft weiter gehen soll, denn wir haben verschiedene Optionen. Das wir einige Tage in NOLA bleiben werden ist völlig klar, darüber gibt es keine Diskussion, da sind wir uns einig.

Aber was danach kommt, darüber müssen wir reden. Man kann nicht nur in Bars über Routen diskutieren, wenn man ein eiskaltes Getränk vor sich hat, sondern auch auf langen Autofahrten. Zeit haben wir genug und auch an Getränken mangelt es nicht, alkoholfrei versteht sich. Es gibt wahlweise heißen Tee oder Kaffee, Wasser ist immer reichlich an Bord und auch verschiedene Softdrinks oder Eiskaffee.

Wir müssen eine Entscheidung treffen, ob es nach New Orleans nach Norden weiter gehen soll oder aber nach Westen. Ich bin selber unschlüssig, was ich eigentlich will, aber Jutta ergreift eine eindeutige Position. Damit ist klar, dass ich die andere Position einnehmen muss, um alle Aspekte abzuwägen.

Jutta plädiert für den Norden, für Memphis/Tennessee. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir gerne Elvis Presleys Graceland besuchen wollen und mich auch die Stadt Memphis sehr reizt. Jutta hat sogar schon einen tollen Übernachtungsplatz am Mississippi rausgesucht, weil wir auf diesem Trip ebenfalls eine Zwischenübernachtung werden machen müssen.

Außerdem argumentiert sie: „Wir werden es sicher bereuen, wenn wir die Gelegenheit nicht nutzen. Denk nur an Las Vegas. Als wir 2006 dort waren und uns wegen DIR NICHT die Elvis Show angesehen haben. Das hast du bis heute bereut!“

Damit hat Jutta vollkommen recht und der erste Punkt geht an sie.

Ich stimme ihr zu und werde immer unsicherer, aber ich will es wenigstens versuchen. Also sage ich: „Wir wollen ja eigentlich rüber in den Westen und der Weg ist noch irrsinnig weit.“

„Ja, dass ist auch so, aber wir haben gesagt es gibt keine Umwege. Egal welche Richtung wir einschlagen, es wird nicht als Umweg deklariert.“ ,hält sie dagegen.

„Mist!“, denke ich mir nur. Zwei zu Null für Jutta. Mich zieht es irgendwie nach Kalifornien, ich spüre es tatsächlich jetzt schon. Das ist allerdings kein schlagkräftiges Argument, darum packe ich jetzt meinen größten Trumpf aus.

„Überlege dir aber, dass wir dann relativ weit in den Norden hoch müssen und wieder zurück in den Winter fahren. Das sollte dir klar sein! Und wenn wir in Memphis sind, dann will ich auch was von der Stadt sehen und einen Abend dort verbringen.“

Dann schiebe ich noch hinterher (weil ich es selber auch immer noch nicht weiß, was ich eigentlich will): „Wir müssen jetzt ja auch noch keine Entscheidung treffen. Wir haben noch ein paar Tage Zeit, um darüber nachzudenken.“

So verbleiben wir dann auch erstmal. Jutta liegt Zwei zu Eins vorne, würde ich sagen. Aber wir werden sehen wie es ausgehen wird. Einen Verlierer wird es nicht geben. Wir gewinnen gemeinsam, egal welche Richtung wir einschlagen werden.

Dann kommen wir in Tallahassee an. Das übliche Bild wird uns geboten. Einige Reisende sind auf der Suche nach einem Umsonststellplatz für eine Zwischenübernachtung, so wie wir. Und andere Leute reisen nicht, sie leben hier. Der Parkplatz ist riesig und erstreckt sich über mehrere Ebenen.

Tankstelle in NOLA

Wir suchen die Nähe von Cracker Barrel, dort ist man willkommen für eine Nacht. Vereinzelt sehen wir wieder die zugehängten Autos und uralte Camper, die niemand mehr bewegen wird. Etwas weiter unten, eine Rampe tiefer, steht ein alter verrosteter Reisebus. Er steht quer über 7 oder 8 PKW-Parkplätze und ich wundere mich, dass er dort geduldet wird. Innen brennt Licht und ich denke: „Der wird wohl auch keinen Meter mehr fahren. Der Zahn der Zeit hat zu sehr an ihm genagt.“ „Bleib ruhig hier stehen Gevatter Reisebus, hier soll es dir nicht schlecht ergehen bis du auseinander fällst.“, wird sich wohl jemand gedacht haben.

Bei uns läuft das Routineprogramm ab. LEMMY bei Bedarf waagerecht ausrichten mit Hilfe der Druckluftfederung, Propan aufdrehen, die Fenster zuziehen und etwas zu Essen machen. Dann gucken wir noch einen Film auf dem Tablet und ab ins Bett.

Next Road Day. Nach der Morgenroutine in umgekehrter Reihenfolge und einem kleinen Frühstück geht es wieder auf die Straße.

Wir fahren einen breiten Highway und ich befinde mich auf der Überholspur. Schließlich wollen wir heute Abend in NOLA ein kaltes Bier trinken. Dann sehe ich was der Grund für mein Überholmanöver ist und kann es kaum glauben. Gevatter umgebauter Reisebus holpert über den Highway. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er heute morgen nicht mehr auf dem Overnightplatz stand und schon vor uns gen Westen aufgebrochen ist.

Vor einigen Tagen habe ich auf Facebook gesehen, dass Angela in New York ist und dort als Fotografin ein Shooting auf der Brooklyn Bridge hat. Wir kennen Angela und ihren Mann Gerd seit ca. zwei Jahren von einem „Oman Camper“ Treffen. Dort waren nur Teilnehmer dabei, die dasselbe Auto fahren wie wir. „Oman Camper“ ist wohl der geläufige Name für dieses Offroad Fahrzeug und prangt bei Fahrzeugübernahme auch in großen Buchstaben an allen Seiten. Ich habe diese Buchstaben entfernt und durch eigene Aufkleber ersetzt. Was ich aber eigentlich sagen will, dass sie unsere Reise interessiert verfolgt und wir zwischendurch Kontakt haben. Als ich sehe, dass sie in New York ist, schreibe ich sie an und frage wie lange sie in den Staaten bleiben wird.

Nur für einen kurzen Städtetrip, schreibt sie zurück. Aber sie schreibt noch mehr und das ist der Punkt: „Willst du nicht mal einen kleinen Beitrag schreiben über das Langzeitreisen?“

Das will ich sehr gerne versuchen.

An langen Fahrtagen kann man hervorragend nachdenken, wenn nicht gerade eine angeregte Unterhaltung stattfindet oder ein Hörbuch vom Stick läuft. Denn auch Geschichten sind ideal für lange Strecken. Ich liebe es, Stephen King Romane zu hören, gelesen von David Nathan. Wobei gelesen etwas untertrieben ist. Er erfüllt die Geschichten und Figuren durch sein eindringliches Vorlesen so mit Leben, dass die Charaktere real werden. Aktuell lauschen wir gebannt, wie er uns „Misery“ präsentiert.

Aber heute nicht, da wird darüber nachgedacht was Langzeitreisen bedeutet, was es mit mir macht, was es mit Jutta macht. Mir wird klar, das diese Aufgabe gar nicht so leicht umzusetzen ist.

Was sind überhaupt Langzeitreisen? Das ist wie so vieles andere auch, eine Sache der Definition.

NOLA by daylight

Mag sein, das ein japanischer Manager in einer großen Firma nur zwei Wochen Urlaub im Jahr bekommt. Mag sein, dass dieser Manager viele Länder in Europa bereist in seinem Urlaub. Mag sein, dass er denkt, dass Leute mit sechs Wochen Urlaub pro Jahr ganz schön lange Reisen können. Aber sind sechs Wochen lange Reisen Langzeitreisen? Ab wann wird eine Reise zu einer Langzeitreise?

Jutta und ich sind für 13 Monate von unserer Arbeit freigestellt und können diese gesamte Zeit reisen. Das definiere ich als Langzeitreise.

Und da wir schon seit einer ganzen Weile unterwegs sind, nämlich seit dem 31. Juli 2021, bin ich der Ansicht etwas zu diesem Thema sagen zu können.

Langzeitreisen beginnen zunächst mit einer Idee, mit einer Absicht, mit einem Wunsch, einem Traum, vielleicht sogar mit einem Lebenstraum.

Nach dem Traum kommt dann die Planung, um den Traum in die Tat umzusetzen.

Wohin soll es gehen? Mit welchem Fahrzeug und in welchem Tempo reisen wir? Wie lange soll die Reise dauern? Es gibt 1000 Fragen.

Das geht alleine, das geht mit einem Partner oder einer Partnerin. Vielleicht geht es sogar mit einer Gruppe von Freunden.

Nach der Planung kommt der vermutlich schwierigste Teil, die Umsetzung.

Man muss die bürokratischen Dinge regeln. Mit dem Arbeitgeber muss man klären, wie alles ablaufen soll. Kündigt man seinen Job, nimmt man unbezahlten Urlaub oder macht man ein Sabattjahr, so wie wir? Visa Angelegenheiten müssen geklärt werden. Was passiert mit Haus und Hof während der Abwesenheit? Wird ein Carne de Passage auf der Route benötigt? Bekomme ich dafür eine Bankbürgschaft oder hinterlege ich den erforderlichen Betrag in bar? Reist man nicht alleine, dann muss man sich über die Route verständigen und die unterschiedlichen Bedürfnisse während der Reise.

Und dann kommen noch unzählige Kleinigkeiten und Unvorhergesehenes dazu. Zum Beispiel eine Pandemie, geschlossene Grenzen, verspätete Containerschiffe, ausgefallene Flüge und und und.

Aber ist es nicht ganz genau das, warum wir so etwas machen? ABENTEUER?

Ist erstmal die Idee geboren, die Planung abgeschlossen und die Umsetzung läuft auf Hochtouren, dann kommt die Vorfreude, die Aufregung und wir können es kaum erwarten in das Abenteuer zu starten.

Am Anfang fühlt es sich wie ein normaler Urlaub an. Das ist fantastisch. Das kennen wir ja schon. Aber wir wissen, dass wir nicht umkehren müssen nach 5 Wochen, wir können weiter fahren. Erstmal ist das ein gutes Gefühl, aber noch ist es Theorie und nur eine Gewissheit die wir haben. Wie es sich anfühlt, erleben wir erst später. Für Jutta fühlt es sich anders an als für mich. Und so wird jeder wohl seine eigene Erfahrung machen müssen. Jutta hatte relativ früh ihren ersten Tiefpunkt und alles in Frage gestellt. Das war bereits in Griechenland auf Naxos der Fall. Es war an meinem Geburtstag. Wir waren erst seit wenigen Wochen unterwegs. Allerdings sind am Tag zuvor Sonja und Lars abgereist, mit denen wir eine fantastische gemeinsame Zeit dort hatten. Das Wetter war an diesem Tag nicht besonders. Der Stellplatz wirkte plötzlich so trostlos, Sonja und Lars waren nicht mehr da. Zweifel keimten in ihr auf: Reicht es mir „nur“ von einem Ort zum Anderen zu reisen? Füllt mich der Camperalltag mit allem was dazugehört aus? Können gelegentliche Gespräche mit Reisebekanntschaften Freunde und Familie ersetzen?

Aus meiner Sicht kam es nur dazu, weil eine Reihe verschiedener, nicht so glücklicher Umstände eintrafen. Sonja und Lars weg. Wetter mies. Stellplatz trostlos, im Wind und ohne andere Urlauber. Geburtstag unter erschwerten Bedingungen und noch dies und das…

Am nächsten Tag war die Welt dann aber auch schon wieder in Ordnung. Wir sind weiter gefahren und haben uns ausgiebig Programm vorgenommen und in die Tat umgesetzt. So einen Tiefpunkt gab es dann bis jetzt auch nicht wieder.

Selbstverständlich ist nicht jeder Tag rosig. Mal wird auch gestritten oder es geht durch deprimierende Landschaften. In der Türkei haben wir bemerkenswerte und grandiose Natur und Kultur erlebt. Wir hatten höchst erfreuliche und äußerst ärgerliche Begegnungen. Wir sind durch vermüllte und hässliche Orte gefahren. All das macht etwas mit einem.

Wer sagt denn, dass man nur weil man reist, immer gut drauf sein muss? Zuhause hat man doch auch mal einen schlechten Tag. Wir müssen nicht immer perfekt gelaunt sein und sind deshalb trotzdem nicht undankbar. Wir wissen sehr genau, dass nur wenige Menschen so eine lange Reise machen können und empfinden das als großes Glück.

Ich glaube, ich habe mich in der Türkei arrangiert mit dem „Langzeitreisen“. Mehr als das. Ich bin angekommen. Ich kann jetzt den Platz, wo wir mit LEMMY stehen als ZUHAUSE betrachten. Aber ich war immer schon derjenige von uns beiden, der an Fernweh litt und der nie zurück wollte von einer Reise.

Aber auch Jutta ist mittlerweile angekommen und zufrieden. Sie hat mir unabhängig von diesem Thema schon in Halifax gesagt, dass es so, wie wir es machen, genau richtig ist. Darüber habe ich mich riesig gefreut. Ursprünglich wäre sie in diesen 13 Monaten am liebsten nur in Etappen gereist. Immer mal aufgebrochen, um dann zwischendurch ins Waterhole zurückzukehren.

Manchmal ist es tatsächlich schwierig mit den ganzen Highlights klarzukommen. Klingt komisch, ist aber so. Es ist gar nicht so einfach die vielen wahnsinnigen Eindrücke, die wir in kurzer Zeit erleben, zu verarbeiten. Wir reisen relativ schnell und sehen sehr viel. Da muss die Denkfabrik erstmal hinterher kommen. Und dann kommt dazu, dass man dazu neigt, mehr zu wollen. Höher, größer, schneller, weiter! Dabei ist das völliger Blödsinn. Es muss nicht jeder Tag den Vorherigen in den Schatten stellen. Oft passiert das, das ist super. Ein Highlight jagt das Nächste. Aber das ist nicht die Regel und das muss sie auch nicht sein.

Jutta sagt mir, dass sie sich manchmal dabei ertappt sich undankbar zu fühlen, wenn mal ein Tag dazwischen ist, an dem sie nicht so gut drauf ist.

Wo ist Lincoln Clay???

Ich denke, dass es ganz normal ist, wenn wir auf so einer Reise etwas abstumpfen. Es ist nicht möglich und auch gar nicht nötig 365 Tage kontinuierlich eine Steigerung zu erzielen.

Die Reise wird zum Alltag. Wir machen es uns gelegentlich bewusst, ich habe es auch schon erwähnt. Manchmal zwicken wir uns und machen uns klar, dass wir jetzt und hier das Alles erleben dürfen, ist ganz und gar nicht selbstverständlich. Wenn wir durch zauberhafte Berge fahren, dann müssen sie morgen nicht noch zauberhafter sein und auch nicht noch höher.

Wenn mein Lieblingsgericht Pizza Salami ist, dann will ich es doch trotzdem nicht jeden Tag essen.

Und wenn ich ein scharfes Thaicurry mag, dann muss es auch nicht jeden Tag noch etwas schärfer sein.

Was will ich damit sagen? Ich will nicht jeden Tag meinen Lieblingssong im Radio hören.

Ich will Vielfalt, ich will Abwechslung und ich will Abenteuer.

All das bekomme ich auf (m)einer Langzeitreise.

Allerdings gibt es da immer wieder Differenzen zwischen Jutta und mir, was aber auch völlig normal und nicht ungewöhnlich ist. Besonders, wenn die Aufgabenerfüllung gegenseitig nicht so gewürdigt wird, wie erhofft.

Jutta fährt LEMMY nicht gerne selber, das übernehme ich. Zu den gefahrenen Kilometern, dem Verbrauch usw. wird es am Ende der THE WÖRLD IS YOURS TOUR Zahlen, Daten und Fakten geben.

New Orleans by night

Sie ist für die Routenplanung und Stellplatzsuche zuständig und für das Wohlbefinden innen. Ich bin für alles außen zuständig. Das sind nicht nur die Staufächer, sondern auch das Tarp aufspannen und wieder abbauen, Feuer machen und gegebenenfalls Holz sammeln und zersägen und hacken. Natürlich helfen wir uns auch gegenseitig. Es gibt noch viel mehr Aufgaben, die wir verteilt haben und mal ist der Eine, mal der Andere etwas unzufrieden. Aber auch das ist völlig in Ordnung und darf so sein.

Jutta weist mich auf einen wichtigen Grund hin in die Fremde aufzubrechen, egal ob Langzeitreise oder normaler Urlaub, meinetwegen auch nur der Städtetrip. Das sind die BEGEGNUNGNEN. Zurückblickend kann ich sagen, dass wir so fantastische Begegnungen hatten, dass daraus Freundschaften wurden. Es ist immer wieder schön, unterwegs Gleichgesinnte zu treffen.

Dafür gibt es überall auf der Welt Hotspots. Wir treffen so viele unterschiedliche (Langzeit-) Reisende, dass wir mit dem Einen und Anderen einige Tage gemeinsam reisen. Andere treffen wir unterwegs immer mal wieder. Man tauscht sich aus, profitiert von Erfahrungen und teilt sich selber mit. In brenzligen Situationen hilft man sich gegenseitig.

Da kommen dann auch die Menschen ins Spiel, die dort leben wo wir reisen. Wir erfahren so herzliche Gastfreundschaft und haben unglaublich schöne Begegnungen. Die prägendsten und schönsten Begegnungen hat man oft dort, wo man am wenigsten damit rechnet. Natürlich gibt es hin und wieder auch unangenehme bis hin zu gefährlichen Begegnungen. Die sind dann hervorragend geeignet als Lagerfeuergeschichten. Allein über die Begegnungen, die wir auf dieser Reise bereits hatten, könnte ich einen Roman schreiben.

Eine andere Erkenntnis beim Langzeitreisen ist die, dass wir mit erstaunlich „wenig“ glücklich sind. Es braucht nicht viel auf so einer Reise. Alles was benötigt wird ist im Auto.

Abends ein Lagerfeuer, den Sternenhimmel darüber, ein kaltes Bier und das Glück ist perfekt. Dazu fällt mir ein Song ein von der Berliner Band Großstadtgeflüster. Da singt Jen Bender: „Ich muss gar nichts außer schlafen, trinken, atmen und ficken und gelegentlich um vier Uhr früh `n Bürger verdrücken…“

NOLA BOURBONSTREET

Das sagt doch alles, die menschlichen Bedürfnisse sind damit abgedeckt.

Um langsam zum Schluss zu kommen was das Langzeitreisen angeht. Ich könnte immer so weiter machen, Jutta erfüllt es nicht in dem Maße wie mich.

Ich fürchte, ich kann hier keine befriedigenden Antworten liefern und wahrscheinlich ist jetzt niemand schlauer als zuvor. Aber wenn ich eventuell jemandem Lust gemacht habe oder bei DIR den Abenteuergeist geweckt habe, dann bin ich schon sehr zufrieden.

Wir überqueren den Mississippi und die Lichter der Großstadt tauchen langsam auf. Es dämmert bereits, als wir uns den Weg bahnen ins French Quarter. Es gibt zwei Optionen hier zu stehen. Die erste ist ein gewöhnlicher Parkplatz, der allerdings 50 $ kostet, pro Nacht natürlich. Es stehen bereits einige Camper hier. Die andere Option ist ein RV Stellplatz, der direkt hinter dem Parkplatz liegt, hinter einem hohen Zaun und der das Doppelte kostet. Dafür gibt es einen Swimmingpool, heiße Duschen und freies WLAN. Der wichtigste Punkt aber ist die Sicherheit des Autos.

Für heute Nacht bleiben wir auf dem Parkplatz, wir sind ja auch schon dort. Morgen fahren wir auf den RV Stellplatz.

Wir sind den ganzen Tag gefahren, haben nur zum Lunch gehalten, wieder bei Cracker Barrel. Dort gibt es so einen leckeren Hackbraten mit Kartoffelpüree, Gravy und grünen Bohnen und dazu Homemade Lemonade. Leider dauert es bis zu einer Stunde, bis man sein Essen serviert bekommt. Nach dem Essen habe ich noch getankt und dann wieder Gevatter Uraltreisebus überholt.

Jetzt sind wir ziemlich müde, aber auch aufgedreht. Ich könnte eh noch nicht schlafen. Nicht zwei Minuten vom French Quarter entfernt, ohne es noch in Augenschein genommen zu haben. Also machen wir uns auf den Weg, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Wir finden das LEMMY hier gut steht, unter einem fast lilafarbenem Himmel, vor einigen Hochhäusern.

New Orleans/Louisiana

Wir spazieren nur über eine Straße und schon sind wir im French Quarter. Es ist etwas spookie hier, dunkel und verlassen, abseits der Hauptrouten…..

Ich habe sofort ein vertrautes Gefühl, als ob ich schon hier war, als ob ich mich hier auskenne. Und ich kenne mich hier aus, ich war schon mal hier.

Ich habe lange Zeit hier verbracht, viele endlose Nächte. Bin hier überall rum gefahren, mit den geilsten Karren, die man sich vorstellen kann. Ich habe hier viel zu Bruch gehen lassen, habe mir Respekt verschafft, habe mir einen Namen gemacht. Lincoln Clay. Diese Stadt ist meine Stadt. Diese Stadt ist nichts ohne mich. Ich bin wieder hier.

….das wird sich schnell ändern. Wir hören etwas lauter klingende Livemusik je näher wir kommen. Es klingt nach einer Dixieland Combo. Wir befinden uns in der Geburtsstadt des Jazz. Auch die Menschenmenge wird stetig größer, das Licht greller und die Leute auf der Straße werden immer schriller. Für Autos wird der Kernbereich des French Quarter abends abgesperrt. Zufällig steuern wir geradewegs auf die Bourbon Street zu und an dieser Kreuzung ist ein Knotenpunkt mit etlichen Bars. Die Polizeipräsenz ist groß. Sie patrouillieren hier auf Pferden. Alkoholkonsum auf der Straße scheint toleriert zu werden. Ich sehe viele Feiernden mit großen Bierdosen in der Hand.

Bourbonstreet

Mein „Gute Laune Pegel“ rast auf einer Skala von 0 – 100 steil nach oben. So wie Kowalski mit seinem weißen 1970er Dodge Challenger R/T von Denver nach San Francisco gerast ist. Kowalski hatte nur 15 Stunden Zeit im Film „Vanishing Point“, um San Francisco zu erreichen. Ich habe mindestens 72 Stunden Zeit für New Orleans. Das fühlt sich gut an.

Heute wollen wir allerdings nur noch in die Dungeon Bar, eine Metalhead Kneipe, um auf NOLA anzustoßen. Cheers!

Dungeon Bar, cheers

Wir gehen durch eine sehr schmale Häuserzeile, so schmal, das wir hintereinander gehen müssen. Vor der Dungeon Bar ist ein winziger Innenhof für die Raucher.

Dungeon Bar „Exit“

Die Bar ist klein, schummrig und voll. Am Tresen ist gerade noch Platz für uns. Wir bestellen zwei Local Beer, was sonst? Das erste Louisiana Beer. Ab jetzt werden wir hier 72 Stunden Zeit verbringen. 72 Stunden in NOLA. Jutta, ich….. und Lincoln Clay.

Die sichtbaren Spuren, die der Hurricane Katrina hinterlassen hat, sind offenbar beseitigt. Er wütete vom 23. bis zum 31. August 2005 in New Orleans und zerstörte weite Teile der Innenstadt. Was er mit den hier lebenden Menschen angerichtet hat, können wir nur erahnen.

Jetzt ist nichts mehr davon zu sehen und die Leute feiern wieder, als gäbe es kein Morgen. Das wollen wir auch, feiern. Aber erst später, vorher wollen wir uns im French Quarter umsehen, wollen alle Eindrücke dieser wunderbaren Südstaaten Schönheit aufsaugen, wollen den Duft des Mississippi tief in unsere Lungen ziehen und das ganze Stimmengewirr und den Jazz aus allen Richtungen in uns aufnehmen.

Die für New Orleans typischen Häuser sind hier im Quarter überall und sie sind eine wahre Augenweide. Diese Balkone mit den verzierten, verspielten gusseisernen Geländern. Die bunten Fassaden, die ganzen Lichter, das alles fordert unsere Sinne. Ich erkenne eine Szene aus dem David Lynch Film „Wild At Heart“ wieder. Es ist einer meiner Lieblingsfilme, ein Roadmovie. Und es geht um Sailor und Lula, einem Paar, das auf der Flucht ist. Gespielt werden diese beiden von dem damals großartig spielenden Nicolas Cage und Laura Dern. Die Szene, die ich erkenne, trägt im Grunde nichts zu Handlung des Films bei. Sie ist nur schräg, eben David Lynch like. Da spazieren zwei schräge Vögel unter einem dieser Balkone entlang, einer gibt merkwürdige Geräusche von sich. Sie gehen eigentlich auch nicht, sie bewegen sich irgendwie auf eine eigenartige Weise vorwärts. Untermalt wird das Ganze von sphärischer Musik und die Kamera schwenkt auf einen wehenden Vorhang an einem dieser Balkone. Eine Szene eben wie es sie so nur in David Lynch Filmen zu sehen gibt. Und genau unter diesem Balkon laufen wir gerade entlang. Ich erkenne diesen Ort wieder, ich war schon mal hier, schon oft sogar….

French Quarter

…ich kontrolliere hier sogar einige Bars und andere Etablissements. Das alles habe ich mir hart erarbeitet, nachdem ich ’69 aus Vietnam zurück gekehrt bin. Geschunden, kaputt, demoralisiert. Als Schwarzer hat man es nicht leicht in Louisiana. Aber Vietnam liegt hinter mir. Jetzt ist jetzt. Alte Freunde haben mir geholfen und mir Unterkunft und Jobs ermöglicht. Ja, Jobs waren es. Keine normalen Jobs, aber welche, die ich erledigt habe. Unbequeme Jobs, die nicht jeder hätte machen können. Ob ich mir dabei die Finger schmutzig gemacht habe? Oh ja und das gründlich. Aber es hat sich ausgezahlt. Jetzt kennt man mich in der Stadt. Man fürchtet mich im Quarter und weit darüber hinaus. Ich habe noch immer Freunde hier. Leute, die loyal hinter mir stehen. Aber mein Einflussbereich wird größer und meine Partner wollen immer mehr abhaben vom Kuchen. Ich verteile die Stücke, das Eine ein wenig größer, das Andere etwas kleiner. Neid, Missgunst und auch Habgier spiegelt sich in den Augen meiner engsten Vertrauten. Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht. Ich erledige erstmal noch den nächsten Job. Dann sehen wir weiter. Was der nächste Job ist? Ich werde auf dem Mississippi Dampfer einen korrupten Stadtrat umlegen, der hohe Ambitionen hat. Er will für das Amt des Gouverneurs kandidieren. Soweit darf es nicht kommen. Wenn der Job erledigt ist wird man darüber sprechen. Und man wird wissen, wer dafür verantwortlich ist. LINCOLN CLAY.

Wir lassen uns einfach treiben und biegen links ab. Dann kommen wir an einen Platz vor einer alten Kirche. Eine farbige Mama in roten Badelatschen bietet ihre Dienste an. Sie hat einen kleinen Stand vor der Kirche aufgebaut bzw. ist gerade dabei ihren Stand aufzubauen und sie scheint eine echte Voodoo Priesterin zu sein. Wer wissen will, was die Zukunft für ihn bereit hält, der ist hier richtig. Sie liest unter anderem aus Knochen und Tarot Karten. Diese kleinen Voodoopuppen, die man so gut mit Nadeln malträtieren kann, während man an eine ganz bestimmte Person denkt, die gibt es hier auch. Ob sie tatsächlich in der Lage ist, einem LIEBE, GELD, SCHUTZ, SEGEN und ERFOLG zu ermöglichen, wie sie es verspricht, dass weiß ich nicht.

The Real Voodoo Mama

Hier an der Kirche mit einem kleinen Park davor, trifft sich auch die Drogenszene und viele Menschen ohne Obdach leben ebenfalls vor dem Gotteshaus. Eine kleine Menschenansammlung feiert den „Happy Tuesday“ und wir vermuten, dass es sich um eine „Pre Mardi Gras“ Veranstaltung handelt. Bunt kostümiert ziehen sie laut trötend weiter. Im Vorbeigehen werden wir von einer leicht bekleideten jungen Lady mit einem Sticker beklebt. Sie begleitet ihr Tun mit einem ansteckendem Lachen im Gesicht und den Worten: „Happy Tuesday!“

Wir haben mittlerweile Appetit bekommen und finden ein rustikales Restaurant mit lokaler Küche. Es ist längst Mittagszeit und zum Essen gönne ich mir mal ein großes Bier. Wir sind schließlich in NOLA und heute Abend wollen wir ausgehen.

Nach dem Lunch schlendern wir weiter und entdecken ein Museum. Es ist das DEATH MUSEUM und das wollen wir uns unbedingt anschauen, bevor wir die Stadt verlassen. Satt gegessen und voller neuer Eindrücke kehren wir zum Parkplatz zurück und ziehen um auf den sicheren RV Stellplatz mit Swimmingpool. Dann machen wir einen ausgedehnten Mittagsschlaf und hören „Die Drei Fragezeichen“, um schnell einschlafen zu können. Wir haben schließlich eine lange Nacht vor uns.

RV Stellplatz beim French Quarter

Heute Abend setze ich mir meinen Hut auf. Wir sind in New Orleans. Da können wir uns auch mal etwas in Schale werfen. In allerbester Stimmung machen wir uns fertig und während Jutta noch beschäftigt ist, überbrücke ich die Wartezeit mit einem kleinen Bier.

Bevor wir in die erste Bar des Abends gehen, heute wollen wir Livemusik, spazieren wir erst durch dunkle, abseitige und einsame Gassen, bis es dann nach einer Weile immer belebter wird je näher wir der Bourbonstreet kommen.

Abseits ist es etwas ruhiger…

Zuerst wollen wir runter zum Fluss. Den Mississippi wollen wir sehen und den alten Raddampfer, auf dem wir morgen Abend an einer Dinner Tour teilnehmen werden.

Der Fluss ist beeindruckend breit und der Schaufelrad-Dampfer liegt am Kai. Ein gespenstischer Nebel wabert über den Fluss und umhüllt den Kahn, als wolle er ihn langsam verschlingen.

Mississippi Dampfer

In weiter Ferne sehen wir die beleuchtete Brücke über die wir NOLA erreicht haben. Rechts davor die schöne Skyline der wenigen Hochhäuser. Wir checken schon mal die Lage, damit morgen alles reibungslos läuft und wir in etwa wissen, was uns erwartet. Eine Stunde bevor das Boot ablegt sollen wir vor Ort sein. So steht’s geschrieben….

..aufmerksam beobachte ich das Geschehen am Pier. Die in Abendgarderobe gekleideten Gäste zeigen alle ihre Karten vor und werden freundlich willkommen geheißen vom Bordpersonal. Dann geht es über eine lange Gangway rauf auf’s Boot. Die Damen müssen aufpassen, dass sie mit ihren hohen Absätzen nicht stecken bleiben. Bemüht, so elegant wie möglich diesen Weg hinter sich zu bringen, wird oben an Deck bereits wieder gescherzt und die Konversation mit dem Gatten wird fortgesetzt. Ich habe für morgen auch eine Karte, um an Deck zu kommen. Doch ist hier und heute nicht ein einziger Farbiger zu sehen, außer mir selbst. Ich jage den Gedanken zum Teufel und konzentriere mich auf die Gegenwart. Ich achte auf jedes Detail: Wo sind die Rettungsboote? Wo befinden sich die Außentreppen? Es gibt mehrere Decks, zu erreichen über Treppen, die innen und außen verlaufen. Kann ich die Washrooms von hier erkennen? In einem der Washrooms wird eine Pistole für mich deponiert sein, im Spülkasten. Aber erst morgen.

Wo könnte die Pistole sein?

Heeh, was lungerst du hier herum? Du hast hier nichts verloren. Verschwinde Boy!“ Ein Hafenarbeiter ist auf mich aufmerksam geworden und marschiert stramm auf mich zu. Ich denke nur: „Heute ist dein Glückstag du Hurensohn.“ und ziehe mich zurück. Ich will keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Heute nicht. Nein, heute noch nicht.

Als wir uns das ganze Treiben genug angeschaut haben, bekomme ich Durst. „Komm Jutta, lass uns weiter gehen, ich habe Bock auf Jazz und ein großes, kaltes Bier.“

Überall laufen feiernde Leute rum, alle sind gut gelaunt. Das steckt an. Manche torkeln bereits und Musik dröhnt aus jeder noch so kleinen Bar. Wir können uns nicht sattsehen an diesen einzigartigen Häusern hier, an den verschnörkelten Balkonen und den geschmückten Fassaden. Teilweise hängen bunte Banner an den Geländern. Blumen und Girlanden verschönern die Sitzecken auf den Galerien. Aber wie lebt es sich hier im French Quarter, in der Nähe der Bourbonstreet? Jede Nacht wird lauthals gefeiert. Ausgelassene Stimmung jeden Tag, ab spätem Nachmittag geht das Gelage los. Musik überlagert sich aus allen Richtungen. Man muss es schon lieben das Quarter, um hier glücklich zu sein oder sehr gut schallisolierte Fenster haben.

Bourbonstreet / French Quarter by night

Wir stürzen uns erwartungsfroh ins Getümmel. Wir haben Bock zu feiern. Es dauert nicht lange, da hören wir wieder eine Dixieland Band aufspielen. Kurz horchen wir am offenen Eingang und sind uns sofort einig. Mit dieser Kneipe fangen wir an. Alle Tische sind besetzt, aber am Tresen ist ein Lücke, die reicht für uns.

Diese prädestinierten Plätze am Tresen, an der Quelle sind eh meine bevorzugte Wahl. Die Übersicht ist besser und der Nachschub ist gesichert. Ich glaube ich erwähnte es bereits, ich hasse leere Biergläser. Das liegt an meiner Cenosilicaphobie. Das ist die Angst vor leeren Biergläsern. Das gilt allerdings auch für Flaschen und für Dosen im gleichen Maße. Solange das Glas noch halbvoll ist, ist die Welt in Ordnung, aber nähert sich der Pegel dem Boden, dann steigt langsam Unbehagen in mir auf. Sitzen wir nun irgendwo mitten drin an einem Tisch, dann suchen meine verzweifelten Blicke längst nach der Bedienung und der Stresspegel steigt. Das kann natürlich auch in einer gut besuchten Bar am Tresen passieren. Die Barkeeper könnten zu beschäftigt sein, um sich um mich zu kümmern oder irgendwo im Laden rumlaufen. Vielleicht müssen sie gerade eine Flasche Jack Danielsaus dem Schnapslager holen. Dann werde ich wieder unruhig. Aber am Tresen ist es allemal entspannter und die Wahrscheinlichkeit, dass die Bar längere Zeit unbeaufsichtigt ist, ist doch ziemlich gering. Wenn dann doch mal der seltene Fall eintritt und es ist keine Bedienung in meinem Sichtfeld, das Glas aber schon fast leer, dann kommt langsam Panik in mir hoch. Sie kriecht von tief unten aus dem Bauchraum langsam aber stetig nach oben. Schweißperlen auf der Stirn sind die ersten Anzeichen dafür. Hilflose Blicke in alle Richtungen.

„Wo ist die verdammte Bedienung!“, möchte ich schreien, tue es aber nicht. Ich verliere nie die Kontrolle. Da können Sie jeden fragen.

Bar mit Live Jazz, aber leider mit Plastikbierbechern

Wir haben einen tollen Platz und sehen die Band auf der Bühne mit viel Spielfreude jazzen. Einige Leute tanzen und auch wir amüsieren uns prächtig. Die Zeit vergeht rasend schnell. Wieso ist das immer so, wenn man was Tolles erlebt? Ein eigenartiges Phänomen. Draußen können wir sehen wer so vorbeischlendert und auch mal einen Blick hinein riskiert. Es ist mittlerweile rappel voll, auch an der Bar. Wir passen gut auf den Barhocker des Anderen auf, wenn mal Einer von uns in den Washroom muss. Wir rücken immer dichter zusammen, mal drängelt sich ein verzweifelter Bargast an mir vorbei, um sich was zu bestellen. Keiner kann mehr Verständnis dafür aufbringen, als ich selber.

Er sieht noch entspannt aus, keine Schweißperlen auf der Stirn. Aber wer weiß, Cenosilicaphobie ist eine seltene Krankheit und die Dunkelziffer könnte sehr hoch sein.

Die Band macht eine Pause und wir überlegen weiter zu ziehen. Die Drinks werden geleert und los geht es. Raus auf die Straße, die Bourbonstreet runter an die belebteste Ecke. Das ist diese kleine Kreuzung mit der hohen Polizeipräsenz und überall steppt der Bär. Wie ein großer Jahrmarkt. Coole Leute laufen hier rum, schrille Leute, aber auch merkwürdige und kaputte Leute sind nicht selten. New Orleans, French Quarter. Hier ist jeder willkommen.

…berittene Polizei zeigt Präsenz

„Komm wie du bist, aber komm.“ So heißt es doch auch schon in der Bibel.

Ich weiß schon wo ich hin will. Wieder höre ich Livemusik, doch diesmal keinen Jazz. Guns ‚N Roses dröhnt aus einer großen Bar mit vielen offenen Türen, die mir gestern schon aufgefallen ist. Da die Gunners sicher nicht selber in Town sind, wird es wohl eine Coverband sein. Aber egal, da gehen wir rein. Im Vergleich zur vorherigen Bar ist hier nicht sehr viel los. Der Laden ist doppelt so groß, aber nur ein Viertel so voll. Das stört uns aber keineswegs. Etwas Rock’n’roll kann nie schaden. Und es gibt auch kein Gedränge am Tresen. Erstmal zwei Bier, hier allerdings jetzt aus der Flasche. Einen Beercooler habe ich selbstverständlich in der Hosentasche dabei. Die Band hier ist weniger spielfreudig. Jetzt kommt Black Sabbath/Paranoid, das gefällt mir. Aber danach bitte nicht Smoke on the Water von Deep Purple. Ich habe keine Ahnung, ob diese Gruppe jeden Abend hier auftreten muss. Wenn dem so ist, dann kein Wunder, dass sie nicht ständig die ein hundertfünfzigprozentige Show abliefern. Es sind ja auch nicht viele Gäste da. Eine Handvoll Leute steht vor der Bühne, schon begeistert, aber nur eine ziemlich betrunkene Dame tanzt.

Deep Purple bleibt mir erspart, die Band macht Pause und der DJ legt jetzt auf. Ich kann mein Glück kaum fassen, er spielt Tennessee Whiskey von Chris Stapleton. Cheers!

Mit dem Song im Rücken und meinem Bier in der Hand stelle ich mich in den Türrahmen und schaue dem bunten Treiben auf der Straße zu. Ich liebe NOLA.

…mal kurz frische Luft schnappen…

Nachdem dieser grandiosen Song verklungen ist, gehe ich zurück an den Tresen. Ich sage zu Jutta, „Bin mal eben kurz aufs Klo, komme gleich zurück…….!“

….auf dem Weg zum Washroom höre ich eine Stimme rufen.

Hey du, was willst du hier, solche wie dich wollen wir hier nicht haben. Verschwinde aus meinem Laden!“

Ich weiß schon was jetzt kommt. Diese Situation erlebe ich nicht zum ersten Mal, bei Gott nicht.

Der Barkeeper wird mir folgen. Aber es ist ernst, ich bin schwer verwundet und brauche das Medipack und die Adrenalinspritze aus dem Washroom. Ich wurde angeschossen bei einem anderen Auftrag. Konnte mich gerade noch in diese Bar retten. Die Wunde ist nicht besonders schlimm, doch ich muss mich darum kümmern.

Die Bar habe ich schon beim Reinkommen abgescannt. Es sitzen fünf Leute am Tresen, drei Typen und zwei Ladies. Die sollten mir keine Schwierigkeiten machen. Der Barkeeper allerdings ist ein regelrechter Schrank, einen guten Kopf größer als ich.

Ich bin bereits im dunklen Flur vor dem Washroom und der erlösende Kick der Spritze ist zum Greifen nah. Da werde ich von hinten an der Schulter gepackt. „Ich habe gesagt, Leute wie deinesgleichen wollen wir hier nicht!“

Leute wie deinesgleichen.“, denke ich bei mir „was sind denn Leute wie meinesgleichen, du Arsch?“

Gleichzeitig überlege ich in Bruchteilen von Sekunden, wie ich den behäbigen Typen aus dem Weg räume. Schießen ist keine Option. Dann wimmelt es hier in wenigen Minuten im ganzen Viertel von Cops. Irgendeiner der Gäste rennt immer los zur nächsten Telefonzelle. Den müsste ich dann auch noch ausschalten. Ich könnte ihm den Kiefer zertrümmern, aber das ist für meine Faust dann auch sehr schmerzhaft. Etwas angenehmer für mich ist es, wenn ich ihm einen schnellen und harten Schlag auf die Leber oder die Niere gebe, aber dann kommt er wieder auf die Beine. Seinen Kehlkopf werde ich verschonen, denn ich will ihn nicht umbringen und so was geht leicht tödlich aus. Seine Nase könnte ich zu Brei schlagen, das setzt sie in der Regel auch außer Gefecht. Aber wegen seiner Größe kann ich nicht die volle Wirkung erzielen. Der Weg ist zu weit und ich verliere Zeit. Nur Millisekunden, aber trotzdem. Ich entscheide mich für den Unterkiefer.

Die Größe des Gegners spielt nur eine untergeordnete Rolle. Er darf auch kräftiger sein als ich selbst. Worauf es ankommt, das ist das Überraschungsmoment. Kurz für etwas Verwirrung sorgen reicht meist schon aus. Ich muss blitzschnell sein.

Langsam drehe ich mich zu ihm um, fixiere seine Augen. Ich bin im Vorteil, denn ich weiß was jetzt passiert. Er glotzt mich an und will gerade etwas sagen, doch bevor nur ein Laut über seine Lippen kommt, fliegt meine Faust direkt in seine hässliche Visage. Jeder meiner Muskeln ist bis zum zerreißen gespannt. Es schmerzt nur ein wenig, denn durch diese Aktion wird reichlich Adrenalin freigesetzt. Ich spüre wie sein Kinn eingedrückt wird, Knochen splittern. Er sackt zu Boden und ich ziehe ihn in den Washroom. Dann hole ich mir mein Medipack und injiziere mir die erlösende Spritze. Jetzt geht es mir besser. Bevor ich diese Rassisten-Bar verlasse, gehe ich hinter den Tresen, nehme mir das Geld aus der Kasse und verschwinde durch den Hintereingang. Die Leute am Tresen schauen nur irritiert zu. Wenn jetzt doch noch jemand los laufen sollte zu einem Telefon, um die Cops zu rufen, dann ist mir das egal. Ich kenne mich aus in den Hinterhöfen von NOLA. Da können sie Jeden fragen. Es wird heißen: „Lincoln Clay, ja ja, der kennt sich aus in den Hinterhöfen von New Orleans.“

Die Band hat ihre kurze Pause beendet und spielt bereits wieder, als ich aus dem Washroom zurückkehre zu Jutta an den Tresen. „Noch ein Bier?“, frage ich.

Rock ’n‘ Roll, Live

Eine Weile bleiben wir noch, dann bummeln wir durch die nächtlichen, erst belebten, dann immer einsamer werdenden Gassen zurück nach Hause. Als wir den Kernbereich des French Quarter, der in den Abend- und Nachtstunden ausschließlich den Ausgehwilligen vorbehalten ist, langsam verlassen, ist wieder Autoverkehr erlaubt. Zwei grelle Lichter blenden uns und kommen näher. Als sie mit uns auf einer Höhe sind, gibt es plötzlich ein lautes, knallendes Geräusch. Es klingt als prallen zwei harte, metallische Sachen aufeinander. Das Auto sackt vorne links kurz ab und dann sehe ich die Ursache für den Lärm. Der Gullydeckel ist eine Etage tiefer gedrückt worden, als der vielleicht eine Millionste Autoreifen drüber gerollt ist. Der Vorderreifen platzt und das Chassis setzt kurz auf, aber der Wagen bremst nicht. Der Vorderreifen erhebt sich aus dem Loch und schlägt dann weit nach rechts ein, denn der Fahrer hat geistesgegenwärtig richtig reagiert und ein Einbrechen des Hinterreifens verhindert. Es touchiert nur den Rand des entstandenen Kraters. Wir sind nicht die Einzigen, die diesen kleinen Vorfall bemerken. Ein hilfsbereiter Obdachloser eilt herbei mit einer großen Mülltüte in der Hand. Er stopft sie in das Loch und tritt sie auch noch etwas fest. Obwohl ich denke, es wäre besser, sie weiter nach oben raus ragen zu lassen. Dann wäre sie deutlicher zu sehen und vor dem Loch wäre besser gewarnt. Aber ich will ihn nicht belehren und sage nichts, stattdessen zeige ich ihm meine Hand mit einem nach oben gestreckten Daumen. Er sagt etwas zu uns, während der Fuß noch die Luft aus dem Müllsack stampft und amüsiert sich sichtlich dabei. Was er sagt verstehen wir nicht, vermutlich….

Reparaturarbeiten

….ist der korrupte Stadtrat daran Schuld, dass NOLA den Bach runter geht. Es wird Zeit, dass da mal jemand aufbegehrt und den feinen Herren zeigt, wo der Hammer hängt. Sogar die Straßen verkommen in diesem Viertel, niemand kann sich des Nachts mehr sicher fühlen. Gesindel treibt sich rum, Pöbel und Gesocks. Ganz zu schweigen von dem ganzen Dreck im Quarter, Müll wohin man schaut. Da sehen die anderen Viertel aber besser aus. Schöne weiße Häuser mit grünem Rasen davor. Zwei Autos in der Einfahrt vor der Doppelgarage. Eins für Mrs. Saubermann und eines für Mr. Saubermann. Hinter dem Haus steht eine Schaukel für die Blagen der Saubermanns, gleich neben dem BBQ Grill. Vor der Terrasse ist ein Pool, denn man will zeigen, was man hat. Man will zeigen, dass man ein hart arbeitender Familienvater ist, der sich seinen Champagner am Pool redlich verdient hat. Redlich, von wegen…….

.war es nicht so wichtig, was er gesagt hat. Auf dem Heimweg kommen wir an unserem ersten Stellplatz vorbei. Wir spekulieren wer morgen noch da stehen wird und wer wohl bereits abgereist sein wird, wenn wir hier wieder hier vorbeikommen.

Und dann sehen wir schon den hohen Zaun unseres RV Parks, der Sicherheit ausstrahlt, der aber auch eine Distanz schafft. Hier wird eine klare Grenze gezogen. Eine Grenze, die ich überhaupt nicht haben will. Das wird mir jetzt gerade klar.

Rein kommt man nur mit dem Key, einem Zahlencode, der an dem Schiebetor auf einer kleinen Tastatur eingetippt wird. Stimmt der Key, dann rollt dieses Tor beiseite und ebnet uns den Weg auf die sichere Seite der Stadt. Auf die gute Seite mit dem Pool, den ich nie nutzen werde.

Ungenutzter Pool

„Scheiß auf den Pool.“, denke ich mir. Eigentlich würde ich doch lieber bei den Anderen stehen, die nur die Hälfte zahlen. Sie müssen auch nicht für einen Pool bezahlen, den sie nicht benutzen.

Wir sperren hier niemanden aus, nein, wir sperren uns selber ein. Es ist eine Sache der Denkweise.

Hinter uns rollt das Tor wieder in seine geschlossene Ausgangsposition. Mir ist unbehaglich dabei.

Aber was soll’s. Ist nicht die erste Fehlentscheidung die ich getroffen habe.

Ich genehmige mir noch ein Bier, bevor ich zu Bett gehe. Bin noch zu aufgekratzt von dem geilen Nachtleben in NOLA. Jutta legt sich schon ins Bett. Ich setze mir meine Bluetooth Kopfhörer auf und streame Musikvideos. Ich will wenigstens das verfickte WLAN nutzen, schließlich habe ich verdammt noch mal dafür bezahlt.

French Quarter in NOLA

Am Morgen schlafen wir uns richtig aus. Wir frühstücken draußen, duschen in den erstklassigen Washrooms und ich sehe diesen Pool und frage mich, ob da jemals jemand rein steigt. Er ist immer leer, wenn ich zu den Restrooms gehe, obwohl alle Stellplätze hier drinnen belegt sind. Sie sind belegt von Riesenwohnwagen und Campern größer als Reisebusse. LEMMY gehört hier nicht rein, wir gehören hier nicht rein. Morgen verlassen wir New Orleans. Aber vorher….

….habe ich noch was zu erledigen. Einen Job, einen schmutzigen Job, den ich lieber selber erledige, bevor ihn jemand anderes verpatzt.

…wollen wir uns noch das Death Museum ansehen. Es ist in der Bourbonstreet und wir haben es nur zufällig, quasi im vorbeischlendern, entdeckt. Das könnte interessant werden. Wir waren mal in einem Torture Museum in Amsterdam, das war auch sehr spannend. All die ganzen Foltergeräte und Werkzeuge und technischen Gerätschaften. Wer denkt sich so was aus? Der „spanische Esel“ beispielsweise, ein Gerät welches höllische Schmerzen verursacht. Jemand wird auf einen Holzbock gesetzt, der nach oben hin immer schmaler wird. Gewichte an den Füßen des zu Folternden ziehen den Leidenden nach unten, so dass nach kurzer Zeit die Qualen im Schritt nicht mehr zu ertragen sind. Die Hände sind auf dem Rücken gefesselt, so dass auch ein Abstützen nicht möglich ist.

„Der Mensch ist das schlimmste Tier.“

Und dann haben wir heute Abend die Dinner Tour auf dem schönen alten Mississippi Schaufelraddampfer. Ich wollte gerne die Dinner Tour, weil es abends schöner ist, vom Wasser auf die Skyline zu blicken, wenn die Lichter der Stadt angehen und ein nebliger Dunst über den Fluss schwebt. Dazu spielt eine Jazzband an Bord alte Dixieland-Klassiker.

Dinner Cruise

Weil wir beide heute morgen etwas verkatert sind, gehen wir es langsam an. Bevor es losgeht, machen wir einen frühen, aber kurzen Mittagsschlaf.

Wir gehen immer mal etwas andere Pfade, damit wir mehr Einblicke gewinnen in dieses faszinierende Stadtviertel. New Orleans ist jetzt schon zu einem wichtigen Highlight auf dieser Reise geworden und das French Quarter ist einzigartig. Nicht nur das Nachtleben in und um die belebte Bourbonstreet ist fantastisch. Auch die ganzen schrillen Figuren, die hier rumlaufen. Der Hauch von Voodoo, der besonders durch die abseitigen, die verlassenen Gassen schwebt. Das alles sauge ich förmlich in mich auf, inhaliere die wohlriechende Shitwolke, die allgegenwärtig scheint und mich wieder kurzzeitig nach Amsterdam beamt.

„Es riecht so gut!“

Aber nur sehr kurz, denn da sehe ich schon den Eingang. Und in Großbuchstaben steht über der breiten Glasfront und den ersten Ausstellungsstücken, vor einem roten Samtvorhang im Schaufenster: MUSEUM OF DEATH.

Wir gehen durch die blickdichte Tür in den Vorraum und bekommen einen ersten Eindruck von dem was uns erwartet, wenn wir unsere Tickets bei dem jungen Mann hinter Glas gelöst haben. Wir erwerben die Berechtigung durch die zweite Tür zu gehen in das Museum, aber wir haben auch einer Verpflichtung zugestimmt, nämlich nicht zu fotografieren.

Wir lassen uns auf den Deal ein.

Zwei Stunden Zeit haben wir für dieses Museum eingeplant und das müsste gut passen, denn es ist nicht besonders groß. Das Ende des Raumes ist bereits zu sehen und auf der anderen Seite geht es dann auch schon wieder raus. Aber hinten ist noch ein kleiner Vorführraum, da werden Filme auf die Leinwand projiziert. Das kommt allerdings später dran.

Es gibt verschiedene Sektionen mit unterschiedlichen Themengebieten.

Außer uns sind nur wenig andere Besucher hier. Es ist sehr still und wenn gesprochen wird, dann im Flüsterton.

Es beginnt relativ harmlos nachdem wir die zweite Tür durchschritten haben. Einige Tierskelette werden zur Schau gestellt, manche in Glaskästen, andere stehen so da. Dann gibt es auch Embryos und missgebildete Tiere in großen Einweggläsern zu sehen, in denen sie in einer Flüssigkeit für die Ewigkeit konserviert bleiben.

Die nächste Sektion widmet sich den Serienkillern.

Dieses Thema hat mich als Kind schon fasziniert. Ebenso Hexen und überhaupt das Unfassbare. Darüber besitze ich sogar ein Buch. Ein Buch über das „Unfassbare“. Es gehörte meinem Kumpel Oliver, aber ich habe ihn über Jahre genervt, ob er es mir nicht überlassen könnte. Ausleihen durfte ich es jederzeit und das habe ich auch oft genutzt, aber ich wollte es besitzen. Eines Tages, nach vielen Jahren, wir hatten nur noch selten Kontakt, da schenkte er es mir. Es liegt jetzt im Waterhole im Wohnzimmer bei den Bildbänden und anderen tollen Büchern im offenen Schrank. Ich sehe es jeden Tag. Reingeschaut habe ich seitdem nie wieder.

In dieser Sektion gibt es viel zu lesen, aber auch etliche Fotos werden präsentiert. Es geht unter anderem um John Wayne Gacy, der als Clown seinem pädophilen Trieb nachging, bevor er seine Opfer ermordete. Aber auch viele andere Killer werden vorgestellt und Zeitungsartikel und Tatortfotos werden gezeigt. Ich nenne nur einige Namen um die es hier geht: David Berkowitz,

Henry Lee Lucas, dem sogar ein Film gewidmet wurde (Henry – Portrait of a Serial Killer), Andrew Cunanan, Richard Ramirez und noch Viele mehr. Über Charles Manson wird in einer eigenen Abteilung ausführlich berichtet.

Was ist das für ein Leben, wenn man keine Empathie empfinden kann? Fassungslos und ohne Antworten gehen wir weiter. Ich denke wieder an Mike Horns Worte: „Der Mensch ist das schlimmste Tier!“

Ich will es kurz machen, einen Besuch ist dieses Museum in jedem Fall wert, wenn man etwas mit dem Thema anfangen kann und nicht ganz zart besaitet ist. Wir sehen echte Schrumpfköpfe, fiktive Schurken aus Comics und Filmen. Wir stehen vor „The Thanatron“, Jack Kevorkian’s Death Machine und noch vielen anderen skurrilen Ausstellungsstücken.

Was uns aber echt den Rest gibt und wo es auch für mich unerträglich wird, das ist der winzige Theatersaal, den man zwangsläufig durchquert, wenn man in den Restroom muss. Wir setzen uns kurz, um zuzuschauen was dort auf der Leinwand läuft. Es ist in schwarzweiß. Aber alles was hier gezeigt und besprochen wird ist echt. Dokumentationen von grauenvollen Unfällen werden gezeigt, abgefilmte Tatorte mit den leblosen Opfern. Oft sind Kinder involviert und nach wenigen Minuten verlassen wir den Saal um erstmal durchzuatmen.

Ich liebe den Nervenkitzel und mir machen die brutalsten Horrorfilme nichts aus, weil ich die Gewissheit habe, dass das alles Fiktion ist, was ich auf dem Bildschirm sehe. Ich will mich gerne erschrecken und auch gruseln. Aber ich will keine echten Unfälle sehen, geschweige denn die Verunglückten. Ich will auch keine Tatortfotos mehr sehen mit echten Opfern. Nicht auf Leinwand und auch nicht als Zeitungsartikel mit detaillierten Fotografien, wie in der nächsten Sektion. Dort erfahren wir, dass in den USA bis in die 70er Jahre noch Fotos von Unfallopfern in den Zeitungen abgebildet wurden, mit allen schrecklichen Details. Wir überspringen diese Ecke und finden auch die Abteilung äußerst befremdlich, die Fotos von toten Kindern zeigt. Das schien wohl zu einer bestimmten Zeit üblich gewesen zu sein, die verstorbenen Kinder in den üblichen Porträtposen fotografieren zu lassen, um sie sich eingerahmt auf den Kaminsims zu stellen.

Zum Ende gibt es wieder etwas leichtere Kost und wir verlassen nach gut zwei Stunden dieses Haus des Todes.

Weiter geht es runter an den Mississippi. Auf den Schrecken im MUSEUM OF DEATH könnte ich allerdings gut ein kaltes Bier vertragen. Gelegenheiten sich „Drinks to Go“ zu besorgen, gibt es überall. Da hier der Alkoholkonsum auf der Straße toleriert wird, geniere ich mich nicht, mit einer großen Bierdose in einer braunen Papiertüte, auf der Straße rumzulaufen. Unten am Fluss haben wir noch genug Zeit, uns auf einer Bank niederzulassen, auf den Mississippi zu schauen mit Blick auf den alten Dampfer und uns auszutauschen über das gerade Erlebte.

Warten auf die Dinner Cruise Tour

Ich trinke gemütlich meine Bierdose aus und dann stellen wir uns, mit als Erste, in die Schlange der wartenden Passagiere….

.für heute Abend habe ich mich extra in Schale geworfen. Abendgarderobe ist an Bord angesagt. Ich habe mir von Burke, der alten Saufnase, einen schwarzen Anzug besorgen lassen, ein weißes Hemd, schwarze Hose und passende Lackschuhe. Burke ist Mittags immer schon betrunken, obwohl, was heißt eigentlich schon? Wahrscheinlich ist er nach dem Frühstück noch nicht mal nüchtern. Vermutlich ist er seit Jahren nicht einen verdammten Tag nüchtern gewesen, aber er ist verlässlich. Darauf kommt es an. Was er zusagt, das hält er. Egal was ich von ihm will, egal wann ich ihn brauche, er ist stets zur Stelle und er vergisst nie etwas. Niemals.

Ich bin relativ weit vorne in der Warteschlange, denn ich will rechtzeitig an Bord sein. Zeit gewinnen, um nach der Pistole zu suchen. Sie wird in einem der Washrooms in irgendeinem Spülkasten der Toilette versteckt sein.

Ich bin ganz alleine hier unter vielen Paaren. Und ich bin nicht weiß wie alle Anderen. Ich merke wie Blicke mich treffen und höre wie leise getuschelt wird über mich. Über den Fremden, über den, der hier nicht hergehört….

….wir rücken weiter auf und kommen der Gangway näher. Etwas weiter vorne in der Schlange checkt das Bordpersonal die Eintrittskarten. Wir schauen uns die anderen Gäste an. Wer steht da vor uns und wer hinter uns in der Reihe? Auch wir werden beäugt. Ist schon interessant mit wem man sonst noch so einen Abend auf dem Mississippi verbringt. Die ersten Passagiere sind bereits auf dem Weg an Bord und wir kommen dem Kontrollpunkt immer näher….

…. „Sir, dürfte ich bitte ihre Karte sehen?“, werde ich unvermutet von hinten angesprochen. Ein Offizieller vom Bordpersonal spricht ausgerechnet mich an. Niemanden vor mir in der Reihe und auch niemanden hinter mir.

Warum auch, alle anderen sind weiß.

Ich bin auch hierauf vorbereitet. „Selbstverständlich.“, sage ich höflich und händige meine Einladung diesem Drecksack aus.

Dann sage ich noch mit einem Lächeln im Gesicht und mit freundlichen Worten: „Wenn Sie Sir, irgendetwas auszusetzen haben an meinem Einladungsschreiben, dann werden Sie Sir, von meinen einflussreichen Freunden an Bord einen gehörigen Arschtritt bekommen!“

Er glotzt mich verdutzt an. Ich setze flüsternd nach. „Wenn Sie bescheuerter Hinterwäldler nicht wissen, wer ich bin, dann Gnade Ihnen Gott! Und wenn ich jetzt nicht unverzüglich an Bord komme, dann schneide ich dir deine verdammten Eier ab und serviere sie den Krokodilen in dieser dampfenden Mississippi-Brühe.“

Bitte entschuldigen Sie Sir, ich habe Sie nicht gleich erkannt.“,stammelt er vor sich hin, wie ein kleiner Schuljunge, der vor Lyndon B. Johnson steht.

Kommen Sie Sir, bitte folgen Sie mir, ich bringe Sie unverzüglich an Bord…..“

Nachdem wir eingecheckt sind und unsere Plätze eingenommen haben an Bord des „City of New Orleans“ Schaufelraddampfers, bestelle ich mir erstmal ein kleines Bier. Ich habe nur ein leichtes T-Shirt an und muss mit Erschrecken feststellen, dass hier die Aircondition auf Hochtouren läuft, obwohl es draußen doch schon recht kühl ist. „Fuck!“, sage ich zu Jutta, „hätte ich mir bloß mal einen Pulli mitgenommen.“ Aber jetzt ist es zu spät, frierend starte ich in den Abend zu dieser Dinner Tour.

Jazz statt Rock ’n‘ Roll

Die anderen Gäste rücken langsam nach und wir beobachten, wer alles so Platz nimmt auf unserem Dinner Deck. Das Buffet sehen wir vorne schon und die Band hat zu spielen begonnen.

„Bevor die Suppe serviert wird, gehe ich mal kurz in den Washroom!“, sage ich zu Jutta…

…vor dem Washroom stehen bereits zwei Typen. Ich stelle mich an dritter Stelle an.

Einer von den Beiden erzählt dem Anderen offensichtlich gerade einen Witz: „….und die gute Fee sagt zu den Dreien, die nebeneinander am Tresen stehen, das jeder einen Wunsch frei hat.“ „

Was wirklich?“, fragt der Mexikaner.

Ja, aber sicher, nur zu, wünsch dir etwas.“

Der Erzähler muss jetzt schon fast laut loslachen, hält aber an sich.

Ok.“ sagt der Mexikaner, „dann wünsche ich mir, dass alle meine mexikanischen Brüder und Schwestern und alle meine Landsleute zurück in Mexiko sind und dort ein unbeschwertes und glückliches Leben führen können.“

Die gute Fee sagt: „So sei es!“

Und nun du, mein schwarzer Freund, was wünscht du dir denn?“, spricht die gute Fee.

Der Schwarze antwortet, „Gute Fee, ich wünsche mir, dass alle meine Brüder und Schwestern und alle Farbigen mit mir in mein geliebtes Afrika zurück können, um dort ein glückliches und unbeschwertes Leben zu führen!“

Dein Wunsch sei dir gewährt, mein lieber Freund.“, sagt die gute Fee dem schwarzen Mann zugewandt.

Und du, Cowboy?“, sagt sie zu dem Amerikaner, „was ist dein Begehr?“

Der Amerikaner spricht: „Habe ich das richtig verstanden, alle Nigger sind wieder in Afrika und die Bohnenfresser sind alle zurück nach Mexiko?“

Aber ja“, sagt die gute Fee, „sieh nur, wir sind nur noch zu zweit hier am Tresen.“

Der Amerikaner überlegt kurz und sagt, „Ok, dann hätte ich gerne eine Coke!“

Der Erzählende prustet lauthals los und kann sich kaum halten vor Lachen, der andere stimmt in das Gelächter mit ein.

Sie bemerken mich und sind sichtlich irritiert, versuchen aber sich nichts anmerken zu lassen. Verkrampft setzen sie ihre Unterhaltung fort: „Ach wie schön, Jean geht es wieder besser. Bitte richte ihr meine herzlichsten Genesungswünsche aus…“

Ich warte geduldig, bis erst der Eine und dann der Andere sein Business erledigt hat. Jetzt bin ich dran. Ich schließe die Tür hinter mir und öffne den Spülkasten der Toilette. Bingo. Sofort ein Treffer. Die Knarre ist mit Klebeband unter der Spülkastenabdeckung befestigt. Es ist eine österreichische Glock 17. Damit kann ich gut leben. Das ist eine Präzisionswaffe mit siebzehn 9 mm Patronen im Magazin. Ich will allerdings versuchen mit nur einer Patrone auszukommen. Normalerweise brauche ich den Rest der Patronen für die Leibwächter und Unvorhergesehenes. Ich habe bereits mehrfach mit dieser Pistole gearbeitet. Sie besteht nur aus 33 Komponenten. Und schon Henry Ford sagte: „Was nicht da ist, das kann auch nicht kaputt gehen.“

Ich verstecke die Glock links in meinem Hosenbund unter dem Jackett. So, dass sie nicht zu sehen ist und ich sie trotzdem gut greifen kann. Dann verlasse ich den Washroom und begebe mich auf das Oberdeck, wo der korrupte Stadtrat gerade seine Rede hält…

und wenn mir der Witzbold von eben noch mal über den Weg läuft, dann…., na dann werde ich es sein, der was zu lachen hat…

…ich komme gerade rechtzeitig zurück, als die Vorspeise, das Gumbo serviert wird. „Noch ein Bier bitte!“, rufe ich unserem Kellner hinterher.

Er dreht sich kurz um und nickt lächelnd.

Der Saal ist gut gefüllt und das Buffet ist offen. Am Tisch neben uns haben sich zwei junge Damen in schicker Abendgarderobe niedergelassen. Sie trinken exotische und sündhaft teuer aussehende Cocktails und sie sind ohne Gumbo sofort zum Buffet marschiert. Ich wollte gerade noch sagen: „He, wartet doch erst mal die Vorspeise ab, die wird am Tisch serviert.“ Aber da waren die Beiden schon unterwegs. Mit voll bepackten Tellern kommen sie zurück an ihren Tisch, der ziemlich klein ist. Unglücklicherweise stößt die eine von den beiden Ladies ihren Cocktail um.

Frustriert läuft sie zur Bar, um sich einen neuen sündhaft teuren Cocktail zu holen. Als sie zurück kommt, dürfte ihr Dinner bereits kalt geworden sein.

Wir genießen unser Gumbo und holen uns danach etwas Hühnchen, gebratene Kartoffeln und grüne Bohnen vom Buffet. Nach dem halbwegs köstlichem, südstaatlichem Essen, gehen wir nach draußen, weil es im Innenbereich durch die Aircondition viel zu kalt ist.

Wir wollen die Skyline sehen und gehen auf das Oberdeck….

New Orleans vom Mississippi

.da steht der Schnösel und hält seine Rede und die Leute lauschen gebannt seinen Worten. Darum falle ich niemandem auf, alle hängen an seinen Lippen, glauben seinen Lügen. Er sieht so dümmlich aus in seinem marineblauem Jackett. Die blonde Haarsträhne seines Scheitels flattert im Wind. Sie wurde gut frisiert vor diesem Auftritt, doch für den Wind an Deck dieses Dampfers können die Maskenbildner und Wahlstrategen auch nichts. Er haut den Leuten seinen Dünnschiss um die Ohren und sie klatschen Beifall. Sie klatschen Beifall. Was ist aus dieser Welt geworden? Er hebt seine beiden Arme und wiegt sie langsam auf und ab, um den Beifall zu beschwichtigen. Überheblich und arrogant steht er da oben an seinem Rednerpult, der Beifall ebbt ab. Was ist, wenn dieser Irre Gouverneur wird? Was ist, wenn dieser Verrückte danach noch andere Ambitionen hat? Wenn er Präsident der Vereinigten Staaten werden will. Das kann selbstverständlich niemals geschehen, denn so dumm sind die US Bürger nicht. So dumm sind sie doch nicht.

Aber was, wenn doch?

Was geschieht, wenn dieser Psychopath eine Mehrheit der Stimmen erhält?

Dazu wird es niemals kommen, denn ich werde meinen Job erledigen. Ich muss nur einen guten Platz finden, um unbemerkt meine Glock aus dem Hosenbund zu ziehen, um unbeobachtet einen guten Schuss abfeuern zu können…. oben auf dem Oberdeck…

…da ist die Aussicht besonders beeindruckend. „Schau mal, die Brücke da hinten, da sind wir drüber gefahren als wir nach New Orleans gekommen sind.“, sage ich zu Jutta. „Und jetzt schippern wir auf dem Mississippi unter dieser Brücke durch und hören live eine Jazzband. Ist das nicht fantastisch?“

Mississippi River

Jutta stimmt mir zu und wir sprechen über die weiteren Reisepläne. Memphis ist nicht mehr Thema, denn auf Schnee, Winter und eisige Kälte haben wir beide keine Lust mehr. Graceland wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Aber das Coven House und die Whitney Plantation, das ist jetzt aktueller denn je. Aber noch genießen wir die Raddampferfahrt, obwohl mir auch hier an Deck, durch den Fahrtwind, echt kalt ist. Wir sitzen dicht nebeneinander auf einer Bank und teilen uns Juttas Jacke. Sie ist mit dem rechten Arm im Ärmel, ich mit dem Linken. So kann man es aushalten, ich …

.suche mir eine gute Schussposition. Ich verberge mich in einer Nische, hinter zwei Pfosten, unter einem weiteren Deck über mir. Und da alle Passagiere gebannt auf den arroganten Schnösel hinter dem Rednerpult blicken, falle ich niemandem auf. Kein Mensch bemerkt, wie ich meine Glock 17 aus dem Hosenbund ziehe und in Richtung des Rednerpults ziele. Alle Blicke sind nach vorne gerichtet, niemand sieht mich, den Schwarzen, den Farbigen, den Ausgestoßenen. Niemand sieht mich…..Ich warte nur auf den geeigneten Augenblick, muss die Lücke erwischen zwischen den verblendeten Anhängern dieses Großmauls von Stadtrat. Diesen Bullshit King.

Ich drücke ab.

Personen schreien, jemand mit marineblauem Anzug hinter dem Rednerpult stützt leblos zu Boden, Menschen rennen wild durcheinander. Einige Personen springen über die Reling von Bord, in den von Krokodilen verseuchten Fluss.

Ich renne die Treppe hinunter, eine Etage tiefer, um Abstand zwischen mich und dem Tatort zu bringen. Obwohl das Chaos wohl so groß sein dürfte, dass sich im Augenblick niemand auf mich konzentriert. Aber morgen in den Zeitungen, dann wird davon berichtet werden, wer für diesen Anschlag verantwortlich ist. LINCOLN CLAY.

Who am I…?

Ich lege Feuer im Maschinenraum des Dampfers, um Zeit zu gewinnen und die Aufmerksamkeit noch weiter von mir wegzulenken. Je mehr Chaos ich stifte, desto besser kann ich untertauchen.

Da sehe ich den Witzbold von vorhin, als wir zu dritt vor dem Washroom gewartet haben. Er kommt mit angstverzerrtem Gesicht auf mich zu gelaufen, ohne mich zu sehen. Alle laufen hier schreiend durcheinander, niemand achtet jetzt auf den Schwarzen an Bord. darum gönne ich mir nun einen kleinen Witz.

Hey du!“, rufe ich ihm zu. Schockiert kommt er direkt vor mir zum Stehen. Er realisiert in diesem Augenblick wer ich bin. „Ich kenne auch einen guten Witz!“, sage ich ihm grinsend ins Gesicht.

Willst du ihn hören?“, frage ich und nicke dabei, weil ich seine Antwort bereits kenne.

Neeeiiiiiiin!“, heult er und jammert….“biiittte….“

Niemand beachtet uns, alle laufen durcheinander, immer noch springen Leute in feinen Anzügen von Bord. Das Feuer lodert von unten immer weiter nach oben. Die Personenschützer haben wohl begriffen, dass sie Feierabend machen können. Es gibt niemanden mehr zu schützen. Einige Männer vom Bordpersonal lassen Rettungsboote zu Wasser und Damen in teuren Kleidern klammern sich kreischend aneinander.

Ich ziele mit meiner Glock direkt zwischen seine Augen. In diesem Moment gibt es nur ihn und mich. Alles Andere um uns herum läuft in Zeitlupe ab. Es gibt auch keine Geräusche mehr, kein Geschrei, kein Feuer, kein Getöse im Wasser, keine Hilferufe. Es gibt keine Farben mehr, kein Blut. Alles ist schwarzweiß.

Ich sage: „Ich mag keine Coke, ich bevorzuge Pepsi.“ Dann drücke ich ab.

Auch ich springe in den Fluss, kopfüber. Menschen schreien, werden gefressen von den Krokodilen. Ich rechne mir meine Chancen aus. Wenn ich schnell schwimme, dann steigen die Überlebenschancen. Es sind auch jetzt schon mehr Menschen im Fluss als Krokodile. Es müsste mit dem Teufel zugehen, sollte ich nicht entkommen…

Ich schwimme schnell und….

…bewundere die Skyline. Die Band spielt Dixie und wir genießen die Fahrt auf dem Mississippi. Ach, was ist New Orleans doch für eine wundervolle Stadt. Sie wird für lange Zeit in unserer Erinnerung verbleiben. Doch ich…

Downtown New Orleans

.kann entkommen.

werde spätestens im Herbst wieder zurückkehren.

Nach einem fantastischen Abend auf dem Dampfer, bummeln wir durch das Quarter zurück zum Auto. Einmal kehren wir auf dem Weg noch ein, um alle Eindrücke ein wenig sacken zu lassen und dann geht es gemütlich nach Hause.

Jetzt heißt es leider schon wieder: Abschied nehmen. Ohne ein einziges Mal in den Pool gesprungen zu sein auf diesem RV Stellplatz, verlassen wir das French Quarter und machen uns auf den Weg zum Coven House. Das dürfte lediglich interessant sein für Freunde der Serie „American Horror Story“, in der jede Staffel ein neues Thema hat und für sich alleine steht. „Coven“ ist eine relativ frühe Staffel, vielleicht die Dritte oder Vierte, ich weiß nicht mehr genau. Es ist eine gute Staffel. Keine von meinen Favoriten, aber es gibt auch Schlechtere.

Um zum Haus zu gelangen fahren wir quer durch New Orleans und bekommen noch ganz andere Einblicke, als nur die vom French Quarter. Es geht durch schicke Wohnviertel und auch durch sehr ärmliche Ecken. Die Villen weichen den kleineren Häusern, die teuren Autos werden weniger und die alten Kisten nehmen zu. In den Vorgärten ist zusehends mehr Gerümpel als grüner, frisch gemähter Rasen zu sehen. Das Bild wandelt sich sehr schnell, als wäre eine klare Linie zwischen Arm und Reich.

Das Coven House scheint des Öfteren für Dreharbeiten genutzt zu werden. Denn obwohl die Staffel längst abgedreht ist, sind große Scheinwerfer auf stabilen Stativen vor dem Haus im Garten aufgebaut. Es ist alles in durchsichtiger Plastikfolie verpackt, falls es regnen sollte. Ich parke nur kurz vor dem Haus, direkt an der Straße und schieße ein paar Fotos. Auf dem Bürgersteig kommt ein junges Pärchen um die Ecke, mit suchendem Blick. Ich nehme an, sie kommen aus dem selben Grund wie wir. Im Rückspiegel sehe ich noch, wie sie das Haus mit ihren Handys aufnehmen.

The Coven House (American Horror Story)

Für uns heißt es nun endgültig „Good Bye New Orleans!“, denn es geht weiter zur Whitney Plantation.

Die wundervolle Mississippi Metropole bleibt hinter uns zurück und wir fahren durch die Sümpfe von Louisiana. Manchmal ist es nur eine schmale Straße und links und rechts daneben befindet sich ein ausgedehntes Sumpfgebiet. Ein oder zweimal überqueren wir noch den Mississippi und ich freue mich darüber, weil ich gerne über diese amerikanischen Brücken fahre. Man kann fast den Eindruck bekommen, ganz Louisiana sei ein einziger Sumpf, was natürlich nicht der Fall ist. Aber die Gebiete durch die wir kommen, erinnern mich häufig an New Bordeaux und wie ich als Lincoln Clay dort die Gegend unsicher mache.

Sehe ich ein Haus an einem Flusslauf und ein Boot im Wasser liegen, dann möchte ich es mir einfach nehmen und damit in die endlosen Sümpfe fahren, dem Sonnenuntergang entgegen…

…wie ich es so oft schon gemacht habe. Es ist allerdings nie bei einer entspannten Bootstour geblieben, denn ich hatte immer andere Absichten. Mal will ich einen LKW mit einer Ladung selbst gebrannten Schnaps klauen oder eine große Menge an Drogen ist das Ziel meiner Begierde.

Manchmal befreie ich auch einen Gefangenen. Dabei geht es nie ohne Schusswechsel ab und einer Menge Leichen. Aber Dank meiner Verbündeten ist der Nachschub an Waffen und Munition stets gesichert. Ich muss genau planen, wie ich vorgehe und mir eine Strategie überlegen, einen Großteil der Feinde auszuschalten, ohne die Aufmerksamkeit aller Anderen zu erregen. Denn diese versteckten Schnapsbrennereien und Drogenküchen werden extrem gut bewacht. Ich habe immer eine lautlose Pistole mit Schalldämpfer dabei und meistens eine kompakte Schnellfeuerwaffe. Sogar mit dem Wurfmesser bin ich nicht schlecht und im Nahkampf macht mir keiner was vor. Sollte allerdings einer der Wachtposten Alarm schlagen, dann ist die Kacke am dampfen. Dann muss ich zusehen, das ich nicht in die Zange genommen werde. Gelegentlich schleiche ich mich von hinten an und drehe dem nichtsahnenden Gangster den Hals um. Das geht schnell und ist sehr leise. Aber am liebsten ziele ich mit der schallgedämpften Waffe aus dem Hinterhalt auf den Gegner und dezimiere die ganze Bande. Wenn das erledigt ist, geht es mit dem Schnapslaster zurück in die Stadt, um die Ladung abzuliefern, gegen Bares versteht sich. Oder es geht aufs Boot, rüber über den Fluss zum zuvor abgestellten Auto und wieder auf die Straße durch diese endlosen Sümpfe…., diese Sümpfe und die zwitschernden Vögel, die Kröten die anfangen zu quaken, nachdem die Sonne verschwunden ist. Oh ja, diese Sümpfe, die sind einzigartig…

Mit einem Blick aus dem Augenwinkel bin ich immer auf der Suche nach einem Krokodil, aber die Biester sind schwer zu erkennen aus dem fahrenden Wagen. Nach einer ganzen Weile kommen wir raus aus den Sümpfen und nähern uns der Plantage.

Ich parke LEMMY auf dem großen Parkplatz und wir sind heilfroh, dass nur so wenige Autos hier stehen. Das bedeutet, wir werden mit nur wenigen Anderen dieses besondere Erlebnis teilen, an einem sonnigen Tag.

Die Whitney Plantation ist ein Open Air Museum und eine Gedenkstätte zugleich. Es geht um den transatlantischen Sklavenhandel (TAST) in Louisiana von 1719 – 1865.

Gegründet wurde diese Indigo Farm von dem deutschen Emigranten Ambroise Heidel (später Haydel), der mit einigen Geschwistern nach Amerika kam. Über viele Generationen wurde dieser Familienbetrieb weiter geführt, bis zum Tod von Marie Azélie Haydel.

Die Versklavung von amerikanischen Ureinwohnern und den ersten gefangenen Afrikanern (die 1719 mit zwei Schiffen von der westafrikanischen Küste, Louisiana erreichten), brachten den Haydels enormen Reichtum. Sie profitierten von den Kenntnissen der Westafrikaner im Reisanbau. Später wurde die Haupteinnahmequelle allerdings der Anbau und die Verarbeitung von Zuckerrohr.

Für 50 Dollar bekommen wir zwei Eintrittskarten und für jeden einen Audioguide. Dazu gibt es noch eine Faltkarte auf der die 14 Stationen dieser Rundtour verzeichnet sind. Gemeinsam begeben wir uns auf den Leidensweg der Sklaven. Als erstes sehen wir eine kleine Kirche, doch da dies die Nummer 14 ist, gehen wir daran vorbei, um mit der Nummer 1 zu starten. Wir sind hier auf einer großen Farm mit vielen Gebäuden. Zu jeder Station drücken wir die entsprechende Nummer auf unserem Audioguide und werden mitgenommen auf eine Tour in eine uns völlig fremde Welt, in die Welt der Sklaverei.

The Whitney Plantation

Ich kenne das nur aus dem Fernsehen, als ich noch ein Kind war. Es gab damals nur 3 Programme und auf einem davon lief die Serie „ROOTS“, deren Hauptperson Kunta Kintewar. Um diesen Jungen drehte sich die Familientragödie und schon als Kind konnte ich Ungerechtigkeit nur schwer ertragen. Ich wusste, obwohl ich Kind war und obwohl es eine Fernsehserie war, dass das was ich da auf dem Bildschirm sehe echt ist. Ich wusste, das ist so oder so ähnlich passiert. Inzwischen als Erwachsener weiß ich natürlich gut Bescheid. Trotzdem gibt es einen riesigen Unterschied zwischen theoretischem Wissen über die Sklaverei und dem realen Erleben am Ort des Geschehens.

Ansicht des Herrenhauses vom Garten aus

Wir kommen an das große Herrenhaus und von vorne wirkt es ganz schön beeindruckend und auch der Garten dahinter kann sich sehen lassen. Doch geht man hinein, stellt man schnell fest das alles bloß Fassade ist. Das Haus hat keine Tiefe.

Die Frontansicht des Herrenhauses

Es diente auch im Film „Django, Unchained“ als Kulisse für ein außergewöhnliches Tarantino Meisterwerk. Aber eben nur die Fassade, alles was sich innen abspielt, wurde im Studio gedreht.

Wir sehen die Behausungen der Sklaven, die des Aufsehers und die rostigen, eisernen Käfige in die die Sklaven gesperrt wurden, nachdem sie bei irgendwelchen Vergehen erwischt wurden. Das alles ist ein Schlag in die Magengrube. Es nimmt uns mit und wir gehen beide diesen Weg, aber wieder mal Jeder für sich. Auf dem Gelände sehen wir bronzene Figuren, the Children of Whitney (Skulpturen von Woodrow Nash). Es sitzen zum Beispiel Kinder auf der Veranda und ich setze mich daneben und höre aus dem Audioguide, wie schnell die Kindheit auf so einer Sklavenplantage endete.

Wir erfahren unter welchen unmenschlichen Bedingungen die Sklaven arbeiten mussten und was mit ihnen geschah, sollten sie bei der Flucht erwischt werden.

Beim ersten Fluchtversuch, wurde ihnen mit einem heißen Eisen eine Lilie auf die rechte Schulter gebrannt und beide Ohren wurden abgeschnitten. Beim zweiten Mal wurde die Lilie auf die andere Schulter gebrannt und die Achillessehnen wurden durchtrennt. Wer es trotzdem ein drittes Mal probierte und erwischt wurde, der verlor seinen Kopf.

Auch an den Köpfen kommen wir vorbei. Nach dem größten Sklavenaufstand im Jahr 1811 wurden sehr viele von ihnen hingerichtet. Unter ihnen auch der Anführer Charles Deslondes

Charles Deslondes

Wir betrachten diese aufgespießten Köpfe im Sitzen von einer Bank aus. Allerdings sind diese Köpfe eine Kunstinstallation, trotzdem ist es wie ein Schlag in die Magengrube. Es sind mehrere Reihen aufgespießter Köpfe mit weißen Bandanas, weiter vorne in der Reihe sind auch welche mit roten Bandanas, die Anführer, auch Charles Deslondes.

Die auf Pfählen aufgespießten Köpfe dienten zur Abschreckung.

Charles Deslondes wurde nach der Gefangennahme gefoltert und bei lebendigem Leib verbrannt.

Ihm wurden einige Aufstände zur Last gelegt und er sorgte dafür, dass Andere seinem Beispiel folgten und sich gegen die Herren auflehnten.

Irgendwann waren die Tage der Sklaverei gezählt. Doch die Herren, die sich am Leid der Unterdrückten bereicherten, waren damit überhaupt nicht einverstanden. Sie entwickelten Strategien und Schlupflöcher, um ihre Profitgier weiter zu stillen und die ehemaligen Sklaven an sich zu binden. So bauten die Herren einen Laden auf, in dem die Sklaven dann einkaufen konnten. Das war zum einen eine nette Abwechslung für die Sklaven. Zum anderen konnten sie sich von dem Geld, das sie nun bekamen, etwas Luxus leisten. Doch der Gedanke der Herren dahinter war infam. Es wurde auf Kredit eingekauft und alles wurde fein säuberlich in ein Büchlein eingetragen. Was wurde gekauft, wann und wie viel wurde gekauft?

Und da die Sklaven in der Regel weder lesen, schreiben, geschweige denn rechnen konnten, wurde das Büchlein immer dicker und die Schulden immer höher.

Bis 1975 wurden die letzten Sklaven auf der Haynes Plantation beschäftigt, um ihre Schulden abzuarbeiten. Nur nannte man sie jetzt nicht mehr Sklaven.

So kommen wir von einer Gedenkstätte zur nächsten und das Leid und die Not dieser Menschen und die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfahren ist, wird körperlich spürbar.

The Jail

Da kommt eine kleine Schildkröte am nahegelegenen See gerade rechtzeitig, um uns kurz aus diesem Albtraum herauszuholen. Wir atmen tief durch und machen eine kurze Pause mit dem Audioprogramm, doch dann geht es auch schon weiter.

Bevor wir zur Kirche und dem Endpunkt kommen und diese bedrückende und zugleich beeindruckende Gedenkstätte verlassen, sehen wir noch die Marmortafeln mit den Namen von 107 000 versklavter Menschen aus Louisiana, sehen Portraits von Kindern und Auszüge aus Interviews. Niemals soll in Vergessenheit geraten, was sich hier und vielerorts abgespielt hat. Gwendolyn Midlo Hall hat diese Namen zusammengetragen (Louisiana Slave Database 1719 – 1820).

107 000 Namen

Die „Wall Of Honor“, eine andere große Granittafel, ist allen Sklaven gewidmet, die auf der Haynes Plantage gearbeitet und gelebt haben. Dort ist verzeichnet, soweit bekannt, wie lange sie gelebt haben, welche Tätigkeit sie ausgeübt haben und mit wem sie liiert und/oder verwandt waren.

Wall Of Honor

Besonders wichtig ist es John Cummings, dem Gründer dieses Museums, dass diese Gedenkstätte keinen Hass oder Groll erzeugen soll. Es soll zum Nachdenken anregen, es soll aufklären und es darf NIEMALS in Vergessenheit geraten, was sich damals zugetragen hat.

….ohne Worte…

Als Eintrittkarte haben Jutta und ich ein kleine Karte bekommen, die man sich um den Hals hängen kann. Es ist die Identität von einem Sklaven. Jutta ist als CHRIS FRANKLIN unterwegs gewesen, ich bin als PETER BARBER unterwegs gewesen.

In uns gekehrt und nachdenklich verlassen wir die Whitney Plantage.

Besucherkommentare

Wir verlassen auch diesen Staat, da vorne kommt das TEXAS WELCOME Schild in Sicht. Ich fahre daran vorbei, ohne Eile. Nicht so wie Kowalski in „Fluchtpunkt San Francisco. Er hat es immer eilig, denn ihm ist die Polizei auf den Fersen. Er will einen Rekord aufstellen. Mit seinem 1970er Dodge Challenger R/T rast er von Denver/Colorado bis nach Frisco/Kalifornien. Er will die gesamte Strecke in 15 Stunden zurücklegen, 1252 Meilen. Jede Sichtung seines Dodge wird an das Radio gemeldet und vom Radiomoderator und einem Großteil der Bevölkerung wird er gefeiert. Mit seinem Rekordversuch sorgt er für eine Menge Wirbel. Tatsächlich wirbelt er oft eine Staubwolke hinter sich auf, um den Cops zu entkommen.

Ich fahre weiter, ohne Eile. Mein Blick wandert wehmütig rüber zum Rückspiegel.

„Bye bye NOLA, bye bye Lincoln Clay. Du bist gefangen in Louisiana. Du wirst diesen Staat nie verlassen. Aber ich werde zurück kommen. Spätestens im Herbst, wenn das Laub von den Bäumen fällt und es ungemütlich weht da draußen. Dann sehen wir uns abermals. Dann werde ich wieder lange Nächte in New Orleans verbringen, besser gesagt in New Bordeaux. Dann sorgen WIR für mächtig Wirbel in den Hinterhöfen und in den Sümpfen von Louisiana. Dann mische ich das ganze falsche Pack in dieser versifften Stadt auf, mit Lincoln Clay……., als Lincoln Clay.

…und was als nächstes geschieht…

CHAPTER V – Durch Texas nach New Mexico und von extraterrestrischem Leben in Roswell und einer UFO Sichtung über Santa Fe…