…Hannah Montana does the African Savannah und was meine Freundin Maddi damit zu tun hat…
On the road again. Es ist der 10. Februar 2022 und wir wollen in den nächsten Tagen viele Meilen machen. Meinen Bordcomputer habe ich längst von Kilometern und Litern auf Meilen und Gallonen umgestellt. In Kanada galt noch das metrische System wie bei uns. Hier in den USA gilt das nicht mehr. Und da die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Schildern in Meilen angegeben wird, ist es gut, wenn ich auf meinem Display diese auch in Meilen angezeigt bekomme. Mein Bordcomputer zeigt ebenfalls den Dieselverbrauch an. Um mir das Umrechnen an den Tankstellen zu ersparen, lasse ich es mir doch gleich vom Computer in Gallonen anzeigen.
Unser Plan ist es nun zügig in den Süden zu kommen. Wir haben genug vom Winter und von der eisigen Kälte Kanadas. In New York war es ja schon relativ mild für uns. Die 8° Celsius, die wir zum Teil tagsüber hatten, fühlten sich schon ein wenig nach Frühling an, wenn die Sonne dabei schien. Aber das reicht uns noch lange nicht. Wir wollen es wärmer haben, wir wollen in den Sunshine State Florida.
Wie immer müssen wir uns vorher über die Strecke verständigen. Fahren wir über Philadelphia oder nicht. Wie ist dort das Wetter? Ist es sinnvoll direkt nach New York City schon in eine andere Großstadt zu fahren? Wir haben noch nicht mal die ganzen Eindrücke von New York verarbeitet. Wir entscheiden uns gegen Pennsylvania und Philly und für Delaware.

Schon im Waterhole hatte ich mir Gedanken drüber gemacht, auf welcher Route es die Ostküste runter nach Key West geht. Denn das stand immer außer Frage, Key West war für mich gesetzt. Ich saß oft und lange vor der Karte und überlegte, wie wir wohl runter fahren werden in den Süden. Dabei fiel mir eine irrsinnig lange Brücke auf, die uns weit auf den Atlantik hinaus bringt und dann irgendwann steil abwärts führt, um sich in einen Tunnel zu verwandeln, der uns nach kurzer Fahrt durch eine unterirdische, neonbeleuchtete Röhre wieder ausspeit und sich wieder zu einer Brücke zurückverwandelt.
Der Chesapeake Bay Bridge Tunnel (offiziell: Lusius J. Kellam Jr. Bridge Tunnel) ist mit 37 km Länge eine der größten Brücken-Tunnel-Bauten der Welt. „Da MUSS ich rüber!“, waren meine Gedanken dazu.
Jutta ist sofort einverstanden, als wir darüber sprechen. Große Städte braucht sie nicht annähernd so häufig wie ich. Sie liebt es ruhiger und die Natur ist ihr Elixier, so wie meines das pulsierende Nachtleben der Metropolen dieser Welt ist. Ich glaube wir bekommen einen ganz guten Mittelweg zustande, so dass wir beide auf unsere Kosten kommen. Also ist es beschlossen.
Mit dem Überqueren der Verrazzano Narrows Bridge (The longest Suspension Bridge in the USA!) lassen wir New York langsam hinter uns und steuern gen Süden nach Florida. Es geht durch einige Bundesstaaten mit so wunderschön klingenden Namen wie Maryland, Virginia, (North & South) Carolina und Georgia. Aber als erster Staat nach New York heißt uns Delaware mit einem Schild am Straßenrand willkommen.

Das machen alle Bundesstaaten so. Danach folgen sogleich einige State Rules, die es unbedingt zu befolgen gilt. That’s the law! Oft geht es darum, was es kostet, wenn man Müll aus dem Auto wirft, dass man auf die linke Spur wechseln muss, wenn auf dem Seitenstreifen jemand liegen geblieben ist. Aber auch aufs Anschnallen, nur zum Überholen links fahren, keine Anhalter mitnehmen usw. … wird regelmäßig hingewiesen. Das ist übrigens in fast allen Bundesstaaten gleich. Was allerdings „Littering“ also das Verschmutzen der Fahrbahn oder des Seitenstreifens, indem man Müll aus dem Auto wirft, angeht, so unterscheiden sich die Strafgebühren erheblich. Aber dazu später mehr.
Ob uns die Verrazzano Narrows Bridge etwas kosten wird, erfahren wir evtl. von Ohla, wenn im Waterhole per Post die Rechnung kommt und sie sie uns per Foto weiterleitet. Es gibt dort leider keine Möglichkeit per Karte oder persönlich in bar zu bezahlen, wie an vielen anderen Brücken und Mautstationen.
Den Chesapeake Bay Bridge Tunnel können wir zum Glück mit Kreditkarte bezahlen und wir werden auch noch darauf hingewiesen, dass alle Propangasbehälter zugedreht sein müssen. Ich teile der Dame im Kassenhäuschen mit, dass ich bei jeder Fahrt die Gasflaschen zudrehe. Sie wünscht uns eine gute Fahrt und öffnet die Schranke. Bei dieser Brücke ist die Länge schon sehr beeindruckend. Sie ist nicht schön, das kann man absolut nicht sagen, aber speziell. Sie ist so lang, dass wir im Radio „Sober“ von TOOL sogar in voller Länge hören, bevor wir die Brücke überquert haben.
Na gut, Spaß beiseite! Wir hören mehr als nur den einen Song von Tool. Es sind einige Songs die im Radio laufen, während wir die Chesapeake Bay überqueren.

Apropos Radio. Ich höre viel Radio im Auto, weil ich viel fahre. Fünfmal pro Woche fahre ich ins Theater, wenn ich nicht gerade auf Reisen bin. Das sind nur ca. 35 km für eine Strecke. Doch morgens brauche ich dafür eine Stunde, wenn ich gut durch komme, sonst auch deutlich länger. Schneller geht es eigentlich nur nach der Spätschicht, da nachts weniger Verkehr ist. Ich habe dann oft das Radio an, obwohl ich schon vorher weiß, was für Schrottmusik mich erwartet.
Ich switche dann zwischen meinen Standardsendern hin und her, bis ich genervt aufgebe, weil überall der gleiche Scheiß läuft. Radio 21 ist da eine kleine Ausnahme und spielt gelegentlich etwas rockigere Musik, obwohl ich da auch noch eine Rechnung offen habe. Dann lande ich meistens bei NDR Info und höre ausschließlich gesprochene Beiträge und Nachrichten, aber keine Musik. Weil ich ein Gewohnheitsmensch bin, wiederholt sich dieses Szenario Tag für Tag.
Ich habe immer das Gefühl, dass bei allen Sendern, wie sie auch heißen mögen, nur sieben Songs in Endlosschleife laufen. Allerdings Random, damit der Zuhörer denkt, es seien mehr als sieben Songs. Und das Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Warum? Denken die Programmdirektoren uns gefällt es, jeden Tag denselben, durchgenudelten Kram zu hören? Oder gefällt es tatsächlich den Anderen, nur mir nicht?
Zweimal pro Woche gibt es einen Lichtblick im Radio, da läuft dann „HeuckZeug“ auf Bremen 4, oder „Bremen 4 rockt“. Das Eine am Mittwochabend, das Andere am Donnerstagabend. In den Stunden, die diese Sendungen laufen, habe ich zumindest das Gefühl, dass die beiden Moderatoren spielen dürfen, was sie selber mögen und was sie spielen wollen. Ich mag einiges von der Musik, die dann läuft, aber auch nicht alles. Darum geht es auch gar nicht. Ich muss nicht alles mögen, ich erwarte nur ein Mindestmaß an Abwechslung und Vielfalt. Ich will nicht jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit dieselben sieben Songs hören und auf dem Rückweg das Gleiche in anderer Reihenfolge noch einmal.
Und was hat sich Radio 21 mit seiner bescheuerten Werbung erlaubt? In dem Werbespot behaupten sie: „Du bist Programmdirektor und kannst bestimmen, was läuft!“ Ich kann von Zeit zu Zeit online 40 Songs bewerten. Ich kann dann wählen, ob er mir gut gefällt, ob ich den Song so lala finde oder ob ich ihn bereits „über“ habe. Das ist verdammt noch mal alles! Habe ich damit irgendwie bestimmt was läuft? Von diesen 40 Songs habe ich bereits 13 Songs „über“, 2 gefallen mir gut und die anderen 25 finde ich fürchterlich, aber das kann ich nicht mal mitteilen. Die Songs, die ich hören will, finde ich nicht in ihren Listen. Wenn ich online 38 Songs mit „will ich NICHT hören“, bewerte, habe ich dann in irgendeiner Art und Weise bestimmt, was läuft?

Mit dieser Behauptung degradieren sie den Zuhörer zum Idioten. Sie spielen ihm falsche Tatsachen vor und denken niemand merkt es. Aber die Zuhörer sind keine Idioten, sie merken es und weichen aus auf andere Sender, bis sie wieder bei NDR Info landen.
„Herr Programmdirektor, wenn ich bestimmen kann was läuft, dann hören wir heute mal SICK OF IT ALL, CIRCLE JERKS, SNFU, D.R.I., RKL und HENRY ROLLINS. Morgens zum Wachwerden fangen wir mit HATEBREED an und zum Nachmittagskaffee gibt es ANGRY SAMOANS und BAD BRAINS, damit die gute Laune angekurbelt wird. Zum Abend dann vielleicht etwas Melancholie mit EA 80 und zur Nacht zur Abwechslung die kanadischen Rocker NOMEANSNO!“
Wenn das auf Radio 21 aus dem Äther kommt, dann habe ich (mit)bestimmt, was läuft! Aus meiner Sicht sind die eigentlichen Idioten die Verantwortlichen, die den Zuhörer unterschätzen.
Ich merke, wie ich mal wieder abschweife, aber da mir Musik so unheimlich wichtig ist, reagiere ich wohl manchmal etwas übersensibel. Wo bin ich stehengeblieben? Ach ja…
….“Sober“, ein “Tool“ Song läuft im Radio, in voller Länge.
Was ich eigentlich sagen wollte, ich genieße diese ungewohnte Radiovielfalt in diesem großen Land. Fast immer und fast überall lässt sich ein Rocksender finden. Ich höre Songs im Radio, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe, Songs, die ich noch nie gehört habe und Songs von den B- Seiten der Platten. Es wird nicht nur die Hit-Single gespielt. Nein, auch andere Songs von der LP sind hörenswert. Wir fahren seit Stunden und ich habe noch kein Lied zweimal gehört. Es ist mittlerweile später Nachmittag geworden und plötzlich ertönt „Closer“ von NIN (Nine Inch Nails) aus meinen nachgerüsteten Boxen im Auto. Das ist in Deutschland undenkbar, zumindest außerhalb einer Sendung wie „HeuckZeug“ oder „Bremen 4 rockt“.
Na ja, hier muss ich dazu sagen, dass der Song in den USA zensiert läuft. Denn als Trent Reznor „I want to fuck you like an animal“ ins Mikro brüllt, da wird das F-Wort einfach ausgeblendet.
Nicht lange nachdem NIN uns akustisch hocherfreut haben, erreichen wir Bethany Beach/Delaware.

Jutta hat während der Fahrt einen tollen Parkplatz gefunden, der erstens nichts kostet und zweitens direkt am Atlantik liegt. Viele nette Apartments werden hier zur Miete angeboten. Kein Wunder, denn der Strand ist endlos. Nachdem LEMMY eingeparkt ist auf diesem kleinen Parkplatz zwischen den Häusern, schnappen wir uns zwei Bier aus dem Kühlschrank und stülpen jeweils einen Beercooler drüber. So kann niemand sehen was wir hier trinken. Denn das Trinken von Alkohol ist in den USA bekanntermaßen in der Öffentlichkeit verboten. Jetzt ab an den Strand und den Sonnenuntergang genießen. Der Blick rechts und links am Meer entlang geht wirklich meilenweit.

Wir atmen die frische Meeresbrise in vollen Zügen ein und beobachten die wenigen Spaziergänger. Mal führt jemand seinen Hund aus, dann kommt ein Pärchen Hand in Hand vorbei und die ein und andere Person läuft für sich am Strand entlang. Wir genießen die Ruhe und hören jetzt nur noch das seichte Aufschlagen der Wellen und den leisen Wind. Die Sonne zieht sich zurück, so dass uns ein herrliches Abendrot über dem Meer geboten wird.
Auf dem Weg zurück zum Parkplatz kommt uns ein anderes Paar entgegen. Sie hält einen Drink in der Hand. Es ist ein durchsichtiges Glas mit klarer Flüssigkeit und einigen Eiswürfeln.
Ob das unser Camper da auf dem Parkplatz ist, möchte sie gerne wissen.
„Ja, das ist unserer.“, sagen wir ihr.
Sie teilt uns mit, dass sie LEMMY liebt und erhebt ihr Glas. „Cheers!“, sagt sie zum Abschied und anschließend noch: „I also love Gin Tonic!“ mit einem Augenzwinkern in Richtung ihres Drinks und einem Lächeln auf den Lippen.

Ich sage ebenfalls: „Cheers!“ und dann noch „Pabst Blue Ribbon!“, und denke: „Unsere Wege werden sich wohl nie wieder kreuzen.“ Mit einem großartigen Gefühl endet dieser Tag, dem Frühling ein wenig näher gekommen.
Ein weiterer Road Day steht an „down the Eastcoast“. Es wird ein langer Fahrtag werden. Das steht fest. Es werden nur die Vorräte im Food Lion etwas aufgestockt und der Dieseltank muss dringend aufgefüllt werden.
Das Tanken ist manchmal etwas umständlich für uns, denn es gibt verschiedene Abläufe, die an jeder Tankstelle anders sein können. Wenn alles perfekt läuft, dann können wir an der Zapfsäule mit Kreditkarte zahlen und tanken soviel wir wollen. Wenn es gut, aber nicht perfekt läuft, dann zahlen wir an der Zapfsäule mit Kreditkarte, aber bei 100 Dollar ist ein Limit erreicht, egal ob der Tank voll ist oder nicht. Mein 140 Liter Tank ist in der Regel nicht voll, wenn das Limit erreicht ist. Und ich muss wieder von vorne anfangen und einen zweiten Tankvorgang starten.

Dann gibt es die Variante, dass der Tankwart an der Kasse die Zapfsäule freischalten muss. Dafür muss man hinein gehen, bzw., Jutta geht hinein, um ihm zu sagen, was wir möchten. Da gibt es auch wieder verschieden Szenarien. Entweder es läuft perfekt, dann schaltet er die Zapfsäule frei und ich kann voll tanken oder aber, es ist dasselbe Spielchen mit dem 100 Dollar Limit. Dann ist es so, dass Jutta vorher eine Summe nennen und bezahlen muss, egal ob bar oder mit Kreditkarte (wobei der Barpreis immer etwas günstiger ist) und er erst nach Bezahlung die Zapfsäule für exakt die bereits bezahlte Summe freischalten kann.
Habe ich mich verschätzt und Jutta nicht die exakten Angaben mit auf den Weg gegeben und sie hat zu viel bezahlt, bekommt sie die Differenz am Ende des Tankvorgangs wieder zurück. War es zu wenig, dann starte ich wieder einen zweiten Tankvorgang. Zum Glück zeigt mir der Bordcomputer relativ genau an, wieviel Diesel ich bereits verfahren habe. Er zeigt mir allerdings nicht an, was wir beim Heizen verbraucht haben. Ach, und dann kann es noch sein, dass man an der Zapfsäule einen Hebel umlegen muss, sonst fließt kein Kraftstoff. Im Grunde ist es aber halb so wild, hat man diese verschiedenen Situationen alle mal durchgemacht.

Gegen Abend kommen wir in Washington/North Carolina an. Wir parken weit hinten auf einem Einkaufszentrumsparkplatz und wollen nur noch einen ruhigen Abend verbringen und uns von der langen Fahrt erholen. Denn schon morgen steht ein weiterer Fahrtag an. Der Overnight Platz ist an sich super, nur leider treffen sich hier heute am Samstagein paar Jungs mit ihren Muscle Cars. Die Motoren dröhnen und es scheint, sie wollen abchecken wer „den Lautesten“ hat.
Dieser Ort erinnert mich an den Parkplatz aus „Zurück in die Zukunft“, als Doc Brown Marty Mc Fly seine Zeitmaschine in einem DeLorean vorstellt. Nach einer Weile, als ich mal wieder aus dem Fenster schaue, sehe ich einen Streifenwagen. Er stellt sich nur in die Nähe der Jungs und zeigt Präsenz. Irgendwann wird es dann auch ruhiger und wir können gut schlafen.
Unser grobes Ziel ist noch immer Florida, genauer gesagt Miami. So wie es vor einer Weile noch Portland/Maine war, das wir allerdings nie erreicht haben. Schaffen können wir Florida, geschweige denn Miami, von hier aus noch nicht. Aber Savannah/Georgia liegt in realistischer Reichweite. Das wollen wir versuchen. Es sind fast 400 Meilen und knapp sechs Stunden zu fahren, ohne große Pausen. Aber da wir früh starten gehen wir es an.
Fahrtag Nummer drei oder anders gesagt: „Project Endless Summer“ (Das habe ich auf einem Kennzeichen eines PKW aus Florida gesehen) wird fortgesetzt.
Eigentlich hätten wir hier in North Carolina Onkel und Tante und Cousin und Cousine von meiner Kollegin Corinna besuchen sollen. Doch wir haben uns nicht rechtzeitig angemeldet und wollen sie auch nicht so kurzfristig überfallen. Sie rechneten zwar schon damit, dass wir irgendwann im Verlauf unserer Reise mal vorbei kommen, aber schließlich haben wir uns dagegen entschieden. Unsere Route sollte entlang der Küste nach Süden führen. Sie leben in Charlotte, etwas weiter im Land. Und wie gesagt, wir wollen sie nicht kurzfristig in Verlegenheit bringen und plötzlich vor der Tür stehen. Es wäre selbstverständlich alles planbar gewesen, aber Jutta und ich entscheiden oft spontan und sehr kurzfristig, was den weiteren Verlauf der Reise betrifft.
In der selben Stadt hätte es einen weiteren Grund für einen Zwischenstopp gegeben. Damit tat ich mich allerdings schwer ohne eine Einladung erhalten zu haben.
Im Jahr 1999 war ich mit unserer Tanzkompanie auf Gastspielreise. Unsere damalige Choreografin war Susanne Linke und wir tourten mit drei ihrer Stücke. Das eine war „Frauenballett“, das Andere „Also Egmond, bitte“. Aber das für mich beste Stück dieser zweiwöchigen Reise war „Heiße Luft“. Bei dieser Produktion hatte ich auch am meisten zu tun, aber das nur am Rande. Wir spielten eine Woche in Jakarta/Indonesien und die zweite Woche in Seoul/Südkorea. Ich könnte ein ganzes Buch schreiben, allein über diese Gastspielreise.

Aber um jetzt die Kurve zu kriegen nach Charlotte und dem anderen Grund dort Halt zu machen: Miyoung Kim. Sie war in Seoul unser Dolmetscherin und ohne sie wären wir total aufgeschmissen gewesen. Sie sprach mit viel koreanischem Akzent, aber sie sprach Englisch. Und wir fanden uns auf Anhieb sehr sympathisch und haben uns super gut verstanden. Irgendwann ging sie weg aus Korea, ihre Wege führten sie nach Hawaii. Unser Kontakt blieb über die Jahre stabil. Wir schrieben uns Mails und wieder vergingen Jahre und sie lebte irgendwann in Alaska und schließlich verschlug es Miyoung nach Charlotte in North Carolina.
Die Mails wurden nach etlichen Jahren weniger, aber der Kontakt brach nie ganz ab. Mal waren drei Jahre ins Land gegangen ohne Mail, mal nur ein Jahr, aber immer wieder schrieben wir und erkundigten uns, wie es dem Anderen so erging. Später kam dann Facebook als Plattform dazu und der Kontakt wurde wieder etwas intensiver. Hier verfolgte sie dann auch sehr interessiert unsere Reisen in ferne Länder. Wir redeten immer davon, uns eines Tages wieder zu sehen. Sei es in Bremen, weil sie es mal nach Deutschland schafft, oder aber wo immer sie aktuell in Amerika lebt.
Leider beließen wir es dabei darüber zu reden und als dann tatsächlich die Chance da ist, da verstreicht sie ungenutzt. Denn ich warte vergebens darauf, eine Einladung von ihr zu erhalten. Sie bekommt es ja mit, wo wir uns aktuell befinden. Sie kommentiert gelegentlich einen Beitrag von mir oder stellt eine Frage. Manchmal bleibt es bei einem „Like“. Ich unternehme leider auch nichts, um auf ein gemeinsames Wiedersehen zu sprechen zu kommen. So fahren wir durch einen Bundesstaat nach dem anderen, bis wir schließlich in North Carolina sind. Und ich hätte Miyoung unglaublich gerne wieder gesehen nach mehr als 20 Jahren. Aber jetzt ist es zu spät, zu knapp die Zeit. Es gilt das Gleiche wie bei Corinnas Verwandten. Ich will sie nicht in Verlegenheit bringen und ihr keine Unannehmlichkeiten bereiten. Dies wird vermutlich ein weiterer Abschnitt in meinem Leben, der ungenutzt an mir vorüber zieht und ich es danach nur noch bedauern kann, nicht selbst die Initiative ergriffen zu haben. That’s life.
Wir lassen einen weiteren Bundesstaat hinter uns und ein Neuer heißt uns willkommen: Georgia.

Jutta sucht nach einem Rocksender und wie fast immer gelingt das ganz gut. Was nicht so gut ist, ist der Empfang von unserem Radio. Denn die Kabine und besonders der Alkoven, in dem wir schlafen, beeinträchtigt den Empfang und das Signal, das bei der Antenne ankommen sollte. Aber damit können wir ganz gut leben, denn wenn das Signal zu schwach wird, dann sucht Jutta flugs einen neuen Sender oder aber der USB Stick, randvoll mit geilen Road Songs, wird abgespielt.
Ich murmel vor mich hin während das Radio läuft und wieder eine dieser bescheuerten Endloswerbungen kommt: „Hannah Montana does the African Savannah…“ Jutta guckt fragend zu mir rüber. Ich gucke fragend zu Jutta rüber. „Was is?“, frage ich. „Was murmelst du da vor dich hin?“ Etwas lauter sage ich, „Hannah Montana does the African Savannah. Da muss ich die ganze Zeit dran denken, seit wir beschlossen haben nach Savannah zu fahren. Das ist aus dem Nick Cave Song Higgs Boson Blues.“
Sie guckt immer nach fragend.
Ich sage noch mal, diesmal etwas eindrücklicher: „Higgs Boson Blues.“ Die Fragezeichen verschwinden nicht aus ihrem Blick und sie schüttelt den Kopf. „Ich spiel dir den heute Abend mal vor, das ist einfach ein genialer Song. Den solltest du kennen.“
Woher ICH diesen Song kenne? Von meiner Freundin Maddi. Ich weiß nicht mehr wann, ich weiß nicht mehr wo, aber irgendwann fragte sie mich mal, ob ich den „Higgs Boson Blues“ kenne, von Nick Cave. Ich sagte ihr, dass ich ihn nicht kenne, dass ich fast gar nichts von Nick Cave kenne.
„Den musst du dir unbedingt anhören. Aber wenn du ihn dir anhörst, dann mach das in deiner Garage, in der „Mermaid Lounge“ und hör ihn dir laut an, versprich mir das.“
Ich versprach es ihr. Und es vergingen Tage, vielleicht sogar Wochen, doch dann fiel es mir wieder ein. Ich war gerade in meiner Garage, nach einer Spätschicht und wollte noch etwas Musik hören und ein paar Bier trinken. Das Licht war gedimmt, Anlage und Laptop waren an. Der Kühlschrank in der Mermaid Lounge ist immer gut gefüllt, ich nahm ein eiskaltes Hemelinger und stülpte einen Cooler drüber. Ich tippte auf meiner Tastatur YouTube, Nick Cave und Higgs Boson Blues ein. Dann drehte ich den Lautstärkeregler hoch. Ich trank von meinem Hemelinger, verfolgte gebannt das Musikvideo auf meinem Monitor an der Wand und war so was von begeistert, dass dieser Song mich seitdem nicht mehr los lässt.

Es ist bereits dunkel und ich habe gerade eben links an der Straße ein Reh gesehen. Zum Glück ist es stehen geblieben. Aber jetzt bin ich sensibilisiert und fahre noch aufmerksamer. Mist, jetzt sehe ich überall Rehe, denn die blöden amerikanischen Briefkästen an der Straße sehen im Dunkeln und von Weitem aus, wie irgendwelche Tiere, die im nächsten Augenblick auf die Straße springen wollen. Und eine halbe Stunde später passiert genau das, von links ein Reh. Es läuft auf die Straße, aber ich sehe es rechtzeitig. Ich bremse und blende ab, dann springen noch drei hinterher.
Wir kommen glücklich und ohne Kollision in Savannah an. Der Parkplatz Juttas Wahl ist dieses Mal bei Cracker Barrel, einer Restaurantkette, üblicherweise an den US-amerikanischen Highways, mit guter und preiswerter Hausmannskost. Dort findet man immer einen Overnight Stellplatz. Ich mache noch einen Post von unserem aktuellen Standort auf Facebook und Instagram und werde überrascht sein, welche Reaktionen mich am nächsten Morgen erwarten.
Würde mich jemand fragen, was ich über Savannah/Georgia weiß, dann würde ich antworten: „Dort kannst du günstig Öl kaufen, aber sie haben nie viel im Hafen auf Lager.“

Vermutlich würde meine Antwort den Fragenden irritieren und das zu Recht. Denn im Grunde ist das einzige Wissen, das ich über Savannah habe, aus einem Computerspiel. Das habe ich immer sehr gerne mit bzw. gegen Jutta gespielt. Es heißt: „Der Reeder“ und es geht darum, dass jeder Spieler mit seiner Flotte, angefangen mit einem Küstenfrachter, die Weltmeere und den interkontinentalen Handel beherrscht. Wir spielten es gerne auf 20 Jahre angelegt und man kauft und verkauft Waren in den Häfen der Welt. Jeder kann sein Imperium ausbauen und man kann es weit bringen, mit Glück, Verstand und Wagemut. Es beginnt mit einem Küstenfrachter, geht dann weiter über Frachtschiffe, Containerschiffe, Schüttgutfrachter, Öltanker und Supertanker. Es geht um Kredite, um Aktiengeschäfte und weltweiten Handel über alle Weltmeere und den bedeutendsten Häfen auf allen Kontinenten. Wir haben es immer sehr gerne gespielt, wenn es im Arbeitszimmer etwas aufzuräumen gab, wenn wieder mal Vieles auf dem Ablagestapel zum Abheften lag oder wenn die Regale und Schubladen ausgemistet werden sollten.
Dann hieß es immer abwechselnd: „Du bist dran!“ und Einer kam seinen virtuellen Geschäften nach und der Andere seinen Aufräumarbeiten.
Beim Morgenkaffee sind wir noch unentschlossen, ob wir uns Savannah anschauen oder nicht. Wir haben bis Miami ja noch eine ganz schöne Strecke zurückzulegen. Da trudeln plötzlich einige Nachrichten ein.
Mein Kollege Mirko, der Bühnenmeister, der sein Büro direkt neben meinem hat auf der Seitenbühne des „Kleinen Hauses“ (Schauspielhaus), kommentiert meinen auf Facebook geposteten Standort in etwa folgendermaßen: „Oh ihr seit in Savannah, da habe ich schon so viel Gutes von gehört. Schaut euch die Stadt unbedingt an. Ich würde selber gerne mal dort hinreisen.“
Und dann schreibt er mir noch, dass Savannah auch eine Studentenstadt ist und viele hier Architektur studieren und sich an den alten Häusern austoben dürfen. Außerdem sei es dort an einigen Plätzen erlaubt in der Öffentlichkeit Bier zu trinken.
Dann bekomme ich auch noch von Holger eine Nachricht. Er ist Pilot und schreibt, dass Savannah eine Lieblingsdestination seiner ganzen Familie ist.
Jetzt fällt uns die Entscheidung leicht, wir nehmen uns heute ein paar Stunden Zeit für die Stadt und fahren entsprechend eine kürzere Strecke.

Als Erstes fahren wir ins Zentrum zur großen Cathedral of St. John the Baptist. Parken kann ich direkt neben dem kleinen Park mit einem schönen Springbrunnen in der Mitte. Es fallen sofort die vielen schönen Häuser auf und das Südstaatenflair in der Innenstadt. In der Kathedrale findet gerade ein Gottesdienst statt, so dass wir nicht hinein gehen.
Stattdessen bummeln wir etwas durch die von großen, uralten Live Oaks (Virginia Eichen) gesäumten Straßen. Es sieht aus, als würden ihnen lange silberne Bärte wachsen. Dieses spanische Moos werden wir von nun an oft an Bäumen zu sehen bekommen. Jutta ist voll begeistert. Sie liebt alte knorrige Bäume und Wurzeln und wenn alles dann noch mit Moos überzogen ist, kriegt sie sich gar nicht wieder ein.
Mir fällt ein Gully unter dem Bürgersteig auf. Ich höre leise Stimmen, die flüstern: „Wir fliegen hier unten alle.“ und dann: „Willst du einen Ballon?“ Dann fliegt langsam ein roter Ballon von unten aus dem Gully in den Himmel. Ein Clownsgesicht erscheint aus dem Dunkel, es ist Pennywise aus dem Stephen King Roman „ES“ und natürlich spielt sich das alles nur in meiner blühenden Fantasie ab. Aber der Gully sieht genau so aus, wie ich ihn mir beim Verschlingen des Romans vorgestellt habe.

Wir könnten auch schon wieder was essen, es ist Lunchtime. Zum Frühstück gab es nur Kaffee und Müsli. Wir sehen ein hübsches, kleines Lokal, aber schon draußen vor der Tür stehen die Leute Schlange. Wir schauen auf die Karte, die im Fenster hängt und Jutta sieht, was es hier als „Spezialität des Hauses“ gibt.
„OHHH, hier gibt es grüne Tomaten!“, sagt sie völlig aus dem Häuschen. „Grüne Tomaten“ ist der Titel eines ihrer Lieblingsfilme. Wir fragen an der Tür wie lange es wohl dauern würde einen Tisch zu bekommen. Mindestens eine Stunde, bekommen wir als Antwort. Ich sage: „Ach, grüne Tomaten wird hier in den Südstaaten ja wohl öfter auf der Speisekarte stehen.“
Wir entscheiden uns mit dem Besichtigungsprogramm fortzufahren. Wir wollen noch einen schönen Friedhof besuchen und die historische „WORMSLOE Plantage“. Sie wurde 1733 von Noble Jones gegründet und seine Nachfahren haben das Gelände bis 1973 unterhalten. Dann wurde es vom State Georgia übernommen. Wir machen auf dem riesigen Gelände einen ausgedehnten Spaziergang durch endlose Eichenalleen und grüne, urwüchsige Waldlandschaften mit weiten Wiesen am Rande. Das Herrenhaus (gebaut aus einer Mischung aus gemahlenen Austernschalen, Sand und Wasser) ist nur noch eine Ruine und ein kostümierter junger Mann erzählt uns und den wenigen anderen Besuchern etwas über die Geschichte der Familie, die hier gelebt hat und über das Leben in der früheren Epoche.

Der Friedhof ist nicht so schön, wie ich ihn erwartet habe, aber an einem Grab verweile ich eine ganze Zeit lang. „The DUELLIST`S GRAVE, Georgia 1776
Das liegt an einem wunderschönem Vers auf der Grabinschrift. Es ist das Grab von James Wilde.
Er war Offizier im 8. Regiment und hatte Streit mit einem anderen Offizier. Es kam zum Duell, der genaue Grund für den Streit ist nicht bekannt. James Wilde starb bei diesem Duell als junger Mann und sein Bruder verfasste ein Gedicht zu seinem Tod. Dies ist nur der Anfangsvers:
„My life is like the Summer Rose
That opens to the morning sky;
„But ere the shades of evening close
„Is scattered on the ground – to die“.

Wir verlassen Savannah und Georgia. Grüne Tomaten sehen wir leider niemals wieder auf irgendeiner Speisekarte.
Miami ist nun immer noch nicht in Reichweite für heute. Es sind 485 Meilen von hier aus und knapp sieben Stunden Fahrtzeit, ohne jede Pause. Das wollen wir uns nicht antun. Aber Florida werden wir erreichen. Wir fahren nach Daytona Beach. Das ist nur ungefähr die Hälfte der Strecke. Vorher müssen wir aber wieder tanken. Glücklicherweise ist der Diesel hier viel günstiger als bei uns in Deutschland. In der Tankstelle ist auch gleichzeitig ein Liquor Store, was nicht ungewöhnlich ist in Amerika. Und hier gibt es mal richtig günstiges Bier, da muss ich zuschlagen. Ich nehme zwei 12er Pabst Blue Ribbon Kartons mit und einen 12er Miller Karton. Das alles für unter 30 Dollar. Check!
Jutta sucht die Übernachtungsplätze für uns raus und das macht sie auch richtig super, aber diesmal sorgt es bei mir für etwas Unzufriedenheit. Wir kommen nach ein paar Stunden Fahrt in Daytona Beach an und parken bei Planet Fitness. Dort kann man auch über Nacht umsonst stehen. Nach New York wollten wir natürlich an den Übernachtungskosten sparen und standen bis jetzt auch immer frei, nachdem wir NYC verlassen haben. Dank der iOverlander App. Oft ist aber Overnight Parking verboten, so dass man immer gut recherchieren muss, wo man so halbwegs legal und ungestört stehen kann. Nun, hier ist es erlaubt, aber wir sehen nichts von Daytona Beach.
„Das müssen wir morgen, bevor es weitergeht aber unbedingt nachholen!“, sage ich zu Jutta.

Dann diskutieren wir noch etwas und ich plädiere dafür, auch mal selbstständig nach einem Platz zu schauen, ohne sich immer auf die App zu verlassen. Wir können doch einfach mal drauf los fahren, natürlich da wo wir hin wollen und dann fragen wir bei einer Bar oder bei einem Restaurant, ob wir für eine Nacht dort parken dürfen. Schließlich haben wir nur einen sehr kleinen Camper (für amerikanische Verhältnisse jedenfalls) und passen auf fast jeden Parkplatz. Die Parkplätze sind in Amerika selbstverständlich auch alle deutlich größer, als wir es in Europa gewohnt sind, denn die riesigen Pickup Trucks sind sehr beliebt. Jutta wendet ein, dass wir dann ja nicht umsonst stehen, weil wir dort etwas Essen und Trinken müssen. Ich halte dagegen, dass ich in die Kneipe ja sowieso gegangen wäre. Das übliche kleine Geplänkel halt.
Auf diesem Platz hier realisieren wir, wie viele Menschen in ihren Autos leben müssen. Dabei können sich noch diejenigen glücklich schätzen, die ein altes Wohnmobil haben oder einen Caravan. Viele leben einfach auch in ihren PKWs. Man erkennt es daran, das die Fenster zugehängt sind. Manchmal stapeln sich auch Tüten und andere Habseligkeiten auf den Sitzen. Hin und wieder bekommen wir mit, wie sie morgens aus ihren Autos steigen.

Es ist für uns ein bedrückendes Gefühl, wenn wir durch dieses großartige Land fahren und an solchen Plätzen parken um Geld zu sparen, während Andere hier so leben müssen. Immerhin haben sie die Möglichkeit bei Planet Fitness die sanitären Einrichtungen zu nutzen. Wir achten darauf, dass immer noch genügend freie Plätze zur Verfügung stehen, denn auf keinen Fall wollen wir irgendjemand einen benötigten Nachtplatz weg nehmen.
Am nächsten Morgen fahren wir dann an die Beach Road und die ist irrsinnig lang. Hier ist das ganze Partyvolk gut aufgehoben. Es grenzt ein Hotel an dem anderen, überall Bars und Restaurants.
Für Entertainment ist hier gesorgt, für alle Altersgruppen. Es gibt Minigolf, Kinos, Erlebnisparks und den ein und anderen Amüsierbetrieb. Auch an Liquor Stores gibt es kein Mangel.
Dann sehen wir einen großen Overlander LKW am Strand stehen und die Diskussion von gestern nimmt noch einmal kurz rasante Züge an, denn da hätte ich auch gerne gestanden.
Ich wende schnell und fahre an einen Parkplatz zurück, wo ich meine eine Strandzufahrt entdeckt zu haben. Da ist es dann auch schon und ich fahre drauf, parke und wir schauen uns das, von einer Dame besetzte, Kassenhäuschen an. Overnight Parking ist hier verboten, doch tagsüber darf man auf den Strand fahren. Entweder hat der LKW einen anderen Strandabschnitt erwischt, hat das Verbot ignoriert (wer soll den auch abschleppen?) oder aber er steht auch nur am Tag dort.

Wir machen auf jeden Fall, wo wir schon mal hier sind, einen kleinen Strandspaziergang. Es ist sehr windig und noch etwas kühl, obwohl wir bereits in Florida sind. Allerdings noch weit im Norden. Aber der Sommer ist schon greifbar nah. Heute Abend wollen wir Miami erreichen.
Der Strand ist endlos, in beide Richtungen. Wir bekommen trotzdem einen guten Eindruck und können uns vorstellen, was hier in ein paar Wochen los sein wird. Denn jetzt ist noch nichts los. Das mag aber auch an dem unangenehmen Wind heute liegen. Hier sieht alles so ähnlich aus wie in „Surfers Paradies“, damals 2008, als wir in Australien die Küste in Queensland hochgefahren sind.
Bald haben wir genug gesehen und machen uns auf nach Miami.

An einem Visitor Center am Highway machen wir kurz halt, um nach einem Nationalpark Pass für alle Parks in den USA zu fragen. Den gibt es hier leider nicht. Die nette Dame erklärt uns zwar, wo wir so einen Pass bekommen können, aber wir verstehen es nicht richtig und belassen es erstmal dabei.
Allerdings will Jutta noch einen SUNPASS haben, damit wir auch auf den mautpflichtigen Highways fahren können. Da gibt es verschieden Möglichkeiten. Von einfachen Aufklebern, die gescannt werden (das kennen wir auch schon aus der Türkei) oder etwas teurer in der Anschaffung, aber langfristig günstiger, einen kleinen Apparat, der ebenfalls an der Windschutzscheibe befestigt wird, mittels Saugnäpfen. Da ist schon ein kleines Guthaben drauf und wir müssen uns registrieren und können online verfolgen, was von der Kreditkarte abgebucht wird.
Das Teil nehmen wir und bringen es direkt hinter dem Tom Tom an, damit es mein Sichtfeld beim Fahren nicht stört. Das Gute daran ist, dass es für mehrere Bundesstaaten gilt und dass wir jetzt auf allen Straßen, Spuren und über alle Brücken fahren können, ohne uns über Mautstellen, Kassenhäuschen oder passendes Kleingeld Gedanken machen müssen. Denn in und um Miami sind etliche kostenpflichtige Highways und Brücken und auch abgetrennte Spuren für Leute, die es eilig haben und extra zahlen, damit sie schneller voran kommen.
Der Verkehr wird immer dichter und die Autos fahren immer wilder durcheinander. Von wegen Spurtreue, davon ist hier nicht mehr viel zu merken. Jutta ist schon leicht gestresst wegen der chaotischen Fahrweise vieler Verkehrsteilnehmer. Mir ist es egal, ob sie links und rechts an mir vorbeiziehen. Ich bleibe auf meiner Spur. Meistens halte ich mich tendenziell mittig oder rechts. Denn oft kommen die Aus- und Auffahrten rechts, manchmal einspurig, manchmal zweispurig. Das kann aber durchaus auch links der Fall sein und Spuren gibt es viele. Bis zu 16, acht in jede Richtung. Unterwegs gibt es auch einige Unfälle, dann staut es sich ein wenig und kurz nach der Unfallstelle geht die Raserei von vorne los. Willkommen in Miami.
Ich will gerne nach Downtown und Jutta navigiert mich perfekt durch dieses unübersichtliche Gewirr aus Brücken (zum Teil in mehreren Etagen übereinander), Hochstraßen, Abfahrten links und rechts, bis wir selber an der Abfahrt sind nach DOWNTOWN MIAMI.

Ich bin begeistert von der rasanten Fahrt in die Innenstadt und LEMMY durch diese Häuserschluchten zu lenken. Die Leute auf den Straßen laufen alle in T-Shirts und kurzen Hosen rum. Die Ladies zeigen freizügig und sexy was ihr Kleiderschrank zu bieten hat. Wie geil ist das denn, endlich sind wir im Sunshine State Florida angekommen. Und auf den Nummernschildern der Autos steht es: „ENDLESS SUMMER“.
Kurz darauf kommen wir dann auf dem angestrebten Parkplatz an. Ich finde den Platz super, aber am Kassenautomaten steht eine ellenlange Erklärung, wie sich die Preisstaffelung gestaltet. Die erste Stunde kostet 20 Dollar, die Zweite 15 und danach wissen wir nicht wie es weiter geht. Ob wir überhaupt über Nacht stehen dürfen wird uns auch nicht klar. Jutta hat mal wieder recherchiert, dass es in Miami überteuerte Parkplätze gibt, die die Kreditkarte auch noch nachträglich enorm belasten können. Es ist schon spät und wir sind müde. Das heißt mit Ausgehen wird es heute eh nichts mehr. Also packt Jutta ihre Alternative aus und sagt: „Lass uns nach Miami Beach fahren, da habe ich an einem Park einen sicheren Platz. Dort patrouilliert die Polizei auch in der Nacht mehrmals, sagen die Rezensionen bei iOverlander.“
Ich bin einverstanden und wir verlassen Miami Downtown und fahren über einige Brücken rüber nach Miami Beach/South.
Wir finden den Overnightplatz am Park und da es bereits spät ist, stehen hier nur sehr wenige PKW, eine Handvoll vielleicht. Sie haben alle die Fenster von innen blickdicht zugeklebt, teilweise mit Pappe oder Tüten und was sich eben so bietet. So haben sie wenigstens etwas das Gefühl von Privatsphäre. Ein kleines Häuschen bietet ein paar Sitzbänke und Tische und eben auch Toiletten und Waschräume.
Wir sind jedenfalls glücklich nach vier Zwischenübernachtungen und 1477 Meilen im Endless Summer State angekommen zu sein, obwohl ich etwas enttäuscht bin, weil wir nicht in Downtown stehen. Aber ein Bier genehmigen wir uns noch auf einer der Sitzbänke draußen, bei langersehnten sommerlichen Temperaturen.
Wach werden wir ziemlich früh am nächsten Morgen, denn es herrscht reger Verkehr auf diesem Parkplatz. Fast alle Plätze sind belegt und neben uns wurde, während ich noch schlief, eine Covid 19 Teststation aufgebaut. Hinter mir bzw. hinter LEMMY steht ein großer Pappaufsteller, der auf diese Station aufmerksam macht. Doch ich kann mich daran vorbei zirkeln aus der Parklücke, ohne ihn wegstellen zu müssen.

Es geht früh los heute morgen, da wir gestern zeitig im Bett waren und heute kurz nach dem Morgengrauen geweckt wurden. Wir fahren in den Everglades Nationalpark. Das sind ca. 90 Meilen und zwei Stunden auf der Straße. Vorher müssen wir aber noch in Miami einkaufen, weil wir wenigstens drei Tage in den Everglades verbringen wollen.
Glücklicherweise konnte Jutta online, auf einem der Campgrounds im Nationalpark einen Stellplatz ergattern. Wir wundern uns schon sehr darüber, dass bereits Mitte Februar fast alles ausgebucht ist. Den Grund dafür erfahren wir später.
Zunächst geht es zurück nach Downtown um einzukaufen. Das war nicht die beste Idee, die Besorgungen im Zentrum von Miami zu erledigen. Aber ich denke, da wir nun schon mal da sind, ziehen wir es auch durch. Nirgends finde ich einen Parkplatz, auch nicht bei Whole Foods Market. Es gibt zwar überall Parkgaragen, aber da passt LEMMY mit seinen 3 m Höhe natürlich nicht rein. Jutta will dort aber unbedingt richtiges Brot kaufen, weil es in den meisten Läden nur Toast und Weißbrot gibt. Dort aber sollen sie richtig leckere Brotsorten zur Auswahl haben. Ich fahre einmal um den Block und parke im Parkverbot unter einer Brücke.
Ich sage zu Jutta: „Spring du schnell raus und hol uns das beste Brot, das du in die Finger bekommst. Ich warte hier im Auto. Falls der Policeman mich wegschickt, kreise ich um den Block und lade dich wieder ein, sobald du aus dem Laden kommst.“
Jutta eilt los und kommt an einer Ampel an zwei, in schwarzen Anzügen gekleideten Predigern vorbei, die singen und Zettel verteilen. Sie reichen auch ihr eines ihrer Flugblätter, doch sie lehnt ab und steuert zielstrebig auf den Eingang des Ladens zu. Ich beobachte, wie die beiden gottesfürchtigen Männer andere Passanten ansprechen, dann wieder singen, unterstützt von einem Ghettoblaster und gelegentlich einen ihrer Zettel an den Mann und an die Frau bringen. Obwohl einer von den Beiden ein Mikrophon benutzt, verstehe ich nicht, was sie dort kundtun, zu laut ist der Straßenlärm.

Im Rückspiegel sehe ich einen Polizeiwagen von hinten kommen. Doch sie fahren an mir vorbei, haben vermutlich Besseres zu tun als Parksünder zu ermahnen. Dann kommt Jutta auch schon wieder mit einem Brot unter dem Arm.
„Der ist so toll der Laden, da müssen wir unbedingt noch die restlichen Sachen einkaufen. Ich suche einen Whole Foods Market der auf unserem Weg raus aus der Stadt liegt!“
Sie findet einen außerhalb der Innenstadt. Eine halbe Stunde später stehen wir dort an einer Parkuhr und können gemeinsam den Einkauf erledigen, bevor es dann endlich in die Natur geht.
Miami bleibt hinter uns zurück, doch wir kommen wieder. Ich will wenigstens eine Nacht ausgehen in dieser glitzernden Millionenmetropole.
Am Gate in den Everglades Nationalpark bekommen wir leider immer noch keinen Pass, der uns Zutritt zu allen Parks der USA erlaubt. So kaufen wir für 30 Dollar das Ticket für ausschließlich dieses subtropische Naturschutzgebiet, mit einer Gültigkeitsdauer von 7 Tagen.
Es folgt ein weiteres Gate, diesmal zu unserem Long Pine Key Campground. Hier sind wieder 30 Dollar pro Nacht fällig und das ist ein sehr guter Preis. Wir erfahren hier auch, warum es überall so voll ist. Es ist Peak Season. Jetzt, im Frühjahr (15. Februar 2022) steigen die Tagestemperaturen auf nur 30° Celsius. Im Sommer klettern sie auf weit über 40° und die Luftfeuchtigkeit steigt enorm. Auch die Mückenplage nimmt dann deutlich zu und Wildtiersichtungen werden rarer.

Der Campground ist riesig und bevor wir unsere Campsite ansteuern, fahren wir einmal rum um uns zu orientieren. Es gibt ein kleines Amphitheater für Naturvorträge und Filmvorführungen der Ranger. Auch ein See ist hier, aber bitte nicht zum Schwimmen nutzen, es gibt Krokodile und Alligatoren. Die Everglades sind der einzige Ort an dem beide Spezies koexistieren.
Die großzügigen Campsites sind inmitten riesiger Pinien und haben allesamt eine Feuerstelle. Das bestellte Firewood bringt der Ranger direkt an den Stellplatz. Als wir unseren Platz sehen sind wir so begeistert, dass wir es ein bisschen bedauern, nur für drei Tage bleiben zu können. Denn dann wird jemand anreisen, der schon vor Wochen reserviert hat.
Auf jeden Fall will ich jetzt, nach langer Zeit, endlich wieder das Tarp aufspannen und den Tisch und die Stühle rausholen aus dem Staufach. Das letzte Mal war es wohl in Cirali/Olympos in der Türkei, wo ich das ganze Programm draußen aufgebaut hatte. Es müsste Ende November gewesen sein, als wir bei sommerlichen Temperaturen bis spät in der Nacht draußen am Lagerfeuer gesessen haben. Jetzt ist es Mitte Februar und wir können wieder lange Abende am Campfire genießen. Und warum sollten wir damit warten? Ich habe gleich zwei Bündel Firewood bestellt und kurze Zeit später kommt der Ranger vorgefahren und lädt es bei uns ab. Bezahlt wird später beim Auschecken. Jutta kümmert sich um das Essen, ich mich um das Feuer. Cheers!

Die erste Nacht draußen am Campfire ist traumhaft. Nicht nur, weil wir dem Winter entkommen sind und aus dem Frühling, den wir unterwegs schon erlebt haben, jetzt Sommer geworden ist. Nein, auch weil wir begrüßt werden mit einem klaren Sternenhimmel und einem hell leuchtenden Mond. Hier wird sehr darauf geachtet, dass es nur sehr wenig Lightpollution (Lichtverschmutzung) gibt. Hier stören keine Begrenzungslichter oder Laternen. So kann Mensch und Tier einen richtig klaren, schwarzen Nachthimmel erleben, den es in sonst kaum noch gibt.
Wir lauschen dem Knistern des Feuers und den Stimmen der Nacht. Es ist einfach fabelhaft so lange reisen zu können und bedingt Einfluss zu nehmen auf die Jahreszeiten bzw. die Route so anzupassen, dass man vom Winter in den Sommer fährt. In den USA ist das möglich.
Was ich noch so sehr an langen Lagerfeuerabenden liebe, dass sind die tollen und entspannten Gespräche, die sich entwickeln. Bei einem kühlen Bier oder einem süffigem Wein kommen wir oft ins Plaudern. (Obwohl wir auch ohne ein komisches Gefühl mal eine ganze Weile schweigen können!)
Hier und heute ist das vorherrschende Thema dieser großartige Platz, dass wir in vier Tagen eine gewaltige Strecke zurückgelegt haben und wir wirklich sehr glücklich sind über dieses Privileg so eine Reise unternehmen zu können. Wir machen es uns von Zeit zu Zeit immer wieder bewusst, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist und wir dankbar sein können für jeden neuen Tag, den wir erleben.

Wir reden auch über die ganzen Eindrücke, die bereits hinter uns liegen und über das, was noch alles kommen mag. Mir selber hilft es unwahrscheinlich diesen Blog zu schreiben, denn dann erlebe ich alles ein zweites Mal. Und Jutta hilft es auch, denn wenn sie mir vorliest, was ich neu verfasst habe, dann taucht sie auch wieder ein und erlebt Vergangenes, wie ich ein weiteres Mal.
Wir reden heute auch über Pythons, die zur regelrechten Plage geworden sind, denn sie haben hier keine natürlichen Feinde. Mittlerweile sind sie endemisch geworden und bedrohen viele andere Arten, weil sie diese vertilgen. Wir wurden angehalten jede Phytonsichtung sofort melden. Das gilt natürlich auch für Bären (einer wurde im anderen Camp neulich gesichtet) und selbstverständlich auch für Krokodile.
Ich werde morgen eine Begegnung mit einer Schlange haben und in wenigen Tagen wird mein ganzer Körper für mehr als zwei Wochen gezeichnet sein, durch eigene Dummheit.
Jutta hat bald genug für heute und zieht sich müde, aber äußerst zufrieden zurück.
Ich brauche in der Regel etwas länger bis zur nötigen Bettschwere und hole mir noch ein eisgekühltes Bier aus dem Kühlschrank. Dann lege ich noch etwas Holz nach und genieße den Blick durch die Pinien auf den hellen Mond und den klaren Sternenhimmel.
Meine Gedanken schweifen umher. Ich habe wieder Zeit, wie damals in Georgien, im Vashlovani Nationalpark, als ich beobachtete, wie die Erde sich dreht. Ich sehe es jetzt wieder und bin gleichermaßen fasziniert wie damals. Etwas ist aber anders. Jetzt wandert der Mond, den ich diesmal unter Beobachtung habe, nicht im Uhrzeigersinn nach rechts auf die Baumspitze zu, sondern er wandert am Baumstamm entlang senkrecht nach oben.
Was man so alles wahrnimmt, wenn man die Zeit und Muße dazu hat ist erstaunlich.
Ich denke auch an „den Blonden“. Das ist Torre, mein guter, alter Freund aus Kindheitstagen. Ich nenne ihn immer noch „Blonder“, weil er blond ist. Er nennt mich immer noch „Schwarzer“, weil ich mir, seit ich 16 Jahre alt war, die Haare habe schwarz färben lassen. Das mache ich allerdings seit Jahren nicht mehr, trotzdem ist mir der Name geblieben.
Wir haben früher immer gemeinsam den Sternenhimmel bewundert, wenn wir zum Rauchen nach draußen an die Kellertreppe gegangen sind. Er war fast jeden Abend bei mir, als wir noch bei unseren Müttern gewohnt haben. Ich hatte einen kleinen Kellerraum in unserem damaligen Mietshaus als Zimmer hergerichtet. Dieser Kellerraum war auch Treffpunkt einer kleinen, auserwählten Gemeinschaft und Ort der einen und anderen wilden Party.
Ich denke: „Hey Schwarzer, hol dir noch ein Bier aus dem Kühlschrank und dann geh auch mal bald ins Bett.“ Was für ein perfekter Tag.

Heute haben wir etwas Programm, Jutta hat eine Bootstour gebucht, um etwas mehr über Flora und Fauna in den Everglades zu erfahren. Aber ganz besonders wollen wir Krokodile und Alligatoren sehen. Und ich will gerne mit LEMMY an die Küste fahren, an den mexikanischen Golf. Vorher ist allerdings Frühstück angesagt und das wird endlich wieder draußen stattfinden. Nur schnell ein T-Shirt an, in die kurze Hose schlüpfen und mehr braucht es nicht in diesem subtropischen Klima.
Unser Campsite ist groß und wir stehen strategisch günstig, so dass wir keine Nachbarn sehen. Nur üppig grüne Natur und die hohen Pinien, die mittlerweile den 1. Rang auf der Liste meiner Lieblingsbäume erreicht haben.
Leider hören wir unsere Nachbarn schon morgens, denn sie benötigen Strom, mit ihren riesigen Wohnwagen und RVs, die nicht selten die Größe von Reisebussen überschreiten. Zur Grundausstattung so eines Luxusliners gehört sicher eine Mikrowelle, ein Backofen, der obligatorische Kühlschrank in entsprechender Größe, Kaffeemaschine und vermutlich sogar eine Spül- und Waschmaschine. Ganz zu schweigen von den Slideouts.
Weil es auf diesem tollen Campground keine Stromanschlüsse gibt, müssen sie von Zeit zu Zeit ihre Generatoren anschmeißen. Zum Glück ist damit ab acht Uhr abends Schluss, denn das monotone Brummen nervt schon etwas.
Ich vermute, dass es auch in den USA durch Corona, einen regelrechten Campingboom gegeben hat, wie bei uns in Europa. Ein Campingland ist Nordamerika seit jeher, aber was wir auf der weiteren Reise erleben werden, damit hätten wir im Leben nicht gerechnet.

Wir genießen aber zunächst unser ausgiebiges Frühstück, wie im eigenen Garten und danach mache ich mich auf den Weg zur Dusche. Wenn die sanitären Einrichtungen in den Camps der State-, Provincial- und Nationalparks für gut befunden werden, dann nutzen wir sie selbstverständlich auch.
Nach einer erfrischenden Dusche mache ich mich auf den Rückweg. Bedauerlicherweise bliebt mein Mobilphone im Auto zurück und ich kann nicht fotografieren, was mir da über den Weg läuft.
„Läuft“ stimmt eigentlich auch nicht, schlängelt trifft es schon eher. Es ist eine kleine, noch junge Schlange und ich schaue fasziniert zu, wie sie einen Meter vor mir über den Asphalt kriecht. Sie ist langsam ohne Eile unterwegs und ich denke nicht eine Sekunde daran, was passieren könnte.Denn sie beachtet mich auch nicht. Ich höre ein Auto hinter mir und drehe mich um. Mit meiner rechten Hand bedeute ich dem Fahrer anzuhalten (schließlich soll er dieses junge Leben nicht jetzt schon beenden) und mit der linken Hand zeige ich auf die Schlange.
Er streckt seinen Kopf aus dem Fenster und fragt: „It’s a rattle?“
Ich sage: „Yeah, it is a rattle!“
Ich habe keine Ahnung, ob es ne „Rattle“ ist. Aber ich weiß es gibt sie hier und wenn er so gezielt danach fragt, dann wird es wohl eine sein.
Es kommt noch jemand vorbei, der weiß es ganz genau. Es ist eine Diamondback Rattlesnake. Eine Giftschlange. Ohne groß Notiz von uns zu nehmen, ist sie unter dem parkenden Auto eines anderen Campers verschwunden. Ich klopfe kurz an seinen RV und teile ihm mit, was wir gerade beobachtet haben. Denn er könnte ja Kinder haben oder selber gleich ins Auto steigen wollen. Begeistert kommt er heraus und wir sehen nur noch wie die kleine Klapperschlange im Busch verschwindet.
Freudestrahlend berichte ich Jutta, was ich gerade erlebt habe. Nachdem auch sie geduscht hat, beginnt unser Tagesprogramm.
Zuerst fahren wir durch dieses einzigartige Naturschutzgebiet. Es gibt nur eine Straße, die hier durch führt. Hin und wieder zweigen ein paar unasphaltierte Wege ab, manche sind nur für autorisierte Personen, in Andere dürfen auch wir rein fahren. Neben der Strecke ist links und rechts ein breiter Grünstreifen. Damit man Reaktionszeit gewinnt, sollte ein wildes Tier sich der Straße nähern. Wir haben eine Karte dabei, auf der die ganzen Trails eingezeichnet sind und die Highlights, die es zu bestaunen gibt. Das verschieben wir aber auf morgen.

Angekommen am Golf von Mexiko, parke ich LEMMY und wir spazieren ans Meer, über eine große Grünfläche, auf der einige Familien, auf ihren Wolldecken sitzend, brunchen. Es ist heiß und ich liebe es. So knapp unter 30° werden es wohl sein.
Nach diesem netten kleinen Abstecher geht es weiter zu unserem Termin. Ein kurzes Stück fahren wir zurück, denn weiter ginge es eh nicht. Wir sind bis ans Ende der Everglades gefahren.
Pünktlich angekommen, parke ich erneut und wir holen unsere online reservierten Tickets am Ticketcounter ab. Jetzt erfahren wir noch wo unser Boot startet und wir haben etwas Zeit uns im überschaubaren Hafen umzuschauen. Von der Brücke sehen wir das erste Mal ein Manatee, eine Rundschwanzseekuh. Ganz entspannt treibt sie im Wasser und weidet das Seegras ab. Dort drüben, am anderen Ende der Brücke, steht eine kleine Menschentraube, obwohl am Brückenanfang gut sichtbar ein Verbotsschild angebracht ist: „Authorized Persons Only!“

Wir schauen wohl etwas irritiert und werden darauf hingewiesen, dass dort ein großes Krokodil für diesen Menschenauflauf sorgt. Das Verbot ignorierend, betreten wir die Brücke und staunen nicht schlecht bei dem Anblick. Ein Koloss von etwa 3,5 Metern Länge liegt dort in der Sonne und mit dem Hinterteil im Wasser. Wir sind nur ein, zwei Meter entfernt, jedoch auf der Brücke in Sicherheit. Das Krokodil liegt reglos da, es sieht fast aus, als sei es aus Stein gemeißelt. Ich will es, nachdem mir schon die Diamondback Rattlesnake ohne Foto entwischt ist, von vorne ablichten. Ich bin angespannt bis in die Fußspitzen und bereit, bei der kleinsten Bewegung dieses monströsen Urviehs, zurückzuspringen und mich auf die Brücke zu retten. Aber es rührt sich nicht vom Fleck. Ich mache tolle Fotos und die Wartezeit bis unser Boot ablegt haben wir auch gut genutzt.
Wir kommen als Letzte am Steg an und sind freudig erstaunt, das wir nur zu Acht sind an Bord. Der Kapitän des kleinen Bootes, ein Ranger, der uns alles Wissenswerte erzählt über die Everglades und die heimische bzw. heimisch gewordene Tierwelt und dann nur noch Jutta, ich und zwei andere Paare. Dort am Anleger sehen wir wieder ein paar Manatees.

Wir fahren durch die Mangroven, sehen sehr viele Vögel und zwei Alligatoren, die faul im Wasser liegen und sich sonnen. So ein riesiges Krokodil können wir nicht noch einmal entdecken. Dann geht es sogar etwas raus aus den Flussläufen, in die offenere See. Dort sehen wir die Überreste eines alten Pfahlbaus. Das war mal ein Restaurant. Dort sind früher die Fischer, direkt nach ihrem Angelausflug mit ihrem Fang hingefahren, um sich alles frisch zubereiten zu lassen.

Wir erfahren auch von giftigen Pflanzen, deren Blätter bei Hautkontakt ganz üblen Ausschlag verursachen bzw. die Haut richtig verätzen. Vor diesen Bäumen wurden wir am Visitorcenter allerdings auch schon gewarnt und es gibt überall Bilder davon zu sehen. Was wir noch nicht wussten und jetzt von unserem Ranger erfahren. Man soll bei Regen auf keinem Fall unter so einer Pflanze stehen, denn auch der Regen wird toxisch und führt zu den gleichen Symptomen wie bei direktem Hautkontakt. Er erzählt uns auch, wie die Pflanze damals bei Feinden eingesetzt wurde. Sie wurden an einen Baum gefesselt und mit den Blätterranken umwickelt. Obwohl der Poison Wood Tree oder Poison Tree hier überall wächst und wir ihn sofort erkennen, wollen wir nicht ausprobieren, wie es sich auf der eigenen Haut anfühlt.
Nach ca. zweieinhalb Stunden ist diese lehrreiche und wunderschöne Bootstour beendet und wir fahren zurück in unser Camp. Den Abend lassen wir gemütlich am Lagerfeuer ausklingen.
Das Frühstück am Morgen wird genauso zelebriert wie gestern, mit viel Kaffee, Orangensaft und reichlich Auswahl aus dem Kühlschrank.
Zum Duschen nehme ich mein Handy heute mal mit. Wer weiß, ob nicht vielleicht eine kleine Rattlesnake unterwegs ist?

Heute wollen wir einige der Trails laufen, die auf unserer Everglades Map als besonders schön gekennzeichnet sind. Dazu brauchen wir wieder das Auto, da die Entfernungen zwischen den Wanderwegen groß sind. Hin und wieder fahre ich auch mal von der Straße ab, um einen Eindruck zu bekommen, wie die schlechteren Gravel- und Dirtroads hier sind. Ich würde ja viel lieber nur so was fahren, ich brauche mit LEMMY keinen Asphalt unter den Rädern. Meistens enden diese Dirtroads hier aber schnell im Nirgendwo und wir drehen wieder um.
Alle Trails die wir laufen sind unterschiedlich und überall gibt es Infotafeln, so dass wir auch hier eine Menge Informationen bekommen und Einiges dazulernen. Zum Teil laufen wir auf Holzstegen und schauen runter in die Sümpfe, immer auf der Suche nach Pythons, Klapperschlangen und Krokodilen oder Alligatoren. Manchmal gehen wir auch auf normalen Dschungelpfaden, durch diese subtropischen Sumpflandschaften. Wir gehen mit Bedacht und aufmerksam, um jeglichen Kontakt mit der giftigen Pflanze zu vermeiden.
Irgendwann geht es dann mit dem Auto weiter zum nächsten Trail und ich sehe aus dem Augenwinkel etwas auf dem rechten Grünstreifen neben der Straße liegen. Ich trete ordentlich auf die Bremse und da springt es auch schon hoch und richtet sich auf. Es steht jetzt fast senkrecht auf den hinteren Pranken und dem Schwanz und der Kopf ragt in die Höhe. Das geht alles so rasend schnell, dass das Krokodil im Sumpf verschwunden ist, bevor ich den Rückwärtsgang eingelegt habe.

Ich fahre zurück zu der vermeintlichen Stelle, wo es verschwunden ist und steige aus dem Auto, um vorsichtig ins Unterholz zu schauen. Jutta pfeift mich schon zurück und schimpft: „Geh da nicht so dicht ran, komm wieder ins Auto.“ Ich gehorche.
Das war gerade eben echt aufregend. Die Frage ist nur, wer sich mehr erschrocken hat, das Krokodil oder ich.
Zwei, drei Trails machen wir noch, so dass wir die wichtigsten und interessantesten Punkte gesehen haben und dann geht es wieder nach Hause in unser Camp. Pythons, Klapperschlangen und Krokodile sichten wir keine mehr.
Den letzten Tag im Camp verbringen wir mit Faulenzen, Lesen und LEMMY für die Weiterfahrt präparieren. Ich habe noch einige Aufkleber dabei, die das Auto verzieren sollen. Wir kaufen in den spannendsten Städten wie New York, Istanbul usw. immer Sticker fürs Auto und von den Ländern, die wir bereisen, sowieso. An den beiden Seiten der Kabine hinter Beifahrer und Fahrertür werden sie platziert. Aber vorher ist saubermachen angesagt, der ganze Winterdreck klebt noch dort, wo ich die Sticker haben will. Das Problem lässt sich allerdings schnell lösen. Denn Wasser und Reiniger (Juttas Nagellackentferner wird zweckentfremdet) habe ich dabei.

Ein anderes Problem ist, dass ich Sticker in Form von Länderflaggen dabei habe, mit den Umrissen des jeweiligen Landes. Das sind unter anderem Georgien, Bulgarien und Bosnien & Herzegowina. Bei diesen drei Ländern weiß ich nicht, was oben und was unten ist. Internet hier in der Wildnis? Fehlanzeige. Um mir später eine peinliche Belehrung zu ersparen, will ich vorne am Gate mal fragen, ob sie dort Internet haben und mir bei meinem Problem helfen können.
„Jutta, ich gehe mal eben nach vorne zum Check In!“
Zwei neue Camper kommen gerade, aber es dauert nicht lange, dann bin ich dran. Ich schildere mein Problem und die nette Parkangestellte ist sichtlich amüsiert und hat Spaß mir zu helfen.
Bei Bulgarien geht es schnell und einfach. Sie findet das Land und zeigt mir durchs Fenster die Flagge auf ihrem Monitor. Ich frage nach einem Stift, damit ich mir auf der Rückseite des Stickers eine Markierung machen kann. Nicht das ich es auf dem Rückweg sonst wieder vergessen habe. Dann sage ich, dass ich von Georgia die Länderumrisse brauche. Allerdings vom Land Georgia, nicht vom US Staat. Das klappt auch ganz gut. Zuletzt noch Bosnien & Herzegowina. Nachdem ich es langsam ein paarmal vorgesprochen habe, hat sie es. Alles ist markiert und ich bedanke mich für die unterhaltsame Zusammenarbeit.
Dann kommt leider viel zu schnell der Tag des Abschieds vom Long Pine Key Campground. Alle Plätze sind reserviert und wir müssen unseren Campsite bis 12 Uhr mittags verlassen haben. Da wir wussten, dass es so kommen wird, sind wir nicht ganz so traurig. Auf das was als Nächstes kommt, freue ich mich ganz besonders. Wir fahren die Keys runter, von Key Largo bis nach Key West. 90 Miles to Cuba. Rock’n’roll!
Jutta könnte darauf verzichten den ganzen Weg runter nach Key West zu fahren. Aber für mich ist es sehr wichtig. Ich will auf meiner Weltkarte in der Küche im Waterhole ein Fähnchen setzen.

Ich finde die geographische Lage von Key West sehr interessant, die Nähe zu Cuba und auch den Weg dorthin. Von einer Brücke über die nächste Brücke, über den Atlantik. Jutta genießt Ausblicke und Landschaften, geographische Lagen lassen sie aber völlig kalt.
Sie konnte auch schon in Istanbul meine Faszination nicht teilen, dass wir über den Bosporus von Europa nach Asien schauen. Oder als wir in Tarifa waren und von der Strandbar, mit einem eiskaltem Bier vor uns, rüber nach Afrika schauen konnten. Ich kann stundenlang verweilen an solchen Spots und nur gucken. Na ja, es sollte auf jeden Fall etwas zu trinken geben dabei.
Als wir wieder Netz haben, teilen wir via Instagram und Facebook erstmal mit, dass es uns gut geht.
Weil wir mehrere Tage nichts von uns hören ließen, kamen bereits besorgte Nachfragen. Niemand wusste vorher, dass wir in die Everglades wollten. Und wir haben nicht darüber nachgedacht, dass sich der ein und andere evtl. wundert, wenn ich normalerweise sonst jeden Tag etwas poste und dann tagelang nichts. Wir wollen uns das nächste Mal rechtzeitig abmelden, wenn es wieder in die Wildnis geht, ohne Internet.
Jutta ist schon fleißig am recherchieren, wo wir denn einen schönen Stellplatz für die anstehende Nacht finden. Das stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Wir wissen es ja bereits, in Florida ist im Februar Peak Season. Da machen die Keys keine Ausnahme.
Sie will wissen, wie weit ich ungefähr fahren will. In Key Largo würde es etwas geben, aber das ist mir nicht weit genug draußen. Key West ist komplett voll, ausgebucht, No Vacancy.
Sie findet einen Campingplatz, der hat noch eine Campsite frei, für eine Nacht. Irgendwo auf der Strecke, mitten auf den Keys, ca. ninety minutes to Key West.

Als wir Key Largo bereits im Rückspiegel sehen, findet Jutta doch noch Gefallen an der Strecke. Hier herrscht karibisches Flair. Im Radio dudeln die Sender Reggaemusik und die Häuser werden immer bunter. Der Atlantik unter uns, links und rechts, färbt sich türkisgrün. Es geht von einer Insel zur nächsten, von einer Brücke auf die Folgende. Wir sehen prächtige Villen und Strandhäuser. Oftmals liegen Boote an den hauseigenen Stegen im Wasser.

Aber auch viel Armut gibt es hier. Manche Häuser verfallen und verkommen, doch sie scheinen noch bewohnt zu sein. Große Kontraste offenbaren sich unserem Blickfeld, auch auf der Straße. Es ist aber nicht deprimierender als anderswo. Ich tröste mich ein wenig damit, dass hier der „Endless Summer“ ist und dabei denke ich an den armen Kerl in Bangor, dem ich meine Handschuhe an einer Straßenkreuzung überlassen habe. Er musste dort bei weit unter null Grad frieren, mit wenig warmen Sachen am Leib.
Nach einigen Stunden Fahrt und vielen tollen, neuen Eindrücken kommen wir an. Und es ist hot. Es ist so was von hot, dass wir nun gänzlich das Gefühl haben in den Tropen zu sein. Und ich mache einen entscheidenden Fehler, obwohl ich es besser hätte wissen müssen.
Jutta checkt uns ein auf diesem vollem Campground. Wir sind froh, wenigstens für eine Nacht einen Platz ergattert zu haben. Der erste Eindruck ist schon mal super. Da stehen gleich zwei von den schönen, chromfarbenen Airstreams. Aber wo müssen wir hin? Da vorne rechts und dann wieder links. Überall gibt es Grillstationen und Plätze wo man seinen frisch gefangenen Fisch säubern und küchenfertig machen kann.

Es scheint ein beliebter Angler- und Hochseefischer-Campingplatz zu sein. Wir finden unseren Stellplatz und sind hin- und hergerissen, ob wir noch eine weitere Nacht hier verbringen wollen. Die Campsite auf der wir stehen, ist für morgen reserviert, aber evtl. können wir auf einen anderen Platz wechseln. Wir diskutieren, machen einen kleinen Spaziergang am Wasser und überlegen hin und her. Entscheiden können wir uns jetzt noch nicht. Das Wetter ist perfekt für mich, für Jutta ist es schon zu heiß. Zum Schwimmen im Meer ist das hier nichts. Es gibt keinen Badestrand, nur Mangroven und Anlegestellen für die Angler und ihre Boote. Die Camper stehen hier dicht an dicht.
Erstmal ein Bier, schlage ich vor. Wir wägen ab, pro und kontra. Mittlerweile sind wir zurück an unserem Stellplatz. Ich hole was Kaltes zum Trinken aus dem Kühlschrank und Jutta zieht sich was luftigeres an.
Während Jutta sich drinnen Gedanken macht über ihre Garderobe, mache ich draußen eine schockierende Entdeckung. LEMMY is under attack. Eine Riesenspinne spannt ein Spinnennetz von ca. 2 Metern Durchmesser von einem Baum zu meinem Auto. Sie ist so groß wie meine Handfläche, mindestens. Ich bin schockiert und fasziniert zugleich und krame sofort mein Handy aus der Hosentasche. Auch in absoluten Stresssituationen bin ich in der Regel handlungsfähig und mache eine Videoaufnahme von dem Spektakel, das sich da an meinem Fahrzeug abspielt, obwohl ich unter Arachnophobie leide. Bevor wir diesen Platz verlassen, werde ich doppelt und dreifach checken, dass wir keinen blinden Passagier an Bord haben.
Nachdem ich dieses Abenteuer vorerst überstanden habe, müssen wir uns noch einig werden über den morgigen Tag. Wir setzen uns auf die Bank und an den Tisch vor LEMMY. Ich ziehe mir mein Shirt und meine lange Hose aus. Es ist nicht mehr ganz hell und deswegen geniere ich mich nicht. Ich bin nur noch bekleidet mit einer kurzen Shorts und meinen Latschen. Weil es allerdings überall am Körper zwickt, zünde ich zwei von meinen Moskitospiralen an und stelle sie unter den Tisch.
Jutta holt das Moskitospray, sprüht sich ein und reicht es an mich weiter. Ich schmiere mich etwas zu oberflächlich ein, denn ich bin in meinen Gedanken auf die weitere Reise fokussiert, außerdem sind da noch die Moskitospiralen…..denke ich blöderweise.

Wir sind uns immer noch nicht sicher, ob wir morgen wegen einer zweiten Nacht anfragen oder ob wir weiterfahren wollen. Ich klatsche mir zwischendurch immer mal wieder auf den Rücken und auf jede andere Körperstelle auch, aber mein Fokus liegt scheinbar zu sehr auf der Routenbesprechung.
„Juckt es dich auch überall?“, frage ich Jutta. „Ja, das ist doch unerträglich hier.“, sagt sie.„OK, dann fahren wir morgen doch einfach weiter nach Key West und danach geht’s nach New Orleans.“, schlage ich vor. Jutta ist einverstanden und damit ist es beschlossen.
Ich klatsche mir zwischendurch auf die Schenkel, die Arme und den Rücken. Ich schlage mich gerade am ganzen Körper selber, um die nervigen Plagegeister loszuwerden. Meine Mückenspiralen aus Asien haben leider nichts gebracht. Hier waren auch keine normalen Mücken am Werk, sondern diese ganz kleinen Mistdinger, die bei uns Gnitzen heißen, in Schottland Midges, in Schweden werden sie Knotts genannt und weiß der Teufel, wie sie hier in der Karibik genannt werden.
Diese verdammten Mistviecher haben mich dermaßen zerstochen, dass ich am ganzen Körper gezeichnet bin. Am nächsten Morgen sehe ich aus wie ein Streuselkuchen. Und es juckt überall. Ich wundere mich immer wieder über mich selber, warum ich so blöd bin und immer wieder einen Sonnenbrand bekomme, wenn ich in den Tropen bin. Warum ich mich zerstechen lasse von Mücken, Gnitzen und Knotts und anderem Getier und warum ich überhaupt Fehler, die ich bereits gemacht habe, noch einmal mache. Wahrscheinlich, weil ich zu blöd bin…
Nach dem zweiten Kaffee reisen wir ab. Gefrühstückt wird IM Camper. Dann geht es weiter nach Key West. Bevor wir fahren suche ich mir einen langen Stock und entferne alle Spinnweben von der Rückseite des Campers. Ich glaube jetzt alle Riesenspinnen entfernt zu haben.

Nach anderthalb Stunden kommen wir in Key West an. Eines wird schnell klar, hier kann man gut feiern. Ich bin sofort verliebt in diese Atmosphäre, nach dem Motto, was kümmert mich morgen, wenn ich doch heute lebe.
Aber man braucht Geld für Key West, viel Geld. Key West ist unverschämt teuer. Wir sind darauf vorbereitet und verbringen nur einen halben Tag in diesem sündhaft teuren Paradies.
Das Hemingway House wird kurz von außen besichtigt, leider ohne die Katzen mit den sechs Zehen zu sehen. Dann schauen wir im Hard Rock Café vorbei und ich kaufe tatsächlich ein T-Shirt, weil mir das Design gefällt. Wir schlendern durch die Straßen und haben immer mehr ein komisches Gefühl. Irgendwie scheint es hier viele Trumpanhänger zu geben und das gefällt uns gar nicht. Wir sehen T-Shirts in den Shops, die Trump propagieren. Es fahren Autos durch die Straßen mit „Fuck Biden“ Nummernschilder oder sie haben den Spruch als Fahne am Auto befestigt. Irgendwie ist uns das alles suspekt.
Davon wollen wir uns allerdings nicht die Laune verderben lassen und bummeln durch die Straßen. Überall in den nach außen offenen Bars und Restaurants wird schon ordentlich gefeiert, es ist gerade erst Mittag. Eine ausgelassene Stimmung und karibisches Flair schwirrt fast greifbar um uns herum. Wir essen an einer relativ preiswerten Imbissbude köstliche, frittierte Mahi Bites.

Mahi Mahi ist ein sehr leckerer Fisch und schmeckt uns in allen Variationen, egal ob gebraten, gedämpft, als Sandwich oder als Beer Battered Bites.
Wir müssen immer einen Blick auf die Uhr haben, denn auch unser Parkplatz ist nicht billig. Wir haben für zwei Stunden 20 Dollar bezahlt, weil ich den Kollegen um 10 Bucks runtergehandelt habe. Über Nacht hätten wir hier auch stehen können, für eine unverschämte Summe, aber uns reicht es einen Eindruck mitzunehmen. Beim Reinfahren nach Key West haben wir schon den „Southernmost Point Continental U.S.A.“ gesehen, „90 Miles to Cuba“, aber ich will da noch mal hin zum Fotografieren.
Pünktlich, ohne unser Parklimit zu überschreiten, holen wir LEMMY ab und fahren weiter. Ich sehe schon eine lange Schlange von Leuten an diesem bunten Monument anstehen, die sich alle davor ablichten lassen wollen. Mir reicht ein Foto von dem Stein ohne mich oder Jutta davor. So spare ich mir das lange Anstehen in der Warteschlange und muss nur den Augenblick abpassen, wenn der Wechsel der Leute vor dem Monument stattfindet.


Ich suche mir eine Perspektive aus, warte kurz und jetzt ist es soweit. Ein Pärchen verschwindet vor dem Motiv und macht Platz für die nächsten in der Reihe. Ich drücke ab sobald die einen weg sind und bevor die anderen sich in Pose gestellt haben. Check!
Weiter geht es an den Strand. Im Radio läuft ein geiler Song von Elijah Marley, „God’s Country.“ Passender geht es nicht. Gutgelaunt setzen wir unsere Fahrt fort. Vor uns schleicht so eine Art Golfkart, damit fahren die ganzen Urlauber hier überall rum, aber davon lasse ich mir meine gute Laune nicht verderben.
Angekommen an einem karibischen Traumstrand stelle ich LEMMY im Parkverbot ab und mache ein paar schöne Fotos. Wir genießen kurz diese Idylle, aber um ein Knöllchen zu vermeiden geht es dann auch bald weiter. Ich hatte mir ja vorgenommen einen Abend in Miami auszugehen, die richtige Bar habe ich im Internet bereits gefunden. Sie heißt Sand Bar & Kitchen und befindet sich in Miami Beach.

Mein Recherchejob ist damit erledigt. Juttas Job ist es nun in der Nähe einen guten und sicheren Stellplatz für die Nacht zu finden. Und Miami ist nicht ganz ungefährlich. Soweit ich weiß, gab es dort in den 90er Jahren, vielleicht auch Anfang der 2000er Jahre häufiger Carjacking Vorfälle, die auch Touristen in Leihfahrzeugen betraf. Es kam vermehrt zu Todesfällen und die Autoverleiher haben darauf reagiert und die Mietwagen nicht mehr als solche gekennzeichnet. Wir haben nun keinen Mietwagen, aber sehr speziell ist LEMMY schon. Und jeder erkennt sofort: der Camper ist „not american made“. Und im Auto könnte man durchaus lohnende Beute vermuten, denn unser ganzes Hab und Gut führen wir mit uns. Ich behalte mein Wissen für mich und erzähle Jutta nichts davon, um sie nicht zu beunruhigen. Sie wird es beim Korrekturlesen dieses Blogs erfahren.
Zurück über die Keys geht es schneller voran als auf dem Hinweg. Da hatten wir sehr viel Verkehr auf den Inseln gehabt, jetzt kommen wir gut und zügig durch. Es ist etwas bewölkt heute, aber wenn die Sonne durchbricht, ist es auch beim zweiten Mal beeindruckend diese Strecke zu fahren. Teilweise sehen wir links neben uns noch die alte einspurige Trasse, die nur zum Teil befahrbar ist, bis zum DEAD END. Dort stehen unzählige Angler und fischen von der Brücke. Auf der anderen Seite sieht man noch die Überreste der alten, verwitterten und stillgelegten Zugstrecke.
Je näher wir Miami kommen, desto mehr zieht es sich zu. Bald darauf fahren wir im strömenden Regen. Aber es ist nicht mehr weit. Wir erreichen Miami Beach und wundern uns etwas über die Größe. Miami Beach ist im Grunde eine Stadt für sich. Ähnlich wie Daytona Beach erstreckt sich dieser Großraum sehr weit an der Küste entlang. Aber auch in der Breite ist es viel größer als gedacht. Nachdem ich es auf Google Maps betrachtet habe, hatte ich einen völlig falschen Eindruck. Miami Beach ist riesig.
Ich habe auch meinen zweiten Job erledigt, Jutta sicher nach Miami bringen. Sie erfüllt gerade ihren und navigiert mich zu einem Parkplatz, auf dem wir über Nacht stehen dürfen. Es hat aufgehört zu regnen. „Noch drei Kreuzungen, dann links. Da müsste der Platz sein.“, sagt sie.

Der Parkplatz ist quadratisch und nicht besonders groß, aber es stehen nicht viele Autos hier.
Er ist inmitten eines Wohngebietes, das schon bessere Tage gesehen hat. Ich fahre unter eine Laterne an einen Baum. Dann sehe ich einen farbigen, jungen Mann, der dort zu leben scheint. Er hat sich aus Planen und Gerümpel eine Art Unterstand gebaut und sitzt davor auf einem Hocker. Unsere Blicke treffen sich und ich nicke ihm zu. Er nickt etwas zögerlich zurück.
Ich denke: „Hier steht LEMMY über Nacht hervorragend. Sollte jemand sich am Auto zu schaffen machen während wir weg sind, dann haben wir einen Zeugen. Sollte der junge Mann nicht mehr dort sein, wenn wir zurück sind, dann haben wir einen Verdächtigen.“
Wir gönnen uns nur eine kurze Pause nach der langen Fahrt und danach machen wir uns fertig zum Ausgehen. Ein paar Blocks sind es schon zu laufen, aber das ist sehr angenehm nach einigen Stunden im Autositz. Besonders jetzt nach diesem ordentlichen Schauer, scheint die Luft gereinigt und wir atmen tief durch. Wenn wir durch die Häuserzeilen Richtung Meer schauen, sehen wir einen Himmel aus verschiedenen Blautönen.
Ich freue mich schon auf ein kaltes Bier und werde nicht mehr lange drauf warten müssen, denn schon sehe ich ein leuchtendes Schild SAND BAR + KITCHEN.

Die Bar macht auf mich einen sehr guten Eindruck. Das Licht ist gedimmt, der Tresen ist lang, das Publikum gemischt und hinten steht ein Billard Tisch. An manchen Plätzen sind Jenga Spiele aufgebaut. Das Allerbeste aber ist eine Musikbox an der Wand. Ich warne Jutta schon mal vor, dass ich beabsichtige mindestens 5 $ zu investieren, um kurzzeitig zum DJ zu werden. Wir bestellen zwei Local Beer und setzen uns an einen hohen Tisch mit Barhockern, dicht zum Billard. Sollte jemand spielen wollen, dann können wir etwas zuschauen.

Es ist mal wieder Zeit über die nächsten Tage und den weiteren Verlauf der „The Wörld Is Yours Tour“ zu reden. Nirgends ist es besser als in einer schummrigen Bar mit lauter Musik und einem kalten Bier vor sich. Noch ist die Musik gut und ich muss mich nicht schon selber kümmern, aber beim ersten schlechten Song werde ich den Automaten mit 5 $ füttern.
Der nächste Schwerpunkt unserer Reise ist ganz klar definiert. Wir wollen nach New Orleans, wollen uns verzaubern lassen von dieser Metropole am Mississippi. Und zwar schnell.
Aber was ist das denn jetzt, wer hat es gewagt Taylor Swift zu spielen? „Jutta, kannst du mir mal 5 Bucks geben bitte, ich kann das nicht dulden!“ „Na gut, aber mach nicht so harte Musik an.“, sagt sie.
„Ich kann nichts versprechen.“, erwidere ich.
Ich wähle zwei Songs von Gojira aus: „Stranded“ und „Another World“, von Hellyeah: „Thank You“ und „I don’t care anymore“, dann noch „Fuck The World“ und „Get It On“ von Turbonegro. Ich habe noch etwas von Turnstile im Angebot und von Blood for Blood. In der Stilrichtung geht es weiter bis ich mein 5 $ Limit erreicht oder anders gesagt, 12 Songs ausgewählt habe.
Bevor ich zu Jutta an den Tisch zurückkomme, bemerke ich das bereits Billard gespielt wird. Wie schön, denke ich mir. Dann sehe ich das unsere Gläser bald leer sind und drehe ab Richtung Bar, um zwei weitere Biere zu bestellen. Denn wenn ich eins hasse, dann sind das fast leere Biergläser. Aber auch hierzu an anderer Stelle mehr.

Jetzt kehre ich zufrieden an unseren Tisch zurück, mit exzellent gezapften, randvollen Biergläsern und wir setzen unsere Besprechung fort. Die nervige Swift Göre ist auch endlich verstummt und mein erster Titel dröhnt aus den Boxen. Jutta verdreht die Augen, lächelt aber dabei.
„Zu hart?“, frage ich.
Wir kommen zu dem Entschluss mit nur einer Zwischenübernachtung in Tallahassee, die knapp 900 Meilen zurückzulegen. Als dies beschlossen ist, genießen wir unsere Drinks, die großartige Musikauswahl und gucken hin und wieder dem Spielgeschehen auf dem Billardtisch zu.

Dann schlendern wir zu Fuß durch die Nacht gemütlich nach Hause. LEMMY steht unversehrt da, wo ich ihn abgestellt hatte. Ich schlafe tief und fest durch.

Jutta hat morgens die Idee, unserem obdachlosem Nachbarn einen Kaffee anzubieten. Ich finde die Idee super, aber wir haben keine „To Go“ Becher. Und ihm einen Becher von uns zu bringen und zu sagen: „Den brauchen wir aber wieder zurück.“, finden wir auch irgendwie doof. Was, wenn er überhaupt keinen Kaffee mag, sondern Tee bevorzugt?
Wir kommen überein, dass wir ihm unsere neue Wassergallone anbieten (eine große Flasche mit knapp vier Liter Mineralwasser) und ich ihm 5 Dollar in die Hand drücke.
Ich gehe auf ihn zu, die Gallone Wasser in der Hand und frage ihn: „Would you like some water?“ Er nickt mir stumm zu, lächelt aber dabei. Ich reiche ihm die große Flasche und drücke ihm irgendwie noch die fünf Dollar in die Hand. Er bedankt sich.
Wir verlassen Miami Beach, fahren runter vom Parkplatz und ein lächelnder junger Mann winkt uns hinterher.
Wir sind wieder auf der Straße und haben einen weiten Weg vor uns.
Ich nuschle vor mich hin, während das Radio im Hintergrund läuft: „Hannah Montana, she does the African Savannah…!“ Jutta schaut mit gerunzelter Stirn rüber zu mir, ich schaue rüber zu ihr. Beide müssen wir grinsen.
…und was als nächstes geschieht…
CHAPTER IV – NOLA, ein Hauch von Voodoo und wie der Lincoln Clay in mir erwacht…