…und wie wir verzweifelt versuchen, doch noch irgendwie nach Halifax zu kommen…

Der Flug von Bremen nach Frankfurt verläuft perfekt. Flug AC 0845 mit Air Canada von Frankfurt nach Montreal hat auf jeden Fall schon mal ca. eine Stunde Verspätung. Bevor es los geht auf die Rollbahn werden noch die Tragflächen enteist. Beruhigend. Ich nehme ein kurzes Video davon auf, weil ich von meinem Fensterplatz eine gute Sicht darauf habe. Dann heißt es „Take off“ und wir fliegen und genießen dabei das Inflight-Entertainment Programm. Es gibt verschiedene Filme und auch einige Spiele. Vieles mittlerweile auch in Deutsch.
Als wir anfingen mit unseren Fernflugreisen, damals mit Rucksack, da gab es nur wenige Monitore über den Köpfen der Passagiere. Man musste sich mit den Filmen begnügen, die die Flugbegleiter einspielten. Es war damals nicht dran zu denken, dass ich Jahre später Schach spiele oder Go (japanisches Brettspiel) gegen eine künstliche Intelligenz oder einen anderen Passagier. Heute schaut jeder was er will und wann er will, direkt vor sich im Sitzmonitor. Ach, Musik hören kann man selbstverständlich auch.
„Ob wir die Stunde Verspätung wieder rausholen?“, stelle ich eher als rhetorische Frage und erwarte keine Antwort. Zwischen den Filmen und dem Essens- und Getränkeservice versuchen wir auch mal ein wenig zu schlafen. Wir holen die verlorene Stunde nicht wieder raus. Wir wundern uns, als wir bei den Connecting Flights schauen, ob alles planmäßig läuft und feststellen, dass dem nicht so ist.

Wir fliegen von Montreal nicht nach Halifax, sondern nach Ottawa. Offensichtlich wurden wir umgebucht. Wir fragen bei den Flugbegleitern nach was da los ist. Der Anschluss sei wohl zu knapp und vorsichtshalber hat man uns umgebucht. Das heißt, wir kommen später an und haben einen zusätzlichen Flug. Na toll, darauf hätten wir gut verzichten können. Das es alles noch viel schlimmer und komplizierter wird, davon ahnen wir jetzt noch nichts.
Auf jeden Fall kommen wir gut in Montreal runter, nach einem sehr angenehmen Flug. Jetzt wird es aufregend, denn die Einreiseformalitäten müssen erledigt werden. Hoffentlich haben wir an alles gedacht. Wir sind doppelt geimpft und danach auch geboostert worden. Wir haben alles digital und auf Papier ausgedruckt und den gelben internationalen Impfausweis auch dabei.
Bevor wir an einen Schalter mit einem Officer kommen, müssen wir uns an einem Computerterminal selber anmelden und registrieren und sogar fotografieren. Wir arbeiten uns durch den Fragenkatalog, stellen uns auf die Markierung für das Foto und drucken alles aus. Jetzt zum Grenzbeamten und in die kurze Schlange vor uns anstellen. Wir sind dran und haben alle Pässe und Papiere parat, ein ganz schöner Stapel. Was wir beruflich machen will er wissen, ob wir genug Bargeld und Kreditkarten haben, ob wir schon einmal im Land waren und wie lange wir bleiben wollen und noch Einiges mehr. Etwas Verwirrung gibt es als wir uns widersprechen. Jutta redet von drei Monaten Verweildauer, ich von 6 Monaten. Schnell kann ich es aufklären, denn wir wollen während dieser Reise drei Monate in den USA verbringen und die anderen drei Monate in Canada. Doch beginnt unsere Reise nun mal hier und deshalb brauchen wir die 180 Tage für dieses riesige Land. Er ist zufrieden mit unseren Antworten und wir bekommen den begehrten Stempel in unsere Pässe. Check!

Leider schickt er uns aber zum PCR Test. Das wird bei ankommenden Reisenden stichprobenartig gemacht. So ein Mist, ärgern wir uns kurz, aber was solls. Wir sind angekommen in Canada, am Ziel unserer bangen, von Corona geprägten Träume und noch sind wir glücklich.
Das mit dem PCR Test geht alles reibungslos und schnell vonstatten und jetzt gucken wir mal nach unserem Weiterflug.
Air Canada 8005, um 12:45 ist Boarding. Aber was ist jetzt schon wieder los? Der Flug ist verschwunden von der Anzeigetafel. Wir haben aber doch schon die Bordkarten. Also ran an den Schalter und fragen was los ist. „Tut uns sehr leid, aber der Flug ist gecancelt.“ Es gibt aber einen Anderen, knapp drei Stunden später. Mit neuen Bordkarten ausgestattet für Flug AC 8007 um 15:40 Boarding Time soll es dann hoffentlich nach Ottawa gehen. Schließlich wollen wir ja auch noch in Halifax ankommen irgendwann. Jetzt aber haben wir ordentlich Zeit gewonnen und was macht man mit Zeit am Flughafen? Ganz genau, Bier trinken und auf die gelungene Einreise anstoßen. Allerdings kann man es so oder so sehen. Ist die Zeit gewonnen oder verloren? Jutta sieht die Zeit als verloren, weil wir später unser angestrebtes Ziel erreichen werden. Ich bin natürlich auch genervt von der zusätzlichen Wartezeit, aber sehe die Zeit als gewonnen für ein paar leckere Bierchen an einem internationalen Flughafen. Schnell finden wir einen sehr einladend aussehenden Pub in dem ein großes Kaminfeuer lodert. Es gibt Biere von denen ich nicht Eines kenne, denn der Laden gehört einer Microbrauerei, perfekt! Jutta trinkt Kaffee und Wasser, ich probiere drei große, unbekannte Biere. Cheers.

Der nächste Flug findet tatsächlich statt und wir erreichen Ottawa gegen späten Nachmittag. Die Temperaturen draußen betragen minus 26 Grad, Wahnsinn!
Unser letzter und finaler Flug heute soll AC 8070 von YOW nach YHZ sein, das sind die Flughafenabkürzungen für Ottawa und Halifax. Boarding ist um 17:55 Uhr. Doch dieser Flug ist wieder mal verspätet und wir bekommen Essens- und Getränkegutscheine von der Airline. Ich sage zu Jutta: „Lass uns in die Micro-Brewery gehen, mit dem schönen Kamin.“ „Ja, meinetwegen.“, sagt sie. Irgendwann wundern wir uns, dass wir sie nicht wieder finden, bis uns einfällt, dass wir mittlerweile auf einem anderen Flughafen in einer anderen Stadt sind. Müdigkeit kommt langsam auf. Doch wir finden einen anderen Pub mit anderem Bier.
Wir sollen die Anzeigetafel mit unserer Flugnummer im Auge behalten und dabei fällt uns auf, dass auf unseren Bordkarten ein komisches handgeschriebenes Kürzel auf. SB steht da drauf, wo eigentlich die Sitzplätze eingetragen wären. Wir finden raus, dass es sich bei unseren Flugkarten um Stand By Tickets handelt. Also ist noch nicht mal klar, ob wir an Bord kommen. Inzwischen wissen wir auch den Grund für die Verspätung. In Halifax tobt ein wilder Wintersturm mit heftigem Eisregen.
Aber wenn wir etwas gut können, dann ist es geduldig warten auf internationalen Flughäfen. Ich liebe sowieso große Airports. Gut Ottawa ist keiner davon, aber egal. Ich liebe dieses Gefühl der Zeitlosigkeit. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Zeit und Raum. Und die Uhren ticken bei Jedem anders. Der Eine kommt gerade aus Singapore, der andere aus London, Capetown oder Tokyo. Alle haben andere Abflugzeiten gehabt und verschiedene Ziele. Wenn also jemand morgens um 9:00 ein großes Bier vor sich hat, so ist das keinesfalls verwerflich. Wir wissen doch gar nicht wie seine Uhr tickt und wo er gerade herkommt. Aber ich schweife ab und denke irgendwann: „Wir werden kaum vor Mitternacht in Halifax ankommen.“ Jutta schreibt bereits über Booking.com an unser Hotel Residence Inn by Marriott, dass wir erst irgendwann in der Nacht ankommen werden.
Endlich kommt der erlösende Aufruf zum Boarding und wir hoffen mit an Bord zu kommen mit den Stand by Tickets.
Übermüdet, aber glücklich besteigen wir den Flieger. Wir sitzen ganz hinten auf den beiden letzten Plätzen und können es kaum fassen, nach bereits weit über 30 Stunden auf den Beinen, den Flug nach Halifax heute noch abzuhaken. Eine Stewardess erzählt uns von einem Australier an Bord (aus Brisbane) als wir von unserer Odyssee berichten. „Der Ärmste ist seit über 50 Stunden unterwegs.“, sagt sie. Danach sind wir ganz still.

Nach einer ¾ Stunde Flugdauer meldet sich der Kapitän zu Wort. Das kennen wir, das ist immer so. Aber heute ist es anders. Er will uns nicht begrüßen oder an Bord willkommen heißen. Er will uns auch nichts über die Flugdauer oder Flughöhe usw. berichten. Er will uns etwas ganz Anderes sagen. Etwas, das wir überhaupt nicht hören wollen.
Er teilt uns mit, dass wir umdrehen müssen. Es sei nicht möglich sicher in Halifax zu landen bei den Wetterbedingungen. Alles andere erfahren wir am Flughafen in Ottawa.
Wir nehmen es gelassen hin, denn wir wissen was jetzt kommt. Die Passagiere werden in Taxis gesetzt und in verschiedene Hotels gefahren. Dafür gibt es wieder Voucher, so dass wir nichts bezahlen müssen. Wir werden ins Sandman Hotel gebracht und haben dort ein schönes Zimmer, ein fast perfektes Zimmer. Zuvor spüren wir noch wie sich 26 Grad minus anfühlen. Was unser tolles Zimmer leider nicht zu bieten hat ist eine Minibar. In den Getränkeautomaten auf diesen endlosen Hotelfluren gibt es nur Softdrinks und Wasser. Fuck!

Der Flug morgen, AC 8770 geht um 11:00 Uhr. Wir versuchen mal zu schlafen. Irgendwann gelingt es auch und wir dämmern langsam weg. Morgens schreckt uns der Wecker laut, aber pünktlich um 8:30 Uhr hoch. Schnell fertig machen und runter in die Lobby, um mit den anderen Passagieren auf die Taxen zu warten. Es sind immer noch minus 26 Grad, aber die Sonne scheint. Das wird ein schöner Tag, denke ich bei mir.
Nach kurzer Fahrt sind wir wieder am Flughafen und wollen einchecken. Leider habe ich am Flughafen die Banderolen von den Taschen die eingecheckt werden abgerissen. Wer kann denn ahnen, dass wir mit derselben Banderole, die seit Bremen am Gepäck hängt, weiterreisen? Also schnell an die Mülltonne, um die beiden zerknüllten und abgerissenen Banderolen wieder herauszufischen. Die nette Dame beim Check in ist sehr geduldig und glättet die alten Banderolen wieder und versucht noch Stellen zu finden, die sie zum Kleben benutzen kann. Irgendwie bekommt sie es hin und so schlecht sieht es gar nicht aus. Wird schon halten. Jetzt nix wie zum Gate und dann ab nach Halifax. Aber zu welchem Gate? Es steht nicht auf der Bordkarte. Wir gucken auf die Anzeigetafel und finden dort wonach wir suchen.
Um 11:00 soll Boarding sein und eine halbe Stunde später Abflug. Es wird 11:00 Uhr und wir werden ungeduldig. Dann ein Blick auf die Anzeigetafel. Delayed, aber nur 20 Minuten. Ein Glück, damit können wir gut leben. 30 Minuten verstreichen, dann eine Stunde. Es beginnt ein Getuschel unter den anderen Reisenden. Es wird wild spekuliert, was denn wohl wieder sein kann. Jetzt steht nur noch DELAYED hinter unserem Flug, aber nicht mehr wieviel Minuten. Handelt es sich überhaupt noch um Minuten?

Was ich sehe, wenn ich durch die riesige Fensterfront schaue, nach unten, wo unsere Maschine am Gate bereit steht, dann stimmt mich das nicht gerade zuversichtlich. Dort stehen einige Service- Fahrzeuge. Techniker mit gelben Helmen laufen draußen in und um die Maschine herum. Jetzt liegen dort auch noch riesige, dicke Schläuche, die scheinbar Luft in die Maschine blasen. Hin und wieder kommt einer dieser Männer mit Helm zum Boardingschalter und es wird geredet. Mal wird genickt, dann mit dem Kopf geschüttelt. Aber wir hören nicht was gesprochen wird. Nach weiteren Sudokus und weiteren Posts über unsere Lage auf dem Ottawa Airport knistert das Mikro und eine Ansage wird gemacht. „Liebe Passagiere, wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, aber Ihre Sicherheit ist unser oberstes Gebot. Das Wassersystem vom gesamten Flugzeug ist eingefroren und wir arbeiten daran, es aufzutauen. Bitte haben Sie noch etwas Geduld!“
Ich glaube ich sagte es bereits, was wir echt gut können, ist warten auf internationalen Flughäfen.

Meine Freundin Katia aus Berlin schickt mir verwundert eine Nachricht. Sie verfolgt in Echtzeit unseren verzweifelten Versuch nach Halifax zu kommen. „Ich bewundere eure Gelassenheit, wie macht ihr das?“ Sie hat wohl schon einige Fotos von mir mit dem Sudoku in der Hand, hier am Gate in unserer scheinbar endlosen Warteschleife, auf Instagram gesehen. Ich antworte ihr unverzüglich. „Hey Katia, das ist dem jahrelangen Training auf den besten Airports der ganzen Welt zu verdanken.“
Gegen Abend kommen wir schließlich mit über einem Tag Verspätung in Halifax an. Jutta findet es komisch, dass sich das Hotel bzw. booking.com nicht zurückgemeldet hat. Sie hatte gestern Nacht noch aus dem Sandman Hotel in Ottawa eine weitere Mitteilung geschickt, dass wir uns nun um einen ganzen Tag verspäten werden, weil unser Flieger wegen dem Eisregen umdrehen musste. Keine Reaktion.
Nach der Landung erstmal gucken zu welchem Baggage Claim wir müssen. Ah Ok: Belt 7, Flight AC 8770 von Ottawa nach Halifax. Warten. Das Band setzt sich in Bewegung und die ersten Gepäckstücke kommen aus dem Nichts und fahren an uns vorbei. Es dauert und wir warten geduldig. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe: Was wir wirklich richtig gut können, dass ist auf internationalen Flughäfen zu warten, da macht uns keiner mehr was vor. Mein Trolley kommt, ich erkenne ihn an der roten Schleife mit der er gekennzeichnet ist, weil er sonst unter den vielen anderen schwarzen Trolleys untergehen würde. Wir schauen dem Gepäckkarussell zu und immer mehr Passagiere verschwinden mit ihren Koffern und Taschen. Wo bleibt Juttas schwarze Sporttasche? Sie kommt nicht. Nach der dritten Leerrunde gehen wir zum Schalter mit der Aufschrift „LOST BAGGAGE“. Es sind außer uns noch drei andere Unglücksraben hier.

Wir bleiben gelassen, denn selbstverständlich haben wir auch diese Prozedur schon etliche Male hinter uns gebracht. Immer erfolgreich. Ich bin nicht stolz drauf, wegen meiner miesen CO2 Bilanz, aber bei einer knappen Million Flugmeilen erlebt man so Einiges auf internationalen Flughäfen.
Wir geben unser Hotel an und rechnen morgen mit dem verlorenen Gepäckstück in unserem Appartement im Residence Inn by Marriott. Jetzt haben wir keinen Nerv mehr auf den Shuttlebus, jetzt genehmigen wir uns ein Taxi. Es wird bereits dunkel. Leider lassen die nächsten Probleme nicht lange auf sich warten.
Draußen vorm Terminal stehen schon die Taxen und wir nehmen das Erstbeste. Der Fahrer steigt sofort aus und hilft mir mit dem Gepäck. Hier haben wir nur noch minus 14 Grad. Im Taxi ist es schön warm und wir plaudern etwas mit dem Fahrer, er heißt Sam. Wir erzählen von unserem Plan mit dem eigenen Wagen an der US-Ostküste runter bis Key West zu fahren, danach von Ost nach West rüber, also einmal durch den Kontinent und wieder vom Süden die Westküste hoch bis nach Kanada zurück. Um dann wieder den ganzen Kontinent zu durchqueren, diesmal von Westen nach Osten, zurück nach Halifax. Im Grunde haben wir Nordamerika damit fast umrundet.
Er beglückwünscht uns zu unserem Vorhaben und wünscht uns alles Gute. Im Gespräch outet er sich sehr schnell auch als Biden-Anhänger. Wir begrüßen das sehr und verheimlichen nicht, dass wir Trump für einen Vollidioten halten. Als wir ihm sagen wo wir die nächste Zeit wohnen werden, beglückwünscht er uns erneut. Dort gibt es alles Wichtige in unmittelbarer Nähe: Restaurants, Bars, nette Cafés und coole Läden. Ob es auch Livemusik gibt, frage ich ihn. „Hey, ihr seid in Halifax, na klar gibt es hier Livemusik.“

Mittlerweile sind wir beim Residence Inn by Marriott angekommen und zu guter Letzt frage ich noch nach einem Liquor Store. „Dort schräg gegenüber ist ein riesiger Liquor Store, die heißen hier NSLC.“ Check!
Nachdem wir das Gepäck ausgeladen haben, drückt Sam mir noch seine Visitenkarte in die Hand. „Wenn ihr in 6 Monaten wieder hier seid, ruft mich an. Dann bringe ich euch zurück zum Flughafen.“ Ich sage: „Geht klar!“ und wir verabschieden uns.
Glücklich endlich Halifax und unser Hotel in so einer Top Lage in Downtown erreicht zu haben, stiefeln wir in die Lobby und wollen einchecken in unser Appartement. Wir werden sehr freundlich begrüßt und gefragt, ob wir denn eine Reservierung haben. Ja, wir haben eine Reservierung, bestätigen wir und Jutta reicht der netten Dame an der Rezeption die Ausdrucke von booking.com.
„Hm.“, vernehmen wir von ihr, während sie in ihrem System nach unseren Namen sucht. „G. O. D. T. ?“, buchstabiert sie fragend unseren Namen. „Yes, G. O. D. T.“, bestätigen wir beide nickend. Als ob das Nicken die Suche nach unserer Buchung im Computer erfolgreicher machen könnte. „Einen Augenblick bitte!“, sagt sie und verschwindet kurz. Sie kommt mit einer anderen Dame zurück. Begrüßungsformalitäten werden erledigt und dann begibt sich die andere Dame auf die Suche nach irgendwelchen GODTs im Buchungssystem.
Jetzt fängt Jutta an zu erklären, was alles los war unterwegs, das wir eine wahre Odyssee hinter uns haben und mit mehr als 36 Stunden Verspätung in Halifax angekommen sind. Das unser Flieger gestern schon auf dem Weg war, dann aber umgedreht ist und wir zurückgeflogen sind nach Ottawa. Sie sagt auch, dass sie zweimal geschrieben hat und booking.com bzw. das Hotel über unsere Verspätungen informiert hat. Leider wurden diese Nachrichten nicht beantwortet.
Eine dritte Person kommt hinzu, diesmal ein sehr sympathischer Mann. Er hat alles aus dem geöffnetem Zimmer hinter der Rezeption mitbekommen und es scheint ihm etwas unangenehm zu sein. Vermutlich liegt der Fehler bei booking.com, bemerkt er, denn das ist die Vermittlerplattform. Besser wäre es gewesen, wenn wir uns direkt an das Hotel gewendet hätten. Er entschuldigt sich für unsere Unannehmlichkeiten und bietet uns als Entschädigung einen Sonderpreis an. Ich frage, ob es denn auch bei dem gebuchten Appartement bleibt und er bestätigt.
Wir zahlen jetzt 89 Doller statt 139 Doller pro Nacht!!
Wir erzählen auch ihm, dass wir auf unser Motorhome aus Hamburg warten und nicht genau wissen, wann es mit dem Containerschiff Halifax erreichen wird.„Kein Problem.“, sagt er, „ihr könnt bleiben solange ihr wollt!“.

Wir bekommen Room 222, ein Eckappartement im 2. Stock. Als wir sehen und realisieren, wo wir die nächsten 10 – 15 Tage wohnen werden, da sind wir endlich angekommen in Canada, angekommen in Halifax. Wir haben eine fantastische Aussicht, sowohl aus der großen Wohnküche mit dem langen Schreibtisch und dem riesigen Flatscreen TV, als auch aus dem Eckschlafzimmer mit Blick auf die kleine Straßenkreuzung mit dem „Durty Nelly`s“, dem Irish Pub schräg gegenüber und dem „Gahan House“, einer weiteren Micro Brewery. Das Bad ist sehr geräumig mit einer 2 m langen Dusche und alles ist supersauber. Der Kühlschrank ist amerikanisch, also riesig, aber er ist leer.
„Jutta, lass uns mal eben rüber gehen in den Liquor Store, damit der Kühlschrank auch einen Sinn bekommt.“ Wir kaufen etwas Wein und einen Karton Molson Canadian und einen weiteren mit Pabst Blue Ribbon. Jetzt bin ich glücklich und tatsächlich angekommen in Nordamerika.

Wie ungewiss war das alles noch vor Wochen? Jetzt fehlt nur noch LEMMY. Ich sehe mich mindestens zwei Sessions arbeiten hier. Zwei Nachtschichten nehme ich mir vor, Georgia Chapter I und Chapter II werde ich hier fertig stellen. Ich habe hier alles was ich brauche. Ich habe hier mehr als ich brauche. Ein stabiles WLAN, einen riesigen Kühlschrank, eine atemberaubende Aussicht auf eine verschneite und inspirierende Hafenstadt. Ich habe einen riesigen TV auf dem ich meine YouTube Videos schauen kann, denn ich bin eingeloggt. Ich kann zur Entspannung Netflix schauen, wenn das Wetter schlecht ist, denn auch damit bin ich eingeloggt. Das Frühstück ist im Preis inklusive und ich kann es mir sogar liefern lassen. Doch bevorzuge ich es, es mir unten selber zusammenzustellen. Eine junge, nette Inderin kümmert sich um unser Frühstück. Sie ist selber gerade erst vor Kurzem in Halifax angekommen, um hier mit ihrer Familie ein neues Leben zu beginnen und erzählt uns immer ein wenig aus ihrem Leben.

Die Probleme liegen tatsächlich erst mal hinter uns und wir akklimatisieren uns im Winter von Nova Scotia. Als Erstes müssen wir groß einkaufen, das machen wir im Atlantic Super Store. Dann erkunden wir die Gegend und haben perfektes Winterwetter. Es sind immer noch minus 14 Grad, aber die Sonne scheint. Wir beginnen mit der Waterfront, mit den ganzen bunten Fressbuden, die allerdings jetzt geschlossen haben und auf den Sommer warten. Wir sehen den Farmers Market und wollen dort unbedingt am Wochenende einkaufen. Sehen das Scotiabank Center, wo demnächst The Offspring spielen soll. Ich überlege mir Tickets dafür zu kaufen. An der Waterfront sage ich zu Jutta: „Wenn LEMMY in Halifax einläuft mit der Atlantic Star, dann will ich das von hier aus beobachten und filmen.“

Sie sagt, etwas weniger enthusiastisch: „Mal sehen, wir wissen ja noch gar nicht wann das sein wird. Es kann ja auch mitten in der Nacht sein.“
Da hat sie natürlich recht.
Wir genießen die Zeit unglaublich in unserem Appartement. Und wie zu erwarten war, ist auch Juttas Sporttasche mittlerweile eingetroffen. Die Tage gehen dahin und wir fühlen uns schon ganz Zuhause. Ab und zu gehen wir ins Durty Nelly`s, um ein paar Bier zu trinken und Live Musik zu hören. Wobei hier gewissenhaft geprüft wird, ob man geimpft ist. Es geht alles, aber der Impfstatus ist enorm wichtig und das Personal trägt Maske. Der Gast trägt nur Maske bis er am Tisch angekommen ist. Bars und Restaurants haben mit Plexiglasscheiben die einzelnen Sitzbereiche abgetrennt, so wie wir es seit langem kennen.

Nach einer Weile finden wir auch heraus, dass der Atlantic Super Store ein klasse Laden ist mit einer riesigen Auswahl, wir aber alles viel günstiger woanders bekommen. Wir lernen Halifax kennen. Und ich lerne Halifax lieben. Mich stört es auch nicht, wenn das Durty Nelly`s bereits gegen Mittag anfängt laute Musik aus den Außenboxen auf die Straße zu übertragen, weil es meistens gute Musik ist. Jutta ist manchmal genervt davon. Es ist nicht sehr laut, aber wir hören es im Wohnzimmer und auch im Schlafzimmer.
„Was stört dich das denn, ist doch gute Musik.“, sage ich zu ihr.
Und nachts, so etwa gegen 22:30 Uhr schreit immer Einer wie wild draußen rum. Sehen kann ich ihn nicht, er läuft zu dicht an der Wand entlang und unser Fenster lässt sich nicht öffnen. Wir wissen nicht warum er so brüllt, denn es ist nicht zu verstehen was er brüllt. Aber nach ca. 10 Minuten ist er wieder ruhig. Für mich wird all das zu einer lieb gewonnenen Routine.
Ich schaue oft aus dem Fenster, denn die Aussicht ist wirklich grandios. Die Straßen sind geräumt, aber es ist trotzdem noch fast alles weiß vom Schnee. An den Ecken der Kreuzung türmen sich die Schneeberge. Wenn es Abend wird, färbt sich die Straße gegenüber leicht lila, durch die Straßenbeleuchtung und den bunten Lampen über der Straße, die wohl noch von Weihnachten dort hängen.

Eines Abends, als wir leckere Pasta gegessen haben und dazu einen süffigen Wein getrunken haben, da war Jutta bereits im Bett und ich habe noch Musik gehört und aus dem Fenster geschaut. Die Stunde des Schreihalses war lange vorbei, aber vor dem Durty Nelly`s war noch ein wenig Betrieb.
Ich beobachte also von oben, aus meinem Appartement, wie ein Obdachloser vor dem Irish Pub die Tür für die kommenden Gäste öffnet und auf ein kleines Trinkgeld hofft.
Der Türsteher kommt unverzüglich raus und jagt die obdachlose Person zum Teufel. In dieser Nacht hatte ich einen unruhigen Schlaf. „Du hast tatenlos zugeschaut!“, sagte etwas in mir. Und mit dieser Unzulänglichkeit wurde ich nicht das erste Mal konfrontiert und auch nicht das letzte Mal.
Tage, an denen das Wetter nicht zum Spazierengehen einlädt, vertrödeln wir auch mal komplett zuhause. Der Kühlschrank ist voll und wir haben Spiele dabei, Bücher, Sudokus und natürlich meinen Laptop zum Arbeiten. Allerdings arbeite ich nicht nur, hier an meinem Schreibtisch zocke ich auch ganz gerne mal Hearthstone. Das ist ein ziemlich kompliziertes, virtuelles Kartenspiel mit animierten Karten aus dem World of Warcraft Universum. Lange Erklärungsversuche lasse ich mal beiseite. Auf jeden Fall gehen da schnell ein paar Stunden verloren. Aber auch hier stellt sich mir die Frage: „Sind die Stunden wirklich verloren?“
Mit Netflix können wir Filme in deutscher Sprache schauen, denn ich bin mit meinem Account angemeldet. Wir lieben es Filme zu schauen oder auch mal eine Serie.
Ich könnte heute auch mal wieder eine Nachtschicht einlegen, kommt es mir in den Sinn. Ich will Georgien in zwei Chapter aufteilen und diese beiden Chapter sollen in Halifax geboren werden.

Schon vor dem Abendessen setze ich mich an den Schreibtisch und fahre den Laptop hoch. Aus der Küche hole ich mir einen Becher Tee und spaziere an der, auf dem Sofa lesenden Jutta vorbei, ans Fenster. Kurzer Blick raus, jetzt ist der Laptop startklar.
Der Cursor blinkt oben links auf einer reinen, weißen und unbeschriebenen Seite. Zum Glück muss ich mir um den Titel keine Gedanken machen, denn den weiß ich immer schon, bevor das letzte Chapter vollendet ist. Also schnell den Titel GEORGIA – CHAPTER I eintippen und der erste Bann ist gebrochen. Wie war denn noch der Untertitel? Ich glaube …und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht….
Aber soweit bin ich noch lange nicht, womit fange ich an?
„Stört es dich, wenn ich mir etwas Musik anmache?“, frage ich Jutta.
„Wenn du keine Krachmusik anmachst nicht.“, sagt sie, “dabei kann ich nicht in Ruhe lesen!“
Mir fällt ein, dass mich der Soundtrack von SONS OF ANARCHY schwer begeistert hat und dass es auf keinen Fall Krachmusik ist.
Also schalte ich den riesigen Fernseher ein, öffne YouTube und suche den Soundtrack. Da ist er schon. Etwas leise Musik im Hintergrund wirkt auch inspirierend auf mich. Ich finde irgendwie einen Anfang und fange an zu schreiben. Zwischendurch wechsel ich den Tab und schaue in den Ordner mit den Fotos von Georgien. So gleite ich langsam immer tiefer rein, Erinnerungen werden wieder lebendig, ich bin jetzt nicht mehr in Kanada, ich bin wieder in Georgien….
Es ist schön an einem großen Schreibtisch zu sitzen und zu schreiben. Das habe ich auch im Waterhole genossen. Es geht natürlich auch im Auto, denn da habe ich auch alles was ich brauche. Ich habe einen Kühlschrank, kann mir Tee und Kaffee kochen, habe ein kleines Bad und meine Sitzecke zum Schreiben. Aber alles ist viel enger und wenn Jutta schlafen will, dann störe ich sie und manchmal wacht sie auf, wenn ich mir eine Dose Bier öffne. Ich habe auch schon mit den großartigsten Aussichten draußen geschrieben, doch irgendwann wird es nachts einfach zu kalt und ich muss mich in die beheizte Kabine zurückziehen.
Jedenfalls ist dieses Appartement im Residence Inn by Marriott dermaßen inspirierend, dass ich schnell die Zeit vergesse und meinen Schreibfluss nur für ein kurzes Abendbrot unterbreche.
Nun gebe ich Pearl Jam bei YouTube ein und schreibe weiter.
Das erste Bier steht neben dem Laptop.
Wo ist eigentlich Jutta? Liegt sie schon im Bett? Und was läuft da für Musik?
Ich sehe drüben im Schlafzimmer nach.
„Da bist du ja.“, stelle ich fest.
„Ja, ich lese noch etwas vor dem Schlafengehen.“, sagt sie lächelnd.
„Alles klar, gute Nacht und schlaf schön.“, sage ich. Nach einem Gute Nacht Kuss schließe ich leise die Schlafzimmertür und hole mir etwas aus dem Kühlschrank. Dann mache ich eine andere Musik an und schaue kurz aus dem Fenster. Ist der Schreier eigentlich schon durch heute?

Wenn ich nichts eingebe bei YouTube wird gespielt was die KI für mich passend hält. Weil Jutta keine Krachmusik wollte heute und ich beim Schreiben auch lieber ruhigere Titel höre, ertönt plötzlich ein Song, den ich noch nie zuvor gehört habe. Ich drehe mich in meinem Schreibstuhl zum Fernseher und sehe CHET BAKER. Dabei streife ich das Fenster und draußen tanzen dicke, weiße Schneeflocken vorbei. Wie geil ist das denn? CHET BAKER performt live „I`m a fool to want you“, einen wahnsinnig intensiven und geilen Jazz Song. Gebannt schaue ich mir dieses 9.16 Minuten lange Video an und bin fasziniert von diesem Künstler. Ich mache Fotos von ihm auf dem TV Monitor. Entdecke ich gerade die Liebe zum Jazz? Ich weiß es nicht, aber Chet Baker finde ich grandios und er wird mich in Zukunft weiter begleiten. Es ist Zeit für ein weiteres Bier. Ich hole mir eine kalte Dose Pabst Blue Ribbon aus der Küche und nehme sie mit zum Fenster. Wenn das keine perfekte Nacht ist!

LEMMY hat nun endlich (mit 8-tägiger Verspätung!) am 18.01.22 den Hafen von Hamburg Richtung Liverpool verlassen. Wir schauen gelegentlich bei „Marine Traffic“ wo sich die „Atlantic Star“ aktuell befindet. Leider muss man jede Positionsabfrage über Satellit mit knapp 2 Euro bezahlen. Allerdings kann man dann für 24 Stunden die weitere Fahrt beobachten. Nur wenn sich das Schiff in Küstennähe befindet, kann man das umsonst verfolgen. Am 24.01.22 verlässt LEMMY dann im Bauch des riesigen Containerschiffs Liverpool in Richtung Halifax, Nova Scotia.
Wir haben uns für die letzten Tage ein Auto reserviert, damit wir hier auch ein bisschen beweglicher sind und unsere Kreise erweitern können. Ich möchte gerne den GMC Suburban und wir haben auch bereits einen Abholtermin am Flughafen. Wir stellen fest, dass die Preise für Leihwagen schwanken wie die Aktienkurse an der Börse. Innerhalb von Minuten kann sich der Preis um 40-100 % erhöhen. Wir schlagen schnell zu, als wir ein guten Deal abschließen können. Leider müssen wir das Fahrzeug vom Flughafen übernehmen. Um rauszufinden, wo der Airportshuttlebus fährt, suchen wir die Haltestelle bei einem Spaziergang schon mal vorher. Dann wissen wir auch wie lange wir brauchen, um von Zuhause dorthin zu laufen. Ich mache dabei auch gerne mal eine Daily Challenge. Von meiner Schwester und ihrem Freund Walter habe ich dazu einen kleinen Karton mit 75 Karten bekommen. ANYWHERE TRAVEL GUIDE steht da drauf. Und darunter steht dann noch: „75 Cards for discovering the unexpected whereever your journey leads.“

Auf jeder dieser 75 Karten steht eine andere Aufgabe, die dann meine DAILY CHALLENGE ist. Ich ziehe immer die vorderste Karte aus dem Karton und dann erledige ich, was darauf geschrieben steht. Heute z. B. soll ich überall raufklettern, was sich mir unterwegs so bietet. Das können Mauern sein, Statuen, Balkone, Zäune und im Grunde alles, wo man irgendwie hinauf kommt. Man geht mit so einer Aufgabe ganz anders durch die Stadt. Natürlich wird morgens die Challenge fotografiert und auf Facebook und Instagram gepostet, um dann am Abend die tagsüber gemachten Beweisbilder zu posten. Damit man sieht, dass ich geliefert habe. Die Aufträge können ganz unterschiedlich sein und manchmal fallen sie mir sehr leicht und machen viel Spaß. Aber manchmal sind sie eher unangenehm und ich habe keine große Lust das zu tun, wozu ich aufgefordert bin. Einmal sollte ich nach allem Ausschau halten was blau ist, ein anderes Mal was gelb ist. Im letzten Urlaub gab es eine sehr schöne Aufgabe. Ich sollte eine Botschaft, viel mehr einen Wunsch auf einen Zettel schreiben und derjenige, der den Zettel findet, der sollte selber einen Wunsch aufschreiben und den Zettel irgendwo hinterlegen, wo ein Anderer ihn dann findet. Bei mir war das in Krakau der Fall. Ich hatte einen Wunsch notiert, den Zettel dann zu einem Kranich gefaltet und in einem Restaurant, in dem wir gegessen hatten, in einen Blumenstrauß gesteckt zurückgelassen.
Manche Karten gefallen mir gar nicht, wenn ich z. B. irgendwie „strange“ gehen soll und schlurfen wie ein Zombie, dann mache ich es noch mit (Warschau 2020). Aber wenn ich singen oder tanzen soll, dann nehme ich die Karte und stecke sie ganz nach hinten.
Hier habe ich eine sehr einfache und angenehme Aufgabe:
FIND A PLACE WHERE YOU CAN LIE DOWN
Figure out how the wörld changes from this point of view
the smell, the sounds, the sky.
Describe it to a friend.

Mir fällt sofort die Waterfront ein, dort habe ich Hängematten gesehen. Also nichts wie hin und reinlegen und in den Himmel schauen. Was war noch? Ach ja, der Geruch, den soll ich wahrnehmen. Und jetzt soll ich es beschreiben. Na gut, versuchen wir es mal so:
„The sky is blue,
the sound come throu,
the salty sea smells like Stue.“
Daily Challenge Check!
Ein weiterer Wintersturm ist angekündigt worden für das kommende Wochenende. Ausgerechnet jetzt, wo wir den Wagen am Flughafen abholen wollen. So ein Mist, bei Schnee und Eisregen machen wir keine großen Exkursionen mit dem Auto. Jutta storniert den Auftrag und wir buchen einen anderen Wagen für Montag, dann soll die Sonne wieder scheinen. Den Suburban gibt es leider nicht mehr, jedenfalls nicht zu einem akzeptablen Preis. Dafür haben wir einen GMC TRAVERSE reserviert und das sogar in der Stadtfiliale.
Vor dem Wintersturm schauen wir noch mal nach der Atlantic Star, sie ist noch vor dem Sturm, der bereits über dem Atlantik wütet. Wir haben Marine Traffic wieder bezahlt, um aktuelle Informationen zu bekommen. Auch die Wetterkarte können wir sehen und hoffen, dass das Schiff mit LEMMY an Bord nicht in den Sturm gerät.
Wir decken uns noch mit Lebensmitteln und Getränken ein, damit wir nicht raus müssen, wenn das Unwetter tobt. Den Rest sitzen wir in unserem tollen Appartement aus. Abends kochen wir uns leckere Sachen und zum Kaffee gibt es am Wochenende auch gerne mal Kuchen. Wir beobachten das wilde Treiben des wütenden Schneesturmes durchs Fenster und schauen zu, wie sich einzelne Personen durch den Sturm kämpfen und Mühe haben nicht zu stürzen auf der verschneiten, abschüssigen Straße.

Wir machen es uns gemütlich auf dem Sofa vor dem Fernseher, Jutta liest und ich mache mal ein Sudoku oder spiele etwas Hearthstone. Langeweile haben wir keine.
Mitten in der Nacht werde ich wach. Was ist denn da draußen los? Es hört sich an wie gigantische Staubsauger, die versuchen die ganze Stadt einzusaugen.. Ich stehe auf und schaue aus dem Fenster. Die Schneemassen, die zuvor von den Schneepflügen an den Straßenrand geschoben wurden und sich zu hohen Bergen an den Ecken der Kreuzung auftürmen, werden nun mit Tiefladern und Schaufelbaggern entfernt. Es taut ja auch nichts weg bei minus 14°. Nachtruhe Ade. Ich mach noch mal eine Folge „Die Drei ???“ an, vielleicht klappt es dann doch noch mit dem Schlafen. Wenn nicht, auch egal, dann überlege ich mir, wie es mit GEORGIA CHAPTER II weiter geht.
Trotz wenig Schlaf und einem abrupten Erwachen mitten in der Nacht will ich nicht auf den morgendlichen Kaffee, den Saft und vor allem nicht auf die köstlichen Hash Browns von der Frühstückstheke verzichten. So quäle ich mich morgens dann mal wieder aus dem Bett, um die leckeren Sachen unten abzustauben, bevor der Service um 10:00 Uhr eingestellt wird. Wahlweise gibt es auch Rührei, Joghurt, verschiedenes Obst, Toast und ganz besonders köstliche Cookies oder Muffins. Es ist in der Regel mein Job diese Dinge zu holen, denn Jutta reicht morgens ihr selbstgemachtes Müsli und der Kaffee aus unserer Kaffeemaschine. Wenn ich allerdings morgens schlaftrunken lostapere und mit dem Tablett mit frischem Kaffee und duftenden Hash Browns aufs Zimmer zurückkehre, dann freut sie sich schon, wenn ich alles doppelt geholt habe.
Das Offspring Konzert im Scotia Bank Center wurde leider abgesagt, scheinbar macht auch Kanada aktuell noch keine Großveranstaltungen mit mehreren Tausend Zuschauern. So werde ich noch etwas warten müssen, auf mein erstes Konzert nach langer Zwangspause und nun mehr seit fast zwei Jahren Livemusik Entzug.


Dafür machen wir umso mehr Spaziergänge. Wir haben warme, lange Unterwäsche mitgenommen für die harten kanadischen Wintermonate. Handschuhe, Mützen, Schal sowieso, an alles ist gedacht. Und als wir auch mal wieder an der Waterfront spazieren gehen, den Clocktower und das alte Fort oben auf dem Hügel haben wir längst gesehen, da kommt ein großes Containerschiff auf uns zu, das von Schlepperbooten begleitet wird. Die Atlantic Star kann es nicht sein, das ist unmöglich. Doch ich erkenne ein großes G an der Seite des Schiffes. Das G steht für die Grimaldi Reederei unter der auch die Atlantic Star läuft.
„Jutta!“, rufe ich, „guck dir das mal an, siehst du auch was ich da sehe?“ Ich bin bereits eilig auf dem Weg einem Steg folgend, der mich weiter an die Fahrrinne des Schiffes führt, welches immer näher kommt. Ich zoome mit dem Handy auf den Bug des Ozeanriesen und drücke ab, doch das Foto ist zu unscharf geworden. Ich meine „Atlantic“ kann ich entziffern, doch dahinter steht nicht „Star“. Ich meine „Sun“ könnte es heißen. Es wird ein Schwesterschiff sein, auch unter maltesischer Flagge. Ich werte dies als gutes Omen und freue mich ein ähnliches Schiff beim Einlaufen in den Hafen von Halifax hautnah miterlebt zu haben.

Eine zweite Nachtschicht steht an. Davor habe ich eine Daily Challenge gestartet. Daran werde ich allerdings scheitern. Na ja, nicht komplett, die Challenge beinhaltet mehrere Aufgaben, die ich mir selber stellen soll. Die Karte ist mit vier kurzen Sätzen aufgebaut, die ich in der jeweiligen Leerzeile darunter vervollständigen soll. Nichts leichter als das, wo ist der Bleistift?
Auf der Karte steht:
TODAY I AM GOING TO FIND A: bar with live music
IT`S GOING TO MAKE ME FEEL: drunk and happy
AFTER THAT I WILL: write my Blog
BUT NOT: until tomorrow morning
Eine Bar mit Livemusik zu finden ist nicht schwer in Halifax, außerdem kennen wir ja Eine direkt schräg gegenüber, das Durty Nelly`s. Dort gehen wir hin und trinken ein paar Biere von der Propeller Brauerei. Eins heißt wie ich, auf dem Menü steht: PROPELLER, JURGEN HOPP, das bestelle ich mir. Jutta bevorzugt Wheatbiere wie Hoogaarden oder so ähnlich, ich glaube ich erwähnte es bereits. Die Stimmung ist gut, ein einzelner Künstler spielt mit seiner Gitarre bekannte Coversongs und er hat hier bereits eine Fangemeinde, die fleißig jubelt und mitgrölt.

So, Punkt 1 und 2 von meiner Daily Challenge habe ich erledigt, kommen wir zu Punkt 3, am Blog weiterschreiben. Wir zahlen und gehen zurück in unser Appartement. Drei Minuten später sind wir schon da. Jutta wird noch etwas auf der Couch lesen und ich mache mir ein Molson Canadian auf und setze mich an den Schreibtisch. Etwas leise Musik spiele ich wieder über unseren Fernseher ab, heute Nacht beginne ich mal mit Chet Baker. Irgendwie (finde ich) ist das Großstadtmusik. Das passt perfekt in eine verrauchte Bar in New York oder meinetwegen auch in Hongkong oder Tokyo. Und während Chet am Klavier spielt und ins Mikrofon haucht, da wandert der Blick in meinen Gedanken über die Skyline, denn die Bar ist weit oben und die Fensterfront ist enorm breit.
Aber ich bin weder in New York, Tokyo oder Hongkong. Ich bin in Halifax, muss aber zusehen, dass ich wieder nach Georgien komme. Ich blättere einmal durch die Bilder, versuche mich zu erinnern….Ich öffne meine Blogseite und trinke erst mal einen Schluck. Die Finger liegen über der Tastatur, bereit zu arbeiten. Die Gedanken kreisen. Chet Baker ist im Augenblick nicht das Richtige, ich brauche etwas Anderes. In Georgien hatte Chris doch einmal die Platte von Eddi Vedder laufen, vom „Into the wild“ – Soundtrack, als wir zusammen im Vashlovani National Park unterwegs waren an der aserbaidschanischen Grenze. Das ist jetzt die Musik, die ich brauche. Ich fange an zu schreiben.
Ich schreibe und schreibe, werde aber nicht fertig. Ich wandere in die Küche, hole mir abwechselnd ein Molson und dann ein Pabst, um damit dann aus dem Fenster zu schauen.
Es sieht einfach so grandios aus. Diese Fensteraussicht werde ich vermissen, das ist mir jetzt schon klar. Immer mal wieder muss ich auch den Musikkanal korrigieren und in mich gehen, was ich gerade eigentlich hören will. Viel fehlt nicht mehr bis das Chapter fertig ist, doch heute Nacht schaffe ich es nicht. Es steht auch ein schwieriges Kapitel an, das sollte ich nicht betrunken schreiben. Es geht mal wieder um eine Unzulänglichkeit von mir, als ich einen sterbenden Hund tatenlos habe vorüberziehen lassen. Das wird mir nüchtern aber auch nicht leichter fallen zu schreiben. Ich werde nach diesem Kapitel GEORGIA – CHAPTER II vorzeitig abbrechen, weil es mich emotional echt fertig macht.
Was meine Challenge von heute angeht, so habe ich auch Punkt 3 korrekt erledigt. Ich habe an meinem Blog gearbeitet. Aber Punkt 4 habe ich verkackt, der Morgen ist da und die Sonne geht auf.

Heute ist ein ganz besonderer Tag, wir holen unseren Leihwagen ab. Wir werden ihn für vier Tage behalten bis LEMMY aus dem Hafen geholt wird. Die Sonne scheint und die Schneeberge in der Stadt wurden größtenteils abtransportiert. Wir machen uns auf den Weg zur Stadtfiliale, die am Bahnhof von Halifax ist, nahe dem Atlantic Super Store. Im Bahnhof sehen wir dann auch schon den Avis Schalter.
„Hello, we have a car rental for today.“, begrüßen wir die beiden Damen am Schalter und legen unsere Ausdrucke (die sie uns netterweise im Hotel ausgedruckt haben) vor.
„Da sind sie hier aber falsch, sie müssen in die andere Filiale in Downtown.“, sagt Eine der Beiden.
„Ach so, na gut, vielen Dank!“, sagen wir und verabschieden uns.
Wir wissen genau, wo wir hin müssen, denn dort sind wir schon einige Male dran vorbeigelaufen.
Durch die Stornierung des Suburban und andere Suchoptionen, sind wir wohl etwas durcheinander gekommen. Macht nix, ist nur wenige Minuten zu laufen von hier.
Von Weitem sehen wir schon die Einfahrt in die große Parkgarage und das kleine Office ist in derselben Etage. Ein großer, roter GMC TRAVERSE steht direkt gegenüber. Das ist Unserer und alles klappt ohne Probleme. Der Wagen ist voll getankt und so geben wir ihn auch wieder ab. Wir können unbegrenzte Kilometer fahren und haben eine Vollkaskoversicherung.
Das erste Ziel ist Peggys Cove.

Der Wagen begeistert mich sofort. Alles ist vollautomatisch. Es dauert eine Weile bis ich wirklich alles verstanden habe. Ich werde gewarnt, wenn Fußgänger vor mir laufen, wenn ich zu wenig Abstand zum Vorausfahrenden halte. Sogar das Fernlicht schaltet sich automatisch ein, wenn es dunkel ist und wieder aus, bei entgegenkommenden Fahrzeugen. Der Allradantrieb hat sich bei mangelnder Traktion im Schnee selbstständig eingeschaltet, den musste ich manuell dann wieder rausnehmen. Aber das nur am Rande. Wir erreichen Peggys Cove und das dazugehörige Lighthouse. Es ist ein eiskalter, aber sehr sonniger Tag und dieser kleine, verschneite Fischerort hat unglaublich viel Charme. Wir parken oben beim Leuchtturm und stiefeln erst mal dorthin. Von hier haben wir auch einen guten Blick über den Ort. Ich halte Ausschau nach der ATLANTIC STAR, sie wird heute im Laufe des späten Nachmittags oder bis irgendwann in der Nacht in Halifax erwartet. Zu sehen bekomme ich sie nicht.
Wir essen noch zu Mittag hier und ich bekomme im Souvenirshop einen neuen Beercooler. Nach Fish & Chips für mich und einem Fischfilet für Jutta geht es frisch gestärkt weiter nach Lunenburg.

Allerdings halten wir vorher noch beim Swissair Flight 111 Memorial und gedenken der 229 Opfer, die bei diesem verheerendem Absturz 1998 ihr Leben verloren haben. Zwei große Granitplatten mit den Namen der Opfer stehen jetzt auf den Felsen an der Küste von Nova Scotia, unweit von Peggys Cove und erinnern für immer an dieses schreckliche Unglück. Wir verbringen hier etwas Zeit, jeder für sich, bis wir dann einvernehmlich, uns nur zunickend, auf den kurzen Weg machen zurück zum Auto.

An dieser Aussicht hat Jürgen erkannt, dass hier Locke&Key gedreht wurde!
Lunenburg ist eine noch beeindruckendere Kulisse als es Peggys Cove schon war. Dieses kleine Küstenstädtchen wird mit Sicherheit oftmals als Filmmotiv gedient haben und wohl auch in Zukunft werden hier Filme und Serien entstehen. Hier türmen sich die Schneeberge noch meterhoch und es wurde nicht so schnell wie in Halifax geräumt. Die Uhren ticken hier anders, die Zeit scheint stillzustehen. Überall sind alte, bunt gestrichene Holzhäuser. Ein beschaulicher Ort. Viele Häuser scheinen in der Nebensaison leer zu stehen. Es gibt aber einige nette, geöffnete Cafés und kleine Läden mit so allerlei Kram. In vielen Gärten liegt der Schnee mit einer aalglatten Eisschicht über allem und reflektiert das Sonnenlicht. Der Eisregen hatte sich über den Schnee gelegt und gefror sofort. Weil niemand in den unbewohnten Gärten umherläuft, entstehen diese zauberhaften Eislandschaften.

Wir bummeln durch die verträumte Kleinstadt bis uns kalt wird und genehmigen uns einen heißen Kaffee, mit Blick über die Bucht in einem der entzückenden Café-Bars. Danach fahren wir eine andere traumhafte Strecke durch Nova Scotia. Zurück nach Halifax, zurück nach Hause, ein Zuhause auf Zeit. Einen vollen Tag haben wir noch mit unserem roten GMC. Den wollen wir noch komplett nutzen Morgen, am Mittwoch, den 2. Februar 2022, haben wir endlich den Termin um LEMMY aus dem Hafen abzuholen. Vorher müssen wir aber noch zum Zoll und die Einfuhr des eigenen Fahrzeugs regeln. Aber das alles ist erst morgen. Heute haben wir noch frei.
Wir fahren in den Kejimkujik National Park und nach Annapolis Royal. Dieser Rundtrip beginnt morgens und erst am Abend werden wir zurück sein. Es macht Spaß wieder beweglicher zu sein. Ich genieße es sehr wieder hinterm Steuer zu sitzen und neue, unbekannte Gebiete zu erkunden. All das ist hier durch die Verspätung des Containerschiffes zu kurz gekommen. Ursprünglich wollte ich längst mit Jutta und LEMMY auf Neufundland unterwegs sein. Aber durch eine Woche länger OHNE LEMMY haben wir diesen Plan verworfen. Und mit einem Mietwagen nach Neufundland fahren, durch heftige Winterstürme, wo wir hier so fantastisch und günstig wohnen? Nee, haben wir uns gesagt. Wir bleiben hier und nehmen einen Wagen für ein paar Tage, um Nova Scotia etwas zu sehen und um LEMMY aus dem Hafen zu holen. Mit dieser Entscheidung sind wir sehr zufrieden, denn auch heute ist wieder ein kalter, aber sehr sonniger Tag.

Wir machen uns auf den Weg und zum Teil fahren wir ausgewiesene Scenic Routes, was das Fahren noch großartiger macht. Im Kejimkujik N. P. ist alles voller Schnee und viele Wege sind nicht geräumt, was uns nur zum Teil Einblicke gewährt. Wir fahren alles was geht. Nachdem Jutta erst protestiert hat, lässt sie sich darauf ein, auch die Strecken zu fahren, die eigentlich nicht offen sind. Der Unterschied ist für mich ganz einfach. Es gibt Strecken, da stehen Warnschilder auf denen steht, dass die Strecken im Winter nicht geräumt werden oder nicht patrouilliert werden oder sonst was. Und dann gibt es Strecken die sind zu, da ist dann ein Schlagbaum davor, der abgeschlossen ist. Da fahre ich nicht lang. Die anderen Strecken fahren wir also und lernen nun doch ein wenig diesen Nationalpark kennen. Wir treffen nur auf sehr wenige Menschen und manche sind hier sogar mit Schneeschuhen unterwegs, um nicht so tief einzusinken, denn die Wanderwege sind natürlich auch nicht geräumt.

Immer mal wieder steigen wir aus dem Auto aus und wandern etwas, gehen mal über eine kleine Hängebrücke oder entlang eines fast zugefrorenen Flusses. Als wir so richtig durchgefroren sind und schon Einiges gesehen haben an den verschiedenen Haltepunkten, verlassen wir diesen einsamen Park, um nach Annapolis Royal an der Bay of Fundy zu fahren. Gegenüber liegt Saint John, dort werden wir in ein paar Tagen übernachten, das wissen wir jetzt aber noch nicht. In Annapolis Royal gehen wir nur etwas spazieren. Genießen noch immer den Schnee und die Sonne, da wir so was etwas vom Waterhole nicht gewohnt sind. Wir essen in einer schäbigen Bar leckere Sweetpotato Fries und trinken dazu einen Kaffee vor der langen Rückfahrt.

Mittwoch, 2. Februar 2022
Wir sind um 8:45 Uhr mit Kim Marriott von der Spedition E. H. Mathers am Zollgebäude verabredet. Sie hat Jutta angeboten dorthin zu kommen, damit wir den Weg zu ihrem Büro sparen. Denn dort sind alle im Homeoffice und ihr war es egal, ob sie ins Büro fährt oder sich mit uns am Zoll trifft. Sie muss uns nur einige Papiere übergeben. So sind wir früh aufgestanden heute und ich habe nur kurz ein kleines Frühstück von unten geholt, damit wir pünktlich am verabredeten Treffpunkt sind. Mit dem Aufzug fahren wir direkt in das P2 Parkdeck und um die Ecke steht der rote GMC. Wir kommen pünktlich an und haben es auch direkt gefunden. Das Zollgebäude ist etwas abseits gelegen. Sie sind umgezogen und ca. 8 Meilen vom Hafen entfernt. Von unserem Appartement waren es etwa 20 Minuten zu fahren.

Wir stehen gerade erst wenige Augenblicke auf dem Parkplatz und da kommt ein weiterer PKW angefahren. Wir gucken wer da kommt und sie guckt, wer da schon steht und schnell ist klar: Wir sind hier verabredet. Sie ist sehr nett und bietet weitere Unterstützung an, sollten wir irgendwelche Fragen haben oder Hilfe benötigen. Auch um die Rückverschiffung wird sie sich kümmern. Sie reicht Jutta einen kleinen Stapel Papiere und wünscht uns alles Gute. Jetzt wird es aufregend. Wir wurden gebrieft, was wir auf bestimmte Fragen antworten sollen und was wir auf keinen Fall sagen dürfen. Das ist aber auch nicht schwer, denn es entspricht alles der Wahrheit. Zum Beispiel sollte man sagen, dass man nie länger als 30 Tage in einer Provinz ist. Sonst muss das Auto in der Provinz angemeldet werden. Man ist natürlich nur als Tourist unterwegs und verschifft das Fahrzeug auch wieder nach Deutschland zurück.
Wir gehen rein und kommen direkt durch an den Schalter, es ist niemand sonst hier außer den Zollbeamten. Eine junge Dame kümmert sich um uns und checkt alle Papiere sorgfältig durch.
„Haben sie auch Fahrräder dabei?“, will sie wissen. Da wir nichts zu verheimlichen haben, bestätigen wir die Frage mit einem Ja. „Die sind nicht angemeldet!“, sagt sie. „Oh, wir haben aber bei Seabridge angegeben, dass wir zwei Mountainbikes mitnehmen werden.“, sagen wir und hoffen, dass es keine Probleme deswegen geben wird.
„Wollen sie die Fahrräder auch wieder mit zurück nach Deutschland nehmen?“ „Ja selbstverständlich!“ bestätigen wir zeitgleich.
Sie will noch wissen wie lange wir bleiben wollen und wann unser Rückflug ist und ob wir schon einmal in Kanada waren. Ich antworte, dass wir schon zweimal in Kanada waren, einmal an der Westküste in BC und Alberta und das andere Mal in Ontario an der Ostküste. Dann berichte ich ihr noch von unserer geplanten Route durch die USA und die Wiedereinreise im Mai in British Columbia.
„Herzlich willkommen in Kanada!“, sagt sie und reicht uns alle abgestempelten Papiere und Unterlagen zurück. „Wow, das ging doch super.“, sage ich zu Jutta. Beide sind wir mega erleichtert eine weitere Hürde genommen zu haben. Wenn es jetzt im Hafen genauso einfach läuft wie vor drei Wochen in Hamburg, dann haben wir bis heute Mittag alles erledigt und LEMMY und wir sind wieder vereint. Jutta hat ein wenig Bauchschmerzen, weil sie dann LEMMY zum Residence Inn by Marriott fahren muss.
Aber jetzt geht es erstmal zum Hafen. Das ist nicht ganz so einfach zu finden, denn die Navigation ist etwas unübersichtlich mit den ganzen Brücken und Unterführungen, so dass wir uns prompt verfahren und einen zweiten Anlauf wagen. Macht aber nichts, denn wir wissen, wo ich falsch gefahren bin und werden es diesmal richtig machen.
Beim zweiten Anlauf nehme ich die richtige Ausfahrt und wir erreichen das Hafengelände. Ich parke meinen roten GMC und laufe zum hohen Maschendrahtzaun, der das gesamte Gelände umgibt. Dann sehe ich LEMMY da stehen. Aufgeregt rufe ich Jutta zu: „Da ist er, ich sehe ihn!“

In dem kleinen Häuschen vor einer Schranke sagen wir unseren Namen und zeigen die Papiere vor. Wir sollen uns in einen Wagen setzen und dort warten. Kurze Zeit später werden wir durch die Schranke in das Hafengelände gefahren. Hier dürfen wir beide mit. In Hamburg durfte nur eine Person auf das Hafengelände. Ich bin ganz froh, dass Jutta dabei ist. Vor einem weiteren Gebäude werden erneut alle Papiere geprüft und ich bekomme meinen Autoschlüssel ausgehändigt, den ich zuletzt in Hamburg in Händen hielt. Jetzt kann ich LEMMY unter die Lupe nehmen. Er sieht gut aus. Es ist zwar alles gefroren und mir wird auch sofort eine Starthilfe angeboten. Doch LEMMY springt sofort an. Alle Fenster und Türen sind mit roten Aufklebern versiegelt. Wir checken alles und befinden alles für gut. Jetzt mache ich noch die Kennzeichen dran, die ich im Handgepäck mitgenommen hatte, damit sie kein Seemann als Souvenir behält.

Jutta schaut mich besorgt an, „Die Bordbatterie ist komplett runter, die Ladespannung ist bei 7 V!“ „FUCK!“, sage ich. Soweit war sie noch nie runter. Der schlimmste Tiefstand war 10,2 V in Split, als wir umdrehen mussten zu unserem Daniel Düsentrieb in Zadar. Wir hoffen, dass sie sich durchs Fahren erholt und keinen bleibenden Schaden genommen hat. Mehr können wir jetzt auch gar nicht machen. Wir sind mehr denn je auf die Bordbatterie angewiesen, denn wir haben uns gegen Stromkabel und Trafo entschieden. Wir werden 6 Monate nur mit Solarstrom reisen und durch das Laden der Batterie während der Fahrt.
Mit einem mulmigen Gefühl verlassen wir den inneren Hafenbereich und ich fahre LEMMY auf den Parkplatz zum GMC. So ein Mist, richtige Freude kommt jetzt noch gar nicht auf. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Aber was solls? Ändern können wir eh nichts.

Ich gebe Jutta meinen Autoschlüssel und fahre sehr langsam mit dem GMC vorweg. Sie folgt mir mit LEMMY. Als wir unser Hotel sehen, fahre ich den Leihwagen direkt in die Parkgarage auf P 2 unter dem Residence Inn by Marriott und Jutta parkt wie verabredet direkt vor dem Hotel. Dort ist ein kostenpflichtiger, geschotterter Parkplatz, wo LEMMY für unsere letzte Nacht im Appartement stehen wird.
Ich fahre mit dem Aufzug vom Parkdeck in die Lobby und gehe rüber zu Jutta auf den Parkplatz. Die Bordbatterie wurde etwas aufgeladen durch die Fahrt, doch die Frage ist, ob sie die Spannung hält bei der Kälte und ob ein bleibender Schaden entstanden ist oder nicht. Das werden wir morgen rausfinden, wenn wir uns auf den Weg machen in die USA. Ein weiterer Wintersturm wurde angekündigt für Nova Scotia und große Teile der Ostküste und wenn möglich, werden wir dem morgen einfach wegfahren. Jetzt geht es für eine letzte Nacht in unser liebgewonnenes Appartement und wir packen schon mal unser Gepäck zusammen. Mein Trolley hat die Reise nicht gut überstanden und der Reißverschluss lässt sich nicht mehr richtig schließen. Deshalb entschließe ich mich dazu, ihn gar nicht erst als Ballast mitzunehmen. Ich werde morgen früh beim auschecken fragen, ob ich ihn dalassen kann. Mein lieber Kollege Frank aus der Dekoabteilung hatte mir den Trolley sogar schon einmal repariert und er hat mir seitdem noch einige Jahre gute Dienste geleistet.
Das Packen haben wir erledigt und nun genehmigen wir uns noch ein Feierabendbier und überlegen wie weit wir morgen fahren wollen und ob wir dem Sturm überhaupt entkommen können. Portland ist Thema und Bangor/Maine ebenfalls. Wir werden sehen. Es hängt am Wetter und wann wir loskommen und so weiter…
Jutta geht ins Bett und ich hole mir noch ein Pabst Blue Ribbon aus dem Kühlschrank. Ich brauche noch etwas Zeit, um aus dem Fenster zu sehen, Musik zu hören und mich still zu verabschieden, aus dem Residence Inn by Marriott. Und von Halifax, einer weiteren Metropole an die ich mich sehr gerne erinnern will und die ich in etwas weniger als 6 Monaten wieder besuchen werde. Nach einem weiteren Pabst Blue Ribbon und einem Molson Canadian und Chet Baker aus der TV Musikbox logge ich mich noch aus Netflix aus, damit niemand hier meinen Account nutzen kann und mache mich bettfertig. Mit gemischten Gefühlen gehe ich schlafen.
Werden wir dem Wintersturm entkommen? Hat die Bordbatterie Schaden genommen? Werden wir ohne Probleme in die USA einreisen können? Wir müssen morgen einige Male laufen um alles Gepäck in LEMMY umzupacken. Dann müssen wir noch tanken. Erst den GMC, den wir auch danach abgeben müssen und anschließend LEMMY, der nur noch etwa 35 Liter Diesel im Tank hat.

Mit diesen Gedanken gehe ich ins Bett und schlafe gut, dank der drei ???.
Es gibt wieder nur ein kurzes und schnelles Frühstück. Die große Dusche mit unbegrenzt heißem Wasser wird ein letztes Mal ausgiebig genutzt und danach wird alles ins Auto verladen. Wie sich rausstellt war meine Strategie die Bessere. Ich hatte im Waterhole (zwei Tage bevor LEMMY in den Hafen von Hamburg gebracht wurde) angefangen zu packen. So wusste ich genau, was im Auto ist und was ich in meinem Trolley habe. Jutta hatte schon zwei Wochen vorher angefangen Sachen im Auto zu verstauen. Immer mal wieder hatte sie was dazu getan. Irgendwann wusste sie gar nicht mehr so genau was sie schon verladen hatte. LEMMY war in Waltershof im Hafen und dann ging es ja noch ans Packen für den Flug. Da hat sie dann auch noch Einiges mitgenommen, um für alles gerüstet zu sein. Ich habe alles am 08.01.22 gepackt, alles was ins Auto soll und den Rest für den Flug, was ich für die erste Zeit in Halifax brauche. Ich wusste genau was ich habe und wo ich es habe. Jutta hatte etwas den Überblick verloren, wie mir schien. Und jetzt, wo sie feststellt, was sie alles schon im Auto hat und nun noch dazu unterbringen muss, da dämmert es ihr. Sie hat viel zu viel mit. Besonders warme Wintersachen hat sie ohne Ende dabei. Ich predige ihr immer schon, dass das Zwiebelprinzip das beste System ist. Ich komme mit wenigen Sachen bei eiskalten Temperaturen klar. Ich fühle mich bestätigt in meiner Philosophie, sie wird dagegen argumentieren. Aber egal, ich kenne das.

Nach dem Frühstück tanken wir den GMC voll, an der Tankstelle beim Atlantic Super Store und bringen ihn zurück zu Avis in die Garage.
Danach checken wir aus und ich frage, ob ich meinen defekten Trolley in der Lobby stehen lassen kann und ob wir wieder so einen tollen Deal bekommen, wenn wir im Juli zurück kehren nach Halifax. Kein Problem mit dem Trolley, den kann ich da lassen und sie werden uns wieder eine guten Deal anbieten. Aber weil im Juli Highseason ist, wird es etwas mehr kosten. Wir bedanken uns für die tolle Zeit, die wir dort hatten und für alle Annehmlichkeiten, die sie uns geboten haben und verabschieden uns nur vorübergehend.
Jetzt wird LEMMY voll getankt und es geht weiter in ein neues Reiseabenteuer. Jetzt endlich mit dem eigenen Overlandtruck in Nordamerika.
…und was als nächstes geschieht…
CHAPTER II – LEMMY GOES NEW YORK CITY
…und wie ich auf den Spuren von Robert de Niro wandle und warum ich 139 $ für einen Parkplatz in New York bezahle…