Chapter 16 – Lemmy Goes NEW YORK CITY

…und wie ich auf den Spuren von Robert de Niro wandle und warum ich 139 $ für einen Parkplatz in New York bezahle…

Bevor es nun endlich losgeht checkt Jutta die Bordbatterie, total down auf 7 Ampere, unverändert.

Wir hoffen allerdings, dass es sich heute verbessert, weil wir einen langen Fahrtag haben. Gestern sind wir ja nicht besonders weit gefahren. Zur Sicherheit kaufe ich noch im NSLC zwei Kartons mit Bier. Einen mit Pabst Blue Ribbon und den anderen mit Molson Canadian. Das Molson werde ich in den USA nicht mehr bekommen, sondern erst wieder wenn wir in British Columbia eingereist sind in etwa drei Monaten. Eine große Flasche Wein packen wir auch noch drauf. So kann ich mich heute Abend wenigstens betrinken (so wie in Split) wenn das Batterieproblem bestehen bleibt.

Jetzt müssen wir zu der Adresse fahren, die wir von Seabridge bekommen haben, um unsere beiden Gasflaschen befüllen zu lassen. Das klappt auf jeden Fall hervorragend, als ich endlich den Adapter wieder gefunden habe. Ein Problem weniger.

Ein großer Einkauf steht an und Frischwasser müssen wir noch irgendwo bekommen. Den Einkauf erledigen wir bei Walmart, obwohl mir Safeway, Albertsons und andere Supermärkte lieber sind als dieser Einkaufsgigant. Ich mag das Ambiente dort nicht so gerne, obwohl die Preise schon besser sind. Jutta würde am liebsten nur bei Whole Foods Market einkaufen. Der Laden ist wirklich super, fast das gesamte Sortiment ist Organic, aber deswegen ist auch alles ziemlich teuer.

Der Einkaufswagen ist voll, nur noch zahlen und alles ins Auto verladen.

Frischwasser bekommen wir an einer Shell Tankstelle. Ich darf meinen Schlauch an den Außenwasserhahn anschließen und mir die benötigten 100 Liter in meinen leeren Tank füllen, kostenlos. Wieder zwei Sachen erledigt, den Einkauf und Wasser zum Kochen, Duschen und Händewaschen ist an Bord.

Bleibt nur noch das letzte Problem, die Bordbatterie. Aber jetzt wollen wir erst mal fahren und Nova Scotia verlassen, wollen versuchen dem vorhergesagten Wintersturm zu entkommen. Doch das wird nicht klappen.

Als grobes Ziel und als Richtung haben wir Portland in Maine ins Navi eingegeben, obwohl natürlich klar ist, dass wir das nicht in einem Rutsch erreichen werden. Mal sehen wie wir voran kommen und wie sich das Wetter entwickelt. Zunächst läuft alles prima, der Dieseltank ist voll und damit haben wir eine Reichweite von ca. 1000 Kilometern. Wir sind versorgt mit Wasser und Gas zum Kochen, mit Lebensmitteln und Getränken, was ein sehr gutes Gefühl ist. Die ersten Stunden fahren wir einfach und sind ganz zufrieden mit allem, bis auf die Ungewissheit mit der Batterie.

Tolles Chili, aber leider nix wirklich lecker Vegetarisches…

Bei Tim Hortons machen wir eine Lunchpause, weil wir erstens Hunger haben und es dort ein ausgezeichnetes Chili gibt und erstklassige Donuts und weil wir zweitens nach der Bordbatterie schauen wollen. Sie hat sich voll aufgeladen durch die Fahrt bis hierher, aber wird sie die Spannung auch halten? Unsere Spannung hält sich auf jeden Fall noch bis wir es endlich genau wissen. Das wird aber erst morgen früh sein, wenn wir die Nacht hinter uns haben. Jetzt erstmal Chili und Kaffee, dann fahren wir weiter.

Die Straßen sind geräumt und es geht zügig voran, doch der Wintersturm holt uns ein. Es fängt an zu schneien und die Straße wird immer weißer. Der Wind schaukelt LEMMY hin und her, aber mir macht es Spaß bei Schnee zu fahren und der Wind stört mich auch nicht weiter. Dann eben alles etwas langsamer und ich denke der Batterie wird es gut tun. Es sind sehr wenige Autos auf der Straße, wahrscheinlich bleibt jeder zuhause, der nicht unbedingt raus muss. Umso angenehmer ist es für mich zu fahren. Hauptsächlich sind Räumfahrzeuge unterwegs. Zum Teil sind es große Pickup Trucks, manchmal aber auch LKWs, die beim Räumen der Straße gleichzeitig Salz streuen. Ich freue mich, wenn ich vor den Räumfahrzeugen bin und auf einer jungfräulich, verschneiten Straße mit Neuschnee als erstes Auto fahre.

Jutta recherchiert mittlerweile schon nach einem Übernachtungsplatz. Das macht sie hier mit der „iOverlander“ App und diese wird sich für Amerika als ganz fantastisch herausstellen. Man kann die Plätze auch offline recherchieren. Nur für die Fotos und eine genaue Routenplanung braucht man Internet.

„Wie lange willst du denn noch fahren?“, kommt als routinierte Frage von der Navigatorin.

Ich gucke aufs Tacho und stelle fest, dass wir bereits über 300 Kilometer zurückgelegt haben.

„Vielleicht noch so eine Stunde oder so?“, frage ich zurück, um festzustellen, ob sie damit denn auch einverstanden ist. „Dann kommen wir immer noch bei Tageslicht an.“, schiebe ich noch hinterher, damit sie bloß kein Veto einlegt.

Direkt am Saint Johns River

„Ja gut, dann habe ich schon einen Platz, das kommt ungefähr hin mit der Zeit. In Saint John, da habe ich einen Stellplatz gefunden, wo wir frei stehen können. Der ist nett am Fluss gelegen, gegenüber einer Papierfabrik und Overnight Parking ist nicht verboten!“

„Das klingt doch super!“, sage ich.

Wir erreichen diesen total verschneiten, gut gelegenen Parkplatz und haben eine super Sicht auf den Saint John River und die aus allen Schornsteinen dampfende Papierfabrik. Ich schieße noch ein paar Fotos und früh geht es zu Bett, nach einem ausgefüllten Tag.

Bei Tageslicht nicht mehr ganz so romantisch…

Morgens als ich aufwache, höre ich Jutta bereits rumoren. „Was sagt die Batterie?“, ist meine erste Frage. „Sie steht, Gott sei Dank, auf 13,2 Ampere.“, sagt sie und überglücklich starten wir in diesen wunderschönen, weißen Wintermorgen. Die Batterie hat die Spannung gehalten.

Nach je zwei Bechern Kaffee und einem Müsli geht es schnell weiter Richtung Portland, Maine. Wie weit wir heute kommen wissen wir wieder nicht. Was wir aber wissen ist, dass wir die Grenze von Kanada in die USA überqueren wollen. Und zwar von St. Stephen nach Calais.

Das der Grauwassertank eingefroren ist und dass das Wasser nur sehr langsam aus den Waschbecken in Küche und Bad abläuft, stört uns wenig. Wird schon wieder auftauen, wenn die Sonne raus kommt.

Wir verlassen Saint John, der Schnee wird uns weiter begleiten. Nova Scotia liegt hinter uns und wir fahren durch New Brunswick. Der Sturm hat nachgelassen, doch der Schnee fällt weiter in dicken Flocken vom Himmel. Auch heute ist kaum ein Auto unterwegs. Nach knapp anderthalb Stunden kommen wir am Grenzübergang an. Etwas aufgeregt sind wir schon. Wird alles klappen? Kommen wir mit dem eigenen Fahrzeug rein in die USA? Erfüllen wir alle Auflagen und geben wir die richtigen Antworten, wenn wir befragt werden?

Dichtes Schneetreiben nimmt mir etwas die Sicht, drum nähere ich mich sehr langsam und sehr vorschriftsmäßig dem Grenzübergang. Es ist kein einziges Fahrzeug vor uns. Kann das denn möglich sein? Will niemand sonst außer uns in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Heute offensichtlich nicht.

Telefon??? auf der Brooklyn Bridge

Kurz bevor wir an der Grenze in St. Stephen angekommen sind, habe ich mit Jutta noch über den letzten und den vorletzten Grenzübertritt in die USA gesprochen. Beim letzten Mal wollten wir mit einem Leihwagen in Buffalo von Kanada in die Vereinigten Staaten einreisen. Ich hatte Jutta zum Geburtstag eine Blue Man Group Show in Boston geschenkt. Das war eine Überraschung und sie wusste nichts davon, bis zu dem Tag, an dem die Show stattfand. Danach sollte es dann weiter gehen nach New York. Jedenfalls kamen wir an die Grenze und als wir an der Reihe waren, da wurden uns die Pässe abgenommen. Wir wurden aufgefordert zu einem Office an der Seite zu fahren, dort zu parken, reinzugehen und zu warten, bis wir aufgerufen werden. Warum, erfuhren wir noch nicht und die Pässe wurden einbehalten.

Wir warteten mit einigen anderen Personen in einer Art Wartezimmer wie beim Arzt und nach 30 endlosen Minuten wurde unser Name aufgerufen. Von hier ging es weiter in einen anderen Raum, der so eine Art Interviewzimmer war. Verschiedene Beamte saßen hinter Glas und verschiedene Einreisewillige wurden befragt. So auch wir. Die entscheidende Frage, die es zu klären galt, war wohl die, warum wir denn zuvor in Vietnam waren. Unsere Pässe enthielten jeweils ein Vietnam Visum.

„Na, weil wir dort Urlaub gemacht haben.“, war unsere klare Antwort.

Mit etwas Unverständnis wegen unseres gewählten Reiseziels wurden weiter eigenartige Fragen gestellt, doch dann bekamen wir die Pässe zurück und durften einreisen.

Graffitikunst High Line NYC

Das andere Mal, als wir Jahre zuvor, ich glaube es war 2003, in die USA einreisen wollten, da war es an der Westküste. Es ging von British Columbia nach Washington. Wieder waren wir mit einem Mietwagen unterwegs und hatten keine US Doller dabei. Der Grenzbeamte war äußerst freundlich und zuvorkommend. Allerdings sollten wir eine Einreisegebühr von 5 Doller/Person zahlen und das ging nur mit Bargeld. Kreditkarten wurden nicht akzeptiert. Wir hatten leider nur kanadische Dollar, aber keine US-Dollar dabei und wechseln konnten sie nicht.

So bot mir der Grenzer an, eben kurz rüber zu fahren in die USA an die nahegelegene Tankstelle und dort meine Kanadadollar gegen US-Dollar zu tauschen. „Die machen das da.“, sagte er. „Dann kommst du wieder her und ihr könnt einreisen.“ Genauso haben wir die Einreise an der Westküste erlebt.

Jetzt sind wir wieder an der Ostküste und ich sage zu Jutta: „Wir haben keine US-Dollar in bar dabei, nur Kanadadollar!“ „Na diesmal wird es doch wohl mit der Kreditkarte gehen.“, sagte sie aufmunternd.

Im dichten Schneetreiben sehe ich nur ein grünes Licht über einer Line ohne Autos vor mir. Sehr langsam nähere ich mich und erkenne verschwommen die Umrisse einer Person, die auf mich zukommt. Ich lasse das Fenster runter und wir werden gebeten zu dem Office vorne rechts zu fahren, zu parken und die Formalitäten drinnen zu erledigen. Das kommt mir irgendwie bekannt vor.

Wir tun wie uns geheißen, parken LEMMY unter einem Dach und betreten das Office. Außer den bewaffneten Beamten, die heute wenig Arbeit zu verrichten haben, sind wir die einzige Kundschaft, die über die Grenze will. Eine Beamtin nimmt sich unserer Einreise an und wir bekommen einen Fragebogen zum Ausfüllen. Während wir uns den Fragebogen vornehmen, prüft sie unsere Reisepässe, Impfpässe, Fahrzeugpapiere und den ganzen Kram. Zwischendurch kommt sie immer mal wieder zu uns und stellt beiläufig Fragen zu unserem Gehalt, Beruf, wieviel Bargeld wir dabei haben, was unsere Reisepläne sind, warum wir mit dem eigenen Fahrzeug kommen, ob wir schon einmal im Land waren usw.

Wir beantworten bereitwillig und nach bestem Wissen alle Fragen und stellen unsererseits mal eine Frage, wenn wir etwas auf dem auszufüllenden Papier nicht sicher beantworten können.

Wir finden es sehr angenehm, wie beiläufig sie die Befragung macht, während wir mit dem Fragebogen beschäftigt sind. So haben wir eher das Gefühl einer interessierten Unterhaltung als das eines Verhöres. Ob wir auch Lebensmittel mit dabei haben will sie wissen. Wir bestätigen, aber alles ist in Kanada eingekauft worden, nichts haben wir aus Deutschland mitgebracht.

Sie stolpert etwas über meine Antwort auf die Frage, wann wir das letzte Mal in den USA waren. Ich gebe an, es war wohl 2006 als wir durch Kalifornien gereist sind. Ob es auch sein kann, dass wir 2011 da waren, fragt sie mich. „Ja kann schon sein.“, sage ich zu ihr, „wir reisen sehr viel und waren bereits in 61 Ländern auf allen Kontinenten, außer der Antarktis.“

Damit gibt sie sich zufrieden.

Times Square im Regen

Ich frage sie, ob sie uns nicht statt der 90 Tage auch 180 Tage in den USA ermöglichen kann, denn wir wollen so gerne noch nach Alaska, nachdem die 90 Tage bereits abgelaufen sind. Jutta hatte zuvor recherchiert, dass die Beamten den Spielraum haben um so etwas zuzulassen. Kann sie nicht, sagt sie, aber wir können es trotzdem versuchen. Das entscheiden dann allerdings die Beamten an der Grenze in den größten Bundesstaat der USA.

Sie gibt uns alle unsere Papiere und Pässe zurück und sagt wir müssen noch eine Einreisegebühr vom 5 Dollar pro Person bezahlen. Ich sage, dass wir nur Kanada Dollar haben und frage, ob es möglich ist mit Kreditkarte zu bezahlen. „Im Prinzip ja, nur spinnt gerade das Kartenlesegerät und der Computer, aber ich will es mal versuchen.“, sagt sie.

Es vergehen 20-30 Minuten und sie probiert es ein ums andere Mal. Dann holt sie einen Kollegen und der versucht es auch und wir beobachten wie unsere beiden Karten abwechselnd in das Lesegerät geschoben werden und wieder ein Kopfschütteln. Sollte die Einreise scheitern, weil wir keine 10 US-Dollar in bar dabei haben? Warum zum Teufel nehmen sie nicht einfach die Dollar aus Kanada, meinetwegen zu einem Wucherkurs und tauschen sie selber in der Bank am nächsten Arbeitstag?

Nach einer halben Stunde mit zeitraubendem Neustart des Computers, klappt es dann doch noch und eine unserer Kreditkarten wird vom Lesegerät akzeptiert.

Als Letztes möchte sie einen Blick in unseren Camper werfen und findet ihn umwerfend und cool. Einreise in die USA zum Dritten. Check!

Jetzt sind wir mit unserem eigenen Auto unterwegs nach New York City. LEMMY ist eingereist über Land, in die Vereinigten Staaten. Unser Etappenziel Portland können wir allerdings wieder knicken. Das wären noch fünf Stunden zu fahren von hier aus. Ich schlage Bangor vor. Bis dahin sind es auch noch drei Stunden, doch irgendwie reizt mich diese Stadt in Maine.

The Wörld Is Yours!

Ich liebe die Romane von Stephen King und habe Etliche verschlungen. Besonders „ES“ hatte es mir in meiner Jugendzeit angetan und ich habe diesen Wälzer bestimmt schon drei Mal durch. Aber auch mindestens ein Dutzend Weitere seiner Romane habe ich in Rekordzeit weg gelesen. Einiges in seinen Romanen spielt sich in seiner Heimat ab, in Maine. Und vermutlich hat Bangor und Maine zu vielen seiner Geschichten inspirierend beigetragen. Da will ich gerne heute noch hin.

Vorausschauend hatte ich auch schon mal im Tim Hortons (mit freiem WLAN) auf die Google Map geschaut, was es da so gibt. Da habe ich eine Bar gefunden in der Innenstadt und eine Brauerei etwas weiter am Rande, Bangor Beer. Jutta erklärt sich einverstanden, da es ihr auch viel zu weit ist bis Portland und sie ja bekanntermaßen sowieso nicht auf große Städte steht. Also nochmal konzentrieren und drei Stunden durch wildes Schneetreiben fahren, nach DERRY, so zumindest stelle ich mir Bangor erstmal vor. Für diejenigen, die mit Stephen King nicht soviel anfangen können: DERRY ist die Stadt, in der der Roman „ES“ hauptsächlich spielt.

Nach mehr als 270 Kilometern und über drei Stunden Fahrt erreichen wir DERRY, ach nee Bangor.

An der Bar in Downtown, die meine erste Wahl ist, gibt es keine Parkplätze. Nach längerem Suchen stellen wir fest, dass es nicht einfach ist im Zentrum von Bangor einen legalen Overnight Parkplatz zu finden. Es ist schon lange dunkel, da beschließen wir an den Stadtrand zu Bangor Beer zu fahren. Dort fragen wir nach, ob wir über Nacht da parken dürfen. Der Barkeeper muss im Thairestaurant nebenan fragen, da der Parkplatz wohl zum Restaurant gehört.

Bis auf die Schneepflüge, die zwischen 3 AM und 5 AM die Parkplätze räumen,
war es eine ruhige Nacht.

Wir dürfen und genießen unsere ersten Biere in den Staaten in einer Bar in Bangor. Ich bestelle zum Beer die Singapore Noodles und die Portion ist dermaßen groß, dass ich mir über die Hälfte in ein Doggybag einpacke zum Mitnehmen. Seit Corona bekommt man das Doggybag an den Tisch gebracht und kümmert sich selber um das Einpacken der Speisen, die man nicht mehr verzehren konnte, weil die Portion einfach viel zu groß war. Nach einem köstlichen Essen, neuen Eindrücken einer fremden Stadt, von der wir im Dunkeln doch so Einiges aufgenommen haben und ein paar lokalen Bieren gehen wir entspannt aber müde zu Bett.

Portland/Maine ist verschwunden von unserer Liste. Jetzt sind wir schon zu nahe an New York und meine Begierde ist zu groß. Ich will diese wahnsinnige Metropole heute noch erreichen. Ich kann jetzt nicht nur zwei Stunden fahren und dann wieder irgendwo in Portland einen Stellplatz suchen, wo sich eine der großartigsten Städte der Welt in greifbarer Nähe befindet.

Aber vorher müssen wir uns um das Internet kümmern. Jutta wusste schon im Waterhole, dass es schwierig ist, in Nordamerika kompatible Simkarten für deutsche Geräte zu bekommen. Schwierig und kostspielig. In Halifax haben wir es nicht wirklich ernsthaft versucht, da es im Hotel, in fast jedem Geschäft und jeder Bar kostenloses WLAN gab. Aber jetzt, wo wir wieder mit LEMMY unterwegs sind, brauchen wir Internet. Jutta versucht es in einem T-Mobile Laden und einer entsprechenden Abteilung in einem Walmart. Beides verläuft unbefriedigend, doch bekommt sie im T-Mobile Laden die Empfehlung, es mal bei „BEST BUY“ zu probieren.

Wir fahren los und es schneit nicht mehr, aber es ist immer noch bitterkalt. Zum Glück ist zwischendurch der Grauwassertank aufgetaut und das Wasser in den Waschbecken läuft wieder gut ab. Naja, lief gut ab. Heute morgen ist es wieder gefroren. Kein Wunder, wir haben wieder mal weit unter 10 Grad minus. Aber wir wissen jetzt, wenn tagsüber die Sonne scheint und der Motor warm wird und die Heizung in der Kabine an ist, dann regelt sich das Problem von selbst.

Ich verlasse den Parkplatz von Bangor Beer und steuere New York City entgegen, da muss ich an einer roten Ampel stehen bleiben. Ich will links abbiegen und sehe dort Jemanden stehen mit einem Pappschild in den Händen. Er hat einen Kapuzenpulli an, eine Jeans und ich hoffe auch noch einiges darunter. Er steht auf einer kleinen Verkehrsinsel und auf seinem Pappschild steht: „HOMELESS, everything helps!“ Er hat nicht mal Handschuhe an. Meine Handschuhe liegen auf der Konsole unter der Frontscheibe, weil ich sie häufig brauche und da immer griffbereit habe. Die Ampel springt auf grün und hinter mir stehen andere Autos, die über die Kreuzung fahren wollen. Wir haben auch noch immer keine US-Dollar, denn ich habe darüber nachgedacht ihm Geld in die Hand zu drücken. Allerdings dachte ich, wie blöd das wäre ihm kanadisches Geld in die Hand zu geben, wenn er damit vielleicht gar nichts anzufangen weiß. Im Grunde ist die Zeit zum Denken einfach viel zu schnell vergangen und schon wird die Ampel grün und ich muss los fahren.

Aber aus irgendeinem Grund biege ich falsch ab, obwohl das Navi auf NY eingestellt ist. Jetzt stehe ich wieder an einer roten Ampel, an einem anderen Block. Jutta sagt: „Willst du ihm nicht deine Handschuhe geben?“ Ich antworte: „Ja will ich, das habe ich auch gerade gedacht als grün wurde und ich weiter fahren musste“

Ich fahre einen Block zurück und erreiche dieselbe Kreuzung. Er steht noch unverändert dort mit seinem Pappschild in den Händen. Ich fahre einmal um die Verkehrsinsel herum und reiche ihm meine Handschuhe durch das geöffnete Fenster, während ich langsam bei grün die Kreuzung passiere. Er nimmt sie dankend an und im Rückspiegel sehe ich, wie er sie sofort über die kalten Hände streift.

Ich fühle mich um fast 30 Jahre zurückversetzt, als es mit unseren Fernreisen begonnen hat. Wir waren in Singapore an der Clarke Quay und bummelten an der Waterfront entlang. Ich war noch unerfahren was ferne Länder und weite Reisen anging. Jemand sprach mich an, er war gut gekleidet mit einem blütenweißen Hemd und einer schwarzen Tuchhose. Er sagte: „Can you offer me some food?“

Ich war maßlos überfordert mit der Situation und sagte: „No, sorry!“ und ging einfach weiter.

Auf dem Weg zur High Line

Fast 30 Jahre lang habe ich mein dummes Verhalten von damals bereut und festgestellt, dass man solche verpassten Gelegenheiten niemals wieder zurück holen kann. Ich hätte ihm selbstverständlich etwas zu Essen ermöglichen können, habe es aber nicht getan. Ich habe mir danach vorgenommen, dass mir so etwas niemals wieder passiert.

Ich bin auch der Überzeugung, dass man die Dinge, die man nicht getan hat viel mehr bereut, als Dinge, die man gemacht hat und die vielleicht falsch waren. Fehler machen wir alle und das ist auch gut so, denn daraus lernen wir. Aber die Sachen, die wir machen wollten und nicht getan haben, die sind vergangen und vermutlich nie wieder gut zu machen und auch nicht nachzuholen.

Bei Boston sehen wir ein Hinweisschild zu einem BEST BUY Laden und nehmen einen kleinen Umweg in Kauf. Unseren eigenen Router können wir hier nicht nutzen, also kaufen wir für etwa 60 Dollar einen Neuen, der soll auch für Kanada funktionieren. Dazu eine entsprechende Simkarte und damit sollten wir wieder verbunden sein mit der intermedialen Welt. Weiter geht es nach NYC.

Unterwegs richtet Jutta alles ein und es funktioniert. Jetzt kann sie auch wieder online recherchieren. Es wird nicht lange dauern, bis wir diese neue Verbundenheit mit dem Internet „on the road“ brauchen werden. Wir kommen Manhattan immer näher und es gibt eine alternative Route. Jutta wägt ab, welche von Beiden die Bessere ist. Wir reden kurz darüber und ich weiß es auch nicht, so überlasse ich ihr die Wahl. Es war die falsche Wahl, denn auf dieser Route werden wir bald vor niedrigen Brücken gewarnt. Sie sind zum Teil unter 10 Fuß hoch. Aber was zum Teufel sind denn bloß 10 Fuß in Metern? Ich drehe um und sage, dass ich unter keiner Brücke durchfahre, solange ich nicht weiß wie hoch exakt 10 Fuß sind. Jutta findet raus, dass 10 Fuß etwas über drei Metern entsprechen und damit ist klar, dass wir alles fahren können was 10 Fuß und aufwärts ist.

Und mit dieser Gewissheit nähern wir uns Manhattan und dem FDR (Franklin D. Roosevelt Drive)

Aus dem Fernsehen und vom Lesen weiß ich, das Wohnmobile in Manhattan verboten sind, aber ich fahre einen Ford Ranger mit einer Kabine hinten drauf, also mit einer Ladung. Das ist ja wohl was anderes.

Durch eigene Schusseligkeit haben wir viel Frischwasser verloren, denn das Frostwächterventil, eine Schutzeinrichtung der Dieselheizung, hatte natürlich bei der Kälte in Halifax ausgelöst und dann läuft das Wasser des Boilers raus. Das sind eigentlich nur ca. 10 Liter. Doch bis wir darauf kommen, dass das Ventil offen ist und wir es erst wieder schließen müssen, um den Boiler zu füllen, läuft alles ab, was wir über die Wasserhähne reinpumpen. Jutta kommt zum Glück irgendwann drauf. Aber jetzt sind nur noch 20 Liter übrig in unserem Frischwassertank.

Was machst du denn hier beim Visitorcenter?

Also klappern wir wieder alle Tankstellen ab, aber leider sind aufgrund der eisigen Temperaturen die Außenwasserhähne abgedreht. Nach der vierten Tankstelle geben wir auf. Wir halten an einem Visitorcenter. Die werden ja wohl wissen, wo wir trinkbares Wasser bekommen. Ich parke neben einer riesigen, weißen Stretchlimousine und wir gehen rein um zu fragen. Die nette Dame weiß es nicht. Sie ruft einen Mitarbeiter von hinten. Er nimmt mich mit in einen kleinen Nebenraum, so eine Art Hauswirtschaftsraum und zeigt mir dort ein tiefes Waschbecken mit einem hohen Wasserhahn. Ob das mir helfen würde, fragt er und ich sage, dass es mir unbedingt weiter hilft. Denn mein 10 Liter Kanister sollte gut drunter passen. Jetzt muss ich zwar acht Mal hinundherlaufen zwischen Auto und Wasserhahn. Aber bei jedem Auffüllen des Kanisters plaudern wir ein wenig über unsere Reise, was schon hinter uns liegt, aber auch wo es noch hin gehen soll. Nach dieser sportlichen Betätigung bedanken wir uns ganz herzlich und setzen unsere Reise fort.

20 Gallons of water please!

Ich bin früher im Traum schon öfter mal nach New York City gereist und zwar im eigenen Wagen. Da konnte ich dann in Hamburg eine Abfahrt nach NEW YORK nehmen, die mich auf eine Atlantikbrücke geleitet hat. Nachdem ich in Island aufgetankt habe, konnte ich weiter fahren bis irgendwann eine langgezogene Rechtskurve kam und ich in der Ausfahrt DOWNTOWN MANHATTAN abgefahren bin. Schon in der Kurve sah ich die Skyline von New York City, doch leider endete der Traum immer nach der Ausfahrt oder aber ich habe keine Erinnerung mehr wie es danach weiter ging.

Aber das jetzt ist kein Traum, wir fahren tatsächlich mit dem eigenen Fahrzeug nach New York City. Zwar nicht über eine geträumte Atlantikbrücke, aber „Seabridge“ ist ja auch irgendwie eine Brücke, eine Seebrücke mit Containerschiff.

Es wird aufregend. Wir sehen immer mehr Hinweise für Trucks, die diverse Einschränkungen in Kauf nehmen müssen. Sei es wegen der Höhe und irgendwelcher Tunnel oder wegen des Gewichts auf den Brücken. Wir sind schon fast auf dem Franklin D. Roosevelt Drive. Ich versuche Jutta etwas die Nervosität zu nehmen und versichere ihr, dass das alles für uns nicht gilt. Damit sind nur die großen Lkws gemeint. Und wir mit unseren 3,5 Tonnen und 3 Metern Höhe werden überall durchkommen. Sie bleibt allerdings skeptisch und die Anspannung ist ihr deutlich anzumerken.

Als wir den FDR Drive dann erreichen und die ersten Tunnel durchfahren ist keiner niedriger als 10 Fuß.

Wir sind in Manhattan angekommen und Manhattan ist riesig. Da kommt schon die Williamsburg Bridge, dann die Manhattan Bridge und die Brooklyn Bridge. Es ist ein absoluter Wahnsinn für mich mit Jutta und LEMMY, unserem Overlander Camper jetzt hier durchzufahren. Ein lang ersehnter und oft geträumter Traum geht in Erfüllung. Mit dem Mietwagen hatten wir dieses Vergnügen bereits, aber das ist nicht annähernd dasselbe. Überglücklich biege ich vom FDR Drive rechts ab, um mitten durch Manhattan auf die Westside zu fahren, denn unser Parkplatz ist in Jersey City, genau gegenüber von Downtown Manhattan. Nur der Hudson River trennt beide Stadtteile voneinander.

We are in Neeeeew Yoooork!

Jutta drängelt mit Nachdruck, dass ich schnell irgendwo halten muss. Die Blase drückt, zum Einen wegen der längeren Fahrt und zum Andern auch wegen der Aufregung. Ich fahre kurz rechts ran in eine große Lücke und sehe zu spät, dass schon jemand mit eingelegtem Rückwärtsgang und gesetztem Blinker vorhatte in dieselbe Lücke zu fahren. Es ist mir ein wenig unangenehm, aber was soll ich machen, Jutta ist schon unterwegs nach hinten in die Kabine zur Toilette. Ich sehe nur wie die Blinker von dem PKW vor mir von rechts nach links wechseln, der Rückwärtsgang in den ersten Gang gelegt wird und ein wohlmöglich ärgerlicher New Yorker woanders sein Parkplatzglück suchen muss. „Uihh, das war aber mal dringend jetzt.“, sagt Jutta, als sie wieder zu mir nach vorne einsteigt und erleichtert und etwas entspannter die weitere Navigation vornehmen kann.

Wir wollen durch den Holland Tunnel fahren, weil es der kürzeste Weg ist, um unter dem Hudson hindurch auf die andere Seite nach Jersey City zu kommen. „Da fahren auch große LKWs durch, da werden wir keine Probleme haben.“, versichere ich Jutta. Die Alternative dazu wäre ein ziemlich großer Umweg über die George Washington Bridge.

Kurz bevor wir den Tunnel erreichen sieht Jutta ein Schild „NO RV´s!“ und auch andere Verbotsschilder, wie „NO PROPANE!“ und auch Gefahrguttransporter dürfen NICHT durch den Holland Tunnel fahren. RV bedeutet Recreational Vehicle, darunter fallen alle Wohnmobile, Campervans und natürlich große und kleine Expeditionsmobile. Also auch wir. Aber jetzt ist es bereits zu spät, ich steuere direkt auf den Tunnel zu und will auch nicht mehr anders fahren. Links an der Röhre, wo der Verkehr von Jersey rauskommt, steht ein Streifenwagen. Ob er sieht, wie ich gerade in den Tunnel fahre weiß ich nicht. Wir haben natürlich auch Propan an Bord, denn mit Gas kochen wir. Auf der anderen Seite kommen wir raus und kein Sheriff mit Blaulicht erwartet uns. Puh, Glück gehabt!

Tanken wollen wir unbedingt noch, bevor wir am Ziel ankommen. LEMMY wird dort für einige Tage stehen bleiben und die Heizung benötigt Diesel. Es soll uns nicht nochmal dasselbe passieren, wie vor zwei Jahren in Amsterdam, als die Heizung irgendwann in der Nacht ausging, weil der Tank auf Reserve war. Mit der Reserve haben wir am nächsten Morgen gerade noch die Tankstelle erreicht.

Sonnenuntergang auf dem „Liberty RV – Stellplatz NYC“

Der Camper wird voll getankt und wir zahlen in bar, denn unsere Kreditkarten werden nicht akzeptiert. Die beiden indischen Betreiber raten uns, unsere Bank zu kontaktieren. Sie sind sehr an unserem Fahrzeug interessiert und sie bieten vollen Service und tanken alle Autos selber voll. Sobald alle versorgt sind kommen sie wieder zu uns rüber, um mehr über unsere Reise zu erfahren. Bargeld haben wir mittlerweile ausreichend dabei.

Jetzt sind es nur noch ein paar Minuten bis zum Liberty Harbor RV Park. Ich halte am Stopzeichen und wir gehen ins Office zum Einchecken. Wir werden überaus herzlich empfangen von einer sehr fröhlichen Lady, die sich als Deborah vorstellt. Ich frage nach dem Preis pro Nacht und falle fast aus allen Wolken als sie ihn uns nennt. „139 $“, sagt sie.

Ich wiederhole ungläubig „What???? For a parkinglot??? 139 $???“

Sie bestätigt lachend, „Yes, Honey, 139 $. You are in New York now!“

Ich muss dazu sagen, es ist schon etwas mehr als ein reiner Parkplatz. Wir haben hier ein Waschhaus dabei mit Duschen und Toiletten. Dann gibt es einen Stromanschluss an jedem Platz, den wir allerdings nicht brauchen. Unser Grauwasser können wir an der Dumpstation ablassen und Frischwasser können wir nach Bedarf auffüllen. Das Wichtigste aber ist, wir stehen hier safe mit einer 24/7 Security und Videoüberwachung.

So ne und so ne Nachbarn auf dem RV Parkplatz….

Deborah ermahnt uns noch unbedingt am Tag der Abreise pünktlich auszuchecken. Sonst wird gnadenlos ein weiterer Tag berechnet. Und auf keinen Fall zu vergessen, sich in eine Liste an der Tür als ausgecheckt einzutragen, denn sonst wird ein halber Tag berechnet und von der gespeicherten Kreditkarte abgebucht. Hier funktioniert meine Kreditkarte ohne Probleme.

Deborahs freundliche Art und ihr vieles Lachen macht sie uns sofort sympathisch. Nach den Formalitäten nehmen wir es hin wie es ist und ärgern uns nicht weiter über den hohen Preis. Nützt ja nichts. Jutta erwähnt noch, dass wir durch den Holland Tunnel gekommen sind und fragt Deborah. ob das überhaupt erlaubt war?

„Oh my god, it`s not allowed!“, sagt sie lachend. Sie sagt uns auch, dass es 1000 Dollar Strafe kostet, wenn man erwischt wird. „Da habt ihr aber Glück gehabt.“, bemerkt sie noch in ihrer fröhlichen Art. 1949 ist ein LKW mit 55 Gallonen Kohlenstoffdisulfid im Tunnel in Brand geraten. Der Brand konnte erst nach mehreren Stunden gelöscht werden und 66 Menschen wurden verletzt.

„Ich denke oft, dass die Nacht lebendiger und intensiver gefärbt ist als der Tag. „(Vincent van Gogh)

Ich fahre LEMMY auf unseren großzügigen Stellplatz. In der Nähe stehen noch drei andere RVs, die eher die Größe eines Reisebusses haben und ich bin überglücklich angekommen zu sein, in dieser Metropole, die niemals schläft. Wir hingegen tun das schon, nur noch ein, zwei Bier zum Runterkommen.

Heute wollen wir es ruhig angehen lassen. Beim letzten New York Besuch waren wir nicht bei der Grand Central Station.Das will ich heute unbedingt nachholen. Deborah hat uns erklärt, wie wir am schnellsten rüber kommen nach Manhattan, nämlich mit der „PATH“. Eine Station ist nur wenige Minuten von unserem Parkplatz entfernt. Damit fahren wir einmal unter dem Hudson durch und steigen dann auf der anderen Seite aus, je nachdem wo es dann weiter gehen soll. Es gibt verschiedene Knotenpunkte und eine Menge verschiedene Linien. Wir zahlen hier etwas Lehrgeld, weil wir vorher nicht recherchiert haben, wie man es am besten macht mit den New Yorker U-Bahnen.

Wir kaufen uns in Manhattan jeweils für 20 Dollar eine Karte zum Abfahren, ohne zu wissen, das diese wohl für die gesamte Metro gilt, jedoch nicht für die PATH. Irgendwie dachten wir, dass wir damit schon eine Weile auskommen werden. Eine Wochenkarte hätte 36 Dollar pro Person gekostet. Na ja, die haben wir kurze Zeit später dann gekauft, weil die 20 Dollar mit einigen Fahrten hin und her (Ich sagte es bereits, Manhattan ist riesig!) aufgebraucht waren. Wenn man dann allerdings das New Yorker Metro System durchschaut hat, dann ist es ein perfektes Mittel diese einzigartige Stadt zu erkunden.

Seit wir Kanada verlassen haben, erleben wir zum ersten Mal Temperaturen über Null Grad. Warm angezogen sind wir trotzdem, um gut gerüstet zu sein für einen langen Tag in den faszinierenden Wolkenkratzerschluchten.

First time in NYC-Metro!

New York zieht mich sofort in seinen Bann, mit den ganzen schrillen Menschen, dem Verkehr, dem Lärm, dem Chaos, überall ist was los und hinter jeder Ecke gibt es was Neues zu entdecken. Auf der anderen Seite ist es auch erschütternd und erschreckend realisieren zu müssen, wie Viele hier in bitterer Armut leben. Einer läuft mit sich selbst redend in der Metro an uns vorbei. Er hat wenig Kleidung am Leib und Schuhe trägt er auch nicht, nur durchgescheuerte Socken. Es sind draußen 4 Grad über Null.

An der Brooklyn Bridge steigen wir kurz aus, um sie nur anzusehen. Wir sind bereits einmal drüber gelaufen und das werden wir auch wieder machen, aber nicht heute. Und wir werden, wenn wir die Ostküste weiter runterfahren, mit LEMMY diese Brücke überqueren. Aber jetzt geht es zum Grand Central. Diesen Bahnhof persönlich in Augenschein zu nehmen, nachdem ich ihn in unzähligen Filmen bereits gesehen habe, ist ein großer Moment für mich.

Grand Central

Ich liebe nicht nur Horrorfilme, sondern auch andere Genre haben es mir angetan. Besonders mag ich Filme von David Cronenberg, David Lynch, Quentin Tarantino, Abel Ferrara, Martin Scorcesi, Alfred Hitchcock, Oliver Stone und noch Viele mehr. Aber noch mehr liebe ich es, in Filmen Orte wiederzuerkennen, die ich bereits besucht habe.

Am Grand Central steigen wir aus der Metro und kommen in diese wunderbare Bahnhofshalle. Es ist ganz genauso wie ich es aus den Filmen kenne. Da drüben ist die Oyster Bar und dort die große Bahnhofsuhr. Wir schnuppern ein wenig rein und beobachten die Leute, wohin sie auch immer eilen mögen. So ein Bahnhof, in so einer Stadt wie New York, ist ein wenig wie ein Flughafen. Wie viele verschiedene Schicksale pendeln hier jeden Tag zur Arbeit und zurück? Wie viele Personen starten von hier eventuell in ein neues Leben und wie viele Menschen kämpfen hier Tag für Tag ums Überleben, um etwas zu essen? Tausende Begegnungen, stündlich. Nimmt uns irgend jemand wahr hier? New York ist unpersönlich. New York ist gnadenlos. Und New York ist ein Synonym für Erfolg. If I can make it there, I´ll make it anywhere. Sicher das ist eine abgedroschene Phrase, doch irgendwie glaube ich daran.

Vor der Grand Central Station

Wir lassen uns etwas treiben, auch draußen um Grand Central herum. Dann wollen wir noch zum Times Square. Uns ist schon am ersten Tag klar, dass alleine Manhattan eine Reise von vier Wochen oder mehr nicht gerecht werden würde. Zuviel gibt es zu sehen und zu erkunden. Aber wir lassen uns davon nicht entmutigen, schließlich sind wir gerade erst angekommen und haben noch etwas Zeit vor uns in dieser gewaltigen Millionenstadt.

Wir laufen bis zum Times Square und genießen jede Sekunde. Langsam realisieren wir wo wir uns befinden. Überall in diesen Häuserschluchten sehe ich großartige Ausblicke und immer wieder wird das Handy rausgekramt um zu fotografieren. Da das Empire State Building, dort dampft es aus dem Straßengully und dann wieder ein geiles Graffiti an der Wand.

Wir gehen noch ins Hard Rock Cafe am Times Square, um dort erfolglos im Merch Shop zu stöbern und stärken uns danach im Restaurant, nach einem entspanntem ersten New York Tag, mit der Nacho- Cheese-Platte mit Chicken, Sourcream & Guacomole, dazu zwei große Biere.

HCR in NYC

Ausgehen muss natürlich auch sein, wenn man schon mal in so einer Mega City unterwegs ist. Da habe ich im Internet einige vielversprechende Läden gefunden. Zwei aber haben mich besonders angesprochen. Das eine ist der Double Down Saloon, in Lower Manhattan/Eastside. Den werden wir gleich ansteuern. Das Andere ist der Lucky 13 Saloon, der ist allerdings drüben in Brooklyn, den machen wir ein andermal.

Wir merken schnell, dass echt viel Zeit in den Metros drauf geht. Es dauert immer eine ganze Weile um von A nach B zu kommen, besonders wenn man auch noch ein oder zweimal umsteigen muss. Aber es ist nie langweilig, immer gibt es interessante Leute zu beobachten, freakige Typen, Business People, Leute wie du und ich. Einige kommen abgekämpft von der Arbeit, haben noch den dreckigen Overall an, Andere sind hip und tragen ihre schicken Designeroutfits zur Schau. Und die verschiedenen Stationen haben auch alle ihren eigenen Reiz. Die U-Bahn ist alt, sehr alt. Das sieht und hört man. Es quietscht und knarzt sobald sich ein Zug nähert. Es ist dreckig, zum Teil düster. Manche Stationen sollte man abends besser nicht alleine betreten. Trotzdem haben sie unglaublich viel Charme und ich fotografiere viel und finde immer neue interessante Perspektiven. Ich liebe die New Yorker Metro einfach, ganz genauso wie sie ist.

Nach der Metrostation müssen wir noch etwas laufen und kommen an „Katz`s Spezialitäten Laden“ vorbei. Bald darauf entdecke ich auf der anderen Straßenseite den Double Down Saloon. Schnell rüber und nix wie rein. Es ist kalt draußen, wenn die Sonne mit dem Mond die Plätze getauscht hat. Der Türsteher hat kein Problem mit uns. Die Bar ist nicht besonders voll und ich fühle mich auf Anhieb sauwohl.

Sie ist sehr düster, die Musik ist laut und der Tresen ist lang. Überall kleben Plakate und die Wände sind bekritzelt. Eine typische Punk- und Metalkneipe halt. Hinten gibt es noch einen Billardtisch und kleine Separees mit ledernen Sofas. Ich bestelle mir Local Draft Beer und Jutta ein Wheat Beer. Wir trinken „On Tab“, das bedeutet das ich meine Kreditkarte der Barfrau aushändige und erst am Ende des Abends zahle und nicht jeden Drink einzeln. So mag ich es.

Wir suchen uns einen netten Platz an einem Tisch mittendrin und schauen uns um, begutachten die Bar, die anderen Gäste und lauschen der Musik. Ich vergleiche zwangsläufig mit anderen Bars, ich war schon in Einigen. Aber was ich hier sehe, habe ich noch in keiner anderen Bar zuvor gesehen. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich es gemerkt habe, Jutta war da viel schneller als ich.

Überall hängen Fernsehapparate. Über dem Tresen und an den Wänden, im ganzen Laden verteilt. Und was dort üblicherweise läuft sind entweder Musikvideos oder Filme. Manchmal gibt es Untertitel bei den Filmen, denn sie laufen immer ohne Ton, weil wir in einer Bar ja Rock `n` Roll hören wollen. Die Filme, die hier laufen brauchen keine Untertitel. Es sind Hardcore Pornos. Gebannt und amüsiert zugleich, weil ich so etwas hier nicht erwartet habe, schaue ich eine Weile zu, wie dort auf dem Monitor Dinge geschehen, die ich hier nicht näher beschreiben mag, denn das ist absolut nicht jugendfrei.

Double Down Saloon

Wir überlegen und besprechen noch, was wir uns für morgen in etwa vornehmen wollen und verlassen nach einigen Drinks den Double Down Saloon, der auf meiner Favoritenliste einen Ehrenplatz bekommt.

Zurück geht es wieder mit der Metro und anschließend mit der „PATH“ unter dem Hudson hindurch, bis wir dann in Jersey die letzten Meter nach Hause laufen.

Heute ist der 08. Februar 2022, ein sonniger Wintertag und wir haben 8 Grad über Null, was sich sehr angenehm anfühlt nach den arktischen Temperaturen, die wir in Kanada erlebt haben. Um Downtown mal von unserer Seite, von Jersey City zu sehen, wollen wir heute mit der Fähre über den Hudson fahren. Wir müssen nur ein paar Blocks laufen, um zum Fähranleger zu kommen. Auf dem Weg sehen wir einige Zelte, mitten auf den Bürgersteigen und manchmal auch nur Matratzen mit wenigen Habseligkeiten davor. Die Armut und die Not vieler Menschen ist groß. Es ist nur schwer zu ertragen, damit täglich neu konfrontiert zu werden, weil man selber so hilflos ist. Natürlich geben wir hier und da mal etwas, aber damit ist ja nur kurzfristig geholfen. Ohne Lösung gehen wir weiter zum Anleger.

Wir sind etwas zu früh dran und haben noch Zeit zu einem besseren Aussichtspunkt auf Downtown Manhattan zu spazieren. Der Anblick ist atemberaubend. Na ja, für mich jedenfalls. Jutta findet Skylines auch schön. Ihr reicht es aber, sie einfach nur still anzugucken. Ich bin immer wieder neu fasziniert und begeistert. Ich bewundere bei strahlend blauem Himmel das neue „One World Trade Center“. Mir gefällt die Architektur sehr und die Größe ist beeindruckend. Rechts daneben standen früher die Zwillingstürme des alten WTC. Wir alle wissen was damit am 11.09.2001 geschehen ist. Heute wollen wir uns das 9/11 Memorial ansehen.

Von hier aus sehen wir auch die Freiheitsstatue und das Einwanderungsmuseum auf Ellis Island. Wie sich die Einwanderer damals wohl gefühlt haben, als sie vom Schiff endlich Miss Liberty sahen und dann dem Grenzbeamten Rede und Antwort stehen mussten? Die Gesunden und offensichtlich Starken, mit entsprechender Gesinnung durften einreisen. Alte, schwache oder kränklich wirkende Personen, die vielleicht auch nicht immer die richtigen Antworten gegeben haben, wurden mit dem nächsten Schiff zurückgeschickt. Für diese Menschen wird die Einreise damals wohl um Einiges aufregender gewesen sein, als für uns heutzutage.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich das gelbe Fährschiff kommen sehe. „Jutta, wir müssen los zum Anleger, die Fähre kommt.“

Nun nähern wir uns diesem Wolkenkratzerdschungel von der Seeseite her und die riesigen Türme, aufgereiht wie ein futuristisches Schachspiel, kommen immer dichter ran. „Zieh dir das rein, ist das nicht der Wahnsinn?“, sage ich zu Jutta.

„Ja, sieht toll aus.“, sagt sie lächelnd, ohne meine eigene Begeisterung so wirklich zu teilen.

Wir bahnen uns den Weg durch dieses Häusermeer und finden das „One World Trade Center“. Natürlich soll es noch hoch auf das Aussichtsdeck gehen. Doch der Portier sagt, es sei für heute und morgen geschlossen. „Kommen sie doch übermorgen noch einmal wieder.“ Dann werden wir allerdings auf dem Weg sein die Stadt zu verlassen. Ist nicht schlimm, das spart uns viel Geld. Stattdessen geht es dann auf das „Empire State Building“. Da wollte ich sowieso noch einmal rauf nach dem letzten Besuch hier und wir müssen nur eine Aussichtsplattform bezahlen.

Das machen wir dann etwas später, bevor die Sonne untergeht.

Jetzt wollen wir uns das 9/11 Memorial ansehen und das ist sehr unauffällig und gigantisch zugleich. Unauffällig ist es, weil es sehr flach ist und man es glatt übersehen könnte, würde man nur daran vorbei gehen, ohne zu wissen, wo man sich befindet. Gigantisch ist es, weil es aus zwei Monumenten besteht, die der Grundfläche der beiden ehemaligen Zwillingstürme entsprechen.

9/11 Memorial

Bäume umringen diese Gedenkstätte, so dass wir das Gefühl haben in einer Parkanlage inmitten der Großstadt zu sein.

Es fällt mir gerade schwer zu beschreiben, was ich da sehe und wie es mir in dem Augenblick geht. Ich habe einen großen Kloß im Hals und bin ziemlich ergriffen von diesem überwältigendem und überaus angemessenem Meisterwerk der Architektur (Michael Arad). Ich setze mir schnell meine Sonnenbrille auf und ringe mit mir, um nicht die Fassung zu verlieren. Jutta und ich gehen bewusst ein wenig voneinander entfernt, immer in Sichtweite, aber trotzdem alleine. Ich wische mir unauffällig zwei, drei Tränen von der Wange.

Die Monumente sind im Grunde zwei quadratische, riesige Vertiefungen im Boden, umgeben von einer flachen Mauer. Die Mauer ist oben in Metall gefasst, in das die Namen aller 2977 Opfer ausgestanzt sind, um diesen Menschen für immer zu gedenken. In manchen Namen steckt eine weiße Rose. Innen fließt Wasser an den gekachelten Wänden hinab, im ewigen Kreislauf, unaufhörlich. Am Boden sammelt es sich und fließt in ein weiteres quadratisches Loch. Dieses ist aber viel kleiner und ich kann keinen Grund erkennen. Es wirkt als fließe es hinab in die Unendlichkeit.

Wieder muss ich mich zusammen reißen, als Jutta auf mich zu kommt. Sie merkt, dass es wohl besser ist mich noch einen Moment in Ruhe zu lassen. Ihr geht es ähnlich, das ist deutlich spürbar.

No words can discribe….

Nach einer Weile treffen wir wieder zusammen und ich nicke Jutta zu. Jetzt bin ich bereit und wir können dieses unaufdringliche und zugleich bewegende Monument verlassen. Natürlich reden wir über die letzte erlebte Stunde dort und finden beide, dass dieses Denkmal nicht passender, schöner bzw. dem schrecklichen Ereignis angemessener, hätte sein können. Es ist perfekt. Aber trotzdem muss nun Jeder für sich einen Weg finden, das alles zu verarbeiten.

Vom 9/11 Memorial aus habe ich schon so ein eigenartiges Gebäude gesehen, darauf steuern wir jetzt zu. Es ist ganz in weiß gehalten und sieht aus wie ein riesiger, saurierartiger Vogel, der seine Flügel spreizt.

OCULUS Station

Inmitten der umgebenden Hochhäuser wirkt er klein, aber für diese vogelartige Architektur ist er enorm groß. Viele Leute gehen rein und andere kommen heraus. Was verbirgt sich wohl im Inneren?

Das finden wir nur heraus, wenn wir selber hinein gehen. Der absolute Wahnsinn offenbart sich uns, ich fühle mich wie in einem Science Fiction Roman von Frank Herbert. Es könnte eine Raumstation aus „Dune, der Wüstenplaneten“ sein. Vielleicht auch ein Raumschiff aus Star Wars. Im Innenbereich ist ebenfalls alles in weiß gehalten und die äußere Architektur wird innen konsequent fortgeführt. Es gibt mehrere Ebenen, zum Teil über Rolltreppen oder Aufzüge zu erreichen.

Wir befinden uns in der OCULUS STATION. Dort ist eine Metro weit unter der Erdoberfläche und gibt sich erst zu erkennen, wenn man sich einige Etagen nach unten bewegt. Hier kreuzt sie die New Yorker U-Bahn mit der PATH (Port Authority Trans-Hudson) und tief unter dem WTC geht es in verschiedene Richtungen weiter.

Oben aber scheinen wir uns in einem Gerippe zu bewegen. Die Streben, die dieses Gebäude ausmachen, muten an, als befinden wir uns in einem Dinosaurierskelett. Verbunden werden sie in der Mitte ganz oben, von etwas das aussieht wie eine Wirbelsäule. Darum ist wahrscheinlich auch alles weiß. Nur eine einzige Strebe wird pink erleuchtet.

Der Architekt dieser futuristischen Halle ist der Spanier Santiago Calatrava. Er muss ein großer Science Fiction Fan sein. Unten im Ground Floor sehen wir eine Installation von weißen Körpern, wie große Kapseln sehen sie aus, in denen ein Mensch liegen könnte. Davon gibt es ein Dutzend, sechs auf einer Seite und sechs auf der anderen Seite. Allerdings sind sie abgesperrt, wahrscheinlich damit sie niemand als Bank missbraucht.

Fasziniert fahren wir die Rolltreppen in den Untergrund und verlassen diese Raumstation mit einem alten Metrozug, der hier irgendwie nicht so richtig rein passt. Denn auch die PATH-Station hier unten ist komplett weiß, futuristisch und piccobello sauber.

Normale Metro
OCULUS Station

An der Brooklyn Bridge Station steigen wir aus. Her sieht die New Yorker U-Bahn wieder so aus, wie wir sie kennen und lieben: alt, dreckig und etwas abgefuckt. Wir wollen nach China Town, denn es ist Lunch Time und uns knurrt bereits der Magen. Von hier können wir gut dorthin laufen und unterwegs noch einige Eindrücke mitnehmen. Wir finden ein schönes und mit vielen „Locals“ gefülltes Lokal, was meist ein Zeichen für gutes Essen ist und kehren dort ein. Noch bevor wir irgendetwas bestellen, bekommen wir jeder ein Glas Wasser auf den Tisch gestellt und eine große Kanne mit Tee, dazu zwei kleine henkellose Tassen. Wir bestellen Bun Cha (vietnamesische Frühlingsrollen), Jutta die vegetarische Variante, ich die mit Pork. Dazu gibt es wahlweise Noodles oder Rice und zum Trinken noch einen leckeren Smoothie.

Nach dem köstlichen Mittagessen, obwohl es schon längst Nachmittag ist, geht es gestärkt weiter zum Empire State Building. Auf dem Weg sehen wir Macy`s und gucken mal kurz rein. Jutta sucht noch nach Hausschuhen und findet hier die „Uggs“ toll, das sind Schuhe, Clogs oder so was Ähnliches. Aber es gibt sie nicht in der passenden Größe. Es geht einmal rauf und wieder runter und schon sind wir wieder draußen.

Ich weiß noch wie es 2006 war, ich meine es war 2006, als wir das erste Mal in New York waren. Da sind wir auch zum Aussichtsdeck des Empire State Buildings hoch gefahren, mussten aber über 90 Minuten in der Line stehen, denn es war ziemlich viel los. Da ich auf keinen Fall die Dämmerung verpassen will, damit ich zum Fotografieren perfektes Licht habe, sind wir rechtzeitig vor Ort und stellen mit Freude fest, dass keine lange Warteschlange vor uns ist. Nach dem Ticketschalter geht es lange Flure entlang, wo es auch schon Vieles zu sehen gibt, damit die Zeit in der, diesmal nicht vorhandenen Schlange, nicht zu lang wird. Es wird anhand von Bildern und Multimediabeiträgen über den Bau dieses Wolkenkratzers berichtet. Etwas später klettert ein virtueller King Kong an der Aussenfassade hoch und wir beobachten das Spektakel durch die Fenster von Innen.

Help meeeee!

Jetzt nur noch in den Highspeedaufzug und ab geht die Fahrt nach oben. Das war schon damals sehr beeindruckend. Obwohl ich das zweite Mal hier bin, ist es erneut fantastisch die 360° Aussicht zu genießen. Wir bemerken auch wie vorteilhaft es doch sein kann, außerhalb der Saison zu reisen. Wir können ohne großes Gedränge und Geschiebe den Balkon umrunden und haben mit der untergehenden Nachmittagssonne beste Lichtverhältnisse. Allerdings ist es bitterkalt hier oben, deswegen wärmen wir uns nach der ersten Runde innen wieder auf.

Es ist fast unbeschreiblich, dieses gigantische Häusermeer. Wir schauen rüber bis Jersey City, wo unser LEMMY steht. Die Sonne geht immer weiter unter. Das Licht färbt sich rötlich und das Farbenspiel am Himmel und in den Wolken ändert sich im Sekundentakt. Ich drehe eine zweite Runde um mehr Fotos zu machen. Auch noch ein weiteres Mal bei völliger Dunkelheit verlasse ich den gemütlichen und warmen Innenbereich, aus dem der Ausblick nebenbei gesagt ebenso spektakulär ist, halt nur durch eine Glasfront. Einige andere Hobbyfotografen haben dieselbe Idee und warten mit uns geduldig auf die Dunkelheit. Jetzt spendet nur noch der Mond durch den bewölkten Himmel etwas Licht von oben. Alles andere Licht kommt von den Hochhaustürmen dieser Mega City und lässt die Stadt erstrahlen.

We love New York!

Mit viel zu vielen Fotos fahren wir den Aufzug wieder runter und verlassen durch den Merch Shop das Empire State Building. Irgendwie kommt man daran nie vorbei. Clevere Architekten. Als wir schon auf der Straße sind fällt mir ein, die Halle durch die wir gerade das Gebäude verlassen haben, sieht auch ganz fotogen aus. Ich sage Jutta, dass ich nochmal kurz rein muss, für ein allerletztes Foto.

Der Portier schaut mich fragend an, als ich zurück komme. Als will er sagen: „Na mein Freund, hast du etwa etwas vergessen oder kannst du einfach nicht genug bekommen von diesem Meisterwerk der Ingenieurskunst?“. Aber er schaut mich nur an und bleibt stumm.

Ich frage stattdessen: „Can I take one last picture?“

Er antwortet lächelnd und sehr freundlich: „The Empire State Building is yours.“ und unterstreicht seine Worte mit ausgebreiteten Armen, als lege er es mir zu Füßen.

Da mein englischer Wortschatz etwas begrenzt ist und ich so spontan nicht die richtigen Worte finde auf die Schnelle, sage ich lediglich: „Ok, thank you, Sir.“

Lieber hätte ich ihm was Anderes geantwortet, etwas worüber wir beide dann wohl herzlich gelacht hätten. Dann hätte ich gesagt: „OK Sir, ich verkaufe es an den Meistbietenden.“ oder aber „Mein lieber Herr, wo kann ich mir die Tageseinnahmen abholen?“

Wir fahren wieder rüber nach Jersey zu LEMMY und beenden einen weiteren großartigen Tag.

Tag 3 in NYC beginnt, wie üblich mit dem Morgenkaffee und einem Plan. Der Plan heute ist als erstes die „HIGH LINE“ Strecke entlang zu spazieren. Das ist eine stillgelegte Tramstrecke durch Westchelsea beim „Meat Packing District“. Danach wollen wir über die Brooklyn Bridge laufen und uns etwas in Brooklyn treiben lassen, denn am Abend möchte ich mit Jutta in den „Lucky 13 Saloon“, der ebenfalls in Brooklyn liegt.

Ich habe noch immer eine Menge Ideen, falls noch Zeit für andere Dinge bleibt, wie zum Beispiel ins MoMA oder ins Guggenheim Museum oder ins Whitney Museum of American Art. Aber leider schaffen wir nicht annähernd das angedachte Tagesprogramm zu absolvieren. Jutta tröstet mich damit, dass wir ja auch mal zwischendurch nach New York fliegen können, um einiges nachzuholen, was jetzt auf der Strecke bleibt. Das muss unbedingt sein, denn sonst können wir hier noch lange nicht weg fahren.

An einer Metrostation im angesagten Meat Packing District steigen wir aus. Von hier aus wollen wir laufen zur High Line. Die grobe Richtung haben wir uns auf Googlemaps angeschaut. Es ist in den letzten Jahren immer hipper geworden hier zu wohnen und dementsprechend haben sich viele Restaurants und Bars angesiedelt. Aber die alten Fleischfabrikshallen und die großen Tore für die LKWs sind noch überall zu sehen. Das Viertel hat was, das muss man schon sagen. Die New Yorker brauchen wohl keinen Stillstand befürchten, was die Stadtentwicklung angeht. War es gestern noch Williamsburg, das schwer angesagt war und ist es heute der Meat Packing District, so kann es morgen schon Westchelsea sein.

Boardwalk NY – Third Level

Die High Line ist eine alte Hochbahntrasse und wir sehen sie bereits. Doch wissen wir nicht, wo es eine Möglichkeit gibt da rauf zu kommen. Als wir an einer Ampel auf Grün warten und neben uns eine nett aussehende Frau mit Kinderwagen steht, fragen wir nach. „Das ist nicht mehr weit.“, sagt sie, „noch ein oder zwei Blocks und dann links. Ich gehe die selbe Richtung.“ Wir sind allerdings etwas flotter unterwegs und sehen schon die Treppe nach oben zu dieser Flaniermeile. Wir drehen uns noch einmal um, zeigen den Daumen nach oben, so dass sie weiß, dass wir es gefunden haben.

Jetzt geht es eine Treppe rauf und schon befinden wir uns auf diesem Boardwalk über den Straßen. Die alten Gleise sind längst von der Natur überwuchert. Zwischendurch gibt es Bänke in schön bepflanzten Sitzecken, für diejenigen, die ihren Spaziergang mal unterbrechen möchten. Aber auch für Leute, die ihre Mittagspause mit einem Kaffee und dem Lunchpaket im Freien verbringen wollen.

Wir sind begeistert von dieser genialen Idee, eine alte, ungenutzte Hochbahn in einen parkähnlichen Spazierweg zu verwandeln. Überall gibt es tolle Ausblicke, mal auf den Hudson River, dann wieder in eine beeindruckende Straßenschlucht. Zwischendurch entdecken wir bunte Graffiti, zum Teil schmücken sie ganze Fassaden. Durch eine enge Häuserschlucht sehen wir Andy Warhole? an der Wand und wie er zu uns rüberblickt, im Hintergrund das ONE WTC.

Ein Spaziergang eine Etage über der Stadt, gewährt ganz besondere Ein- und auch Ausblicke. Wir kommen an futuristischen, vermutlich unbezahlbaren Luxusapartments vorbei und an hypermodernen Wolkenkratzern. Einer hat weit oben eine große, dreieckige Aussichtsplattform, es wäre untertrieben dazu einfach nur Balkon zu sagen.

Dann sehen wir im Gegensatz dazu, auch die alten New Yorker Wohnblocks mit den Feuertreppen, die von ganz oben bis fast runter auf die Straße führen. Was hier wohl im Sommer los ist, wenn die ganze Stadt voller Touristen ist? Ich mag es mir nicht ausmalen.

Normalerweise sind wir mit unseren Berufen auch immer an die Sommerferien gebunden, was eigentlich nie ein Problem war, denn oft flogen wir nach Asien, wo die High- und die Peak Season erst im Herbst und Winter beginnt. Nie würden wir auf die Idee kommen den Sommer an den überfüllten Stränden von Spanien oder Italien zu verbringen. Hier und jetzt sind wir ein weiteres Mal hocherfreut darüber, in der Nebensaison unterwegs zu sein. Besonders wenn es so ein wundervoller, kalter, aber sonniger Tag ist. Wir gehen gemütlich bis ans nördliche Ende der High Line, wo im Augenblick eine Baustelle den weiteren Weg versperrt. Vermutlich wird dieser besondere Spazierweg in der Zukunft noch um Einiges erweitert.

Ganz in der Nähe finden wir eine Metrostation von der wir bis zur Brooklyn Bridge fahren. Diese Brücke übt eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Und das nicht nur, weil sie wunderschön ist. Nein, auch weil sie zwei so bedeutende Stadtteile miteinander verbindet, Brooklyn und Manhattan. Zu Manhattan muss man nicht viel sagen, der Name spricht für sich.

(Jutta fragt mich beim Korrekturlesen: „Wieso spricht der Name für sich?“ Dabei lacht sie, weil ich natürlich sofort fassungslos die Arme ausbreite und sage: Maaaaanhattaaaan?!!! Bremen-Tenever heißt Klein-Manhattan, Frankfurt am Main wird Mainhattan genannt. Jedes Kind kennt Manhattan!)

„Brooklyn“, das klingt doch schon wie Musik. In Hamburg in der „Cowboy & Indianer“ Bar und nebenan im Lehmitz, da gibt es Brooklyn Lager. Selbstverständlich trinke ich nur dieses Bier frisch gezapft, wenn ich in einer der beiden Bars bin. „Brooklyn“, der Name klingt nach einer verführerischen Frau, nach einer heruntergekommenen Hafenspelunke, nach einem betörendem Parfüm und natürlich nach einer großartigen Brücke und einem aufregenden New Yorker Stadtteil. Selbst ein Film heißt „Letzte Ausfahrt Brooklyn“. Wahrscheinlich habe ich in meinen Träumen, wenn ich über die nicht existierende Atlantikbrücke gefahren bin, immer genau diese Ausfahrt genommen.

Da isse, die Brooklyn Bridge!

Und nun sind wir hier und ich sage: „Jutta, sieh dir das an, diese gewaltige Brücke und da drüben gleich die Manhattan Bridge. Und guck mal da unter uns die ganzen Autos, die rüber wollen nach Brooklyn. Da fahren wir auch morgen lang. Hast du Miss Liberty gesehen da hinten und die Skyline, ist das nicht fantastisch?“ Sie amüsiert sich dann gerne über meine kindliche Freude. Aber ehrlich gesagt bin ich ganz froh darüber, dass sie mir erhalten geblieben ist.

Das mir heute wieder die Tränen kullern werden, davon ahne ich jetzt noch nichts. Doch im Gegensatz zu gestern, werden es Tränen der Freude sein und ein unglaubliches Glücksgefühl wird mich überkommen.

Have you seen it?

Wir schlendern weiter und Jutta entdeckt ein selbstgemaltes Plakat, angeklebt an einem Brückenpfeiler. „LOST“ steht dort in großen Lettern ganz oben auf dem Zettel. Darunter etwas kleiner geschrieben steht: „Have you seen my ear? Dann ein gemaltes Porträt ohne Ohr und ein weiterer Text. Offensichtlich sucht Vincent van Gogh in New York nach seinem abgetrennten Ohr. Ich liebe diese Stadt!

Angekommen auf der anderen Seite heißt es dann „WELCOME TO BROOKLYN.“

Es ist bereits später Nachmittag und wir bekommen Lust auf einen Kaffee und vielleicht ein Stück Kuchen. In Brooklyn verlassen wir die Brücke und halten Ausschau nach einem geeigneten Etablissement. Wir gehen intuitiv und lassen uns treiben. Es geht ein kleines Stück links runter Richtung Hudson River und dann sehe ich plötzlich durch eine Häuserzeile, einen Pfeiler der Manhattan Bridge. Majestätisch überragt dieser kleine Ausschnitt auf die Brücke die Häuserzeilen links und rechts und ich denke: „Was für ein geiles Motiv!“

Woher kenne ich diesen Ausschnitt????

Wieder keimt die kindliche Begeisterung in mir auf und ich will diese mit Jutta teilen. „Siehst du das da, sieht das nicht unglaublich aus?“

Irgendwie kommt mir diese ganze Szenerie bekannt vor, ich weiß aber nicht woher. Auf jeden Fall sind wir nicht die Einzigen, die hier fotografieren, alle dasselbe grandiose Motiv. Zufällig ist genau hier in der Straße ein kleines Café, in das wir uns jetzt erstmal rein begeben und einen Café Latte bestellen und dazu ein kleines Stückchen Kuchen.

Der Kuchen ist genau nach meinem Geschmack. Der leckere Kaffee wärmt uns auf und obwohl dieses minimalistische und kühle Ambiente hier drinnen nicht so mein Ding ist, sind wir froh uns eine kurze Pause genehmigen zu können. Weil wir hier ein freies WLAN haben, checken wir kurz unsere Handys und jeder ist etwas für sich beschäftigt. Dann kommt es mir und ich rufe laut: „Ich hab`s. Jetzt weiß ich es wieder. Es war einmal in Amerika!“

Jutta guckt mich erstaunt und mit großen, fragenden Augen an.

„Na, da draußen, die Brücke, die Straße! Das ist das Cover, das Titelbild von „Once upon a time in America“, einem der besten Filme aller Zeiten! Den haben wir doch erst Silvester vor zwei Jahren gesehen!“ Ich kann es kaum fassen und unverzüglich suche ich das Cover im Internet. „Da ist es!“, sage ich triumphierend und halte mein Handy als Beweis Jutta rüber, „los, lass uns die Szene nachstellen. Ich laufe so wie Robert de Niro hier auf dem Cover und du fotografierst mich dabei.“

Also schnell noch kurz in den Restroom, dann zahlen und rauf auf die Straße. Die Dämmerung beginnt schon, was für uns perfekt ist zum Fotografieren. Allerdings sind noch einige andere Filmfans hergekommen, um es uns gleichzutun. Aber das ist jetzt egal und wird in Kauf genommen.

Jürgen auf Noodles Spuren!
Das Original

Ich spreche mit Jutta ab, wie ich mir das Foto vorstelle. Wo sie stehen soll und wo ich stehen werde und das ich versuche in einer bestimmten Pose zu verharren. Ich werde das linke Bein in der Luft halten, als ob ich auf meine Freunde auf der anderen Straßenseite zugehe und die Arme ausbreiten, um sie willkommen zu heißen. So gibt es das Titelbild vor und das will ich nachmachen, obwohl ich dann für einen Moment den anderen Fotografen mitten im Motiv stehen werde.

Ich fühle, wie ich auf den Spuren von Robert de Niro wandle, der im Film als Noodles auftritt, dem besten Freund von Max, gespielt vom wunderbaren James Woods.

„Mach aber schnell!“, sage ich noch zu Jutta, „damit wir nicht länger als nötig die Szene für die Anderen blockieren.“ „Alles klar, geh du in Position und bleib still stehen, dann mache ich die Bilder.“, sagt Jutta.

Nach wenigen Augenblicken ist alles im Kasten und wir machen die Straße frei für die Nächsten. „Jetzt gehen wir noch runter an den Hudson, vom Ufer hier neben der Brooklyn Bridge müssten wir eine grandiose Sicht auf Downtown und Lower Manhattan haben.“, sage ich.

Mir gehen langsam die Superlative aus, mein Wortschatz ist leider nicht nur im Englischen begrenzt. Dieser Ausblick von genau diesem Punkt in Brooklyn, auf Downtown und die beiden Brücken, links die Brooklyn Bridge, rechts die Manhattan Bridge, ist einfach nur zum Niederknien. So etwas Schönes habe ich selten zuvor gesehen. Ich bin sprachlos und mache Bilder, damit dieser unvergessliche Augenblick für immer weiter existiert. Berauscht vor Glück und etwas wehmütig müssen wir langsam weiter.

Ich kann mich kaum losreißen von diesem magischen Ort, wo sogar Jutta die Spucke weg bleibt, bei so einem Anblick. Das ist mehr als nur irgendeine Skyline. Das hier ist vielleicht der perfekte Ort, zur perfekten Tageszeit, um eine der vollkommensten Brücken, vor der wahnsinnigsten Skyline der Welt auf einem Foto festzuhalten.

No words….again….

Mir ist selbstverständlich klar, dass vor mir und auch nach mir, Tausende von Leuten diesen Platz entdeckt haben und entdecken werden. Aber das schmälert mein Glücksgefühl in keinster Weise.

Überaus zufrieden machen wir uns auf den Weg zu einer Metrostation, weil auch Brooklyn groß ist und der Weg in den Lucky 13 Saloon weit.

Unterwegs denke ich so bei mir, dass neben Manhattan, die anderen Teile von New York bestimmt bei den meisten Reisenden viel zu kurz kommen. Bei uns ist es ja ganz genau so. In Queens war ich noch nie. In der Bronx waren wir beim letzten Besuch wenigstens. Und einen Abstecher durch Hoboken haben wir auch beim letzten New York Aufenthalt gemacht. Das allerdings nur wegen meiner Mafia Leidenschaft. Und das PC Spiel Mafia I spielt unter anderem in Hoboken, in einem New York der 30er Jahren. Was also blieb mir da anderes übrig, als mit unserem Leihwagen durch diesen gut klingenden Stadtteil zu fahren?

„Wir müssen hier raus!“, vernehme ich von weit her. „Was?“, frage ich, als Jutta an meinem Arm zerrt. „Wir müssen hier aussteigen, beeil dich!“, vernehme ich nun laut und deutlich von Jutta, die bereits an der Tür des Zuges steht. Oben auf der Straße sind es noch ein paar Blocks zu laufen. Unterwegs gibt es wieder einige Graffiti zu sehen.

An einer Wand sehen wir:

TRUMP=RACISM WE VOTET HIM OUT!

Daneben einige Bilder. Brooklyn gefällt uns immer besser.

We agree!!!!!

Endlich stehen wir vor dem Lucky 13 Saloon und gehen durstig und voller Vorfreude hinein. Naja, auf jeden Fall, ich gehe so hinein. Jutta müsste nicht unbedingt oft ausgehen. Sie macht das mir zuliebe mit. Ich verspreche ihr, dass es nicht zu lange gehen wird und wir mit der letzten Metro noch zurück fahren werden. Ist das nicht auch eigentlich ein Filmtitel? „Die letzte Metro“?

In New York gibt es eigentlich keine letzte Metro, sie fährt immer. Allerdings ist spät in der Nacht die Taktung eine ganz andere und es kann sein, dass man lange auf seine Bahn warten muss. Das ist auch in der heutigen Zeit nicht ganz ungefährlich. Und nachts ist nicht mehr viel los im Untergrund von NYC. Da kann es dann auch schon mal unbehaglich werden, bei den schrägen Gestalten, die dort auch tagsüber und am frühen Abend schon rumlungern. Aber ich sage zu Jutta: „Du bist ja nicht allein, ich bin doch mit dabei.“

Nix mehr los!

(Kleine Notiz am Rande: Jetzt, wo ich an diesem Blog schreibe, sind wir bereits in Vancouver/B.C.. Es ist der 20. April 2022 und vor einigen Tagen habe ich von einer Schießerei in einer Metrostation in Brooklyn gelesen. Es wurden mindestens 23 Menschen verletzt und es war eine der größten Schießereien in der Geschichte der New Yorker U-Bahn. Die Schüsse fielen im morgendlichen Berufsverkehr, am 12.4.2022)

Wir gehen direkt zur Barkeeperin und bestellen uns zwei Bier. Die Musik ist schon mal sehr geil. Es läuft Queens Of The Stone Age. Die Bar ist kleiner als der Double Down Saloon auf der anderen Seite in Lower Mahattan, aber ansonsten sehr ähnlich. Die Wände werden von vielen Filmplakaten verziert, überwiegend Horrorfilme. Masken und Requisiten hängen auch hier und dort rum. Es sind nur wenige Gäste außer uns hier. Wow, und jetzt dröhnt Ministry aus den Boxen. Ich will mit Jutta auf den gelungenen Tag anstoßen und etwas sagen, aber ich merke plötzlich, dass ich gar nicht sprechen kann. Sie sieht mir sofort an was los ist, schließlich kennen wir uns nicht erst seit gestern.

Cheers!

Alles was wir an diesem Tag in New York erlebt haben, überwältigt mich gerade. Der Spaziergang auf der High Line, die Überquerung der Brooklyn Bridge. Das wir zufällig dieses Filmset von „Es war einmal in Amerika“ gefunden haben und dann noch die Aussicht auf die Skyline von New York. Das habe ich auch noch nie erlebt. Mir kullern Tränen der Freude die Wangen runter und ich bin nicht in der Lage irgendetwas zu sagen. Jutta versteht mich natürlich und es geht ihr genauso. Sie lächelt mich an und überglücklich stoßen wir auf den für uns beide sehr gelungenen Tag an.

Dann habe ich die Kontrolle zurück und ich hoffe Niemandem sonst ist es aufgefallen. Wahrscheinlich nicht, denn es ist laut und eben nicht viel los. Und falls doch, na wenn schon, auch egal.

Gibt viel zu gucken und zu hören hier!

Die Musik im Lucky 13 Saloon ist richtig super. Es laufen viele gute Songs und wenn ich hier von Hardcore rede, dann bezieht es sich ausschließlich auf die Bands. Auch New York Hardcore ist vertreten, von Madball läuft „For You“, einer meiner Lieblingssongs.

Aber was war das denn gerade? Zwei Ladies kommen zur Tür rein und huschen hinter mir an der Bar vorbei. Die Barkeeperin begrüßt die Beiden als seien es Stammgäste. Aus dem Augenwinkel sah es aus, als hätten sie nicht viel unter ihren Mänteln an. Sie verschwinden kurz von der Bildfläche und als sie wieder auftauchen, traue ich kaum meinen Augen. Sie haben nicht mehr viel am Leib. Beide sind in sexy schwarze Lederoutfits gekleidet. Ohne ihre Mäntel könnten sie so wohl nicht mehr auf die Straße.

Das ist sogar für New York zu sexy und man würde Beide sofort verhaften. Wie heißt es dann noch gleich? Ach ja, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder so ähnlich. Erregung trifft zu, aber im positiven Sinne. Ärgernis? Nein, das kann ich nicht bestätigen. So langsam dämmert es mir auch, was diese beiden sexy Ladies vorhaben. Denn als Gäste sind sie nicht gekommen. Am Ende des Tresens ist eine lange Stange, daran werden sie wohl abwechselnd tanzen.

Von den Ladies hat Jürgen „leider“ kein Foto gemacht 😉

Und nebenbei fällt mir auf, dass da auch ein paar T-Shirts über der Bar hängen und sogar ein Hoodie. Ich frage die Barfrau, ob sie mir die Shirts und den Hoodie mal zeigen kann und ob ich auch mal was davon anprobieren darf. Der Hoodie ist gekauft. Da tanzt sogar eine der Ladies auf der Vorderseite an der Stange. Auf der Rückseite ist das Logo des Lucky 13 Saloons und natürlich steht auch Brooklyn/New York mit drauf. Das die Stadt mit drauf steht, ist mir sehr wichtig. So habe ich immer ein schönes Andenken an die besuchte Stadt UND eine geile Bar. Früher waren das meistens die Hard Rock Café Shirts. Heute kaufe ich die nur noch selten. Die Hard Rock Cafés gehen für mich nicht mehr als gute Kneipe mit toller Musik durch. Nur, wenn mir das Motiv besonders gut gefällt UND der Städtename draufsteht, gibt’s ab und zu nochmal eins für meine Sammlung.

Ich handele mit Jutta noch zwei weitere Biere für mich aus, sie ist schon zu Wasser übergegangen Danach machen wir uns auf den langen Weg zurück, durch die einsamen Metrostationen von Brooklyn und Manhattan, denn wir müssen zweimal umsteigen. Kann denn die Nacht nach so einem Tag und so einem Abend noch schöner werden?

Wir kommen sicher und unbehelligt in Jersey City an. Da wir uns souverän durch die, des Nachts verlassenen und fast menschenleeren U-Bahn Stationen bewegen, werden wir auch nicht belästigt von irgendwelchen schrägen Gestalten. Hier und da werden wir beäugt und abgecheckt.

Doch ich bilde mir ein, durch selbstsicheres Auftreten können wir uns auf der ganzen Welt relativ sicher bewegen. Das ist es auch, was ich in der Vergangenheit erlebt habe. Sei es in Nairobi im River Road District, in der sogenannten „NO GO“ Zone für Touristen. Oder in Rio de Janeiro, wo Jutta die ersten Tage echt in jedem Typen der irgendwo in der Gegend rumstand einen Gangster gesehen hat. Man muss immer selbstbewusst auftreten und wenigstens so tun, als kenne man sich aus und sollte natürlich den Touristenkram zu Hause, im Hotel, im Auto oder sonst wo lassen. Wer hier unten Nachts mit der großen Kamera um den Hals rumläuft oder unbeholfen auf der Touristen Map sucht, wie und wo es weitergeht, wer eine fette Armbanduhr offen trägt oder eine dicke Brieftasche in der Gesäßtasche zur Schau stellt, der sollte sich nicht wundern, wenn es Probleme geben könnte. Rucksäcke und anderen Touristenstuff sollte man auch nicht dabei haben. Sei ein New Yorker oder gibt dich wenigstens wie einer, dann gibt es in der Regel keinen Ärger.

Just be cool!

Jutta schläft bereits, während ich mir in dieser fantastischen Nacht noch ein Feierabendbier genehmige und etwas Musikvideos schaue. Damit ich Jutta nicht störe, benutze ich meine Bluetooth Kopfhörer. By the way, sie waren mal ein Weihnachtsgeschenk von Juttas Eltern für genau diese Situationen. Bevor ich dann auch irgendwann schlafen gehe, poste ich noch einen „Good Night Song“ auf Facebook. Ich mag diesen Song sehr gerne, obwohl ich absolut kein Bon Jovi Fan bin, im Gegenteil. Aber diesen Song von Jon Bon Jovi, den liebe ich sehr. „Midnight in Chelsea.“

Heute werden wir eine der geilsten Städte unseres Sonnensystems verlassen. Es war von Anfang an klar, wir werden nicht im Mindesten das schaffen, was auf der langen To Do Liste steht. Klar ist aber auch, wir müssen in nicht allzu ferner Zukunft zurück kommen. Über die Atlantikbrücke in meinen Träumen sowieso, letzte Ausfahrt Brooklyn, aber auch in real. In der Nebensaison wird es schon erschwingliche Flüge geben und eine Woche werde ich mir auch schon mal im Theater frei nehmen können. Mit dieser Aussicht fällt es nicht ganz so schwer diese Megametropole zu verlassen.

Allerdings wollte ich so gerne noch über einige Brücken hier fahren. Zunächst mal müssen wir den Umweg über die George Washington Bridge fahren, denn der Holland Tunnel, was der direkteste Weg zu meinen Zielbrücken ist, ist nun absolut tabu für LEMMY. Aber Umwege gibt es nicht, das haben wir uns Zuhause schon gesagt. Der Weg ist immer auch das Ziel!

„Als Erstes würde ich gerne vom FDR Drive über die Williamsburg Bridge fahren.“, sage ich zu Jutta, „dann geht es von dort zur Manhattan Bridge und als krönenden Abschluss fahren wir über die Brooklyn Bridge.“

Eigentlich hätte ich auch noch gerne die Queensboro- und die Pulaski Bridge mitgenommen, aber das wäre schon etwas komplizierter mit der Navigation und vor allem zeitaufwendiger.

Alleine der „Umweg“ über die Brooklyn Bridge kostet uns ca. 90 – 120 Minuten.

Manhattan Bridge, ohne drüber zu fahren… : (

Aber Jutta hat nicht wirklich Bock mit mir über diese ganzen Brücken zu fahren, denn schließlich ist sie die Navigatorin und es ist immer mit etwas Aufwand verbunden mich dann treffsicher zu leiten. Denn auf GoogleMaps sieht man bei den ganzen Brückenzubringern, den Auf- und Abfahrten nicht immer genau, welche Spur und Strecke gemeint ist.Und der Großstadtverkehr stresst sie schon, wenn sie nur als Beifahrer neben mir sitzt. Deswegen drängel ich nicht lange und wir fahren nur über die wichtigste aller Brücken, die Brooklyn Bridge.

Als es dann endlich soweit ist, freue ich mich wie ein Sechsjähriger auf den Weihnachtsmann.

Die nächste Brücke wird die Verrazzano Narrows Bridge sein, die führt rüber nach Staten Island und ist kostenpflichtig. Aber es gibt keine Möglichkeit zu zahlen, wir werden nur gescannt. Was das für uns bedeutet wissen wir noch nicht.

Ach so, eine letzte Frage bin ich ja noch schuldig geblieben. Warum zum Teufel ich 139 $ für einen Parkplatz bezahle? Die Antwort ist ganz simpel. Ich zahle 139 $ für einen Parkplatz, weil: „Zum Teufel, wir sind in NEW YORK CITY!“

…bye bye New York City, see you…

….und was als nächstes geschieht…

CHAPTER III – DOWN THE EASTCOAST TO THE KEYS, 90 MILES TO CUBA

…Hannah Montana does the African Savannah und was meine Freundin Maddi damit zu tun hat…

2. AKT: Chapter 15 – Canada, Nova Scotia

…und wie wir verzweifelt versuchen, doch noch irgendwie nach Halifax zu kommen…

Halifax Waterfront – off season –

Der Flug von Bremen nach Frankfurt verläuft perfekt. Flug AC 0845 mit Air Canada von Frankfurt nach Montreal hat auf jeden Fall schon mal ca. eine Stunde Verspätung. Bevor es los geht auf die Rollbahn werden noch die Tragflächen enteist. Beruhigend. Ich nehme ein kurzes Video davon auf, weil ich von meinem Fensterplatz eine gute Sicht darauf habe. Dann heißt es „Take off“ und wir fliegen und genießen dabei das Inflight-Entertainment Programm. Es gibt verschiedene Filme und auch einige Spiele. Vieles mittlerweile auch in Deutsch.

Als wir anfingen mit unseren Fernflugreisen, damals mit Rucksack, da gab es nur wenige Monitore über den Köpfen der Passagiere. Man musste sich mit den Filmen begnügen, die die Flugbegleiter einspielten. Es war damals nicht dran zu denken, dass ich Jahre später Schach spiele oder Go (japanisches Brettspiel) gegen eine künstliche Intelligenz oder einen anderen Passagier. Heute schaut jeder was er will und wann er will, direkt vor sich im Sitzmonitor. Ach, Musik hören kann man selbstverständlich auch.

„Ob wir die Stunde Verspätung wieder rausholen?“, stelle ich eher als rhetorische Frage und erwarte keine Antwort. Zwischen den Filmen und dem Essens- und Getränkeservice versuchen wir auch mal ein wenig zu schlafen. Wir holen die verlorene Stunde nicht wieder raus. Wir wundern uns, als wir bei den Connecting Flights schauen, ob alles planmäßig läuft und feststellen, dass dem nicht so ist.

Lunenburg – so geniale Häuser und Fassadenfarben

Wir fliegen von Montreal nicht nach Halifax, sondern nach Ottawa. Offensichtlich wurden wir umgebucht. Wir fragen bei den Flugbegleitern nach was da los ist. Der Anschluss sei wohl zu knapp und vorsichtshalber hat man uns umgebucht. Das heißt, wir kommen später an und haben einen zusätzlichen Flug. Na toll, darauf hätten wir gut verzichten können. Das es alles noch viel schlimmer und komplizierter wird, davon ahnen wir jetzt noch nichts.

Auf jeden Fall kommen wir gut in Montreal runter, nach einem sehr angenehmen Flug. Jetzt wird es aufregend, denn die Einreiseformalitäten müssen erledigt werden. Hoffentlich haben wir an alles gedacht. Wir sind doppelt geimpft und danach auch geboostert worden. Wir haben alles digital und auf Papier ausgedruckt und den gelben internationalen Impfausweis auch dabei.

Bevor wir an einen Schalter mit einem Officer kommen, müssen wir uns an einem Computerterminal selber anmelden und registrieren und sogar fotografieren. Wir arbeiten uns durch den Fragenkatalog, stellen uns auf die Markierung für das Foto und drucken alles aus. Jetzt zum Grenzbeamten und in die kurze Schlange vor uns anstellen. Wir sind dran und haben alle Pässe und Papiere parat, ein ganz schöner Stapel. Was wir beruflich machen will er wissen, ob wir genug Bargeld und Kreditkarten haben, ob wir schon einmal im Land waren und wie lange wir bleiben wollen und noch Einiges mehr. Etwas Verwirrung gibt es als wir uns widersprechen. Jutta redet von drei Monaten Verweildauer, ich von 6 Monaten. Schnell kann ich es aufklären, denn wir wollen während dieser Reise drei Monate in den USA verbringen und die anderen drei Monate in Canada. Doch beginnt unsere Reise nun mal hier und deshalb brauchen wir die 180 Tage für dieses riesige Land. Er ist zufrieden mit unseren Antworten und wir bekommen den begehrten Stempel in unsere Pässe. Check!

Lunenburg

Leider schickt er uns aber zum PCR Test. Das wird bei ankommenden Reisenden stichprobenartig gemacht. So ein Mist, ärgern wir uns kurz, aber was solls. Wir sind angekommen in Canada, am Ziel unserer bangen, von Corona geprägten Träume und noch sind wir glücklich.

Das mit dem PCR Test geht alles reibungslos und schnell vonstatten und jetzt gucken wir mal nach unserem Weiterflug.

Air Canada 8005, um 12:45 ist Boarding. Aber was ist jetzt schon wieder los? Der Flug ist verschwunden von der Anzeigetafel. Wir haben aber doch schon die Bordkarten. Also ran an den Schalter und fragen was los ist. „Tut uns sehr leid, aber der Flug ist gecancelt.“ Es gibt aber einen Anderen, knapp drei Stunden später. Mit neuen Bordkarten ausgestattet für Flug AC 8007 um 15:40 Boarding Time soll es dann hoffentlich nach Ottawa gehen. Schließlich wollen wir ja auch noch in Halifax ankommen irgendwann. Jetzt aber haben wir ordentlich Zeit gewonnen und was macht man mit Zeit am Flughafen? Ganz genau, Bier trinken und auf die gelungene Einreise anstoßen. Allerdings kann man es so oder so sehen. Ist die Zeit gewonnen oder verloren? Jutta sieht die Zeit als verloren, weil wir später unser angestrebtes Ziel erreichen werden. Ich bin natürlich auch genervt von der zusätzlichen Wartezeit, aber sehe die Zeit als gewonnen für ein paar leckere Bierchen an einem internationalen Flughafen. Schnell finden wir einen sehr einladend aussehenden Pub in dem ein großes Kaminfeuer lodert. Es gibt Biere von denen ich nicht Eines kenne, denn der Laden gehört einer Microbrauerei, perfekt! Jutta trinkt Kaffee und Wasser, ich probiere drei große, unbekannte Biere. Cheers.

Da freut sich das Beer- Lover- Heart!

Der nächste Flug findet tatsächlich statt und wir erreichen Ottawa gegen späten Nachmittag. Die Temperaturen draußen betragen minus 26 Grad, Wahnsinn!

Unser letzter und finaler Flug heute soll AC 8070 von YOW nach YHZ sein, das sind die Flughafenabkürzungen für Ottawa und Halifax. Boarding ist um 17:55 Uhr. Doch dieser Flug ist wieder mal verspätet und wir bekommen Essens- und Getränkegutscheine von der Airline. Ich sage zu Jutta: „Lass uns in die Micro-Brewery gehen, mit dem schönen Kamin.“ „Ja, meinetwegen.“, sagt sie. Irgendwann wundern wir uns, dass wir sie nicht wieder finden, bis uns einfällt, dass wir mittlerweile auf einem anderen Flughafen in einer anderen Stadt sind. Müdigkeit kommt langsam auf. Doch wir finden einen anderen Pub mit anderem Bier.

Wir sollen die Anzeigetafel mit unserer Flugnummer im Auge behalten und dabei fällt uns auf, dass auf unseren Bordkarten ein komisches handgeschriebenes Kürzel auf. SB steht da drauf, wo eigentlich die Sitzplätze eingetragen wären. Wir finden raus, dass es sich bei unseren Flugkarten um Stand By Tickets handelt. Also ist noch nicht mal klar, ob wir an Bord kommen. Inzwischen wissen wir auch den Grund für die Verspätung. In Halifax tobt ein wilder Wintersturm mit heftigem Eisregen.

Aber wenn wir etwas gut können, dann ist es geduldig warten auf internationalen Flughäfen. Ich liebe sowieso große Airports. Gut Ottawa ist keiner davon, aber egal. Ich liebe dieses Gefühl der Zeitlosigkeit. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Zeit und Raum. Und die Uhren ticken bei Jedem anders. Der Eine kommt gerade aus Singapore, der andere aus London, Capetown oder Tokyo. Alle haben andere Abflugzeiten gehabt und verschiedene Ziele. Wenn also jemand morgens um 9:00 ein großes Bier vor sich hat, so ist das keinesfalls verwerflich. Wir wissen doch gar nicht wie seine Uhr tickt und wo er gerade herkommt. Aber ich schweife ab und denke irgendwann: „Wir werden kaum vor Mitternacht in Halifax ankommen.“ Jutta schreibt bereits über Booking.com an unser Hotel Residence Inn by Marriott, dass wir erst irgendwann in der Nacht ankommen werden.

Endlich kommt der erlösende Aufruf zum Boarding und wir hoffen mit an Bord zu kommen mit den Stand by Tickets.

Übermüdet, aber glücklich besteigen wir den Flieger. Wir sitzen ganz hinten auf den beiden letzten Plätzen und können es kaum fassen, nach bereits weit über 30 Stunden auf den Beinen, den Flug nach Halifax heute noch abzuhaken. Eine Stewardess erzählt uns von einem Australier an Bord (aus Brisbane) als wir von unserer Odyssee berichten. „Der Ärmste ist seit über 50 Stunden unterwegs.“, sagt sie. Danach sind wir ganz still.

Wir sind drin!

Nach einer ¾ Stunde Flugdauer meldet sich der Kapitän zu Wort. Das kennen wir, das ist immer so. Aber heute ist es anders. Er will uns nicht begrüßen oder an Bord willkommen heißen. Er will uns auch nichts über die Flugdauer oder Flughöhe usw. berichten. Er will uns etwas ganz Anderes sagen. Etwas, das wir überhaupt nicht hören wollen.

Er teilt uns mit, dass wir umdrehen müssen. Es sei nicht möglich sicher in Halifax zu landen bei den Wetterbedingungen. Alles andere erfahren wir am Flughafen in Ottawa.

Wir nehmen es gelassen hin, denn wir wissen was jetzt kommt. Die Passagiere werden in Taxis gesetzt und in verschiedene Hotels gefahren. Dafür gibt es wieder Voucher, so dass wir nichts bezahlen müssen. Wir werden ins Sandman Hotel gebracht und haben dort ein schönes Zimmer, ein fast perfektes Zimmer. Zuvor spüren wir noch wie sich 26 Grad minus anfühlen. Was unser tolles Zimmer leider nicht zu bieten hat ist eine Minibar. In den Getränkeautomaten auf diesen endlosen Hotelfluren gibt es nur Softdrinks und Wasser. Fuck!

Aber so lässts sich doch aushalten

Der Flug morgen, AC 8770 geht um 11:00 Uhr. Wir versuchen mal zu schlafen. Irgendwann gelingt es auch und wir dämmern langsam weg. Morgens schreckt uns der Wecker laut, aber pünktlich um 8:30 Uhr hoch. Schnell fertig machen und runter in die Lobby, um mit den anderen Passagieren auf die Taxen zu warten. Es sind immer noch minus 26 Grad, aber die Sonne scheint. Das wird ein schöner Tag, denke ich bei mir.

Nach kurzer Fahrt sind wir wieder am Flughafen und wollen einchecken. Leider habe ich am Flughafen die Banderolen von den Taschen die eingecheckt werden abgerissen. Wer kann denn ahnen, dass wir mit derselben Banderole, die seit Bremen am Gepäck hängt, weiterreisen? Also schnell an die Mülltonne, um die beiden zerknüllten und abgerissenen Banderolen wieder herauszufischen. Die nette Dame beim Check in ist sehr geduldig und glättet die alten Banderolen wieder und versucht noch Stellen zu finden, die sie zum Kleben benutzen kann. Irgendwie bekommt sie es hin und so schlecht sieht es gar nicht aus. Wird schon halten. Jetzt nix wie zum Gate und dann ab nach Halifax. Aber zu welchem Gate? Es steht nicht auf der Bordkarte. Wir gucken auf die Anzeigetafel und finden dort wonach wir suchen.

Um 11:00 soll Boarding sein und eine halbe Stunde später Abflug. Es wird 11:00 Uhr und wir werden ungeduldig. Dann ein Blick auf die Anzeigetafel. Delayed, aber nur 20 Minuten. Ein Glück, damit können wir gut leben. 30 Minuten verstreichen, dann eine Stunde. Es beginnt ein Getuschel unter den anderen Reisenden. Es wird wild spekuliert, was denn wohl wieder sein kann. Jetzt steht nur noch DELAYED hinter unserem Flug, aber nicht mehr wieviel Minuten. Handelt es sich überhaupt noch um Minuten?

Und da kamen noch viel mehr Schläuche!

Was ich sehe, wenn ich durch die riesige Fensterfront schaue, nach unten, wo unsere Maschine am Gate bereit steht, dann stimmt mich das nicht gerade zuversichtlich. Dort stehen einige Service- Fahrzeuge. Techniker mit gelben Helmen laufen draußen in und um die Maschine herum. Jetzt liegen dort auch noch riesige, dicke Schläuche, die scheinbar Luft in die Maschine blasen. Hin und wieder kommt einer dieser Männer mit Helm zum Boardingschalter und es wird geredet. Mal wird genickt, dann mit dem Kopf geschüttelt. Aber wir hören nicht was gesprochen wird. Nach weiteren Sudokus und weiteren Posts über unsere Lage auf dem Ottawa Airport knistert das Mikro und eine Ansage wird gemacht. „Liebe Passagiere, wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, aber Ihre Sicherheit ist unser oberstes Gebot. Das Wassersystem vom gesamten Flugzeug ist eingefroren und wir arbeiten daran, es aufzutauen. Bitte haben Sie noch etwas Geduld!“

Ich glaube ich sagte es bereits, was wir echt gut können, ist warten auf internationalen Flughäfen.

Meine Freundin Katia aus Berlin schickt mir verwundert eine Nachricht. Sie verfolgt in Echtzeit unseren verzweifelten Versuch nach Halifax zu kommen. „Ich bewundere eure Gelassenheit, wie macht ihr das?“ Sie hat wohl schon einige Fotos von mir mit dem Sudoku in der Hand, hier am Gate in unserer scheinbar endlosen Warteschleife, auf Instagram gesehen. Ich antworte ihr unverzüglich. „Hey Katia, das ist dem jahrelangen Training auf den besten Airports der ganzen Welt zu verdanken.“

Gegen Abend kommen wir schließlich mit über einem Tag Verspätung in Halifax an. Jutta findet es komisch, dass sich das Hotel bzw. booking.com nicht zurückgemeldet hat. Sie hatte gestern Nacht noch aus dem Sandman Hotel in Ottawa eine weitere Mitteilung geschickt, dass wir uns nun um einen ganzen Tag verspäten werden, weil unser Flieger wegen dem Eisregen umdrehen musste. Keine Reaktion.

Nach der Landung erstmal gucken zu welchem Baggage Claim wir müssen. Ah Ok: Belt 7, Flight AC 8770 von Ottawa nach Halifax. Warten. Das Band setzt sich in Bewegung und die ersten Gepäckstücke kommen aus dem Nichts und fahren an uns vorbei. Es dauert und wir warten geduldig. Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe: Was wir wirklich richtig gut können, dass ist auf internationalen Flughäfen zu warten, da macht uns keiner mehr was vor. Mein Trolley kommt, ich erkenne ihn an der roten Schleife mit der er gekennzeichnet ist, weil er sonst unter den vielen anderen schwarzen Trolleys untergehen würde. Wir schauen dem Gepäckkarussell zu und immer mehr Passagiere verschwinden mit ihren Koffern und Taschen. Wo bleibt Juttas schwarze Sporttasche? Sie kommt nicht. Nach der dritten Leerrunde gehen wir zum Schalter mit der Aufschrift „LOST BAGGAGE“. Es sind außer uns noch drei andere Unglücksraben hier.

Ja beim Warten macht uns keiner was vor!?

Wir bleiben gelassen, denn selbstverständlich haben wir auch diese Prozedur schon etliche Male hinter uns gebracht. Immer erfolgreich. Ich bin nicht stolz drauf, wegen meiner miesen CO2 Bilanz, aber bei einer knappen Million Flugmeilen erlebt man so Einiges auf internationalen Flughäfen.

Wir geben unser Hotel an und rechnen morgen mit dem verlorenen Gepäckstück in unserem Appartement im Residence Inn by Marriott. Jetzt haben wir keinen Nerv mehr auf den Shuttlebus, jetzt genehmigen wir uns ein Taxi. Es wird bereits dunkel. Leider lassen die nächsten Probleme nicht lange auf sich warten.

Draußen vorm Terminal stehen schon die Taxen und wir nehmen das Erstbeste. Der Fahrer steigt sofort aus und hilft mir mit dem Gepäck. Hier haben wir nur noch minus 14 Grad. Im Taxi ist es schön warm und wir plaudern etwas mit dem Fahrer, er heißt Sam. Wir erzählen von unserem Plan mit dem eigenen Wagen an der US-Ostküste runter bis Key West zu fahren, danach von Ost nach West rüber, also einmal durch den Kontinent und wieder vom Süden die Westküste hoch bis nach Kanada zurück. Um dann wieder den ganzen Kontinent zu durchqueren, diesmal von Westen nach Osten, zurück nach Halifax. Im Grunde haben wir Nordamerika damit fast umrundet.

Er beglückwünscht uns zu unserem Vorhaben und wünscht uns alles Gute. Im Gespräch outet er sich sehr schnell auch als Biden-Anhänger. Wir begrüßen das sehr und verheimlichen nicht, dass wir Trump für einen Vollidioten halten. Als wir ihm sagen wo wir die nächste Zeit wohnen werden, beglückwünscht er uns erneut. Dort gibt es alles Wichtige in unmittelbarer Nähe: Restaurants, Bars, nette Cafés und coole Läden. Ob es auch Livemusik gibt, frage ich ihn. „Hey, ihr seid in Halifax, na klar gibt es hier Livemusik.“

Wir wohnen direkt neben der Pizzacorner!

Mittlerweile sind wir beim Residence Inn by Marriott angekommen und zu guter Letzt frage ich noch nach einem Liquor Store. „Dort schräg gegenüber ist ein riesiger Liquor Store, die heißen hier NSLC.“ Check!

Nachdem wir das Gepäck ausgeladen haben, drückt Sam mir noch seine Visitenkarte in die Hand. „Wenn ihr in 6 Monaten wieder hier seid, ruft mich an. Dann bringe ich euch zurück zum Flughafen.“ Ich sage: „Geht klar!“ und wir verabschieden uns.

Glücklich endlich Halifax und unser Hotel in so einer Top Lage in Downtown erreicht zu haben, stiefeln wir in die Lobby und wollen einchecken in unser Appartement. Wir werden sehr freundlich begrüßt und gefragt, ob wir denn eine Reservierung haben. Ja, wir haben eine Reservierung, bestätigen wir und Jutta reicht der netten Dame an der Rezeption die Ausdrucke von booking.com.

„Hm.“, vernehmen wir von ihr, während sie in ihrem System nach unseren Namen sucht. „G. O. D. T. ?“, buchstabiert sie fragend unseren Namen. „Yes, G. O. D. T.“, bestätigen wir beide nickend. Als ob das Nicken die Suche nach unserer Buchung im Computer erfolgreicher machen könnte. „Einen Augenblick bitte!“, sagt sie und verschwindet kurz. Sie kommt mit einer anderen Dame zurück. Begrüßungsformalitäten werden erledigt und dann begibt sich die andere Dame auf die Suche nach irgendwelchen GODTs im Buchungssystem.

Jetzt fängt Jutta an zu erklären, was alles los war unterwegs, das wir eine wahre Odyssee hinter uns haben und mit mehr als 36 Stunden Verspätung in Halifax angekommen sind. Das unser Flieger gestern schon auf dem Weg war, dann aber umgedreht ist und wir zurückgeflogen sind nach Ottawa. Sie sagt auch, dass sie zweimal geschrieben hat und booking.com bzw. das Hotel über unsere Verspätungen informiert hat. Leider wurden diese Nachrichten nicht beantwortet.

Eine dritte Person kommt hinzu, diesmal ein sehr sympathischer Mann. Er hat alles aus dem geöffnetem Zimmer hinter der Rezeption mitbekommen und es scheint ihm etwas unangenehm zu sein. Vermutlich liegt der Fehler bei booking.com, bemerkt er, denn das ist die Vermittlerplattform. Besser wäre es gewesen, wenn wir uns direkt an das Hotel gewendet hätten. Er entschuldigt sich für unsere Unannehmlichkeiten und bietet uns als Entschädigung einen Sonderpreis an. Ich frage, ob es denn auch bei dem gebuchten Appartement bleibt und er bestätigt.

Wir zahlen jetzt 89 Doller statt 139 Doller pro Nacht!!

Wir erzählen auch ihm, dass wir auf unser Motorhome aus Hamburg warten und nicht genau wissen, wann es mit dem Containerschiff Halifax erreichen wird.„Kein Problem.“, sagt er, „ihr könnt bleiben solange ihr wollt!“.

Amazing!

Wir bekommen Room 222, ein Eckappartement im 2. Stock. Als wir sehen und realisieren, wo wir die nächsten 10 – 15 Tage wohnen werden, da sind wir endlich angekommen in Canada, angekommen in Halifax. Wir haben eine fantastische Aussicht, sowohl aus der großen Wohnküche mit dem langen Schreibtisch und dem riesigen Flatscreen TV, als auch aus dem Eckschlafzimmer mit Blick auf die kleine Straßenkreuzung mit dem „Durty Nelly`s“, dem Irish Pub schräg gegenüber und dem „Gahan House“, einer weiteren Micro Brewery. Das Bad ist sehr geräumig mit einer 2 m langen Dusche und alles ist supersauber. Der Kühlschrank ist amerikanisch, also riesig, aber er ist leer.

„Jutta, lass uns mal eben rüber gehen in den Liquor Store, damit der Kühlschrank auch einen Sinn bekommt.“ Wir kaufen etwas Wein und einen Karton Molson Canadian und einen weiteren mit Pabst Blue Ribbon. Jetzt bin ich glücklich und tatsächlich angekommen in Nordamerika.

Tolle Aussicht, was?!

Wie ungewiss war das alles noch vor Wochen? Jetzt fehlt nur noch LEMMY. Ich sehe mich mindestens zwei Sessions arbeiten hier. Zwei Nachtschichten nehme ich mir vor, Georgia Chapter I und Chapter II werde ich hier fertig stellen. Ich habe hier alles was ich brauche. Ich habe hier mehr als ich brauche. Ein stabiles WLAN, einen riesigen Kühlschrank, eine atemberaubende Aussicht auf eine verschneite und inspirierende Hafenstadt. Ich habe einen riesigen TV auf dem ich meine YouTube Videos schauen kann, denn ich bin eingeloggt. Ich kann zur Entspannung Netflix schauen, wenn das Wetter schlecht ist, denn auch damit bin ich eingeloggt. Das Frühstück ist im Preis inklusive und ich kann es mir sogar liefern lassen. Doch bevorzuge ich es, es mir unten selber zusammenzustellen. Eine junge, nette Inderin kümmert sich um unser Frühstück. Sie ist selber gerade erst vor Kurzem in Halifax angekommen, um hier mit ihrer Familie ein neues Leben zu beginnen und erzählt uns immer ein wenig aus ihrem Leben.

Sogar der TV begrüßt uns! Time to relax lassen wir uns nicht zweimal sagen!

Die Probleme liegen tatsächlich erst mal hinter uns und wir akklimatisieren uns im Winter von Nova Scotia. Als Erstes müssen wir groß einkaufen, das machen wir im Atlantic Super Store. Dann erkunden wir die Gegend und haben perfektes Winterwetter. Es sind immer noch minus 14 Grad, aber die Sonne scheint. Wir beginnen mit der Waterfront, mit den ganzen bunten Fressbuden, die allerdings jetzt geschlossen haben und auf den Sommer warten. Wir sehen den Farmers Market und wollen dort unbedingt am Wochenende einkaufen. Sehen das Scotiabank Center, wo demnächst The Offspring spielen soll. Ich überlege mir Tickets dafür zu kaufen. An der Waterfront sage ich zu Jutta: „Wenn LEMMY in Halifax einläuft mit der Atlantic Star, dann will ich das von hier aus beobachten und filmen.“

Waterfront bei -14 °C

Sie sagt, etwas weniger enthusiastisch: „Mal sehen, wir wissen ja noch gar nicht wann das sein wird. Es kann ja auch mitten in der Nacht sein.“

Da hat sie natürlich recht.

Wir genießen die Zeit unglaublich in unserem Appartement. Und wie zu erwarten war, ist auch Juttas Sporttasche mittlerweile eingetroffen. Die Tage gehen dahin und wir fühlen uns schon ganz Zuhause. Ab und zu gehen wir ins Durty Nelly`s, um ein paar Bier zu trinken und Live Musik zu hören. Wobei hier gewissenhaft geprüft wird, ob man geimpft ist. Es geht alles, aber der Impfstatus ist enorm wichtig und das Personal trägt Maske. Der Gast trägt nur Maske bis er am Tisch angekommen ist. Bars und Restaurants haben mit Plexiglasscheiben die einzelnen Sitzbereiche abgetrennt, so wie wir es seit langem kennen.

Erster Einkauf – war noch so viel Platz im Kühlschrank neben dem Bier 😉

Nach einer Weile finden wir auch heraus, dass der Atlantic Super Store ein klasse Laden ist mit einer riesigen Auswahl, wir aber alles viel günstiger woanders bekommen. Wir lernen Halifax kennen. Und ich lerne Halifax lieben. Mich stört es auch nicht, wenn das Durty Nelly`s bereits gegen Mittag anfängt laute Musik aus den Außenboxen auf die Straße zu übertragen, weil es meistens gute Musik ist. Jutta ist manchmal genervt davon. Es ist nicht sehr laut, aber wir hören es im Wohnzimmer und auch im Schlafzimmer.

„Was stört dich das denn, ist doch gute Musik.“, sage ich zu ihr.

Und nachts, so etwa gegen 22:30 Uhr schreit immer Einer wie wild draußen rum. Sehen kann ich ihn nicht, er läuft zu dicht an der Wand entlang und unser Fenster lässt sich nicht öffnen. Wir wissen nicht warum er so brüllt, denn es ist nicht zu verstehen was er brüllt. Aber nach ca. 10 Minuten ist er wieder ruhig. Für mich wird all das zu einer lieb gewonnenen Routine.

Ich schaue oft aus dem Fenster, denn die Aussicht ist wirklich grandios. Die Straßen sind geräumt, aber es ist trotzdem noch fast alles weiß vom Schnee. An den Ecken der Kreuzung türmen sich die Schneeberge. Wenn es Abend wird, färbt sich die Straße gegenüber leicht lila, durch die Straßenbeleuchtung und den bunten Lampen über der Straße, die wohl noch von Weihnachten dort hängen.

Eines Abends, als wir leckere Pasta gegessen haben und dazu einen süffigen Wein getrunken haben, da war Jutta bereits im Bett und ich habe noch Musik gehört und aus dem Fenster geschaut. Die Stunde des Schreihalses war lange vorbei, aber vor dem Durty Nelly`s war noch ein wenig Betrieb.

Ich beobachte also von oben, aus meinem Appartement, wie ein Obdachloser vor dem Irish Pub die Tür für die kommenden Gäste öffnet und auf ein kleines Trinkgeld hofft.

Der Türsteher kommt unverzüglich raus und jagt die obdachlose Person zum Teufel. In dieser Nacht hatte ich einen unruhigen Schlaf. „Du hast tatenlos zugeschaut!“, sagte etwas in mir. Und mit dieser Unzulänglichkeit wurde ich nicht das erste Mal konfrontiert und auch nicht das letzte Mal.

Tage, an denen das Wetter nicht zum Spazierengehen einlädt, vertrödeln wir auch mal komplett zuhause. Der Kühlschrank ist voll und wir haben Spiele dabei, Bücher, Sudokus und natürlich meinen Laptop zum Arbeiten. Allerdings arbeite ich nicht nur, hier an meinem Schreibtisch zocke ich auch ganz gerne mal Hearthstone. Das ist ein ziemlich kompliziertes, virtuelles Kartenspiel mit animierten Karten aus dem World of Warcraft Universum. Lange Erklärungsversuche lasse ich mal beiseite. Auf jeden Fall gehen da schnell ein paar Stunden verloren. Aber auch hier stellt sich mir die Frage: „Sind die Stunden wirklich verloren?“

Mit Netflix können wir Filme in deutscher Sprache schauen, denn ich bin mit meinem Account angemeldet. Wir lieben es Filme zu schauen oder auch mal eine Serie.

Ich könnte heute auch mal wieder eine Nachtschicht einlegen, kommt es mir in den Sinn. Ich will Georgien in zwei Chapter aufteilen und diese beiden Chapter sollen in Halifax geboren werden.

Läuft!

Schon vor dem Abendessen setze ich mich an den Schreibtisch und fahre den Laptop hoch. Aus der Küche hole ich mir einen Becher Tee und spaziere an der, auf dem Sofa lesenden Jutta vorbei, ans Fenster. Kurzer Blick raus, jetzt ist der Laptop startklar.

Der Cursor blinkt oben links auf einer reinen, weißen und unbeschriebenen Seite. Zum Glück muss ich mir um den Titel keine Gedanken machen, denn den weiß ich immer schon, bevor das letzte Chapter vollendet ist. Also schnell den Titel GEORGIA – CHAPTER I eintippen und der erste Bann ist gebrochen. Wie war denn noch der Untertitel? Ich glaube …und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht….

Aber soweit bin ich noch lange nicht, womit fange ich an?

„Stört es dich, wenn ich mir etwas Musik anmache?“, frage ich Jutta.

„Wenn du keine Krachmusik anmachst nicht.“, sagt sie, “dabei kann ich nicht in Ruhe lesen!“

Mir fällt ein, dass mich der Soundtrack von SONS OF ANARCHY schwer begeistert hat und dass es auf keinen Fall Krachmusik ist.

Also schalte ich den riesigen Fernseher ein, öffne YouTube und suche den Soundtrack. Da ist er schon. Etwas leise Musik im Hintergrund wirkt auch inspirierend auf mich. Ich finde irgendwie einen Anfang und fange an zu schreiben. Zwischendurch wechsel ich den Tab und schaue in den Ordner mit den Fotos von Georgien. So gleite ich langsam immer tiefer rein, Erinnerungen werden wieder lebendig, ich bin jetzt nicht mehr in Kanada, ich bin wieder in Georgien….

Es ist schön an einem großen Schreibtisch zu sitzen und zu schreiben. Das habe ich auch im Waterhole genossen. Es geht natürlich auch im Auto, denn da habe ich auch alles was ich brauche. Ich habe einen Kühlschrank, kann mir Tee und Kaffee kochen, habe ein kleines Bad und meine Sitzecke zum Schreiben. Aber alles ist viel enger und wenn Jutta schlafen will, dann störe ich sie und manchmal wacht sie auf, wenn ich mir eine Dose Bier öffne. Ich habe auch schon mit den großartigsten Aussichten draußen geschrieben, doch irgendwann wird es nachts einfach zu kalt und ich muss mich in die beheizte Kabine zurückziehen.

Jedenfalls ist dieses Appartement im Residence Inn by Marriott dermaßen inspirierend, dass ich schnell die Zeit vergesse und meinen Schreibfluss nur für ein kurzes Abendbrot unterbreche.

Nun gebe ich Pearl Jam bei YouTube ein und schreibe weiter.

Das erste Bier steht neben dem Laptop.

Wo ist eigentlich Jutta? Liegt sie schon im Bett? Und was läuft da für Musik?

Ich sehe drüben im Schlafzimmer nach.

„Da bist du ja.“, stelle ich fest.

„Ja, ich lese noch etwas vor dem Schlafengehen.“, sagt sie lächelnd.

„Alles klar, gute Nacht und schlaf schön.“, sage ich. Nach einem Gute Nacht Kuss schließe ich leise die Schlafzimmertür und hole mir etwas aus dem Kühlschrank. Dann mache ich eine andere Musik an und schaue kurz aus dem Fenster. Ist der Schreier eigentlich schon durch heute?

Diese Aussicht gibts in allen Farben

Wenn ich nichts eingebe bei YouTube wird gespielt was die KI für mich passend hält. Weil Jutta keine Krachmusik wollte heute und ich beim Schreiben auch lieber ruhigere Titel höre, ertönt plötzlich ein Song, den ich noch nie zuvor gehört habe. Ich drehe mich in meinem Schreibstuhl zum Fernseher und sehe CHET BAKER. Dabei streife ich das Fenster und draußen tanzen dicke, weiße Schneeflocken vorbei. Wie geil ist das denn? CHET BAKER performt live „I`m a fool to want you“, einen wahnsinnig intensiven und geilen Jazz Song. Gebannt schaue ich mir dieses 9.16 Minuten lange Video an und bin fasziniert von diesem Künstler. Ich mache Fotos von ihm auf dem TV Monitor. Entdecke ich gerade die Liebe zum Jazz? Ich weiß es nicht, aber Chet Baker finde ich grandios und er wird mich in Zukunft weiter begleiten. Es ist Zeit für ein weiteres Bier. Ich hole mir eine kalte Dose Pabst Blue Ribbon aus der Küche und nehme sie mit zum Fenster. Wenn das keine perfekte Nacht ist!

Chet Baker im TV

LEMMY hat nun endlich (mit 8-tägiger Verspätung!) am 18.01.22 den Hafen von Hamburg Richtung Liverpool verlassen. Wir schauen gelegentlich bei „Marine Traffic“ wo sich die „Atlantic Star“ aktuell befindet. Leider muss man jede Positionsabfrage über Satellit mit knapp 2 Euro bezahlen. Allerdings kann man dann für 24 Stunden die weitere Fahrt beobachten. Nur wenn sich das Schiff in Küstennähe befindet, kann man das umsonst verfolgen. Am 24.01.22 verlässt LEMMY dann im Bauch des riesigen Containerschiffs Liverpool in Richtung Halifax, Nova Scotia.

Wir haben uns für die letzten Tage ein Auto reserviert, damit wir hier auch ein bisschen beweglicher sind und unsere Kreise erweitern können. Ich möchte gerne den GMC Suburban und wir haben auch bereits einen Abholtermin am Flughafen. Wir stellen fest, dass die Preise für Leihwagen schwanken wie die Aktienkurse an der Börse. Innerhalb von Minuten kann sich der Preis um 40-100 % erhöhen. Wir schlagen schnell zu, als wir ein guten Deal abschließen können. Leider müssen wir das Fahrzeug vom Flughafen übernehmen. Um rauszufinden, wo der Airportshuttlebus fährt, suchen wir die Haltestelle bei einem Spaziergang schon mal vorher. Dann wissen wir auch wie lange wir brauchen, um von Zuhause dorthin zu laufen. Ich mache dabei auch gerne mal eine Daily Challenge. Von meiner Schwester und ihrem Freund Walter habe ich dazu einen kleinen Karton mit 75 Karten bekommen. ANYWHERE TRAVEL GUIDE steht da drauf. Und darunter steht dann noch: „75 Cards for discovering the unexpected whereever your journey leads.“

Wenn MANN sonst nix zu tun hat….

Auf jeder dieser 75 Karten steht eine andere Aufgabe, die dann meine DAILY CHALLENGE ist. Ich ziehe immer die vorderste Karte aus dem Karton und dann erledige ich, was darauf geschrieben steht. Heute z. B. soll ich überall raufklettern, was sich mir unterwegs so bietet. Das können Mauern sein, Statuen, Balkone, Zäune und im Grunde alles, wo man irgendwie hinauf kommt. Man geht mit so einer Aufgabe ganz anders durch die Stadt. Natürlich wird morgens die Challenge fotografiert und auf Facebook und Instagram gepostet, um dann am Abend die tagsüber gemachten Beweisbilder zu posten. Damit man sieht, dass ich geliefert habe. Die Aufträge können ganz unterschiedlich sein und manchmal fallen sie mir sehr leicht und machen viel Spaß. Aber manchmal sind sie eher unangenehm und ich habe keine große Lust das zu tun, wozu ich aufgefordert bin. Einmal sollte ich nach allem Ausschau halten was blau ist, ein anderes Mal was gelb ist. Im letzten Urlaub gab es eine sehr schöne Aufgabe. Ich sollte eine Botschaft, viel mehr einen Wunsch auf einen Zettel schreiben und derjenige, der den Zettel findet, der sollte selber einen Wunsch aufschreiben und den Zettel irgendwo hinterlegen, wo ein Anderer ihn dann findet. Bei mir war das in Krakau der Fall. Ich hatte einen Wunsch notiert, den Zettel dann zu einem Kranich gefaltet und in einem Restaurant, in dem wir gegessen hatten, in einen Blumenstrauß gesteckt zurückgelassen.

Manche Karten gefallen mir gar nicht, wenn ich z. B. irgendwie „strange“ gehen soll und schlurfen wie ein Zombie, dann mache ich es noch mit (Warschau 2020). Aber wenn ich singen oder tanzen soll, dann nehme ich die Karte und stecke sie ganz nach hinten.

Hier habe ich eine sehr einfache und angenehme Aufgabe:

FIND A PLACE WHERE YOU CAN LIE DOWN

Figure out how the wörld changes from this point of view

the smell, the sounds, the sky.

Describe it to a friend.

Daily Challenge, check!

Mir fällt sofort die Waterfront ein, dort habe ich Hängematten gesehen. Also nichts wie hin und reinlegen und in den Himmel schauen. Was war noch? Ach ja, der Geruch, den soll ich wahrnehmen. Und jetzt soll ich es beschreiben. Na gut, versuchen wir es mal so:

„The sky is blue,

the sound come throu,

the salty sea smells like Stue.“

Daily Challenge Check!

Ein weiterer Wintersturm ist angekündigt worden für das kommende Wochenende. Ausgerechnet jetzt, wo wir den Wagen am Flughafen abholen wollen. So ein Mist, bei Schnee und Eisregen machen wir keine großen Exkursionen mit dem Auto. Jutta storniert den Auftrag und wir buchen einen anderen Wagen für Montag, dann soll die Sonne wieder scheinen. Den Suburban gibt es leider nicht mehr, jedenfalls nicht zu einem akzeptablen Preis. Dafür haben wir einen GMC TRAVERSE reserviert und das sogar in der Stadtfiliale.

Vor dem Wintersturm schauen wir noch mal nach der Atlantic Star, sie ist noch vor dem Sturm, der bereits über dem Atlantik wütet. Wir haben Marine Traffic wieder bezahlt, um aktuelle Informationen zu bekommen. Auch die Wetterkarte können wir sehen und hoffen, dass das Schiff mit LEMMY an Bord nicht in den Sturm gerät.

Wir decken uns noch mit Lebensmitteln und Getränken ein, damit wir nicht raus müssen, wenn das Unwetter tobt. Den Rest sitzen wir in unserem tollen Appartement aus. Abends kochen wir uns leckere Sachen und zum Kaffee gibt es am Wochenende auch gerne mal Kuchen. Wir beobachten das wilde Treiben des wütenden Schneesturmes durchs Fenster und schauen zu, wie sich einzelne Personen durch den Sturm kämpfen und Mühe haben nicht zu stürzen auf der verschneiten, abschüssigen Straße.

So gemütlich…, wenn man nicht vor die Tür muss!

Wir machen es uns gemütlich auf dem Sofa vor dem Fernseher, Jutta liest und ich mache mal ein Sudoku oder spiele etwas Hearthstone. Langeweile haben wir keine.

Mitten in der Nacht werde ich wach. Was ist denn da draußen los? Es hört sich an wie gigantische Staubsauger, die versuchen die ganze Stadt einzusaugen.. Ich stehe auf und schaue aus dem Fenster. Die Schneemassen, die zuvor von den Schneepflügen an den Straßenrand geschoben wurden und sich zu hohen Bergen an den Ecken der Kreuzung auftürmen, werden nun mit Tiefladern und Schaufelbaggern entfernt. Es taut ja auch nichts weg bei minus 14°. Nachtruhe Ade. Ich mach noch mal eine Folge „Die Drei ???“ an, vielleicht klappt es dann doch noch mit dem Schlafen. Wenn nicht, auch egal, dann überlege ich mir, wie es mit GEORGIA CHAPTER II weiter geht.

Trotz wenig Schlaf und einem abrupten Erwachen mitten in der Nacht will ich nicht auf den morgendlichen Kaffee, den Saft und vor allem nicht auf die köstlichen Hash Browns von der Frühstückstheke verzichten. So quäle ich mich morgens dann mal wieder aus dem Bett, um die leckeren Sachen unten abzustauben, bevor der Service um 10:00 Uhr eingestellt wird. Wahlweise gibt es auch Rührei, Joghurt, verschiedenes Obst, Toast und ganz besonders köstliche Cookies oder Muffins. Es ist in der Regel mein Job diese Dinge zu holen, denn Jutta reicht morgens ihr selbstgemachtes Müsli und der Kaffee aus unserer Kaffeemaschine. Wenn ich allerdings morgens schlaftrunken lostapere und mit dem Tablett mit frischem Kaffee und duftenden Hash Browns aufs Zimmer zurückkehre, dann freut sie sich schon, wenn ich alles doppelt geholt habe.

Das Offspring Konzert im Scotia Bank Center wurde leider abgesagt, scheinbar macht auch Kanada aktuell noch keine Großveranstaltungen mit mehreren Tausend Zuschauern. So werde ich noch etwas warten müssen, auf mein erstes Konzert nach langer Zwangspause und nun mehr seit fast zwei Jahren Livemusik Entzug.

Dafür machen wir umso mehr Spaziergänge. Wir haben warme, lange Unterwäsche mitgenommen für die harten kanadischen Wintermonate. Handschuhe, Mützen, Schal sowieso, an alles ist gedacht. Und als wir auch mal wieder an der Waterfront spazieren gehen, den Clocktower und das alte Fort oben auf dem Hügel haben wir längst gesehen, da kommt ein großes Containerschiff auf uns zu, das von Schlepperbooten begleitet wird. Die Atlantic Star kann es nicht sein, das ist unmöglich. Doch ich erkenne ein großes G an der Seite des Schiffes. Das G steht für die Grimaldi Reederei unter der auch die Atlantic Star läuft.

„Jutta!“, rufe ich, „guck dir das mal an, siehst du auch was ich da sehe?“ Ich bin bereits eilig auf dem Weg einem Steg folgend, der mich weiter an die Fahrrinne des Schiffes führt, welches immer näher kommt. Ich zoome mit dem Handy auf den Bug des Ozeanriesen und drücke ab, doch das Foto ist zu unscharf geworden. Ich meine „Atlantic“ kann ich entziffern, doch dahinter steht nicht „Star“. Ich meine „Sun“ könnte es heißen. Es wird ein Schwesterschiff sein, auch unter maltesischer Flagge. Ich werte dies als gutes Omen und freue mich ein ähnliches Schiff beim Einlaufen in den Hafen von Halifax hautnah miterlebt zu haben.

Leider noch nicht die Atlantic Star 🙁

Eine zweite Nachtschicht steht an. Davor habe ich eine Daily Challenge gestartet. Daran werde ich allerdings scheitern. Na ja, nicht komplett, die Challenge beinhaltet mehrere Aufgaben, die ich mir selber stellen soll. Die Karte ist mit vier kurzen Sätzen aufgebaut, die ich in der jeweiligen Leerzeile darunter vervollständigen soll. Nichts leichter als das, wo ist der Bleistift?

Auf der Karte steht:

TODAY I AM GOING TO FIND A: bar with live music

IT`S GOING TO MAKE ME FEEL: drunk and happy

AFTER THAT I WILL: write my Blog

BUT NOT: until tomorrow morning

Eine Bar mit Livemusik zu finden ist nicht schwer in Halifax, außerdem kennen wir ja Eine direkt schräg gegenüber, das Durty Nelly`s. Dort gehen wir hin und trinken ein paar Biere von der Propeller Brauerei. Eins heißt wie ich, auf dem Menü steht: PROPELLER, JURGEN HOPP, das bestelle ich mir. Jutta bevorzugt Wheatbiere wie Hoogaarden oder so ähnlich, ich glaube ich erwähnte es bereits. Die Stimmung ist gut, ein einzelner Künstler spielt mit seiner Gitarre bekannte Coversongs und er hat hier bereits eine Fangemeinde, die fleißig jubelt und mitgrölt.

Jurgen Hopp schmeckt gut!

So, Punkt 1 und 2 von meiner Daily Challenge habe ich erledigt, kommen wir zu Punkt 3, am Blog weiterschreiben. Wir zahlen und gehen zurück in unser Appartement. Drei Minuten später sind wir schon da. Jutta wird noch etwas auf der Couch lesen und ich mache mir ein Molson Canadian auf und setze mich an den Schreibtisch. Etwas leise Musik spiele ich wieder über unseren Fernseher ab, heute Nacht beginne ich mal mit Chet Baker. Irgendwie (finde ich) ist das Großstadtmusik. Das passt perfekt in eine verrauchte Bar in New York oder meinetwegen auch in Hongkong oder Tokyo. Und während Chet am Klavier spielt und ins Mikrofon haucht, da wandert der Blick in meinen Gedanken über die Skyline, denn die Bar ist weit oben und die Fensterfront ist enorm breit.

Aber ich bin weder in New York, Tokyo oder Hongkong. Ich bin in Halifax, muss aber zusehen, dass ich wieder nach Georgien komme. Ich blättere einmal durch die Bilder, versuche mich zu erinnern….Ich öffne meine Blogseite und trinke erst mal einen Schluck. Die Finger liegen über der Tastatur, bereit zu arbeiten. Die Gedanken kreisen. Chet Baker ist im Augenblick nicht das Richtige, ich brauche etwas Anderes. In Georgien hatte Chris doch einmal die Platte von Eddi Vedder laufen, vom „Into the wild“ – Soundtrack, als wir zusammen im Vashlovani National Park unterwegs waren an der aserbaidschanischen Grenze. Das ist jetzt die Musik, die ich brauche. Ich fange an zu schreiben.

Ich schreibe und schreibe, werde aber nicht fertig. Ich wandere in die Küche, hole mir abwechselnd ein Molson und dann ein Pabst, um damit dann aus dem Fenster zu schauen.

Es sieht einfach so grandios aus. Diese Fensteraussicht werde ich vermissen, das ist mir jetzt schon klar. Immer mal wieder muss ich auch den Musikkanal korrigieren und in mich gehen, was ich gerade eigentlich hören will. Viel fehlt nicht mehr bis das Chapter fertig ist, doch heute Nacht schaffe ich es nicht. Es steht auch ein schwieriges Kapitel an, das sollte ich nicht betrunken schreiben. Es geht mal wieder um eine Unzulänglichkeit von mir, als ich einen sterbenden Hund tatenlos habe vorüberziehen lassen. Das wird mir nüchtern aber auch nicht leichter fallen zu schreiben. Ich werde nach diesem Kapitel GEORGIA – CHAPTER II vorzeitig abbrechen, weil es mich emotional echt fertig macht.

Was meine Challenge von heute angeht, so habe ich auch Punkt 3 korrekt erledigt. Ich habe an meinem Blog gearbeitet. Aber Punkt 4 habe ich verkackt, der Morgen ist da und die Sonne geht auf.

Endlich mal wieder rumfahren

Heute ist ein ganz besonderer Tag, wir holen unseren Leihwagen ab. Wir werden ihn für vier Tage behalten bis LEMMY aus dem Hafen geholt wird. Die Sonne scheint und die Schneeberge in der Stadt wurden größtenteils abtransportiert. Wir machen uns auf den Weg zur Stadtfiliale, die am Bahnhof von Halifax ist, nahe dem Atlantic Super Store. Im Bahnhof sehen wir dann auch schon den Avis Schalter.

„Hello, we have a car rental for today.“, begrüßen wir die beiden Damen am Schalter und legen unsere Ausdrucke (die sie uns netterweise im Hotel ausgedruckt haben) vor.

„Da sind sie hier aber falsch, sie müssen in die andere Filiale in Downtown.“, sagt Eine der Beiden.

„Ach so, na gut, vielen Dank!“, sagen wir und verabschieden uns.

Wir wissen genau, wo wir hin müssen, denn dort sind wir schon einige Male dran vorbeigelaufen.

Durch die Stornierung des Suburban und andere Suchoptionen, sind wir wohl etwas durcheinander gekommen. Macht nix, ist nur wenige Minuten zu laufen von hier.

Von Weitem sehen wir schon die Einfahrt in die große Parkgarage und das kleine Office ist in derselben Etage. Ein großer, roter GMC TRAVERSE steht direkt gegenüber. Das ist Unserer und alles klappt ohne Probleme. Der Wagen ist voll getankt und so geben wir ihn auch wieder ab. Wir können unbegrenzte Kilometer fahren und haben eine Vollkaskoversicherung.

Das erste Ziel ist Peggys Cove.

Peggys Cove Lighthouse

Der Wagen begeistert mich sofort. Alles ist vollautomatisch. Es dauert eine Weile bis ich wirklich alles verstanden habe. Ich werde gewarnt, wenn Fußgänger vor mir laufen, wenn ich zu wenig Abstand zum Vorausfahrenden halte. Sogar das Fernlicht schaltet sich automatisch ein, wenn es dunkel ist und wieder aus, bei entgegenkommenden Fahrzeugen. Der Allradantrieb hat sich bei mangelnder Traktion im Schnee selbstständig eingeschaltet, den musste ich manuell dann wieder rausnehmen. Aber das nur am Rande. Wir erreichen Peggys Cove und das dazugehörige Lighthouse. Es ist ein eiskalter, aber sehr sonniger Tag und dieser kleine, verschneite Fischerort hat unglaublich viel Charme. Wir parken oben beim Leuchtturm und stiefeln erst mal dorthin. Von hier haben wir auch einen guten Blick über den Ort. Ich halte Ausschau nach der ATLANTIC STAR, sie wird heute im Laufe des späten Nachmittags oder bis irgendwann in der Nacht in Halifax erwartet. Zu sehen bekomme ich sie nicht.

Wir essen noch zu Mittag hier und ich bekomme im Souvenirshop einen neuen Beercooler. Nach Fish & Chips für mich und einem Fischfilet für Jutta geht es frisch gestärkt weiter nach Lunenburg.

Gedenkstätte des Flugzeugabsturzes von Swissair Flight 111, 1998

Allerdings halten wir vorher noch beim Swissair Flight 111 Memorial und gedenken der 229 Opfer, die bei diesem verheerendem Absturz 1998 ihr Leben verloren haben. Zwei große Granitplatten mit den Namen der Opfer stehen jetzt auf den Felsen an der Küste von Nova Scotia, unweit von Peggys Cove und erinnern für immer an dieses schreckliche Unglück. Wir verbringen hier etwas Zeit, jeder für sich, bis wir dann einvernehmlich, uns nur zunickend, auf den kurzen Weg machen zurück zum Auto.

Lunenburg
An dieser Aussicht hat Jürgen erkannt, dass hier Locke&Key gedreht wurde!

Lunenburg ist eine noch beeindruckendere Kulisse als es Peggys Cove schon war. Dieses kleine Küstenstädtchen wird mit Sicherheit oftmals als Filmmotiv gedient haben und wohl auch in Zukunft werden hier Filme und Serien entstehen. Hier türmen sich die Schneeberge noch meterhoch und es wurde nicht so schnell wie in Halifax geräumt. Die Uhren ticken hier anders, die Zeit scheint stillzustehen. Überall sind alte, bunt gestrichene Holzhäuser. Ein beschaulicher Ort. Viele Häuser scheinen in der Nebensaison leer zu stehen. Es gibt aber einige nette, geöffnete Cafés und kleine Läden mit so allerlei Kram. In vielen Gärten liegt der Schnee mit einer aalglatten Eisschicht über allem und reflektiert das Sonnenlicht. Der Eisregen hatte sich über den Schnee gelegt und gefror sofort. Weil niemand in den unbewohnten Gärten umherläuft, entstehen diese zauberhaften Eislandschaften.

Wir bummeln durch die verträumte Kleinstadt bis uns kalt wird und genehmigen uns einen heißen Kaffee, mit Blick über die Bucht in einem der entzückenden Café-Bars. Danach fahren wir eine andere traumhafte Strecke durch Nova Scotia. Zurück nach Halifax, zurück nach Hause, ein Zuhause auf Zeit. Einen vollen Tag haben wir noch mit unserem roten GMC. Den wollen wir noch komplett nutzen Morgen, am Mittwoch, den 2. Februar 2022, haben wir endlich den Termin um LEMMY aus dem Hafen abzuholen. Vorher müssen wir aber noch zum Zoll und die Einfuhr des eigenen Fahrzeugs regeln. Aber das alles ist erst morgen. Heute haben wir noch frei.

Wir fahren in den Kejimkujik National Park und nach Annapolis Royal. Dieser Rundtrip beginnt morgens und erst am Abend werden wir zurück sein. Es macht Spaß wieder beweglicher zu sein. Ich genieße es sehr wieder hinterm Steuer zu sitzen und neue, unbekannte Gebiete zu erkunden. All das ist hier durch die Verspätung des Containerschiffes zu kurz gekommen. Ursprünglich wollte ich längst mit Jutta und LEMMY auf Neufundland unterwegs sein. Aber durch eine Woche länger OHNE LEMMY haben wir diesen Plan verworfen. Und mit einem Mietwagen nach Neufundland fahren, durch heftige Winterstürme, wo wir hier so fantastisch und günstig wohnen? Nee, haben wir uns gesagt. Wir bleiben hier und nehmen einen Wagen für ein paar Tage, um Nova Scotia etwas zu sehen und um LEMMY aus dem Hafen zu holen. Mit dieser Entscheidung sind wir sehr zufrieden, denn auch heute ist wieder ein kalter, aber sehr sonniger Tag.

Kejimkujik NP

Wir machen uns auf den Weg und zum Teil fahren wir ausgewiesene Scenic Routes, was das Fahren noch großartiger macht. Im Kejimkujik N. P. ist alles voller Schnee und viele Wege sind nicht geräumt, was uns nur zum Teil Einblicke gewährt. Wir fahren alles was geht. Nachdem Jutta erst protestiert hat, lässt sie sich darauf ein, auch die Strecken zu fahren, die eigentlich nicht offen sind. Der Unterschied ist für mich ganz einfach. Es gibt Strecken, da stehen Warnschilder auf denen steht, dass die Strecken im Winter nicht geräumt werden oder nicht patrouilliert werden oder sonst was. Und dann gibt es Strecken die sind zu, da ist dann ein Schlagbaum davor, der abgeschlossen ist. Da fahre ich nicht lang. Die anderen Strecken fahren wir also und lernen nun doch ein wenig diesen Nationalpark kennen. Wir treffen nur auf sehr wenige Menschen und manche sind hier sogar mit Schneeschuhen unterwegs, um nicht so tief einzusinken, denn die Wanderwege sind natürlich auch nicht geräumt.

Noch nicht wirklich für die Saison vorbereitet 😉

Immer mal wieder steigen wir aus dem Auto aus und wandern etwas, gehen mal über eine kleine Hängebrücke oder entlang eines fast zugefrorenen Flusses. Als wir so richtig durchgefroren sind und schon Einiges gesehen haben an den verschiedenen Haltepunkten, verlassen wir diesen einsamen Park, um nach Annapolis Royal an der Bay of Fundy zu fahren. Gegenüber liegt Saint John, dort werden wir in ein paar Tagen übernachten, das wissen wir jetzt aber noch nicht. In Annapolis Royal gehen wir nur etwas spazieren. Genießen noch immer den Schnee und die Sonne, da wir so was etwas vom Waterhole nicht gewohnt sind. Wir essen in einer schäbigen Bar leckere Sweetpotato Fries und trinken dazu einen Kaffee vor der langen Rückfahrt.

Annapolis Royal, auch im Winterwonderland

Mittwoch, 2. Februar 2022

Wir sind um 8:45 Uhr mit Kim Marriott von der Spedition E. H. Mathers am Zollgebäude verabredet. Sie hat Jutta angeboten dorthin zu kommen, damit wir den Weg zu ihrem Büro sparen. Denn dort sind alle im Homeoffice und ihr war es egal, ob sie ins Büro fährt oder sich mit uns am Zoll trifft. Sie muss uns nur einige Papiere übergeben. So sind wir früh aufgestanden heute und ich habe nur kurz ein kleines Frühstück von unten geholt, damit wir pünktlich am verabredeten Treffpunkt sind. Mit dem Aufzug fahren wir direkt in das P2 Parkdeck und um die Ecke steht der rote GMC. Wir kommen pünktlich an und haben es auch direkt gefunden. Das Zollgebäude ist etwas abseits gelegen. Sie sind umgezogen und ca. 8 Meilen vom Hafen entfernt. Von unserem Appartement waren es etwa 20 Minuten zu fahren.

Mein Gesichtsausdruck: Bin bereit, hoffentlich klappt alles!

Wir stehen gerade erst wenige Augenblicke auf dem Parkplatz und da kommt ein weiterer PKW angefahren. Wir gucken wer da kommt und sie guckt, wer da schon steht und schnell ist klar: Wir sind hier verabredet. Sie ist sehr nett und bietet weitere Unterstützung an, sollten wir irgendwelche Fragen haben oder Hilfe benötigen. Auch um die Rückverschiffung wird sie sich kümmern. Sie reicht Jutta einen kleinen Stapel Papiere und wünscht uns alles Gute. Jetzt wird es aufregend. Wir wurden gebrieft, was wir auf bestimmte Fragen antworten sollen und was wir auf keinen Fall sagen dürfen. Das ist aber auch nicht schwer, denn es entspricht alles der Wahrheit. Zum Beispiel sollte man sagen, dass man nie länger als 30 Tage in einer Provinz ist. Sonst muss das Auto in der Provinz angemeldet werden. Man ist natürlich nur als Tourist unterwegs und verschifft das Fahrzeug auch wieder nach Deutschland zurück.

Wir gehen rein und kommen direkt durch an den Schalter, es ist niemand sonst hier außer den Zollbeamten. Eine junge Dame kümmert sich um uns und checkt alle Papiere sorgfältig durch.

„Haben sie auch Fahrräder dabei?“, will sie wissen. Da wir nichts zu verheimlichen haben, bestätigen wir die Frage mit einem Ja. „Die sind nicht angemeldet!“, sagt sie. „Oh, wir haben aber bei Seabridge angegeben, dass wir zwei Mountainbikes mitnehmen werden.“, sagen wir und hoffen, dass es keine Probleme deswegen geben wird.

„Wollen sie die Fahrräder auch wieder mit zurück nach Deutschland nehmen?“ „Ja selbstverständlich!“ bestätigen wir zeitgleich.

Sie will noch wissen wie lange wir bleiben wollen und wann unser Rückflug ist und ob wir schon einmal in Kanada waren. Ich antworte, dass wir schon zweimal in Kanada waren, einmal an der Westküste in BC und Alberta und das andere Mal in Ontario an der Ostküste. Dann berichte ich ihr noch von unserer geplanten Route durch die USA und die Wiedereinreise im Mai in British Columbia.

„Herzlich willkommen in Kanada!“, sagt sie und reicht uns alle abgestempelten Papiere und Unterlagen zurück. „Wow, das ging doch super.“, sage ich zu Jutta. Beide sind wir mega erleichtert eine weitere Hürde genommen zu haben. Wenn es jetzt im Hafen genauso einfach läuft wie vor drei Wochen in Hamburg, dann haben wir bis heute Mittag alles erledigt und LEMMY und wir sind wieder vereint. Jutta hat ein wenig Bauchschmerzen, weil sie dann LEMMY zum Residence Inn by Marriott fahren muss.

Aber jetzt geht es erstmal zum Hafen. Das ist nicht ganz so einfach zu finden, denn die Navigation ist etwas unübersichtlich mit den ganzen Brücken und Unterführungen, so dass wir uns prompt verfahren und einen zweiten Anlauf wagen. Macht aber nichts, denn wir wissen, wo ich falsch gefahren bin und werden es diesmal richtig machen.

Beim zweiten Anlauf nehme ich die richtige Ausfahrt und wir erreichen das Hafengelände. Ich parke meinen roten GMC und laufe zum hohen Maschendrahtzaun, der das gesamte Gelände umgibt. Dann sehe ich LEMMY da stehen. Aufgeregt rufe ich Jutta zu: „Da ist er, ich sehe ihn!“

Da steht LEMMY!!!!!!

In dem kleinen Häuschen vor einer Schranke sagen wir unseren Namen und zeigen die Papiere vor. Wir sollen uns in einen Wagen setzen und dort warten. Kurze Zeit später werden wir durch die Schranke in das Hafengelände gefahren. Hier dürfen wir beide mit. In Hamburg durfte nur eine Person auf das Hafengelände. Ich bin ganz froh, dass Jutta dabei ist. Vor einem weiteren Gebäude werden erneut alle Papiere geprüft und ich bekomme meinen Autoschlüssel ausgehändigt, den ich zuletzt in Hamburg in Händen hielt. Jetzt kann ich LEMMY unter die Lupe nehmen. Er sieht gut aus. Es ist zwar alles gefroren und mir wird auch sofort eine Starthilfe angeboten. Doch LEMMY springt sofort an. Alle Fenster und Türen sind mit roten Aufklebern versiegelt. Wir checken alles und befinden alles für gut. Jetzt mache ich noch die Kennzeichen dran, die ich im Handgepäck mitgenommen hatte, damit sie kein Seemann als Souvenir behält.

Ziemlich durchgefrostet der arme LEMMY!

Jutta schaut mich besorgt an, „Die Bordbatterie ist komplett runter, die Ladespannung ist bei 7 V!“ „FUCK!“, sage ich. Soweit war sie noch nie runter. Der schlimmste Tiefstand war 10,2 V in Split, als wir umdrehen mussten zu unserem Daniel Düsentrieb in Zadar. Wir hoffen, dass sie sich durchs Fahren erholt und keinen bleibenden Schaden genommen hat. Mehr können wir jetzt auch gar nicht machen. Wir sind mehr denn je auf die Bordbatterie angewiesen, denn wir haben uns gegen Stromkabel und Trafo entschieden. Wir werden 6 Monate nur mit Solarstrom reisen und durch das Laden der Batterie während der Fahrt.

Mit einem mulmigen Gefühl verlassen wir den inneren Hafenbereich und ich fahre LEMMY auf den Parkplatz zum GMC. So ein Mist, richtige Freude kommt jetzt noch gar nicht auf. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Aber was solls? Ändern können wir eh nichts.

Ich gebe Jutta meinen Autoschlüssel und fahre sehr langsam mit dem GMC vorweg. Sie folgt mir mit LEMMY. Als wir unser Hotel sehen, fahre ich den Leihwagen direkt in die Parkgarage auf P 2 unter dem Residence Inn by Marriott und Jutta parkt wie verabredet direkt vor dem Hotel. Dort ist ein kostenpflichtiger, geschotterter Parkplatz, wo LEMMY für unsere letzte Nacht im Appartement stehen wird.

Ich fahre mit dem Aufzug vom Parkdeck in die Lobby und gehe rüber zu Jutta auf den Parkplatz. Die Bordbatterie wurde etwas aufgeladen durch die Fahrt, doch die Frage ist, ob sie die Spannung hält bei der Kälte und ob ein bleibender Schaden entstanden ist oder nicht. Das werden wir morgen rausfinden, wenn wir uns auf den Weg machen in die USA. Ein weiterer Wintersturm wurde angekündigt für Nova Scotia und große Teile der Ostküste und wenn möglich, werden wir dem morgen einfach wegfahren. Jetzt geht es für eine letzte Nacht in unser liebgewonnenes Appartement und wir packen schon mal unser Gepäck zusammen. Mein Trolley hat die Reise nicht gut überstanden und der Reißverschluss lässt sich nicht mehr richtig schließen. Deshalb entschließe ich mich dazu, ihn gar nicht erst als Ballast mitzunehmen. Ich werde morgen früh beim auschecken fragen, ob ich ihn dalassen kann. Mein lieber Kollege Frank aus der Dekoabteilung hatte mir den Trolley sogar schon einmal repariert und er hat mir seitdem noch einige Jahre gute Dienste geleistet.

Das Packen haben wir erledigt und nun genehmigen wir uns noch ein Feierabendbier und überlegen wie weit wir morgen fahren wollen und ob wir dem Sturm überhaupt entkommen können. Portland ist Thema und Bangor/Maine ebenfalls. Wir werden sehen. Es hängt am Wetter und wann wir loskommen und so weiter…

Jutta geht ins Bett und ich hole mir noch ein Pabst Blue Ribbon aus dem Kühlschrank. Ich brauche noch etwas Zeit, um aus dem Fenster zu sehen, Musik zu hören und mich still zu verabschieden, aus dem Residence Inn by Marriott. Und von Halifax, einer weiteren Metropole an die ich mich sehr gerne erinnern will und die ich in etwas weniger als 6 Monaten wieder besuchen werde. Nach einem weiteren Pabst Blue Ribbon und einem Molson Canadian und Chet Baker aus der TV Musikbox logge ich mich noch aus Netflix aus, damit niemand hier meinen Account nutzen kann und mache mich bettfertig. Mit gemischten Gefühlen gehe ich schlafen.

Werden wir dem Wintersturm entkommen? Hat die Bordbatterie Schaden genommen? Werden wir ohne Probleme in die USA einreisen können? Wir müssen morgen einige Male laufen um alles Gepäck in LEMMY umzupacken. Dann müssen wir noch tanken. Erst den GMC, den wir auch danach abgeben müssen und anschließend LEMMY, der nur noch etwa 35 Liter Diesel im Tank hat.

Auch die anderen Aussichten sind sehenswert!

Mit diesen Gedanken gehe ich ins Bett und schlafe gut, dank der drei ???.

Es gibt wieder nur ein kurzes und schnelles Frühstück. Die große Dusche mit unbegrenzt heißem Wasser wird ein letztes Mal ausgiebig genutzt und danach wird alles ins Auto verladen. Wie sich rausstellt war meine Strategie die Bessere. Ich hatte im Waterhole (zwei Tage bevor LEMMY in den Hafen von Hamburg gebracht wurde) angefangen zu packen. So wusste ich genau, was im Auto ist und was ich in meinem Trolley habe. Jutta hatte schon zwei Wochen vorher angefangen Sachen im Auto zu verstauen. Immer mal wieder hatte sie was dazu getan. Irgendwann wusste sie gar nicht mehr so genau was sie schon verladen hatte. LEMMY war in Waltershof im Hafen und dann ging es ja noch ans Packen für den Flug. Da hat sie dann auch noch Einiges mitgenommen, um für alles gerüstet zu sein. Ich habe alles am 08.01.22 gepackt, alles was ins Auto soll und den Rest für den Flug, was ich für die erste Zeit in Halifax brauche. Ich wusste genau was ich habe und wo ich es habe. Jutta hatte etwas den Überblick verloren, wie mir schien. Und jetzt, wo sie feststellt, was sie alles schon im Auto hat und nun noch dazu unterbringen muss, da dämmert es ihr. Sie hat viel zu viel mit. Besonders warme Wintersachen hat sie ohne Ende dabei. Ich predige ihr immer schon, dass das Zwiebelprinzip das beste System ist. Ich komme mit wenigen Sachen bei eiskalten Temperaturen klar. Ich fühle mich bestätigt in meiner Philosophie, sie wird dagegen argumentieren. Aber egal, ich kenne das.

Bei so einem krassen Winterwetter MUSS Frau doch mindestens 10 kg dicke Klamotten dabei haben, oder 😉

Nach dem Frühstück tanken wir den GMC voll, an der Tankstelle beim Atlantic Super Store und bringen ihn zurück zu Avis in die Garage.

Danach checken wir aus und ich frage, ob ich meinen defekten Trolley in der Lobby stehen lassen kann und ob wir wieder so einen tollen Deal bekommen, wenn wir im Juli zurück kehren nach Halifax. Kein Problem mit dem Trolley, den kann ich da lassen und sie werden uns wieder eine guten Deal anbieten. Aber weil im Juli Highseason ist, wird es etwas mehr kosten. Wir bedanken uns für die tolle Zeit, die wir dort hatten und für alle Annehmlichkeiten, die sie uns geboten haben und verabschieden uns nur vorübergehend.

Jetzt wird LEMMY voll getankt und es geht weiter in ein neues Reiseabenteuer. Jetzt endlich mit dem eigenen Overlandtruck in Nordamerika.

…und was als nächstes geschieht…

CHAPTER II – LEMMY GOES NEW YORK CITY

…und wie ich auf den Spuren von Robert de Niro wandle und warum ich 139 $ für einen Parkplatz in New York bezahle…