Chapter 11 – Georgien

…und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht…

Es kann doch so einfach sein!

BATUMI wird heute unser Ziel sein, wahrscheinlich die zweitgrößte Stadt Georgiens. Manchmal liest man auch Kutaissi sei die zweitgrößte Stadt. Uns ist das egal. Davor müssen wir aber erst die Grenze überqueren. Gerüstet sind wir mit aktuellen PCR Tests und allen nötigen Formularen und Versicherungen. Von anderen Reisenden haben wir erfahren, dass sie an der Grenze abgewiesen wurden, weil der PCR Test zwei Stunden überfällig war, also 74 Stunden alt. Sie wurden zurückgeschickt nach Hopa und mussten den Test noch einmal machen lassen. Unser Test ist erst ein paar Stunden alt. Bevor wir aufbrechen, lasse ich noch meine Latschen beim Schuhmacher richten. „10 Lira wird es kosten!“, sagt er mir vorher. Er ist eine Weile damit beschäftigt und braucht eine Menge Kleber. Ich beobachte, während ich warte, die backgammonspielenden Männer, die gelegentlich an ihrem Tee schlürfen. Andere Männer schauen ihnen beim Spielen zu und kommentieren hin und wieder. Meine Latschen werden noch auf Hochglanz geputzt nachdem sie repariert sind. Ich gebe dem Schuster 20 Lira, weil ich denke, dass er sich eventuell dabei verschätzt hat, wieviel Kleber er wirklich dafür braucht. Ich bin glücklich und er ist glücklich. Jetzt können wir fahren, Jutta sollte LEMMY soweit klar haben.

Batumi – schräge Bauten überall

Bis Batumi sind es nur etwa 45 Minuten, ohne die Zeit an der Grenze mitzurechnen. Auf dem Weg wird kurz Thema, was da in Kars wohl mit dem PKW war, der sich oben am Castle neben uns gestellt hatte und die ganze Nacht dort oben geblieben ist bis zum nächsten Morgen. Und das bei Temperaturen unter Null Grad. Jutta war das zunächst etwas unheimlich. So dachten wir beide unabhängig voneinander darüber nach. Ich hatte die Idee, dass er wohlmöglich zu unserem Schutz dort steht, was Jutta für völlig abwegig hielt. Passiert ist uns nichts dort oben, also Böses wollte er nicht. Kars ist eine sehr, sehr arme Stadt mit enorm hoher Arbeitslosigkeit. Ich hielt es für durchaus möglich, dass wir beim rauffahren gesehen wurden und sich jemand darum sorgte, dass den Fremden nichts geschieht in ihrer Stadt, wo die Not der Menschen groß ist. Erfahren werden wir es nie, aber ich will gerne an meine Theorie glauben, weil es sich gut anfühlt.

Sarpi – Grenzstation Georgien

Wir erreichen die Grenze und es warten nur wenige Fahrzeuge vor uns. Jetzt wird es spannend, haben wir auch an alles gedacht? Langsam aber stetig geht es voran, bis wir endlich an der Reihe sind. Die Ausreise aus der Türkei gelingt problemlos. Ein kurzes Stück fahren wir im Niemandsland und dann dasselbe von vorne. Wir zeigen alles was wir vorbereitet haben vor und es wird gewissenhaft geprüft. „Welcome to Georgia!“, heißt es kurz darauf von der netten Beamtin. Wir lassen das futuristische Grenzgebäude hinter uns und fahren durch ein neues und uns unbekanntes Land, drauf los in ein neues Abenteuer.

Batumi – Vorstadt

Das Erste was dann zu tun ist, das ist Juttas Part. Eine Simkarte für unseren Router muss her, damit wir Internet haben und recherchieren können, damit wir verbunden sind mit der Welt. Dazu halte ich schnellstmöglich, nachdem wir die Stadtgrenze von Batumi erreicht haben. Es ist noch Vorstadt und wir sammeln erste Eindrücke. Der Verkehr soll besonders fürchterlich sein und auch die Straßen, aber ich bin darauf eingestellt und rechne jederzeit mit allem. Ich parke vor einem Beeline Telecommunitation Shop, den Jutta schon in Hopa rausgesucht hatte, und warte wie üblich eine gefühlte Ewigkeit. Dann kommt sie grinsend aus dem Laden, mit einer neuen Tasche als Geschenk, weil sie den Premiuminternetdeal abgeschlossen hat. Die Beratung und Verständigung war perfekt und megafreundlich. Mit diesem Deal sind wir voll ausgerüstet mit reichlich Volumen für wenig Geld. Georgien empfängt uns mit offenen Armen.

Batumi Zentrum

Jetzt geht es durchs Zentrum, um hinter Batumi einen Stellplatz in einem botanischen Garten anzufahren, den Jutta auch schon im Vorfeld recherchiert hat. Dort kann man über Nacht stehen, für ca. 10 Euro. Aber Augenblick mal! „Was war das denn, hast du das auch gerade gesehen?“, frage ich Jutta. „Nee, was denn? Ich hab nichts gesehen.“, sagt Jutta. „Da war so ein Tower mit einem Riesenrad oben dran, den muss ich mir näher ansehen.“, sage ich. Ich wende und wir fahren zu einem kostenpflichtigem Parkplatz, an dem wir zuvor schon vorbeigefahren sind. „Es war irgendwo in dieser Richtung, meine ich.“, sage ich zu Jutta und die Suche beginnt. Das Tolle dabei ist, dass wir jetzt schon mal einen Innenstadtbummel machen, der gar nicht geplant war, denn Batumi hatten wir eher für den Rückweg vorgesehen. Wir kaufen zwei Flaschen georgischen Rotwein in einem kleinen, netten Weinladen, entdecken eine Metalkneipe, bei der auch auf dem Bürgersteig Guns N‘ Roses aus den Boxen dröhnt und mittags Bier getrunken wird. Wir sehen den Hafen und die Promenade und finden auch irgendwann diesen Tower, der tatsächlich im oberen Drittel ein Riesenrad an der Außenfassade trägt.

Batumis Zentrum macht im Gegensatz zur Vorstadt einen sehr modernen und wohlhabenden Eindruck. Das ist aber erstmal nur sehr oberflächlich, denn auch hier gibt es viel Armut. Das was wir zu sehen bekommen, bevor wir diese moderne Metropole zunächst verlassen, das wird uns deprimieren und eine Weile verfolgen. Wir kaufen noch etwas Kaffee in einem Spezialitätenladen und essen ein Rollo mit Hühnchen, nachdem wir auf deutsch angesprochen wurden, als wir an einem offenen Fenster darüber gesprochen haben, was wir denn zu Mittag essen wollen. Ein Mann, der vorher in Deutschland gelebt hat, hörte unsere Unterhaltung vor seinem geöffnetem Fenster, an dem er auch Außer-Haus Verkauf anbietet. Er kann uns überzeugen seine Rollos zu probieren, die Besten der Stadt. Wir teilen uns ein riesiges Rollo in seinem Restaurant und können danach gesättigt aufbrechen zum Stellplatz im botanischen Garten. Ich bin glücklich schon mal einen guten Eindruck von Batumi gewonnen zu haben und diesen Tower mit dem Riesenrad an der Fassade gefunden zu haben. Ich nehme mir vor, auf dem Rückweg mindestens eine Nacht hier zu verbringen, um dann noch die Metalkneipe zu besuchen. Als wir auf dem Parkplatz zurückkommen bietet sich uns ein Bild, das wir nicht so schnell vergessen werden. Wir schauen wo wir den Parkschein bezahlen können und dann sehen wir einen kleinen Jungen, der halb unter unserem Camper hockt, genauer gesagt unter dem Fahrradträger und dort seine Notdurft verrichtet. Wir geben ihm Zeit und drehen eine kleine Runde, um das erstmal zu verdauen. Es ist wohlgemerkt ein öffentlicher Parkplatz, mitten in der belebten Innenstadt, zu allen vier Seiten offen und einzusehen. Schutz bot diesem Jungen nur eine Seite unseres Fahrzeugs und die Bikes über ihm. Toilettenpapier hatte er nicht zur Verfügung und als wir kurz darauf den Parkplatz verlassen, da steht er schon wieder bei seiner bettelnden Familie am Rande der Ausfahrt. Wir fahren weiter, etwas überfordert mit der Situation und reden nicht viel.

Innenstadtparkplatz Batumi

Bald darauf verpassen wir die richtige Einfahrt zum botanischen Garten und müssen einen kleinen abenteuerlichen Pfad hochfahren, auf dem wir dann aber glücklicherweise wenden können und finden schließlich die richtige Abbiegung zu Juttas angestrebtem Platz für die kommende Nacht. Durch die Probleme, die wir hier in wenigen Minuten haben werden, vergessen wir den Vorfall mit dem kleinen Jungen, der unter unseren Wagen gekackt hat und sich die Hose hochziehen musste, ohne sich richtig sauber machen zu können.

Wir müssen umgerechnet etwa 10 Euro zahlen und das ist ganz schön teuer. Aber Jutta will gerne die erste Nacht in Georgien auf einem sicheren, als Stellplatz ausgeschrieben Ort stehen. Wir zahlen im Voraus und bekommen eine Map mit den markierten Flächen, wo wir überall stehen dürfen. Leider hat es viel geregnet die letzten Wochen. Das haben wir ja schon von unseren neuen Freunden erfahren, von den Schweizern, dem Orange Land Rover Team. Die markierten Grünflächen sind alle frei, hinten steht noch eine Familie mit einem Zelt. Dazwischen verläuft eine schmale geteerte Straße, die gerade mal ca. 2 m breit ist und in etwa U-förmig verläuft. Wir fahren einmal die Strecke auf dieser Straße ab und diskutieren, wo wir denn wohl stehen können. Das Wenden am Ende der Strecke wird schon mal zu einem Problem, denn wir merken sofort, als wir auf die Grünfläche fahren, wie weich der Untergrund ist und wie schnell wir mit unseren 3,5 Tonnen absacken. Naja, woanders wird es besser sein ist meine Devise. Jutta hat sofort Zweifel und plädiert jetzt schon dafür auf festem Untergrund zu parken. Es gäbe eine Möglichkeit vor einem verschlossenem Tor, direkt am kleinen Bahnhof. Hinter dem Bahnhof ist auch gleich das schwarze Meer. „Auf keinem Fall will ich hier auf Asphalt stehen, wir haben All Terrain Reifen und Allrad!“, erwidere ich. Jutta murrt und ich versuche es an anderer Stelle erneut. Ich merke es sofort. Als ich mit allen vier Reifen vom Asphalt runter bin, drehen die Räder durch und ich sinke ab. „Fuck, was ist denn jetzt los?“ Mir wird klar, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe, dass LEMMY auch mit Allrad und AT Reifen nicht aus dieser weichen Matsche rauskommt, nicht ohne Hilfsmittel. Ich weiß sofort, dass ich Mist gebaut habe und vergeude keine Zeit mit irgendwelchen verzweifelten Versuchen mich freizufahren, da mir klar ist, das ich mich nur weiter eingraben würde. Juttas Todesblicke treffen mich, aber sie sagt nichts, denn ich komme ihr zuvor. „Ja, jetzt ist es halt passiert, wir stecken fest, aber mach dir keine Sorgen, ich regel das schon.“

Todesblick, schon etwas abgemildert! Lemmy weiß auch: „Du hast uns das eingebrockt!“
Fotografiert wird erst, wenn das Problem gelöst ist!
Spurenbeseitigung

Ohne viel Zeit zu verlieren mache ich mich ran die Fahrräder vom Träger zu holen und sie beiseite auf den Rasen zu legen. Dann kommen die Sandbleche an die Reihe, die ich jetzt bereits zum dritten Mal aus der Halterung löse. Das erste Mal war noch am Tuz Gölü, um zu versuchen das Filmteam zu bergen, das zweite Mal war auf dem Kaya Camp, um sie zu reinigen. Jutta schaut skeptisch zu, sagt nichts und lässt mich machen. Ich begutachte die Lage. LEMMY ist mit allen vier Rädern auf der Grünfläche eingesunken, der Asphalt ist kurz dahinter. Ich bin tief drinnen im Schlamassel, vom Rasen ist nichts mehr zu sehen in meiner Fahrspur. Jeden Fehlversuch, den ich jetzt unternehme, würde mich weiter und tiefer eingraben. Also die Sandbleche hinten am Heck unter die Reifen platzieren und zwar nicht zu knapp, so wie die Kollegen es am Tuz Gölü gemacht haben, denn dann ist es verschwendete Energie. Natürlich habe ich den Vorteil von vier angetriebenen Rädern, trotzdem schiebe und drücke ich die Sandbleche so weit wie irgendwie möglich unter die Hinterräder und schalte den Allradantrieb „4 Wheel Low“ ein. Jetzt mit viel Gefühl etwas Gas geben….und noch etwas mehr und LEMMY bewegt sich rückwärts. In mir steigt eine triumphierendes Gefühl auf und ich bin nicht mal unglücklich über diese Situation, denn ich habe daraus gelernt. Höre auch mal auf deine Frau, war die eine Erkenntnis. Aber wer keine Erfahrung macht, der lernt auch nichts dazu, war die andere Erkenntnis. Nachdem ich erleichtert wieder zum größten Teil festen Boden unter den Rädern hatte, da kommt so ein kleiner Elektrozug mit Besuchern des botanischen Gartens daher und drängt mich zur Eile, da ich noch den Weg versperre.

Nur nicht wieder festfahren!

Aber ohne mich stressen zu lassen rangiere ich LEMMY so, dass die beiden linken Räder Kontakt mit dem Asphalt haben und lasse den Zug vorbei. Wir parken dann auf der von Jutta präferierten Parkposition am verschlossenen Tor vor dem Bahnhof. Es muss nicht viel gesagt werden. Mir ist klar, dass ich einen Fehler gemacht habe und Jutta sieht ein, dass man auch aus solchen Situationen lernen kann. Im Grunde haben wir beide davon profitiert, was uns noch im weiteren Verlauf der Reise enorm helfen wird. Als alles wieder verstaut und verzurrt ist, da wollen wir noch etwas die Umgebung erkunden und merken, dass es im Tor noch eine Tür gibt. Durch die können wir den kleinen Bahnhof erreichen und den hinter den Schienen liegenden Strand. Kurzer Blick nach rechts und links, kein Zug in Sicht, also schnell über die Gleise zu dem kleinen Kiosk.

Hier gibt es unter anderem Bier und Chips. Jetzt fühlen wir uns angekommen. Wir sitzen am schwarzen Meer, haben ein kaltes Bier und den Blick über die weit entfernte Skyline von Batumi vor uns und einen erlebnisreichen Tag hinter uns. Der Sonnenuntergang und das nächste Bier runden diesen fast perfekten Tag ab und wir begeben uns zur Nachtruhe.

Blick vom Stellplatz…..durch den Bahnhof….am schwarzen Meer…..und Sonnenuntergang…..Amazing!

Beim zweiten Morgenkaffee, nachdem das Frühstück bereits erledigt ist, kommt eine junge Mutter mit kleinem Kind im Tragetuch und einem etwa vierjährigen Jungen an der Hand an meinem Fenster vorbei. Sie schaut hoch, ich schaue runter. Das Fenster ist offen, da wir morgens immer ordentlich lüften müssen und sie grüßt mich mit „Guten Morgen!“ Obwohl es noch recht früh ist, schalte ich schnell und denke: „Sie hat wohl unser Kennzeichen gesehen, woher sollte sie sonst wissen, das wir deutsch sprechen?“ Sie heißt Ricky und steht nicht weit von uns am Strand mit ihrem Mann und den beiden Kindern. Auf Instagram heißen sie „Into the Box“ und reisen auch ein ganzes Jahr lang. „Kommt doch auch an den Strand, da kann man super stehen und es kostet nichts.“ Jutta kommt zu mir rüber auf meine Seite ans Fenster und wir unterhalten uns eine Weile. Wir legen uns nicht fest, aber lassen uns diese Option offen. Wir finden sie sehr sympathisch, aber Jutta hat natürlich bereits wieder einen Platz recherchiert, während ich noch im Land der Träume unterwegs war. Es gibt einen Eco-Campingplatz direkt am Meer. Es ist aber ungewiss, ob der gegen Ende Oktober noch offen hat. Trotzdem möchte Jutta dorthin fahren. Wir besprechen es und ich würde gerne an den Strand fahren zu „Into the Box“, aber Jutta will sich vorher den anderen Platz anschauen. „Na gut, wenn das da nichts ist, dann können wir immer noch zurückfahren und uns zu den Anderen ans Meer stellen.“ So verbleiben wir also und fahren ein paar Kilometer zu diesem Campingplatz, um dort festzustellen, dass er bereits geschlossen hat. Auf dem Weg zurück an die Küste füllen wir noch unser Trinkwasser auf.

An einer Trinkwasserquelle zapfe ich mit meinem 10 Liter Kanister solange nach, bis der 100 Liter Frischwassertank komplett gefüllt ist. Dann fahren wir an die Küste ans schwarze Meer zu „Into the Box“ und haben eine fantastische Zeit. „Ihr müsst an dem einen Hochhaus vorbeifahren und danach über eine kleine Brücke, dann links Richtung Meer, danach nochmal links, dann seht ihr uns schon.“ Genau so kommt es dann auch. Wir stehen direkt am schwarzen Meer. Nicht weit von dem kleinen Bahnhof, wo wir uns gestern kennengelernt haben. Vor uns steht der grüne LKW von „Into the Box“. „Hey, da seid ihr ja, wie schön!“, werden wir herzlich empfangen von Ricky. Danach lernen wir auch Tim kennen, ihren Partner. Beide sind in Elternzeit und können deshalb diese lange Reise machen.

Es kündigt sich noch ein weiteres Team an, Freunde von „Into the Box“. Sie kommen am nächsten Tag. Auch sie sind zu viert unterwegs in ihrem LKW mit zwei kleinen Kindern. Ich denke es wäre doch schön, einen gemeinsamen Abend am Lagerfeuer zu verbringen und sammle fleißig Treibholz.

Well prepared!

Zuvor bekommen wir noch Besuch von einem Polizisten, der um unsere Sicherheit besorgt ist. Ricky und Tim kennen das schon, da sie schon sehr lange in Georgien unterwegs sind. Wir wurden aufgeklärt, dass es total üblich ist, dass die Polizeibeamten gelegentlich kommen und einem raten, woanders zu übernachten, wo es vermeintlich sicherer ist. Manchmal haben sich Ricky und ihre Familie daran gehalten, manchmal auch nicht. Hier war es so, dass der Schutzmann in seinem Auto übernachtet und uns nicht alleine lässt. Am nächsten Tag ist dann Schichtwechsel, immer sind wir unter Polizeischutz und wir fühlen uns dabei nicht unwohl. Das es nötig ist glauben wir allerdings alle nicht, denn dieses Land ist so überaus freundlich und wohlgesonnen Fremden gegenüber, dass spüren wir sofort. Abends haben wir dann eine lange Nacht am Lagerfeuer. Ich spiele mit meiner Boombox meine Lieblingslieder und bekomme dabei Unterstützung von Ricky, die auch gerne mal was Härteres hören mag, anstatt der ewigen Kinderlieder den ganzen Tag. So gehen die Stunden dahin und dann geht auch noch Rauchware durch die Runde, die ich nicht näher beschreiben will.

Perfekt gestapelt vom Lagerfeuermeister 😉

Das Feuerholz, das ich mit dem Junior von Tim und Ricky gesammelt habe, geht langsam zur Neige und die Damen verabschieden sich so nach und nach. Zuletzt sitzen noch Tim und sein Kumpel aus Holland bei mir am Feuer. Das letzte Bier aus Tims zwei Liter Plastikflasche wird nachgeschenkt und später noch das was mein Kühlschrank zu bieten hat und dann gehen wir alle pennen. Es bleibt nichts mehr übrig vom gesammelten Feuerholz in dieser Nacht.

Manchmal kommen morgens Delfine vorbei und die Kids gehen mit ihren Müttern schwimmen. Wir stehen hier drei Tage zusammen und haben eine gute Zeit. Irgendein Polizist ist immer vor Ort, um auf uns aufzupassen. Doch bald wollen wir einfach weiter und so verabschieden wir uns dann auch, denn uns zieht es nach Tiflis. Wieder mal merken wir, das wir nicht die Ruhe und Gelassenheit haben, um lange zu verweilen, wobei „lange verweilen“ natürlich relativ ist und von jedem anders interpretiert werden kann. Wahrscheinlich werde ich auch wieder gerügt dafür, das ich in der Mehrzahl spreche, denn eigentlich bin ich es der weiter will. Ich bin es der nach Tiflis will, in die Stadt, wieder was Neues sehen und erleben. Der Abschied fällt mir nicht zu schwer, da es hier heute morgen ziemlich stürmisch ist, die Wellen immer höher schlagen und es aus Eimern schüttet. Man mag eigentlich keinen Fuß vor die Tür setzen. Trotzdem gehen wir an die Türen der Camper, klopfen um Tschüss zu sagen und dann fahren wir in die Hauptstadt von Georgien, nach Tiflis.

Bye bye!

„Die Straßen sind schlecht!“, hieß es von allen Seiten. „Fahrt nicht bei Regen!“, hieß es, „Da seht ihr nicht wie tief die Schlaglöcher sind.“ Uns wurde auch gesagt, es sei nicht mehr möglich den großen Kaukasus ab Oktober zu befahren. Aber ich muss mich etwas bremsen, denn da sind wir noch nicht. Bis Tiflis kommen wir zunächst mal ohne besondere Vorkommnisse. Die Straße bis dorthin ist nicht so schlecht wie erwartet, dennoch muss man stets damit rechnen, dass plötzlich große Löcher auftauchen. Doch es wird auf vielen Strecken gebaut. Tunnel werden in Berge gesprengt, Brücken werden vorbereitet und überall sind Baustellen. In wenigen Jahren wird es wohl eine Autobahn von Peking über Tiflis bis nach Istanbul geben. Aber auch daran will ich noch nicht denken. Was mir auffällt, je näher wir Tiflis komme, desto egoistischer werden die Fahrer. Sie fahren ohne Rücksicht auf Verluste. Wer hier zimperlich ist, der kommt nicht weit. Hier muss man sich sein Recht erkämpfen.

Wozu braucht man auch Stoßstangen?

Da ich erprobt bin durch viele Reisen in und durch Asien, mit dem Motorrad oder dem Auto, fällt es mit nicht schwer mich hier durch den Verkehr zu wühlen und mir meinen Weg zu bahnen. Geschenkt bekommt man hier nix und wer darauf hofft, irgendwo mal reingewunken zu werden, der wird lange warten müssen.

Relativ entspannt komme ich an, relativ gestresst Jutta. Sie leitet mich perfekt durch jeden Verkehr, bringt mich von A nach B und es ist für mich niemals ein Problem, wenn sie einen Fehler macht und für sie ist es kein Problem, wenn ich mal falsch abbiege. Dennoch ist sie oft gestresst, wenn wir durch Städte fahren. Sie will mich immer perfekt leiten und leidet, wenn ich im engen Gewühl umdrehen muss. Ich wünschte ich könnte ihr diesen Stress nehmen. Wir erreichen dann jedenfalls den Parkplatz für die nächsten Tage in Tiflis. Aber Fuck, was jetzt? Da kommen mir Autos entgegen, an der Schranke, wo ich gerade reinfahren will. Offensichtlich bin ich an der Ausfahrt gelandet. Ich setze zurück und schon kommt da jemand aus dem Kassenhäuschen zu uns ans Auto. Er bedeutet uns zu warten und lässt uns an derselben Schranke passieren, in dem Moment in dem niemand entgegen kommt. Er spricht englisch, ist sehr hilfsbereit und nimmt sich Zeit für uns.

Wieder mal DIE perfekte Parkposition!

Wir können hier stehen so lange wir wollen, teilt er uns mit und weist uns eine Platz links am Rand des Parks zu. Mit diesem Stellplatz sind wir sehr zufrieden. Vor uns die Public Service Hall, die von oben aussieht wie eine Blume, hinter uns der Park und die Kura, die durch Tiflis fließt. Da es bereits dunkel ist und wir müde von der langen Fahrt sind, unternehmen wir heute nichts weiter. Morgen ist auch noch ein Tag.

Nach dem Frühstück haben wir den ganzen Tag Zeit uns einen ersten Eindruck zu verschaffen. Beginnen wollen wir mit der Altstadt. Die Sonne scheint und wir haben herrliches Spätsommerwetter am 25 Oktober. Wir überqueren eine Brücke und danach eine Unterführung und schon sind wir mitten in der Altstadt.

Wer braucht hier mehr Mut, Balkongucker oder Banksitzer?

Hier lassen wir uns treiben und bestaunen die ganzen neuen Eindrücke. Die leckeren Auslagen in den Schaufenstern lassen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wir bestellen zwei von den warmen, gefüllten und gebackenen Teigwaren und probieren jeweils von dem Anderen. Fantastisch. Und alles so preiswert hier. Georgien ist anders. Anders als viele Länder, die wir schon gesehen haben. Die Häuserfassaden sind alt und brüchig, aber gerade das macht den besonderen Charme der Stadt aus.

Ein Lost Place? Wir sind uns nicht sicher….

Kleine Balkone mit gusseisernen Gittern sind an fast allen Fassaden und die bunten Farben sind ausgeblichen. In den Durchgängen zu den Hinterhöfen sehen wir viele kunstvolle Graffitis, keine Schmierereien. Es werden sogar geführte Touren angeboten, die an besonders schönen Graffitis entlang führen und an Kunstobjekten der Künstler der Tbiliser Szene. Davon gibt es reichlich in der ganzen Stadt.

Manche dieser Kunstinstallationen sehen wir zufällig bei unserem Streifzug, zum Beispiel eine Schaufensterfigur, die auf dem Geländer eines Balkons sitzt und auf die vorbeilaufenden Passanten herunter schaut. Wir kommen an dem verwinkelten Uhrturm des Gabriadze Puppentheaters vorbei, an zwei bronzenen Männern, die faul auf einer Bank sitzen und noch vielen anderen schrägen Figuren, die hier und dort auftauchen. Überall gibt es was zu entdecken. Tbilisi, wie es in Georgien geschrieben wird, gefällt uns ganz ausgezeichnet. Wir sind beide richtig angefixt und haben uns verliebt in den Charme der Stadt, schon nach dem ersten Rundgang durch Oldtown. Dann entdecke ich einen roten Schriftzug über einer Tür. Davor hockt ein Türsteher auf einer abgewrackten Lederbank und eine Treppe führt durch einen halbgeöffneten roten Samtvorhang in die untere Etage. Ich frage, ob ich das Eingangsportal fotografieren darf und erkläre dem Türsteher auch warum ich das Foto machen will. Aber ich nehme an, er versteht kein Wort von dem was ich sage, nickt aber, da ich mit meinem Handy rumfuchtele und er sich sicher denken kann, was ich vorhabe. Über der Tür steht: „THE WORLD IS YOURS….“

Einkaufen wollen wir auch noch. Brot ist alle und hier gibt es doch dieses leckere Shoti aus dem Steinofen. Der Ofen ist ein großer, runder Zylinder, von unten befeuert und der Teig wird einfach an die Innenwand geklatscht. Sobald es fertig ist, wird es mit einem langen, spitzen Holzstab geschickt herausgelöst und landet dampfend auf dem Tresen. Bier könnte ich auch mal wieder nachkaufen, denn es gibt wirklich süffige Sorten hier in Georgien. Dann brauchen wir noch Wasser, Muesli, Obst und Gemüse und so kommt eins zum anderen. Chips sind auch fast alle. Bald kommen wir im Carrefour in die Gemüseabteilung und mir gehen die Augen über. Eine Zapfanlage! An den vier Zapfhähnen hängen vier leere zwei Literflaschen die nur darauf warten befüllt zu werden. Allerdings ist jetzt gerade Pause, denn von 15:00 – 16:00 Uhr ist niemand zum Zapfen vor Ort, verrät ein aufgestelltes Schild.

Frisches Shoti direkt aus dem Ofen, soooo lecker!
Beeindruckend, nicht wahr? 😉

Das macht aber auch überhaupt nichts, denn es gibt diese großen Flaschen auch aus dem Regal. Es gibt auch Dosen und Flaschen in handlicheren Größen. Die Auswahl ist schier überwältigend. Zu den vielen lokalen Bieren gibt es noch reichlich internationale Biere. Aber ich entscheide mich natürlich für die lokalen Sorten. Zum Glück ist der Carrefour nicht allzu weit von unserem Parkplatz entfernt, denn wir haben ganz schön zu schleppen. Alle unsere Beutel sind prall gefüllt und wir sind wieder gut versorgt für die nächsten Tage. Als alles in den entsprechenden Schränken und Fächern verstaut ist, kochen wir uns noch einen Kaffee und genießen ihn draußen auf einer Bank im Park. Da es für uns nie zu spät ist einen Mittagsschlaf zu machen, gönnen wir uns den auch noch.

Am Abend will ich etwas in die Kneipenkultur der Hauptstadt eintauchen. Dazu ziehen wir uns dicke Pullover und eine warme Jacke an. Schal und Handschuhe müssen auch sein, denn sobald die Sonne weg ist, wird es schon ganz schön kalt. Wir haben zwei Optionen laut Reiseführer. Dem Fluss aufwärts folgen oder in die andere Richtung nach unten gehen. Es gibt zwei Ausgehmeilen hier und ich wähle die, die uns flussaufwärts führt. Ein Grund dafür ist das riesige Bike, welches ich im Internet gesehen habe und was dort in der Nähe der Straße sein soll, wo die ganzen Bars und Kneipen sind. Das Bike ist auch dort, aber die Kneipenstraße habe ich mir anders vorgestellt.

Wahrscheinlich ist sie im Sommer auch anders und erst recht, wenn kein Corona Virus die ganze Welt ausbremst. Es gibt hier einige Thai Massage Salons, aber viel weniger Kneipen, als ich erwartet habe. So landen wir in einem Irish Pub der fast leer ist. Eine Barfrau begrüßt uns und am Nebentisch sitzen vier Typen mit ihren Bieren. Ich meine aus den Wortfetzen rauszuhören, dass es Schweizer, Deutsche und ein Engländer oder Amerikaner sind. Sie bleiben nicht konsequent bei einer Sprache. Die Musik ist gut, Beth Hart läuft in angenehmer Lautstärke. Ich bestelle mir ein Guinness und Jutta ein Wheat Beer. Wenn möglich bestellt Jutta Hoegaarden, ein belgisches Witbeer, aber das gibt es nur selten auf der Karte. Laut Internet müssen die meisten Läden im Moment um 23:00 Uhr zumachen, aber wir gehen schon kurz vorher, nach dem zweiten Guinness. Zurück nehmen wir einen anderen Weg.

Wir kommen durch die Prachtstraße und sehen eindrucksvolle Gebäude, das Theater, die Oper, todschicke Boutiquen, teure Nobelhotels mit beleuchteten Wasserspielen davor und hören sowas wie Livemusik. Erst leise, dann immer lauter und das klingt echt super. Wir nähern uns der Straßenband, dessen Sänger eine coole, raue Stimme hat und hören zwei Songs lang zu. Dann geschieht etwas Seltsames. Von allen Seiten kommen Polizeifahrzeuge an uns vorbei. Alle mit Blaulicht, aber ohne Sirene. Vorher ist uns die große Präsenz an Einsatzfahrzeugen auch schon aufgefallen, doch da haben wir uns noch nicht viel dabei gedacht. Jetzt werden überall ganze Straßen und alle Parkplätze abgesperrt, Flatterband wird gespannt und wir machen uns auf den Rückweg zum Camper. LEMMY steht nun auch hinter Flatterband auf dem fast leeren Parkplatz. Da wir eh noch ein paar Tage bleiben wollen, beunruhigt uns das nicht weiter. Aber was hier los ist interessiert uns schon. Jutta geht schnell vorne zum Kassenhäuschen und fragt nach. In der Public Service Hall wird morgen eine Parteiveranstaltung sein, findet sie raus. Zur anstehenden Wahl am kommenden Wochenende will Jutta raus sein aus Tiflis, da sie Krawalle und Randale befürchtet. Morgen bei der Veranstaltung wird schon alles friedlich verlaufen.

Public Service Hall

Als wir dann morgens noch im Bett liegen und aus dem Fenster schauen ist der Parkplatz bereits gerammelt voll. Das Flatterband, das uns quasi eingeschlossen hat liegt bereits auf dem Boden und immer mehr Kleinbusse drängen auf den Platz und die Polizeibeamten kapitulieren. Sie versuchen jetzt nicht mehr die abgesperrte Fläche freizuhalten, zu groß der Andrang und der Druck der Fahrer, die die Besucher dieser Wahlveranstaltung ankarren. Wir beobachten während des zweiten Kaffees das ganze Treiben und machen uns dann auf den Weg flussabwärts, um zu schauen wo die Ausgehmeile in der anderen Richtung ist. Außerdem wollen wir uns Nariqala Fortress ansehen und mit der Seilbahn dort hoch fahren, denn die Aussicht soll spektakulär sein von der alten Festung. Wir finden alles auf Anhieb, dort sitzt schon der bronzene Trinker mit seinem Trinkhorn in der Hand und kennzeichnet den Beginn des Restaurant- und Barviertels.

Und um die Ecke steht der Typ mit dem Schnurrbart und dem Koffer, an der Konka Station. Wir gehen einmal durch die beiden parallel verlaufenden Straßen, um uns ein Bild zu machen und zu überlegen, wo wir denn auf dem Rückweg einkehren können. Es sieht überall sehr nett aus und wir kommen an keinem Restaurant vorbei ohne angesprochen zu werden. Draußen liegen Wolldecken auf den Stühlen und Heizpilze stehen überall. Hier ist auch jetzt schon deutlich mehr los als gestern Abend in der anderen Richtung. Niemand ist wirklich aufdringlich, aber Jutta nervt trotzdem immer, wenn wir pausenlos angequatscht werden. „Hier gibt es das beste Essen in Tiflis!“ oder „Kommt wieder, ich warte hier auf euch.“ und so weiter…“Sie machen doch auch nur ihren Job!“, sage ich zu Jutta und hin und wieder sage ich: „Maybe later!“ zu den Damen, die uns auf das Menü ihres Lokals aufmerksam machen. Nachdem wir uns erfolgreich den Weg gebahnt haben ohne irgendwo einzukehren, müssen wir einmal über die Brücke und über den Fluss.

Von dort geht die Seilbahn hoch zur Festung. Davor steht ein großer Baum aus Metall, der Stamm besteht aus lauter Öfen, in den Ästen diverse Vögel, Vogelhäuser und einzelne Blätter. Wieder eines dieser großartigen Kunstobjekte. Für kleines Geld bekommen wir einen Fahrschein für die Seilbahn und ohne zu warten können wir eine Gondel besteigen. Schon die Fahrt nach oben gewährt eine tolle Aussicht.

Wir sehen die Freedom Bridge, deren Architektur mich durchaus anspricht, was nicht auf jeden zutrifft. Die Spötter nennen sie die Schildkröte. Dann sehen wir auf der anderen Seite der Brücke so eine Art Füllhörner, zwei riesige, gebogene Flaschenhälse, die wohl als Konzerthäuser genutzt werden, denke ich zumindest. Noch ein Stück weiter, hinter der Freedom Bridge, ist die, von hier oben blumenförmige, Public Service Hall, wo wir zur Zeit auf dem Parkplatz wohnen.

Mother Georgia

Oben angekommen stehen wir vor einer gigantischen Statue, der MOTHER GEORGIA. Sie überblickt von hier ganz Tbilisi. So wie wir jetzt gerade, und der Ausblick kann sich sehen lassen. In weiter Ferne sehen wir die typischen georgischen Kirchen, sehen Berge und die beiden durch den Fluss getrennten Stadthälften. Zur Festung geht es noch etwas weiter nach oben, diesmal allerdings zu Fuß. Hier sehen wir noch eine schöne Kirche auch von innen. Draußen vor der Kirche läuft ein professionelles Fotoshooting mit einer georgischen Schönheit. Wir gehen weiter aufwärts.

Einmal über Jürgens rechtes Knie gucken!

Was ich dann sehe lässt mir den Atem stocken. Die Festungsruine hat einen runden Turm, der nach außen 100 Meter oder mehr steil abfällt. Abgerundete Zinnen, neun oder zehn krönen den Turm und oben auf den Zinnen steht jemand. Jetzt läuft er los, hüpft von einer zur anderen Zinne. Ist der denn komplett irre? Er posiert, teilweise sieht es so aus, als will er einen Golfball abschlagen.

Oben links isser der verrückte Typ!

Offensichtlich filmt er sich. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich weiß, dass es einige verrückte You Tuber gibt, die ihr Leben riskieren um solche Aufnahmen zu machen. Scheinbar ist da vor meinen Augen genau so ein verrückter Typ. Es sieht bei ihm alles sehr geschmeidig aus, als ob er das nicht zum ersten Mal macht. Und wäre da nicht dieser wahnsinnige Abgrund, wäre es wahrscheinlich nicht einmal schwierig. Aber der Abgrund ist da. Und ein falscher Tritt, ein Ausrutscher würde den sicheren Tod bedeuten. Innerhalb der Zinnen kann er sich bewegen, dort fällt er auch nicht tief, aber außen runter…..Er springt nach innen und stellt seine Kamera samt Stativ um und macht sich wieder auf, die kleinen Rundbögen zu erklimmen um erneut zu posieren. Er wechselt die Gangart und tänzelt wieder von einer Zinne zur Anderen. Stellt sich in Pose und schaut.

Etwas ungefährlicher die Pose, aber fast genauso crazy, der Typ 😉

Er weiß, dass er beobachtet wird. Außer uns sind da noch zwei junge Ladys, die sich auf dem Weg zu ihm machen. Ich wundere mich nur, dass nicht längst schon irgendwelche Ordner oder Polizisten da sind, um ihn von seinem lebensgefährlichen Tun abzuhalten. Jutta drängt zum Weitergehen, will ihn nicht durch noch mehr Publikum anheizen. Irgendwie fasziniert von diesem crazy Typen gehen wir. Runter fahren wir nicht mit der Seilbahn, sondern wir laufen. Dann kommen wir wieder genau bei den Restaurants von vorhin raus und wissen auch schon, wo wir essen wollen. Nach einem tollen Dinner in einer plüschigen und gemütlichen Atmosphäre unter einem Heizpilz verabschieden wir uns von der Katze, die es sich auf meinem Schoß bequem gemacht hat, zahlen und wollen auf dem Rückweg noch bei der Freedom Bridge vorbei gehen.

Wieder hallt uns Livemusik entgegen und die Akustik ist phänomenal unter dem Panzer der Schildkröte. Mitten auf der Freedom Bridge spielt Jozef New mit seiner Gitarre und einem kleinen Verstärker. Ich nehme an er spielt seine eigenen Kompositionen. Er hat eine tiefe und traurige, ausdrucksvolle Stimme. Das Lied ist sehr melancholisch und wunderschön anzuhören. Ich filme die ganzen 5-6 Minuten und frage mich, worüber er da wohl gerade singt. Hin und wieder landen ein paar Münzen von Passanten in seinem Gitarrenkoffer, auch Jutta schmeißt was hinein. Irgendwie passt dieser stimmungsvolle Moment unter diesem Schildkrötenpanzer mit dieser grandiosen Akustik zu diesem wundervollen Tag. Hand in Hand machen wir uns auf den Heimweg.

Freedom Bridge

Notiz am Rande, heute ist der 19.01.2022 um 00:15 Uhr. Ich sitze an meinem Schreibtisch in unserem Apartment in Downtown Halifax und höre Chris Cornell mit dem Cover „Nothing compares to you“ von Shinead O Conner. Hinter mir läuft das Video dazu auf einem riesigen Flatscreen TV. Draußen sind es – 18 Grad und es liegt Schnee auf den Straßen. Wir sind in Quarantäne, haben aber vor wenigen Minuten die „negativen“ Testergebnisse bekommen. Die Aussicht aus dem Fenster ist fantastisch, es ist alles noch so schön beleuchtet, als wäre immer noch Weihnachten. Es war eine echte Odyssee bis hierher zu kommen, aber dazu später mehr.

Tbilisi ist eine Weltmetropole. Unabhängig vom Fahrverhalten der Hauptstadtbewohner halte ich diese Stadt für weltoffen, für modern und zukunftsorientiert. Wir leben hier für eine knappe Woche auf dem Parkplatz und fühlen uns absolut wohl und genießen die Zeit in Capital City. Wir werden mit offenen Armen empfangen und der nahende Abschied fällt mir schwerer als Jutta. Ich mache noch eine Nachtschicht und schreibe an meinem Blog, dementsprechend müde bin ich am nächsten Tag. Wir lassen uns treiben und verweilen mal hier und mal dort. Pläne werden geschmiedet für die nächsten Etappen. Von „Into the Box“ wissen wir, der Vashlovani Nationalpark ist ein Paradies für Offroader. Da will ich gerne hin und Jutta stimmt zu. Dafür braucht man aber ein Permit und der Weg ist weit. Also müssen wir erstmal nach Dedopliszqaro um die Genehmigung zu bekommen, um in dieses Wunder der Natur fahren zu dürfen. Dort soll es noch den letzten lebenden kaukasischen Leoparden geben, in freier Wildbahn. Vorher kaufen wir noch Postkarten und Briefmarken, besuchen einen wunderbaren Waschsalon und begeben uns dann auf die Weiterreise.

Vashlovani NP wir kommen. Rock’n Roll!

Da wir einige Tage gestanden haben ist unser Wasservorrat zur Neige gegangen, denn wir mussten ja auch zwischendurch duschen. Aber direkt an unserem neuen Stellplatz soll eine Quelle sein, an der ich unseren 100 Liter Frischwassertank wieder auffüllen kann. Unterwegs gibt es frisch gebackenes, süßes Brot vom Straßenverkauf, welches sich hervorragend während der Fahrt für den kleinen Hunger anbietet. Nach vielen Stunden Fahrt kommen wir endlich im Ort an. Es ist bereits dunkel und dazu noch sehr neblig. Wir finden die Quelle und unseren Stellplatz für die Nacht. Ein paar Rinder werden an uns vorbeigetrieben. Ein Betrunkener kommt, beobachtet uns während wir LEMMY auf die Rampen fahren, dann zieht er weiter. Ein kleiner PKW hält neben uns und füllt fünf große Kanister Wasser auf und verlädt sie im Kofferraum. Danach begebe ich mich an die Quelle und fülle mit unserem 10 Liter Kanister den Frischwassertank auf bis die Anzeige 98 Liter anzeigt. Der Nebel wabert um uns herum. Ich fühle mich wie in einem Miss Marple Film.

Ich finds gruselig hier!

Alles ist schwarz-weiß. Dann kommt ein altes Moped vorbei mit Beiwagen. Es hält auf einer Brücke und ein paar junge Leute quatschen miteinander, dann fährt es weiter und die kleine Gruppe löst sich auf. Der Nebel wird dichter und Jutta fühlt sich nicht wohl hier, das merke ich. Sie ist die ganze Zeit mit ihrem Handy beschäftigt und plötzlich fragt sie, ob wir nicht doch schon zu diesem Office fahren können, bei dem wir morgen früh das Permit für den Nationalpark beantragen wollen. „Wenn du gerne möchtest. „, sage ich. „Dann machen wir das.“ „Ich weiß auch schon wo wir lang müssen, ist nicht weit von hier.“, bekomme ich zu hören. Es sind tatsächlich nur wenige Minuten zu fahren, dann sind wir schon da. Der Parkplatz ist zwischen dem Office und einem kleinen Supermarkt.

Er bietet Platz für fünf bis sechs Fahrzeuge, je nachdem wie weit sie auseinander stehen. Allerdings ist ein breiter Graben zwischen Straße und Parkplatz und nur zwei etwa fahrzeugbreite Überwege führen über den Graben auf den Parkplatz. Das hatte Jutta überhaupt nicht gesehen. Sie hat nur die Parklücke gesehen, hinter dem Graben. „Was machst du denn da?“, ruft sie laut, als ich weit aushole um rückwärts über diese Art Brücke zu fahren und aus ihrer Sicht vermeintlich auf ein anderes, hinter mir parkendes Auto zu zusteuern. „Ich parke ein.“ , erkläre ich mich. „Hast du den Graben nicht gesehen?“ „Oh Gott, scheiße nein! Das habe ich überhaupt nicht gesehen.“ Sie entschuldigt sich tausendmal und kriegt sich kaum wieder ein.

Im Dunkeln kann Frau das echt leicht übersehen 🙁

„Wie gut, das du das gesehen hast.“, wiederholt sie mehrmals. Vermutlich hat sie sich gedacht: „Wenn das schief gegangen wäre!“ Und ich hätte beim rückwärts Einparken den Hinterreifen im Graben versenkt und mit der Achse aufgesetzt, dann hätten wir eine längere Pause einlegen können und LEMMY wäre für eine ganze Weile in irgendeiner Werkstatt verschwunden. Es geht alles gut und ich kann LEMMY S-förmig in die Parklücke fahren. Damit wir gerade stehen, fahre ich auch noch vorne links auf eine Rampe. Jutta entschuldigt sich ein weiteres Mal, dass sie das übersehen hat, aber ich versuche sie zu beruhigen. Denn als Fahrer ist es schließlich meine Verantwortung genau zu gucken wohin ich fahre und was ich tue. Am nächsten Morgen ist alles vergessen und wir bekommen unser Permit für den Nationalpark. Ob wir „4 Wheel Drive“ haben, war glaube ich die entscheidende Frage bzw. „Yes, of course!“ die entscheidende Antwort.

Ob der uns wohl über den Weg läuft 😉

Wir sehen ein großes gerahmtes Bild mit dem kaukasischen Leoparden. Unter der Fotografie steht, dass die Aufnahme im Jahr 2006 entstanden ist. Aufgenommen wurde dieses Foto von einer Wildkamera, die weit ab mitten im Park installiert war. Eine englischsprachige Map gibt es leider nicht mehr, nur noch eine in georgischer Sprache. Aber da werden einige Punkte von der netten Dame mit einem roten Kuli markiert. Auf Juttas Handy markiert sie uns ebenfalls einige markante Punkte in der „Maps me“ App. Damit fühlen wir uns gut gerüstet für den Vashlovani National Park. Vorher müssen wir aber noch dieses Permit bestätigen lassen, da wir sehr nahe an der armenischen und aserbaidschanischen Grenze sind. Dafür müssen wir nur wenige Minuten weiter zur Borderpolice fahren. Vorher wird kurz im Supermarkt das Nötigste für ein paar Tage in der Wildnis eingekauft und dann geht es auch schon los. Wir erreichen den Stützpunkt, geben unser Permit an den Wachsoldaten am Tor und werden aufgefordert zu warten, nur zwei Minuten. Nach ca. 20 Minuten kommt er wieder und händigt mir ein Papier aus. Jetzt ist wohl alles klar. Bevor wir nun endgültig aufbrechen in das Offroad Paradies, in den Vashlovani N.P., will ich noch das nahe gelegene World War II Memorial sehen. Jutta wartet im Auto, während ich einen Hügel hinaufspaziere um mir dieses verfallene Monument anzuschauen.

Denkmal und Lost Place

Danach kann es endlich losgehen und voller Vorfreude starte ich und voller Skepsis, aber bereit für ein Abenteuer, startet Jutta neben mir auf dem Beifahrersitz. Und bevor es so richtig los geht, da beginnen schon die ersten Probleme.

Wir fahren zunächst auf geteerten Straßen. Sie haben viele Löcher und Bodenwellen, aber dann enden sie abrupt. Jetzt beginnt die Piste, nur noch Dreck unter den Reifen, dunkelbrauner Sand mit noch viel mehr Löchern als auf allen Straßen davor. Eigentlich ist es eher eine Reibeisenpiste, die Löcher machen den größeren Teil der Strecke aus. Ich fahre langsam, zum Teil sehr langsam, denn wir können nie wissen, wie tief die Löcher sind, alle sind bis oben mit Wasser gefüllt. So geht es die nächsten 20 km weiter, weiß Jutta zu berichten. Spaß macht mir das hier auch nicht, aber das gehört eben mit dazu.

Ausweichstrecke?

Was ist das denn jetzt für ein verdammtes Geräusch? Irgendetwas quietscht und kratzt vorne links an der Bremse. „Scheiße!“, fluche ich laut, echt abgenervt sofort nach dem Einstieg in die Route, in das Abenteuer, ausgebremst zu werden. Ich halte und gucke, fahre weiter. Ich trete fest auf die Bremse und höre wie sich das Geräusch verändert. „Lass uns noch ein bisschen weiter fahren, vielleicht hört es ja von alleine wieder auf.“, sage ich optimistisch zu Jutta. Es hört nicht auf. Was jetzt? Sollen wir in eine Werkstatt fahren? Wir haben ein 3-Tage Permit für den Park. Ist das Abenteuer vorbei, bevor es richtig begonnen hat? Ausgerechnet von Jutta kommt der Vorschlag, den Reifen einmal abzunehmen und zu gucken, was da los ist. Ich bin erstaunt, aber sofort dabei. „Ja, auf jeden Fall, das machen wir.“

Es klappt mit normalem Bordwerkzeug, yes!

Wagenheber hinter dem Beifahrersitz rausgekramt und Kreuzschlüssel hinter dem Fahrersitz und dann los. Mal sehen, ob unser serienmäßiges Equipment ausreicht. Es geht, ich pumpe LEMMY mit dem Wagenheber so hoch, das ich den Reifen abnehmen könnte, aber ich bekomme die Schrauben nicht los. Der Reifen dreht sich mit. Dann fällt mir ein, dass man die Schrauben natürlich lösen muss, wenn der Reifen noch Bodenkontakt hat. Damit er sich eben nicht mit dreht beim Lösen der Radmuttern. Also Wagenheber absenken und Bodenkontakt herstellen. Jetzt die Muttern lösen und dann wieder hoch pumpen. Nun kann ich den Reifen abziehen und mit der Taschenlampe mal schauen was da los ist. Ein winzig kleines, verdammtes Steinchen hat sich eingeklemmt zwischen einem Blech und der Bremsscheibe. Mit unserem Brotmesser kann ich den kleinen Krachmacher dort rausdrücken. Überglücklich dieses Problem eigenständig gelöst zu haben und unsere Reise ohne Werkstattbesuch fortsetzen zu können, fahren wir weiter.

Übeltäter gefunden!

Hin und wieder gabelt sich die vor uns liegende Piste oder es gibt sogar rechts und links Ausweichmöglichkeiten. Dann müssen wir entscheiden, welche der zwei oder drei möglichen Routen wir nehmen. Meistens führen sie nach einigen Kilometern wieder zusammen, sie sind aber unterschiedlich in der Qualität. So sind diese Pisten dann wohl auch entstanden. Es wurde probiert, ob es nicht etwas ruckelfreier geht, ob man nicht neben der Hauptpiste entlang schneller voran kommt. Es ist ein bisschen wie Russisch Roulette spielen, denn man kann nie wissen was einen erwartet und ob nicht die linke Route vorzuziehen gewesen wäre, wenn wir uns für die rechte entscheiden.

Eindeutig…oder etwa doch nicht?

Aber darum geht es hier ja auch, um Offroad zu fahren, abseits der Zivilisation. Wenn es denn mal nicht weiter gehen sollte, dann kann man immer noch umdrehen oder soweit zurück fahren, bis ein Wenden wieder möglich wird. Nur festfahren sollte man sich auf keinen Fall, jedenfalls nicht so sehr, dass man sich alleine nicht helfen kann. Es kann dann schon mal Tage dauern bis jemand vorbeikommt. Man könnte im Notfall wohl das Office oder die Ranger anrufen. Telefon- oder Internetempfang gibt es hier aber nur selten, was einen Hilferuf natürlich deutlich erschwert. Wir haben aus Gewichtsgründen keine Winde dabei, die helfen könnte, wenn die Sandbleche nicht mehr ausreichen. Zum Glück war es jetzt länger trocken, so dass nur noch in den Bodenlöcher das Wasser steht. Die Piste ist meistens trocken, nur gelegentlich leicht feucht. Wir haben ein Ziel für heute Abend, einen markierten Übernachtungspunkt im „Bear Canyon.“ Mit MapsMe (einer Navigationsapp, die wir offline verwenden können) klappt es ganz gut. Es ist jetzt im Grunde unser erstes echtes Offroadabteuer. Hier sind wir komplett auf uns gestellt. Hier können wir auch niemanden fragen oder eine zweite Meinung einholen, wenn es darum geht, ob eine Passage befahrbar ist oder nicht.

Ich finde Gefallen daran und Jutta ist relativ entspannt. Auch wenn es mal ordentlich schaukelt und hinten in der Kabine die Sachen durch die Gegend fliegen, was auch im Fahrerhaus zu hören ist. „Nicht so schnell!“, schimpft Jutta zwischendurch und ihre Blicke sagen den Rest. Da ich dankbar und glücklich bin, dass sie überhaupt mit mir diese viertägige Offroad Tour macht (wir haben drei Übernachtungen hier im N. P.) will ich sie nicht überstrapazieren und fahre etwas langsamer. Die Piste wird immer anspruchsvoller und durch Bäume und Sträucher links und rechts des Weges wird LEMMY ganz schön in Mitleidenschaft gezogen. Es quietscht und knarzt, wenn die Äste und Sträucher am Fahrzeug entlang schrammen. Manchmal kommt es überraschend und wir fahren mit verkniffenen Gesichtern bei diesen fürchterlichen Kratzgeräuschen weiter. Doch dann werden wir immer entspannter.

Ja, da zwischen Büschen und Felsen müssen wir durch.

Die Kratzer gehören halt dazu und uns war natürlich klar, dass wir Spuren am Fahrzeug sehen werden, nach so einer Tour. Einmal hatte ich großes Glück, als mich bei geöffnetem Fenster ein großer, hereinschnellender Ast nur knapp verfehlte, der mir sonst wohl die Wange aufgerissen hätte. Die Herausforderungen steigen weiter, wenn es Engstellen an Felswänden gibt und noch dazu riesige Furchen, die den Wagen kippen lassen und uns ganz schöne Schräglagen bescheren. Jutta steigt dann aus und schaut wie viel Platz zum Fels bleibt, denn Äste sind eine Sache, Felsenüberhänge eine andere. Die Kabine wollen wir tunlichst nicht aufreißen durch ein unbedachtes Fahrmanöver oder durch ein nicht vorhergesehenes Abkippen, weil die Räder durch eine tiefe Mulde fahren. Noch aufregender wird es, wenn Vieles zusammen kommt. Zum Beispiel eine Engstelle in einer Kurve mit einer großen Steigung. Dazu kommen selbstverständlich wieder die tiefen Auswaschungen im Boden, große Löcher und unbefestigter Untergrund aus Sand, Geröll oder matschiger, lehmiger Boden.

Easy! Keine Steigung, trocken und rechts und links Platz!

In diesen Situationen nutze ich dann das volle technische Programm, das der Ranger zu bieten hat. Dann fahre ich aus Mangel an Erfahrung mit 4 Wheel Low, obwohl wahrscheinlich 4 Wheel High reichen würde. Vielleicht bräuchte man in manchen Situationen nichts davon. Ich bin jetzt hier um dieses Defizit bei mir auszugleichen und praktische Erfahrung zu sammeln und dieser Ort ist das perfekte Terrain dafür. Während meinem 2-tägigen Offroad Lehrgang in Langenaltheim gab es verschiedene Philosophien zum Fahren in extremen Situationen. Die eine Philosophie ist genau die, an die ich mich im Augenblick noch halte. Sie besagt, im Zweifelsfall alles nutzen, was das Fahrzeug zur Unterstützung anbietet. Die andere besagt, sich erstmal rantasten und ausprobieren, damit im Ernstfall noch Optionen verbleiben, um noch Spielraum zu haben, wenn man festsitzt. Ich verfolge erst einmal die Strategie das volle Programm des Ford Rangers zu nutzen, um dann später durch gewonnene Erfahrung zu reduzieren. Damit fahre ich bisher ganz gut, im wörtlichen Sinne. Wir kommen dem Bear Canyon auch schon näher, aber Jutta wird immer unruhiger, was nicht an der Strecke oder meiner Fahrweise liegt. „Komisch!“, sagt sie „die verbleibende Entfernung zum Ziel passt nicht mit der Zeit zusammen, die mir für die Strecke angezeigt wird.“ Mich beunruhigt das weniger, weil ich denke: „Dann stimmt die Zeitangabe einfach nicht, scheiß drauf!“ Für 7 km noch acht Stunden fahren kann ja wohl nicht sein.“, sagt sie. „Nee!“, stimme ich zu, „da wären wir zu Fuß ja schneller.“ Aus eben diesem Grund muss es eine Fehlermeldung sein, warum auch immer.

Wunderschön! Aber wenn es hier anfängt zu regnen?

Am späten Nachmittag kommen wir an, sind mitten im Canyon. Zu beiden Seiten geht es steil die Felswände hoch. Wir sind unten in der Ebene, mal ist sie etwas breiter und an machen Stellen schmal. Ich parke LEMMY vor einer erhöhten Schutzhütte. Wir schauen uns um. In der unverschlossenen Hütte ist absolut nichts, aber sie bietet Platz für mehrere Personen, die dann ihre Isomatten ausbreiten können um sich auszuruhen. Wir gehen etwas umher, um die nähere Umgebung zu erkunden und finden noch ein gutes Stück höher einen Pfad hinauf zu einem Zeltplatz mit großer Feuerstelle. Niemand ist dort. Eine kleine Feuerstelle habe ich bei unserem Camp auch schon entdeckt und genau dort wollen wir heute Abend unsere Bratwürste grillen. Die stammen noch aus einem Supermarkt in Griechenland und warten darauf aus unserem kleinen Gefrierfach entnommen zu werden. Jutta bereitet drinnen etwas Gemüse und Salat zu, während ich Holz zum Grillen sammle. Ein Bär, der dem Canyon seinen Namen gibt, kommt leider nicht vorbei.

Lagerfeuer…in the making 😉

Irgendwann wird es dann dunkel. Ich sitze bereits am Feuer und freue mich über diesen fantastischen Tag, dessen Abend wir noch vor uns haben. Eine große Dose eiskaltes Bier steht neben mir. In Gedanke erlebe ich die vergangenen Stunden noch einmal. Erinnere mich an schwierige Passagen, die wir gemeistert haben und stelle fest, dass ich es liebe Offroad zu fahren. Der morgige Tag kann kommen, ich habe Bock genau so weiterzumachen wie bisher. „Wann willst du die Würstchen haben?“, ruft Jutta zu mir rüber. Ich überlege kurz: „In einer halben Stunde ungefähr, das Feuer braucht noch etwas.“ Ich habe gesammelt soviel ich konnte. Jetzt bin ich dabei das geschürte Feuer etwas abbrennen zu lassen, damit wir dann die perfekte Grillkohle für das Gemüse und die Würste haben.

Ich sehe einen großartigen, klaren Sternenhimmel wie selten zuvor. Die einzigen Lichtquellen hier sind mein glimmendes Feuer und die von innen erleuchteten Fenster vom etwas entfernt stehenden Camper. Wie schön der Himmel aussieht, es ist unglaublich. Ruhe kehrt in mir ein und ich entdecke einen Stern, der heller ist als alle anderen. Nur das knisternde Feuer ist zu hören, sonst ist es still. Ist das der Polarstern? Mit derlei Fragen habe ich mich zuvor nie beschäftigt. Ich beobachte den Himmel, während ich gelegentlich an meiner Bierdose schlürfe, stochere mal etwas im Feuer. Dann geht der Blick schon wieder nach oben gen Nachthimmel. Irgendwas ist anders, bilde ich mir ein. Ein hoher Baum oben am Rand des Canyons ragt weit in den Nachthimmel hinauf. Ich sitze am Fuße dieser beeindruckenden Kulisse und sehe wie der helle Stern der Baumkrone immer näher kommt. Jetzt will ich es genau wissen. Ich rücke mich zurecht und bleibe steif in meiner Position sitzen, schaue auf meine Armbanduhr und verharre die nächsten fünf Minuten lang. Ich präge mir den Abstand des hellsten aller Sterne vor der Baumkrone ein. In etwa zehn vor zwölf, wenn man sich das ganze Szenario als Uhr vorstellt. Jetzt warte ich die fünf Minuten ab und dann schaue ich wieder nach oben. Jetzt ist es fünf vor zwölf, der Stern ist der Baumkrone näher gekommen. Ich sehe wie die Erde sich dreht! Man mag jetzt denken: „Ja und? Ist doch nichts Besonderes.“ Aber für mich war es was Besonderes. Ich saß weit ab der Zivilisation in einem Nationalpark in Georgien. Vor ca. 15 Jahren gab es hier noch den kaukasischen Leoparden. Ich war irgendwie so ganz bei mir, saß am Lagerfeuer und beobachte den Sternenhimmel und auch ich wusste vorher, dass die Erde sich dreht. Aber zugeschaut habe ich ihr dabei noch nie.

Nach dem Essen sitzen wir noch lange am Feuer und ich lege Holz nach bis es zur Neige geht. Jutta verabschiedet sich schon mal und geht rein. Ich nehme draußen noch ein Bier und schaue zu wie das Feuer runter brennt, wie es sich selbst verzehrt. Stundenlang kann ich am Lagerfeuer sitzen und gucken, wie es sich entwickelt. Wie die Flammen sich das nachgelegte Stück erobern, wie sie durch die erst kleinen und dann aufbrechenden Risse ihren Weg bahnen um dann später lodernd durchzubrechen. Ich halte mich selber für einen Meister des Nachlegens. Bei mir wird nicht einfach ein Stück Holz nachgeschmissen. Nein, es muss arrangiert werden. Ein gutes Lagerfeuer ist eine Inszenierung des Lichts und der tanzenden Flammen. Ein gutes Lagerfeuer brennt lange und wird mit minimalen Mitteln maximal lange am Leben erhalten. Aber auch bei mir geht irgendwann jedes Feuer aus.

Vashlovani NP, immer neue Aussichten!

Nach einer ruhigen und erholsamen Nacht geht es nach einem kleinen Frühstück wieder los. Wir durchfahren enge Schluchten und dann später befinden wir uns oben am Rand einer Schlucht und gucken runter in endlose Weiten. Wir sehen in der Ferne lange Bergkämme, blauen Himmel und weite Ebenen mit grünen Bäumen, mit dürren Sträuchern. Die Natur bietet uns ein Farbspektrum von sattem Grün, über Gelb und Orange bis leuchtend Rot. Immer wieder kommen kleine Abschnitte, wo manchmal Jutta aussteigt, um zu schauen wie schwierig die Passage ist und manchmal komme ich dazu, damit ich mir selber ein Eindruck verschaffen kann.

Blind Summit

Eine Situation läuft nicht so wie gewünscht und wir diskutieren anschließend, woran es gelegen haben kann. Wir stehen vor einem „Blind Summit“. Das heißt vor einer Bergkuppe, bei der ich als Fahrer nicht sehen kann, was mich dahinter erwartet. Der Ranger hat eine lange Haube und wenn es steil bergauf geht, dann sehe ich nur Haube und den Himmel. Das ist nicht weiter schlimm, denn auf dem Scheitelpunkt kann man ja anhalten, um sich ein Bild zu machen. Oder man geht vorher einmal rauf und beurteilt die Situation mit dem Blick auf das Ganze. Im Offroad-Training habe ich gelernt diese Umstände zu meistern, wenn ich damit konfrontiert werde. Sollte es beispielsweise erforderlich sein, nach dem höchsten Punkt sofort scharf abzubiegen, dann sollte man sich einweisen lassen. Oder man sucht hohe Bäume oder andere markante sichtbare Hilfsmittel, die man anvisieren kann, um dann rechtzeitig einzulenken. Da wir aber zu zweit sind ist es nicht nötig, dass ich mir bestimmte Merkmal einpräge. So also halte ich erst auf der Bergkuppe an und dann steigen wir beide aus und besprechen wie ich mir die kurze, aber steile Abfahrt vorstelle.

Da will man nicht reinrutschen!

Es gibt extreme Auswaschungen und enorm tiefe Spurrillen, die ich um jeden Preis vermeiden will, um die Kippneigung nicht zu sehr auszutesten. Auf der rechten Seite wird die Spur von Bäumen und dichtem Buschwerk begrenzt, auf der anderen Seite geht es steil abwärts. Also zeige ich Jutta genau die Spur, die ich fahren möchte. Ich gehe sie sogar vor ihren Augen ab mit ausgestreckten Armen, wobei meine Fingerspitzen den Abstand der Reifen symbolisieren. Ich erzähle ihr worauf sie achten soll und was ich auf keinen Fall riskieren möchte. Sie steht unten vor mir, um mich in Echtzeit zu navigieren. So wie wir es von den Instruktoren in Langenaltheim gelernt haben.

Wir hatten zwei Instruktoren und waren eine kleine Gruppe mit sieben Fahrzeugen. Uns hatten sie der LKW-Gruppe zugewiesen. Mit unseren 3,5 Tonnen waren wir das kleinste Fahrzeug. Dann gabs einen Iveco mit 5,5 Tonnen, einen LKW mit 7,5 t und die anderen brachten über 10 t bzw. 12 t auf die Waage. Jedenfalls erzählte einer der Instruktoren, dass dieses Training in der Regel von Paaren besucht wird und die Damen den Part des Einweisers übernehmen. Das habe schon oft mal einen handfesten Ehekrach ausgelöst, denn der Fahrer muss sich auf den Einweiser verlassen und umgekehrt. Ich sitze jetzt also oben auf der Bergkuppe im Auto und rufe zu Jutta runter, ob sie denn bereit sei. Sie nickt mir zu mit angespanntem Gesichtsausdruck. Ich fahre und sie bedeutet mir, irgendwie so ganz anders zu fahren als eben besprochen. Sie zeigt mal hierhin, dann dorthin. Dann macht sie ein Stopzeichen, obwohl das eigentlich vermieden werden soll bei steilen Abfahrten. Es sei denn, es geht um einen drohenden, großen Schaden, den es zu verhindern gilt. Warum soll das Stoppen bei steilen Abfahrten vermieden werden? Weil man bremsen muss, was zum Beispiel bei Nässe schnell zum Kontrollverlust führen kann. Weil beim Treten der Kupplung die Motorbremse fehlt und der Wagen immer schneller wird und ich dann wieder bremsen muss. Oder weil beim Treten der Kupplung sofort die Drehzahl abfällt und ich den Schwung verliere, obwohl das allerdings eher bei Bergauffahrten zum Problem werden könnte. Bevor man also die Kupplung tritt, sollte man eher den Wagen abwürgen.

Upps, ein Baum war da ja auch noch!

Es ist nicht nass, aber ich fahre jetzt intuitiv runter, ohne auf Juttas Signale und Anweisungen zu achten. Theoretisch weiß sie auch, dass sie mich nicht zum Halten nötigen soll, wenn ich gerade eine etwas heikle Passage händeln muss. Aber ich merke, dass sie mit dieser Situation überfordert ist, wie es auch schon einmal in Albanien der Fall war. Dort sollte sie mich eine schwierige Passage hinauf navigieren und ist mir beim Bergauffahren dicht vor der Haube rumgeturnt und hat mich auch damit zum Bremsen genötigt. Ich komme gut runter und wir besprechen wie es dazu kommen konnte. Das Ergebnis ist im Grunde einfach. Ich habe zu viel geredet, habe zu komplexe Anweisungen gegeben und viel unnützes Zeug dabei von mir gegeben. Was sie von mir braucht, stellt sich jetzt heraus, sind knappe, klare Anweisungen. Zum Beispiel so: „Der rechte Vorderreifen soll immer auf dieser Linie bleiben!“ Am besten noch mit einem Stock einem Strich oder Steinen kennzeichnen, vielleicht auch abgebrochene Äste als Markierungen an kritische Punkte legen. Dann ist es immer noch schwer genug, so ein verantwortungsvolles Manöver hinzulegen. Wobei sie natürlich nicht alleine die Verantwortung hat. Ich als Fahrer bin letztendlich die letzte Instanz, die die volle Verantwortung hat. Ich treffe die Entscheidung, auch mal gegen die Anweisung des Navigators. Sie sollte dann trotzdem immer nach bestem Wissen und Können weiter navigieren. Auch wenn der Fahrer, aus welchen Gründen auch immer, unerwartet anders handelt als vorher besprochen. Es kann sein, dass es sich anders besser anfühlt, dass Umstände eintreten, die nur der Fahrer gerade erlebt. Aber die Unterstützung sollte trotzdem einfach weiter ausgeführt werden. Es kann ja wieder kurze Zeit später nötig sein.

Es gibt da so ein schönes Video auf You Tube eigentlich übers „gendern“ auf dem „maiLab“-Kanal. Ich mag Kim Mai Thi Nguyen sehr gerne und schaue mir viele von Ihren Filmen an. Sie erklärt wieder sehr unterhaltsam und erwähnt dabei den Wissenschaftler Jean-Luc Doumont , der sich mit “The Three Laws of Professional Communication” beschäftigt. Er unterscheidet zwischen signal und noise. Um sein „Publikum“ zu erreichen, muss man alle unwichtigen Informationen (noise/Rauschen) weglassen. Die „signal to noise ratio“muss maximiert werden.

Jede überflüssige Information in Vorträgen, Unterhaltungen oder eben auch in Anweisungen wird also als Rauschen wahrgenommen. Durch mein ganzes Palaver hat Jutta vor allem eins gehört, Rauschen.

Gigantische Ausblicke

Es geht gut voran und wir haben auch wieder ein Ziel für heute Abend. Aber es gibt dieses mal zwei verschieden Wege und für einen müssen wir uns entscheiden. Wir schlagen erstmal eine Richtung ein, gucken wie sich die Stecke entwickelt. Mit der Option umzudrehen um die alternative Piste zu fahren. An einer Ranger Station machen wir kurz Halt. Doch bevor wir fragen können, ob unser eingeschlagener Weg der Richtige ist zum Fluss an der aserbaidschanischen Grenze, ist der Ranger (der eben noch da war) verschwunden. Macht nix, es gibt hier einen kleinen Wander-Trail, den laufen wir mal lang. Vielleicht ist er ja auch gleich wieder zurück.

The Eldest Tree Trail

Wir laufen knapp zwei Kilometer, dann erreichen wir einen kleinen Aussichtspunkt, an dem eine Informationstafel über die Flora und Fauna in dieser Region steht. Eine andere Schautafel mit der Fotografie des letzten kaukasischen Leoparden, der wohl längst verstorben sein dürfte, gibt es auch noch. Wir gehen noch etwas weiter und ich bin etwas schneller als Jutta unterwegs. Da ruft sie mich plötzlich zurück. „Komm schnell her, aber nicht ganz zu mir. Da ist eine Schlange auf dem Weg. Da wo du gerade lang gelaufen bist.“ Ich komme zurück und dort ist sie noch immer, regungslos, mitten auf dem Weg. „Man gut, dass ich nicht auf sie drauf getreten bin. Wir müssen später unbedingt mal gucken, was für eine Schlange das ist. Vielleicht ist die giftig.“ Mit gebührendem Abstand mache ich Fotos.

Giftig oder nicht?

Später vermuten wir es handelt sich um die Levantinische Viper, eine Giftschlange. Ganz sicher sind wir aber nicht, anhand unserer Aufnahme und der Bilder aus dem Internet können wir das nicht eindeutig klären. Knöchelhohe Schuhe, die vor Schlangenbissen schützen, haben wir beide Gott sei Dank an. Ein paar hundert Meter gehen wir noch weiter, dann drehen wir um und gehen zurück. Die Schlange sehen wir nicht wieder. Vermutlich hatte sie sich totgestellt, als sie unsere Vibration spürte und als wir weitergingen zog auch sie wieder los. Den Ranger finden wir auch bei unserer Rückkehr nicht. Nur eine Menge kleiner Katzen streifen um sein Haus und folgen uns bis zum Auto. Eine springt zu mir rein. Ohne Katze fahren wir dann unserem eingeschlagenen Weg folgend weiter. Es geht eine Weile über breite Hügellandschaften und der Blick reicht weit in jede Richtung.

Über mangelnde Abwechslung können wir uns absolut nicht beklagen. Immer wieder werden uns großartige Aussichten über die massiven Berge geboten, über weite Steppen und eine fast unberührte Natur. Abgesehen natürlich von den Spuren, denen wir folgen. Die Landschaft ändert sich schlagartig, es geht wieder abwärts und die Strecke wird enger. Der Weg schlängelt sich relativ steil runter und ich muss mich wieder mehr konzentrieren. Dann plötzlich, auf einem kleinen Plateau, das auf der Map auch als Viewpoint gekennzeichnet ist, stehen zwei große Kastenwagen. Sofort wandert mein Blick auf das Kennzeichen. SP steht da drauf, sie kommen aus Deutschland. Wir halten und sehen den zweiten Mercedes Kastenwagen. Scheint das gleiches Modell wie der Erste zu sein, ein Mercedes 711 D.

Nice to meet you, globelotte53!

Sie genießen alle die Aussicht und haben sich noch nicht entschieden wie es für sie weitergeht. Die Strecke die uns bevorsteht ist richtig anspruchsvoll. Sie wissen das schon und wägen ab, was sie tun wollen. Sie, das sind zum einen Chris und seine Frau Erica mit ihrem gemeinsamen Sohn Levin und zum Anderen sind da noch Sebastian und seine Freundin Frieda. Ach ja, ein Hund gehört auch noch zu Chris und Erica, Ayla. Adoptiert irgendwo in der Türkei. Wir lernen uns kennen und tasten uns ein bisschen ab. Frieda und Sebastian sind noch sehr jung, etwas über 20. Beide sind Fotografen und haben sich während der Ausbildung ineinander verliebt. Jetzt sind sie schon seit geraumer Zeit auf Tour, den Großteil davon in der Türkei. Irgendwann und irgendwo trafen sie dann auf Chris und Erica und reisen seitdem immer mal wieder gemeinsam. Seit einer ganzen Weile auch schon in Georgien und im Vashlovani NP sind sie schon zum wiederholten Male. Chris und Erica sind eher unser Alter, vielleicht 7-8 Jahre jünger. Levin ist etwa 12 Jahre alt und wird von Erica unterwegs unterrichtet.

Da müssen wir runter!

Unsere Richtung ist klar definiert. Der sich steil abwärts schlängelnden, kurvigen Strecke hier folgen, runter an den Fluss (Alasani), der Aserbaidschan von Georgien trennt. „Kommt doch auch runter, dann trinken wir heute Abend ein paar Bierchen zusammen.“, schlage ich vor. Sie legen sich nicht fest und scheinen noch unentschlossen zu sein. Wir wollen jedenfalls weiter und machen uns langsam auf den Weg. Erst verabschieden wir uns noch von den Fünfen und dann geht es los. Und was uns jetzt erwartet wird ein Härtetest. Nicht nur für Juttas Nerven, auch für meine. Es wird ein Test für das Material, also für LEMMY, ein Test für mein fahrerisches Können und unsere Fähigkeit die Situation und Strecke zu beurteilen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin mir sicher, dass uns die beiden anderen Teams nicht folgen werden. Gleichzeit denke ich aber auch, wenn sie uns folgen, dann wird sehr schnell der Punkt für sie erreicht sein, an dem sie nicht umdrehen können. Dann müssen sie die schwierige Entscheidung treffen, ob sie rückwärts zurückfahren oder ob sie sich sagen, Augen zu und durch. Sie haben keinen Allradantrieb, einen kleinen, ersten Gang zwar schon und auch hinten die Doppelbereifung, aber sie sind länger und kopflastiger als wir mit LEMMY. Wir bedauern es sehr keine Nummern ausgetauscht zu haben, denn dann hätten wir versucht ihnen von der Strecke abzuraten.

Aber dafür lohnt sich der Weg

„Folgt uns bloß nicht!“, hätte ich gesagt. Die Passage ist äußerst fordernd. Es geht rauf und runter, oftmals gibt es Engstellen mit zum Teil großen Verschränkungen. Die tiefen Auswaschungen gehören hier überall dazu. Ich nutze häufig 4 Wheel High und auch 4 Wheel Low, wenn es besonders wild aussieht. Bei Nässe wäre es hier kaum befahrbar, doch Regen ist erst für den vierten Tag angesagt. Irgendwann erreichen wir dann einen militärischen Kontrollposten und werden gebeten unser Permit vorzuzeigen. Alles in Ordnung. Wir fragen nach dem Weg zum Fluss, denn hier gibt es wieder zwei Möglichkeiten weiter zu fahren. Er weist uns den Weg, der (wie sollte es anders sein) der Abenteuerlichere ist. Wir müssen einmal mehr einen steilen Hang runter, der abrupt abkippt. Durch eine Furt, die wenig Wasser führt, fahren und auf der anderen Seite einen ebenso steilen Hang hinauf. Es gelingt alles problemlos, doch Herzklopfen habe ich dabei trotzdem. Jutta bleibt erstaunlich ruhig und gelassen. Sie hat offensichtlich Vertrauen aufbauen können. Durch meine Fahrweise, durch die bisher richtig getroffenen Entscheidungen und durch LEMMYS Allradantrieb und die AT Reifen. Als wir ankommen stehe ich immer noch etwas unter Strom, bin aber froh und erleichtert, dass alles gut gegangen ist, dass Jutta alles relativ stressfrei mit macht und LEMMY nur ein paar weitere Kratzer aufzuweisen hat.

Stellplatz 2. Wahl

Nachdem wir uns zunächst schön direkt an den Fluss gestellt haben, werden wir von einem strengen Ranger an dieser Übernachtungsstation zwischen zwei Bungalows platziert. Die Bungalows kann man auch mieten, sie sind allerdings im Moment nicht bewohnt. Vor uns liegt der Fluss und auf der anderen Seite ist Aserbaidschan, unerreichbar für uns, denn auf dem Landweg sind die Grenzen geschlossen. Wieder denken wir an die anderen. An „Globelotte53“ (so nennen sie sich auf Instagram) und an Sebastian und Frieda und hoffen, dass sie vor dem „Point of no return“ umgekehrt sind oder das sie von vornherein gesagt haben, wir fahren die andere Richtung. Im Grunde fällt mir jetzt auf, standen sie ja dort, wo wir uns getroffen haben, schon am Scheideweg. Dort ging es ja nur vorwärts weiter oder den Weg, den man gekommen ist zurück. Wenn sie den jetzt weiter fahren, dann möglicherweise, weil wir den Ausschlag gegeben haben und sie mit uns eine paar Bierchen trinken wollen am Abend. Wir hoffen, dass sie nicht kommen, damit sie nicht wegen uns in Schwierigkeiten geraten, sich irgendwo festfahren oder nicht weiter kommen und malen uns verschiedene Horrorszenarien aus. Dann hauen wir uns noch ein Stündchen hin.

Und mir fällt eine lange zurückliegende Situation im Theater ein. Ich saß an meinem Schreibtisch in der Requisite und hatte etwas Zeit. Lucie, unsere Bühnenbildassistentin und ihre Hospitantin waren auch da. Sie machten gerne Mittagspause bei mir, denn es gab immer Kaffee. Auf der Bühne lief die Probe und auf meinem Monitor lief ein YouTube Video, wo sich gerade jemand durch den Schlamm wühlte. Es war ein getunter und aufgemotzter Jeep, der durch eine nasse Schlammrinne fuhr. Lucie wusste von unserer bevorstehenden Reise und kannte auch LEMMY. Denn gelegentlich kam ich mit ihm zum Theater, wenn zum Beispiel eine Premiere anstand oder ich an Silvester Vorstellung hatte und danach noch feiern wollte. Sie bemerkte beiläufig, während sie ihr Butterbrot aß und das Video schaute: „Offroadfahren ist doch einfach, oder?“ In Bruchteilen von Sekunden gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. „Was hat sie da gerade gesagt?“ Naja, sie ist sehr jung und hat gerade dieses eine Video gesehen. Ich mag und schätze sie sehr, aber sie weiß nicht, wovon sie da gerade redet. Vermutlich würde sie so etwas nicht sagen, wenn sie etwas besser Bescheid wüsste. Offroadfahren kann leicht aussehen und einfach erscheinen, besonders wenn es um nicht viel geht. Habe ich eine alte, getunte Schrottkarre, mit der ich einfach durch den Matsch brettern kann, dann sieht es vermutlich alles spielerisch einfach aus. Aber fahre ich ein kleines Expeditionsmobil, das eine ordentliche Stange Geld gekostet hat, dann ist das was ganz anderes. Ihr wird vermutlich nicht ganz klar gewesen sein, dass es verschiedene Schwierigkeitsgrade gibt.

Das ham wa uns verdient!

Ich habe es in einem Buch von der „Lila Pistenkuh“ gelesen, in dem der Autor beschreibt, wie er diese Schwierigkeitsgrade in etwa definiert. Ich zitiere nicht, sondern gebe es nur sinngemäß wieder. Er unterteilt in 5 Schwierigkeitsgrade. Der erste Grad ist eigentlich von jedem zu bewältigen, ohne Erfahrung und ohne Vorkenntnisse. Auch der zweite Grad dürfte niemanden vor allzu große Herausforderungen stellen, nur durch Unachtsamkeit könnte es zu leichten Schäden kommen. Beim dritten Grad sollte man schon etwas Erfahrung mitbringen oder zumindest wissen, wie man sein Fahrzeug beherrscht. Hilfreich ist es auch, wenn man weiß wie die Differentialsperre funktioniert. Was geschieht, wenn man die verschiedenen Untersetzungen einsetzt, wie sich der Kurvenradius und das Fahrverhalten ändert. Was das für Konsequenzen für das Fahrzeug, den Verschleiß des Getriebes hat, wenn man es unsachgemäß einsetzt. Wenn wir über den vierten Grad reden, dann sollte man wissen, dass man sein Fahrzeug so gut kennen und beherrschen sollte, dass man auch unter Stress, in angespannten Situationen, kurzfristig die richtigen Entscheidungen treffen muss, um Schäden am Fahrzeug oder Unfälle zu verhindern. Das man physisch wie psychisch in der Lage sein muss, extreme Situationen auszuhalten. Es kann hier bereits zu großen Schäden am Fahrzeug kommen, bis hin zum Totalschaden und zu Personenschäden oder sogar zu Todesfällen. Bei Stufe 5 sollte man sein Fahrzeug perfekt beherrschen und auch in der Lage sein die Situation und die Umstände exakt richtig einzuschätzen. Man muss dann in extremen Situationen richtig funktionieren. Man muss dann vielleicht an einer Steilkehre, an einer extrem steilen aufwärts führenden Piste reversieren, um die Kurve zu kriegen. Dabei gibt es keine Randsicherung und ein kleiner Fahrfehler könnte einen Sturz in den Abgrund bedeuten. Manchmal macht den Unterschied zwischen Stufe 4 und Stufe 5 aus, ob es nass oder trocken ist. Auf jeden Fall braucht man verdammt gute Nerven um hier zu fahren. Lucie weiß von alledem nicht viel. Darum antworte ich ihr, nachdem ich diese Gedanken in einer Sekunde abgehandelt habe: „Das kommt immer auf die Situation an Lucie.“ Und damit ist das Thema für mich beendet, weil ich keine Lust auf lange Erklärungen habe.

Plötzlich schrecke ich hoch aus dem Schlaf und bilde mir ein Motorengeräusche gehört zu haben.

…und was als nächstes geschieht…

GEORGIA – Chapter II

…und wie wir verlassene Sanatorien durchstreifen und warum mir ein Hund Tränen in die Augen treibt und schlaflose Nächte beschert…

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