Chapter 12 – Georgien

…und wie wir verlassene Sanatorien durchstreifen und warum mir ein Hund Tränen in die Augen treibt und schlaflose Nächte beschert…

…..Habe ich das gerade geträumt oder habe ich da eben Motorengeräusche gehört?“ Abrupt werde ich aus dem Schlaf in die Realität geholt. „Hast du das auch gehört?“, frage ich Jutta, die noch nicht ganz wach ist. „Was soll ich denn gehört haben?“, bekomme ich erwidert. „Ich glaube sie sind gekommen, die sind echt verrückt.“ Dann höre ich wie sie näher kommen und die Motorengeräusche lauter werden. Da kommen sie um die Ecke mit ihren beiden Kastenwagen mit der Doppelbereifung. Ohne Allrad zwar, aber 4 Wheel Drive kann man ja trotzdem sagen, auch wenn es nur hinten ist, oder?

„Lass uns schnell anziehen und die Verrückten begrüßen.“, sage ich zu Jutta und dann geben wir echt Gas. Sie fahren vorne an den Fluss und der strenge Ranger lässt sie gewähren. Möglicherweise liegt es daran, dass Erika russisch spricht und sich mit den Georgiern verständigen kann. Wir freuen uns sehr, dass sie heile und ohne Schäden angekommen sind. Auf meine Frage wie die Abfahrt mit ihren Autos war, bekomme ich zu hören, dass sie manches Mal die Spur haben ausbessern müssen. Löcher und tiefere Rinnen, bei denen ein Umkippen drohte, mussten teilweise mit Steinen, Sand und Ästen gefüllt werden. „Das war schon ganz schön anspruchsvoll.“, bemerkt Chris, der mit seinem Kastenwagen besonders kopflastig ist. Ich habe aller größten Respekt vor dem Wagemut, den die beiden Fahrer hier an den Tag legen. Denn Chris und Sebastian haben nicht die technischen Möglichkeiten, wie ich mit dem Ford Ranger. Sie müssen die fehlende technische Unterstützung mit Tollkühnheit, mit Erfahrung und mit fahrerischem Können ausgleichen. Und natürlich mit gelegentlichem Präparieren der Strecke.

Levin bereitet das Lagerfeuer vor

Wir geben ihnen Zeit zum Ankommen, genießen die wärmende Sonne am Fluss und schauen rüber nach Aserbaidschan. Dabei löse ich ein Sudoku und genehmige mir ein Bier. Am Abend sind wir zum Lagerfeuer verabredet. Levin, der Junior von Chris und Erika, ist bereits fleißig am Holz sammeln, sägen und stapeln. Dann verbringen wir einen schönen Abend gemeinsam am Feuer und lernen uns etwas besser kennen. Wir verabreden auch noch den nächsten Tag zusammen zu verbringen und gemeinsam in die Black Mountains zu fahren. Mit drei Fahrzeugen ist es natürlich sicherer. Bei Problemen kann man sich gegenseitig helfen und wir finden auch alle beiden Teams sehr sympathisch. Natürlich merken wir sofort, dass wir zwei eingespielte Teams vor uns haben, die sich schon länger kennen und auch schon das ein und andere Abenteuer zusammen erlebt haben. Das stört uns aber auch nicht und wir sind gerne, uns etwas zurücknehmend, einfach mit dabei. Da es nicht mein Lagerfeuer ist, an dem wir dann am Abend zusammen kommen, beobachte ich nur wie hin und wieder Mal etwas Holz nachgelegt wird und genieße die Wärme und die lichtspendenden Flammen. Irgendwann zieht sich Jutta zurück und eine Weile darauf verabschiede ich mich dann auch.

Am nächsten Morgen haben wir wieder super Spätsommerwetter. Damit haben wir nicht wirklich gerechnet zu dieser Jahreszeit. Wir freuen uns auf das, was der Tag uns so bringen mag. Nach dem Frühstück sind wir dann auch so um 11:00 Uhr startklar … und müssen uns in Geduld üben. Am Feuer gestern Abend haben wir erfahren, dass „Globelotte53“ und Frieda und Sebastian es gerne gemütlich angehen lassen. Aber das es so gemütlich wird, damit haben wir nicht gerechnet. Chris will noch eben den Wagen von unten abschmieren und parkt dazu um, auf unsere Seite zwischen den beiden Bungalows. Da kann er sich besser unter den Wagen legen auf der grünen Rasenfläche. Dazu spielt er mit seiner Boom Box den grandiosen Soundtrack von Eddie Vedder aus dem Film INTO THE WILD, einem tollen Roadmovie. Ich fülle Wasser auf, mache Sudoku, genieße die Ausblicke über den Fluss auf dieses fremde und unerreichbare Land und suche mir noch andere Aufgaben, die ich erledigen kann, während wir warten, bis die anderen fertig sind.

Es wird zwölf Uhr. Es wird ein Uhr. Wir werden langsam ungeduldig und überlegen schon mal vorzufahren. Das könnte aber auch unhöflich wirken. So als ob wir keinen Bock mehr haben, denken wir so bei uns. „Geh doch mal rüber und frag wie lange es noch dauert.“, sage ich zu Jutta. „Mach du doch!“, kriege ich zu hören und sage: „Ok, dann geh ich eben.“ Ich gehe zuerst zu Erika, sie kommt gerade aus der Dusche und kämmt sich die Haare. „Hey du, wie lange braucht ihr noch ungefähr? Wir überlegen sonst schon mal vorzufahren.“ „Weiß ich auch nicht, frag mal Chris.“, sagt sie. Ich gehe rüber zu Frieda und Sebastian und frage dort. „Sind gleich fertig.“, bekomme ich als Antwort von Frieda, die auch noch mit der Morgentoilette beschäftigt ist. Was „gleich fertig“, bedeutet, weiß ich jetzt aber auch noch nicht. Ich gehe zu Chris und frage ihn, ob sie es denn bis halb zwei schaffen werden, denn sonst fahren wir schon mal vor. Gleichzeitig entschuldige ich mich für mein Drängeln. „Klar!“, sagt Chris „das schaffen wir, wir brauchen den Druck, sonst kommen wir nicht in Gang.“ Um 13:30 sind wir alle startklar. Beim Verlassen dieses traumhaften Platzes kommen wir wieder an diesem kurios abgestellten Stuhl an dem Baumstumpf vorbei.

Sit down and relax!

Jetzt sind wir mit drei Fahrzeugen unterwegs. Chris fährt vorweg mit Erika, Levin und dem Hund Ayla. Dann dahinter Sebastian und Frieda und das Schlusslicht bilden Jutta und ich mit LEMMY. Wir müssen den selben Weg zurück, den wir gekommen sind, denn die Route entlang des Grenzflusses ist aktuell nicht passierbar. Es hat zu viel geregnet in der letzten Zeit und konnte in der Ebene nicht abfließen. So kommen wir wieder durch dieselbe Furt, passieren die Kontrollstation, ohne kontrolliert zu werden und erreichen eine scheinbar verlassene Farm. Wenn im Winter die Herden von den Weiden heruntergetrieben werden, füllt sich dieser Ort wieder mit Leben. Jetzt können wir aber alles ungestört erkunden. Vor einer alten Scheune hängt ein breites „Kentucky Fried Chicken“ Banner. Alle stellen sich an und tun so als ob sie etwas bestellen wollen und es nicht schnell genug geht. Sie rufen und schimpfen und drängeln. Ich fotografiere die ganze Szene. Es gibt noch mehr zu entdecken, zugewachsene Gärten, Häuser und eine kleine Schlafkammer eines Hirten, vermute ich. Ayla macht sich derweil selbständig und muss mühevoll überzeugt werden sich uns wieder anzuschließen.

Einen Eimer Chickenwings bitte!

Weiter geht es denselben anspruchsvollen Weg, den wir schon auf dem Hinweg gemeistert haben, zurück. Der größte Unterschied ist diesmal, dass es meistens bergauf geht. Ich freue mich auf diese Erfahrung auch mal längere Passagen mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad bergan zu fahren. Es ist auch noch relativ trocken, da hier das abgeregnete Wasser abfließen konnte und die Piste nicht so aufgeweicht ist, wie der Boden entlang des Flusses. Trotzdem müssen wir das ein und andere Mal halten, um die Strecke erneut zu präparieren. Eine steile Passage aufwärts knickt oben noch vor der Kuppe links ab und Chris fürchtet in eine tiefe Auswaschung auf der linken Seite zu rutschen. Der Boden ist feucht und die Spur schmal und eine starke Schräglage ist nicht zu vermeiden. Sollte er in diese tiefe Auswaschung, in diese Spur reinrutschen, dann könnte er mit seinem Wagen umkippen, fürchtet er. Also alle Mann ran an die Schaufeln, raus aus den Autos und Sand schippen. Die große Rinne wird gefüllt. Alle helfen mit. Die Ladys schmeißen Steine rein, Levin sammelt rumliegende Äste und wir schippen Sand und füllen damit auf. Danach treten wir die ausgebesserte Stelle fest. Chris fährt als Erster. Durch die große Steigung muss er ordentlich Gas geben im kleinen ersten Gang. Er braucht etwas Geschwindigkeit, um hier diese Hürde zu nehmen. Er kommt gut durch, dann ist Sebastian dran. Auch das gelingt gut. Jetzt fahre ich mit LEMMY hoch oder soll ich sagen LEMMY mit mir? Ich fahre mit 4 Wheel Low und muss nichts machen außer lenken. Den Rest macht die Technik vom Ranger. Manchmal beneide ich Chris und Sebastian für ihre Tollkühnheit, für ihren Wagemut und den Abenteuergeist. Es wurde ihnen abgeraten mit diesen Fahrzeugen in den Park zu fahren. „Das geht nicht ohne Allradantrieb.“, hieß es. Naja, Allradantrieb haben sie nicht, aber mit der Doppelbereifung hinten gleichen sie dieses Defizit etwas aus und es geht deutlich mehr, als man erwarten mag. Das haben sie bewiesen.

Mal wieder ein Fotostop

Langweilig wird es nicht. Die Auswaschungen werden etwas weniger, doch die Steigung nimmt zu, es wird feuchter und der lehmige Boden wird rutschiger. Teilweise haben wir das Gefühl, wir fahren eine Wand mit 45 % Steigung hoch. Wieviel die Steigung tatsächlich beträgt, wissen wir nicht. Wir folgen und verlassen uns auf das Routing der Anderen. Jutta hat eher Zweifel als ich, aber wir kommen dennoch an. Obwohl es manchmal nicht ganz klar war, ob wir links oder rechts weiterfahren sollten. Die Aussicht wird immer spektakulärer, wir kommen immer höher und schauen auf die Umgebung und die anderen Berge runter. Wenn es besonders steil aufwärts geht warten wir, bis Sebastian oben ist. Dann erst fahre ich hinterher. Sebastian klebt immer ziemlich nah am Heck von Chris, obwohl das nicht ganz ungefährlich ist. Chris könnte nach vorne Probleme haben und zurücksetzen müssen oder wollen. Er könnte technische Schwierigkeiten bekommen und hinter sich Platz brauchen. Oder er könnte ins Rutschen kommen und dann nicht nur sich, sondern auch den nachfolgenden Fahrer ins Unglück reißen oder oder oder. Chris scheint es nicht zu stören und er lässt Sebastian gewähren. Jedenfalls sind wir oben bevor es dunkel wird und die Aussicht ist der Wahnsinn.

Jetzt müssen wir nur noch überlegen, wie wir die Nacht über stehen werden. Da es eine Sackgasse ist und wir den selben Weg morgen zum Teil wieder zurückfahren, können wir ruhigen Gewissens auf der Piste stehen bleiben. Es wird heute Abend niemand mehr kommen, der noch an uns vorbei fahren will. Das ist die vorherrschende Meinung. Also geht es jetzt nur noch darum eine Position zu finden, die einigermaßen gerade ist. Es wird etwas diskutiert, wie es so üblich ist. Mach doch dies, fahr doch dahin und so weiter. Sebastian entscheidet sich schnell und fährt abseits des Pfades um zu drehen und schon knallt es laut und der Motor steht still. Ein verficktes Metallgeflecht, unsichtbar im hohen Gras hat sich von unten in den Motor gefressen.

Verf* Eisenstange!

Mit grober Kraft und ohne Rücksicht auf Verluste reißt Chris das verdammte Metallgeflecht heraus. Sebastian startet das Auto. Alle drücken die Daumen und tatsächlich, der Motor läuft anschließend ohne Probleme. Nachdem wir alle die perfekte Parkposition gefunden haben treffen wir uns zum Lagerfeuer wieder. Erneut verbringen wir einen sehr angenehmen Abend mit anderen Overlandern, mit für uns eigentlich fremden Menschen, mit denen uns trotzdem soviel verbindet. Die Liebe zum Reisen, die Welt zu entdecken und Neues zu erleben. Hier und heute lernen wir uns noch besser kennen am Feuer. Erika erzählt lustige Anekdoten von Zuhause, Frieda will wissen, wie wir (Jutta & ich und Erika & Chris) uns/sich kennengelernt haben. Ich kippe mit meinem kleinen Klapphocker kopfüber nach hinten (denn ich sitze ziemlich abschüssig) und sorge damit für Heiterkeit, Zum Glück passiert mir weiter nichts. Wir haben erneut einen tollen Abend am Lagerfeuer, aber auch dieser Abend geht irgendwann zu Ende und wir gehen schlafen…

Bis zur Weiterfahrt mit unseren neuen Reisepartnern auf Zeit, müssen wir wieder etwas länger warten, das wissen wir ja schon. Deshalb lassen wir uns besonders viel Zeit für das Frühstück und unsere beiden obligatorischen Morgenkaffees. Was Jutta und mir jetzt noch nicht klar ist, wir werden uns noch am heutigen Tag trennen von unseren Gefährten. Es wird zu unschönen Begegnungen auf einem alten Militärflughafen kommen.

Braucht noch jemand nen Hoodie?

Was mir jetzt auch noch nicht klar ist, dass eine „Followerin“ von uns auf Instagram die Freundin von meinem alten Schulkumpel Stefan ist. Sie gibt mir sehr wertvolle Tipps, denn sie war kurz vor uns mit Stefan hier in Georgien.

Heute müssen wir den Vashlovani N.P. verlassen. Es ist der vierte Tag und damit läuft unser Permit aus. Von Sarah haben wir über Instagram erfahren, was ihre Highlights auf ihrer dreiwöchigen Reise waren. Sie hat mir sehr ausführlich beschrieben, was sie alles gesehen, erlebt und gemacht haben. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank. Für den N.P. hatten sie sich einen kleinen Suzuki mit Allrad gemietet. Bedenken hatte sie wegen unserer Größe, ob wir da wohl überall durchkommen mit LEMMY? Wie sich jetzt zeigt, ist LEMMY bestens gerüstet für diesen Park.

Stepanzminda im großen Kaukasus, nahe der russischen Grenze war besonders schön, schreibt sie uns. Erstmal der Weg dahin durch die Berge und dann die Aussicht auf den 5047 m hohem Kazbegi. Das solltet ihr auf jeden Fall machen. Obwohl, hieß es nicht der große Kaukasus sei ab Oktober nicht mehr befahrbar? Wir wollen es noch herausfinden. Dann erfahre ich von alten, verlassenen Sanatorien in Zqaltubo (Tskaltubo, Tschaltubo). Erfahre von heißen Quellen, die nach faulen Eiern stinken, aber ein Bad darin trotzdem empfehlenswert und belebend sein soll. Sarah schwärmt von einer feuchtfröhlichen Begegnung in einer Pension, in der sie die Nacht verbracht haben und dabei ziemlich viel gebechert wurde. Sie wurden zum Wassermelone essen eingeladen, von einem Georgier und einer russischen Frau. Dazu gab es reichlich lokalen Wein und Chacha. „Ushguli ist eine ganz andere Welt, das solltet ihr auf keinen Fall auslassen, ebenso Mestia.“, schreibt sie. In Bordjomi gibt es das berühmte Quellwasser zu trinken, das kann aber unter Umständen auch schon mal Brechreiz auslösen. Wir erfahren unfassbar viel, z. B. das Kutaissi, neben der Hauptstadt Tbilisi auch Einiges zu bieten hat. Alles was sie uns von ihrem dreiwöchigen Roadtrip durch Georgien berichtet, können wir gar nicht mehr schaffen. Ich will wohl sehr gerne nach Ushguli fahren, davon schwärmen alle. Doch auch dieser Ort liegt mitten im großen Kaukasus und im Winter kommt es oft vor, dass dann einige Pässe wegen starkem Schneefall nicht befahrbar sind. Das kann von ein paar Tagen bis hin zu Wochen dauern, bis sie wieder geräumt werden. Obwohl die Straße von und nach Ushguli soll geräumt werden, hören wir jedenfalls. Ob diese Information verlässlich ist, wissen wir nicht. Jutta sagt erstmal „No“ und wir versuchen zunächst mal nach Stepanzminda zu kommen, um einen Eindruck vom großen Kaukasus zu gewinnen. So bekomme ich also viele tolle Tipps und Anregungen von Sarah aus Hamburg und wir nehmen Einiges davon mit in unsere Reiseplanung auf.

Landebahn des verlassenen Militärflughafens

Am späten Vormittag sind wir alle startklar. Der Motor von Sebastians Mercedes läuft und hat keinen Schaden genommen durch dieses verbogene Eisengestänge im hohen Gras gestern. Wir haben die Fahrzeuge in Fahrtrichtung ausgerichtet und fahren los, den Weg zurück, den wir gestern gekommen sind. Dann kommt eine Gabelung und wir biegen ab auf eine uns unbekannte Piste. Das gemeinsame Ziel ist ein alter Militärflughafen, ein „Lost Place“ der besonderen Art. Die Permits der anderen Teams enden auch am heutigen Tag. Bevor es zu regnen anfängt, wollen wir den Vashlovani Park verlassen haben. Es geht gut voran und mit einigem Abstand folgen wir wieder an dritter Position. Was wir hier die letzten Tage erlebt und an Erfahrung und Fahrpraxis gesammelt haben, das ist wirklich unbezahlbar. Ich bin viel vertrauter geworden mit LEMMY und was Jutta jetzt in einer unglaublichen Gelassenheit mitmacht, ist vor einer Woche unvorstellbar gewesen.

Wieder geht es rauf und runter und wir verarbeiten noch die Eindrücke der letzten Tage. Gestern sahen wir in weiter Ferne noch die schneebedeckten Gipfel des großen Kaukasus und nebenan im nebligen Dunst, die verschwommenen Black Mountains.

Das war heikel! Das passende Video dazu gibts auf Instagram 😉

Was ist jetzt? Vor uns wird gestoppt und alle steigen aus den Autos aus. Auch wir steigen aus, um zu sehen was los ist, warum wir hier anhalten. Eine Vermutung liegt nahe: Der vor uns liegende Streckenabschnitt muss begutachtet werden. Was sich herausstellt ist Folgendes: Der Weg führt feucht und rutschig ziemlich steil runter. Erschwerend kommt hinzu, dass die Strecke nach rechts arg schräg abfällt. Man droht in eine tiefe Rinne zu rutschen, was ein Umkippen des Fahrzeugs zur Folge haben könnte. Besonders Chris befürchtet, das genau dieser Fall eintreten könnte. Also wieder alle ran an die Schaufeln, um diese Rinne von etwa 3 Metern Länge zu füllen. Sollte es dann so sein, dass die Reifen ins Rutschen kommen, kippt man wenigstens nicht gleich so tief weg. Chris probiert es sehr langsam und vorsichtig, bremst kurz an und rutscht sofort. Dann kommt er zum Stehen. Das war nur ein Test vor der Abfahrt. Hier sieht man sehr anschaulich, was passieren kann, wenn man in solchen Situationen auf die Bremse tritt. Ist man etwas schneller unterwegs und bremst zur falschen Zeit an der falschen Stelle, dann wird ein mehrere Tonnen schweres Fahrzeug ganz schnell unkontrollierbar.

Mit erneuten Ausbesserungsarbeiten an der Spur, mit dem Festtreten des geschaufelten Sandes und mental auf die Strecke vorbereitet, geht es los. Chris fährt los, ganz langsam. Erika filmt von vorne. Ich schicke sie dort weg. Sie steht genau an der kritischen Stelle, an der die Strecke eine leichte Linkskurve macht und das Auto droht nach rechts abzurutschen. Zeitgleich hupt Chris schon und fuchtelt mit den Händen, dass sie dort verschwinden soll. Langsam geht es runter und ohne zu bremsen kommen die Hinterräder ein wenig ins Rutschen. Der rechte Hinterreifen kommt der präparierten Stelle immer näher. Doch dann fangen sich die Räder wieder, haben mehr Grip. Ohne abzurutschen auf unserem notdürftig reparierten Abschnitt, kommt Chris heil und unversehrt an dieser Passage vorbei. Als Nächster fährt Sebastian und wird dabei von Frieda gefilmt. Alles geht gut. Jetzt kommen wir dran und Frieda filmt auch uns. Ich nutze die Untersetzung und fahre mit 4 Wheel Low, schalte gleich in den zweiten Gang und lasse LEMMY einfach laufen. Ich muss nur noch lenken und nehme den Fuß von der Bremse, das übernimmt jetzt der Motor für mich. Gleichmäßig ackern sich die BF Goodrich AT Reifen durch den feuchten, weichen Lehmboden. Ich spüre ein kleines Rutschen der Hinterräder, wie es zuvor auch bei Chris der Fall war. Dann ist der Ranger wieder in der Spur und kommt ebenso unbeschadet bei den Anderen an.

Wir erreichen eine Lichtung mit schöner Aussicht und machen einen Fotostop. Sebastian und Frieda fotografieren viel und gerne, schließlich haben sie ihr Hobby zum Beruf gemacht. Von Weitem sehen wir ein anderes Fahrzeug kommen. Aus der Richtung, die wir bereits hinter uns haben. Es ist noch weit weg und nur winzig klein, aber es scheint ein weißer Pickup Camper zu sein. „Bestimmt Deutsche“ ist die meistgehandelte Vermutung. Den Einzigen, den Frieda & Sebastian und Chris & Erika außer uns noch im Park getroffen haben (abgesehen von vereinzelten Rangern) war ein einsamer Wanderer, ein Franzose. Der war alleine unterwegs mit kleinem Gepäck und Zelt, um Tiere zu beobachten und aufzunehmen. Die Wetten laufen und wir können erkennen, als der Wagen näher kommt, dass er ein georgisches Kennzeichen hat. Sie bleiben hinter LEMMY stehen und steigen aus.

Es ist ein junges Paar mit kleinem Kind dabei. „Hallo!“, begrüßen sie uns und wir brechen in Gelächter aus. Sie gucken etwas irritiert und wir klären das Missverständnis auf. Das wir fast drauf gewettet hätten, dass da Deutsche hinter uns herkommen. Dann wird ihr geliehener Pickup unter die Lupe genommen und alles von innen und außen begutachtet. Man sah ihm, dem Fahrer noch die Strapaze an. Er hatte fast noch Schweißperlen auf der Stirn und sicher im Traum nicht damit gerechnet, mit was für Strecken er es hier im Nationalpark zu tun haben wird. „Ist ganz schön abenteuerlich hier zu fahren!“, spielt er seine Anspannung etwas runter, die ihm aber deutlich anzumerken ist. Er ist vermutlich nicht geübt darin, in dieser Art Terrain zu fahren und dann noch mit einem geliehenen, nicht vertrautem Auto. Dazu kommt noch die große Verantwortung für Frau und Kind, das höchstens zwei Jahre alt ist. Nach einer netten Plauderei verabschieden wir drei Teams uns von der jungen Familie und setzen unsere Fahrt zum verlassenen Militärflughafen fort.

Wir kommen raus aus der Wildnis und fahren dann auch bald wieder auf Asphalt. Vor einem kleinen Shop rechts am Straßenrand wird kurz gehalten und Chris zeigt mir pantomimisch, dass er Zigaretten braucht. „Brauchen wir auch noch was?“, will Jutta wissen und ich verneine. Mit ein paar Softdrinks, Süßigkeiten und Zigaretten in den Händen kommt Chris aus dem Laden und wir fahren weiter bis wir nach links abbiegen. Eine besonders schlechte Straße, bei der man fast in den großen Löchern verloren gehen kann (Also nochmal höchste Konzentration und jede Ausweichstrecke neben der Straße nutzen!) führt an einigen verlassenen, verfallenen Gebäuden vorbei. Dann erreichen wir den alten Airport.

Über die Rollbahn, von der wohl schon länger kein Flieger mehr abgehoben oder gelandet ist, fahren jetzt wir mit unseren drei Campern. Das Gelände ist riesig und überall stehen verschlossene und mit Gras bewachsene Hangars. Sebastian parkt direkt vor so einem Hangar und lugt durch das Tor. Chris und ich bleiben auf der Rollbahn stehen. Levin ist sofort bei Sebastian, um zu schauen, ob noch ein Flugzeug hinter dem Tor zu sehen ist. Und dann besteigen wir eine dieser großen Kampfjetgaragen. Irgendwo soll hier noch ein abgewracktes Flugzeug stehen. Von oben können wir es noch nicht entdecken. Aber wie groß das Gelände ist, dass sehen wir jetzt mit eigenen Augen. Frieda ist jetzt mit Levin schon beim nächstgelegenen Hangar und sie spähen hinein. Sie macht Bilder durch einen Spalt des verschlossenen Tores. Es läuft auf großen verrosteten Rollen, die in Schienen geführt werden. Sebastian kommt dazu und versucht diese großen Ungetüme, die in der Mitte geteilt sind, auseinander zu schieben. Ein Schloss ist nirgends zu sehen, aber allein mit Muskelkraft dürfte dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt sein. Ich schaue noch von oben runter auf das Treiben und mache selber Fotos.

What’s inside?

Dann sehe ich wie da ein kleiner Wagen mit blinkendem Signalhorn auf dem Dach angerast kommt. Er macht eine Vollbremsung neben unseren Autos auf der Rollbahn und geht zu den Anderen. Ich steige herunter vom Hangar und denke bei mir: „Das gibt Ärger.“ Als ich ankomme wird schon wild diskutiert. Hauptsächlich spricht Erika mit dem älteren, äußerst aufgebrachtem Mann, der wirklich verärgert scheint. Er hat ein kleines Kärtchen an einem Band um seinen Hals hängen und einen langen Stock in der Hand. Er macht uns unmissverständlich klar, dass es nicht erlaubt ist, was wir hier treiben. Dazu muss man keine georgisch oder russisch können, um das zu verstehen. Aber er wird nicht ernst genommen. Erika erklärt uns, sie vermute er spiele sich nur auf und habe gar keine Befugnisse hier irgendwas zu sagen. Uns ist das Ganze dennoch sehr unangenehm. Es wird vereinzelt gelacht. Sebastian greift immer wieder zu dem Kärtchen, das der Mann um den Hals trägt, um zu sehen, was darauf geschrieben steht. Doch der ältere Herr weist ihn jedes mal ab und schiebt ihn weg. Jetzt wird es uns noch unangenehmer und wir finden Sebastians Verhalten schon etwas respektlos.

Ich betrachte mich hier als Gast in diesem Land und damit auch auf diesem alten Flugplatz. Und ich sehen es so, dass der deutlich Jüngere, dem deutlich Älteren Respekt zollt. Es wird weiter gestritten und umhergelaufen. Der Mann lässt nicht ab davon uns zu vermitteln, dass wir hier unbefugt sind und gehen sollen. Jutta und ich bereden uns kurz und sind uns einig was zu tun ist. Mal sind Erika und Chris bei ihm, dann wieder Sebastian, der sich für unser Empfinden echt übergriffig verhält. Uns ist das alles zu viel hier und so sagen wir zuerst Erika und Chris, das wir weiter fahren werden. „Wir wollen schon los nach Stepanzminda, das hatten wir sowieso vor.“, sage ich den Beiden. Dann verabschieden wir uns noch von Frieda und Sebastian. Weiter als bis zu diesem Ort hatten wir eh noch keine gemeinsamen Pläne geschmiedet. Ohne das Ende dieser bizarren Situation abzuwarten, trennen sich unsere Wege.

Als erstes wollen wir zurück nach Dedopliszqaro fahren. Dort wo diese schummrige Miss Marple Filmkulisse an der Wasserquelle ist. Der Frischwassertank ist fast leer und muss dringend wieder aufgefüllt werden. Außerdem können wir im Laden dort einen größeren Einkauf machen. Nach den langen Lagerfeuernächten ist mein Biervorrat beträchtlich zur Neige gegangen. Ein warmes Shoti frisch aus dem Ofen wäre auch mal wieder was Feines. Also erst mal an die Wasserquelle, damit wir es wieder auf 100 Liter Frischwasser bringen. Plus meinem 10 Liter Kanister, den ich dort auch auffülle und dann verstaue.

Immer noch gruselig!

Danach zur Bierquelle, dem kleinen Supermarkt, um auch hier das nötige Elixier aufzufüllen. Wir parken wieder genau dort, wo wir vor einigen Tagen standen, zwischen Office und Supermarkt. Ein wenig unheimlich ist es hier auch, sobald der Nebel aufzieht und es dunkel wird. Kaum Menschen auf der Straße und die Häuser sind alt, brüchig und zum Teil verlassen. Das frische Shoti bekommen wir aus einer winzigen Backstube durch ein kleines Fenster verkauft und sind damit für einen gemütlichen Videoabend mit Käse und Wein vollkommen versorgt. Cheers.

Shoti frisch aus dem Ofen, mmmmh!

Um nach Stepanzminda zu kommen fahren wir die alte georgische Heerstraße entlang bis ca. 12 km vor der russischen Grenze, die für uns auch verschlossen bleiben wird. So wie es schon die aserbaidschanische Grenze über Land war, geschlossen wegen Corona. Es ist ein regnerischer Tag mit gelegentlichen Sonnendurchbrüchen durch den ansonsten wolkenverhangenen Himmel. Immer wieder gibt es trotz des Dunstes und Nebels tolle Ausblicke auf die uns umgebenden Berge. Wir fahren durch den großen Kaukasus! Von Schneefall weit und breit nichts zu sehen, außer auf den Gipfeln der Fünftausender. Wir kommen durch kleine Dörfer. Kommen vorbei an Road Houses, die zum Essen einladen, an kleinen Hotels und Pensionen und fahren lange Zeit an einem Fluss entlang. An dem wird an vielen Stellen Wildwasser-Rafting angeboten, Übernachtungsplätze inklusive. Das ist aber wohl eher ein Sommervergnügen, denn gesehen haben wir weder ein Boot auf dem Wasser, noch irgendwelche Camper an den Flussufern.

Es geht weiter hoch über verschiedene Pässe. Oft geht es sehr langsam voran, da viele LKWs über die georgisch/russische Grenze wollen und ich durch die vielen Kurven selten eine Gelegenheit zum Überholen bekomme. Für den Warenverkehr der Lastwagen ist die Grenze nicht kategorisch geschlossen. Meistens ist die Straße nass und mein Borddisplay zeigt mir Glättegefahr an, sobald die Temperatur unter 4 Grad absinkt. Trotz schlechtem Wetter, trotz Kälte und Nässe genieße ich die Fahrt. Bin ich doch außerordentlich glücklich darüber, im Oktober noch in den großen Kaukasus vorzudringen. Obwohl es eigentlich nicht gehen sollte zu dieser späten Jahreszeit. Haben wir das dem Klimawandel zu verdanken? Möglicherweise ja, denke ich. Vor 10 oder 20 Jahren waren die Winter hier wahrscheinlich ausgeprägter und verlässlicher zu Beginn des 10. Monats. In diesem Moment will ich mich darüber aber nicht beklagen.

Bidara Travertines

Dann sehe ich in einer Kurve was Sonderbares aus dem Augenwinkel und entscheide mich sofort auf dem Parkplatz, auf der gegenüberliegenden Seite zu halten. Dafür muss ich schon etwas kräftiger in die Eisen gehen, aber da ich mich schnell entschlossen hatte, war es kein Problem. Dort auf der anderen Seite der Straße rollt sich ein Gletscher den Berg runter. Es sieht aus wie eine ausgestreckte Zunge, die nach unten hin immer breiter wird. Aber es ist kein Gletscher. Es ist weder glatt noch kalt. Das ist sowas wie in der Türkei in Pamukkale. Nur hier ist die Färbung eine Schattierung zwischen terra und weiß. Kein Wunder, dass es hier eine Menge Souvenirstände, eine Toilette und diesen großen Parkplatz gibt. So prächtig wie in der Türkei ist es zwar nicht und warme Pools, in denen man baden kann gibt es auch nicht, aber eine Attraktion am Wegesrand ist es allemal.

Weiter geht es durch viele Steilkehren den Berg rauf und dann auch mal wieder runter. Langsam den russischen LKWs folgend oder Lastwagen aus Kasachstan, aus der Ukraine und der Türkei. Wenn sich die Möglichkeit bietet und ich ein paar hundert Meter eine Gerade ausmache, dann überhole ich auch schon mal, falls die Sicht es zulässt. Wir kommen durch dunkle Tunnel, dann wieder umfahren wir gesperrte Tunnel an der Bypass-Straße. Warum die Tunnel zum Teil gesperrt sind, erschließt sich uns nicht, vermutlich sind sie baufällig. Manchmal fahren wir durch richtige Wintersportgebiete, wie zum Beispiel Gudauri. Hier ist aber noch nichts los, mangels Schnee. Einige Hotels scheinen noch im Bau zu sein und bei manchen sieht es so aus, als seien sie noch während der Bauphase in eine finanzielle Schieflage geraten und vor dem Ruin. Man weiß es oft nicht so genau: Wird da noch was passieren oder steht auch dort ein Investor, ein Bauherr am Abgrund? Und manchmal sieht man es ganz deutlich, da ist seit Jahren kein Handwerker mehr erschienen. Das Gebäude verfällt bevor es richtig fertiggestellt wurde. Viele Schicksale hängen daran, viele Hoffnungen und Träume. So manch einer wird wohlmöglich alles auf eine Karte gesetzt haben und verliert alles. Ob es allen klar war, auf was für eine Pokerpartie sie sich da einlassen? Ich weiß es nicht und ich versuche nicht depressiv zu werden bei meinen Gedankengängen über diese möglichen Schicksale.

Noch ist nicht ganz klar, wo wir die Nacht verbringen. Es gibt eine Möglichkeit, bevor wir Stepanzminda erreichen. „Das können wir uns ja mal anschauen, weiterfahren geht dann ja immer noch, wenn es uns nicht gefällt.“, sage ich zu Jutta, die natürlich auch eine Alternative direkt im Ort parat hat. Ich biege von der alten Heerstraße ab und durchquere ein kleines Dorf. Aber bevor wir uns auf eine mehrere Kilometer lange Holperpiste einlassen, ohne zu wissen, was uns am Ende erwartet, brechen wir dieses Unterfangen ab. Schon jetzt zu Beginn ist der Weg nämlich dermaßen schlecht und wir müssten den selben Weg auch zurück nehmen, dass wir uns das nicht antun wollen. Außerdem wollen wir Stepanzminda erkunden. Das geht eindeutig besser, wenn man im Ort steht.

Also schnell zurück auf die alte Heerstraße und vorbei an der endlosen Reihe hintereinander stehender Lastwagen, die alle darauf warten etwas aufzurücken, um der Grenze nach Russland näher zu kommen. Viele Kilometer lang stehen sie hintereinander am rechten Rand der Straße und die Polizei überwacht und schaut, dass sie alle richtig stehen, das Lücken bleiben und keiner drängelt. Wir können links an ihnen vorbeifahren und erreichen den Ort. „Da noch über die Brücke rüber und dann links in das Wäldchen rein.“, sagt Jutta. Wir sind da. Über Park4night hat sie diesen Platz hier für heute Nacht entdeckt. Als ich gerade auf den Wald zufahre, um mir einen Stellplatz auszusuchen, da sehe ich einen großen Overlander – Truck mit spanischem Nummernschild. An der Seite sehe ich einen Aufkleber, „overlandingbytruck“, steht da drauf.

overlandingbytruck, what a surprise!

Noch bevor ich richtig stehe mit LEMMY kommt ein Pärchen raus, um uns zu begrüßen. Das ist etwas besonders schönes beim Reisen über Land. Sofort ist eine gemeinsame Basis da, eine Verbindung und eine Leidenschaft, die man teilt. Es ist nicht so, wie z.B auf einem Campingplatz. Dort hat man zwar auch eine Leidenschaft, nämlich Camping und in der Natur sein mit Gleichgesinnten. Trotzdem ist es anders. Es fällt mir schwer auszudrücken, was ich meine. Wir waren schon auf vielen Campingplätzen und man hat es ja auch selber in der Hand, wie viel Kontakt man zulassen möchte oder eben auch nicht. Aber eigentlich ist es auch Quatsch, glaube ich, was ich gerade von mir gebe. Im Grunde ist es das Gleiche auf dem Campingplatz, nur unsere persönliche Haltung ist dann eine andere. Wir sind da eher zurückhaltend und gehen nicht so sehr auf Andere zu. Hier ist man weit weg von Zuhause und sieht verhältnismäßig selten andere Overlander. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum es einem intensiver vorkommt als es ist.

Gaaaanz hinten der Kazbegi!

Ein Mann und eine Frau stehen vor uns, er spricht ganz gut englisch. Woher man kommt und wohin man will ist immer schnell Thema und es dauert nicht lange, da kommen wir auf „Dandovueltas“ zu sprechen. Sie kennen sich natürlich und sind schwer begeistert, dass wir sie schon dreimal getroffen haben während unserer Reise. Sie wollen sich auch noch treffen, denn sie haben ein gemeinsames Ziel, den Iran. Kurze Zeit später, als wir uns so langsam eingerichtet haben zwischen den Bäumen und umherlaufenden Rindern, klopft es an der Tür. Unser spanischer Nachbar hat Jose, alias „Dandovueltas“, ein Foto von LEMMY geschickt und ihm geschrieben, dass wir uns gerade neben seine Truck gestellt haben. Prompt hat Jose eine Sprachnachricht zurückgeschickt. Die spielt er uns jetzt vor und übersetzt anschließend, was Jose über uns zu sagen hat. Es ist sehr schmeichelhaft für uns und darüber freuen wir uns sehr. Auch, dass er gleich rüberkommt, um es uns vorzuspielen, empfinden wir als sehr nette Geste.

Es dämmert bereits und wir wollen noch einen Spaziergang durch Stepanzminda machen und in den Supermarkt, um ein paar frische Zutaten für das Abendessen zu kaufen. Es ist ein etwas verschlafener, aber sehr schöner Ort. In wenigen Gehminuten sind wir schon da, nur kurz über den Fluss, über die Brücke. Zuerst entdecken wir eine kleine Kirche, die in ein unheimliches grünes Licht gehüllt ist. Wieder könnte es eine Filmkulisse sein, diesmal vielleicht aus einem alten Edgar Wallace Film. „Der schwarze Abt“ würde gut hierher passen. Wir laufen umher und genießen ein wenig die Atmosphäre um dieses alte Gemäuer. Das Tor in die Kirche ist leider schon zugesperrt, weil es auf den Abend zu geht. Ich hätte große Lust Jutta von hinten zu erschrecken. Aber da ich weiß wie sehr sie das hasst, lasse ich es lieber.

Wir bummeln noch etwas durch den Ort und dann geht es noch schnell in den Supermarkt. Sofort im Eingangsbereich bietet sich mir wieder ein Bild, das mich zum Lächeln bringt. Vor dem Gemüse steht ein kleiner Tresen (wie in einer Kneipe) und frisches Bier wird gezapft. Aber Bier habe ich noch genug. Jutta guckt nach Obst und Gemüse und ich schaue mir mal die Spirituosenabteilung an. Dabei bekomme ich irgendwie Lust auf „White Russian“ und packe mir eine Flasche Kahlua und einen polnischen Vodka (weil mir die Aluflasche gefällt) in den Einkaufswagen. Danach spazieren wir gemütlich zurück, um uns was Leckeres zu kochen. Unterwegs treffen wir auf die beiden Spanier, die ihrerseits noch einen kleinen Gang unternehmen.

Sarah hatte von Stepanzminda und besonders von der Aussicht oben bei der Dreifaltigkeitskirche geschwärmt. Aber der Weg dort hoch ist der Albtraum hatte sie mir geschrieben. Sie sind mit ihrem klapprigen Suzuki dort hoch gefahren, aber sie hat nicht geschrieben, warum es so ein Albtraum war. Sie riet uns ein Taxi zu nehmen oder zu laufen. Ich fahre lieber selber. Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von „overlandingbytruck“, da wir nach dem Ausflug hoch zur Kirche direkt weiterwollen und zurückfahren. Zurück bedeutet zunächst mal grob in Richtung Kutaissi. Denn viel weiter kommt man hier auch sowieso nicht. Es geht nur weiter nach Russland. Links und rechts der alten Heerstraße ist nur Gebirge, nur Kaukasus, keine Straßen und keine Wege. „Wir fahren auch gleich hoch zur Kirche.“, sagt mir unser Nachbar. Er hat schon den Helm in der Hand und das Motorrad vom Truck geholt. „Ach, alles klar, dann sehen wir uns oben.“

What a view!

Als alles pistenfest verstaut ist geht es los. Finden wir halt selber raus, warum die Strecke ein Albtraum war für Sarah. Tatsächlich finden wir es nicht raus. Ich kann nur spekulieren. Es geht schon durch einige steile Serpentinen, aber das sollte mit einem kleinen Suzuki kein Problem sein. Besonders dann nicht, wenn man damit zweieinhalb Tage im Vashlovani N. P. unterwegs war. Ein Teilstück der Strecke ist nur einspurig befahrbar, da die rechte Spur über mehrere hundert Meter abgesperrt ist. Man kann nicht die gesamte Teilstrecke einsehen. Kann es das sein? Sollten sich zwei Fahrzeuge treffen auf halben Weg, dann muss einer von beiden zurückfahren. Das wird in der Regel das kleiner Fahrzeug sein. Einen großen Unterschied macht natürlich die Reisezeit aus. Als Sarah mit meinem alten Schulkumpel Stefan hier war, wird viel mehr los gewesen sein. Es war Sommer. Da werden Reisebusse unterwegs gewesen sein und viel mehr Autos, als jetzt im November. Ich kenne die Situationen, wenn man vor einer Steilkehre ist und ein übermächtiger Reisebus kommt frontal auf einem zu. Man ist vielleicht sogar schon in der Kehre drin, weil man das Ungetüm nicht hat kommen sehen. Da kann man schon ins Schwitzen geraten. Uns bleibt nur zu spekulieren, aber eigentlich ist es auch völlig egal.

Hier gehts rauf!

Wir haben keine Probleme und erreichen den Parkplatz vor der Dreifaltigkeitskirche. Das Wetter spielt mit und ich sehe schon, vor dem Einparken, im Rückspiegel den 5047 Meter hohen Kazbegi. Er ist mit Schnee bedeckt und dahinter strahlt der blaue Himmel. Hin und wieder schiebt sich ein kleines Wölkchen vor diesen majestätischen Berg. Man kann auch jetzt im Winter Touren buchen um ihn zu besteigen. Wir schauen nur. Ich erkenne das Moped von unseren Nachbarn und dann sehe ich sie auch schon. Sie kommen gerade von einem Aussichtspunkt mit Münzfernrohr herunter. Wieder mal quatschen wir uns ein bisschen fest, dann verabschieden wir uns endgültig. Aber wir werden verfolgen wie sie in den Iran fahren werden. Sie hat ihr Visum bereits erhalten, er aber leider nicht. Darauf müssen sie noch warten. Auch „Dandovueltas“ wird den Iran erreichen und wir werden immer mal wieder schauen, wo sie gerade sind. Genauso wie sie uns verfolgen wollen, wenn wir über den Atlantik nach Amerika verschiffen. Wir verbringen eine ganze Weile hier oben, sehen uns die Kirche an und genießen die ganzen verschiedenen Ausblicke in alle vier Himmelsrichtungen. Unten der Ort ist gut zu erkennen und die anderen Berge verblassen alle im Schatten des majestätischen Kazbegi.

Kazbegi

Als wir wieder runter fahren will ich mit unserer DJI Kamera aus dem Cockpit filmen. Dazu mache ich laut Turbonegro vom USB Stick an und fahre los. Nach sehr kurzer Zeit geht die Kamera aus. Ich schiebe Jutta die Schuld zu, da sie als Beifahrerin dafür zuständig ist hin und wieder die Akkuladung zu prüfen. Ich bin etwas sauer, weil mir hier die Aufnahme einer geilen Panoramafahrt entgeht. Später, beim Sichten der Videos sehe ich das ich selber Schuld bin. Ich hatte schon auf dem Weg nach oben auf „Aufnahme“ gedrückt und die Kamera nicht wieder ausgeschaltet. Auf dem Monitor sehen wir uns, wie wir die Spanier treffen und uns unterhalten und was alles dann noch vor unserem Auto passiert, während wir uns die Dreifaltigkeitskirche anschauen.

Mountainlove

Auf dem Rückweg heute haben wir viel besseres Wetter als gestern auf dem Hinweg. So macht das Fahren noch mehr Spaß und alles sieht um ein Vielfaches freundlicher aus. Das steigert auch die Laune und ich ärgere mich nicht mehr darüber, dass der Akku der DJI Kamera leer war. Jetzt laden wir die Kamera während der Fahrt vorne im Cockpit wieder auf. Bis Kutaissi ist es noch weit, das werden wir nicht schaffen in einem Rutsch. Jutta hat einen Übernachtungsplatz in Mtskheta direkt am Fluss Mtkvari vorgesehen. Der Ort ist ein religiöses Zentrum des Landes und die Svetitskhoveli Cathedral ist Weltkulturerbe und Pilgerstätte vieler orthodoxer Christen. Die Kathedrale ist die wichtigste orthodox-christliche Kirche in Georgien und die zweitgrößte des Landes. Im und um den Ort herum gibt es viele Kirchen, Klöster und Kulturdenkmäler. Dort fahren wir jetzt hin und werden vermutlich am frühen Nachmittag ankommen. Je nachdem wie lange wir uns unterwegs Zeit lassen.

View Point

Eine Sache gibt es, die will ich unbedingt sehen bevor wir ankommen. Den Gudauri View Point, das „Friendship Monument“, das die Freundschaft zwischen Georgien und Russland symbolisieren soll. Das lag gestern komplett im Nebel. Man konnte nur erahnen, dass da was Imposantes ist, verborgen von dichtem Dunst und tiefhängenden Wolken. Jetzt sehen wir es schon aus einiger Entfernung und halten dort selbstverständlich an. Hoch oben auf dem Berg befindet sich eine große, runde, begehbare Plattform, begrenzt von einer Mauer die von großen Rundbögen getragen wird. Die Mauer besteht aus bunten Kacheln, die zusammen schöne Motive ergeben. Der Blick ist atemberaubend. Überall am Parkplatz gibt es verschiedene Möglichkeiten etwas zu Trinken und zu Essen zu bestellen. Kleine Buden bieten heiße und kalte Getränke, mit oder ohne Alkohol. Bei manchen lockt gute Musik, bei anderen nette Sitzgelegenheiten mit tollen Ausblicken über die Bergwelten.

Friendship Monument

Dann gibt es Stände mit leckeren, frisch gepressten Säften. Es gibt süßen Mais aus riesigen dampfenden Kochtöpfen. Eine andere Spezialität sind ganze Kartoffeln, die über eine kleine mechanische Schneidevorrichtung in eine lange Spirale geschnitten werden, um dann an einem Stäbchen in heißem Fett kurz aufgebacken werden. Natürlich gibt es auch die unterschiedlich gefüllten Teigtaschen (mal mit Käse und mal mit Kartoffeln) und selbstverständlich das „georgische Snickers“. Das sind Haselnüsse oder Walnüsse, die auf einen Faden aufgefädelt und dann mit einer klebrigen Masse aus Traubensaft überzogen werden. Ein Fest für Auge, Nase und Gaumen. Nach dieser erquicklichen Mittagspause geht es dann auch schon wieder los.

Chips mal anders

Weiter unten sehen wir dann wieder die Wildwasser Rafting Camps und alles was wir auf dem Hinweg gesehen haben, nur dieses Mal in einem anderen Licht. Dann kommen wir im Ort mit dem unaussprechlichem Namen an und wollen an den Fluss fahren. Schon kommt jemand, der uns auf einen kostenpflichtigen Parkplatz lotsen will, aber wir wollen das nicht. Etwas irritiert halte ich kurz und dann fahre ich weiter. Erstmal um aus dieser Situation zu entkommen und dann um mich neu zu orientieren. Hinter dem Parkplatz mit dem Einweiser geht ein Weg runter zum Fluss, den nehme ich jetzt und finde den richtigen Stellplatz, den Jutta ja schon rausgesucht hatte. Neben uns ist auch gleich ein Restaurant und vor uns werden Bootstouren angeboten. Wir stehen dicht am Wasser und sogar einigermaßen gerade, so dass ich die kleine Schieflage mit den Luftfedern ausgleichen kann. Jetzt wird hier noch durch den Ort gebummelt und die bunten Souvenirstände durchstöbert. Wir absolvieren gerade das typische Touristenprogramm und schauen uns unter anderem die Cathedral an. Allerdings nur von außen, weil gerade ein Gottesdienst stattfindet. Wir hören den Chor singen und nehmen die Stimmung auf, während wir um das Gebäude herum gehen innerhalb dicker und hoher Mauern. Irgendwie finden wir Gefallen an diesem Ort und bleiben zwei Nächte. Wir essen noch in dem Restaurant, dort wo wir mit LEMMY stehen. Wir sehen uns noch weiter Kirchen und Klöster an und erkunden zu Fuß diesen beliebten Pilgerort. Nach der zweiten Übernachtung geht es dann mit LEMMY hoch zur Jvari Monastery und danach sind wir wieder on the road.

Direkt am Mtkvari

Heute haben wir einen langen Fahrtag vor uns. Jutta achtet immer sehr darauf, dass ich nicht zu lange hinter dem Lenkrad sitzen. Vor Jahren habe ich mal von einem Kollegen im Theater erzählt, der mit seinem Kumpel von einer Motorradreise zurück kam. Sie haben den ganzen Tag im Sattel gesessen und wollten nach Hause, denn die Arbeit rief. Als sie dann in Bremen die Ausfahrt Hemelingen nahmen, waren sie bereits so drüber, nach stundenlanger monotoner Autobahnfahrt, dass sie kein Gefühl mehr für die angemessene Geschwindigkeit hatten und flogen beide aus der Kurve. Sie überlebten schwerverletzt und verbrachten eine lange Zeit im Krankenhaus. Ich selber neige auch dazu, lange Zeit am Stück zu fahren, solange ich mich gut dabei fühle. Aber ich weiß um diese Gefahren und habe das Negativerlebnis vom Kollegen innerlich abgespeichert. Ich mache ausreichend Pausen und trinke zwischendurch mal einen Kaffee oder einen Energie Drink. Ich vertrete mir die Beine an der frischen Luft. Mache ein paar Dehnübungen, um meinen kaputten Rücken zu entlasten. Denn um den ist Jutta auch immer sehr besorgt. Als wir früher selber noch viel Motorrad gefahren sind (besonders gerne in Nordthailand) da kam es auch schon mal zu 7-8-stündigen Touren. Aber immer bevor es dann wieder in die Stadt zurück ging, was in der Regel Chiang Mai war, da haben wir vorher eine große Pause gemacht. Wir haben noch mal alle Kraftreserven mobilisiert, damit für die letzten Kilometer die nötige Konzentration und Aufmerksamkeit vorhanden war.

Jetzt achtet Jutta halt immer sehr genau darauf, dass ich nicht zu viel oder zu lange fahre. Deswegen geht es ihr auch heute nicht um den allerbesten Übernachtungsplatz, sondern darum, einen schönen Platz zu suchen, der sich gut als Zwischenstopp eignet. Bisher habe ich keinen Grund mich zu beklagen, denn das macht sie einfach super. Etwas zermürbend ist es schon auf dieser Strecke durch die endlosen Baustellen zu fahren. Es sind viele LKWs unterwegs und es geht langsam auf schlechter Straße voran. Ich hänge oft dicht hinter einem Laster, wenn ich versuche zu überholen, was nur selten gelingt. Ich werde auch ständig von schnelleren PKWs überholt, so dass ich mich schon ziemlich konzentrieren muss auf alles was vor, hinter und neben mir passiert. „Kannst du noch?“, und „Wie geht’s dir?“, werde ich immer häufiger von Jutta gefragt. Zwischendurch bietet sich neben dieser Strecke eine Umfahrung über eine kleine Bergstraße an. Es ist die frühere alte Hauptstraße, (mittlerweile wenig befahren) und eine echte Panoramastrecke. Sie ist zwar ein kleiner Umweg, doch eine sehr angenehme Abwechslung nach dieser Baustellenmonotonie. Sowas sucht mir Jutta dann auch gerne mal raus, weil sie weiß das ich das mag. Nach wenigen Kilometern kommen wir wieder auf die sich im Bau befindliche Straße und nähern uns Ubisa, unserem Übernachtungsort.

Ubisa Kloster

Dort gibt es einen Fluss und ein altes Kloster. Gegenüber vom Kloster ist ein kleiner, vollkommen leerer Parkplatz. Dort will Jutta stehen. Unten zum Fluss führt ein schmaler Weg durch eine enge Häuserzeile. Da will ich stehen. Zunächst parke ich oben bei dem Ubisa Monastary. Von hier kann man runterschauen und den Fluss sehen. Wir diskutieren. „Guck doch mal, wie schön es ist da unten zwischen den Bäumen am Fluss.“ Jutta argumentiert dagegen. „Siehst du nicht das ganze grüne Gras, willst du dich wieder fest fahren? Und durch die Häuser kommst du eh nicht durch, das ist viel zu eng.“ Ich gebe mich für heute geschlagen, kündige aber schon an, dass ich morgen früh runter fahren will. Um zu sehen was uns entgangen ist und um Jutta zu zeigen, wie wohl ich durch die Häuser komme und ohne mich auf der Wiese festzufahren. Das Kloster steht auch auf dem Tagesplan vor der Weiterfahrt morgen. Heute gibt es nur noch was zu Essen und dann legen wir uns zeitig ins Bett.

Jaaaaa Jürgen! Das wär auch ein schöner Stellplatz gewesen.

Plötzlich schrecken wir hoch. Da ist jemand an der Tür zugange. Der ganze Wagen hat gewackelt. Ich springe aus dem Bett und schnappe mir die Taschenlampe. Dieses Szenario bin ich in Gedanken schon durchgegangen. Was machst du eigentlich, wenn mal jemand versucht hier einzubrechen? „Erstmal nicht einschüchtern lassen!“, denke ich mir, „und auf keinen Fall wehrlos erscheinen.“ Unsere Taschenlampe ist extrem hell und damit blende ich den ungebeten Gast als Erstes. Dann würde ich den Übeltäter mit dem Handy knipsen und hoffen, dass er dann schon die Flucht ergreift. Soviel zur Theorie. Die Taschenlampe habe ich bereits in der Hand. Jetzt ran ans Fenster, das Rollo hoch und mit der Lampe die Gegend absuchen. Nichts zu sehen. Dann gehe ich an die Tür, öffne sie und suche weiter mit hellem Strahl der Taschenlampe. Erleichtert sehe ich die Übeltäter: Einige Rinder laufen an unserem Auto vorbei (wahrscheinlich auf dem Rückweg von der Weide?). Vielleicht standen wir ihnen im Weg oder eines fand unser Auto ganz spannend und war mit den Hörnern irgendwie an die Tür gekommen. Ohne weitere Zwischenfälle schlafen wir durch.

St. Georgs Church

Als Erstes wollen wir uns die St. Georgs Church and Monastary, wie es korrekt heißt, ansehen, bevor es nach Kutaissi geht. Die Sonne scheint und die Laune könnte besser nicht sein. Den kleinen Schreck von gestern Abend haben wir gut verdaut. Wir sind die einzigen Besucher heute morgen und diese Kirche mit Kloster gefällt uns ganz besonders gut. Innen sind diese typischen Freskenmalereien, wie wir sie auch schon aus den türkischen Felsenkirchen kennen. Sie sind unterschiedlich gut erhalten, mal farbenfroh und kontrastreich, dann wieder einfarbig und verblasst. Ich glaube auch, dass wir hier ganz alleine sind (Jutta ist irgendwo draußen im Garten) trägt zu dieser besonderen Stimmung bei. Für mich ist das Ubisa Monastary eines der Schönsten auf dieser Reise.

St. Georgs Church

Aber da war doch noch was. Ich will noch einmal kurz wenigstens an den Fluss fahren. Ohne Probleme fahre ich durch die Häuserreihe und ohne mich festzufahren gelangen wir an den Fluss. Einige Pferde laufen hier frei herum, ob es Wildpferde sind weiß ich allerdings nicht. „Hier hätten wir doch toll stehen können.“, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen und dann geht es wieder auf die Straße.

Bis nach Kutaissi ist es nicht weit, deshalb überlegen wir uns während der Fahrt, dass wir erstmal weiter fahren nach Tskaltubo. Das ist kurz hinter Kutaissi und dort wollen wir uns die verlassenen Sanatorien und Kurkliniken anschauen. Wir haben noch den ganzen Nachmittag Zeit und wissen auch schon, wo wir am Abend in Georgiens zweitgrößter (oder drittgrößter?) Stadt stehen werden. Am Holy Annunciation Temple, einer katholischen Kirche mitten im Zentrum.

We love lost places!!!

Gegoogelt haben wir bislang noch nichts, sondern fahren erstmal drauf los. So groß wird Tskaltubo schon nicht sein und wir orientieren uns einfach mal aus dem Auto heraus. Wir fahren an einem großen Kurpark mit einem auffälligen, mintgrünen Eingangsportal vorbei. Ob das schön ist dürfte Geschmackssache sein. Dann sehen wir auf einer Anhöhe einige größere Bauten (krankenhausähnlich zumindest) und suchen einen Weg dort hinauf. Als wir vor einem dieser großen Betonblöcke stehen, stellen wir fest, dass in einigen Etagen noch Menschen leben, denn es hängt Wäsche auf manchen Balkonen. Jutta ist es äußerst unangenehm hier zu sein und bleibt im Auto. Ich will wenigstens ein paar Fotos machen von diesem baufälligem und hässlichem Betonklotz. Unsere Ankunft blieb nicht lange unbemerkt, ein Hund taucht auf und jemand schaut vom Balkon zu unserem Auto runter. Jutta schimpft mit mir, weil ich fotografiere, wie die Menschen in bitterer Armut in abbruchreifen Baracken leben müssen und ich sehe es ein. Schnell verlassen wir dieses nicht gänzlich verlassene Gebäude. Ich kurve noch ein wenig in Tskaltubo rum und wir finden nun einen wirklichen „Lost Place“, dort schauen wir als nächstes rein. Jetzt ist Jutta auch mit dabei.

Früher mal Kurklinik
Zum Teil bewohnt

Dies ist hier eine wirkliche Ruine und niemand könnte hier leben, zu verfallen ist alles. Die Natur erobert sich langsam die alten Mauern zurück. Moos überzieht die Treppenstufen und Pflanzen wachsen durch den Stein. Auch der Garten gleicht eher einem Urwald in dem seit Jahren kein Landschaftsgärtner Hand angelegt hat. Irgendwann haben wir genug gesehen und wollen weiter. Da kommen wir an diesen drei alten russischen Trucks vorbei. Solche Fahrzeuge sehen wir hier öfter auf der Straße fahren. Doch die da stehen und ich will LEMMY mit ihnen ablichten. Er passt genau in eine Lücke zwischen ihnen. Es stehen hier Fabrikate wie GAZ und ZIL. Der ZIL ist einer der erfolgreichsten und beliebtesten LKWs in der Geschichte der sowjetischen Automobilindustrie. Er wurde von 1962 – 2014 produziert. Ich frage die Trucker, die rauchend an ihren Lastern stehen, ob ich fotografieren darf und sie nicken mir zu. Natürlich poste ich auch hiervon einige Bilder auf Instagram und Facebook und wünschte mir später, das niemals getan zu haben.

Am späten Nachmittag machen wir uns auf den Rückweg nach Kutaissi. Irgendwie bin ich nicht ganz glücklich mit den Eindrücken von heute. Die Orte die wir gesehen haben waren schon speziell und auch am Ende noch die Trucks und mittendrin LEMMY. Ich weiß auch gar nicht so genau, woran das liegen könnte. Vielleicht daran, dass wir Menschen gesehen haben, die unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen? Ohne Strom, ohne Heizung und fließendes Wasser.

Parkplatz an der katholischen Kirche in Kutaissi

Noch bevor es dunkel wird wollen wir die Kirche erreicht haben. Denn in Georgien, wie auch in vielen anderen Ländern, ist es besser nicht im Dunkeln zu fahren. Das wissen wir aus eigener Erfahrung, denn nicht immer kommen wir rechtzeitig im Hellen an. Hier kommt es sehr häufig vor, dass ohne Licht gefahren wird. Egal ob es stockfinster ist oder dichter Nebel einem die Sicht nimmt. Auch die oftmals tiefen Löchern und anderen Straßenschäden und Hindernisse sind im Dunkeln nicht zu sehen. Da es aber nur ein Katzensprung ist von Tskaltubo ins Zentrum von Kutaissi, kommen wir rechtzeitig vor der Dämmerung an. Jutta lotst mich wie üblich durch den Innenstadtverkehr und wir finden sofort die katholische Kirche mit einem kleinen Parkplatz direkt davor. Vor der Kirche auf einer Bank sitzt ein Priester und unterhält sich mit einer Frau. Ich gehe auf sie zu und frage kurz, als sie mich bemerken und zu mir hoch sehen, ob wir denn hier für eine Nacht stehen bleiben dürfen? Wir dürfen, wird mir deutlich signalisiert, nachdem sie mich verstanden haben.

Raucherbalkon Old Galeon

Mir ist mal wieder nach ausgehen zumute und da wir in einer Stadt sind, wird sich sicher eine nette Kneipe finden lassen. Es gibt hier sogar eine Rock und Metal Kneipe, das „Old Galeon“. Da werden wir zuerst hingehen. Die Bar liegt direkt am Rioni River an der Rustaveli Bridge. Das heißt: Sie wird nicht schwer zu finden sein, wir haben heute noch einen schönen Spaziergang und bekommen einen noch besseren Eindruck von der Innenstadt. Dabei gewinnen wir einmal mehr, tolle Einblicke in die georgische Kunstszene. Wir sehen großartige Graffitis, (die mich seit Naxos echt faszinieren), kommen vorbei an Skulpturen, an bunt besprühten Autos (kein Vandalismus!), bis wir dann vor dem Old Galeon stehen. Eine an die Wand gesprühte, züngelnde Schlangenfrau begrüßt uns.

Welcome!

Wir betreten die leere Bar. Nur eine Barfrau und ein langhaariger Gast am Tresen, mit einem Glas Bier vor sich, sind außer uns noch da. „Yes, ein Metalhead!“, denke ich mir und wir bestellen gezapftes, lokales Bier. Das Ambiente gefällt uns total gut, es ist schummrig und rustikal. Der langhaarige Gast entpuppt sich als Gastgeber und führt uns herum. Er zeigt uns das gemütliche, mit unbequemen Sesseln und Sofas ausgestattete, Kaminzimmer und den Balkon für die Raucher, direkt über dem Fluss. Wir kommen ins Plaudern. Woher wir kommen und wohin es geht, will er natürlich wissen und gerne erzählen wir ihm von unseren Abenteuern und Plänen. Dann reden wir über Musik. Was ihm gefällt und was ich gerne höre und Plattentipps werden ausgetauscht. Ich rate ihm dringend sich mal TURNSTILE anzuhören, auf die fahre ich aktuell besonders ab. Wir nehmen mit unseren Bieren im Kaminzimmer platz und merken sofort, dass die aus alten Ölfässern gebauten Stühle stylisch aussehen, aber für unsere kaputten Knochen nicht geeignet sind. Etwas besser geht es uns auf den Bänken, die aus Palletten gezimmert wurden.

Kaminzimmer imOld Galeon

Der Metalhead ist jetzt mit der Bardame am quatschen und wir wundern uns, dass keine Musik läuft. Ist doch ne Rock Bar hier. Er sitzt mittlerweile am anderen Ende des Raumes mit Blick auf den Tresen und beschäftigt sich mit seinem Laptop. Ob sie denn keine Musik hier spielen, will ich wissen und rufe zu ihm rüber. Doch, eigentlich schon, aber ausgerechnet heute ist der Computer abgestürzt. Ich könne ja meine Boombox anmachen, sofern ich denn eine hätte. Habe ich schon, aber im Auto und das ist nicht gerade um die Ecke. So bleibt es dann auch bei zwei Bieren in der Bar und wir zahlen und hoffen im „Press House“ mehr Glück zu haben mit der Musik. Aber vorher gehe ich noch auf die Toilette, denn der Liter Bier drückt auf die Blase. Es gibt nur ein Klo für alle Geschlechter. Als ich fertig bin, komme ich begeistert zurück. „Geh mal aufs Klo!“, sage ich zu Jutta. Dann gehen wir.

Das „Press House“ finden wir nicht. Wir laufen die Straße rauf und runter, aber es scheint nicht mehr an der angegebenen Adresse zu sein. Was wir sehen ist ein kleiner Laden vollgestopft mit allem möglichen Autozubehör. Neben Öl und anderen Fluids entdecken wir tatsächlich auch Adblue. Das gab es hier in Georgien an keiner Tankstelle. Wir hatten gehört, dass es ins ganz Georgien nicht zu bekommen sei. Deswegen haben wir in der Türkei den Tank aufgefüllt und kommen auch jetzt lange Zeit ohne aus. Aber es ist gut zu wissen, dass man in den Städten hier Adblue bekommen kann.

Etwas frustriert, weil ich keine Rockbar mehr gefunden habe, machen wir uns auf den Heimweg. Dabei wird noch hier und dort, links und rechts geschaut und wir kommen an einem grünen, hell erleuchtetem Durchgang vorbei. „Das ist doch wohl auch Kunst, oder?“

Ist das Kunst oder nicht?

Zuhause genehmige ich mir noch ein kaltes Bier und mache Musik mit meiner Boombox. Turnstile, da ist mir gerade nach. Jeder ist ein bisschen mit seinem Handy beschäftigt und ich sehe die Reaktionen auf meinen Instagram Post mit LEMMY, zwischen den russischen Trucks. „GAZ forever!“, kommentiert „Orange Land Rover“ und Angela schreibt, wie schade es sei, dass ich verkehrt herum stehe. Da hat sie total recht, ich hätte natürlich rückwärts reinfahren sollen, das hätte viel besser ausgesehen. Da gucken wir morgen erneut vorbei, wenn sie da noch immer stehen. Vielleicht bekomme ich eine zweite Chance. Jutta geht langsam ins Bett und ich stülpe mir die Kopfhörer über die Ohren, damit ich noch etwas länger Musik hören kann, ohne Jutta zu stören. Cheers.

Irgendwie hat Jutta gemerkt, dass ich etwas unglücklich war mit dem ganzen Tag. Und während ich Musik höre und mir ein paar Bierchen gönne, recherchiert sie im Bett vor dem Schlafengehen im Internet. „Ich habe noch ein anderes, ganz tolles verlassenes Sanatorium gefunden.“, verkündet sie mir gutgelaunt beim Frühstück. „Und eine Tropfsteinhöhle auch noch. Wollen wir uns das nicht heute noch ansehen?“ Die Zeit haben wir locker zur Verfügung und begeistert stimme ich sofort zu. Tagesprogram also heute: Iveria Sanatorium und die „Prometheus Cave Tskaltubo“. Ach ja und bei den russischen Trucks vorbei, um ein besseres Foto zu machen. Überaus glücklich beginnt der Tag. Enden wird er anders.

Prometheus Cave Tskaltubo

Wir beginnen mit der nicht weit entfernten Tropfsteinhöhle. Alles in allem ist es auch ganz schön hier, so wie man es eben kennt, wenn man zuvor schon mal in so einer Höhle war. Leider ist der Guide unserer Gruppe (ca. 20 Leute) etwas zu flott unterwegs. Auch die Informationen sind schwer verständlich, obwohl er sie auf georgisch und danach (mit deutlich weniger Worten) auf englisch in sein Mikrophon spricht. Er nuschelt und wirkt alles in allem etwas lustlos. Trotzdem gibt einige tolle Momente, bei denen an markanten Stellen die Höhle theatralisch beleuchtet wird und dazu laute, klassische Musik vom Band läuft. Ein ganz besonderes Highlight ist die unterirdische Bootstour zurück zum Ausgangspunkt. Dazu gibt es für jeden auf dem Elektroboot einen Schutzhelm und man muss gucken, nicht mit dem Kopf anzustoßen, an den Felsen dicht über unseren Köpfen.

Eingangshalle Iveria Sanatorium

Das Iveria Sanatorium liegt fast direkt auf dem Weg zu den Trucks und da wir supergut in der Zeit sind, wollen wir heute sogar nach weiter fahren bis nach Batumi. Unsere Zeit in Georgien neigt sich dem Ende. Von hier bis Batumi sind es ungefähr 150 km, das ist in unter 3 Stunden zu machen, ohne Pausen. Aber vorher schauen wir uns das Sanatorium an. Nur wo kommen wir da rein, ist die Frage. Es ist alles von einem hohen Alublechzaun umgeben. Doch da, eine Lücke. Jemand vor uns hat ein Element rausgetreten oder umgebogen, wie auch immer. Wir nutzen diese Lücke auch für uns und gehen rein. Erst sind wir ganz alleine hier unterwegs und staunen nicht schlecht, als wir dieses große Loch in der Decke sehen.

Das ist mal eine prachtvolle Empfangshalle gewesen. Wer weiß, welche Persönlichkeiten hier schon gesund kuriert wurden? Welche Zaren hier wohltuende Bäder und Schlammpackungen verabreicht bekamen? Lange ist das alles her. Nur mehr erahnen lässt sich der einstige Prunk der High Society aus der ehemaligen Sowjetunion. Jetzt zeugen hier eher weniger kunstvolle Graffitis von der Gegenwart. Wir lassen uns treiben und jeder macht für sich Fotos. Jeder sieht was anderes aus einer anderen Perspektive. Wir streifen durch alle Stockwerke, bis hinauf zum Dachgeschoss. Eine kleine abgebrochene Wendeltreppe führt hinauf in ein kleines Türmchen, mit einem Blickwinkel nach oben in den Himmel.

Dies hier müsste der große Speisesaal gewesen sein, noch immer prangen verzierte Stuckarbeiten unter der Decke. Viele Dielenbretter wurden bereits geplündert, aber einige sind noch unter Schutt und Dreck zu erkennen. Wir gehen in die Zimmer der Kurgäste, jedes mit eigenem Balkon mit Blick in den Garten und auf den verspielten Jugendstilspringbrunnen. Teilweise sehen die Zimmer aus, als könnte man mit wenig Renovierungsaufwand direkt einziehen. Meist sind sie aber total verfallen. Die Tapeten hängen zum Teil noch und lösen sich von der Wand, als hätte der Maler zu wenig Kleister genommen. Manchmal weht noch eine alte Gardine vor den offenen Fenstern im Wind. Überall gibt es was zu entdecken. Plötzlich höre ich Stimmen.

Ein Badezimmer?
….spooky….

Ich mache mich auf den Weg nach unten, es scheint aus der Empfangshalle zu kommen. Höre ich da nicht Jutta mit jemandem sprechen? Ein anderer „Lost Places“ Spotter hat unser Auto außen am Zaun gesehen und denselben Weg hinein gefunden wie wir. Er ist Spanier und alleine unterwegs. Ausgerüstet mit einer großen Kamera und einem kleinen Mietwagen. Er wird jetzt auch hier umherstreifen und alles aus seiner eigenen Perspektive sehen. Ich grüße ihn, beteilige mich kurz an der Unterhaltung und dann ziehe ich weiter. Später treffe ich Jutta wieder und wir befinden genug gesehen zu haben, um aufbrechen zu können. Nur eine Sache jetzt noch, bevor wir endgültig nach Batumi fahren. Auf zu den russischen Trucks.

Wir haben Glück, da stehen sie alle noch, genau so wie gestern. Es ist Platz und ich kann rückwärts in eine Lücke fahren. Die Trucker wundern sich wahrscheinlich mich heute schon wieder zu sehen, aber was soll’s? Ich frage wieder ob ich Ihre Wagen fotografieren darf und sie nicken. Was jetzt passiert wird mich über Wochen verfolgen. Ich stelle mich mitten auf die Straße um eine gute Position auf mein Motiv zu haben. Ich finde einen guten Blickwinkel und spiele ein bisschen mit der Brennweite, da sehe ich im Augenwinkel einen Hund von rechts kommen. Er läuft mitten auf der Straße und ich schaue nicht genau hin, so dass ich erst (als er mir vor die Linse läuft) realisiere, was da gerade geschieht. Ich drücke ab als er mir in das Bild läuft und…….

…..ich jetzt erst erkenne, das er mehr tod als lebendig ist. Er besteht nur noch aus Haut und Knochen. Durch das dünne, völlig verfilzte Fell erkenne ich seine Rippen. Ein Auto fährt an ihm vorbei und es kümmert ihn nicht. Er geht stoisch seinen schleppenden Gang weiter, als will er sagen, erlöst mich doch endlich….

Diese furchtbare, traurige Bild brennt sich mir ins Gehirn und ich kann nicht einschlafen, wenn ich daran zurückdenke. Weil ich mich schuldig fühle. Weil ich mich schuldig fühle, wegen unterlassener Hilfeleistung. Wir sind einfach gefahren, nachdem ich mein verdammtes Foto gemacht habe. Und auch jetzt geht es mir beschissen, während ich hier schreibe und ich fühle mich schuldig. Wir, besser gesagt ich, hätte etwas tun können und tun müssen. Jutta ist im Auto geblieben und hat gar nicht die ganze Tragweite mitbekommen. Ich hätte den Hund ins Auto laden müssen, um ihn zu einem Tierarzt zu fahren. Der hätte dann entschieden, ob er noch eine Chance hat auf ein lebenswertes Leben und behandelt und aufgepäppelt wird. Oder ob er eine Spritze bekommt, um ihn von seinen Leiden zu erlösen. Aber ich habe nichts dergleichen getan. Ich bin einfach weggefahren….

Und damit endet etwas vorzeitig Georgia – Chapter II

….und was als nächstes geschieht….

From Georgia to Turkey and the long way back to the waterhole – Chapter I

Chapter 11 – Georgien

…und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht…

Es kann doch so einfach sein!

BATUMI wird heute unser Ziel sein, wahrscheinlich die zweitgrößte Stadt Georgiens. Manchmal liest man auch Kutaissi sei die zweitgrößte Stadt. Uns ist das egal. Davor müssen wir aber erst die Grenze überqueren. Gerüstet sind wir mit aktuellen PCR Tests und allen nötigen Formularen und Versicherungen. Von anderen Reisenden haben wir erfahren, dass sie an der Grenze abgewiesen wurden, weil der PCR Test zwei Stunden überfällig war, also 74 Stunden alt. Sie wurden zurückgeschickt nach Hopa und mussten den Test noch einmal machen lassen. Unser Test ist erst ein paar Stunden alt. Bevor wir aufbrechen, lasse ich noch meine Latschen beim Schuhmacher richten. „10 Lira wird es kosten!“, sagt er mir vorher. Er ist eine Weile damit beschäftigt und braucht eine Menge Kleber. Ich beobachte, während ich warte, die backgammonspielenden Männer, die gelegentlich an ihrem Tee schlürfen. Andere Männer schauen ihnen beim Spielen zu und kommentieren hin und wieder. Meine Latschen werden noch auf Hochglanz geputzt nachdem sie repariert sind. Ich gebe dem Schuster 20 Lira, weil ich denke, dass er sich eventuell dabei verschätzt hat, wieviel Kleber er wirklich dafür braucht. Ich bin glücklich und er ist glücklich. Jetzt können wir fahren, Jutta sollte LEMMY soweit klar haben.

Batumi – schräge Bauten überall

Bis Batumi sind es nur etwa 45 Minuten, ohne die Zeit an der Grenze mitzurechnen. Auf dem Weg wird kurz Thema, was da in Kars wohl mit dem PKW war, der sich oben am Castle neben uns gestellt hatte und die ganze Nacht dort oben geblieben ist bis zum nächsten Morgen. Und das bei Temperaturen unter Null Grad. Jutta war das zunächst etwas unheimlich. So dachten wir beide unabhängig voneinander darüber nach. Ich hatte die Idee, dass er wohlmöglich zu unserem Schutz dort steht, was Jutta für völlig abwegig hielt. Passiert ist uns nichts dort oben, also Böses wollte er nicht. Kars ist eine sehr, sehr arme Stadt mit enorm hoher Arbeitslosigkeit. Ich hielt es für durchaus möglich, dass wir beim rauffahren gesehen wurden und sich jemand darum sorgte, dass den Fremden nichts geschieht in ihrer Stadt, wo die Not der Menschen groß ist. Erfahren werden wir es nie, aber ich will gerne an meine Theorie glauben, weil es sich gut anfühlt.

Sarpi – Grenzstation Georgien

Wir erreichen die Grenze und es warten nur wenige Fahrzeuge vor uns. Jetzt wird es spannend, haben wir auch an alles gedacht? Langsam aber stetig geht es voran, bis wir endlich an der Reihe sind. Die Ausreise aus der Türkei gelingt problemlos. Ein kurzes Stück fahren wir im Niemandsland und dann dasselbe von vorne. Wir zeigen alles was wir vorbereitet haben vor und es wird gewissenhaft geprüft. „Welcome to Georgia!“, heißt es kurz darauf von der netten Beamtin. Wir lassen das futuristische Grenzgebäude hinter uns und fahren durch ein neues und uns unbekanntes Land, drauf los in ein neues Abenteuer.

Batumi – Vorstadt

Das Erste was dann zu tun ist, das ist Juttas Part. Eine Simkarte für unseren Router muss her, damit wir Internet haben und recherchieren können, damit wir verbunden sind mit der Welt. Dazu halte ich schnellstmöglich, nachdem wir die Stadtgrenze von Batumi erreicht haben. Es ist noch Vorstadt und wir sammeln erste Eindrücke. Der Verkehr soll besonders fürchterlich sein und auch die Straßen, aber ich bin darauf eingestellt und rechne jederzeit mit allem. Ich parke vor einem Beeline Telecommunitation Shop, den Jutta schon in Hopa rausgesucht hatte, und warte wie üblich eine gefühlte Ewigkeit. Dann kommt sie grinsend aus dem Laden, mit einer neuen Tasche als Geschenk, weil sie den Premiuminternetdeal abgeschlossen hat. Die Beratung und Verständigung war perfekt und megafreundlich. Mit diesem Deal sind wir voll ausgerüstet mit reichlich Volumen für wenig Geld. Georgien empfängt uns mit offenen Armen.

Batumi Zentrum

Jetzt geht es durchs Zentrum, um hinter Batumi einen Stellplatz in einem botanischen Garten anzufahren, den Jutta auch schon im Vorfeld recherchiert hat. Dort kann man über Nacht stehen, für ca. 10 Euro. Aber Augenblick mal! „Was war das denn, hast du das auch gerade gesehen?“, frage ich Jutta. „Nee, was denn? Ich hab nichts gesehen.“, sagt Jutta. „Da war so ein Tower mit einem Riesenrad oben dran, den muss ich mir näher ansehen.“, sage ich. Ich wende und wir fahren zu einem kostenpflichtigem Parkplatz, an dem wir zuvor schon vorbeigefahren sind. „Es war irgendwo in dieser Richtung, meine ich.“, sage ich zu Jutta und die Suche beginnt. Das Tolle dabei ist, dass wir jetzt schon mal einen Innenstadtbummel machen, der gar nicht geplant war, denn Batumi hatten wir eher für den Rückweg vorgesehen. Wir kaufen zwei Flaschen georgischen Rotwein in einem kleinen, netten Weinladen, entdecken eine Metalkneipe, bei der auch auf dem Bürgersteig Guns N‘ Roses aus den Boxen dröhnt und mittags Bier getrunken wird. Wir sehen den Hafen und die Promenade und finden auch irgendwann diesen Tower, der tatsächlich im oberen Drittel ein Riesenrad an der Außenfassade trägt.

Batumis Zentrum macht im Gegensatz zur Vorstadt einen sehr modernen und wohlhabenden Eindruck. Das ist aber erstmal nur sehr oberflächlich, denn auch hier gibt es viel Armut. Das was wir zu sehen bekommen, bevor wir diese moderne Metropole zunächst verlassen, das wird uns deprimieren und eine Weile verfolgen. Wir kaufen noch etwas Kaffee in einem Spezialitätenladen und essen ein Rollo mit Hühnchen, nachdem wir auf deutsch angesprochen wurden, als wir an einem offenen Fenster darüber gesprochen haben, was wir denn zu Mittag essen wollen. Ein Mann, der vorher in Deutschland gelebt hat, hörte unsere Unterhaltung vor seinem geöffnetem Fenster, an dem er auch Außer-Haus Verkauf anbietet. Er kann uns überzeugen seine Rollos zu probieren, die Besten der Stadt. Wir teilen uns ein riesiges Rollo in seinem Restaurant und können danach gesättigt aufbrechen zum Stellplatz im botanischen Garten. Ich bin glücklich schon mal einen guten Eindruck von Batumi gewonnen zu haben und diesen Tower mit dem Riesenrad an der Fassade gefunden zu haben. Ich nehme mir vor, auf dem Rückweg mindestens eine Nacht hier zu verbringen, um dann noch die Metalkneipe zu besuchen. Als wir auf dem Parkplatz zurückkommen bietet sich uns ein Bild, das wir nicht so schnell vergessen werden. Wir schauen wo wir den Parkschein bezahlen können und dann sehen wir einen kleinen Jungen, der halb unter unserem Camper hockt, genauer gesagt unter dem Fahrradträger und dort seine Notdurft verrichtet. Wir geben ihm Zeit und drehen eine kleine Runde, um das erstmal zu verdauen. Es ist wohlgemerkt ein öffentlicher Parkplatz, mitten in der belebten Innenstadt, zu allen vier Seiten offen und einzusehen. Schutz bot diesem Jungen nur eine Seite unseres Fahrzeugs und die Bikes über ihm. Toilettenpapier hatte er nicht zur Verfügung und als wir kurz darauf den Parkplatz verlassen, da steht er schon wieder bei seiner bettelnden Familie am Rande der Ausfahrt. Wir fahren weiter, etwas überfordert mit der Situation und reden nicht viel.

Innenstadtparkplatz Batumi

Bald darauf verpassen wir die richtige Einfahrt zum botanischen Garten und müssen einen kleinen abenteuerlichen Pfad hochfahren, auf dem wir dann aber glücklicherweise wenden können und finden schließlich die richtige Abbiegung zu Juttas angestrebtem Platz für die kommende Nacht. Durch die Probleme, die wir hier in wenigen Minuten haben werden, vergessen wir den Vorfall mit dem kleinen Jungen, der unter unseren Wagen gekackt hat und sich die Hose hochziehen musste, ohne sich richtig sauber machen zu können.

Wir müssen umgerechnet etwa 10 Euro zahlen und das ist ganz schön teuer. Aber Jutta will gerne die erste Nacht in Georgien auf einem sicheren, als Stellplatz ausgeschrieben Ort stehen. Wir zahlen im Voraus und bekommen eine Map mit den markierten Flächen, wo wir überall stehen dürfen. Leider hat es viel geregnet die letzten Wochen. Das haben wir ja schon von unseren neuen Freunden erfahren, von den Schweizern, dem Orange Land Rover Team. Die markierten Grünflächen sind alle frei, hinten steht noch eine Familie mit einem Zelt. Dazwischen verläuft eine schmale geteerte Straße, die gerade mal ca. 2 m breit ist und in etwa U-förmig verläuft. Wir fahren einmal die Strecke auf dieser Straße ab und diskutieren, wo wir denn wohl stehen können. Das Wenden am Ende der Strecke wird schon mal zu einem Problem, denn wir merken sofort, als wir auf die Grünfläche fahren, wie weich der Untergrund ist und wie schnell wir mit unseren 3,5 Tonnen absacken. Naja, woanders wird es besser sein ist meine Devise. Jutta hat sofort Zweifel und plädiert jetzt schon dafür auf festem Untergrund zu parken. Es gäbe eine Möglichkeit vor einem verschlossenem Tor, direkt am kleinen Bahnhof. Hinter dem Bahnhof ist auch gleich das schwarze Meer. „Auf keinem Fall will ich hier auf Asphalt stehen, wir haben All Terrain Reifen und Allrad!“, erwidere ich. Jutta murrt und ich versuche es an anderer Stelle erneut. Ich merke es sofort. Als ich mit allen vier Reifen vom Asphalt runter bin, drehen die Räder durch und ich sinke ab. „Fuck, was ist denn jetzt los?“ Mir wird klar, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe, dass LEMMY auch mit Allrad und AT Reifen nicht aus dieser weichen Matsche rauskommt, nicht ohne Hilfsmittel. Ich weiß sofort, dass ich Mist gebaut habe und vergeude keine Zeit mit irgendwelchen verzweifelten Versuchen mich freizufahren, da mir klar ist, das ich mich nur weiter eingraben würde. Juttas Todesblicke treffen mich, aber sie sagt nichts, denn ich komme ihr zuvor. „Ja, jetzt ist es halt passiert, wir stecken fest, aber mach dir keine Sorgen, ich regel das schon.“

Todesblick, schon etwas abgemildert! Lemmy weiß auch: „Du hast uns das eingebrockt!“
Fotografiert wird erst, wenn das Problem gelöst ist!
Spurenbeseitigung

Ohne viel Zeit zu verlieren mache ich mich ran die Fahrräder vom Träger zu holen und sie beiseite auf den Rasen zu legen. Dann kommen die Sandbleche an die Reihe, die ich jetzt bereits zum dritten Mal aus der Halterung löse. Das erste Mal war noch am Tuz Gölü, um zu versuchen das Filmteam zu bergen, das zweite Mal war auf dem Kaya Camp, um sie zu reinigen. Jutta schaut skeptisch zu, sagt nichts und lässt mich machen. Ich begutachte die Lage. LEMMY ist mit allen vier Rädern auf der Grünfläche eingesunken, der Asphalt ist kurz dahinter. Ich bin tief drinnen im Schlamassel, vom Rasen ist nichts mehr zu sehen in meiner Fahrspur. Jeden Fehlversuch, den ich jetzt unternehme, würde mich weiter und tiefer eingraben. Also die Sandbleche hinten am Heck unter die Reifen platzieren und zwar nicht zu knapp, so wie die Kollegen es am Tuz Gölü gemacht haben, denn dann ist es verschwendete Energie. Natürlich habe ich den Vorteil von vier angetriebenen Rädern, trotzdem schiebe und drücke ich die Sandbleche so weit wie irgendwie möglich unter die Hinterräder und schalte den Allradantrieb „4 Wheel Low“ ein. Jetzt mit viel Gefühl etwas Gas geben….und noch etwas mehr und LEMMY bewegt sich rückwärts. In mir steigt eine triumphierendes Gefühl auf und ich bin nicht mal unglücklich über diese Situation, denn ich habe daraus gelernt. Höre auch mal auf deine Frau, war die eine Erkenntnis. Aber wer keine Erfahrung macht, der lernt auch nichts dazu, war die andere Erkenntnis. Nachdem ich erleichtert wieder zum größten Teil festen Boden unter den Rädern hatte, da kommt so ein kleiner Elektrozug mit Besuchern des botanischen Gartens daher und drängt mich zur Eile, da ich noch den Weg versperre.

Nur nicht wieder festfahren!

Aber ohne mich stressen zu lassen rangiere ich LEMMY so, dass die beiden linken Räder Kontakt mit dem Asphalt haben und lasse den Zug vorbei. Wir parken dann auf der von Jutta präferierten Parkposition am verschlossenen Tor vor dem Bahnhof. Es muss nicht viel gesagt werden. Mir ist klar, dass ich einen Fehler gemacht habe und Jutta sieht ein, dass man auch aus solchen Situationen lernen kann. Im Grunde haben wir beide davon profitiert, was uns noch im weiteren Verlauf der Reise enorm helfen wird. Als alles wieder verstaut und verzurrt ist, da wollen wir noch etwas die Umgebung erkunden und merken, dass es im Tor noch eine Tür gibt. Durch die können wir den kleinen Bahnhof erreichen und den hinter den Schienen liegenden Strand. Kurzer Blick nach rechts und links, kein Zug in Sicht, also schnell über die Gleise zu dem kleinen Kiosk.

Hier gibt es unter anderem Bier und Chips. Jetzt fühlen wir uns angekommen. Wir sitzen am schwarzen Meer, haben ein kaltes Bier und den Blick über die weit entfernte Skyline von Batumi vor uns und einen erlebnisreichen Tag hinter uns. Der Sonnenuntergang und das nächste Bier runden diesen fast perfekten Tag ab und wir begeben uns zur Nachtruhe.

Blick vom Stellplatz…..durch den Bahnhof….am schwarzen Meer…..und Sonnenuntergang…..Amazing!

Beim zweiten Morgenkaffee, nachdem das Frühstück bereits erledigt ist, kommt eine junge Mutter mit kleinem Kind im Tragetuch und einem etwa vierjährigen Jungen an der Hand an meinem Fenster vorbei. Sie schaut hoch, ich schaue runter. Das Fenster ist offen, da wir morgens immer ordentlich lüften müssen und sie grüßt mich mit „Guten Morgen!“ Obwohl es noch recht früh ist, schalte ich schnell und denke: „Sie hat wohl unser Kennzeichen gesehen, woher sollte sie sonst wissen, das wir deutsch sprechen?“ Sie heißt Ricky und steht nicht weit von uns am Strand mit ihrem Mann und den beiden Kindern. Auf Instagram heißen sie „Into the Box“ und reisen auch ein ganzes Jahr lang. „Kommt doch auch an den Strand, da kann man super stehen und es kostet nichts.“ Jutta kommt zu mir rüber auf meine Seite ans Fenster und wir unterhalten uns eine Weile. Wir legen uns nicht fest, aber lassen uns diese Option offen. Wir finden sie sehr sympathisch, aber Jutta hat natürlich bereits wieder einen Platz recherchiert, während ich noch im Land der Träume unterwegs war. Es gibt einen Eco-Campingplatz direkt am Meer. Es ist aber ungewiss, ob der gegen Ende Oktober noch offen hat. Trotzdem möchte Jutta dorthin fahren. Wir besprechen es und ich würde gerne an den Strand fahren zu „Into the Box“, aber Jutta will sich vorher den anderen Platz anschauen. „Na gut, wenn das da nichts ist, dann können wir immer noch zurückfahren und uns zu den Anderen ans Meer stellen.“ So verbleiben wir also und fahren ein paar Kilometer zu diesem Campingplatz, um dort festzustellen, dass er bereits geschlossen hat. Auf dem Weg zurück an die Küste füllen wir noch unser Trinkwasser auf.

An einer Trinkwasserquelle zapfe ich mit meinem 10 Liter Kanister solange nach, bis der 100 Liter Frischwassertank komplett gefüllt ist. Dann fahren wir an die Küste ans schwarze Meer zu „Into the Box“ und haben eine fantastische Zeit. „Ihr müsst an dem einen Hochhaus vorbeifahren und danach über eine kleine Brücke, dann links Richtung Meer, danach nochmal links, dann seht ihr uns schon.“ Genau so kommt es dann auch. Wir stehen direkt am schwarzen Meer. Nicht weit von dem kleinen Bahnhof, wo wir uns gestern kennengelernt haben. Vor uns steht der grüne LKW von „Into the Box“. „Hey, da seid ihr ja, wie schön!“, werden wir herzlich empfangen von Ricky. Danach lernen wir auch Tim kennen, ihren Partner. Beide sind in Elternzeit und können deshalb diese lange Reise machen.

Es kündigt sich noch ein weiteres Team an, Freunde von „Into the Box“. Sie kommen am nächsten Tag. Auch sie sind zu viert unterwegs in ihrem LKW mit zwei kleinen Kindern. Ich denke es wäre doch schön, einen gemeinsamen Abend am Lagerfeuer zu verbringen und sammle fleißig Treibholz.

Well prepared!

Zuvor bekommen wir noch Besuch von einem Polizisten, der um unsere Sicherheit besorgt ist. Ricky und Tim kennen das schon, da sie schon sehr lange in Georgien unterwegs sind. Wir wurden aufgeklärt, dass es total üblich ist, dass die Polizeibeamten gelegentlich kommen und einem raten, woanders zu übernachten, wo es vermeintlich sicherer ist. Manchmal haben sich Ricky und ihre Familie daran gehalten, manchmal auch nicht. Hier war es so, dass der Schutzmann in seinem Auto übernachtet und uns nicht alleine lässt. Am nächsten Tag ist dann Schichtwechsel, immer sind wir unter Polizeischutz und wir fühlen uns dabei nicht unwohl. Das es nötig ist glauben wir allerdings alle nicht, denn dieses Land ist so überaus freundlich und wohlgesonnen Fremden gegenüber, dass spüren wir sofort. Abends haben wir dann eine lange Nacht am Lagerfeuer. Ich spiele mit meiner Boombox meine Lieblingslieder und bekomme dabei Unterstützung von Ricky, die auch gerne mal was Härteres hören mag, anstatt der ewigen Kinderlieder den ganzen Tag. So gehen die Stunden dahin und dann geht auch noch Rauchware durch die Runde, die ich nicht näher beschreiben will.

Perfekt gestapelt vom Lagerfeuermeister 😉

Das Feuerholz, das ich mit dem Junior von Tim und Ricky gesammelt habe, geht langsam zur Neige und die Damen verabschieden sich so nach und nach. Zuletzt sitzen noch Tim und sein Kumpel aus Holland bei mir am Feuer. Das letzte Bier aus Tims zwei Liter Plastikflasche wird nachgeschenkt und später noch das was mein Kühlschrank zu bieten hat und dann gehen wir alle pennen. Es bleibt nichts mehr übrig vom gesammelten Feuerholz in dieser Nacht.

Manchmal kommen morgens Delfine vorbei und die Kids gehen mit ihren Müttern schwimmen. Wir stehen hier drei Tage zusammen und haben eine gute Zeit. Irgendein Polizist ist immer vor Ort, um auf uns aufzupassen. Doch bald wollen wir einfach weiter und so verabschieden wir uns dann auch, denn uns zieht es nach Tiflis. Wieder mal merken wir, das wir nicht die Ruhe und Gelassenheit haben, um lange zu verweilen, wobei „lange verweilen“ natürlich relativ ist und von jedem anders interpretiert werden kann. Wahrscheinlich werde ich auch wieder gerügt dafür, das ich in der Mehrzahl spreche, denn eigentlich bin ich es der weiter will. Ich bin es der nach Tiflis will, in die Stadt, wieder was Neues sehen und erleben. Der Abschied fällt mir nicht zu schwer, da es hier heute morgen ziemlich stürmisch ist, die Wellen immer höher schlagen und es aus Eimern schüttet. Man mag eigentlich keinen Fuß vor die Tür setzen. Trotzdem gehen wir an die Türen der Camper, klopfen um Tschüss zu sagen und dann fahren wir in die Hauptstadt von Georgien, nach Tiflis.

Bye bye!

„Die Straßen sind schlecht!“, hieß es von allen Seiten. „Fahrt nicht bei Regen!“, hieß es, „Da seht ihr nicht wie tief die Schlaglöcher sind.“ Uns wurde auch gesagt, es sei nicht mehr möglich den großen Kaukasus ab Oktober zu befahren. Aber ich muss mich etwas bremsen, denn da sind wir noch nicht. Bis Tiflis kommen wir zunächst mal ohne besondere Vorkommnisse. Die Straße bis dorthin ist nicht so schlecht wie erwartet, dennoch muss man stets damit rechnen, dass plötzlich große Löcher auftauchen. Doch es wird auf vielen Strecken gebaut. Tunnel werden in Berge gesprengt, Brücken werden vorbereitet und überall sind Baustellen. In wenigen Jahren wird es wohl eine Autobahn von Peking über Tiflis bis nach Istanbul geben. Aber auch daran will ich noch nicht denken. Was mir auffällt, je näher wir Tiflis komme, desto egoistischer werden die Fahrer. Sie fahren ohne Rücksicht auf Verluste. Wer hier zimperlich ist, der kommt nicht weit. Hier muss man sich sein Recht erkämpfen.

Wozu braucht man auch Stoßstangen?

Da ich erprobt bin durch viele Reisen in und durch Asien, mit dem Motorrad oder dem Auto, fällt es mit nicht schwer mich hier durch den Verkehr zu wühlen und mir meinen Weg zu bahnen. Geschenkt bekommt man hier nix und wer darauf hofft, irgendwo mal reingewunken zu werden, der wird lange warten müssen.

Relativ entspannt komme ich an, relativ gestresst Jutta. Sie leitet mich perfekt durch jeden Verkehr, bringt mich von A nach B und es ist für mich niemals ein Problem, wenn sie einen Fehler macht und für sie ist es kein Problem, wenn ich mal falsch abbiege. Dennoch ist sie oft gestresst, wenn wir durch Städte fahren. Sie will mich immer perfekt leiten und leidet, wenn ich im engen Gewühl umdrehen muss. Ich wünschte ich könnte ihr diesen Stress nehmen. Wir erreichen dann jedenfalls den Parkplatz für die nächsten Tage in Tiflis. Aber Fuck, was jetzt? Da kommen mir Autos entgegen, an der Schranke, wo ich gerade reinfahren will. Offensichtlich bin ich an der Ausfahrt gelandet. Ich setze zurück und schon kommt da jemand aus dem Kassenhäuschen zu uns ans Auto. Er bedeutet uns zu warten und lässt uns an derselben Schranke passieren, in dem Moment in dem niemand entgegen kommt. Er spricht englisch, ist sehr hilfsbereit und nimmt sich Zeit für uns.

Wieder mal DIE perfekte Parkposition!

Wir können hier stehen so lange wir wollen, teilt er uns mit und weist uns eine Platz links am Rand des Parks zu. Mit diesem Stellplatz sind wir sehr zufrieden. Vor uns die Public Service Hall, die von oben aussieht wie eine Blume, hinter uns der Park und die Kura, die durch Tiflis fließt. Da es bereits dunkel ist und wir müde von der langen Fahrt sind, unternehmen wir heute nichts weiter. Morgen ist auch noch ein Tag.

Nach dem Frühstück haben wir den ganzen Tag Zeit uns einen ersten Eindruck zu verschaffen. Beginnen wollen wir mit der Altstadt. Die Sonne scheint und wir haben herrliches Spätsommerwetter am 25 Oktober. Wir überqueren eine Brücke und danach eine Unterführung und schon sind wir mitten in der Altstadt.

Wer braucht hier mehr Mut, Balkongucker oder Banksitzer?

Hier lassen wir uns treiben und bestaunen die ganzen neuen Eindrücke. Die leckeren Auslagen in den Schaufenstern lassen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Wir bestellen zwei von den warmen, gefüllten und gebackenen Teigwaren und probieren jeweils von dem Anderen. Fantastisch. Und alles so preiswert hier. Georgien ist anders. Anders als viele Länder, die wir schon gesehen haben. Die Häuserfassaden sind alt und brüchig, aber gerade das macht den besonderen Charme der Stadt aus.

Ein Lost Place? Wir sind uns nicht sicher….

Kleine Balkone mit gusseisernen Gittern sind an fast allen Fassaden und die bunten Farben sind ausgeblichen. In den Durchgängen zu den Hinterhöfen sehen wir viele kunstvolle Graffitis, keine Schmierereien. Es werden sogar geführte Touren angeboten, die an besonders schönen Graffitis entlang führen und an Kunstobjekten der Künstler der Tbiliser Szene. Davon gibt es reichlich in der ganzen Stadt.

Manche dieser Kunstinstallationen sehen wir zufällig bei unserem Streifzug, zum Beispiel eine Schaufensterfigur, die auf dem Geländer eines Balkons sitzt und auf die vorbeilaufenden Passanten herunter schaut. Wir kommen an dem verwinkelten Uhrturm des Gabriadze Puppentheaters vorbei, an zwei bronzenen Männern, die faul auf einer Bank sitzen und noch vielen anderen schrägen Figuren, die hier und dort auftauchen. Überall gibt es was zu entdecken. Tbilisi, wie es in Georgien geschrieben wird, gefällt uns ganz ausgezeichnet. Wir sind beide richtig angefixt und haben uns verliebt in den Charme der Stadt, schon nach dem ersten Rundgang durch Oldtown. Dann entdecke ich einen roten Schriftzug über einer Tür. Davor hockt ein Türsteher auf einer abgewrackten Lederbank und eine Treppe führt durch einen halbgeöffneten roten Samtvorhang in die untere Etage. Ich frage, ob ich das Eingangsportal fotografieren darf und erkläre dem Türsteher auch warum ich das Foto machen will. Aber ich nehme an, er versteht kein Wort von dem was ich sage, nickt aber, da ich mit meinem Handy rumfuchtele und er sich sicher denken kann, was ich vorhabe. Über der Tür steht: „THE WORLD IS YOURS….“

Einkaufen wollen wir auch noch. Brot ist alle und hier gibt es doch dieses leckere Shoti aus dem Steinofen. Der Ofen ist ein großer, runder Zylinder, von unten befeuert und der Teig wird einfach an die Innenwand geklatscht. Sobald es fertig ist, wird es mit einem langen, spitzen Holzstab geschickt herausgelöst und landet dampfend auf dem Tresen. Bier könnte ich auch mal wieder nachkaufen, denn es gibt wirklich süffige Sorten hier in Georgien. Dann brauchen wir noch Wasser, Muesli, Obst und Gemüse und so kommt eins zum anderen. Chips sind auch fast alle. Bald kommen wir im Carrefour in die Gemüseabteilung und mir gehen die Augen über. Eine Zapfanlage! An den vier Zapfhähnen hängen vier leere zwei Literflaschen die nur darauf warten befüllt zu werden. Allerdings ist jetzt gerade Pause, denn von 15:00 – 16:00 Uhr ist niemand zum Zapfen vor Ort, verrät ein aufgestelltes Schild.

Frisches Shoti direkt aus dem Ofen, soooo lecker!
Beeindruckend, nicht wahr? 😉

Das macht aber auch überhaupt nichts, denn es gibt diese großen Flaschen auch aus dem Regal. Es gibt auch Dosen und Flaschen in handlicheren Größen. Die Auswahl ist schier überwältigend. Zu den vielen lokalen Bieren gibt es noch reichlich internationale Biere. Aber ich entscheide mich natürlich für die lokalen Sorten. Zum Glück ist der Carrefour nicht allzu weit von unserem Parkplatz entfernt, denn wir haben ganz schön zu schleppen. Alle unsere Beutel sind prall gefüllt und wir sind wieder gut versorgt für die nächsten Tage. Als alles in den entsprechenden Schränken und Fächern verstaut ist, kochen wir uns noch einen Kaffee und genießen ihn draußen auf einer Bank im Park. Da es für uns nie zu spät ist einen Mittagsschlaf zu machen, gönnen wir uns den auch noch.

Am Abend will ich etwas in die Kneipenkultur der Hauptstadt eintauchen. Dazu ziehen wir uns dicke Pullover und eine warme Jacke an. Schal und Handschuhe müssen auch sein, denn sobald die Sonne weg ist, wird es schon ganz schön kalt. Wir haben zwei Optionen laut Reiseführer. Dem Fluss aufwärts folgen oder in die andere Richtung nach unten gehen. Es gibt zwei Ausgehmeilen hier und ich wähle die, die uns flussaufwärts führt. Ein Grund dafür ist das riesige Bike, welches ich im Internet gesehen habe und was dort in der Nähe der Straße sein soll, wo die ganzen Bars und Kneipen sind. Das Bike ist auch dort, aber die Kneipenstraße habe ich mir anders vorgestellt.

Wahrscheinlich ist sie im Sommer auch anders und erst recht, wenn kein Corona Virus die ganze Welt ausbremst. Es gibt hier einige Thai Massage Salons, aber viel weniger Kneipen, als ich erwartet habe. So landen wir in einem Irish Pub der fast leer ist. Eine Barfrau begrüßt uns und am Nebentisch sitzen vier Typen mit ihren Bieren. Ich meine aus den Wortfetzen rauszuhören, dass es Schweizer, Deutsche und ein Engländer oder Amerikaner sind. Sie bleiben nicht konsequent bei einer Sprache. Die Musik ist gut, Beth Hart läuft in angenehmer Lautstärke. Ich bestelle mir ein Guinness und Jutta ein Wheat Beer. Wenn möglich bestellt Jutta Hoegaarden, ein belgisches Witbeer, aber das gibt es nur selten auf der Karte. Laut Internet müssen die meisten Läden im Moment um 23:00 Uhr zumachen, aber wir gehen schon kurz vorher, nach dem zweiten Guinness. Zurück nehmen wir einen anderen Weg.

Wir kommen durch die Prachtstraße und sehen eindrucksvolle Gebäude, das Theater, die Oper, todschicke Boutiquen, teure Nobelhotels mit beleuchteten Wasserspielen davor und hören sowas wie Livemusik. Erst leise, dann immer lauter und das klingt echt super. Wir nähern uns der Straßenband, dessen Sänger eine coole, raue Stimme hat und hören zwei Songs lang zu. Dann geschieht etwas Seltsames. Von allen Seiten kommen Polizeifahrzeuge an uns vorbei. Alle mit Blaulicht, aber ohne Sirene. Vorher ist uns die große Präsenz an Einsatzfahrzeugen auch schon aufgefallen, doch da haben wir uns noch nicht viel dabei gedacht. Jetzt werden überall ganze Straßen und alle Parkplätze abgesperrt, Flatterband wird gespannt und wir machen uns auf den Rückweg zum Camper. LEMMY steht nun auch hinter Flatterband auf dem fast leeren Parkplatz. Da wir eh noch ein paar Tage bleiben wollen, beunruhigt uns das nicht weiter. Aber was hier los ist interessiert uns schon. Jutta geht schnell vorne zum Kassenhäuschen und fragt nach. In der Public Service Hall wird morgen eine Parteiveranstaltung sein, findet sie raus. Zur anstehenden Wahl am kommenden Wochenende will Jutta raus sein aus Tiflis, da sie Krawalle und Randale befürchtet. Morgen bei der Veranstaltung wird schon alles friedlich verlaufen.

Public Service Hall

Als wir dann morgens noch im Bett liegen und aus dem Fenster schauen ist der Parkplatz bereits gerammelt voll. Das Flatterband, das uns quasi eingeschlossen hat liegt bereits auf dem Boden und immer mehr Kleinbusse drängen auf den Platz und die Polizeibeamten kapitulieren. Sie versuchen jetzt nicht mehr die abgesperrte Fläche freizuhalten, zu groß der Andrang und der Druck der Fahrer, die die Besucher dieser Wahlveranstaltung ankarren. Wir beobachten während des zweiten Kaffees das ganze Treiben und machen uns dann auf den Weg flussabwärts, um zu schauen wo die Ausgehmeile in der anderen Richtung ist. Außerdem wollen wir uns Nariqala Fortress ansehen und mit der Seilbahn dort hoch fahren, denn die Aussicht soll spektakulär sein von der alten Festung. Wir finden alles auf Anhieb, dort sitzt schon der bronzene Trinker mit seinem Trinkhorn in der Hand und kennzeichnet den Beginn des Restaurant- und Barviertels.

Und um die Ecke steht der Typ mit dem Schnurrbart und dem Koffer, an der Konka Station. Wir gehen einmal durch die beiden parallel verlaufenden Straßen, um uns ein Bild zu machen und zu überlegen, wo wir denn auf dem Rückweg einkehren können. Es sieht überall sehr nett aus und wir kommen an keinem Restaurant vorbei ohne angesprochen zu werden. Draußen liegen Wolldecken auf den Stühlen und Heizpilze stehen überall. Hier ist auch jetzt schon deutlich mehr los als gestern Abend in der anderen Richtung. Niemand ist wirklich aufdringlich, aber Jutta nervt trotzdem immer, wenn wir pausenlos angequatscht werden. „Hier gibt es das beste Essen in Tiflis!“ oder „Kommt wieder, ich warte hier auf euch.“ und so weiter…“Sie machen doch auch nur ihren Job!“, sage ich zu Jutta und hin und wieder sage ich: „Maybe later!“ zu den Damen, die uns auf das Menü ihres Lokals aufmerksam machen. Nachdem wir uns erfolgreich den Weg gebahnt haben ohne irgendwo einzukehren, müssen wir einmal über die Brücke und über den Fluss.

Von dort geht die Seilbahn hoch zur Festung. Davor steht ein großer Baum aus Metall, der Stamm besteht aus lauter Öfen, in den Ästen diverse Vögel, Vogelhäuser und einzelne Blätter. Wieder eines dieser großartigen Kunstobjekte. Für kleines Geld bekommen wir einen Fahrschein für die Seilbahn und ohne zu warten können wir eine Gondel besteigen. Schon die Fahrt nach oben gewährt eine tolle Aussicht.

Wir sehen die Freedom Bridge, deren Architektur mich durchaus anspricht, was nicht auf jeden zutrifft. Die Spötter nennen sie die Schildkröte. Dann sehen wir auf der anderen Seite der Brücke so eine Art Füllhörner, zwei riesige, gebogene Flaschenhälse, die wohl als Konzerthäuser genutzt werden, denke ich zumindest. Noch ein Stück weiter, hinter der Freedom Bridge, ist die, von hier oben blumenförmige, Public Service Hall, wo wir zur Zeit auf dem Parkplatz wohnen.

Mother Georgia

Oben angekommen stehen wir vor einer gigantischen Statue, der MOTHER GEORGIA. Sie überblickt von hier ganz Tbilisi. So wie wir jetzt gerade, und der Ausblick kann sich sehen lassen. In weiter Ferne sehen wir die typischen georgischen Kirchen, sehen Berge und die beiden durch den Fluss getrennten Stadthälften. Zur Festung geht es noch etwas weiter nach oben, diesmal allerdings zu Fuß. Hier sehen wir noch eine schöne Kirche auch von innen. Draußen vor der Kirche läuft ein professionelles Fotoshooting mit einer georgischen Schönheit. Wir gehen weiter aufwärts.

Einmal über Jürgens rechtes Knie gucken!

Was ich dann sehe lässt mir den Atem stocken. Die Festungsruine hat einen runden Turm, der nach außen 100 Meter oder mehr steil abfällt. Abgerundete Zinnen, neun oder zehn krönen den Turm und oben auf den Zinnen steht jemand. Jetzt läuft er los, hüpft von einer zur anderen Zinne. Ist der denn komplett irre? Er posiert, teilweise sieht es so aus, als will er einen Golfball abschlagen.

Oben links isser der verrückte Typ!

Offensichtlich filmt er sich. So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich weiß, dass es einige verrückte You Tuber gibt, die ihr Leben riskieren um solche Aufnahmen zu machen. Scheinbar ist da vor meinen Augen genau so ein verrückter Typ. Es sieht bei ihm alles sehr geschmeidig aus, als ob er das nicht zum ersten Mal macht. Und wäre da nicht dieser wahnsinnige Abgrund, wäre es wahrscheinlich nicht einmal schwierig. Aber der Abgrund ist da. Und ein falscher Tritt, ein Ausrutscher würde den sicheren Tod bedeuten. Innerhalb der Zinnen kann er sich bewegen, dort fällt er auch nicht tief, aber außen runter…..Er springt nach innen und stellt seine Kamera samt Stativ um und macht sich wieder auf, die kleinen Rundbögen zu erklimmen um erneut zu posieren. Er wechselt die Gangart und tänzelt wieder von einer Zinne zur Anderen. Stellt sich in Pose und schaut.

Etwas ungefährlicher die Pose, aber fast genauso crazy, der Typ 😉

Er weiß, dass er beobachtet wird. Außer uns sind da noch zwei junge Ladys, die sich auf dem Weg zu ihm machen. Ich wundere mich nur, dass nicht längst schon irgendwelche Ordner oder Polizisten da sind, um ihn von seinem lebensgefährlichen Tun abzuhalten. Jutta drängt zum Weitergehen, will ihn nicht durch noch mehr Publikum anheizen. Irgendwie fasziniert von diesem crazy Typen gehen wir. Runter fahren wir nicht mit der Seilbahn, sondern wir laufen. Dann kommen wir wieder genau bei den Restaurants von vorhin raus und wissen auch schon, wo wir essen wollen. Nach einem tollen Dinner in einer plüschigen und gemütlichen Atmosphäre unter einem Heizpilz verabschieden wir uns von der Katze, die es sich auf meinem Schoß bequem gemacht hat, zahlen und wollen auf dem Rückweg noch bei der Freedom Bridge vorbei gehen.

Wieder hallt uns Livemusik entgegen und die Akustik ist phänomenal unter dem Panzer der Schildkröte. Mitten auf der Freedom Bridge spielt Jozef New mit seiner Gitarre und einem kleinen Verstärker. Ich nehme an er spielt seine eigenen Kompositionen. Er hat eine tiefe und traurige, ausdrucksvolle Stimme. Das Lied ist sehr melancholisch und wunderschön anzuhören. Ich filme die ganzen 5-6 Minuten und frage mich, worüber er da wohl gerade singt. Hin und wieder landen ein paar Münzen von Passanten in seinem Gitarrenkoffer, auch Jutta schmeißt was hinein. Irgendwie passt dieser stimmungsvolle Moment unter diesem Schildkrötenpanzer mit dieser grandiosen Akustik zu diesem wundervollen Tag. Hand in Hand machen wir uns auf den Heimweg.

Freedom Bridge

Notiz am Rande, heute ist der 19.01.2022 um 00:15 Uhr. Ich sitze an meinem Schreibtisch in unserem Apartment in Downtown Halifax und höre Chris Cornell mit dem Cover „Nothing compares to you“ von Shinead O Conner. Hinter mir läuft das Video dazu auf einem riesigen Flatscreen TV. Draußen sind es – 18 Grad und es liegt Schnee auf den Straßen. Wir sind in Quarantäne, haben aber vor wenigen Minuten die „negativen“ Testergebnisse bekommen. Die Aussicht aus dem Fenster ist fantastisch, es ist alles noch so schön beleuchtet, als wäre immer noch Weihnachten. Es war eine echte Odyssee bis hierher zu kommen, aber dazu später mehr.

Tbilisi ist eine Weltmetropole. Unabhängig vom Fahrverhalten der Hauptstadtbewohner halte ich diese Stadt für weltoffen, für modern und zukunftsorientiert. Wir leben hier für eine knappe Woche auf dem Parkplatz und fühlen uns absolut wohl und genießen die Zeit in Capital City. Wir werden mit offenen Armen empfangen und der nahende Abschied fällt mir schwerer als Jutta. Ich mache noch eine Nachtschicht und schreibe an meinem Blog, dementsprechend müde bin ich am nächsten Tag. Wir lassen uns treiben und verweilen mal hier und mal dort. Pläne werden geschmiedet für die nächsten Etappen. Von „Into the Box“ wissen wir, der Vashlovani Nationalpark ist ein Paradies für Offroader. Da will ich gerne hin und Jutta stimmt zu. Dafür braucht man aber ein Permit und der Weg ist weit. Also müssen wir erstmal nach Dedopliszqaro um die Genehmigung zu bekommen, um in dieses Wunder der Natur fahren zu dürfen. Dort soll es noch den letzten lebenden kaukasischen Leoparden geben, in freier Wildbahn. Vorher kaufen wir noch Postkarten und Briefmarken, besuchen einen wunderbaren Waschsalon und begeben uns dann auf die Weiterreise.

Vashlovani NP wir kommen. Rock’n Roll!

Da wir einige Tage gestanden haben ist unser Wasservorrat zur Neige gegangen, denn wir mussten ja auch zwischendurch duschen. Aber direkt an unserem neuen Stellplatz soll eine Quelle sein, an der ich unseren 100 Liter Frischwassertank wieder auffüllen kann. Unterwegs gibt es frisch gebackenes, süßes Brot vom Straßenverkauf, welches sich hervorragend während der Fahrt für den kleinen Hunger anbietet. Nach vielen Stunden Fahrt kommen wir endlich im Ort an. Es ist bereits dunkel und dazu noch sehr neblig. Wir finden die Quelle und unseren Stellplatz für die Nacht. Ein paar Rinder werden an uns vorbeigetrieben. Ein Betrunkener kommt, beobachtet uns während wir LEMMY auf die Rampen fahren, dann zieht er weiter. Ein kleiner PKW hält neben uns und füllt fünf große Kanister Wasser auf und verlädt sie im Kofferraum. Danach begebe ich mich an die Quelle und fülle mit unserem 10 Liter Kanister den Frischwassertank auf bis die Anzeige 98 Liter anzeigt. Der Nebel wabert um uns herum. Ich fühle mich wie in einem Miss Marple Film.

Ich finds gruselig hier!

Alles ist schwarz-weiß. Dann kommt ein altes Moped vorbei mit Beiwagen. Es hält auf einer Brücke und ein paar junge Leute quatschen miteinander, dann fährt es weiter und die kleine Gruppe löst sich auf. Der Nebel wird dichter und Jutta fühlt sich nicht wohl hier, das merke ich. Sie ist die ganze Zeit mit ihrem Handy beschäftigt und plötzlich fragt sie, ob wir nicht doch schon zu diesem Office fahren können, bei dem wir morgen früh das Permit für den Nationalpark beantragen wollen. „Wenn du gerne möchtest. „, sage ich. „Dann machen wir das.“ „Ich weiß auch schon wo wir lang müssen, ist nicht weit von hier.“, bekomme ich zu hören. Es sind tatsächlich nur wenige Minuten zu fahren, dann sind wir schon da. Der Parkplatz ist zwischen dem Office und einem kleinen Supermarkt.

Er bietet Platz für fünf bis sechs Fahrzeuge, je nachdem wie weit sie auseinander stehen. Allerdings ist ein breiter Graben zwischen Straße und Parkplatz und nur zwei etwa fahrzeugbreite Überwege führen über den Graben auf den Parkplatz. Das hatte Jutta überhaupt nicht gesehen. Sie hat nur die Parklücke gesehen, hinter dem Graben. „Was machst du denn da?“, ruft sie laut, als ich weit aushole um rückwärts über diese Art Brücke zu fahren und aus ihrer Sicht vermeintlich auf ein anderes, hinter mir parkendes Auto zu zusteuern. „Ich parke ein.“ , erkläre ich mich. „Hast du den Graben nicht gesehen?“ „Oh Gott, scheiße nein! Das habe ich überhaupt nicht gesehen.“ Sie entschuldigt sich tausendmal und kriegt sich kaum wieder ein.

Im Dunkeln kann Frau das echt leicht übersehen 🙁

„Wie gut, das du das gesehen hast.“, wiederholt sie mehrmals. Vermutlich hat sie sich gedacht: „Wenn das schief gegangen wäre!“ Und ich hätte beim rückwärts Einparken den Hinterreifen im Graben versenkt und mit der Achse aufgesetzt, dann hätten wir eine längere Pause einlegen können und LEMMY wäre für eine ganze Weile in irgendeiner Werkstatt verschwunden. Es geht alles gut und ich kann LEMMY S-förmig in die Parklücke fahren. Damit wir gerade stehen, fahre ich auch noch vorne links auf eine Rampe. Jutta entschuldigt sich ein weiteres Mal, dass sie das übersehen hat, aber ich versuche sie zu beruhigen. Denn als Fahrer ist es schließlich meine Verantwortung genau zu gucken wohin ich fahre und was ich tue. Am nächsten Morgen ist alles vergessen und wir bekommen unser Permit für den Nationalpark. Ob wir „4 Wheel Drive“ haben, war glaube ich die entscheidende Frage bzw. „Yes, of course!“ die entscheidende Antwort.

Ob der uns wohl über den Weg läuft 😉

Wir sehen ein großes gerahmtes Bild mit dem kaukasischen Leoparden. Unter der Fotografie steht, dass die Aufnahme im Jahr 2006 entstanden ist. Aufgenommen wurde dieses Foto von einer Wildkamera, die weit ab mitten im Park installiert war. Eine englischsprachige Map gibt es leider nicht mehr, nur noch eine in georgischer Sprache. Aber da werden einige Punkte von der netten Dame mit einem roten Kuli markiert. Auf Juttas Handy markiert sie uns ebenfalls einige markante Punkte in der „Maps me“ App. Damit fühlen wir uns gut gerüstet für den Vashlovani National Park. Vorher müssen wir aber noch dieses Permit bestätigen lassen, da wir sehr nahe an der armenischen und aserbaidschanischen Grenze sind. Dafür müssen wir nur wenige Minuten weiter zur Borderpolice fahren. Vorher wird kurz im Supermarkt das Nötigste für ein paar Tage in der Wildnis eingekauft und dann geht es auch schon los. Wir erreichen den Stützpunkt, geben unser Permit an den Wachsoldaten am Tor und werden aufgefordert zu warten, nur zwei Minuten. Nach ca. 20 Minuten kommt er wieder und händigt mir ein Papier aus. Jetzt ist wohl alles klar. Bevor wir nun endgültig aufbrechen in das Offroad Paradies, in den Vashlovani N.P., will ich noch das nahe gelegene World War II Memorial sehen. Jutta wartet im Auto, während ich einen Hügel hinaufspaziere um mir dieses verfallene Monument anzuschauen.

Denkmal und Lost Place

Danach kann es endlich losgehen und voller Vorfreude starte ich und voller Skepsis, aber bereit für ein Abenteuer, startet Jutta neben mir auf dem Beifahrersitz. Und bevor es so richtig los geht, da beginnen schon die ersten Probleme.

Wir fahren zunächst auf geteerten Straßen. Sie haben viele Löcher und Bodenwellen, aber dann enden sie abrupt. Jetzt beginnt die Piste, nur noch Dreck unter den Reifen, dunkelbrauner Sand mit noch viel mehr Löchern als auf allen Straßen davor. Eigentlich ist es eher eine Reibeisenpiste, die Löcher machen den größeren Teil der Strecke aus. Ich fahre langsam, zum Teil sehr langsam, denn wir können nie wissen, wie tief die Löcher sind, alle sind bis oben mit Wasser gefüllt. So geht es die nächsten 20 km weiter, weiß Jutta zu berichten. Spaß macht mir das hier auch nicht, aber das gehört eben mit dazu.

Ausweichstrecke?

Was ist das denn jetzt für ein verdammtes Geräusch? Irgendetwas quietscht und kratzt vorne links an der Bremse. „Scheiße!“, fluche ich laut, echt abgenervt sofort nach dem Einstieg in die Route, in das Abenteuer, ausgebremst zu werden. Ich halte und gucke, fahre weiter. Ich trete fest auf die Bremse und höre wie sich das Geräusch verändert. „Lass uns noch ein bisschen weiter fahren, vielleicht hört es ja von alleine wieder auf.“, sage ich optimistisch zu Jutta. Es hört nicht auf. Was jetzt? Sollen wir in eine Werkstatt fahren? Wir haben ein 3-Tage Permit für den Park. Ist das Abenteuer vorbei, bevor es richtig begonnen hat? Ausgerechnet von Jutta kommt der Vorschlag, den Reifen einmal abzunehmen und zu gucken, was da los ist. Ich bin erstaunt, aber sofort dabei. „Ja, auf jeden Fall, das machen wir.“

Es klappt mit normalem Bordwerkzeug, yes!

Wagenheber hinter dem Beifahrersitz rausgekramt und Kreuzschlüssel hinter dem Fahrersitz und dann los. Mal sehen, ob unser serienmäßiges Equipment ausreicht. Es geht, ich pumpe LEMMY mit dem Wagenheber so hoch, das ich den Reifen abnehmen könnte, aber ich bekomme die Schrauben nicht los. Der Reifen dreht sich mit. Dann fällt mir ein, dass man die Schrauben natürlich lösen muss, wenn der Reifen noch Bodenkontakt hat. Damit er sich eben nicht mit dreht beim Lösen der Radmuttern. Also Wagenheber absenken und Bodenkontakt herstellen. Jetzt die Muttern lösen und dann wieder hoch pumpen. Nun kann ich den Reifen abziehen und mit der Taschenlampe mal schauen was da los ist. Ein winzig kleines, verdammtes Steinchen hat sich eingeklemmt zwischen einem Blech und der Bremsscheibe. Mit unserem Brotmesser kann ich den kleinen Krachmacher dort rausdrücken. Überglücklich dieses Problem eigenständig gelöst zu haben und unsere Reise ohne Werkstattbesuch fortsetzen zu können, fahren wir weiter.

Übeltäter gefunden!

Hin und wieder gabelt sich die vor uns liegende Piste oder es gibt sogar rechts und links Ausweichmöglichkeiten. Dann müssen wir entscheiden, welche der zwei oder drei möglichen Routen wir nehmen. Meistens führen sie nach einigen Kilometern wieder zusammen, sie sind aber unterschiedlich in der Qualität. So sind diese Pisten dann wohl auch entstanden. Es wurde probiert, ob es nicht etwas ruckelfreier geht, ob man nicht neben der Hauptpiste entlang schneller voran kommt. Es ist ein bisschen wie Russisch Roulette spielen, denn man kann nie wissen was einen erwartet und ob nicht die linke Route vorzuziehen gewesen wäre, wenn wir uns für die rechte entscheiden.

Eindeutig…oder etwa doch nicht?

Aber darum geht es hier ja auch, um Offroad zu fahren, abseits der Zivilisation. Wenn es denn mal nicht weiter gehen sollte, dann kann man immer noch umdrehen oder soweit zurück fahren, bis ein Wenden wieder möglich wird. Nur festfahren sollte man sich auf keinen Fall, jedenfalls nicht so sehr, dass man sich alleine nicht helfen kann. Es kann dann schon mal Tage dauern bis jemand vorbeikommt. Man könnte im Notfall wohl das Office oder die Ranger anrufen. Telefon- oder Internetempfang gibt es hier aber nur selten, was einen Hilferuf natürlich deutlich erschwert. Wir haben aus Gewichtsgründen keine Winde dabei, die helfen könnte, wenn die Sandbleche nicht mehr ausreichen. Zum Glück war es jetzt länger trocken, so dass nur noch in den Bodenlöcher das Wasser steht. Die Piste ist meistens trocken, nur gelegentlich leicht feucht. Wir haben ein Ziel für heute Abend, einen markierten Übernachtungspunkt im „Bear Canyon.“ Mit MapsMe (einer Navigationsapp, die wir offline verwenden können) klappt es ganz gut. Es ist jetzt im Grunde unser erstes echtes Offroadabteuer. Hier sind wir komplett auf uns gestellt. Hier können wir auch niemanden fragen oder eine zweite Meinung einholen, wenn es darum geht, ob eine Passage befahrbar ist oder nicht.

Ich finde Gefallen daran und Jutta ist relativ entspannt. Auch wenn es mal ordentlich schaukelt und hinten in der Kabine die Sachen durch die Gegend fliegen, was auch im Fahrerhaus zu hören ist. „Nicht so schnell!“, schimpft Jutta zwischendurch und ihre Blicke sagen den Rest. Da ich dankbar und glücklich bin, dass sie überhaupt mit mir diese viertägige Offroad Tour macht (wir haben drei Übernachtungen hier im N. P.) will ich sie nicht überstrapazieren und fahre etwas langsamer. Die Piste wird immer anspruchsvoller und durch Bäume und Sträucher links und rechts des Weges wird LEMMY ganz schön in Mitleidenschaft gezogen. Es quietscht und knarzt, wenn die Äste und Sträucher am Fahrzeug entlang schrammen. Manchmal kommt es überraschend und wir fahren mit verkniffenen Gesichtern bei diesen fürchterlichen Kratzgeräuschen weiter. Doch dann werden wir immer entspannter.

Ja, da zwischen Büschen und Felsen müssen wir durch.

Die Kratzer gehören halt dazu und uns war natürlich klar, dass wir Spuren am Fahrzeug sehen werden, nach so einer Tour. Einmal hatte ich großes Glück, als mich bei geöffnetem Fenster ein großer, hereinschnellender Ast nur knapp verfehlte, der mir sonst wohl die Wange aufgerissen hätte. Die Herausforderungen steigen weiter, wenn es Engstellen an Felswänden gibt und noch dazu riesige Furchen, die den Wagen kippen lassen und uns ganz schöne Schräglagen bescheren. Jutta steigt dann aus und schaut wie viel Platz zum Fels bleibt, denn Äste sind eine Sache, Felsenüberhänge eine andere. Die Kabine wollen wir tunlichst nicht aufreißen durch ein unbedachtes Fahrmanöver oder durch ein nicht vorhergesehenes Abkippen, weil die Räder durch eine tiefe Mulde fahren. Noch aufregender wird es, wenn Vieles zusammen kommt. Zum Beispiel eine Engstelle in einer Kurve mit einer großen Steigung. Dazu kommen selbstverständlich wieder die tiefen Auswaschungen im Boden, große Löcher und unbefestigter Untergrund aus Sand, Geröll oder matschiger, lehmiger Boden.

Easy! Keine Steigung, trocken und rechts und links Platz!

In diesen Situationen nutze ich dann das volle technische Programm, das der Ranger zu bieten hat. Dann fahre ich aus Mangel an Erfahrung mit 4 Wheel Low, obwohl wahrscheinlich 4 Wheel High reichen würde. Vielleicht bräuchte man in manchen Situationen nichts davon. Ich bin jetzt hier um dieses Defizit bei mir auszugleichen und praktische Erfahrung zu sammeln und dieser Ort ist das perfekte Terrain dafür. Während meinem 2-tägigen Offroad Lehrgang in Langenaltheim gab es verschiedene Philosophien zum Fahren in extremen Situationen. Die eine Philosophie ist genau die, an die ich mich im Augenblick noch halte. Sie besagt, im Zweifelsfall alles nutzen, was das Fahrzeug zur Unterstützung anbietet. Die andere besagt, sich erstmal rantasten und ausprobieren, damit im Ernstfall noch Optionen verbleiben, um noch Spielraum zu haben, wenn man festsitzt. Ich verfolge erst einmal die Strategie das volle Programm des Ford Rangers zu nutzen, um dann später durch gewonnene Erfahrung zu reduzieren. Damit fahre ich bisher ganz gut, im wörtlichen Sinne. Wir kommen dem Bear Canyon auch schon näher, aber Jutta wird immer unruhiger, was nicht an der Strecke oder meiner Fahrweise liegt. „Komisch!“, sagt sie „die verbleibende Entfernung zum Ziel passt nicht mit der Zeit zusammen, die mir für die Strecke angezeigt wird.“ Mich beunruhigt das weniger, weil ich denke: „Dann stimmt die Zeitangabe einfach nicht, scheiß drauf!“ Für 7 km noch acht Stunden fahren kann ja wohl nicht sein.“, sagt sie. „Nee!“, stimme ich zu, „da wären wir zu Fuß ja schneller.“ Aus eben diesem Grund muss es eine Fehlermeldung sein, warum auch immer.

Wunderschön! Aber wenn es hier anfängt zu regnen?

Am späten Nachmittag kommen wir an, sind mitten im Canyon. Zu beiden Seiten geht es steil die Felswände hoch. Wir sind unten in der Ebene, mal ist sie etwas breiter und an machen Stellen schmal. Ich parke LEMMY vor einer erhöhten Schutzhütte. Wir schauen uns um. In der unverschlossenen Hütte ist absolut nichts, aber sie bietet Platz für mehrere Personen, die dann ihre Isomatten ausbreiten können um sich auszuruhen. Wir gehen etwas umher, um die nähere Umgebung zu erkunden und finden noch ein gutes Stück höher einen Pfad hinauf zu einem Zeltplatz mit großer Feuerstelle. Niemand ist dort. Eine kleine Feuerstelle habe ich bei unserem Camp auch schon entdeckt und genau dort wollen wir heute Abend unsere Bratwürste grillen. Die stammen noch aus einem Supermarkt in Griechenland und warten darauf aus unserem kleinen Gefrierfach entnommen zu werden. Jutta bereitet drinnen etwas Gemüse und Salat zu, während ich Holz zum Grillen sammle. Ein Bär, der dem Canyon seinen Namen gibt, kommt leider nicht vorbei.

Lagerfeuer…in the making 😉

Irgendwann wird es dann dunkel. Ich sitze bereits am Feuer und freue mich über diesen fantastischen Tag, dessen Abend wir noch vor uns haben. Eine große Dose eiskaltes Bier steht neben mir. In Gedanke erlebe ich die vergangenen Stunden noch einmal. Erinnere mich an schwierige Passagen, die wir gemeistert haben und stelle fest, dass ich es liebe Offroad zu fahren. Der morgige Tag kann kommen, ich habe Bock genau so weiterzumachen wie bisher. „Wann willst du die Würstchen haben?“, ruft Jutta zu mir rüber. Ich überlege kurz: „In einer halben Stunde ungefähr, das Feuer braucht noch etwas.“ Ich habe gesammelt soviel ich konnte. Jetzt bin ich dabei das geschürte Feuer etwas abbrennen zu lassen, damit wir dann die perfekte Grillkohle für das Gemüse und die Würste haben.

Ich sehe einen großartigen, klaren Sternenhimmel wie selten zuvor. Die einzigen Lichtquellen hier sind mein glimmendes Feuer und die von innen erleuchteten Fenster vom etwas entfernt stehenden Camper. Wie schön der Himmel aussieht, es ist unglaublich. Ruhe kehrt in mir ein und ich entdecke einen Stern, der heller ist als alle anderen. Nur das knisternde Feuer ist zu hören, sonst ist es still. Ist das der Polarstern? Mit derlei Fragen habe ich mich zuvor nie beschäftigt. Ich beobachte den Himmel, während ich gelegentlich an meiner Bierdose schlürfe, stochere mal etwas im Feuer. Dann geht der Blick schon wieder nach oben gen Nachthimmel. Irgendwas ist anders, bilde ich mir ein. Ein hoher Baum oben am Rand des Canyons ragt weit in den Nachthimmel hinauf. Ich sitze am Fuße dieser beeindruckenden Kulisse und sehe wie der helle Stern der Baumkrone immer näher kommt. Jetzt will ich es genau wissen. Ich rücke mich zurecht und bleibe steif in meiner Position sitzen, schaue auf meine Armbanduhr und verharre die nächsten fünf Minuten lang. Ich präge mir den Abstand des hellsten aller Sterne vor der Baumkrone ein. In etwa zehn vor zwölf, wenn man sich das ganze Szenario als Uhr vorstellt. Jetzt warte ich die fünf Minuten ab und dann schaue ich wieder nach oben. Jetzt ist es fünf vor zwölf, der Stern ist der Baumkrone näher gekommen. Ich sehe wie die Erde sich dreht! Man mag jetzt denken: „Ja und? Ist doch nichts Besonderes.“ Aber für mich war es was Besonderes. Ich saß weit ab der Zivilisation in einem Nationalpark in Georgien. Vor ca. 15 Jahren gab es hier noch den kaukasischen Leoparden. Ich war irgendwie so ganz bei mir, saß am Lagerfeuer und beobachte den Sternenhimmel und auch ich wusste vorher, dass die Erde sich dreht. Aber zugeschaut habe ich ihr dabei noch nie.

Nach dem Essen sitzen wir noch lange am Feuer und ich lege Holz nach bis es zur Neige geht. Jutta verabschiedet sich schon mal und geht rein. Ich nehme draußen noch ein Bier und schaue zu wie das Feuer runter brennt, wie es sich selbst verzehrt. Stundenlang kann ich am Lagerfeuer sitzen und gucken, wie es sich entwickelt. Wie die Flammen sich das nachgelegte Stück erobern, wie sie durch die erst kleinen und dann aufbrechenden Risse ihren Weg bahnen um dann später lodernd durchzubrechen. Ich halte mich selber für einen Meister des Nachlegens. Bei mir wird nicht einfach ein Stück Holz nachgeschmissen. Nein, es muss arrangiert werden. Ein gutes Lagerfeuer ist eine Inszenierung des Lichts und der tanzenden Flammen. Ein gutes Lagerfeuer brennt lange und wird mit minimalen Mitteln maximal lange am Leben erhalten. Aber auch bei mir geht irgendwann jedes Feuer aus.

Vashlovani NP, immer neue Aussichten!

Nach einer ruhigen und erholsamen Nacht geht es nach einem kleinen Frühstück wieder los. Wir durchfahren enge Schluchten und dann später befinden wir uns oben am Rand einer Schlucht und gucken runter in endlose Weiten. Wir sehen in der Ferne lange Bergkämme, blauen Himmel und weite Ebenen mit grünen Bäumen, mit dürren Sträuchern. Die Natur bietet uns ein Farbspektrum von sattem Grün, über Gelb und Orange bis leuchtend Rot. Immer wieder kommen kleine Abschnitte, wo manchmal Jutta aussteigt, um zu schauen wie schwierig die Passage ist und manchmal komme ich dazu, damit ich mir selber ein Eindruck verschaffen kann.

Blind Summit

Eine Situation läuft nicht so wie gewünscht und wir diskutieren anschließend, woran es gelegen haben kann. Wir stehen vor einem „Blind Summit“. Das heißt vor einer Bergkuppe, bei der ich als Fahrer nicht sehen kann, was mich dahinter erwartet. Der Ranger hat eine lange Haube und wenn es steil bergauf geht, dann sehe ich nur Haube und den Himmel. Das ist nicht weiter schlimm, denn auf dem Scheitelpunkt kann man ja anhalten, um sich ein Bild zu machen. Oder man geht vorher einmal rauf und beurteilt die Situation mit dem Blick auf das Ganze. Im Offroad-Training habe ich gelernt diese Umstände zu meistern, wenn ich damit konfrontiert werde. Sollte es beispielsweise erforderlich sein, nach dem höchsten Punkt sofort scharf abzubiegen, dann sollte man sich einweisen lassen. Oder man sucht hohe Bäume oder andere markante sichtbare Hilfsmittel, die man anvisieren kann, um dann rechtzeitig einzulenken. Da wir aber zu zweit sind ist es nicht nötig, dass ich mir bestimmte Merkmal einpräge. So also halte ich erst auf der Bergkuppe an und dann steigen wir beide aus und besprechen wie ich mir die kurze, aber steile Abfahrt vorstelle.

Da will man nicht reinrutschen!

Es gibt extreme Auswaschungen und enorm tiefe Spurrillen, die ich um jeden Preis vermeiden will, um die Kippneigung nicht zu sehr auszutesten. Auf der rechten Seite wird die Spur von Bäumen und dichtem Buschwerk begrenzt, auf der anderen Seite geht es steil abwärts. Also zeige ich Jutta genau die Spur, die ich fahren möchte. Ich gehe sie sogar vor ihren Augen ab mit ausgestreckten Armen, wobei meine Fingerspitzen den Abstand der Reifen symbolisieren. Ich erzähle ihr worauf sie achten soll und was ich auf keinen Fall riskieren möchte. Sie steht unten vor mir, um mich in Echtzeit zu navigieren. So wie wir es von den Instruktoren in Langenaltheim gelernt haben.

Wir hatten zwei Instruktoren und waren eine kleine Gruppe mit sieben Fahrzeugen. Uns hatten sie der LKW-Gruppe zugewiesen. Mit unseren 3,5 Tonnen waren wir das kleinste Fahrzeug. Dann gabs einen Iveco mit 5,5 Tonnen, einen LKW mit 7,5 t und die anderen brachten über 10 t bzw. 12 t auf die Waage. Jedenfalls erzählte einer der Instruktoren, dass dieses Training in der Regel von Paaren besucht wird und die Damen den Part des Einweisers übernehmen. Das habe schon oft mal einen handfesten Ehekrach ausgelöst, denn der Fahrer muss sich auf den Einweiser verlassen und umgekehrt. Ich sitze jetzt also oben auf der Bergkuppe im Auto und rufe zu Jutta runter, ob sie denn bereit sei. Sie nickt mir zu mit angespanntem Gesichtsausdruck. Ich fahre und sie bedeutet mir, irgendwie so ganz anders zu fahren als eben besprochen. Sie zeigt mal hierhin, dann dorthin. Dann macht sie ein Stopzeichen, obwohl das eigentlich vermieden werden soll bei steilen Abfahrten. Es sei denn, es geht um einen drohenden, großen Schaden, den es zu verhindern gilt. Warum soll das Stoppen bei steilen Abfahrten vermieden werden? Weil man bremsen muss, was zum Beispiel bei Nässe schnell zum Kontrollverlust führen kann. Weil beim Treten der Kupplung die Motorbremse fehlt und der Wagen immer schneller wird und ich dann wieder bremsen muss. Oder weil beim Treten der Kupplung sofort die Drehzahl abfällt und ich den Schwung verliere, obwohl das allerdings eher bei Bergauffahrten zum Problem werden könnte. Bevor man also die Kupplung tritt, sollte man eher den Wagen abwürgen.

Upps, ein Baum war da ja auch noch!

Es ist nicht nass, aber ich fahre jetzt intuitiv runter, ohne auf Juttas Signale und Anweisungen zu achten. Theoretisch weiß sie auch, dass sie mich nicht zum Halten nötigen soll, wenn ich gerade eine etwas heikle Passage händeln muss. Aber ich merke, dass sie mit dieser Situation überfordert ist, wie es auch schon einmal in Albanien der Fall war. Dort sollte sie mich eine schwierige Passage hinauf navigieren und ist mir beim Bergauffahren dicht vor der Haube rumgeturnt und hat mich auch damit zum Bremsen genötigt. Ich komme gut runter und wir besprechen wie es dazu kommen konnte. Das Ergebnis ist im Grunde einfach. Ich habe zu viel geredet, habe zu komplexe Anweisungen gegeben und viel unnützes Zeug dabei von mir gegeben. Was sie von mir braucht, stellt sich jetzt heraus, sind knappe, klare Anweisungen. Zum Beispiel so: „Der rechte Vorderreifen soll immer auf dieser Linie bleiben!“ Am besten noch mit einem Stock einem Strich oder Steinen kennzeichnen, vielleicht auch abgebrochene Äste als Markierungen an kritische Punkte legen. Dann ist es immer noch schwer genug, so ein verantwortungsvolles Manöver hinzulegen. Wobei sie natürlich nicht alleine die Verantwortung hat. Ich als Fahrer bin letztendlich die letzte Instanz, die die volle Verantwortung hat. Ich treffe die Entscheidung, auch mal gegen die Anweisung des Navigators. Sie sollte dann trotzdem immer nach bestem Wissen und Können weiter navigieren. Auch wenn der Fahrer, aus welchen Gründen auch immer, unerwartet anders handelt als vorher besprochen. Es kann sein, dass es sich anders besser anfühlt, dass Umstände eintreten, die nur der Fahrer gerade erlebt. Aber die Unterstützung sollte trotzdem einfach weiter ausgeführt werden. Es kann ja wieder kurze Zeit später nötig sein.

Es gibt da so ein schönes Video auf You Tube eigentlich übers „gendern“ auf dem „maiLab“-Kanal. Ich mag Kim Mai Thi Nguyen sehr gerne und schaue mir viele von Ihren Filmen an. Sie erklärt wieder sehr unterhaltsam und erwähnt dabei den Wissenschaftler Jean-Luc Doumont , der sich mit “The Three Laws of Professional Communication” beschäftigt. Er unterscheidet zwischen signal und noise. Um sein „Publikum“ zu erreichen, muss man alle unwichtigen Informationen (noise/Rauschen) weglassen. Die „signal to noise ratio“muss maximiert werden.

Jede überflüssige Information in Vorträgen, Unterhaltungen oder eben auch in Anweisungen wird also als Rauschen wahrgenommen. Durch mein ganzes Palaver hat Jutta vor allem eins gehört, Rauschen.

Gigantische Ausblicke

Es geht gut voran und wir haben auch wieder ein Ziel für heute Abend. Aber es gibt dieses mal zwei verschieden Wege und für einen müssen wir uns entscheiden. Wir schlagen erstmal eine Richtung ein, gucken wie sich die Stecke entwickelt. Mit der Option umzudrehen um die alternative Piste zu fahren. An einer Ranger Station machen wir kurz Halt. Doch bevor wir fragen können, ob unser eingeschlagener Weg der Richtige ist zum Fluss an der aserbaidschanischen Grenze, ist der Ranger (der eben noch da war) verschwunden. Macht nix, es gibt hier einen kleinen Wander-Trail, den laufen wir mal lang. Vielleicht ist er ja auch gleich wieder zurück.

The Eldest Tree Trail

Wir laufen knapp zwei Kilometer, dann erreichen wir einen kleinen Aussichtspunkt, an dem eine Informationstafel über die Flora und Fauna in dieser Region steht. Eine andere Schautafel mit der Fotografie des letzten kaukasischen Leoparden, der wohl längst verstorben sein dürfte, gibt es auch noch. Wir gehen noch etwas weiter und ich bin etwas schneller als Jutta unterwegs. Da ruft sie mich plötzlich zurück. „Komm schnell her, aber nicht ganz zu mir. Da ist eine Schlange auf dem Weg. Da wo du gerade lang gelaufen bist.“ Ich komme zurück und dort ist sie noch immer, regungslos, mitten auf dem Weg. „Man gut, dass ich nicht auf sie drauf getreten bin. Wir müssen später unbedingt mal gucken, was für eine Schlange das ist. Vielleicht ist die giftig.“ Mit gebührendem Abstand mache ich Fotos.

Giftig oder nicht?

Später vermuten wir es handelt sich um die Levantinische Viper, eine Giftschlange. Ganz sicher sind wir aber nicht, anhand unserer Aufnahme und der Bilder aus dem Internet können wir das nicht eindeutig klären. Knöchelhohe Schuhe, die vor Schlangenbissen schützen, haben wir beide Gott sei Dank an. Ein paar hundert Meter gehen wir noch weiter, dann drehen wir um und gehen zurück. Die Schlange sehen wir nicht wieder. Vermutlich hatte sie sich totgestellt, als sie unsere Vibration spürte und als wir weitergingen zog auch sie wieder los. Den Ranger finden wir auch bei unserer Rückkehr nicht. Nur eine Menge kleiner Katzen streifen um sein Haus und folgen uns bis zum Auto. Eine springt zu mir rein. Ohne Katze fahren wir dann unserem eingeschlagenen Weg folgend weiter. Es geht eine Weile über breite Hügellandschaften und der Blick reicht weit in jede Richtung.

Über mangelnde Abwechslung können wir uns absolut nicht beklagen. Immer wieder werden uns großartige Aussichten über die massiven Berge geboten, über weite Steppen und eine fast unberührte Natur. Abgesehen natürlich von den Spuren, denen wir folgen. Die Landschaft ändert sich schlagartig, es geht wieder abwärts und die Strecke wird enger. Der Weg schlängelt sich relativ steil runter und ich muss mich wieder mehr konzentrieren. Dann plötzlich, auf einem kleinen Plateau, das auf der Map auch als Viewpoint gekennzeichnet ist, stehen zwei große Kastenwagen. Sofort wandert mein Blick auf das Kennzeichen. SP steht da drauf, sie kommen aus Deutschland. Wir halten und sehen den zweiten Mercedes Kastenwagen. Scheint das gleiches Modell wie der Erste zu sein, ein Mercedes 711 D.

Nice to meet you, globelotte53!

Sie genießen alle die Aussicht und haben sich noch nicht entschieden wie es für sie weitergeht. Die Strecke die uns bevorsteht ist richtig anspruchsvoll. Sie wissen das schon und wägen ab, was sie tun wollen. Sie, das sind zum einen Chris und seine Frau Erica mit ihrem gemeinsamen Sohn Levin und zum Anderen sind da noch Sebastian und seine Freundin Frieda. Ach ja, ein Hund gehört auch noch zu Chris und Erica, Ayla. Adoptiert irgendwo in der Türkei. Wir lernen uns kennen und tasten uns ein bisschen ab. Frieda und Sebastian sind noch sehr jung, etwas über 20. Beide sind Fotografen und haben sich während der Ausbildung ineinander verliebt. Jetzt sind sie schon seit geraumer Zeit auf Tour, den Großteil davon in der Türkei. Irgendwann und irgendwo trafen sie dann auf Chris und Erica und reisen seitdem immer mal wieder gemeinsam. Seit einer ganzen Weile auch schon in Georgien und im Vashlovani NP sind sie schon zum wiederholten Male. Chris und Erica sind eher unser Alter, vielleicht 7-8 Jahre jünger. Levin ist etwa 12 Jahre alt und wird von Erica unterwegs unterrichtet.

Da müssen wir runter!

Unsere Richtung ist klar definiert. Der sich steil abwärts schlängelnden, kurvigen Strecke hier folgen, runter an den Fluss (Alasani), der Aserbaidschan von Georgien trennt. „Kommt doch auch runter, dann trinken wir heute Abend ein paar Bierchen zusammen.“, schlage ich vor. Sie legen sich nicht fest und scheinen noch unentschlossen zu sein. Wir wollen jedenfalls weiter und machen uns langsam auf den Weg. Erst verabschieden wir uns noch von den Fünfen und dann geht es los. Und was uns jetzt erwartet wird ein Härtetest. Nicht nur für Juttas Nerven, auch für meine. Es wird ein Test für das Material, also für LEMMY, ein Test für mein fahrerisches Können und unsere Fähigkeit die Situation und Strecke zu beurteilen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich bin mir sicher, dass uns die beiden anderen Teams nicht folgen werden. Gleichzeit denke ich aber auch, wenn sie uns folgen, dann wird sehr schnell der Punkt für sie erreicht sein, an dem sie nicht umdrehen können. Dann müssen sie die schwierige Entscheidung treffen, ob sie rückwärts zurückfahren oder ob sie sich sagen, Augen zu und durch. Sie haben keinen Allradantrieb, einen kleinen, ersten Gang zwar schon und auch hinten die Doppelbereifung, aber sie sind länger und kopflastiger als wir mit LEMMY. Wir bedauern es sehr keine Nummern ausgetauscht zu haben, denn dann hätten wir versucht ihnen von der Strecke abzuraten.

Aber dafür lohnt sich der Weg

„Folgt uns bloß nicht!“, hätte ich gesagt. Die Passage ist äußerst fordernd. Es geht rauf und runter, oftmals gibt es Engstellen mit zum Teil großen Verschränkungen. Die tiefen Auswaschungen gehören hier überall dazu. Ich nutze häufig 4 Wheel High und auch 4 Wheel Low, wenn es besonders wild aussieht. Bei Nässe wäre es hier kaum befahrbar, doch Regen ist erst für den vierten Tag angesagt. Irgendwann erreichen wir dann einen militärischen Kontrollposten und werden gebeten unser Permit vorzuzeigen. Alles in Ordnung. Wir fragen nach dem Weg zum Fluss, denn hier gibt es wieder zwei Möglichkeiten weiter zu fahren. Er weist uns den Weg, der (wie sollte es anders sein) der Abenteuerlichere ist. Wir müssen einmal mehr einen steilen Hang runter, der abrupt abkippt. Durch eine Furt, die wenig Wasser führt, fahren und auf der anderen Seite einen ebenso steilen Hang hinauf. Es gelingt alles problemlos, doch Herzklopfen habe ich dabei trotzdem. Jutta bleibt erstaunlich ruhig und gelassen. Sie hat offensichtlich Vertrauen aufbauen können. Durch meine Fahrweise, durch die bisher richtig getroffenen Entscheidungen und durch LEMMYS Allradantrieb und die AT Reifen. Als wir ankommen stehe ich immer noch etwas unter Strom, bin aber froh und erleichtert, dass alles gut gegangen ist, dass Jutta alles relativ stressfrei mit macht und LEMMY nur ein paar weitere Kratzer aufzuweisen hat.

Stellplatz 2. Wahl

Nachdem wir uns zunächst schön direkt an den Fluss gestellt haben, werden wir von einem strengen Ranger an dieser Übernachtungsstation zwischen zwei Bungalows platziert. Die Bungalows kann man auch mieten, sie sind allerdings im Moment nicht bewohnt. Vor uns liegt der Fluss und auf der anderen Seite ist Aserbaidschan, unerreichbar für uns, denn auf dem Landweg sind die Grenzen geschlossen. Wieder denken wir an die anderen. An „Globelotte53“ (so nennen sie sich auf Instagram) und an Sebastian und Frieda und hoffen, dass sie vor dem „Point of no return“ umgekehrt sind oder das sie von vornherein gesagt haben, wir fahren die andere Richtung. Im Grunde fällt mir jetzt auf, standen sie ja dort, wo wir uns getroffen haben, schon am Scheideweg. Dort ging es ja nur vorwärts weiter oder den Weg, den man gekommen ist zurück. Wenn sie den jetzt weiter fahren, dann möglicherweise, weil wir den Ausschlag gegeben haben und sie mit uns eine paar Bierchen trinken wollen am Abend. Wir hoffen, dass sie nicht kommen, damit sie nicht wegen uns in Schwierigkeiten geraten, sich irgendwo festfahren oder nicht weiter kommen und malen uns verschiedene Horrorszenarien aus. Dann hauen wir uns noch ein Stündchen hin.

Und mir fällt eine lange zurückliegende Situation im Theater ein. Ich saß an meinem Schreibtisch in der Requisite und hatte etwas Zeit. Lucie, unsere Bühnenbildassistentin und ihre Hospitantin waren auch da. Sie machten gerne Mittagspause bei mir, denn es gab immer Kaffee. Auf der Bühne lief die Probe und auf meinem Monitor lief ein YouTube Video, wo sich gerade jemand durch den Schlamm wühlte. Es war ein getunter und aufgemotzter Jeep, der durch eine nasse Schlammrinne fuhr. Lucie wusste von unserer bevorstehenden Reise und kannte auch LEMMY. Denn gelegentlich kam ich mit ihm zum Theater, wenn zum Beispiel eine Premiere anstand oder ich an Silvester Vorstellung hatte und danach noch feiern wollte. Sie bemerkte beiläufig, während sie ihr Butterbrot aß und das Video schaute: „Offroadfahren ist doch einfach, oder?“ In Bruchteilen von Sekunden gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. „Was hat sie da gerade gesagt?“ Naja, sie ist sehr jung und hat gerade dieses eine Video gesehen. Ich mag und schätze sie sehr, aber sie weiß nicht, wovon sie da gerade redet. Vermutlich würde sie so etwas nicht sagen, wenn sie etwas besser Bescheid wüsste. Offroadfahren kann leicht aussehen und einfach erscheinen, besonders wenn es um nicht viel geht. Habe ich eine alte, getunte Schrottkarre, mit der ich einfach durch den Matsch brettern kann, dann sieht es vermutlich alles spielerisch einfach aus. Aber fahre ich ein kleines Expeditionsmobil, das eine ordentliche Stange Geld gekostet hat, dann ist das was ganz anderes. Ihr wird vermutlich nicht ganz klar gewesen sein, dass es verschiedene Schwierigkeitsgrade gibt.

Das ham wa uns verdient!

Ich habe es in einem Buch von der „Lila Pistenkuh“ gelesen, in dem der Autor beschreibt, wie er diese Schwierigkeitsgrade in etwa definiert. Ich zitiere nicht, sondern gebe es nur sinngemäß wieder. Er unterteilt in 5 Schwierigkeitsgrade. Der erste Grad ist eigentlich von jedem zu bewältigen, ohne Erfahrung und ohne Vorkenntnisse. Auch der zweite Grad dürfte niemanden vor allzu große Herausforderungen stellen, nur durch Unachtsamkeit könnte es zu leichten Schäden kommen. Beim dritten Grad sollte man schon etwas Erfahrung mitbringen oder zumindest wissen, wie man sein Fahrzeug beherrscht. Hilfreich ist es auch, wenn man weiß wie die Differentialsperre funktioniert. Was geschieht, wenn man die verschiedenen Untersetzungen einsetzt, wie sich der Kurvenradius und das Fahrverhalten ändert. Was das für Konsequenzen für das Fahrzeug, den Verschleiß des Getriebes hat, wenn man es unsachgemäß einsetzt. Wenn wir über den vierten Grad reden, dann sollte man wissen, dass man sein Fahrzeug so gut kennen und beherrschen sollte, dass man auch unter Stress, in angespannten Situationen, kurzfristig die richtigen Entscheidungen treffen muss, um Schäden am Fahrzeug oder Unfälle zu verhindern. Das man physisch wie psychisch in der Lage sein muss, extreme Situationen auszuhalten. Es kann hier bereits zu großen Schäden am Fahrzeug kommen, bis hin zum Totalschaden und zu Personenschäden oder sogar zu Todesfällen. Bei Stufe 5 sollte man sein Fahrzeug perfekt beherrschen und auch in der Lage sein die Situation und die Umstände exakt richtig einzuschätzen. Man muss dann in extremen Situationen richtig funktionieren. Man muss dann vielleicht an einer Steilkehre, an einer extrem steilen aufwärts führenden Piste reversieren, um die Kurve zu kriegen. Dabei gibt es keine Randsicherung und ein kleiner Fahrfehler könnte einen Sturz in den Abgrund bedeuten. Manchmal macht den Unterschied zwischen Stufe 4 und Stufe 5 aus, ob es nass oder trocken ist. Auf jeden Fall braucht man verdammt gute Nerven um hier zu fahren. Lucie weiß von alledem nicht viel. Darum antworte ich ihr, nachdem ich diese Gedanken in einer Sekunde abgehandelt habe: „Das kommt immer auf die Situation an Lucie.“ Und damit ist das Thema für mich beendet, weil ich keine Lust auf lange Erklärungen habe.

Plötzlich schrecke ich hoch aus dem Schlaf und bilde mir ein Motorengeräusche gehört zu haben.

…und was als nächstes geschieht…

GEORGIA – Chapter II

…und wie wir verlassene Sanatorien durchstreifen und warum mir ein Hund Tränen in die Augen treibt und schlaflose Nächte beschert…

Chapter 10 – Türkei

….und wie wir in Dogubayazit in einen bürokratischen Teufelskreis geraten und schließlich doch noch mit einem Umweg über den Mond Georgien erreichen…

Bevor ich meine heutige Sitzung beginne, noch ein paar Worte zur aktuellen Situation aus dem Waterhole. Es ist der 5. Januar im neuen Jahr 2022 und eigentlich wollten wir unseren LEMMY heute in den Hafen von Hamburg gebracht haben, aber es kam anders. Unser Containerschiff Atlantic Star unter maltesischer Flagge steht noch immer im Hafen von Baltimore, statt längst den Atlantik zu überqueren um Europa zu erreichen. Es sollte eigentlich am 10. Januar von Hamburg nach Halifax in See stechen und 14 Tage später dort, in Nova Scotia anlanden. Seitens der Reederei heißt es nun, es gehe voraussichtlich am 15. Januar in Hamburg los. Allerdings sehen wir auf der „Marine Traffic“ App jetzt schon, dass das Schiff erst um 23.00 Uhr am 15. Januar ankommen wird. Das würde bedeuten, es müsste die gesamte Strecke von Baltimore bis Hamburg in nur 9 Tagen schaffen. Seabridge teilt uns mit, dass sie Zeit aufholen wollen, indem sie die Häfen Halifax und Antwerpen auf dem Weg nach Hamburg auslassen. Doch ich halte es für sehr optimistisch und kann nicht so recht daran glauben, dass es klappen kann. Denn jetzt ist es hier schon nach 20 Uhr MES und das Schiff steht immer noch im Hafen an der Ostküste der USA. Alternativ hat man uns angeboten, morgen das Auto nach Antwerpen zu bringen und mit einem anderen Schiff nach Halifax zu befördern. Dann wäre LEMMY bereits am 23. Januar in Kanada, doch das können wir so kurzfristig nicht umsetzen.

Nun fahren wir am 10. Januar nach Hamburg um LEMMY dort im Hafen abzugeben, also 5 Tage später als geplant, aber immer noch rechtzeitig vier Tage vor unserem Flug. Im Grunde ist es nicht weiter dramatisch, denn wir gewinnen hier ein wenig mehr Zeit um technische Probleme mit dem Ranger zu lösen (dazu später mehr) und kleinere Schäden (die mir jetzt erst beim Carwash aufgefallen sind) zu beheben. Das Ding ist, dass wir bereits ein Apartment in Halifax gebucht haben (vom 14.01 bis zum 25.01.2022) und dann mit LEMMY los wollten, aber das können wir nach hinten verschieben. Soviel erstmal aus dem Waterhole….

MARDIN mit einer Altstadt wie aus dem Märchen, traumhaft gelegen an einem Berghang. Viele Treppen zu erklimmen heißt es daher heute für uns. Aber das macht nichts. Im Gegenteil, nach der langen Reiserei im Auto kann uns etwas Bewegung nur guttun. Einen halben Tag haben wir um die Altstadt zu erkunden. Es gibt eine Liste im Internet mit den Top 10 Highlights, aber ich brauche es längst nicht mehr so wie früher, jede von diesen 10 Sehenswürdigkeiten abzuhaken. Zinciriye Medresesi wollen wir aber unbedingt sehen, unterhalb des Mardin Kalesi und alles was sich auf dem Weg dorthin so bietet.

Altstadtgassen von Mardin

Und geboten wird uns ein Gassengewirr mit kleinen Kirchen, Moscheen, mit zahllosen netten Restaurants, mit herrlichen, kleinen Shops die zum Stöbern oder zum Probieren von süßen Köstlichkeiten einladen. Säckeweise werden Mandeln angeboten mit einem blauen Schokoladenüberzug und braune Mandeln mit Zimtgeschmack, süße kandierte Früchte, verschiedene Nüsse, honiggetränktes Baklawa. Kuchen so bunt und kunstvoll verziert, dass man direkt zugreifen und reinbeißen möchte. Wir probieren und kaufen ein halbes Kilo von den blauen Mandeln und denen mit Zimtgeschmack für 35 Lira. Auch Seifen gibt es hier zu kaufen. Dafür ist Mardin bekannt. Für das Gesicht, für die Haare, für trockene oder für empfindliche Haut. Es gibt sie in jeder erdenklichen Farbe, in tausend verschiedenen Duftnoten und für jeden Typ das Passende.

Wir kommen vorbei am Bagdhadi Cafe und dem „I love Mardin“ Zeichen. Die einzigen Touristen sind wir natürlich nicht, aber was hier in den Sommermonaten los ist kann ich mir gut vorstellen. Jetzt entdecken wir überwiegend türkische Reisende oder welche aus den Nachbarländern, wie Iran, Pakistan oder Indien und auch aus den arabischen Ländern. Aber wir gehen nicht dichtgedrängt durch die engen Gassen, wie es womöglich im Juli und August hier der Fall ist. Das stelle ich mir zumindest so vor.

Das Mardin Kalesi, die alte Festungsanlage war schon gut von unserem Parkplatz aus zu sehen und ist ein guter Anhaltspunkt für die grobe Richtung zu unserem Ziel, der Zinciriye Medresesi. Diese alte Palastanlage beherbergt heute eine theologische Schule und eine Moschee und sie hat eine atemberaubende Aussicht auf die gesamte Altstadt unter uns zu bieten. Über endlose Weiten bis rüber nach Syrien und auf die umliegenden Berge. Dieser Ausblick ist unbezahlbar und unvergesslich und ich fühle mich wie auf dem Dach der (türkischen) Welt.

Zinciriye Medresesi
Mit einem grandiosen Ausblick!

Von hier aus beobachten wir das bunte Treiben unter uns eine Weile, sehen einen Reiter auf einem bunt geschmückten Pferd durch die Gasse reiten. Beobachten die Ladys, die sich mit den üblichen Selfie Posen in Szene setzen vor dieser beeindruckenden Kulisse, oft gleitet eine Hand durch das im Wind wehende Haar und der Schmollmund gelingt perfekt. Wir spazieren, jeder für sich ein wenig umher und genießen die verschiedenen Aussichten. Ich gehe noch in die Moschee, eigentlich eher ein kleiner Gebetsraum, für die Jutta nicht passend gekleidet ist. Das ließe sich zwar schnell ändern, da für solche Fälle Tücher und Umhänge zum Leihen angeboten werden. Ihr reicht aber der Blick von außen durch die Fenster.

Nach einer Weile des Umherstreifens, nachdem wir uns haben treiben lassen, berauscht durch diese ganzen Eindrücke, bekommen wir Lust auf etwas Kaltes zu trinken und entdecken nebenan ein einladendes Café mit alternativer, türkischer Rockmusik. Es liegt etwas tiefer und wir schauen von oben darauf. Da wollen wir hin. Das Harabee Kitap Café ist liebevoll hergerichtet mit verschiedenen Sesseln und Stühlen, mit bunten Tischen und kunstvollen Bildern an den Wänden.

Das Café erstreckt sich über mehrere Dachterrassen und überall gibt es etwas zu entdecken. Hier eine Leiter auf eine etwas höhere Terrasse, dort ein kleines Blumenbeet mit bemalten Töpfen, die kleine überdachte Bar mit der netten Barkeeperin. Alles wirkt sehr durchdacht und man erkennt auch ohne Sachverstand, dass hier viel Liebe zum Detail drin steckt.

Eingang Harabee Kitap Café
Charlie Chaplin scheint bei den alternativen Türken sehr beliebt zu sein

Wir bestellen eine Home Made Lemonade. Auch von hier aus schauen wir rüber nach Syrien und denken wieder an die große Militärpräsenz in dieser Region. Würde ich heute nicht noch lange fahren müssen, dann hätte ich mir sicherlich was anderes zu trinken bestellt. Langsam bereue ich den Entschluss heute noch weiter zu fahren. Das Harabee Kitap Café wäre ein Ort, an dem ich durchaus für etliche Stunden bei einigen Bieren hätte hängen bleiben können.

Hier kann mans aushalten!

„So ein Mist!“, denke ich mir. Aber wir haben abgemacht nur eine Nacht zu bleiben und eigentlich reicht es auch und morgen würden wir nicht ganz viel Neues entdecken. „Nur weil ich jetzt Bock auf Bier trinken habe, noch eine Diskussion mit Jutta anfangen?“, frage ich mich. Schließlich wollen wir ja auch bald nach Georgien einreisen und der Winter kommt, wenigstens kalendarisch, immer näher. Die Tagestemperatur heute und hier beträgt allerdings 29°. Ich spreche den Gedanken laut aus, weil gerade ein cooles Lied läuft und ich den Augenblick genieße, mit dieser Aussicht und der Musik auf dieser Terrasse, mit dem Bewusstsein, dass in ca. 20 km die syrische Grenze verläuft. Sowas fasziniert mich halt. Jutta genießt das Alles auch sehr, gibt aber zu Bedenken, dass wir ja abgemacht haben, jetzt schnell nach Georgien zu kommen. Damit sich mein Traum vom intensiven Offroadfahren in Georgien erfüllt, ohne dass uns vielleicht schon starker Schneefall und Wintereinbruch ein Strich durch die Rechnung macht. Wobei bei uns die Einschätzung der Nichtbefahrbarkeit von Strecken natürlich deutlich unterscheidet. Das ändert sich in Georgien zum Glück, aber dazu später mehr…

Schnell kommen wir überein, nach dem Lunch Mardin zu verlassen. Obwohl es traumhaft schön ist, obwohl ich mich hier zu gerne betrunken hätte, um bis in die Abendstunden hier den Sonnenuntergang zu beobachten und um den heraufziehenden Sternenhimmel zu bewundern. „Was solls!“, sage ich mir, „Muss ich halt noch mal wieder kommen….“

Für den Lunch finden wir ein kleines, gemütliches Lokal, sitzen auf dem Teppich an niedrigen Tischen und trinken noch einen Chai, bevor wir Old Town verlassen.

Gözleme und Chai, was sonst?!

Wieder angekommen an unserem Stellplatz, möchte ich noch die Rechnung begleichen und begebe mich auf die Suche nach Jemandem, dem ich die verabredete Summe von 50 Lira aushändigen kann. Dann finde ich einen jungen Mann, allerdings einem Anderen als gestern Abend bei unserer Ankunft. Er spricht fließend deutsch, denn er lebt in Deutschland und ist nur zu Besuch in seiner alten Heimat. Ich sage ihm, dass ich bezahlen möchte, weil wir jetzt weiter fahren. Wohin wir wollen will er wissen und ich antworte: „Nach Georgien.“ Dann plaudern wir ein wenig. Zum Bezahlen kommt es nicht. „Wir sind nicht in Deutschland.“, sagt er. „Ich nehme doch keine 50 Lira von dir, nur weil du hier auf einem fast leeren Parkplatz gestanden hast!“ Ich bedanke mich, hocherfreut über diese überaus nette Geste und verabschiede mich. Bevor wir fahren schaue ich noch auf das Kennzeichen von dem PKW, der sich gestern Nacht neben uns gestellt hat, nachdem wir schon im Bett waren. Er kam aus der Ukraine und auch in diesem Fahrzeug hat ein Pärchen übernachtet. Ich hatte sie am Morgen gesehen, bevor wir losmarschiert sind.

NEMRUT GÖLÜ, ein hoch gelegener Kratersee ist unser anvisierter Stellplatz für heute Nacht. Es wird mehr Abenteuer als wir erwarten und wir erleben einen Temperatursturz von über 30°. Dafür erwartet uns am Abend die perfekte Gastfreundschaft eines einsamen Teeverkäufer am bitterkaltem Kratersee. Aber zunächst verlassen wir Mardin, stocken am Ortsausgang noch etwas die Vorräte auf und fahren dann straight nach Norden durch kilometerlange Baumwollplantagen. Eine Weile fahren wir die D380 Richtung Bismil, dann geht es über Batman nach Tatvan am Vansee.

Steht ja aufm Schild 😉

Von dort ist es dann nur noch ein Katzensprung zum Nemrut Gölü. Aber eine Katze hat gute Augen im Dunkeln. Mein Ford Ranger, unser LEMMY hat nur sehr schlechtes Fernlicht und auch das Abblendlicht lässt zu wünschen übrig. Was auch noch zu wünschen übrig lässt, ist die Bergstraße hoch zum Kratersee.

Wir halten uns nicht immer strikt an die Route vom Tomtom, sondern fahren gerne auch mal die Nebenstrecken, um ursprünglichere Eindrücke zu bekommen. So passieren wir einsame Bergdörfer, sehen viele Baumwollfelder, erntende Menschen und Traktoren, meterhohe Baumwollberge und ganze Ortschaften, die nur von diesem Industriezweig leben. Wir sehen auch wieder viel Armut und viel Müll, viele trostlose Landstriche, unattraktive und nicht besonders einladende Satellitenstädte.

Wir wussten, dass man mindestens viereinhalb Stunden braucht für diese Strecke von etwas über 300 km, ohne Pausen. Was wir nicht bedacht hatten war, dass die Auffahrt zum Kratersee, zum Nemrut Krateri Gölü im Dunkeln ca. dreimal so lange dauert. Google Maps hatte am Tag dafür ca. 30 Minuten veranschlagt . Wir dachten: „Bei Start um 14.00 Uhr müssten wir bis 19 Uhr bestimmt angekommen sein!“ Na, dass war wohl nichts. Zu dieser herbstlichen Zeit wird es früh dunkel in der Türkei, nämlich so gegen 17:30. Und noch etwas später, dann ist es echt finster.

Das sehen wir natürlich erst am nächsten Morgen

Nützt uns jetzt alles nix, wir wollen unseren Parkplatz erreichen. Nachdem wir den Ort Tatvan am Vansee hinter uns gelassen haben, finden wir mit Mühe den Einstieg in die Route zum Nemrut Gölü hinauf. Es geht auf einer sehr schlechten Piste steil hoch zu diesem Kratersee. Mittlerweile ist es stockduster und ich muss oft in den zweiten Gang schalten, um die Steigung zu bewältigen. Aber umdrehen wollen wir jetzt auch nicht mehr. „Siehst du noch den Weg?“, frage ich Jutta. „Nee, Google zeigt nichts mehr an!“ Das Tomtom zeigt auch nur noch unsere Position, aber keine Straßen und keine Wege mehr. Egal, wir folgen einfach der breiter erscheinenden Piste. Zum Glück gibt es nur zwei fragwürdige Gabelungen und wir entscheiden uns jeweils für die Richtige. Als es irgendwann mal etwas bergab geht, fällt mir ein Feature von LEMMY ein. Eine zusätzliche Beleuchtung, die im normalen Straßenverkehr nicht erlaubt ist, aber genau für solche Situationen gedacht ist. Die haben wir für viel Geld als Upgrade, genau für solche Situationen installieren lassen. Aber was ich jetzt sehe ist echt enttäuschend. Diese Extra-Beleuchtung bringt auch in solchen, dunklen Gegenden keinen wirklichen Gewinn. Das war das Geld leider nicht wert, davon hatte ich mir für den Preis viel mehr versprochen. Ich schalte sie enttäuscht ab, ärgere mich aber nicht lange drüber, denn wir erblicken ein Lagerfeuer in einiger Entfernung. Darauf steuere ich jetzt zu. Ich sehe nur den schmalen Weg vor mir und das Lagerfeuer, zu dem ich hin will.

Was ein wundervoller Platz!

Als wir schon fast da sind, kommt uns jemand entgegen. Offensichtlich hat er uns schon von Ferne kommen sehen und marschiert auf uns zu. Ich öffne mein Fenster und begrüße den Fremdling, obwohl genau genommen wir die Fremdlinge sind. „Hey!“, sage ich überglücklich, in der Hoffnung irgendwo zum Übernachten angekommen zu sein. „Können wir über Nacht hier stehen?“, frage ich ihn. Gott sei dank spricht er ein wenig englisch und wir können uns mit ihm ganz gut verständigen. „Ja klar!“, sagt er und leitet mich direkt zu meiner Parkposition am See. Wie grandios wir hier stehen realisieren wir erst jetzt. Der helle Mond erstrahlt über den Krater Lake. Wir stehen direkt am See, neben der Feuerstelle und der Hütte unseres Gastgebers. „Wollt ihr Tee?“, fragt er uns. Das Thermometer zeigt minus 3°. „Ja, sehr gerne.“, sagen wir und nehmen die Einladung an. Seine Hütte besteht aus vier Wänden aus Stein, darüber Wellblech, der Boden ist die einfache Erde darunter. Dann gibt es noch ein paar Holzstützen und Balken mit Plastikplanen darüber, um die Wohnfläche zu vergrößern.

Sein größtes Kapital ist ein gusseiserner Ofen, auf dem er uns jetzt gerade einen Tee zubereitet. Das Feuer im Ofen und eine kleine Stirnlampe erhellen den sonst sehr dunklen Raum ein wenig. Ich sitze auf seinem Bett, Jutta auf einem Klappstuhl, genau wie unser Gastgeber. Er serviert uns Tee und berichtet etwas von seinem Leben. Er hat eine Frau und eine Tochter. Bis Ende November bleibt er hier normalerweise am Kratersee und lebt vom Teeverkauf an die Tagesausflügler und die wenigen Camper. Wenn es zu arg wird mit dem Schnee, dann geht er auch schon mal eher vom Berg runter zu seiner Familie. Wir erfahren, dass es dort oben auf dem Berg einen Hamam gibt, vermuten aber, dass er eine heiße Quelle meint, an der er sich immer waschen und aufwärmen kann. Wir erleben eine unbeschreibliche Herzlichkeit, eine Offenheit uns gegenüber, die mich überwältigt. Wir kommen als Fremde, durchgefroren, in einer unwirtlichen Gegend und werden willkommen geheißen von jemandem der uns nicht kennt, der abseits lebt, der nicht viel zu bieten hat, außer heißem Tee und seine Gastfreundschaft. Aber das ist soviel mehr wert. Mir fehlen hier mal wieder die passenden Worte. Er verweigert es, Geld von uns zu nehmen für den Tee und auch für den Stellplatz will er nichts berechnen und damit geht es uns nicht gut.

So ein toller Gastgeber, Teşekkürler!

So können wir hier nicht wegfahren. Er bittet uns, seine akkubetriebene Stirnlampe über Nacht mit unserer Bordbatterie zu laden. Er hat hier oben keinen Strom, nur ein altes, kleines Faltsolarpanel. Das machen wir natürlich sehr gerne, wenigstens das können wir für ihn tun. Und dann überlegen wir uns, ihm unsere batteriebetriebene Schnurlampe dazulassen, damit er nicht nur auf seine Stirnlampe angewiesen ist. Er hat davon einen viel größeren Nutzen als wir und wir können uns schnell wieder eine Neue kaufen. Und außerdem haben wir eh viel mehr als wir brauchen. Da ist er wieder mal, so ein Moment, indem man begreift, wie privilegiert man ist und wie verzichtbar so Vieles für uns ist. Für andere hingegen so unschätzbar wertvoll.

Was braucht man wirklich?

Er hat keinen Strom und kein fließendes Wasser. Es ist auch bei Tag dunkel in seiner Hütte, da es kein Fenster gibt, das ein wenig Licht hereinlassen könnte. Mir wird mal wieder sehr bewusst, mit wie wenig man auskommt und wie wenig man wirklich braucht zum Glücklichsein. Dankbar und demütig verabschieden wir uns am nächsten Morgen von diesem perfekten Gastgeber.

Vor dem Rückweg bei Tageslicht, erkunden wir noch etwas mehr von diesem absolut lohnenswertem Etappenziel, dem Nemrut Gölü, um dann aufzubrechen Richtung Dogubeyazit.

Auch auf dem Weg dorthin, wo wir eine Endlosschleife der Bürokratie erleben werden, haben wir eine Option auf eine Zwischenübernachtung in Asma Köprü.

Heute wird ein deprimierender Tag. Das Wetter ist schlecht und das sind wir überhaupt nicht mehr gewohnt. Es ist kalt und windig, der Himmel ist trüb und es ist etwas neblig. Das drückt die Stimmung runter. Der Ort Asma Köprü, besonders der Stellplatz ist zwar nett am Fluss gelegen und einen Wasserfall gibt es auch, aber wir fühlen uns nicht wohl.

Eigentlich sehr schön, aber…

Hinter LEMMY am Zaun liegt eine Hündin mit ihren drei Welpen und alle frieren und haben Hunger. Wir stellen etwas von unserem Katzenfutter hin und sie fressen davon, aber das hebt unsere Stimmung auch nicht. Ich gehe noch auf die Brücke und sehe den Wasserfall, der bei park4night erwähnt wurde, bin aber trotzdem deprimiert. Das erste Mal auf unserer Reise bin ich es, der echt mies drauf ist. „Keine Ahnung was los ist.“, sage ich zu Jutta. „Lass uns weiter fahren, an diesem trostlosen Ort will ich nicht die Nacht verbringen!“

Tanken müssen wir noch und Ad Blue ist auch bald fällig. In Georgien soll es eh schwierig sein Ad Blue zu bekommen. Wir halten an einer großen Tankstelle, da sehen wir auch schon die begehrten Kanister stehen. Das Schöne für uns ist, dass der Liter Diesel nur 0,75 Euro kostet und sobald man sich den Zapfsäulen nähert, eilig ein Tankwart kommt, um einem eine Zapfsäule zuzuweisen und das Tanken zu übernehmen. Das gehört im ganzen Land an jeder Tankstelle zum Service, auch das Reinigen der Scheiben, wobei hier ein kleines Trinkgeld angebracht ist. Spannend ist es immer zu beobachten, wie der Tankwart fragend zu mir rüber schaut, wenn die Zapfsäule 120 Liter und mehr anzeigt und der Tankwart sich wahrscheinlich fragt, ob der Tank ein Loch hat, ob das so alles seine Richtigkeit hat. Natürlich kann er nicht wissen, dass ich den großen Lone Ranger Tank mit einer Kapazität von 140 Liter Diesel habe.

An dieser Tankstelle war es so, dass der Tankwart kein Wort englisch oder deutsch verstand. Das ist aber normalerweise kein Problem, denn „Bitte volltanken!“ kann ich auch ohne Worte erklären, aber diesmal kam jemand, der sich berufen fühlte, sich einzumischen. Wahrscheinlich, weil er unser deutsches Kennzeichen gesehen hat. „Hallo, wie geht’s?, wollte er wissen. „Ja danke, ganz gut.“, sagte ich, nicht gerade in Plauderlaune. „Wie findet ihr Hitler?“, war direkt die zweite Frage, die er mir stellte. „Den mögen wir nicht!“, war meine knappe Antwort, etwas überrumpelt wegen dieser eigenartigen Konversation, mit der ich da konfrontiert wurde. Ich wendete mich ab von dem Idioten. „Ich mag Hitler!“, kam als Antwort und ich dachte nur: „Was will der Arsch von mir?“ Ich sagte nochmal, dass wir Hitler blöd finden und ignorierte den Typen bis wir fertig waren mit Tanken. Er hatte scheinbar begriffen, dass er mit der Frage keinen Eindruck schinden oder mich provozieren konnte und behelligte mich nicht mehr.

Dann nahm ich noch 3 Liter Frostschutz für die Scheibenwaschanlage mit, bezahlte und fuhr deprimiert weiter. An diesem Tag hatte ich einen Tiefpunkt. Nicht wegen diesem Idioten an der Tankstelle. Wegen dem Wetter? Vielleicht. Wegen der zum Teil echt deprimierenden Umgebung? Auch vielleicht. Oder wegen dem Erlebnis am Nemrut Gölü? Bestimmt nicht! Ich hatte keine Ahnung woran es lag, aber ich wollte dass es vorbei geht. Und ich wusste, dass es vorbeigehen wird. Die Frage war nur: Wann? Es ging vorbei, noch am selben Tag. Wir erreichen Dogubeyazit.

Selbstverständlich hatte Jutta längst eine Übernachtungsmöglichkeit parat, beim „Noah Restaurant und Camping“ oben auf dem Berg. Sie bieten einige Camper- und Zeltstellplätze an, sowie zwei Sanitärhäuschen, die aber eher einer Baracke gleichen und die Toiletten sind unterirdisch. Ich möchte nicht näher beschreiben, was sich mir für ein Anblick bot, als ich in die Waschräume und die Toiletten schaute. Außerhalb der Saison dient der Platz wohl als Kuhweide und ohne Zaun marschieren die auch in die Sanitärgebäude, die wohl schon lange nicht mehr gereinigt wurden. Wir entscheiden uns auf dem Parkplatz direkt vor dem Restaurant stehen zu bleiben, denn dort ist es ebenerdig. Wir stehen gerade und hängen uns auch mal wieder an das Stromnetz. Tagsüber, solange die Sonne scheint, haben wir noch immer deutlich über 20° und können mit kurzer Hose und T-Shirt oder leichtem Pulli rumlaufen.

Gegenüber von unserem Stellplatz ist ein kleiner, verlassener Jahrmarkt. Und oberhalb des Noah Restaurants ist der bedeutendste Sultanspalast Anatoliens, Ishak Pasa Sarayi. Was für eine glückliche Fügung, denn gekommen sind wir eigentlich nur um den Ararat zu sehen und um einen PCR Test für Georgien machen zu lassen. Ansonsten hat der Ort nicht viel zu bieten. Nun aber bekommen wir mit dem Sultanspalast noch etwas Kultur geboten und mit dem alten Jahrmarkt einmal mehr einen magischen LOSTPLACE zu sehen.

Als unsere Freunde aus der Schweiz, das Orange Landrover Team gesehen hatten, wo wir gerade parken, fragten sie uns über Instagram, ob denn die Einschusslöcher über der Tür vom Restaurant noch da sind. Ich schaute nach, fand aber keine Einschusslöcher. Sie waren 2002 auch schon mal hier beim Restaurant und es gab kurz davor wohl Streitigkeiten mit einem anschließenden Schusswechsel. Keine Löcher mehr zu sehen über dem Eingang, meldete ich zurück.

Nach dem heutigen Reisetag machen wir nichts weiter als zu kochen und uns zu überlegen, wie und wo wir morgen den PCR Test machen können. Den Palast und den Rummelplatz verschieben wir ebenfalls auf morgen.

LOST PLACES ziehen mich mittlerweile magisch an und gibt es einen magischeren Ort, als einen verlassenen Rummelplatz? Nach dem Frühstück gehe ich rüber um ein paar Fotos zu schießen und auf den Spuren der Vergangenheit zu wandeln. Jutta macht LEMMY von innen soweit startklar. Ich passiere das verwaiste Kassenhäuschen und sehe einen alten Autoscooter, eine verblasste mit Patina überzogene alte Schiffsschaukel und kleine Karussells. Neben der alten Losbude steht ein ramponierter Wagen in dem vor langer Zeit junge Leute ihre Runden drehten, nachdem sie einen Plastikchip in den Schlitz geworfen haben. In meinen Gedanken erwacht der Rummel zum Leben. Ich höre die Geräusche, rieche den Duft von gebrannten Mandeln, während ich mich hinhocke und aus verschiedenen Perspektiven meine Fotos knipse. Die Jungs fuhren Autoscooter und rammten sich gegenseitig, um den Mädels zu imponieren, genau so wie bei uns, wenn im Ort das Volksfest aufgebaut wurde.

Wer ist der Coolste?

Bei einem Rocky Boxautomaten konnte man seiner Lady mit nur einem Punch beweisen wie stark man ist. In der Schiffschaukel hielt man sein Baby im Arm und alle schreien, sobald es wieder abwärts geht. Am Stand mit den Losen hoffte man auf den großen Gewinn, um letztendlich am Schießstand die letzten Zweifel auszuräumen, dass man ein cooler Typ ist. Ich habe direkt die ganzen Geräusche des verfallenen Jahrmarktes im Ohr, die laute Musik, das Stimmengewirr und die Rufe des Losverkäufers. Sehe die jungen Leute bummeln, Hand in Hand, mit Zuckerwatte oder einem Eis in der anderen Hand. Beim Karussell ertönt die Stimme des Mannes am Schalthebel aus seiner kleinen Bude: „Noch eine Extrarunde gefällig?“ und die Menge jubelt und reißt die Arme hoch in die Luft.

Zuletzt war ich im Sommer 2011 in Santa Cruz, direkt am Pazifik auf so einem kleinen, netten Rummelplatz und nun vermische ich meine Erinnerungen mit dem was ich hier auf diesem lebendig gewordenen Geisterjahrmarkt gerade erlebe. Ein Zoltar, fehlt hier noch, der einem einen Wunsch erfüllt, wenn man einen Vierteldollar richtig in seinen Mund befördert, während sich sein Kopf dreht und der Mund auf und zu geht. Genau im richtigen Moment muss man die Münze loslassen und hoffen das das Timing exakt stimmt, denn nur dann werden die Wünsche wahr. „Kommst du endlich?“, weht ein lautes Rufen zu mir herüber und abrupt werde ich aus meinem Wachtraum gerissen. „Wir wollen hoch zum Palast!“

Ich trotte langsam zurück, Fotos habe ich genug in der Tasche. „Warum hat das denn so lange gedauert?“ fragt Jutta. „Och, weiß auch nicht.“, sage ich, „hatte einen kleinen Abstecher nach Santa Cruz unternommen.“

Bevor wir zum Sultanspalast Ishak Pasa Sarayi hochfahren, verabschieden wir uns noch im Noah Restaurant und fragen die Tochter des Hauses, ob sie uns sagen kann, wie wir am besten an einen PCR Test kommen. Wir benötigen einen PCR Test für die Einreise nach Georgien. Und nun wissen wir auch wie das geht, denn das hat uns die hilfsbereite Tochter des Noah Restaurant Inhabers erklärt.

Ishak Pasha Palast

Aber zuerst geht es zum Palast. Wir sind schwer begeistert von der Architektur, von der Lage der gesamten Anlage und vom Ausblick über die Umgebung des hoch gelegenen Areals. Geparkt haben wir neben einem anderem Pickup Camper aus Ludwigshafen. Innerhalb des Palastes treffen wir die Bewohner des anderen Offroaders und kommen ins Gespräch. Sie kommen den langen Weg über den Balkan, über Griechenland in die Türkei, ausschließlich um den Ararat zu sehen, diesen biblischen Berg, auf dem vor langer Zeit Noahs Arche strandete. Wir haben den schneebedeckten Berg auch bereits gesehen und er hat uns beeindruckt.

Agri Dagi

Aber wir haben dem nicht die gleiche Bedeutung beigemessen, wie dieses ältere Ehepaar. Für uns war es eine Attraktion am Wegesrand, die ich unbedingt sehen wollte, aber es war nicht das eigentliche Ziel unserer Reise. Dann trennen sich innerhalb des Palastes unsere Wege und wir schauen uns die Moschee an, die auch in diesem alten Bauwerk eigens für den Sultan und seinen Gästen errichtet wurde.

Moschee im Palast

Dann geht auch schon langsam auf Mittag zu und wir haben alle Räume erkundet und die Aussicht zur Genüge genossen.

Auf dem Parkplatz sehen wir die beiden Herrschaften aus Ludwigshafen wieder und Jutta macht noch eine LEMMY Begehung mit dem Mann, während ich mit seiner Frau draußen über unsere Campingerfahrungen rede. Wir machen etwas Smalltalk, dann kommt Jutta mit dem Mann dazu und die Unterhaltung wird fortgeführt. Ich erlaube mir einen flüchtigen Blick auf meine Uhr und erschrecke etwas. Es ist bereits viertel vor eins, als ich die Plauderei abbreche.

Was wir vorher von der hilfsbereiten Tochter des Noah Hauses erfahren haben: „Ihr müsst nur zur Bank gehen, bis 13 Uhr ist sie geöffnet und eine Einzahlung für den PCR Test machen. Dann fahrt ihr zum Krankenhaus und macht den Test. Falls ihr Probleme habt könnt ihr mich anrufen.“ Sie notiert ihr Telefonnummer. „Tausend Dank!“, verabschieden wir uns.

Ich parke in zweiter Reihe und Jutta ist rechtzeitig in der Bank, kurz vor eins. Ich warte im Auto. Es dauert und dauert. Nach einer gefühlten Ewigkeit sehe ich sie im Rückspiegel kommen. Sie scheint nicht gerade begeistert. Das hat schon mal nicht geklappt, erfahre ich nach kurzer Zusammenfassung. Die akzeptieren die Einzahlung nur von einem Residenten, also einem Staatsbürger oder einem mit ständigem Wohnsitz in der Türkei mit einem türkischen Konto. Als Durchreisender geht das nicht und leider ist die Tochter, deren Telefonnummer wir haben, gerade nicht erreichbar. Macht aber nichts. In der Bank hieß es, wir können in ein anderes Krankenhaus fahren, da brauchen sie keine Einzahlung auf ein Konto, die machen das auch so. „Jawoll, super!“, denken wir noch und fahren direkt los in dieses Krankenhaus. Dort angekommen werden wir sofort äußerst freundlich empfangen von einer jungen Dame und durch das komplette Krankenhaus geführt. Unterwegs kommt noch eine weitere junge Dame angehüpft und flirtet offensiv mit mir und begleitet uns Exoten mit unserem bereits vorhandenen Guide. Nach diversen Fluren und etlichen Stationen kommen wir an einen langen Tresen, einer Art Rezeption, an der einige junge Männer rum sitzen ohne offensichtlich etwas zu tun zu haben.

Da wir bei unserer PCR Odyssee natürlich nicht fotografiert haben, gibts hier noch ein paar Fotos von dem tollen Palast:

Über das Glasdach zum Schutz scheiden sich die Geister…

Unser Krankenhaus Guide spricht mit den Jungs auf türkisch und wir verstehen natürlich kein Wort. Sie scheint ihnen zu erklären, dass wir einen PCR Test für die Einreise nach Georgien brauchen. Das was sich in wenigen Minuten dort abspielt, sieht nicht gut aus. Köpfe werden geschüttelt, Schultern zucken und wir interpretieren das als nicht verheißungsvoll. Dann übersetzt sie uns, dass nur Residents, nur Einheimische dort einen PCR Test erhalten, aber keine Traveller. Das sei aber alles kein Problem erfahren wir sofort, denn es gibt zum Glück noch ein anderes Krankenhaus. Die Adresse wird uns auch sofort ins Handy getippt und wir fahren voller Hoffnung zu dieser dritten Adresse, um den PCR Test machen zu lassen. Auch in diesem Krankenhaus lernen wir alle Stationen kennen, bis hin zum Büro des Geschäftsführers. Was wir dort dann hören stimmt uns so gar nicht froh.

Einen PCR Test braucht ihr? Kein Problem, ihr müsst nur vorher bei der Bank eine Einzahlung machen…. Wir haben keinen Bock mehr. Die Bank hat längst geschlossen und wir sind total ab genervt. Scheiss drauf, was soll’s? Brechen wir auf und versuchen es im nächsten Ort.

Den Ararat haben wir bereits auf dem Hinweg gesehen und wir sehen ihn noch eine ganze Weile auf der Weiterfahrt, bis er irgendwann im Rückspiegel verschwindet.

Kars soll die nächste Station sein für eine weitere Übernachtung. Und um Kars zu erreichen, fahren wir durch die Einöde, durch Berge und Täler, über den Mond, durch Schnee und Eis. Es wird einsam auf unserer Strecke einer fremdartigen Gegend. Karg ist es hier, unwirtlich und der eisige Wind peitscht gegen das Auto und schaukelt es hin und her. Hoch über 2000 m sehen wir verschneite Orte, abgelegene Dörfer, hier und dort einen Schäfer mit seiner Herde. Ich fühle mich tatsächlich erinnert an die damaligen Siedler in den USA, die von Ost nach West zogen mit ihren Planwagen. Und denke wie es wohl hier gewesen sein mochte, als auch deutsche Einwanderer den beschwerlichen Weg auf sich genommen haben, um das gelobte und fruchtbare Land zu erreichen. Tatsächlich ist es so, dass früher viele deutsche Einwanderer über die Berge dieses Gebiet erreicht haben, um sich hier niederzulassen. Jenseits der Höhe von 2000 Meter haben wir das Gefühl auf dem Mond zu sein, die nordostanatolische Umgebung offenbart sich uns hier oben dermaßen fremdartig, dass wir sie mit dem Erdtrabanten vergleichen.

Nachdem wir den Mond mit all seiner Kargheit, der Finsternis und Eiseskälte verlassen haben, erreichen wir Kars. Als Stadt im Schnittpunkt armenischer, georgischer, griechischer, russischer und türkischer Kultur vereint sie eine Vielzahl von Architekturstilen. Vor allem die russische Architektur vom Ende des 19. Jahrhunderts, als Kars eine bedeutende Garnisonsstadt war, prägt die Stadt. (siehe Wikipedia) Davon sehen wir nicht viel, für uns scheint dies ein ärmlicher, verfallener Ort zu sein. Die Arbeitslosigkeit ist enorm hoch. Wir haben keine große Hoffnung hier einen PCR Test zu bekommen. Weiterfahren wollen und können wir aber heute auch nicht mehr, denn es ist schon spät.

Oben am Castle kann man stehen, heißt es auf park4night. Extrem steil geht es eine schlechte kopfsteingepflasterte Straße hinauf und wir finden eine Stellplatz unterhalb des Kars Kalesi, neben einem alten mit Graffitis besprühtem Bunker und fühlen uns relativ sicher. Allerdings liegen hier viele Glasscherben von zerdepperten Bierflaschen rum und ich muss beim Rangieren aufpassen, über keine zu großen Scherben zu fahren. Ein paar Feuerstellen sind hier auch und dementsprechend liegt viel Müll rum. Zahllose leere Bierdosen, Schnapsflaschen und Plastiktüten für die mitgebrachten Speisen verteilen sich über dieses ansonsten schöne Plateau. Der Blick, jetzt bei klarem Sternenhimmel, über die Stadt ist allerdings umwerfend. Kein Wunder, dass hier abends gerne am Lagerfeuer getrunken wird.

Kars Kalesi

Aber heute bei den eisigen Temperaturen, es geht auf die null Grad zu, sobald die Sonne verschwunden ist, wird wohl keiner mehr kommen, um die Aussicht zu bewundern. Da hatte ich mich aber geirrt. Es kommen noch einige PKWs und einer stellt sich direkt neben uns. Wir gucken kurz durch einen Spalt durch das Fenster und fragen uns, was der da wohl noch so spät will? „Wahrscheinlich ein junges Pärchen, um den Sternenhimmel und den Ausblick über die Stadt zu sehen.“, denken wir. Aber das Auto fährt nicht wieder weg. Die ganze Nacht bleibt es dort stehen, neben uns.

In der Nacht grübel ich so vor mich hin, wie wir es denn mit dem PCR Test lösen könnten und dann plötzlich habe ich eine Eingebung. Wir wissen doch über Instagram von anderen Travellern, die bereits in Georgien sind. Da frage ich einfach mal nach, wie sie es gemacht haben. „Über Hopa an der Schwarzmeerküste müsst ihr nach Georgien reisen, anders geht es sowieso nicht, da die anderen Grenzübergänge alle geschlossen sind. Dort bekommt ihr auch den Test.“ Wie geil ist das denn?, das mir das eingefallen ist und wie blöd, dass wir da nicht schon eher drauf gekommen sind. Wir hätten einen Grenzübergang nach Georgien gewählt, der gar nicht offen gewesen wäre. Jetzt haben wir von „Olgaontour“ erfahren, dass wir alles über Hopa erledigen können. Dort bekommen wir einen PCR Test und dann können wir das Ergebnis 6 Stunden später, direkt gegenüber, im Office von Turkish Airlines abholen. Soviel zur Theorie.

Wieder mal alles vermüllt, sehr schade!

Vor dem Frühstück mache ich einen Rundgang ums Auto und schaue wie ich hier ohne Reifenschaden vom Plateau komme. Ich bereinige mit den Füßen etwas die Spur und schiebe die größten Scherben und besonders die abgebrochenen Flaschenhälse beiseite. Dann gibt es Kaffee und Müsli und wir machen uns hoffnungsvoll fertig für die etwa 300 km lange Fahrt nach Hopa.

Unweit der armenischen Grenze geht es zunächst auf der D 965 nach Norden, um dann etwas später in westlicher Richtung zum schwarzen Meer zu fahren, in den grenznahen Ort Hopa. Unsere Stimmung ist sehr gut, denn das Wetter ist super und wir kommen über schneebedeckte Berge und freuen uns bereits riesig auf Georgien. Durch die Tipps von Olgaontour ist uns die Enttäuschung, vor einem geschlossenen Grenzübergang zu stehen, erspart geblieben. Wir wissen nun, wo und wie wir in Hopa an den ersehnten PCR Test kommen. Irgendwo im Nirgendwo ist mal wieder einer von den militärischen Kontrollstationen und im Gegensatz zu den Anderen, die wir schon so oft passiert haben, werden wir hier das erste Mal zum Halten aufgefordert. Ich lasse das Fenster runter und werde freundlich begrüßt von einem voll ausgerüsteten Soldaten in Tarnkleidung und selbstverständlich bewaffnet mit Maschinengewehr. Ich grüße freundlich zurück. Fahrzeugpapiere und Pässe will er sehen. Ich händige sie ihm aus. Wohin wir wollen, will er wissen. Nach Georgien, teilen wir ihm mit. „Good car!“, sagt er, während er flüchtig die Papiere prüft. „Have a good and safe trip!“, wünscht er uns und wir fahren weiter. Irgendwie fühlt man sich immer ein wenig unbehaglich in solchen Situationen, so empfinden wir es jedenfalls. Obwohl auch diese schwer bewaffneten Soldaten ganz normale Menschen sind. Sie sind wahrscheinlich größtenteils liebevolle Väter, tolle Kumpels, liebende Ehemänner, tolle Söhne und im Grunde genauso wie Du und ich.

Vor einem Roadhouse stehen viele Trucks, das scheint ein gutes Zeichen für gutes Essen und mir knurrt auch schon der Magen. „Wollen wir da was essen“?, frage ich Jutta. „Ja klar, wenn du willst.“ Ich drehe bei nächster Gelegenheit um und fahre das kleine Stück zurück und stelle mich zu den Trucks. Draußen werden wir von einer netten älteren Frau freundlich begrüßt. Sie lächelt und bietet uns einen ihrer Picknicktische für unsere Pause an. Drinnen sitzen nur einige wenige Trucker bei ihrem Tee oder ihrer Mittagsmahlzeit. An einem Tresen mit einer Auslage hinter Glas liegen die köstlichen Köftespieße und verschiedene andere Leckereien. Wir wollen die Köfte, die uns bisher immer geschmeckt haben, egal wo wir sie gegessen haben. Dazu gibt es Salat, Joghurt und Brot. Zum Trinken eine Limo und zum Schluss den obligatorischen Tee. Dann geht es weiter und wir erreichen am frühen Nachmittag Hopa.

Hopa

Der erste Eindruck ist sehr gut. Wir sind direkt am schwarzen Meer und fahren auf einer breiten, zweispurigen Straße (in beiden Richtungen) durch Hopa. Getrennt wird diese Straße durch eine schmale Grünfläche und auf jeder Seite sind Parkplätze, nur leider sehe ich keinen freien Platz, in den ich LEMMY reinmanövrieren könnte. Wir fahren einen U-Turn und gucken gleichzeitig, während ich nach einer Parklücke Ausschau halte, nach dem Boutique Hotel, wo sie die PCR Tests machen. Wir haben kein Glück und fragen bei einem größeren Hotel in der ersten Reihe, ob wir dort für ein paar Stunden stehen dürfen. Kein Problem, heißt es und wir parken dort, um dann nach dem Hotel zu suchen, wo die begehrten Tests gemacht werden. Olgaontours hatte uns diese Stelle per Googlelink geschickt und tatsächlich „Guck mal da vorne, das könnte es sein, das ist ein Boutique Hotel!“, sagt Jutta.

Wir finden einen kleinen Seiteneingang mit einem Zettel an der Tür. „PCR TEST, 3. Floor.“ Sollte es hier jetzt endlich klappen mit diesem verdammten Test? Wir gehen hoch und finden ein kleines, provisorisches Ärztebürosprechzimmer direkt neben dem Treppenaufgang in der 3. Etage. Ein Schreibtisch, ein zweier Ledersofa und zwei Stühle zum Warten. Hinten am Fenster ist dann noch ein kleiner Paravent als Sichtschutz aufgebaut, wo man sich kurz niedersetzen kann, um die Probe aus den Nasenschleimhäuten entnehmen zu lassen. Es ist kurz vor 15:00 Uhr. Wir fragen vorsichtig, ob es denn möglich ist hier einen PCR Test machen zu lassen. Ja, das sei möglich, aber erst später. Es sind noch nicht alle vom Personal aus der Pause zurück, erfahren wir. Wir sollen in etwa einer halben Stunde wiederkommen. Wir sind pünktlich wieder dort, aber noch nicht alle vom Personal. „In einer halben Stunde?“, fragen wir.

Hopa, direkt am schwarzen Meer

Dieses Mal warten wir etwas länger, trinken Tee in einem kleinen Café und essen Kuchen. Dann bummeln wir noch etwas durch die kleine Ladenstraße und einmal rüber über die Fußgängerbrücke um eine gute Sicht auf das schwarze Meer zu haben. Nach fast anderthalb Stunden versuchen wir es erneut und jetzt ist auch das benötigte Personal vor Ort. Dann geht alles ganz schnell. Pässe vorzeigen, Formblatt unterschreiben, mit Bargeld bezahlen und einmal kurz in jedes Nasenloch stochern lassen. Wir haben schon das Gefühl, dass sie den Test in unserem Sinne erledigen, denn von der erwünschten Probe kann nicht viel hängen geblieben sein an diesem Nasenstäbchen. Uns solls recht sein. „Und wo bekommen wir das Ergebnis?“, wollen wir noch wissen. Sie zeigt mir durchs Fenster das Turkish Airlines Office schräg gegenüber und sagt, dass es in ca. 6 Stunden dort vorliegen sollte. Es ist jetzt 16:20 Uhr und wir müssen noch einen Stellplatz für die Nacht finden. Fragen wir doch mal beim Hotel vor dem wir gerade parken, ob wir dort eine Nacht stehen dürfen. Auf dem Weg zurück zum Auto diskutieren wir sogar dort ein Zimmer zu nehmen. „Mal wieder eine Badewanne wäre schon geil!“, ergriff ich die „Pro Hotelzimmer Position.“ „Das roch da schon so muffig an der Rezeption, als ich vorhin gefragt habe, ob wir hier kurz parken dürfen!“, erwidert Jutta, offensichtlich die „Kontra Zimmer Position“ einnehmend. „Bestimmt gibt es eine Hotelbar, vielleicht sogar eine Minibar und der Blick direkt raus aufs Meer.“, kontere ich. „Wer weiß wie die Zimmer sind, wenn die Rezeption schon so muffig ist.“ Wir gucken kurz online wie die Zimmer und die Preise sind und sind uns einig, die Nacht im Camper zu verbringen. Über Nacht dürfen wir hier nicht stehen bleiben, weil sie die wenigen Parkplätze auch für ihre Bar und ihr Restaurant brauchen. Dafür haben wir natürlich Verständnis. Wir drehen hier einfach ein paar Runden an der Uferpromenade und dann werden wir auf der einen oder der anderen Seite schon was finden. Es geht schneller als gedacht. Nach dem ersten U-Turn erspähe ich einen großen Pickup auf der anderen Seite, der gerade raus fahren will. Ich halte, Jutta springt aus dem Wagen und läuft schnell rüber, um mir diesen Platz frei zu halten.

Stellplatz gefunden!

Ich warte endlos an einer roten Ampel kurz vor dem zweiten U-Turn und kann mir lebhaft vorstellen wie Jutta einige Parkwillige wegschicken muss. Sie konnte sich behaupten und ich kann ohne Probleme rückwärts in diese breite Lücke hinein fahren. Nur nicht zu weit hinten ranfahren, fällt mir noch ein, sonst habe ich morgen früh evtl. jemanden in zweiter Reihe vor mir stehen, wie es hier dauernd zu sehen ist. Kurz vor fünf zeigt die Uhr. „Mittagsschlaf?“, frage ich. „Na klar.“, sagt Jutta.

Um sieben Uhr finden wir ein nettes, kleines türkisches Schnellrestaurant und können kaum fassen, dass alles so hervorragend läuft. Was machen wir jetzt noch bis halb elf, bis wir unser Testergebnis abholen können, ist die große Frage. „Na was wohl? Wir suchen uns eine Kneipe.“ In Kneipen ticken die Uhren einfach anders. Die Zeit spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Das ist überall auf der Welt so. Und wenn der Spruch wahr wäre, den ich mal in Belgrad in einer Kneipe gelesen habe, dann wäre jede Bar ein regelrechter Jungbrunnen. Ich bekomme den genauen Wortlaut leider nicht mehr hin (dazu gibt es bestimmt auch einen Spruch der mit Kneipen zu tun hat), aber sinngemäß hieß es da auf einem großen Schild „The time of your life that you spend in bars, doesn’t count. „

Lange müssen wir nicht suchen, da sehe ich die unmissverständliche Leuchtreklame über einer Treppe, die nach unten in einen Keller führt. Es ist kurz vor acht Uhr. Ich gehe vorweg und signalisiere Jutta, dass sie nachkommen kann, denn es handelt sich nicht um einen „Nachtclub“. Viel los ist nicht, so können wir uns hinten in der Ecke einen netten freien Platz aussuchen. Die Bar ist etwas zu hell für mich und die Musik ist nicht besonders. Türkischer Pop dröhnt fast ein bisschen zu laut aus den Bose-Boxen. Allerdings gefallen mir die Kunstdrucke an den Wänden. Zu sehen sind attraktive Frauen aus unterschiedlichen Kulturen.

Wir bestellen zwei große Tuborg Gold bei der Barfrau und unterhalten uns über das was wir alles so kürzlich erlebt haben und was uns wohl in Georgien erwarten mag. Der Test wird ja wohl negativ sein, da sind wir uns einig. Irgendwas ist anders fällt uns irgendwann auf. Jetzt läuft Musik aus den Achtzigern, wohl uns zuliebe. Zweite Runde. Leute kommen und gehen, die Barfrau macht Schichtwechsel mit einer Kollegin, aber die Musik bleibt ganz gut. Wir mögen einiges aus der Dekade, die um ein Vielfaches besser war, als beispielsweise die 90er oder die 2000er. Aber egal, ist ja auch Geschmackssache. Wir bestellen eine dritte Runde und haben mal ein Auge auf der Uhr, mal ein Auge auf dem Handy bei Instagram oder Facebook. Hier gibt es relativ schnelles Wlan, das genutzt werden will. So kann ich auch direkt einige Bilder posten, ohne unser eigenes Volumen zu verbrauchen. „Noch ne Runde?“, frage ich. „Für mich nicht mehr, es ist nach zehn und wir müssen gleich los.“ „Darf ich denn noch eins?“ Den Blick kenne ich und deute ihn in etwa so: Na gut, wenn’s denn sein muss, dann bestell dir halt noch eins. Nach dem Bier, kurz nach halb elf, geht es dann zum Turkish Airline Office in großer Erwartung auf ein negatives PCR Testergebnis. Es ist nur wenige Gehminuten entfernt.

Fußgängerzone Hopa

Einige andere Leute, die wohl auch über die Grenze wollen, stehen da schon und warten oder werden gerade abgefertigt. Nach einer Weile reichen wir den Zettel, den wir bekommen haben, dem Herrn am Schreibtisch und er tippt unsere Daten in seinen Computer. Der Drucker läuft in Endlosschleife. Offenbar suchen die anderen Leute, die schon vor uns hier waren ihre persönlichen Testergebnisse aus den Papieren, die der Drucker pausenlos ausspuckt. Der Stapel wird an andere Wartende weitergereicht, sobald man ihn durchgesehen hat. Dann greife ich zu und blättere alle Zettel durch. Da, Jutta haben wir schon mal. Viele sind es nicht mehr, die noch übrig sind. Ich muss wohl einen übersehen haben, denn mein Name stand da nirgendwo drauf. Noch mal ganz in Ruhe von vorne. Mein Testergebnis ist nicht dabei. Wir teilen unser Dilemma dem Herrn am Schreibtisch mit. Er hackt auf seine Tastatur ein, dann telefoniert er und wir hoffen. Die Anderen sind alle durch, nur noch wir sind im Office und begutachten Juttas Ergebnis. Negativ. Na wenigstens was. Der Drucker springt erneut an und es folgen wieder einige Ergebnisse. Ich gehe rüber und greife was dort ausgeworfen wird und gucke einen Zettel nach dem Anderen durch und finde schließlich meinen Namen. Aber was ist das? Ich bin doch nicht erst 2014 geboren und der Name ist auch noch falsch geschrieben. Wieder wird telefoniert und die Tastatur des Rechners malträtiert bis weitere 30 lange Minuten vergehen und wir dann endlich unsere beiden „negativen“ PCR-Tests in Händen halten. Diesmal stimmt alles. Eine obligatorische Haftpflichtversicherung, ohne die man die Grenze nicht passieren kann, wird auch noch abgeschlossen und dann sind wir fertig. Es ist kurz vor Mitternacht und wir sind in diesem Moment überglücklich alles erledigt zu haben. Ich finde jetzt haben wir uns Zuhause noch ein Feierabendbier verdient. Auch bis zu LEMMY sind es nur 3-4 Gehminuten und es gibt noch ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank, bevor wir zu Bett gehen und mir noch was einfällt. Ich könnte morgen früh, bevor wir nach Georgien aufbrechen, meine kaputten Latschen mal beim Schuhmacher etwas richten lassen. Sie lösen sich langsam in ihre Bestandteile auf und ein bisschen guter Kleber könnte nicht schaden. Zufrieden schlafe ich ein.

…und was als nächstes geschieht….

GEORGIEN – Chapter I

…und wie ich im Vashlovani National Park sehe, wie die Erde sich dreht…