Chapter 9 – Türkei

….und wie wir plötzlich einen ganzen Haufen anderer Overlander treffen und am Lagerfeuer das Ende der Welt erörtern…

Irgendwann kriege ich mich dann auch immer wieder ein und bin nicht mehr sauer. Dieses Mal dauerte es aber eine Weile. Während der Fahrt sprachen wir nochmal über alles, wurden uns aber nicht einig. Ich war überzeugt, dass ich drei von den vier Fahrzeugen hätte bergen können. Das vierte Auto war zu weit reingefahren, das hätte ich auch nicht riskiert. Aber die drei Vorderen hätte ich locker aus dem Schlamassel befreien können. Jutta war anderer Ansicht. Wobei ich hier erwähnen muss, das sie keine wirkliche Fahrkompetenz hat und fast null Fahrpraxis mit LEMMY. Von den etwa 40 000 km die das Tacho anzeigt, ist Jutta ca. 200 km gefahren. Auf dem Rückweg beim Abholen von Lemmy aus Mehringen und vom RELOAD Festival in Sulingen 2019 zu uns ins Waterhole. Denn ich hatte noch reichlich Restalkohol im Blut und durfte nicht fahren. Die anderen 39 800 km bin ich gefahren. By the way, zum RELOAD Festival 2022 planen wir rechtzeitig zurück zu sein von der ersten „THE WÖRLD IS YOURS – Tour“. Außerdem ist sie der Pessimist und ich der Optimist in unser Beziehung, das war immer schon so.

Wobei sie selber sicherlich sagen würde, dass sie die Realistin ist und ich der Träumer. Eine männliche Pippi Langstrumpf… ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt…..

Natürlich war auch vorher schon Thema das ich mir gerne den Videodreh angeschaut hätte, aber Jutta wollte lieber weiter fahren. Ich warf ihr mangelnde Spontanität vor. Einfach mal eben sagen: „Scheiß doch drauf, gucken wir uns das an hier. “ Aber nee, sie wollte weiter. Ich sah uns schon im türkischen Fernsehen, Deutscher zieht türkisches Filmteam aus dem Salzsee. Aber Jutta wollte lieber fahren….na ja, wie gesagt, irgendwann kriege ich mich immer wieder ein.

„Und wo fahren wir jetzt hin?“, frage ich. „Weiß ich auch nicht!“, bekomme ich zur Antwort. Zum Glück lese ich auch gelegentlich in unserem dicken Reiseführer, der wirklich viele Infos liefert, besonders auch für uns Overlander. „Wie wäre es mit Egridir?“, frage ich. Da gibt es einen schönen See, sehr beliebt im Sommer und umrahmt von großartiger Bergkulisse. Da wird jetzt nicht mehr viel los sein und auf dem Weg liegt es auch noch. „Ja ok, warum nicht.“, sagt Jutta. „Ich guck mal nach Stellplätzen.“ Und so finden wir uns am späten Nachmittag als einzige Camper auf einem Campingplatz wieder, der eigentlich nicht viel zu bieten hat. Außer einer tollen Aussicht auf den See und einer tollen Bergkulisse.

A view with a fence….

Aber mehr brauchen wir auch gar nicht. Die Toilette und die Dusche sind nicht benutzbar, finden wir jedenfalls. Aber wir haben alles was wir brauchen im Auto. Wir haben unsere Trenntoilette und können duschen im Camper, also bleiben wir. Gegen Abend kommt sogar noch ein großer Geländewagen mit Dachzelt und Anhänger. Voll ausgestattet mit allem erdenklichen Equipment wie Außenküche, Feuerschale und Tisch und Stühle für die ganze Familie inklusive Hund und Hundehütte. Eigentlich wollten wir nur eine Nacht bleiben, aber es wurden zwei. Das lag zum einen daran, dass wir fanden, eine kleine Radtour in den Ort wäre was Feines. Da könnten wir uns um eine neue Simkarte für den Router kümmern, denn unser Datenvolumen geht zu Ende. Außerdem könnten wir den Ort anschauen und ich müsste mal wieder eine Nachtschicht einlegen, um an meinem Blog weiterzuarbeiten. Und so sollte es dann auch laufen. Wir genossen bei traumhaftem Wetter unsere Radtour, erledigten im Türkcell Shop die Sache mit dem Internet und ich machte meine Nachtschicht.

Berge und Wasser, was braucht man mehr?

Zum Glück hatte ich noch genug Bierreserven. Denn wir stellten fest, als ich für die kommenden Tage die Biervorräte auffüllen wollte, in den Supermärkten hier gibt es keinen Alkohol. „Komm!“, sagte ich zu Jutta nachdem wir den BIM verlassen hatten (BIM hatte vorher immer Bier und Wein im Sortiment). „Wir probieren noch den SOK aus.“ Pustekuchen! Kein Bier, kein Wein. „War da nicht noch ein MIGROS?“, frage ich Jutta, langsam nervös werdend mit schweißnasser Stirn. „Ja!“, sagt sie „den habe ich auch gesehen, da können wir meinetwegen auch noch gucken.“ Kein Bier, kein Wein, null Alkohol. Fuck, was ist das denn hier? Was vorher selbstverständlich war, immer und überall Bier und Wein in den Supermärkten vorzufinden, das war hier überhaupt nicht mehr selbstverständlich. Hier muss man spezielle Liqueur Stores finden, TEKEL heißen die meist, mit gelber oder blauer Reklametafel. Na ja egal! Wie gesagt, ich hatte noch Reserven dabei. Für die Nachtschicht sollte es locker langen. Aber hier muss ich mal kurz vorgreifen. In ein paar Wochen werden wir eines der ältesten christlichen Länder der Welt bereisen. Georgien. Es ist auch ein sehr armes Land. Aber was ich an den christlichen Ländern so sehr liebe, überall gibt es was zu saufen. An jeder Ecke gibt es Schnapsläden, Kioske, Weinläden, Bierstores. Es gibt zahllose Weingüter und in jedem Supermarkt gibt es eine schier endlose Auswahl an Spirituosen. In den Gemüseabteilungen kann man Bier zapfen beim Shoppen. Man kann sich seine gebrauchten 2 L Flaschen mitbringen oder Neue kaufen. Man kann es sich frisch zapfen lassen in neue oder mitgebrachte 2 Liter Flaschen, alles ist möglich. Aber das nur am Rande. Georgien wird später ausführlich beschrieben (und wir werden es lieben dieses Land) In Anatolien finden wir nach genauem Hinsehen dann aber doch genau die Läden, die wir brauchen, um unsere Vorräte aufzustocken. Wir verlassen Egridir nach zwei Nächten, nach einer tollen Radtour, nach einem ernüchternden Einkaufserlebnis und einer Nachtschicht, nach reichlich Morgenkaffee und nachdem ich wieder für fahrtauglich befunden wurde und fahren gen Osten.

In einer kleinen Seitengasse in Egridir

Kaya Camp ist das Ziel für heute. Endlich werden wir diesen lang ersehnten Ort erreichen: Kappadokien. Da wird es dir gefallen, hat Güler mir vor Jahren gesagt und sie hat mehr als recht gehabt mit dieser Prognose. Da siehst du die Ballons aufsteigen, wenn du zum Sonnenaufgang raus schaust….

On the road again. Ich liebe es ja zu fahren und ich komme mir immer näher mit LEMMY. Wir werden zu einer Einheit, verschmelzen und ich bin glücklich in diesem Moment. Ich habe Eiskaffee neben mir in der Mittelkonsole, die Straße ist endlos und die Landschaft wird immer seltsamer, immer karger. Die Felsformationen aus Tuffstein nehmen zu.

Geopfert für LEMMY 🙁

Es ist wie damals als ich meine Bimota SB 6 R eingefahren habe. Erst war sie zickig, mürrisch und hatte ihre Launen. Es war halt eine Italienerin aus Rimini (mit einem japanischem GSX R 1100 ccm Motor, mit 156 PS). Doch nachdem ich die Drosselklappen habe wechseln lassen, da wurde sie umgänglicher, hatte zwar etwas weniger Highspeed, aber dafür eine größere Beschleunigung. Die möglichen 285 km/h konnte ich eh nie ausfahren, 265 habe ich mal geschafft. Aber wenn ich mal zwei Stunden oder länger mit meiner Bimota unterwegs war, dann waren wir eins. Fahrer und Maschine schmolzen untrennbar zusammen. Und während der Fahrt gab es nichts anderes auf der Welt als die Straße und mich. Schiss hatte ich nur, wenn ich aufgestiegen bin. Und wenn ich nach der Fahrt wieder abgestiegen bin, hatte ich so manches mal weiche Knie. Aber nie, wenn ich sie gefahren habe. Dann ist man nur noch fokussiert, hochkonzentriert. Dann checkt man die Straße in jeder Sekunde, jeden Meter der vor einem liegt. Ist dort irgendwo ein Gullideckel? Ist dort Dreck von einem Trecker in der Kurve? Irgendwo eine Ölspur auf die ich achten muss? Jede Sekunde und jeder Meter wird gecheckt, bewertet und entsprechend die Fahrweise angepasst, immer am Limit. Das rausholen was geht. Aber immer mit Reserve, das versteht sich von selbst.

Ausblick von unserer Terrasse

Schließlich erreichen wir das Kaya Camp, checken ein und bleiben mal wieder viel länger als geplant. Die sanitären Anlagen sind sauber und genügen unseren Ansprüchen vollauf. Wir bekommen sogar einen Stellplatz ganz vorne, mit einer fantastischen Aussicht von einer erhöhten Terrasse über die Tuffstein Landschaft. Es ist wieder mal überwältigend was Mother Earth uns hier bietet. Dazu später mehr.

Was man hier beim Duschen beachten sollte, besser bei Tag duschen, denn im Dunkeln sieht man nix. Die Duschen sind mit Bewegungsmeldern ausgestattet. Doch wenn man in der Duschkabine ist, dann reagiert der Melder nicht mehr. So stehe ich nach kurzer Zeit im Dustern da, muss die Kabine verlassen und rumturnen, damit ich wieder kurz etwas Licht habe. Danach beginnt das Ganze von Neuem. Also schnell einseifen und abduschen.

Endlich sind wir angekommen. LEMMY steht perfekt, aus dem Bett blicken wir über eine endlose Weite, eine grandiose Landschaft. Tisch und Stühle raus und ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank. Was uns sofort aufgefällt, hier sind viele Overlander. Viele Offroadfahrzeuge, große LKW’s, kleinere Land Rover und auch ein paar Vans mit Allrad. Es dauert nur ein paar Minuten und dann kommt uns Yvonne begrüßen. „Hey, ich wollte nur kurz Hallo sagen. Habe gesehen, das ihr gerade gekommen seit. Wir machen heute Abend ein kleines Lagerfeuer, kommt doch vorbei!“, lädt sie uns ein. Kurzer Blickkontakt und dann: „Klar! Wir kommen sehr gerne.“

Layla mit Haustier
Gecko

Yvonne ist „Laylaontour“ mit ihrem Partner Rene. Dann ist da noch „Gecko on Tour“, das sind Renata und Stefan. Und jetzt kommen wir ins Spiel, die Neuen im Kaya Camp. THE WÖRLD IS YOURS. Wir bringen unsere Stühle mit ans Feuer, für mich ein großes Bier und für Jutta einen Rotwein. Wir plaudern etwas und erfahren ein wenig gegenseitig von uns. Dann kommt ein weiters Fahrzeug in der Nacht auf den Kaya Campingplatz gefahren, ein orangefarbener Land Rover.

Die orangen Schweizer!

Kurze Zeit später sitzen bei uns Roger und Susanne, das Team „Orange Land Rover“. Jetzt sind wir für diese Nacht komplett. Vier Teams, vier verschiedene Leben, alle mit unterschiedlichen Ansichten, Zielen, mit unterschiedlichen Erfahrungen. Es wird getrunken und geplaudert, Feuerholz wird nachgelegt. Yvonne und Rene beginnen mit spannenden Geschichten aus Afrika. Nachdem ich kurz über unser Erlebnis vom Tuz Gölü und dem Filmteam erzählt hatte, konnte Rene eine viel aufregendere Geschichte berichten: Wie er damals in Afrika auf einem anderen Salzsee mit seinem LKW von 8 Tonnen durch die Salzkruste brach und sein Truck weiter absackte. Er musste sehr schnell handeln war aber auch sehr gut ausgerüstet. Während Yvonne den kompletten Truck ausräumte, packte Rene 4 von 6 Sandblechen aus und legte sie unter seine Achsen. Dann hatte er vier Wagenheber dabei, die er unter den Achsen auf die Sandbleche verteilte, um ein weiteres Absinken des Trucks zu verhindern. Sie arbeiteten beide die ganze Nacht. Der Truck war komplett leergeräumt und Rene konnte ihn aus dem Salzsee irgendwie rausfahren, als er leichter war und nicht weiter eingesunken ist, durch schnelles und kluges Handeln. Sie erzählten uns auch noch eine spannende Geschichte aus dem Niger. Dort waren sie auf einem Berg der Aussicht wegen und hatten ihre beiden kleinen Kindern dabei. Es regnete auf dem Rückweg und die Piste bergab wurde immer matschiger, immer schlammiger und rutschiger. Rene konnte im Grunde nicht sicher weiter fahren. So überlegte er sich, die Reifenprofile jeden Meter mit einem Löffel freizukratzen, damit die Reifen für den nächsten Meter wieder Grip haben. Nach einigen Metern gab er auf und ihm wurde klar, dass diese Prozedur so gar keinen Sinn hat und sie wohl besser warten bis es trockener wird.

Ich erzählte kurz die Geschichte von dem blöden Watchman vom Tuz Gölü, von unserem Abenteuer aus Albanien und auch eine kleine Geschichte aus Afrika, diesmal von der Ostküste. Wir waren im Zug unterwegs von Nairobi nach Mombasa. Davon, dass der Zug entgleiste und sechs Männer die tonnenschwere Lok mit sechs hydraulischen Wagenhebern wieder in die Gleise hievten in sechs Stunden, davon will ich gar nicht erst anfangen. Mit zwölf Stunden Verspätung kamen wir an in Mombasa und wurden trotzdem, wie verabredet, von unserem Hotel abgeholt.

Dann hatten wir einige Tage Zeit Mombasa zu erkunden, doch am Vortag der Abreise passierte es. Wir waren in unserem Zimmer und der Tumult kam über uns. Geschrei auf allen Fluren, im ganzen Hotel. Wir dachten nur: „Ach du scheisse, was ist denn jetzt los?“ Vor dem Hotel eine riesige Menschentraube, Soldaten und Polizisten kamen immer mehr dazu. Auch Journalisten und Fernsehteams waren schnell vor Ort. „Lass uns raus hier aus dem Hotel!“, sage ich zu Jutta. „Nee, lass uns lieber hier bleiben im Zimmer!“, schlägt sie vor. „Auf keinen Fall, viel zu gefährlich!“ sage ich. Von Demonstrationen und aufgebrachten Menschenmengen soll man sich immer fern halten, das weiß doch jeder. Ich überzeuge sie mit mir das Hotel zu verlassen. Wir gehen nach unten in die Lobby. Zu gefährlich vorne rauszugehen heißt es, wir probieren es hinten Ein Soldat führt uns durch die tobende Menge. „Hinten geht es nicht, probieren wir es doch noch mal vorne!“, sagt der Soldat. Die tobende Menge macht uns Platz und wir kommen irgendwie vorne durch. Dann halten wir schnell einen größeren Abstand ein zum Hotel.

Blick von unserem Balkon

Was war los? Ein regimekritischer Schriftsteller hatte sein neues Buch vorgestellt in unserem Hotel und ein aufgebrachter Mob wollte ihn lynchen dafür. Aber das und der entgleiste Zug war noch nicht genug Abenteuer auf dieser Reise.

Am nächsten Tag, am Tag unserer Abreise wurde ein hoher muslimischer Geistlicher ermordet. Daraufhin reagierten seine Anhänger äußerst ungehalten und verwüsteten christliche Kirchen, was wiederum einige Christen veranlasste Moscheen zu attackieren.

Unruhen in Mombasa halten an

In der kenianischen Hafenstadt gehen die Ausschreitungen nach der Tötung eines radikalen Moslems weiter. Die Islamisten aus Somalia mischen sich ein.

Ausschreitungen in Mombasa: Polizisten patroullieren in einer Straße (Foto: AFP/GettyImages)

Hunderte junge Demonstranten warfen Steine, beschädigten Autos und Geschäfte und versuchten, ins Zentrum der von vielen Touristen besuchten Metropole vorzudringen, berichteten Journalisten aus Mombasa. Spezialeinheiten der kenianischen Polizei gingen mit Tränengas gegen die Randalierer vor. Die meisten Geschäfte in der Innenstadt blieben geschlossen.

Die Unruhen waren am Montag nach der Tötung des radikalen islamischen Geistlichen Abud Rogo Mohammed in Mombasa ausgebrochen. Der Prediger wurde von Unbekannten erschossen, als er mit Familienangehörigen im Auto unterwegs war. Vertreter muslimischer Organisationen warfen der kenianischen Regierung vor, für die Tötung verantwortlich zu sein. Tausende Anhänger des Predigers lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Mindestens ein Mensch wurde bei den Ausschreitungen getötet. Zwei christliche Kirchen wurden von den Randalierern verwüstet. (Ausschnitt vom Bericht der deutschen Welle vom 28.08.2012, kompletter Artikel unter: https://www.dw.com/de/unruhen-in-mombasa-halten-an/a-16197940 )

Nach kurzer Zeit war ein Tohuwabohu im Gange, das eine Ausgangssperre verhängt wurde und ganz Mombasa in den Ausnahmezustand versetzt wurde. Doch wieder hatten wir erstmal Glück, denn wir erfuhren von alledem zwei Stunden später, als wir bereits auf dem Airport waren. Wäre unser Flug eine Stunde später gewesen, dann hätten wir Mombasa nicht mehr verlassen können.

Edelweiß Air

Ob wir es jetzt können ist auch noch nicht klar. Unser Flieger von Edelweiß Air aus der Schweiz soll eigentlich in 30 Minuten abheben. Es ist aber nur ein Schalter für die Abfertigung besetzt und die dauert pro Person ca. 4 Minuten. Hochgerechnet dauert es mit den Leuten vor uns noch mindestens anderthalb Stunden. Wir erfahren von einer Person vor uns (einer Einheimischen), dass es nicht ungewöhnlich ist, dass die Piloten auch schon mal die Geduld verlieren und starten, wenn die Abfertigung wieder mal zu lange dauert und bevor das Boarding abgeschlossen ist. Wir lernen in Afrika Einiges, unter anderem Geduld und Demut. Wir haben Glück, unser Pilot ist geduldig und wir kommen alle noch an Bord.

Es wird Feuerholz nachgelegt, Bier wird geholt, eine weitere Flasche Wein wird geöffnet, Pinkelpausen werden eingelegt. Wir erfahren, dass die beiden Schweizer vom „Orange Land Rover Team“ den ganzen Tag in der Werkstatt waren und danach von der Familie, die das Auto repariert hat zum Essen eingeladen wurden. Jetzt kommen auch sie zu Wort und auch Stefan und Renata. Wo wir noch so hin wollen wird u. a. Thema „Nach Georgien wollen wir als Nächstes.“, antworten wir. Da kommen die beiden Schweizer gerade her und hatten nur Pech mit dem Wetter. Drei Wochen Dauerregen, dann sind sie umgedreht, zurück in die Türkei, die sie schon seit Jahren bereisen. Und der Müll an der Schwarzmeerküste sei so besonders schlimm, hören wir. Vier Tonnen Müll pro Jahr landen aus der Donau im schwarzen Meer, erfahre ich von Stefan. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich es korrekt wiedergebe, denn ich bin schon etwas betrunken zu diesem Zeitpunkt. Vielleicht sind es auch vier Tonnen pro Monat.

Mehr Feuerholz wird nachgelegt, eine weitere Flasche Wein wird geköpft und ich habe auch noch reichlich Bier im Kühlschrank. So eine Pleite wie neulich wird mir nicht wieder passieren.

Und jetzt, wo das Thema Müll angeschnitten wird, da berichte ich von meinem Erlebnis mit der kleinen Sophie. Ich mag es eigentlich gar nicht, so im Mittelpunkt zu stehen. Aber zusammen mit der richtigen Truppe, zur rechten Zeit, am rechten Ort, da kann ich dann auch schon mal so ins Plaudern geraten und erzählen, was mich beschäftigt. Und was mich beschäftigt ist, dass ich der kleinen Sophie keine passende Antwort auf ihre Frage geben konnte. Warum machen die Menschen das, warum schmeißen die ihren Müll einfach so weg in die Natur?

Das Thema wird jetzt ausgiebig diskutiert. Niemand hat auf diese Frage eine plausible Antwort. Ob es überhaupt eine Lösung gebe für die Probleme der Welt, wurde in den Raum geworfen. Für die Klimakrise.

Ich, der notorische Optimist, antworte: „Nein, der Zug ist abgefahren!“ Ich sage noch sowas wie: „Der Schneeball ist ins Rollen gekommen und er donnert jetzt runter ins Tal und niemand wird ihn stoppen! Der Schneeball wird größer und größer und er wird alles was sich ihm in den Weg stellt mit sich reißen!“ Niemand widersprach.

Der Mensch beutet die Erde einfach zu sehr aus. Und solange die Profite stimmen wird sich nichts daran ändern. Mir fallen einige Attribute ein, die den Menschen ganz gut beschreiben: Profitgier, Machtstreben, Egoismus, Skrupellosigkeit und Ignoranz. Natürlich sind nicht alle Menschen so, aber leider sind es doch zu viele und dann auch noch in Positionen, die es ihnen erlauben richtig viel Schaden anzurichten. Das Problem dabei ist wohlmöglich, dass oftmals der Schaden nicht unmittelbar eintritt, sondern erst nach Dekaden, nach Generationen. Und der profitorientierte, skrupellose Mensch denkt bei sich: „Was juckt es mich, die Probleme die aus meinem Handeln resultieren, können andere nach mir bewältigen.“ Oder er denkt nicht mal soweit oder es ist ihm völlig egal. Vieles hiervon sind nur meine Gedanken, ich spreche nicht alles aus in dieser Runde. Aber wir sind uns größtenteils einig, die Erde ist verloren, der Point Of No Return ist längst überschritten. Jetzt geht es nur noch um Schadenbegrenzung, um das Unausweichliche hinauszuzögern. Das Bittere daran ist, dass es genau diejenigen treffen wird, die keinerlei Schuld daran haben: Die Kinder.

Wir gingen dann auch zu Bett irgendwann, aber ich konnte nicht schlafen. Ich dachte über all das nach, was wir so am Lagerfeuer gesprochen haben. Es war schon oft so, dass ich nicht schlafen konnte und lange Zeit wach lag im Bett. Manchmal lag es daran, dass ich über Einiges nachdenken musste. Manchmal arbeitete ich auch schon in Gedanken an meinem nächsten Blogbeitrag. Aber hier beschäftigte mich schon noch das Thema von gerade eben.

Mir fällt ein Buch ein, welches ich vor vielen Jahren gelesen habe. Es heißt BREITENGRAT NULL und handelt von Mike Horn, der die Erde einmal am Äquator entlang umrundete. Er hat es auch selber geschrieben, ist also Schriftsteller, Extremsportler und Weltreisender in einer Person. Er fuhr mit dem Rad, lief zu Fuß, schwamm und nahm den Katamaran. Alles musste ohne Motor sein und er durfte nie weiter als 20 km vom Äquator entfernt sein, weder in südlicher noch in nördlicher Richtung. Das brachte natürlich auch viele Schwierigkeiten mit sich, wie man sich vorstellen kann. Unwetter, Krankheit, wilde Tiere, giftige Tiere. Aber einen Satz hat er geschrieben, der hat sich mir eingebrannt, der bringt den heutigen Abend auf den Punkt.

„Der Mensch ist das schlimmste Tier!“

Und dann hat der Mensch auch noch die Arroganz, sich als Krone der Schöpfung zu sehen. Macht sich die Erde Untertan. Sieht sich selber als was ganz Besonderes. Ist er das überhaupt? Besonders jetzt auf unserer Reise geht es oft um Corona. Wir sind geimpft und haben auch den internationalen Impfausweis. Sowas braucht man, wenn man einigermaßen ungehindert Grenzen überwinden will. Corona ist eine Krankheit, die sicher niemand haben will. Aber ist nicht auch dieses Virus indirekt vom Menschen gemacht? Immer mehr Wälder werden abgeholzt. Die wildesten Tiere, die vorher wenig oder gar keinen Kontakt zum Menschen hatten, werden in ihrem eigenen Revier zurückgedrängt, verlieren ihren Lebensraum oder müssen ihn sich mit den eindringenden Menschen teilen. Der Mensch macht sich die Erde Untertan, er darf das. Je exotischer ein Tier, desto besser. Ist es selten? Noch besser, dann kann man mehr Geld dafür verlangen.

So kommen auch viele verschiedene Erreger zusammen. Die freuen sich und gründen neue Communities und verbreiten sich immer weiter. Im ganzen Land und dann über die ganze Welt. Dazu tragen viele Holzfäller (besser Holzfällerunternehmen) bei, die auf der ganzen Welt in den tropischen Regionen die edlen Hölzer abholzen. Dazu tragen aber auch alle Leute bei, die sich die schönen Designermöbel kaufen aus dem harten und robusten Edelholz. Die Holzfäller drängen dabei in die abgelegensten Regionen vor, verdrängen dabei Orang-Utans, den Sumatra- oder den sibirischen Tiger. Und sie haben Kontakt zu Viren, die dem Menschen sonst nicht besonders nah kommen würden. Denn die Viren reisen normalerweise nicht in die Städte zu den Menschen, aber der Mensch holt sie in den Urwäldern ab.

Auch ich trage dazu bei. Ich liebe es zu Reisen, war auf sechs von sieben Kontinenten. Ich war in 61 Ländern unterwegs, im Dschungel von Brasilien, im Outback von Australien, in fast allen asiatischen Ländern von Japan bis Malaysia und in noch so vielen mehr. Dann denke ich plötzlich: „Vielleicht sind wir gar nicht so wichtig? Kommt es nicht immer auf den Standpunkt an, von dem aus man eine Sache betrachtet?“ Wenn ich den Menschen mal nicht mit meinen Augen sehe, sondern aus Sicht eines kleinen, fiesen Virus. Dann sieht womöglich alles anders aus. Vielleicht ist Corona gar keine Krankheit?

Vielleicht ist der Mensch die Krankheit?

Bevor ich mit meiner heutigen Nachtschicht beginne, möchte ich gerne etwas zur aktuellen Situation sagen. Es ist Montag, der 20.12.2021 und wir sind seit Donnerstag wieder im Waterhole. Es war ja bereits Thema zwischen Jutta und mir wie die Reise weiter verlaufen könnte und es gab dabei auch ein Ergebnis. Wir fliegen nach Halifax, nach Nova Scotia in Kanada. Im Verlauf unserer Reise haben wir die Flüge gebucht und die Verschiffung für LEMMY. Am 5. Januar 22 wird der Camper nach Hamburg zum Hafen gebracht, um dann am 10. in See zu stechen. Wir fliegen am 13. Januar hinterher und werden dann in Halifax bis zum 24. auf LEMMY warten. Bis zu unserem Abflug haben wir allerdings noch reichlich zu tun und abzuarbeiten von der langen To do Liste. Aber dazu mehr, wenn es soweit ist. Jetzt ist es an mir Turkey – Chapter III fertig zu schreiben und das ist mein ehrgeiziges Ziel für heute Nacht. Ob es mir gelingen wird weiß ich nicht, denn die Zeit in diesem großen und beeindruckenden Land war ereignisreich.

Soviel erstmal dazu und nun viel Spaß mit der zweiten Session von Turkey – Chapter III, …..oder wie Frau rücklings eine Treppe runterstürzt und Mann merkt, fuck ist das hoch hier und gefährlich…

Irgendwann kriege ich mich immer wieder ein und irgendwann schlafe ich auch immer ein. Letzte Nacht am Lagerfeuer war es echt spät durch die vielen Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. Umso abrupter endete die kurze Nacht, als mich plötzlich der Klingelton des Handys aus dem Reich der Träume in die Realität beförderte. Los aufstehen, es ist kurz vor Sonnenaufgang. Wir wollen doch die Ballons sehen. Also schnell rein in die Joggjeans und einen dicken Kapuzenpulli überstülpen. Noch in die dicken Socken und die Latschen schlüpfen und ohne Rücksicht auf irgendwelche modischen Vorgaben der Gesellschaft rauf auf die Mauer, um das Spektakel der aufsteigenden Ballons zu bestaunen.

Man kann sich gar nicht sattsehen…

Das was wir hier während der nächsten Stunde zu sehen bekommen, ist mal wieder so wunderschön und einzigartig, dass wir alles um uns herum vergessen. Schon durchs Fenster aus dem Bett heraus konnten wir die ersten, noch wenigen Ballons am Himmel sehen. Jetzt auf der Mauer, direkt vor unserem Auto, bewaffnet mit der Handycam sind es schon etwas mehr Ballons und jede Minute kommen welche hinzu. Wir überblicken eine riesige Fläche von einzigartigen Tuffsteingebilden mit einer großen Bergkette im Hintergrund und von den über die ganze Fläche verteilten bunten Heißluftballons. Besonders schön ist es, wenn sie gerade mit riesiger Gasflamme befeuert werden und der Ballon in die Höhe wächst, während er von innen hell erleuchtet wird. Wir können zum Teil sogar das Zischen der Gasflamme hören. Als sich dann die Sonne hinter dem Berg erhebt und den Himmel langsam aber unaufhaltsam in ein rötliches Licht tunkt und die mittlerweile am ganzen Himmel verteilten Luftschiffe anstrahlt, da wird die ganze Szenerie perfekt. Wir bemerken kaum wie schnell die Zeit vergeht und das inzwischen auch viele von unseren Nachbarn dieses Schauspiel beobachten.

Soooo schööön!

Dieser Morgen war besonders schön, hören wir von den anderen, die sich dieses Schauspiel schon öfter angeschaut haben. Nicht immer hat man so einen wolkenfreien Sonnenaufgang und nicht immer ist es so ruhig und windstill. Wir erfahren auch, dass es nie günstiger war so eine Ballonfahrt selber mitzumachen. 75 Euro kostet es derzeit nur. Als es losging mit diesem Hype, zahlten die Kunden 300 Euro und mehr pro Person. Langsam merken wir wie kalt es noch ist, so früh hier draußen und beschließen diesen großartigen Beginn des Tages mit einem heißen Kaffee zu krönen. Nach dem Frühstück wandern wir von unserem Camp aus durch die wilde Tuffsteinlandschaft.

Schönheit, wohin das Auge auch blickt!

Manche Felswände sehen aus wie Wellen, andere Hügel stehen für sich alleine und erinnern an Zwergenhüte oder an spitze Pilze. Es ist wie eine verwunschene Zauberlandschaft, in der nur die Elfen, Kobolde und Trolle noch fehlen, wie es Michael Bussmann und Gabriele Tröger in unserem Reiseführer treffend beschreiben. Wir wandern einen sandigen Pfad entlang immer weiter rein in diese wilden Felsformationen, wollen die Felshöhlen sehen, in denen noch bis in die 50er Jahre Menschen gelebt haben. Hier darf man auch Offroad fahren, biken und campen und hier sind auch die Startplätze der Ballons. Ob das alles so gut ist für die Umwelt, dass lasse ich mal unkommentiert, denn ich bin mal wieder ein Teil des Übels. Und dies ist ein Nationalpark. Möge jeder für sich die Grenze ziehen. Auf jeden Fall sehen wir die abgebrochenen Felsen und die Öffnungen in den noch erhaltenen Felsen. Es gibt enorme Höhenunterschiede während unserer Wanderung. Ich entdecke einen Bergkamm, da fällt es so ca. 60-70 Meter steil ab zu beiden Seiten. Gegenüber allerdings ist so eine abgebrochene Felsenbehausung, die ich unbedingt fotografieren will. Ich denke von dem Felsenkamm wäre eine gute Perspektive auf das Motiv.

Der Balanceakt hat sich gelohnt, oder?

Höhenangst ist mir fremd und bevor Jutta sieht, was ich da gerade anstelle und bevor sie protestieren kann, bin ich schon auf dem Weg. Nebenbei gesagt, ich habe ein gutes Körpergefühl und einen guten Gleichgewichtssinn. Im Waterhole im Garten zum Beispiel balanciere ich auf meiner Slackline. Aber was mir hier passiert ist, das war nicht lustig. Der Grat auf dem ich unterwegs war, fing sehr breit an, wurde aber natürlich immer schmaler je weiter ich ging. Am Ende war er noch etwas 20 oder 25 cm breit, aber nicht flach und gerade, sondern nach oben gewölbt. Jutta realisierte mittlerweile in welcher Gefahr ich mich befand und bat mich umzudrehen. (Vorher war sie selber damit beschäftigt, Fotos zu schießen.) Ich bemerkte es noch nicht. Aber als ich versuchte mit meinem Handy ein Foto zu machen und auf das Display schaute, da wurde mir komisch. Mir wurde schwindelig und ich konnte nicht mehr auf das Display schauen und auch nicht mehr runter in die Tiefe. Ich musste mich hinhocken auf allen Vieren, denn irgendetwas zog mich in den Abgrund. Das war ein völlig unbekanntes Gefühl für mich, unangenehm und furchteinflößend. Der Grat auf dem ich mich befand war abgerundet, sandig und maximal 25 cm breit. Was mache ich hier? Als ich los ging war es doch viel breiter. Bis heute weiß ich nicht, wie es soweit kommen konnte. Auf allen Vieren kroch ich zurück, bis es wieder breit genug war, um mich aufzurichten. Wenn ich runterschaute spürte ich den Sog, den Sog in die Tiefe. Jetzt kann ich mich ein bisschen besser in Menschen (z.B. auch Jutta) einfühlen, die unter Höhenangst leiden. In einigen folgenden Nächten erwachte ich zuckend aus einem Albtraum, in dem ich von diesem Grat in die Tiefe stürzte.

Hier kann man auch übernachten!

Stürzen wird Jutta, aber erst später. Wir wanderten unseren Rundkurs bis Göreme weiter und ich machte kein weiteres Brimborium um das was eben war. „Ist doch alles gut gegangen.“, dachte ich. Wir schossen weiter unzählige Bilder in dieser Feenlandschaft, die manchmal etwas an Arizona erinnert mit den rötlichen Felsformationen aus Wild West Filmen. Die Felsenbehausungen wurden immer mehr, in manche konnte ich sogar reinklettern und entdeckte so eigenartige Vertiefungen im Boden. Manche waren klein und andere etwas größer. Was ich da schon vermutete, hat sich später bewahrheitet. Dort wurden die Verstorbenen niedergelegt, denn es gab einen ziemlichen Totenkult seinerzeit. Je näher wir dem Ort kamen, desto mehr Quads kamen uns entgegen. In Göreme sahen wir es dann auch. An der Durchgangsstraße waren die ganzen Verleiher verschiedener Offroadfahrzeuge. Wir aßen noch zu Mittag und dann nahmen wir einen Kleinbus rauf zum Kaya Camp, denn der Weg zu Fuß die Bergstraße nach oben war uns zu beschwerlich.

Die Tage vergehen und „Layla on Tour“ verabschiedet sich kurz, um bei den Startplätzen der Ballons einen Übernachtungsplatz zu suchen. Sie wollten hautnah dabei sein, wenn sich die Ballons erneut erheben. Andere Offroader kommen und gehen. Nette Gespräche werden geführt, LEMMY wird unter die Lupe genommen, eine Nachtschicht wird eingelegt und dann kommt „Layla on Tour“ auch schon wieder.

Ja, er war drin!

Und auch jemand anderes kommt zum Kaya Camp. Angekündigt hat Jose es schon per Instagram. In ein paar Tagen kommen wir auch, hat er geschrieben. Güler verfolgt unsere Reise mit besonderem Interesse, denn in dem Nachbarort hier wurde sie geboren, in Ortahisar. „Den Ort müsst ihr euch anschauen!“, schwärmt sie. „Und auch Underground City und das Freilichtmuseum mit den ganzen Felsenkirchen.“ „Geht klar!“, bedanke ich mich für ihre vielen tollen Tipps. Am Abend bevor wir die Felsenkirchen sehen werden, gibt es ein fantastisches Candlelight – Dinner auf unserer Kaya Camp Terrasse. Mit Blick über diese sensationelle Landschaft, während wir bei Wein und Pasta einen wahnsinnigen Sonnenuntergang genießen.

Heute passiert es, das was niemals hätte sein sollen, das was man nicht will auf Reisen und sonst eigentlich auch nicht. Eine kleine Unachtsamkeit, einmal nicht aufgepasst. Es ist Wochenende und es scheint wieder ein herrlicher Tag zu werden. Von Schnee und Frost sind wir endlos weit entfernt. Wir sind mitten im Oktober und haben am Tag oft weit über 20 Grad. Nur nachts wird es kalt, wenn die Sonne verschwindet. Wir schauen uns das Open Air Museum an, die Felsenkirchen. Da es nicht weit ist, gehen wir zu Fuß nur etwas den Berg runter. Masken auf und anstellen in die Besucherschlange. Da wir den Museumspass haben (gilt für 72 Stunden und beinhaltet den Eintritt für 8 Sehenswürdigkeiten in Kappadokien u. a. auch für die Underground Citys und das Ihlary Tal. )

Ausgerüstet mit einem Audioguide geht es dann auch los und wir erfahren einiges über diese christlichen Felsenkirchen aus dem 4. Jhd. n. Chr. Wir sehen Skelette unter Glas liegen in den Bodenlöchern, wie ich sie schon in den Felshöhlen zuvor gesehen habe.

Wir hören, wer auf den verblassten, abgebröckelten oder mit Sprühdosen von irgendwelchen Vandalen verschandelten Fresken zu sehen ist und was der damalige Künstler mit seinem Werk sagen wollte oder an die Wand brachte. Es gibt hier in den Felsen sehr viele Kirchen und sie sind alle mit prachtvollen und mehr oder weniger gut erhaltene Wandmalereien auf feuchtem Putz geschmückt. Nach einer Weile wollen wir noch die „DARK CHURCH“ sehen, denn die Anderen sind sich ziemlich ähnlich. Beeindruckend sind sie alle, doch müssen wir nicht jedes Fresko an jeder Wand erklärt haben von der netten Stimme des Audioguides. Und dann passiert es schließlich. Wir müssen eine Treppe hoch steigen, wie auch davor schon, doch die DARK CHURCH kostet extra Eintritt. Unglücklicherweise bin ich vorausgegangen und drehte mich um und fragte: „Kommst du?“ Denn Jutta hatte wie immer das Bargeld in der Tasche. In dem gleichen Moment passierte es. Für mich geschah es in Zeitlupe, wie in einem Film. Ich sah es ganz genau aus dem Augenwinkel im Bruchteil einer Sekunde. Sie kam schnell hinter mir her die Treppe hoch, doch man musste sich wieder bücken, da die Durchgänge oft nur 1,60 m hoch sind. Sie bückte sich nicht, war mit Schwung unterwegs und stieß fest mit dem Kopf an am steinernen Türrahmen und fiel nun in Zeitlupe die Treppe rücklings runter. Die beiden Arme ruderten nach hinten und es ging abwärts.

Ich sah schon einen Krankenwagen kommen, sah Knochen splittern und einen langen Krankenhausaufenthalt. Ich sah eine blutüberströmte, bewusstlose Jutta am Fuße der Treppe liegen und eilte während dieser Film in meinem Kopf in Zeitlupe ablief, auf sie zu, die Treppe herunter. Ich sah auch einen Offiziellen, die sind überall und passen auf, dass die Leute in den Kirchen nicht filmen oder fotografieren. Das sollten sie zumindest. Er beobachtete, tat aber nichts. Ein anderer Tourist, ein Amerikaner war eine Sekunde vor mir bei Jutta und als ich nach einer gefühlten Ewigkeit ankam, hörte ich mich selber sagen, während wir beide sie stützten, einer links, der andere rechts: „Setz dich erstmal auf die Treppe!“ Sie war ansprechbar und auch nicht blutüberströmt, was mich kurz erleichterte. Dann musterte ich sie und versuchte den Ernst der Lage abzuchecken. Sie machte einen gefassten Eindruck, hatte Schmerzen, aber es schien nichts gebrochen zu sein. Der hilfsbereite Amerikaner ließ uns allein und ich bedankte mich für sein schnelles Eingreifen. Jutta konnte nach einer Weile aufstehen und alles schien zu funktionieren. Es waren wie durch ein Wunder nur Schürfwunden und Prellungen. Keine Knochenbrüche und keine Gehirnerschütterung. (Das der Durchgang mit Schaumstoff abgepolstert war und alles Gott sei Dank etwas abgemildert hat, habe ich erst später gesehen.) Die Dark Church sahen wir uns noch an, danach gingen wir. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie wohl mit meiner unbedachten Frage „Kommst du?“ unbeabsichtigt zur Eile genötigt hatte und fühlte mich damit verantwortlich für dieses Unglück. Zum Glück ging es überaus glimpflich aus. Dafür bin ich unendlich dankbar.

Dann verabschiedeten wir uns vom „Orange Land Rover“- Team, von „Gecko on Tour“ und von „Layla on Tour“. Wir wollen in die Ihlara Schlucht und in die Underground City Deringyuku. Wenn wir zurückkommen werden wir alle wiedersehen und zu unserer großen Freude wird dann auch Jose mit seiner Frau und seinem Sohn Luca dort sein. Das Dandovueltas Team, das wir hier im Kaya Camp zum vierten Mal auf unserer Reise treffen werden.

Wir entscheiden uns die größte Underground City Derinyukyu anzuschauen. Sie geht acht Ebenen unter die Erde und bis heute ist nicht geklärt, wie sie es damals gemacht haben mit dem Verrichten der Notdurft und deren Beseitigung. Ich hätte da ein paar Ideen, aber die behalte ich für mich. Wir gehen tiefer und tiefer und es ist eng und feucht. In jeder Ebene weiter nach unten wird es kühler. Wir treffen eine kleine alleinreisende Japanerin. Sie erzählt uns von ihrer Erfahrung in einer anderen Underground City. Die war nicht so groß wie Derinyukyu, aber viel unübersichtlicher. Dort hatte sie sich verlaufen und wusste nicht mehr wie sie rauskommen soll.

Hier ist glücklicherweise nicht viel los und mir drängt sich der Vergleich auf mit den Höhlen der Morlocks aus H. G. Wells Romanverfimung „Die Zeitmaschine“. Da die kleine Japanerin trotz des letzten Erlebnises wieder in einer Underground City ist, denke ich mir, dass sie möglicherweise auch eine Sensation Seekerin ist. Und der Gedanke gefällt mir sehr. Nach dem kurzen, aber sehr netten Gespräch geht jeder seiner Wege. Auf dem Weg nach oben denke ich immer mehr an die Morlocks aus H. G. Wells „Timemachine“ und drehe einen kleinen, bekloppten Handy-Film, in dem wir auf der Flucht sind vor den menschenfressenden Morlocks.

Hilfe, die Morlocks kommen!

Gegen Nachmittag kommen wir im Ihlara Valley an. Durch ein kleines Bergdorf geht es durch enge Gassen abwärts in die Schlucht. Dort können und wollen wir über Nacht stehen. Doch vorher wollen wir wandern, entlang des Flusses. Links und rechts hohe Felswände und immer wieder sehen wir auch hier Reste von Felswohnungen und Felsenkirchen. Die Bäume und die Pflanzen werden langsam herbstlicher und verlieren Laub, verändern die Farbe. Wir entdecken Pistazienbäume, sehen einen Adler oben auf einer Bergkuppe. Die Serpent Church ist das Ziel, welches ich heute erreichen will. Vorher kommen wir an einem Teehaus vorbei, in dem man auch etwas zu essen bekommen kann oder auch Kaffee oder Bier. Auf dem Rückweg werden wir hier einkehren, das ist klar. Dann haben wir uns eine kleine Pause und Stärkung verdient. Ich weiß auch schon, was ich dann haben will.

Weiter geht die Wanderung zwischen den flankierenden hohen Felswänden hindurch, immer am Fluss entlang. Mal über eine Brücke auf die eine Seite, dann über eine weitere Brücke zurück auf die andere Seite. Dann ein Hinweisschild zur Serpent Church. Nicht mehr weit, dann erreichen wir den Aufstieg zum Ziel. Jutta wartet unten, weil ihr vom Sturz noch alles wehtut. Ich mache mich auf den Weg die Stufen aufwärts zu erklimmen, wie schon bei der letzten Kirche. Alle Kirchen werden wir uns nicht anschauen, das ist klar. Aber diese Eine will ich noch sehen, warum kann ich gar nicht genau sagen. Ich nehme an, weil ich den Namen der Kirche cool finde. Serpent Church. Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal warum sie Serpent Church heißt. Aber ich glaube zu wissen, das Serpent aus dem Lateinischen kommt und Schlange heißt. Als ich oben in der Kirche ankomme erschließt sich mir der Name zwar auch nicht, aber cool ist sie allemal. Ich bin ganz alleine und kann tolle Bilder machen. Was ich sehe fällt mir manchmal schwer zu erklären, bzw. besser in Worte zu fassen. Vielleicht können da Fotos helfen, by the way, Jutta stellt die Bilder ein in diesem Blog. Die Meisten nehme ich auf, aber da ich mit dem Schreiben ausgelastet bin, hat Jutta diese Aufgabe übernommen. Hier in der Serpent Church fühle ich mich gerade wie in einem Raumschiff, inmitten von Sternen in einer fremden Galaxie.

Serpent Church oder Raumkapsel in eine andere Galaxie

Das Gefühl hatte ich schon einmal. In der großen Freiheit 36 in Hamburg auf einem ARCHIVE Konzert. Dort war aber die Musik laut und ich hatte reichlich Bier getrunken. Doch hier war es still und ich war komplett nüchtern und trotzdem hatte ich das Gefühl auf einem anderen Stern zu sein. Mysterious Turkey. Ich verlasse diesen stillen Ort und kehre zurück zu Jutta. Sie fragt wie es war und ich sage ihr es war toll.

Auf dem Rückweg kehren wir ein in der Teeoase und nehmen Platz auf einem Steg über dem Wasser.

Ein schöner Platz zum Verschnaufen

Wir bestellen zwei Chay und für mich dazu ein großes, eiskaltes Bier. Nach dieser Stärkung geht es zurück, vorbei an skurrilen Skulpturen, die wir zum Teil schon auf dem Hinweg ausgemacht haben und zum Teil neu entdecken. Ausklingen lassen wir den Abend bei einem tollen Essen auf dem Fluss. Wir sitzen auf Kissen und Teppichen an einem niedrigen Tisch, mitten auf dem Wasser auf einem Holzsteg, bei Mondschein und Kerzenlicht und einem verdammt leckerem Tuborg Gold.

Siehst du auch was ich sehe? Als wir zurück kommen zum Kaya Camp sehen wir einen uns sehr vertrauten Sprinter. Dandovueltas ist angekommen. Wir freuen uns alle sehr über dieses Wiedersehen, besonders weil es bereits zum vierten Mal passiert. Das erste Mal war auf einer kleinen Schleppfähre in Albanien. Das zweite Mal dann in Griechenland bei den Meteoraklöstern, wo ich nicht geschnallt habe was überhaupt los war. Dann sahen wir uns auf einem Parkplatz in Istanbul zum dritten Mal. Jetzt freuen wir uns über diese vierte Begegnung und spekulieren schon über die Nächste, womöglich in Georgien….

Auch alle Anderen, die wir bereits zuvor auf dem Kaya Camp kennengelernt haben, sind noch da oder wieder da. Und als wir das Wiedersehen ausgiebig gefeiert haben gab es am nächsten Morgen nur ein Thema. „Habt ihr schon gehört?“, hieß es als wir nach dem Frühstück den Camper verlassen hatten. „Der Iran hat aufgemacht!“

Einige wollen in den Iran reisen, so auch Yvonne und Rene und Stefan und Renata. Das Carnet de passage hatten nicht alle, ein Visum auch noch nicht. Aber von hier aus ließ sich alles gut regeln und hier kann man es auch super eine ganze Weile aushalten bis alle Formalitäten erledigt sind. Wir werden später sehen, wer es in den Iran schafft, wer seine Pläne ändert, wer evtl. auch scheitert und kein Visum bekommt…

Irgendwann kriege ich mich immer wieder ein und irgendwann geht es auch immer wieder weiter. Etwas traurig wegen des Abschieds vom Orange Land Rover, von Dandovueltas und den Anderen müssen wir uns verabschieden. Uns zieht es weiter. Wir sind schon viel zu lange hier für unsere Verhältnisse, stehen wir doch selten länger als drei Tage an einem Ort. Wir wollen weiter nach Mardin an die syrische Grenze, wollen den Euphrat sehen und die Fahrradtour machen, die mir Stefan und Renata ans Herz gelegt haben. Und dann soll es ja auch noch nach Georgien gehen, bevor der große Wetterumschwung kommt, bevor der tiefe Winter uns einholt. Zuvor sind wir noch etwas Offroad gefahren, haben ein weiteres Open Air Museum besucht mit den sogenannten Fairy Chimneys, den Feenkaminen und dann sagten wir tschüss.

Die nötigsten Vorräte kauften wir in einem kleinen Supermarkt in Orthahisar. Das Bier und den Wein im Tekel. Die wollten uns dort wohl etwas über den Tisch ziehen. Wir hatten schon alles eingepackt. Das Bier aus dem Kühlschrank war schon in meiner Tasche, die große 1,5 Liter Weinflasche schon im Rucksack. Dann fragte ich nach dem Preis. Ich bekam auch prompt eine Antwort, aber das kam uns komisch vor. Wir rechneten tatsächlich nach. Dann fragten wir nochmal nach dem Preis. Jetzt war der Preis etwas niedriger, das kam uns noch merkwürdiger vor. Der Verkäufer tat so, als würde er uns ein ganz besonderes Angebot machen. Tatsächlich verlangte er einen absurd hohen Preis, der nicht ganz das Doppelte von dem war, den man im Supermarkt bezahlt. Wir packten alles wieder aus, bedankten uns und gingen.

Jetzt, im nachhinein verstehe ich was die mögliche Motivation war. Die Inflation im Land nahm immer mehr zu. Als wir in die Türkei eingereist sind bekamen wir für einen Euro etwa 10 türkische Lira. Als wir in Ortahisar eingekauft haben waren es bereits etwa 14 türkische Lira. Jetzt, wo ich zu Hause am Schreibtisch sitze, sind es bereits 18 türkische Lira, die ich für einen Euro bekomme. Das ist toll für mich als Reisender, aber das ist nicht toll für die Türken, die sich kein Brot mehr kaufen können, weil es zu teuer geworden ist.

Ohne diese Erkenntnis, die ich jetzt habe und ohne zu wissen, ob es diese oder eine andere Motivation war, die diesen Ladenbetreiber getrieben hat, kauften wir unseren Alkohol in einem anderen Laden zu einem Preis, der uns gut erschien. Dann fuhren wir. Wir fuhren und ich hatte wieder richtig Spaß hinter dem Lenkrad zu sitzen und voran zu kommen. Es war wirklich traumhaft in Kappadokien, in Göreme mit all den anderen Offroadern, aber es ist auch einfach geil weiterzureisen. Weiterzufahren ins Ungewisse, in neue Abenteuer. Es hat auch etwas Klick gemacht in meinem Kopf. Ich habe umgeschaltet in einen anderen Modus. Der Urlaub ist vorbei und die REISE hat begonnen.

Das was wir ab jetzt machen ist nicht nur Urlaub, das ist mehr, viel mehr. Urlaub geht ein paar Wochen. Ein Urlaub geht vielleicht drei, vier oder evtl. auch sechs Wochen. Bei uns waren es immer sechs Wochen im Sommer. Jutta als Lehrerin hat Schulferien, ich als Requisiteur habe die Spielzeitpause. Wir haben jetzt weit mehr als sechs Wochen, wir haben 13 Monate. Langsam findet ein Umdenken statt. Immer schon fanden alle es toll, dass wir so lange Sommerferien hatten. Aber die Meisten wissen nicht wie viel eine Lehrerin zu Hause am Schreibtisch arbeitet und was sie auch in den Ferien alles zu tun hat. Das auch in der schulfreien Zeit gearbeitet wird, das wissen nicht alle. Das ein Requisiteur an Weihnachten arbeitet, an Ostern und Silvester, samstags und sonntags usw. das wissen auch nicht alle. Darum müssen wir kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir sechs Woche Pause haben im Sommer. Aber damit hat das jetzt auch nichts mehr zu tun. Wir reisen jetzt, haben keinen Urlaub mehr. Das was andere unter Urlaub verstehen wird für uns zum Alltag und das ist großartig. Ich will das nicht mehr missen, aber es ist auch eine Herausforderung. Jutta hatte bereits ihren Tiefpunkt gehabt und meiner wird noch kommen. Was will ich eigentlich damit sagen? Das frage ich mich auch gerade selbst. Urlaub ist nicht gleich reisen. Urlaub ist (für mich) Erholung und Abschalten vom Alltag. Reisen ist mehr als Urlaub. Reisen ist bewusstseinserweiternd. Urlaub kann das auch sein, das habe ich mittlerweile gelernt. Urlaub lehrt uns über den Tellerrand zu schauen. Urlaub erweitert auch das Bewusstsein, aber beim REISEN ist all das intensiver, wirkt nachhaltiger. Besonders wenn man lange Zeit auf engem Raum im Camper lebt. Ich spüre wie ich mich verändere, wie ich wahrnehme und wie sich Prioritäten verschieben.

Und jetzt merke ich wie ich abschweife, wie ich den Faden verliere. Ich versuche ihn wiederzufinden.

Ilhara Valley (zum Auflockern, beim „Faden verlieren“ 😉

Wir fahren und ich habe Spaß daran weiter vorwärts zu kommen und wir haben ein Ziel vor Augen, den Euphrat und die Schlucht mit dem Steinweg (Tas Yolu) durch den kein größeres Auto passt. Aber das Ziel werden wir heute nicht mehr erreichen. Divrigi Kesdogan Kalesi allerdings wird uns ein perfekter Ort sein für eine Zwischenübernachtung.

Im Grunde war es mehr oder weniger eine Notlösung an diesem Ort nach einem Nachtlager zu suchen, denn wie üblich kommen wir spät los. Die Verabschiedung von den uns liebgewonnenen Schweizern dauert ne Weile, dann noch von Jose, Celin und Luca. Das braucht halt seine Zeit. Kein Wunder also, dass wir spät und nach langer Fahrt ankommen an diesem tollen Übernachtungsplatz. Da es noch hell ist, möchte ich gerne noch zur Sehenswürdigkeit des Ortes hoch fahren. Auf einem Berg liegt eine alte Festung, baufällig zwar, aber nicht gesperrt. Die Aussicht von hier oben ist einfach überwältigend. Wir sind gerade zur perfekten Zeit vor Ort, kurz vor dem Sonnenuntergang. Und der Berg bietet eine perfekte Aussicht über den Ort, wo sich die blutrote Sonne gerade verabschiedet. LEMMY posiert steil am Hang vor der untergehenden Sonne. Da wir hier oben aber kein gutes Gefühl für die Nacht haben, fahren wir wieder runter in den Ort und stehen sicher auf einem Parkplatz bei einem Restaurant.

Heute wollen wir den Euphrat erreichen und unsere Bikes endlich mal wieder vom Träger holen und in die Pedalen treten. Das wird uns auch alles gelingen aber dabei schrotte ich unseren kleinen Tritt und Jutta wird wegen ihrer Höhenangst und den stockdusteren Tunneln mal wieder über ihre Grenzen hinausgehen. Und ich habe auch mal wieder mehr Glück als Verstand. Aber eins nach dem Anderen.

Renata und Stefan haben mir schon auf dem Kaya Camp Instruktionen gegeben für diese (für Jutta Tor-) Tour. Nehmt Lampen mit, in den Tunneln ist es stockduster. Ihr braucht Flickzeug und eine Luftpumpe. Die Strecke ist ca. 8 km lang und dann wieder zurück natürlich. Das geht nur mit Fahrzeugen von 2,20 m Höhe und maximal 1,70 m Breite. Ihr müsst durch viele dunkle Tunnel fahren. Nur hin und wieder gibt es künstlich angelegte Lichtdurchbrüche. Das LEMMY dafür zu hoch und zu breit ist war sofort klar und ich hatte Bock auf dieses kleine Bike Adventure.

Nach ein paar Stunden Fahrt durch eine abwechslungsreiche anatolische Berglandschaft erreichen wir nach einigen Tunneln, die gerade noch breit und hoch genug sind für LEMMY den Euphrat. Wir parken wieder mal an einem Restaurant, diesmal allerdings ohne Ortschaft. Der Euphrat leuchtet türkis in der Nachmittagssonne und wir fragen im Restaurant, ob wir über Nacht hier stehen dürfen. „Ja klar!“ ist die Antwort. Wir bestellen uns eine Erfrischung und dann haben wir noch Zeit für unsere kleine Radtour. Ich schnalle die Bikes vom Fahrradträger ab und Jutta packt ein paar Snacks für die Tour ein. Dann geht es auch schon los. Wasser in die Getränkehalterung, Lampen angebracht und schon sitzen wir im Sattel.

Jutta hat sogar ihre Stirnlampe dabei, was sich als Glücksfall rausstellt, denn der Akku ihrer Fahrradbeleuchtung ist leer. Mein Licht leuchtet auf Reserve, aber noch hell genug, finde ich. Bei diesem Ausflug ist die Wahrnehmung bei uns beiden total unterschiedlich. Ich habe riesig Spaß und genieße es mich auszupowern beim Fahren und gebe ordentlich Gas und Jutta findet es nur mäßig spaßig, trotz der grandiosen Umgebung. Es geht abwechselnd rauf und dann wieder runter, immer entlang des türkisfarbenen Euphrat inmitten von zwei steilen Felswänden in der Schlucht.

Das war noch ein richtig heller Abschnitt!

In den Tunneln ist es echt duster, ich fahre meistens blind und da ich ja am Ende des Tunnels den Lichtkegel sehe, stört mich das auch nicht weiter. Was ich nicht sehe sind die nächsten zwanzig Meter vor mir. Prompt kriege ich Schimpfe. Ich sei viel zu schnell unterwegs. So macht das keinen Spaß, ich könnte stürzen usw. Also fahre ich langsamer und wir bleiben mehr zusammen. Jutta verliert so richtig die Lust, bemerke ich und um sie nicht zu verlieren auf dieser Tour, bemühe ich mich sehr und versuche langsamer zu fahren und in ihrer Nähe zu bleiben. Im Kegel von Juttas heller Stirnlampe bemerke ich jetzt die dicken Steine, die fest im Boden stecken. Wäre ich auf so einen Felsen gefahren im Dunklen, als ich noch voller Enthusiasmus Gas gegeben habe, dann hätte ich mich dreimal überschlagen und mein Bike und mich selber zerlegt. Mit mehr Glück als Verstand endet auch dieses kleine Abenteuer mit heilen Bikes und unversehrten Bikern. Nur beim Aufschnallen der Räder auf den Träger bricht mir mein kleiner Hocker weg. Aber da ich geschickt bin wie eine Gazelle, springe ich vom Hocker runter, bevor ich stürze und behelfe mir mit der Luftpumpe als Armverlängerung beim Überziehen der Plane über die Bikes. Am nächsten Morgen geht es dann nach dem zweiten Kaffee draußen am Fluss schon wieder weiter.

Wir wollen nach Mardin an der syrischen Grenze. Dort will ich die Altstadt sehen, wie TausendundeineNacht soll es dort sein. Und so ist es dort auch, aber der Weg dorthin ist alles andere als märchenhaft. Wir sehen, nachdem wir die Euphratschlucht verlassen, noch wunderschöne Berglandschaften, großartige Bergdörfer, Seen und Flüsse. Aber auch trostlose Ecken und weite Einöden, vermüllte Landstriche und immer mehr Soldaten und so nach und nach immer mehr Kontroll- und Stützpunkte. Langsam wird uns unheimlich und die Militärpräsenz nimmt immer weiter zu. Auf jeder Bergkuppe ist ein Kontrollposten, an jeder Durchgangsstraße stehen Soldaten mit Maschinengewehren. Überall riesige Betonblöcke, die im Bedarfsfall ganze Zufahrtsstraßen abriegeln konnten.

Irgendwie werden wir nach Dyerbakir gelotst von unserem Navi und das fand ich auch ganz spannend. Doch als es an einer Kreuzung nicht weiter ging und überall Panzer standen und Soldaten mit Tarnkleidung, Schutzwesten, Helm und Kalaschnikows, da wurde mir das auch etwas suspekt. Wir wurden dann umgeleitet, wie auch alle anderen, die unsere Richtung fuhren. Es ging mitten durch die engen Gassen von Dyerbakir, was wiederum sehr spannend und interessant war, aber der Grund dafür blieb ein Rätsel. Klar war uns schon, dass im Grenzgebiet zu Syrien, dem Irak und dem Iran die Lage etwas angespannter ist. Doch dieses Aufgebot an Militärpräsenz in der Stadt fand ich eigenartig. Irgendwann waren wir dann im Schritttempo durch und kamen relativ spät und im Halbdunkeln in Mardin an. Jutta hatte mich trotz allen widrigen Umständen wieder perfekt an meine finale Parkposition gelotst, obwohl sie schon echt abgenervt war. Besonders weil der eigentliche Zwischenübernachtungsplatz uns so gar nicht gefiel, so dass wir uns schnell einig waren, weiterzufahren bis Mardin.

Blick auf Mardins Altstadt

Da es schon spät war, wollten wir nur noch pennen, doch Einchecken muss nun mal sein. Also rauf auf die Parkposition und gucken ob wir noch jemanden finden. Yes, da kommt einer. Fünf Euro will der morgen haben, oder? Das haben wir beide genau so verstanden. Jetzt gehen wir pennen. Ich verzichte sogar auf mein „Arrival Beer“, denn wir sind echt platt von der Anfahrt, von den Eindrücken und der militärischen Präsenz. Wir sind glücklich unser Ziel erreicht zu haben, das eigentlich für morgen und nicht für heute anvisiert war.

Nach einer langen und erholsamen Nacht starten wir in einen großartigen Tag, der uns eine Tagestemperatur von 29 Grad bescheren wird, der uns in eine Stadt von TausendundeinerNacht (ver-) führt, die uns staunend zurück lässt und die mich an einen Ort bringt, der mich lehrt was Kälte ist. Aber das betrifft erst das nächste Chapter. Jetzt sind wir erstmal in Mardin. Und hiermit beende ich meine erste Nachtschicht im Waterhole. Cheers!

TURKEY – CHAPTER IV

….und wie wir in Dogubayazit in einen bürokratischen Teufelskreis geraten und schließlich doch noch mit einem Umweg über den Mond Georgien erreichen…