Chapter 8 – Türkei

…und wie mich ein selbsternannter Watchman versucht um 100 $ zu erleichtern….

Es fällt mir schwer, aber es war auch klar: Der Tag, an dem wir Istanbul verlassen und weiterreisen werden, wird kommen. Und nun ist es tatsächlich soweit. Nach einer Woche, die viel zu schnell vorüberging, in dieser Stadt mit den vielen Gesichtern und Facetten, brechen wir wieder auf. Ich allerdings mit der Gewissheit, auf dem Rückweg parken wir wieder genau hier, unter dem Schiffsradar, in der Einfahrt zum Bosporus. Doch bevor wir fahren, verabschieden wir uns von Jose, Celina und Luca, die noch etwas bleiben wollen. Vielleicht treffen wir uns ja in Kappadokien wieder oder irgendwo anders auf der Welt und halten es für gar nicht mal so unmöglich.

Ich bin etwas aufgeregt an diesem Morgen, denn gleich fahren wir quer durch Istanbul. Zuerst über die Galatabrücke, von der Altstadt in die modernen Viertel Karaköy und Beyoglu und dann über die Erste von 3 Bosporusbrücken von Europa nach Asien. Die Galatabrücke kann man hier nicht mitzählen, da sie nur zwei Stadtteile auf der europäischen Seite verbindet. „Hast du geschaut wo es lang geht?“, frage ich Jutta. „Ja klar, da hast du noch geschlafen!“ Und dann geht es auch schon los. Ein lang gehegter Traum geht in Erfüllung. Wir fahren quer durch eine der beeindruckendsten Metropolen der Welt und wechseln dabei gleich von einem Erdteil in einen anderen Erdteil! Fahren von Europa nach Asien! Über Land! Check.

Nach vielen Stunden Fahrt kommen wir unserem Ziel näher. Lange haben wir diskutiert welche Richtung wir einschlagen sollen. Auch sogar noch am Morgen der Abreise aus der famosen Bosporus Metropole, mit dem Dandovueltas Team. Wir waren unentschlossen bis zuletzt, bis wir uns dann schließlich einig wurden. Jose brachte als Argument, dass es in Cappadocia um diese Zeit, also bald Oktober, schon sehr kalt sein würde. Das waren auch Juttas Bedenken. Da gibt es womöglich schon Nachtfrost und vielleicht schon Schnee. Ja sicher, vielleicht ja vielleicht nein. Wenn wir aber jetzt runter nach Ephesus fahren, an die Küste weiter im Süden, dann haben wir sehr wahrscheinlich noch richtig geiles Strandwetter, auch noch im Oktober. In Cappadocia könnte es jetzt bereits arschkalt sein. Dann haben wir vorher wenigstens die Zeit mit dem tollen Wetter und mit Beachlife verlängert. So war dann auch der Plan: Erst Ephesus und Cappadocia später. Der Winter wird uns so oder so einholen, früher oder später. Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, der Winter würde uns viel, viel später einholen.

Selbstverständlich hatte Jutta ihre Hausaufgaben gemacht und lotste mich zielsicher, nach über 6 Stunden Fahrt, zum Dereli Beach Motel & Camp. Auf den ersten Blick dachten wir, ganz ok. Unter hohen Eukalyptusbäumen standen wir fast ganz alleine auf einer riesigen Fläche.

Mit Bier und Sonnenuntergang wird aus „Ganz Ok!“ schnell „Richtig geil!“

Die Toiletten und Duschen waren sehr alt, aber nicht dreckig. Der Strand war vor der Tür, also vor dem Camper, vor LEMMY. Auch das Restaurant war noch geöffnet für die wenigen Besucher. „Na zwei drei Tage bleiben wir schon, oder?“ Es wurden 5 oder 6 Tage, ich weiß es nicht mehr genau. Denn dieser Ort entwickelte seinen Zauber erst auf den zweiten Blick. Am Abend gingen wir noch essen, im offenen Restaurant des Dereli Motel & Camp. Wir wurden an die Theke im Nebenraum gebeten, um unter den gebotenen Köstlichkeiten auszuwählen, was denn zubereitet werden soll. Wir wählten Köfte, gegrilltes Hühnchen, grüne Bohnen, Fava, dicke Bohnen, Zucchini, überbackene Champignons, gegrillten Käse und das Wichtigste, zwei große Tuborg Gold, serviert im gefrostetem Glas. In dieser Woche kochten wir nicht mehr selber. Den Sonnenuntergang sahen wir an diesem Abend nur nebenbei, während des ausgezeichneten und preiswerten Essens.

Soooo lecker!

Allerdings an den nächsten Tagen sahen wir mal wieder Sonnenuntergänge, für die Hochzeitspaare weite Fahrten auf sich nahmen, um sich an diesem Strand ablichten zu lassen. Eigentlich wollten wir uns die historische Stadt Ephesus, dieses Weltkulturerbe am nächsten Tag ansehen. Doch wir sagten uns, pfeif drauf, machen wir morgen. Stattdessen putzten wir LEMMY (innen Jutta, außen ich) Die Schubladen wurden ausgeräumt, die Staufächer leer gemacht, die Betten und Matratzen gelüftet. Alles wurde gründlich gereinigt und ausgewischt, danach wieder vernünftig eingeräumt, neu sortiert und geordnet.

Grundreinigung 1
Nur Aufhängen muss ich selber!

Die Wäsche machte eine alte, liebenswürdige türkische Mama für uns, die uns richtig in Herz geschlossen hat und jeden Tag für einen kleinen Schnack vorbeikam. Nach all der Arbeit wurde noch die Hängematte zwischen zwei Bäume gespannt und wir relaxten bei Kaffee und Kuchen. Tags drauf, als wir eigentlich Ephesus nachholen wollten, hatten wir beide wieder keine Lust. „Machen wir morgen!“, sagten wir uns. Stattdessen gingen wir an den Strand zum Schwimmen, machten Mittagsschlaf, lasen und rätselten Sudoku. Nachmittags gabs den obligatorischen Kaffee, den ich draußen, mit dem neuen, in Griechenland erworbenen Gaskartuschenkocher zubereitete.

Am dritten Tag endlich holte ich die Bikes hinten vom Camper runter und wir radelten die 7 oder 8 km nach Ephesus. Wir hatten immer noch so ca. 28 Grad und waren glücklich Cappadokia erstmal aufgeschoben zu haben. Was soll ich sagen über Ephesus? Es ist so beeindruckend, wie es auch schon Delphi in Griechenland war.

Vitaminschub – dringend nötig!

Hier haben wir uns jeweils einen Audioguide geliehen, um zu den einzelnen Stationen auf Knopfdruck die passende Information von einer angenehmen Frauenstimme vorgetragen zu bekommen.

Endlich mal wieder im Theater!

Auch hier gibt es ein altes Theater, in dem damals 25 000 Zuschauer Platz fanden. Ich sitze in den Ruinen dieses Theaters, während ich das und noch viel mehr erfahre. Danach geht es zur Bibliothek, wo noch ein großer Teil der Front wiederaufgebaut werden konnte, mit den gefundenen, ausgegrabenen Stücken.

Wir sehen eine öffentliche Toilette in einem Hamam, wo die Menschen damals ihr Geschäft verrichteten und sich unterhielten. Einer neben dem Anderen, nicht durch Wände getrennt, sondern direkt nebeneinander. Fünf oder sechs Leute saßen dicht an dicht pro Reihe im Quadrat und furzten und kackten in die Latrine, während die neuesten Nachrichten ausgetauscht wurden.

Da darf man keine Angst vor Nähe haben…..

So gehen die Stunden schnell und kurzweilig dahin und nach vielen tollen Fotos und wieder aufgefrischtem Wissen stärken wir uns mit zwei mittelprächtigen Portionen Gözleme (eine mit Käse, die andere mit Hackfleisch) und mit einem perfekten, frisch gepresstem Granatapfel – Orangensaft Mix für den Heimweg. Vorher besichtigen wir noch die „Grotto of the seven sleepers“, doch die darf man auch auslassen.

Jürgen will am Strand zurückfahren

Die nächsten Tage gingen so dahin, wir genossen das Beachlife, spazierten den Strand auf und ab, schauten den Hochzeitsfotografen zu, gingen gelegentlich schwimmen, genossen das Essen im Restaurant. Zu den hervorragenden Sonnenuntergängen versuchten auch wir uns an Fotos, wie zum Beispiel die Sonne in der Metalhand auf den Fingern schweben zu lassen, scheiterten aber jämmerlich dabei.

Man darf einfach nur nicht wissen, dass die Sonne zwischen die Finger sollte!

Immer wieder mal, wenn wir etwas zur Ruhe kommen und längere Zeit an einem Platz verweilen, kommt ein bestimmtes Thema auf. Ein Thema, das mir so gar nicht behagt und zwar das der Rückkehr. Jutta möchte Weihnachten zu Hause mit ihren Eltern verbringen. Mit der Schwester und ihrem Mann, ihr kennt sie bereits, Sonja und Lars. Noch ist nicht klar, was und wie es ablaufen wird. Es gibt verschieden Gedankenmodelle. Wir fahren nach Hause…..und jetzt wo ich es schreibe „nach Hause„, da wird es mir so richtig zuwider. Oder aber sie fliegt nach Hause und ich fahre weiter oder warte irgendwo auf sie, bis sie zu mir zurückfliegt. Aber wo warte ich? In der Türkei, in Georgien, Israel oder Zypern. Meine Gedankenexperimente gingen noch bedeutend weiter, aber dafür kassierte ich jedes Mal sofort ein Veto. Wie entwickeln sich die Coronazahlen? Europaweit und auch deutschlandweit steigen sie gerade wieder stark an. Kann Jutta nach 2-3 Wochen so ohne Probleme zurück fliegen zu mir, wo auch immer ich dann bin? Und das Wort ZUHAUSE mag ich im Moment so gar nicht mehr, denn mein Zuhause ist die Welt, ist LEMMY. Zuhause ist dort, wo ich gerade bin. Jetzt in diesem Augenblick, in meinem Camper bin ich zuhause. Ich will nicht in das ZUHAUSE, wo ich meinen Erstwohnsitz habe. Ich will meine Reise nicht unterbrechen. Das ist ein echtes Problem für mich, für Jutta aber ist es enorm wichtig. Was also ist zu tun? Ich habe zwei Ideen, die erste und wichtigste Idee ist erst einmal, dass wir das ZUHAUSE, was den Erstwohnsitz betrifft, umbenennen in WATERHOLE.

„The Waterhole“ ist eine Bar in Amsterdam und ich mochte dieses Etablissement auf Anhieb, als ich dort das erste Mal war. Dort bediente der Barkeeper den Monitor per Touchscreen. Er kassierte darüber die Rechnung der Gäste und spielte darüber auch die Musik, wenn die Band Pause machte. Unter der Decke des Ladens klebten Plattencover und Whiskykartons. Das alles hat mich nachhaltig beeindruckt.

Das Wasserloch ist im Grunde ein Synonym für einen Ort der alles hat. Dort gibt es zunächst mal Getränke in jeder erdenklichen Art und ich meine in JEDER. Dann gibt es dort Vorräte, warme Kleidung, eine geschützte Umgebung, ein warmes Nachtlager. Dort gibt es Musik, Feuer und Licht. Also alles was man braucht.

Die zweite Idee, die ich habe ist die: Wir fliegen vom Waterhole aus, dann auch nach Amerika. Jutta schlägt ein. Das mit Amerika war ja eh schon mal der Plan und dafür fahre ich dann meinetwegen auch sogar ins WATERHOLE.

Wieder, nach fast einer Woche an einem Ort, wie in Istanbul, wollten wir irgendwann natürlich weiter. Zeit uns Gedanken zu machen, wohin es gehen sollte, hatten wir ja genug. Fahren wir unten die Küste entlang oder machen wir das erst auf dem Rückweg ins Waterhole? Die Küste, beschlossen wir, machen wir erst auf dem Rückweg. Von hier aus fahren wir nach Pamukkale. Gesagt, getan.

Einfach so beeindruckend!

Nach einer für unsere Verhältnisse sehr kurzen Anreise von weniger als drei Stunden, erreichten wir unser Ziel. Da wir meistens nicht besonders früh los kommen, sondern es eher auf Mittag zugeht bevor wir starten, so kommen wir dennoch erst am späten Nachmittag an. Wir finden auf Anhieb unseren Park4night Platz und nachdem wir LEMMY einmal umgesetzt haben (wegen extrem viel Glasscherben auf dem Boden) haben wir beide noch voll Bock uns Pamukkale anzuschauen.

Von weitem sah es recht unspektakulär aus. „Soll es das dahinten etwa sein?“, fragen wir uns. Doch als wir dann barfuß auf diesen Sinterterrassen (entstanden aus dem kalkhaltigen Wasser der Thermalquellen) bergaufwärts stiegen als liefen wir auf Schnee, da war es ganz und gar nicht mehr unspektakulär. Es sah aus wie ein riesiger Gletscher, weiß wie Schnee, wie ewiges Eis. Wir mussten die Schuhe ausziehen, damit es auch weiß bleibt, pamukkaleweiß. Es gab vor Jahren andere Zeiten, da war es grau. Die Leute marschierten mit ihren dreckigen Schuhen rauf und runter. Die großen Reisebusse fuhren bis dicht an die Terrassen, oben und auch unten. Dann gingen glücklicherweise Naturschützer weltweit auf die Barrikaden und protestierten. Die Busse wurden ausgebremst, die Touristen mussten barfuß gehen und dieses Wunder der Natur erholte sich. Auch wir gingen ohne Schuhe bergauf, da unser Platz für diese Nacht unterhalb des Berges war. Es war ganz warm an den Füßen, obwohl es aussah wie Eis. Immer mal wieder ein Becken, das mit warmem Thermalwasser gefüllt war und in dem jemand ein Bad genoss. Viel war nicht mehr los und uns wurde erneut klar, wie schön es ist, außerhalb der Saison zu reisen. Das kannten wir in dieser Form noch nicht, da wir immer abhängig waren von den Sommerferien.

Oben angekommen ging es noch etwas weiter, aber da trugen die Leute wieder Ihre Schuhe und Jutta wollte ihre nicht anziehen. Ich auch nicht. „Ich geh barfuß weiter!“, sagte ich ihr. Sie will warten. So ging ich alleine weiter, über einen kleinen Holzsteg, über eine sandige Kieselsteinfläche und dann wieder über einen Holzsteg. Ich folgte den beschuhten Leuten und dachte nach der nächsten Biegung: „Was zum Teufel ist das denn?“ Da waren die abgesperrten, nicht zum Baden freigegebenen Thermalbecken. Oben am Berg, mit einer Aussicht über die Gipfel der angrenzenden Berge und dem Sonnenuntergang dahinter, eine Postkartenidylle sondergleichen.

Und wieder einmal, wie schon nach den Meteoraklöstern, war ich sprachlos über diese Schönheit der Natur. Nur wurde dieses Mal nichts vom Menschen dazu beigetragen, außer vielleicht es zu schützen, dieses Wunder der Schöpfung. Barfuß ging ich zurück zu Jutta, etwas verwundert über alle Anderen, die ihre Schuhe angezogen hatten. Später wurde mir klar, sie sind Oneway unterwegs. Barfuß rauf, mit dem Bus und beschuht wieder zurück, runter in den Ort zu den Hotels.

Jutta war schon etwas verärgert, weil ich sie ca. eine halbe Stunde warten ließ, das sah ich ihr an. Aber lange war sie mir nicht böse, denn ich hatte ja einen guten Grund etwas zu verweilen, an einem wunderschönen Ort. An Pools die ineinander übergingen, aus Thermalwasser gespeist, auf einem Berg mit Blick über andere Berge, die untergehende Sonne dahinter, ein malerischer Ort darunter. Und außerdem: Wir waren an einem Ort, nachdem eine Farbe benannt ist! Pamukkaleweiß! Den gleichen Weg, den wir hochgelaufen sind, gingen wir nun wieder runter. Wir schafften es gerade rechtzeitig, bevor es dunkel wurde. Wir zogen unsere Schuhe wieder an, nach der markierten Fläche und da wurde uns klar: einen besseren Zeitpunkt als den späten Nachmittag, um Pamukkale zu besuchen, konnte es nicht geben.

Cappadocia, da müsst ihr hin. Das wird dir gefallen. Das habe ich schon Jahre vor unserer Reise gehört. Von wem? Und wo? In unserer Theaterkantine, von Murat und Güler Babaoglu. Murat ist unser singender Koch im Theater bzw. er war es. Singen tut er immer noch, in der „ISTANBUL“ Vorstellung. Güler ist seine entzückende Frau. Unsere Kantine betreiben sie nun nicht mehr, aber auf der Bühne kann man ihn immer noch sehen und hören, solange unsere „ISTANBUL“ Aufführung läuft.

Wir redeten darüber uns in der Türkei zu treffen, lange bevor unsere Reise begann. (Das wird leider nicht klappen, denn wenn wir kommen sind sie schon wieder in Deutschland.) Trotzdem stehen wir in engem Kontakt, besonders mit Güler. Sie gibt uns viele Tipps was wir sehen sollten, wohin wir gehen müssen, wo es die beste Pizza gibt usw.. Sie kommt aus Kappadokien und hat uns auch schon viele Ideen gegeben, was wir dort noch unbedingt machen müssen. (Notiz am Rande: Gerade jetzt, als ich an diesem Blogkapitel arbeite, am 22.11.2021 um 03:20 Uhr, befinden wir uns in Cirali an der lykischen Küste, wo Murat und Güler immer ihre Sommerferien verbringen.)

„Underground City ist bestimmt was für dich, schaut euch Orthahisar an, (Ich glaube das ist ihr Geburtsort), Kaya Camping ist ein cooler Platz, da trefft ihr andere Overlander. “ Aus Erfahrung weiß ich , dass genau solche Tipps unbezahlbar sind, Tipps von Insidern, von Leuten, die wissen wovon sie reden.

Begeistert verlassen wir Pamukkale, mit nur einer Richtung: Gen Osten nach Cappadocia, zum Kaya Camp, zu den Offroadern und Overlandern. Doch ein Ziel hatten wir vorher noch, den Tuz Gölü.

(Aufzeichnung, die nix zur Sache tut: Helter Skelter läuft von Rob Zombie und Marilyn Manson)

Davon haben wir Bilder gesehen, von Dandovueltas, von Jose, unserem Freund aus Istanbul. Er ist da bereits in Kappadokien mit seiner Frau und seinem Sohn. Der Tuz Gölü ist ein Salzsee, fast ausgetrocknet und verödet. Die Fotos, die er dort gemacht hat, waren dermaßen inspirierend, dass auch ich dorthin möchte. Auf unserem Weg ist es irgendwie sowieso, also machen wir diesen kleinen Abstecher. Es gibt keine Umwege, dass haben wir uns vor dieser großen Reise, vor diesem Abenteuer vorgenommen. Der Weg ist das Ziel. Das ist und bleibt unser Motto.

Müsli, Kaffee und schon geht es los. Jutta weiß wo wir stehen können, wieder frei und direkt am Salzsee. Nur ein paar Stunden fahren, aber das macht mir Spaß. Unterwegs, on the road. Da taucht plötzlich ein Vulkan auf. Wir kommen immer näher nach Kappadokien, die Landschaft verändert sich. Es wird zunehmend karger, der Vulkan wird immer größer, kommt näher. Er ruht und wir erkennen, je näher wir kommen immer mehr den Kraterrand. Noch im letzten Monat wurde er bestiegen, im Oktober nicht mehr. Hier und da ein Hinweisschild, wenn ein Foodtruck mit Köfte oder Gözleme am einsamen Straßenrand auftaucht. „Wie weit ist es noch?“, will ich wissen. „Sind bald da!“, sagt Jutta. Aber wo ist da? Reden wir von der gleichen Sache? Ich will wissen wo der Salzsee ist. Jutta redet vom Stellplatz.

Das haben wir heute leider nicht gefunden!

Finden werden wir heute weder den Stellplatz noch den Salzsee. Begegnen werden wir einem Watchman, der 100 Dollar von mir verlangt für eine nicht erbrachte Leistung.

„Hier ist der Ort, von dem wir den Tuz Gölü erreichen.“, sagt Jutta. Yes, denke ich voller Vorfreude. Wir durchqueren den sehr ärmlichen Ort.(Wobei schon alle Orte auf diesem Weg immer ärmlicher wurden, je weiter wir nach Osten fuhren.)

Hier gleich rechts und dann zweimal links. Jetzt rechts rein, in diesen Weg. Hier, wirklich? Ja, hier muss das sein. Alles klar, rauf auf den Acker. Mir gefällt es immer mehr. Der Ort verschwindet hinter uns und vor uns ein Geflecht aus Wegen über braunen Sand. „Sollen wir mal links abbiegen?“ „Eigentlich ja, aber warte mal! Nee, jetzt sieht es wieder so aus, als ob es rechts weiter geht!“

Der Tuz Gölü ist ungefähr 90 km lang. Wie breit er ist wissen wir nicht genau. Aber noch haben wir keine Spur von ihm entdeckt. Wir kurven hier rum seit über einer Stunde. Ich habe Spaß, weil ich es liebe auf weichem Sand zu fahren. Jutta hasst es, weil die Navigation nicht klappt. „Jetzt habe ich es, fahr mal da lang.“ „Ok, gerne, kein Problem!“ „Nee, komisch, jetzt zeigt Google wieder andersrum!“ Das GPS Signal funktioniert hier nicht wirklich. „Fuck, das ist doch zum Kotzen!“ Jutta hat gar keinen Spaß mehr und ich verliere auch die Lust, wenn Jutta dermaßen abgenervt ist. Was machen wir jetzt, mitten im Nirgendwo?Weder der Salzsee in Sicht, noch der Stellplatz für die Nacht.

„Guck mal, da hinten ein Trecker, da fahren wir hin und fragen mal!“ „Merhaba!“, begrüßen wir den Bauern und versuchen zu fragen, wo es denn zum Salzsee geht. Er versucht seine Tochter anzurufen, die spricht englisch, hören wir raus. Aber seine Tochter hebt nicht ab. Nach drei fehlgeschlagenen Versuchen bedanken wir uns vielfach und fahren weiter. Dann kommt ein kleiner weißer Wagen mit getönten Fenstern hinter mir her. Er scheint mich überholen zu wollen und ich denke nur: „Warum will er das?“ Ich bin hier auf diesem Terrain der deutlich Schnellere mit meinem Fahrzeug, lasse ihn aber vorbei. Er bremst mich aus und hält mitten auf der Spur. Na gut, mal sehen was er zu sagen hat und was er will. Es ist ein junger Mann und er bietet sehr höflich seine Hilfe an. Was denn unser Problem sei, will er wissen und da er kein Wort Englisch oder Deutsch versteht, übersetzt er mit seinem Handy. Wir teilen ihm mit, dass wir zum Tuz Gölü wollen. „Oh, das ist sehr weit weg!“, sagt er. Aber er könne uns dort hinbringen. „Nein Danke!“, sage ich ihm. „Wir fahren jetzt zu unserem Nachtlager. “ Er drängt sich etwas zu sehr auf für unser Gefühl und wir sagen erneut: „Nein danke!“ Dann fahre ich einfach an seinem im Weg abgestelltem Auto vorbei, da mir die Spur daneben nicht schwierig erscheint. Nach einer weiteren halben Stunde etwa kommen wir von dem ausgetrocknetem Stück Land runter, erreichen wieder so etwas wie eine Straße und Jutta hat null Bock mehr auf Offroad fahren. Sie bot an, mich auf ein Camp zu lotsen, an einer Karavanserei in Sultanhani. Das sei nur eine Stunde von hier entfernt. „Na gut!“, erkläre ich mich bereit. Bevor wir jetzt stundenlang nach dem Salzsee oder dem Stellplatz suchen. Jutta war glücklich, dass es endlich in eine Richtung ging, die auch Google wieder korrekt anzeigte und ich war glücklich, weil Jutta glücklich war.

Da überholte mich plötzlich ein weißer Kleinwagen mit getönten Fenstern. Er hielt den linken Arm aus dem Fenster und winkte auf und ab. Er drängte mich zum Anhalten und wurde immer langsamer. Noch ahnte ich nichts Böses. Er nötigte mich zum Halten, indem er schließlich zum Stehen kam. Ok, vielleicht hat der da ja Probleme und braucht Hilfe. Ach, guck mal an, das ist doch der Typ von vorhin. Er kommt zu mir ans Fenster.

Ich habe es bereits heruntergelassen und er erzählt mir sofort irgendetwas auf türkisch, von dem ich kein Wort verstehe. Der Ton ist deutlich schärfer als vorhin, als wir noch in der Ödnis unterwegs waren. Er labert auf mich ein, hält immer wieder alle zehn Finger in die Luft, als will er mir damit was sagen. Langsam dämmert es mir, die Arschgeige will Kohle haben. Vorhin scheißfreundlich, will mich noch hin bringen, wo ich auch immer hin möchte. Doch obwohl ich nicht wollte, kann man es jetzt ja trotzdem mal versuchen. Er deutet mir an kurz zu Warten, geht zu seinem Auto, da ihm mittlerweile wohl erneut aufgegangen ist: “ Die verstehen auch nach einer weiteren halben Stunde in der Türkei noch kein Türkisch!“ Also Handy hergeholt um damit zu übersetzen.

Was ich dann zu lesen bekam hat mich echt sauer gemacht. Dieser verdammte Vollidiot hat mir Folgendes versucht mitzuteilen: „I’m a watchman, you have to pay 100 $!“ Ich dachte mir nur: „Du Idiot, du kannst mich mal am Arsch lecken!“ Ich sagte sowas wie „fuck off“ und lenkte nach links, drückte den Möchtegernwatchman beiseite und fuhr an seinem weißen Kleinwagen mit den getönten Fensterscheiben vorbei. „Dieses blöde Arschloch!“, schimpfte ich so vor mich hin, „wollte 100 $ für nichts! Hat nichts geleistet und will Kohle von mir haben!“ Ich war echt stinksauer. Hätte er mich zum Tuz Gölü gebracht, dann hätte er was erwarten dürfen. Aber auch dann wäre es schlauer von ihm gewesen zu sagen, was er für diesen Dienst verlangt. Auf solche Maschen reagiere ich äußerst allergisch, das kann ich nicht ab.

Zum Glück hatte ich instinktiv genug Platz zwischen unseren beiden Autos gelassen, so dass ich direkt, ohne zurücksetzen zu müssen, los fahren konnte. So hatte ich es in Afrika gelernt: Auch an Ampelkreuzungen immer genügend Platz zum Vordermann lassen und Türen verschlossen halten, dann kann man notfalls links oder rechts einfach ausbrechen und abhauen, bei einem möglichen Carjacking.

Aus Afrika kenne ich auch Situationen wie diese. Da kommt jemand auf mich zu, wenn ich z. B. beim Einkaufen bin. „Hey!“, ruft er dir zu „Ich bin dein Gärtner, ich pflege den Garten in deinem Hotel. Ich heirate übermorgen und meine Frau ist schwanger. Kannst du mir nicht etwas helfen? Ich brauch nur noch ein bisschen Geld um dies oder das zu bezahlen!“ Und ich frage: „In welchem Hotel wohne ich denn? In welchem Hotel arbeitest du denn als Gärtner?“ Dann sehe ich in große Augen, in Augen, die keine Antwort liefern können und fühle mich scheiße. Ich fühle mich schlecht deswegen und frage mich: „Bin ich jetzt der Arsch?“ „Ja, ich habe mehr Geld als du, aber gibt es dir das Recht mich zu belügen, mir eine abstruse Geschichte zu erzählen, um an mein Geld zu kommen?“ Ich weiß auch auf diese Frage keine Antwort, mal gebe ich etwas und manchmal auch nicht. Sometimes you win, sometimes you loose. Das Leben ist ungerecht und ich bin nur ein Mensch, der versucht das Richtige zu tun.

Reingefallen bin ich auch mit dem „Milchpulvertrick“. Das war in Kathmandu/Nepal oder war es in Vientiane/Laos? Ich bin nicht sicher, in einer der beiden Städte war es auf jeden Fall. Vermutlich gibt es diese Masche weltweit. Das läuft dann so ab: Man wird beim Einkaufen von einer jungen Mutter mit ihrem Baby im Arm mit hilfesuchenden, großen Augen angefleht, für das Baby eine Packung Milchpulver zu kaufen. Denn sie könne es sich nicht leisten und das Baby habe Hunger. Ich fand, das Pulver war auch ganz schön teuer im Vergleich zu den anderen Waren im Laden. Dennoch kaufte ich ihr den gewünschten Artikel, damit ihr Baby nicht hungern muss und ich gut schlafen kann. Erst Jahre später habe ich erfahren, dass dies eine ganz beliebte und vermutlich auch erfolgreiche Masche ist. Denn wer lässt schon eine hilfesuchende Mutter mit ihrem Baby hungernd zurück? Was sich danach dann abspielt ist Folgendes: Die Mutter gibt dem Ladenbesitzer das Pulver zurück, der stellt es wieder ins Regal und das von mir bezahlte Geld wird aufgeteilt zwischen Ladenbesitzer und Mutter.

Lemmy und wir stehen safe….und gerade 😉

Nach dieser unangenehmen Begegnung waren wir sehr zufrieden, als wir in Sultanhani bei Kervansarey Camping ankamen. Die Karawanserei von Sultanhani, schräg gegenüber von unserem Stellplatz, sollte eine der größten und schönsten Karawansereien in ganz Anatolien sein, lasen wir in unserem dicken Reiseführer. Aber während fast der gesamten Fahrt, eine ganze Stunde lang, ärgerten wir uns über diese Begegnung, die uns da gerade widerfahren war. Ich schimpfte vor mich hin mit Worten, die ich hier nicht wiederholen möchte. Jutta gab zu bedenken: „Was, wenn der uns jetzt folgt?“ „Lass ihn doch folgen, was will er denn machen? Nochmal hält der mich nicht an!“ ,schimpfte ich weiter. Er folgte uns nicht.

Überaus freundlich wurden wir empfangen, an dieser alten Seidenstraßenroute neben der berühmten Karawanserei, an der damals die Händler mit ihren Kamelen ankamen, Quartier fanden und sich erholten, um dann anschließend ihr Ware anzubieten. Ich parke LEMMY hinten im Garten bei unserem Gastgeber, neben einem Neuseeländer, der schon fünf Tage hier ist, erfuhr ich gleich, während Jutta beim Einchecken die Formalitäten erledigt.

LEMMY steht seit einer geraumen Weile, aber Jutta kommt gar nicht zurück vom Einchecken. Mal sehen was da so lange dauert. Es gibt Tee und ein Plausch wird gehalten. Das Gästebuch wird uns präsentiert und Jutta fragt, ob sie denn was reinschreiben soll? Ja, aber erst morgen, noch kennst du mich ja gar nicht. Er spricht ganz passabel Englisch. Ich frage mich, inwieweit sie ihn denn morgen besser kennt, wenn wir nach Besichtigung der großen Karawanserei sofort weiter fahren nach Kappadokien, behalte es aber für mich. Eins ist sicher, der Typ flirtet gerne. Glücklich über dieses versöhnliche Ende des Tages und die gebotene Gastfreundschaft ziehen wir uns zurück.

Die Karawanserei von 1229 ist wirklich beeindruckend. Wir besichtigen die alten Stallungen. Die kleine Moschee, getragen von vier Säulen, inmitten des Hofes ist für Besucher leider geschlossen. Links und rechts die Küche, das Bad, die Quartiere der Händler und die alten Verkaufsräume. Die werden auch heute noch genutzt für wundervoll lackierte Töpferware und so Allerlei. Am faszinierendsten aber ist der Raum mit seinem 32 Säulen, der von der Grundfläche genauso groß ist, wie der offene Hof davor.

Perfekt in Szene gesetzt

Er wurde früher als Stallung genutzt. Betreten wird er durch ein prachtvolles, mit Ornamenten geschmücktem Portal. Im Portal hängt ein riesiger Perlenvorhang, der Innen von Außen trennt. Der Säulenraum erstrahlt in einem perfektem Licht, mit im Boden eingelassenen Lampen um jede der 32 Säulen herum. Der Blick durch den Perlenvorhang lässt mich kaum noch los. Ich kann mich nicht entscheiden welche Ansicht die Schönere ist, von Innen nach Außen oder umgekehrt. Ich werde die Entscheidung später fällen beim Begutachten der Fotos. Das wird allerdings erst in Kappadokien sein.

Welcher Blinkwinkel…
gefällt dir besser?

Eins mussten wir aber noch nachholen, bevor es weiter geht in Richtung Kaya Camp und zwar den Tuz Gölü, diesen Salzsee, den wir gestern nicht gefunden haben. Abends hatten wir beide noch (unabhängig voneinander) nach einem Einstiegspunkt recherchiert und wurden fündig. Es dauerte wieder ca. eine Stunde, etwas mehr vielleicht, bis wir dort waren. Zuvor gab es natürlich noch Chay von unserem flirtenden Gastgeber zum Abschied, ein gemeinsames Foto vor LEMMY und Jutta schrieb etwas in das Gästebuch. Auf Instagram sind wir nun auch befreundet seit dem Besuch des Kervansaray Camps.

„Da kommt gleich der Einstiegspunkt, du musst zusehen, das du links rüber kommst!“ „Ja gut, beim nächsten U-Turn drehe ich um.“ Diese Schnellstraße ist in jeder Richtung zweispurig und in der Mitte ist eine Leitplanke, aber immer wieder gibt es Möglichkeiten die Richtung zu wechseln. Die Zufahrt ist nicht ganz ohne, denn es geht eine schmale, relativ steile Abfahrt runter zum Tuz Gölü. Die Trucks donnern ganz schön schnell an einem vorbei, während man hochkonzentriert darauf schaut, nicht zu weit nach links oder rechts zu geraten, denn dann könnte man umkippen. Es klappt gut und wir erreichen unser Ziel.

Gott sei Dank nicht unsere Spur!

Ich befahre zum ersten mal solch ein Terrain und bevor ich mich weiter auf die Salzfläche wage, schalte ich den Allradantrieb ein. Jetzt will ich mal eine Runde drehen und entdecke die ersten drei festgefahrenen Fahrzeuge. Ein Kleinwagen mit Anhänger, dort steht niemand mehr beim Fahrzeug. Dann ein weißer Kleinbus, der erstmal entladen wird und noch ein weißer Kleinwagen, der gerade dabei ist sich selber zu befreien. Das alles sehe ich im Bruchteil einer Sekunde und merke sofort, während ich meinen Kreis fahre, wie LEMMY immer langsamer wird, droht stehen zu bleiben. Runterschalten in den ersten Gang und das Gaspedal ordentlich treten, dann nimmt er wieder etwas Fahrt auf und ich fahre weiter an den offensichtlich festeren Rand des vertrockneten Sees. Wow, das war spannend für mich, sorgt aber bald für einen kleinen Klinsch mit Jutta.

Ich parke LEMMY erstmal und dann realisieren wir die ganzen Männer in schwarzen Anzügen. Die Damen haben auch alle schicke Abendgarderobe an mit weißen Blusen. Jetzt entdecken wir auch die Kameras, die großen Instrumentenkoffer, das Catering und die Teestation. Hier wird heute ein Musikvideo entstehen und die meisten Leute hier gehören zum Filmteam oder zur Band mit kleinem Orchester. Ich spreche einen der Schwarzgekleideten an. Von ihm erfahren wir, dass ein Video gedreht wird, er selber spiele Cello. Die festgefahrenen Fahrzeuge gehören alle zum Team. Es sind sogar vier, einer der Transporter hatte sich richtig weit vorgearbeitet. Der Cellospieler spricht fließend deutsch stellt sich schnell heraus. Noch denkt er, dass es in etwa einer halben Stunde losgeht mit dem Dreh. (Da hatte er sich aber gewaltig verschätzt.)

ohne Worte

Wir wollen erstmal Fotos machen, denn wann ist man schon auf einem fast ausgetrockneten Salzsee? „Wir müssen denen aber gleich helfen!“, sage ich zu Jutta. „Auf keinen Fall ziehst du die da raus. Da fährst du dich bloß selber fest!“ „Ach was, ich habe doch das neue kinetische Abschleppseil, 9 m lang. Das wäre doch eine super Gelegenheit es mal auszuprobieren. “ Wir wandern weiter auf den See, machen tolle Bilder und lassen das Thema kurz beiseite. Die kristallisierende Oberfläche schimmert leicht rosa. Schaut man etwas in die Ferne, fängt alles an zu flimmern. Die Berge am Horizont sind wie Luftspiegelungen, wie eine Fata Morgana. Die links beginnende Bergkette endet rechts im Nichts, als schaue ich durch die Berge hindurch. Sie werden zum Teil unsichtbar wie Glas. Ich weiß, der Berg ist da, neben dem Anderen, nur sehen kann ich ihn nicht. Wir springen in die Luft und machen ganz passable Schnappschüsse, machen Nahaufnahmen, schwarzweiß Fotos und experimentieren etwas.

Grandios hier

Dann drehen wir langsam um und ich manövriere uns zu dem weißen Kleinwagen. Dort versucht jetzt eine Handvoll Leute das Auto aus seiner misslichen Lage zu befreien, indem sie schieben, während der Fahrer mit durchdrehenden Rädern das Fahrzeug immer weiter eingräbt. „Du ziehst den da nicht raus!“, sagt Jutta energisch zu mir. „Ich habe keinen Bock, dass wir uns dann selber fest fahren.“ „Gut, dann holen wir aber jetzt mal unsere Sandbleche und die Schaufel. “ Damit ist sie einverstanden. Also erstmal die Fahrräder vom Träger runter, damit wir an die dahinter festgezurrten Sandbleche kommen. Mit unserem Bergeequipment geht es wieder zurück zum verzweifelten Fahrer. Die Beteiligten sehen uns kommen und freuen sich über die angebote Hilfe. Ich reiche einem die Schaufel und einem anderen die Sandbleche. Was sie damit machen ist leider nicht wirklich hilfreich. Sie graben nicht tief genug, mittlerweile liegt die Achse auf und die Reifen sind weit im lehmigen Boden, zäh wie Kaugummi, unter der Salzkruste eingegraben.

So wird das leider nix

Ich möchte nicht belehrend auftreten und ihnen erklären, dass sie viel tiefer graben müssen, damit man die Bleche nicht nur vor die Reifen legen kann, sondern ein Stück weit drunter. Ich weiß natürlich auch, wie saumäßig anstrengend das ist und das man dabei ordentlich dreckig wird. Was ich noch nicht weiß ist, dass es auch ein Heidengeschäft für mich wird, die Scheißdinger wieder sauber zu bekommen. Denn der Lehmboden unter der Salzkruste ist wie Klebstoff. Nach 4-5 halbherzigen Versuchen geben sie auf. Sie bedanken sich vielmals und der erste von der Truppe kommt schon auf den Gedanken, dass ich doch auch versuchen könnte den Wagen rauszuziehen. Ein Seil hätten sie sogar. Denn inzwischen haben sie erkannt, dass der Allradcamper da hinten, mit Mr. Kilmister zwischen den beiden Alkovenfenstern, mir gehört. Der Cellospieler ist auch neugierig geworden, was wir Deutschen denn da jetzt anfangen, bei dieser Bergeaktion. Er vermittelt sogar, da er mitbekommen hat, wie Jutta und ich diskutiert haben und Jutta so gar nicht einverstanden ist einen Versuch zu wagen.

Ich probiere es ein letztes Mal und argumentiere: Das Seil ist 9 Meter lang, es ist kinetisch, d. h. es dehnt sich aus bis zu einem gewissen Punkt, dann setzt die Zugkraft ein. Ich kann also etwa 8 m weit von dem zu bergenden Fahrzeug weg sein. Dort wo der Untergrund noch fester ist und dann kann ich ohne Zuglast los fahren mit der Untersetzung drin. Das klappt, da bin ich ganz sicher. Sie legt ihr Veto ein und da wir ja auch heute noch weiter fahren wollen, gebe ich klein bei. Ich war sehr unglücklich über diesen Umstand, dass ich nicht helfen konnte/durfte, obwohl ich sehr sicher war, drei von den vier Fahrzeugen hätte ich bergen können.

Der macht das hier wohl öfter

Der Cellospieler erklärt unsere (obwohl eher Juttas) Bedenken den anderen Beteiligten und meint, wir hätten eh schon genug getan mit den Sandblechen und der Schaufel. Es gäbe außerdem einen Trecker der zum Helfen kommen könnte, doch der wolle wohl etwas zu viel Geld als Aufwandsentschädigung haben. Wir verabschieden uns und ich bekomme die Zusage, den Link des fertigen Videos geschickt zu bekommen. Jetzt will ich aber wenigstens noch eine Runde drehen und Jutta soll mit dem Handy filmen. Das mochte sie mir nun nicht auch noch verweigern, so dass wenigstens noch ein brauchbares Video zustande kommt. „Ich fahre eine 8!“, rufe ich ihr noch zu, dann setze ich mich ins Auto und fahre los.

Ich wusste jetzt ja wie es sich anfühlt auf einer brechenden Salzkruste zu fahren. Wieder merke ich sofort als ich in den 2. Gang schalte, dass hat gar keinen Sinn, runter in den ersten Gang und Gas geben. So fahre ich meine 8 und noch ein wenig mehr, dann lade ich Jutta wieder ein. Gefilmt hatte sie nur einen Bruchteil davon. Meine Stimmung war trotz einer wahnsinnigen Kulisse, trotz geiler Fotos und einer versuchten, aber gescheiterten Bergungsaktion im Keller.

Zum Kaya Camp schaffen wir es heute auch nicht mehr, da die ganze Tuz Gölü Geschichte viel zu lange gedauert hat. Jetzt müssen wir während der Fahrt mal sehen, wo wir die nächste Nacht stehen können. Im Grunde hatten wir einen tollen Tag, morgens die prachtvolle Sulthanhani Karawanserei, nachmittags den Tuz Gölü mit seinen großartigen Farb- und Lichtspiegelungen. Aber ich war echt abgenervt. Gestern der blöde Vollidiot der 100 Doller für nichts von mir haben will, heute darf ich die Autos nicht aus dem Schlick ziehen.

„Den Videodreh hätte ich übrigens auch gerne gesehen!“, setzte ich noch mal einen kleinen Dolchstoß. Wir fuhren schweigend weiter.

und was als Nächstes geschieht….

TURKEY – CHAPTER III

….und wie wir plötzlich einen ganzen Haufen anderer Overlander treffen und am Lagerfeuer das Ende der Welt erörtern…

Chapter 7 – Türkei

…und wie ich dem Schuhputzer von Istanbul den Stinkefinger zeige…

„Wie soll ich nur beginnen?“, frage ich mich, während ich die Tage bei 25 Grad und Sonne in Anamur direkt am Strand sitze, als einziger Camper. Wie fange ich an über Istanbul zu berichten, der wunderbaren Stadt, der Einzigartigen, der Weltmetropole, die auf zwei Kontinenten liegt? Georgien haben wir bereits hinter uns und sind zum zweiten Mal auf dieser Reise in die Türkei eingereist. Istanbul hatten wir bereits zuvor einmal besucht, allerdings per Flugzeug.

Heute (16. November) hatte ich ein Bad im Marmara Meer, eine Feuerstelle für ein abendliches Barbecue hergerichtet und nun sitze ich im Camper an meinem Blog und versuche einige Wochen zurückzublicken und in Istanbul anzukommen. Ich muss irgendwie die Kurve kriegen, was mir nicht leicht fällt. Mir gegenüber sitzt Jutta und liest ein Buch und eine kleine Katze, vielleicht 6 Monate alt, liegt in unserem Bett und kuschelt sich so richtig ein. Sie scheint die Reinkarnation unserer verstorbenen Zoe zu sein und Jutta würde sie am liebsten mitnehmen.

Sie folgt uns seit wir hier sind auf Schritt und Tritt, was auch daran liegen könnte, dass Jutta sie füttert und sie eine Menge Streicheleinheiten bekommt. Seit zwei Tagen geht sie ein und aus in unserem Camper, wenn die Tür auf ist. Ist die Tür verschlossen, dann maunzt sie morgens ab 8:30 Uhr vor der Tür. Sie hat das selbe Schildpattmuster wie unsere Zoe und auch in der anhänglichen Art ist sie ihr sehr ähnlich. Aber ich schweife ab, ich wollte über Istanbul berichten.

Das ich schon mal hier war erwähnte ich bereits. Immer schon wollte ich diese Metropole sehen, die die einzige Stadt der Welt ist, die auf zwei Kontinenten liegt, Europa und Asien. Das fasziniert mich, das lockt mich an. Da fällt mir ein wie überhaupt der erste Besuch dieses großartigen Schmelztiegels zustande kam. Das muss ich kurz erzählen. Vor etlichen Jahren wollten wir nach Kanada an die Ostküste fliegen, da wir Vancouver und die Westküste bereits kannten. So hatten wir also einen Flug nach Montreal gebucht. Es sollte mit Air France (Wir sammeln Meilen bei Air France und KLM über das Flying Blue Programm) von Bremen nach Amsterdam gehen. Von dort dann über Paris (Charles de Gaulle) nach Montreal.

Nun war es so, dass am Morgen der Abreise das Telefon klingelte, während ich mich gerade rasierte. „Ja, hallo?!“, sagte ich. „Herr Godt, KLM vom Flughafen Bremen hier, wir haben ein Attentat auf Sie vor.“ Ich erwiderte äußerst verwundert: „Ja ok, was denn?“ Die nette Dame vom Flughafen erklärte mir, dass der Flug von Bremen nach Amsterdam überbucht sei. Ob ich mich bereit erklären würde, statt über Amsterdam von Hannover nach Paris zu fliegen? „Ja, aber wie kommen wir denn nach Hannover jetzt so schnell?“, stammelte ich etwas aufgeregt. „Wir schicken Ihnen ein Taxi. Und für die Unannehmlichkeiten bekommen Sie jeweils einen Fluggutschein von 400 Euro.“ Ich sagte zu und fasse mal kurz zusammen, was es für uns bedeutete:

Wir flogen von Hannover nach Paris und dann nach Montreal. Da wir den Flug von Bremen nach Amsterdam einsparten, kamen wir 8 Stunden früher in Kanada an als ursprünglich geplant. Wir hatten also fast einen halben Tag in Montreal geschenkt bekommen, da wir mittags, statt abends ankamen und jeweils einen 400 Euro Fluggutschein für einen Flug nach Wahl. Davon, dass wir ewig auf das Taxi warten mussten. Davon, wieviel Nerven es uns gekostet hat, auf den letzten Drücker in Hannover am Flughafen anzukommen um unseren Flieger nach Nordamerika zu erreichen, reden wir mal lieber nicht. Aber als uns dieser rasende Taxifahrer doch noch rechtzeitig am Departure Gate abgesetzt hat und wir unseren Air France Flug nach Montreal gerade noch rechtzeitig erreichten, da war klar: Mit den Fluggutscheinen fliegen wir nach Istanbul.

Istanbul auf dem Landweg zu erreichen und dann noch über den Bosporus zu fahren, von Europa nach Asien, mit dem eigenen Fahrzeug, das war ein Traum von mir, der auf dieser Reise wahr werden sollte. Schon als wir mit dem Flugzeug von Amsterdam nach Istanbul geflogen sind und am Bosporus saßen beim Bier, mit Blick rüber nach Üsküdar, rüber auf die asiatische Seite, da war ich fasziniert. Jutta konnte es so gar nicht verstehen. Ja und? Da ist halt Asien und der Fluss ist dazwischen.

Und nun war ich auf dem Weg nach Istanbul und wir würden diese Stadt heute noch erreichen. Mit LEMMY, mit unserem Allradcamper, mit unserem Motorhome. Nur vorher gab es noch einige Probleme zu lösen. Für die Einreise in die Türkei benötigt man in Zeiten von Corona einen HES Code. Das hat Jutta online bereits erledigt. Das nächste ist eine Art Vignette für die gebührenpflichtigen Autobahnen und Brücken um Istanbul, genauer gesagt eine HGS Plakette. Die sollte laut ihrer Recherche an grenznahen Shelltankstellen oder an Postämtern (PTT) zu bekommen sein.

Der Grenzübergang lief ohne Probleme und zum Glück konnten wir an den ganzen wartenden LKW’s vorbei fahren, die viele Kilometer in der Warteschlange standen. Dann kam die erste türkische Shelltankstelle. Jutta ging rein und wurde an die nächste Shell in 5 km verwiesen. Sie kam auch in ca. 5 Kilometern, hatte aber auch keine HGS Plakette für uns. Wir möchten es doch an der nächsten Tankstelle probieren. So ging es noch ein paar Mal. Keine Tankstelle hatte diese Plakette.

Ein weiteres Problem war eine Simkarte für unseren Router zu bekommen. In Kesan parkte ich in zweiter Reihe kurz hinter einer Bushaltestelle und beobachtete das rege Treiben an diesem wuseligem Kreisverkehr in der ersten größeren Stadt nach der Grenze. Jutta versuchte ihr Glück bei Türkcell. Wir verabredeten, wenn ich weiter fahren muss (weil ich ja dort eigentlich nicht stehen durfte) dann fahre ich diese Straße hoch bis zur nächsten Haltemöglichkeit. Nach ca. 30 langen Minuten kam sie zurück. Sie lächelte etwas gequält, aber ich deutete es als Erfolg. Mit dem Googleübersetzer des Verkäufers wurde man sich handelseinig und kam zum Abschluss. Ob es funktionieren wird, werden wir erst später sehen, nach dem Einrichten des Routers.

Nach diversen vergeblichen Tankstellenstops hatte Jutta keinen Bock mehr und wollte zu einer Post fahren. Sie lotste mich durch eine andere etwas größere Stadt zu einer PTT Station und ich wartete wieder mal im Auto in zweiter Reihe. Es war mittlerweile kurz vor vier und damit kurz vor Ladenschluss. Aber dieses Mal sollte es erfolgreich sein und sie kam mit nach oben gerecktem Daumen und in der anderen Hand einem hochgehaltenem Zettel und der Plakette zurück zum Auto. Wieder war es mühsam mit der Verständigung, aber nach anfänglichen Schwierigkeiten ging es dann ganz gut. Den HGS Sticker ins Auto an die Windschutzscheibe geklebt, dann ging es endlich weiter Richtung Istanbul. Alle Problem waren gelöst. Auch den Router konnte Jutta später in Betrieb nehmen. Der Verkehr nahm zu, je näher wir Istanbul kamen. Die Autobahn war mittlerweile achtspurig und wir waren nicht mehr weit von Sulthanamet entfernt, von dem Platz, an dem wir die nächsten 5-6 Tage stehen werden.

Was mir hier besonders auffällt, unheimlich viele Zivilfahrzeuge fahren mit Blaulicht. Ich habe den Eindruck, die Leute kaufen sich die Blinklichter im Baumarkt, um schneller voran zu kommen. Nirgendwo sonst habe ich so viele zivile Fahrzeuge mit Blaulicht gesehen. Aber, da ich mich auf den recht chaotischen Verkehr konzentriere, denke ich nicht weiter drüber nach. Am Ende eines langen Fahrtages versuche ich immer besonders konzentriert zu sein, damit nicht auf den letzten Metern irgendein Scheiß passiert. „Nur noch 8 Kilometer bis zu unserem Parkplatz“, sagt Jutta. Yes, Istanbul wir sind da. Nach einer Extrarunde wegen einer verpassten Ausfahrt erreichen wir die finale Parkposition für die kommende Woche.

Endgültige Parkposition erreicht!

Wir stehen direkt am Marmarameer neben einem Park, auf einem bewachten Parkplatz. Vor uns die Einfahrt für die Tanker, die Container – und Frachtschiffe in den Bosporus und dann weiter in das schwarze Meer. Ein großer LKW steht auch hier, ein Dreiachser. Sie werden weiter fahren in den Iran und wir werden es auf Instagram verfolgen. Aber das ist erstmal alles völlig egal. Ich will nur eins, ein großes kaltes Bier! Wir sind angekommen in Istanbul.

Wir machen noch einen kleinen Rundgang und gehen etwas essen. Wir sind in Sulthanamet, auf der europäischen Seite. Wenn wir über die Schiffspassage schauen, dort wo die großen Tanker in den Bosporus fahren, dann blicken wir nach Asien. Da drüben links ist Üsküdar, rechts daneben ist Kadikoy. Wir sind hier in der Altstadt von Istanbul. Hier ist alles in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Die blaue Moschee, die Hagia Sophia, der Topkapi Palast, der große Basar und noch soviel mehr an touristischen Highlights. Aber vor allem noch viel mehr an Eindrücken, wenn man sich einfach treiben lässt. Weit müssen wir nicht laufen, um ein kleines nettes Restaurant zu finden in einer Seitengasse. Dort kehren wir ein und nehmen draußen vor dem Lokal platz . Müde und (bei dem bereits zweiten großen Bier nach diesem langen Reisetag) auch etwas angetrunken, aber überglücklich angekommen zu sein, genießen wir das türkische Essen in entspannter Atmosphäre. Bevor wir zurück im Auto todmüde in den Schlaf fallen.

Die Türkei ist sooo lecker!

23.09.2021 um ca. 2:50 Uhr Ortszeit schrecken wir hoch aus dem Schlaf, weil plötzlich neben uns ein Auto vorüberfährt mit extrem lauter Musik. Was ist denn jetzt los? Die Musik ist nicht mal gut, irgendein türkischer Pop/Techno Mix dröhnt durch die Nacht über diesen Parkplatz. Das ist hier wohl üblich so und wird uns die ganze Woche über begleiten. Manchmal wird es um 1:30 Uhr laut, manchmal erst um 3:20 Uhr. Ein Muster konnten wir nicht erkennen in dieser Woche. Ruhig war es nie. Zu jeder Nachtzeit konnte es plötzlich sehr laut werden. Wir gewöhnten uns daran und konnten damit leben. Wir fühlten uns nach einigen Tagen sogar richtig wohl hier. Wir lebten auf einem Parkplatz in Istanbul. Am Wochenende picknicken die Stadtbewohner im Park, grillen und tischen ordentlich auf. Leider lassen sie dabei auch ihren Müll zurück, worüber ich an anderer Stelle noch berichten werde. Wir lernen die Kleinbusfahrer kennen, die hier täglich parken und Tee trinken während sie auf Aufträge warten und im Park sitzen. Ich habe meine Tankstelle (ca. 400 m von hier) wo ich den Peetank täglich entleeren kann. Wir trinken unseren Kaffee im Park, wenn wir nicht unterwegs sind, beobachten die Riesentanker und es kehrt Routine ein in unser Stadtparkleben.

Parkplatz mit Aussicht

Dann plötzlich steht da ein Sprinter neben uns, der kommt uns bekannt vor. Dandovueltas ist das. Jose, der argentinische Globetrotter, der in Andorra lebt mit seiner Frau Celina und seinem Sohn Luca. Wir kennen uns bereits sehr flüchtig aus Albanien und dann von den Meteora- Klöstern. Und jetzt treffen wir uns zum dritten Mal unplanmäßig in Istanbul. Wir sehen uns hier auf diesem Parkplatz von nun an öfter während dieser Woche und haben nette Gespräche zwischendurch. Uns wird klar, die Welt ist klein und die Szene die wirklich reist, die lange reist, die ist groß. Und auch hier ist es nicht die letzte Begegnung mit Jose und seiner Familie.

Stadtimpressionen

Am nächsten Tag machen wir einen Fahrradausflug. Man kann hier in der Altstadt gut alles ablaufen, aber heute will ich über die Galatabrücke nach Beyoglu in das moderne Istanbul. Karakoy und Beyoglu sind die Ausgehviertel, die Szeneviertel der Stadt. Ich will bis zum Taksim Platz fahren. Immer schön am Wasser entlang, über die Galatabrücke, am Galataturm vorbei, bis es zu steil wird zum Fahrrad fahren. Ab jetzt wird geschoben, bis es wieder etwas weniger steil ist in der Iskidal Kadesi. Dort fährt diese schöne, alte Straßenbahn. Ähnlich der bekannten Straßenbahn in San Francisco, nur das die in Istanbul nicht an Seilen gezogen wird. Oben am Taksim Platz angekommen schauen wir mal auf der Map nach, ob wir die zuvor auf Google recherchierten Kneipen finden. Eine soll hier ganz in der Nähe sein, die ROCK’N ROLLA Bar.

Kunst im Rock’n Rolla

Wir finden sie wenige Augenblicke später und sind begeistert. Die Musik ist top, die Bedienung ist zum Knutschen (findet Jutta auch!) und das Bier ist kalt, local und lecker. Draußen sind alle Tische besetzt, also gehen wir rein. Innen prangt ein riesengroßes Bild von Lemmy Kilmister an der Wand, gut ausgeleuchtet. Er zeigt der Welt den Stinkefinger. Ich fühle mich auf Anhieb sauwohl und bestelle „Local Beer“. Für den kleinen Hunger gibt es etwas Fingerfood. Ungewöhnlich für die Türkei finden wir, aber die Kroketten hier sind sensationell. Mir gefallen die T-Shirt’s der Angestellten sehr und darum frage ich die kleine, sympathische Bedienung, ob man hier solche Shirts kaufen kann. Sie scheint mich nicht zu verstehen, geht an einen anderen Tisch und kommt mit einem Gast, den sie zu kennen scheint, zu mir zurück. Ich erzähle ihm, was mein Anliegen ist und er teilt es ihr mit. Sie sagt ihm wieder etwas, was er mir dann übersetzt. Das sei wohl alles nicht so einfach und ich kann leider kein Shirt bekommen. Naja, ist ja auch egal. Wir haben eine Stammkneipe in Istanbul. Solange wir in der Stadt sind, solange kommen wir hier auch her.

Rock`n Rolla can rescue the wörld

Mit der Istanbulkart geht das alles sehr einfach. Wir können damit Fähre fahren, Metro, alle Busse, Straßenbahn und womöglich noch mehr. Diese Karte haben wir uns auch gleich besorgt. Nur wussten wir nicht, dass wir den HES Code hätten eingeben müssen, um sie freizuschalten. Aber auch diese Hürde wurde genommen durch eine äußerst hilfsbereite Türkin an der Straßenbahnhaltestelle, an der wir trotz bezahlter Istanbul Kart nicht einsteigen konnten, weil eben diese nicht mit dem HES-Code freigeschaltet war. Sie erklärte uns was zu tun ist, zeigte uns auf ihrem Handy auf welcher Internetseite wir online die Karte mit unseren HES-Codes verbinden konnten.

Wir haben uns fast alle touristischen Highlights angesehen, aber darüber möchte ich hier nicht berichten. Sie haben alle ihre Faszination, mehr oder weniger. Jeder Istanbul Besucher wird sich darüber informieren und entscheiden, was er oder sie sehen will und das soll auch genau so sein. Den Topkapi Palast haben wir auch beim zweiten Besuch nicht gesehen, beim dritten Mal klappt es sicher. Alles Andere kann ich uneingeschränkt empfehlen. Besonders beeindruckend finde ich die 6-stündige Bootstour, die von dem städtischen Bosporosdampfer angeboten wird. Sie geht den ganzen Bosporus hoch bis zum schwarzen Meer.

Frühstück vor der Bootstour

Das möchte ich ausdrücklich erwähnen und jedem ans Herz legen zu machen. Mittlerweile gibt es sogar eine dritte Brücke über den Fluss, der Europa von Asien trennt, die Yavuz Sultan Selim Köprüsü Brücke. direkt vor der Mündung des Bosporus ins schwarze Meer. Der Anblick ist spektakulär. Von Kavagi, wo der Dampfer für zwei Stunden anlegt, kann man zur Festung auf den Berg wandern, eine Mittagspause in einem der netten Lokale machen, oder nur ein Eis essen und spazieren gehen. Oder man macht das Alles, da die zwei Stunden bis zum Ablegen des Dampfers ausreichend Zeit sind. Diese Tour ist günstig und ein absolutes „Must do“ in Istanbul.

Da ganz hinten ist das schwarze Meer!

Nach einer mal wieder unruhigen und lauten Nacht wollte ich gerne am Abend in die ROCK ‚N ROLLA Bar gehen. Also erst in den Bus, dann in die Metro und vom Taksim Platz noch ein paar Meter laufen. Da wir noch nicht gegessen hatten, wollten wir dies nachholen, aber heute nicht nur Fingerfood. „Hey!“, rief da einer zu uns rüber. „Heute nicht mit den Bikes unterwegs?“ Den Typen hatten wir gestern schon gesehen und er wollte uns in das Restaurant in der Nebenstraße des ROCK ‚N ROLLA locken. Gestern sagte ich zu ihm: „Maybe tomorrow“ (Das sage ich eigentlich immer, auch wenn ich es gar nicht vorhabe) Klingt höflicher als „No“. Wir gingen in das Restaurant und es war super. Wir saßen draußen auf der Terrasse und plauderten mit ihm, während wir auf das Essen warteten und er nach anderen potentiellen Gästen Ausschau hielt. Er empfahl uns nach Bodrum zu fahren und gab uns direkt eine Anlaufadresse mit. Ich dachte nicht zum ersten Mal seit wir in Istanbul sind, wie geil ist die Türkei und die gastfreundlichen Türken.

Nach dem Essen eben um die Ecke ins ROCK ‚N ROLLA. Draußen wieder alles voll, also rein in den Laden. Echt etwas abgefuckt diese Ecke von Beyoglu. Genauso wie ich es mag. Abseits der Designerläden, der Einkaufstempel, der stylischen Boutiquen und des ganzen Schickimicki. Hier laufen auch echte Typen rum, nicht nur die durchgestylten Werbegesichter. Das ist es, was ich damals schon liebte an Istanbul. Es ist eine weltoffene Metropole. Hier läuft die Punkerin in Minirock und High Heels neben der Muslima in Burka. Hier spaziert der Emo neben dem Yuppie durch die Straße und alles ist wunderbar. Niemand stört sich an dem Anderen. Und sollte es nicht genau so sein? Der Metalhead sitzt neben dem Banker in der Bar. So what? Das sind wieder die Momente die mir zu denken geben. Es könnte alles so einfach sein, wären wir Menschen nicht so begrenzt und eingeschränkt in unseren eingefahrenen Denkweisen.

Aber um darüber nachzudenken bin ich heute nicht hier, sondern um zu trinken und Musik zu hören. Und da kommt auch schon die nette, kleine Bedienung von gestern. Zwei Bier bestellen wir und freuen uns wieder hier zu sein, während ein geiler Song läuft. Ich komme nicht drauf, welcher Song das ist, deshalb shazaame ich ihn. Im WLAN sind wir längst angemeldet. Als die entzückende Bedienung mit den Bieren zurück ist hat sie noch was dabei. Sie stellt die Biere auf den Tisch, Lemmy schaut zu uns rüber und zeigt uns den Stinkefinger. Dann drückt sie mir ein kleines Päckchen in die Hand. Sie macht merkwürdige Gesten, ich deute es so, als solle ich es verstecken, als soll es niemand sehen, was sie mir gerade gibt. Ich mache es so, wie sie es mir andeutet und lasse es unter dem Tisch verschwinden, gebe es verdeckt Jutta rüber und sie packt es unauffällig in ihre Handtasche. Die Bedienung schenkt mir noch ein Lächeln und ein“ Psst“, verschwindet und widmet sich den anderen Gästen. Ich sage zu Jutta: „Ich glaube sie hat mir ein T-Shirt gegeben.“

So gingen die Tage dahin in dieser fantastischen Stadt, zwischen Europa und Asien. Wir kauften das erste Mal während unserer langen Reise Postkarten. Die wollten wir auch verschicken, aber nirgendwo gab es einen Briefkasten. Wir hielten Ausschau, aber weder rot noch blau oder gelb schien ein Briefkasten zu sein. Dann fragten wir mal nach. Die Antwort stimmte uns nicht gerade glücklich. Aufgrund der erhöhten Bomben- und Anschlagsgefahr gibt es kaum Briefkästen oder Mülleimer. Man muss alles direkt bei einer PTT-Stelle abgeben. Die musste natürlich offen haben, weil es auch davor keinen Briefkasten gab und das war für uns schon eine Herausforderung, aber eine lösbare.

Es ist ein T-Shirt, von der ROCK’N ROLLA Bar. Und es passt wie angegossen. Diese kleine Bardame hat mich mit dem Geschenk überglücklich gemacht. Meine Lieblingsbar in Istanbul war es ja eh schon, aber mit diesem Geschenk hat sich die Kneipe für immer in mein Herz gebrannt. Ich weiß sicher, ich werde auf dem Rückweg hier vorbeischauen. Dann wird es wohl kurz vor Weihnachten sein.

Einblicke in die kleinen Nebengassen….so oder so:

Istanbul, die großartige, die unbeschreibliche Stadt. Was soll ich noch darüber sagen? Besucht sie selber, erlebt sie, erfahrt sie, riecht sie und schmeckt sie. Sie ist unglaublich und unbeschreiblich. Manchmal ist sie scharf gewürzt, manchmal fad. Sie ist todschick und abgefuckt zugleich. Istanbul ist eine Hure und sie bietet jedem was er sucht. Sie ist das Tor nach Asien und wer über Land diesen Weg einschlägt, der kommt an dieser Metropole nicht vorbei.

Aber ich wollte ja noch erzählen, wie ich dem Schuhputzer von Istanbul den Stinkefinger zeige! Wir waren sehr viel unterwegs in dieser himmlischen Stadt. Wir sahen die Hagia Sophia, die blaue Moschee, den großen….ach ihr wisst schon.

…und als wir dann, an der Einmündung vom Marmarameer in den Bosporus, auf dem Weg waren zu unserem Parkplatz, zu unserem Zuhause, da passierte es. Und es geschah zum zweiten Mal. Das gleiche Spiel hatte ich Jahre zuvor erlebt auf der Galatabrücke, als ich das erste Mal in Istanbul war, in der betrügerischen Metropole. Nichts Böses ahnend gingen wir blauäugig, wie viele andere Touristen auch, über die Galatabrücke. Wir wollten auf den Galata Turm, um die schöne Aussicht zu genießen und dann passierte es…..ein Schuhputzer lief vor mir her und verlor seine Bürste. Wie jeder anständige Mensch dachte ich sofort: “ Oh je, sein Handwerkszeug, wie soll er ohne seine Bürste Geld verdienen?“ Es war mein Reflex seine Bürste aufzuheben und ihm zu geben. Sein Reflex war, mir in der gleichen Sekunde seine Schuhputzerschmiere auf meine Latschen zu klatschen und mir die Schuhe zu polieren. Wir beide wussten, ich war auf seinen Trick reingefallen…, doch da ich reiseerprobt war, versicherte ich ihm sofort: „I don’t pay you!“Erstaunlicherweise brachte ich es dann doch nicht fertig ihm nichts zu geben, nachdem er mir die Schuhe dermaßen ordentlich und schön geputzt hatte.

Wir waren auf dem Heimweg, so kann man wohl sagen, wenn man in Istanbul auf einem Parkplatz wohnt. Es war etwas regnerisch die letzten Tage, deshalb ging ich auf der Mauer links vom Gehweg, denn dort waren dauernd Pfützen. Jutta ging auf dem Weg und machte einen Bogen um die Pfützen. Dann sah sie ihn kommen, lange bevor ich wusste, was auf mich zukam. „Da kommt ein Schuhputzer.“, flüstert sie mir zu. Ich hörte sie nicht. Ich erfreute mich am schönen Wetter, denn die Sonne schien wieder, es war ein herrlich warmer Tag im Spätsommer und wir sind auf Reisen in einer der faszinierendsten Metropolen der Welt. „Achtung, ein Schuhputzer!“, ruft sie mir rüber, ich höre es nicht. Dann passiert es wieder, das Gleiche wie Jahre zuvor auf der Galatabrücke. Er lässt seine Bürste fallen, dermaßen geschickt, dass sie genau auf dem Mauer-vorsprung vor mir liegen bleibt und …, ich gehe vorbei. Ich hebe sie nicht auf und trage sie ihm nicht hinterher. Er selber hebt sie auf, dankt mir und kommt auf mich zu. Ich weiß was er will und komme ihm zuvor. Ich erhebe meinen Zeigefinger, bewege ihn von links nach rechts und lächle ihn an. Er begreift, dass er mich nicht mit diesem Trick abzocken kann. Und ich zeige ihm nur in meinen Gedanken den Stinkefinger, so wie Lemmy im ROCK ‚N ROLLA der Welt den Stinkefinger zeigt. Denn alles andere wäre ja sehr unhöflich.

….und was als nächstes geschieht….

Turkey – Chapter II

…und wie ein selbsternannter Watchman versucht mich um 100 $ zu erleichtern…

Chapter 6 – Griechenland

…und warum mir das Orakel von Delphi die Zukunft verrät…

Die Fährüberfahrt zurück nach Piräus verlief genauso angenehm wie auf dem Hinweg vor 10 Tagen. Es war etwas Wind angesagt, deswegen war Jutta vorher etwas unruhig. Aber bis auf ca. 30 Minuten Verspätung und ein wenig Wellengang war alles optimal. Runter von der Blue Star Ferry und durch das Verkehrsgewusel in Piräus raus aus der Stadt. LEMMY noch kurz voll getankt und ab auf die Straße nach Delphi.

Es wird ein langer Tag werden, denn die Fährpassage dauerte 5 1/2 Stunden und die anschließende Autofahrt ca. 3 Stunden ohne Pause. Also ein voller Arbeitstag. Aber das ist eine Arbeit die mir Spaß macht. Auto fahren und tolle Landschaft gucken, Schiff fahren und lesen oder Sudokus lösen. Unser Ziel ist der Delphi Campingplatz, der soll super sein und nicht weit entfernt von der weltbekannten Ausgrabungsstätte.

Wir fahren keine Mautstraßen mehr, kommen aber trotzdem sehr gut voran. Die Straßen sind erwartungsgemäß hervorragend, die Landschaft immer noch beeindruckend. Wir wollen, da wir gut im Zeitplan sind, eine kurze Lunchpause machen. Das da sieht so aus, als könne man da gut halten. Ein schmaler Schotterstreifen neben der Straße, eine wackelige Bank mit Tisch und im Hintergrund steht eine Schaufensterfigur und überblickt die Szenerie.

Kunst am Picknickplatz

Ich trinke eine kalte Limo und Jutta zaubert was Leckeres zu essen. Wir haben noch Reste von gestern Abend, von Manoli. Das muss nur schnell in der Pfanne aufgewärmt werden. Ein Streuner legt sich zu mir an die Bank und nach dem schnellen Lunch geht es auch schon weiter. Bis auf eine alte, verlassene Tankstelle, wo natürlich ein paar „Lost Places“ Fotos geschossen werden, sehen wir nur grandiose Natur und Berge und hier und da ein paar verschlafene Dörfer. Dann sind wir schon fast da und durchqueren den schönen Ort Arachova. Dort sieht man auch noch einige Touristen, volle Restaurants und Bars und diverse Boutiquen und Hotels. Aber wir wollen zum Delphi Camping. Nach ein paar Kilometern und schönen Kurven sehen wir den Wegweiser.

Die Schranke ist unten, Jutta geht zur Rezeption und ich warte bei LEMMY. Die Schranke öffnet sich und ich werde vom niederländischen Betreiber rein gewunken. Zu Fuß suchen wir einen geeigneten Stellplatz und das ist gar nicht so einfach, denn es gibt mehrere Möglichkeiten. Hier in der Nähe vom Pool? Oder da runter, da ist weniger los als hier oben. Die Aussicht ist von überall fantastisch. Man steht hier direkt an der Bergabbruchkante, vor dem Runterfallen durch einen Holzzaun geschützt. Mit einem Blick bis über die Bucht von Korinth. Und das alles mehr oder weniger beschattet von Pinien. Auch einige Offroader sehen wir. Die Sonne geht schon unter und dann finden wir den einen Platz, der soll es sein.

Aussicht – unbezahlbar!

Zwischen einem Wohnmobil und einem Auto mit einem aufgebautem Zelt. Der Blick ist unbeschreiblich und in wenigen Tagen schreibe ich hier, am besten und schönsten Schreibtisch der Welt, mit Blick auf die Bucht von Korinth, ALBANIEN Chapter I. Nach einem oder zwei kalten Bieren aus dem Kühlschrank und dieser wahnsinnigen Aussicht gehen wir glücklich und erschöpft zu Bett.

Natürlich hatte ich längst meinen traumhaften Standpunkt via Facebook und Instagram mitgeteilt. Prompt kam von meiner Freundin Maddi die Frage, ob ich denn das Orakel befragt hätte, was der morgige Tag bringt. Noch nicht, schreibe ich ihr zurück, wir waren ja noch gar nicht dort. Aber ich werde das Orakle von Delphi befragen, wenn du es wünscht.

Wir machen ein kleines Müslifrühstück, etwas Saft und jeder seine zwei Becher Kaffee. Dann wollen wir die Wanderung zur Ancient City machen. Man könne auch den Bus nehmen, aber wir wollen wandern. Eine gute Stunde ca. soll es dauern bis zur Sehenswürdigkeit. Bei uns dauerte es länger.

Nicht weil wir zu langsam waren, sondern weil wir während unseres Aufstiegs, erst entlang an einem schönen Kanal, dann auf einem breiten, steinigen Pfad, umgeben von goldgelbem, trockenem Gras und vereinzelten Bäumen, plötzlich Jemandem begegneten. Der Weg war bereits steiler und weniger breit geworden, da kamen uns Sandra und Lars entgegen. Ihr seit doch die mit dem Offroadcamper, oder? Wir stehen drei Plätze weiter neben euch. Ja genau, die sind wir. Wir plaudern etwas, hören, dass uns noch ein ganz gutes Stück bergauf bevorsteht, nicht nur bis zur historischen Stätte, sondern auch dort noch, wenn wir bis zum Stadion hoch wollen. Na klar, wollen wir! Lars, unser Schwager, hat gesagt, da ist die Aussicht umwerfend. Wir verabreden uns für den späten Nachmittag auf ein Bier und eine LEMMY Besichtigung. Dann gehen wir weiter bergauf. Sandra und Lars machen sich an den Abstieg zurück zum Camp. Etwas ausgepowert kommen wir im Ort an, jetzt noch ein kleines Stück an der Straße entlang. Zum Glück nicht mehr so steil hoch und dann sehen wir schon den Eingang und den Ticketschalter. Ich habe schon ein Lokal für den Rückweg ausgespäht, für eine kleine Stärkung und ein großes Bier. Bestimmt werden wir durstig sein, wenn wir Delphi besichtigt haben. Maske auf, in „Line“ anstellen und Tickets kaufen. Eine Karte mit den eingezeichneten Bauwerken gibt es auch dazu. Es ist verhältnismäßig wenig los, ich kann fotografieren ohne andere Leute im Bild zu haben. Das ist fantastisch. Schnell sind wir fasziniert von den alten Ruinen.

Da das Theater, dort der große Tempel. Viel ist nicht mehr übrig von den Bauwerken, doch in der Fantasie erwacht alles zum Leben und ich stelle mir vor wie es wohl war damals, in dieser Zeit zu leben. Beschwerlich wird es gewesen sein, wenn ich an all den Luxus denke, den wir heute haben.

Ich erinnere mich an Prof. Prof. Dr. Dr. Dr. Lederer an der FH Rosenheim, wo ich das Vergnügen hatte 3 Blöcke von jeweils vier Wochen in Architekturstilkunde und anderen theaterrelevanten Themen unterrichtet zu werden. War dies dort gerade eine dorische Säule? Das die Römer aber den Rundbogen und das Kuppeldach entwickelt haben und damit viel größere und beeindruckendere Gebäude bewerkstelligen konnten als alle Anderen, das wusste ich noch. Aber wo zum Teufel ist das Orakel von Delphi?

Wir sind schon fast oben beim Stadion und ich möchte schon jemanden fragen, aber Jutta ist das immer peinlich und darum lasse ich es mal lieber. Eine Zeitmaschine wäre toll, denke ich bei mir. Dann würde ich mir direkt mal anschauen, wie es da wohl zu ging, 800 vor Christi. Wir erreichen das Stadion und der Ausblick ist ganz schön, nicht so berauschend wie ich erwartet hatte, aber auf jeden Fall Zeit für eine kurze Pause und ein Blick auf die Karte.

Eigentlich doch ganz beeindruckend, oder?

Wo ist das verdammte Orakel? Ich gehe nicht hier weg ohne das Orakel gesehen zu haben. Karten sind Juttas Ding, also sucht sie danach. Finden wird sie es nicht. Das steht hier nicht mit drauf. Aber die Frau an der Kasse hat doch gesagt, weiter unten an der Straße kann man auch noch was sehen. Dafür braucht man gar kein Ticket. Ach ja, stimmt. Dann nix wie los. Wir verlassen die kostenpflichtige Kultstätte und gehen die Straße entlang, die wir zuvor mit LEMMY zum Campingplatz entlang gefahren sind. Da habe ich aus dem Auto auf dem Hinweg schon was gesehen, fällt mir ein. War das evtl. das Orakel? Nur ein paar Fußminuten und wir sind an einem Wegweiser, der nach unten weist. Kein Mensch hier, kann das stimmen? Es ist später Nachmittag, die Touristen sind fast alle durch. Wir gehen abwärts. Erst eine Treppe, dann ein Weg, der sich serpentinenartig schlängelt. Und dann ist es da, das Orakel von Delphi. Es sieht beeindruckend aus in dieser Bergkulisse. Drei mächtige Säulen stehen noch in diesem magischem Kreis und mir wird klar, ich habe noch eine Aufgabe.

Gefunden!

Der Rückweg führt wieder die Straße entlang zum Ort. An einer Quelle füllen wir unsere Wasserflaschen auf und dann kehren wir ein in das Lokal mit der schönen Aussicht, was ich auf dem Hinweg schon ausgemacht hatte. Wir bestellen ein großes Bier, eine Homemade Limonata und Moussaka. Gestärkt und glücklich über diesen wunderbaren Tag machen wir uns an den Abstieg. Am Camp angekommen fällt uns ein, dass wir noch Besuch bekommen. Also schnell etwas aufräumen und dann auf die Terrasse setzen und den Ausblick genießen.

„Hey, wie war’s denn? „, schallt es von hinten. „Hey, super war es. Wir waren bis ganz oben beim Stadion und bis unten zum Orakel!“ Sandra und Lars waren da. Wir kommen ins Plaudern und gucken uns den Camper an. Jutta mit Sandra innen, Lars und ich außen. Danach umgekehrt, ich aber bleibe draußen. Wir erfahren, dass Lars auch gerne so was hätte wie wir, aber Sandra wollte erstmal ein Wohnmobil. Seit März erst haben sie ihre „Schrankwand“, wie sie ihr Mobil liebevoll nennen. Ich habe immer mehr den Eindruck, sie denken tatsächlich über eine Veränderung nach. So begeistert scheinen sie zu sein von LEMMY und von dem was wir erzählen, was so alles geht und was wir bisher so gemacht haben. Wir sind eigentlich keine typischen Wohnmobilcamper, sagt mir Sandra immer wieder. Wir wollen frei stehen und reisen und das geht mit dem Riesending nicht so gut. Das haben sie in den 6 Monaten schon festgestellt. Ihr könnt da weiter fahren, wo wir umdrehen müssen, bemerkt sie zu Recht. Ja, das stimmt, erwidere ich, um sie zu ermutigen eine Veränderung zu wagen. Dann tauschen wir noch einige Erfahrungen und Tipps aus.

„Zum Abschied sehen wir uns morgen früh sicher noch. Wir müssen uns leider schon auf die Heimreise machen.“ Sie werden uns weiter auf Instagram verfolgen, versichern sie. Sandra ist in Kavala in Griechenland geboren und wir können uns jederzeit bei Problemen melden. Sie spricht fließend griechisch, obwohl sie schon als Kind mit den Eltern nach Deutschland emigrierte. Wir tauschen unsere Kontaktdaten aus und sind dankbar für die angeboten Hilfe in der Not.

So, da war ja noch was. Ich musste das Orakel befragen, wie der morgige Tag wird. Aber wie stelle ich das an? Wie befragt man einen Steinkreis? Ein Orakel? Ich ging einmal links rum, dann einmal rechts rum, kratze mich am Kinn. Dann lief ich nach vorne, da wo ich annahm, das vorne ist. Also so, dass ich auf die drei mächtigen Säulen blickte. Ich fokussierte und konzentrierte mich. Vorher bat ich Jutta mich eine Weile in Ruhe zu lassen, schließlich musste ich eine Verbindung herstellen. Sie saß im Schatten auf einer Bank und ließ mich machen. Ich schaute nur auf die drei Säulen, blendete alles andere aus.

Wie damals, als es diese dreidimensionale Bilder gab, in den 90er Jahren, glaube ich. Man sah erst nur Muster und Linien. Doch wenn man versuchte hindurchzuschauen, dann plötzlich sah man es, den Haifisch, der aus dem Wasser sprang oder den Tyrannosaurus Rex, der mit seinem großen Maul den Säbelzahntiger jagte. Oder man sah es nicht. Es war nicht jedem gegeben diese 3 D Bilder zu entschlüsseln. Und ganz genau so ist es mit Orakeln, besonders mit dem von Delphi. Nicht Jedem ist es gegeben eine Verbindung zu knüpfen. Nicht Jedem, nicht Jedem…nicht Jedem…..Ich schaue in Leere, wie vor 30 Jahren in diese dreidimensionalen Bilder, schaue durch die drei Säulen, schaue durch sie hindurch, auf die Berge dahinter, auf die Wolken darüber, auf die Bäume am Hang, schaue auf die untergehende Sonne, ich schaue ins Nichts, ins Nichts….und dann ist sie da, die VERBINDUNG und ich sehe ALLES.

Am nächsten Tag ist uns schon klar, das wir hier länger bleiben als geplant. Wir wollen Wäsche machen, ich will schreiben an meinem nächsten Kapitel, was in der Regel eine Nachtschicht bedeutet. Wir wollen die erstklassigen sanitären Anlagen ausgiebig nutzen. Wir wollen diese fantastische Aussicht und die grandiose Atmosphäre von diesem Ort auskosten. Oder einfach gesagt, einfach mal abhängen und chillen. Den Pool haben wir ganz vergessen zu nutzen und an die Bucht von Korinth sind wir auch nicht mehr gewandert. Mittlerweile hat ein Kreuzfahrtschiff dort angelegt und wir sind froh, vorher Delphi besucht und auch das Orakel befragt zu haben. Ich habe Maddi natürlich sofort eine Instagram Nachricht geschickt. „@maddi…, du wolltest wissen, wie der morgige Tag wird und ich habe das Orakel befragt und sogar noch mehr erfahren:

Das Orakel hat orakelt!

Die Sonne wird aufgehen und wieder untergehen. Die Gezeiten werden sich vollziehen. Auf Regen folgt Sonne und die Sterne werden den Himmel hell erleuchten, andernorts verdunkeln Wolken die Pracht des Nachthimmels. Festivals werden wieder stattfinden und in Innenräumen werden Konzerte gespielt. Reisen in ferne Länder werden möglich sein, ohne Beschränkungen und die Menschen werden tanzen, lachen und singen. Bier und Wein wird fließen in Strömen und Frohlocken wird all überall erklingen. Die Fußballweltmeisterschaft 2022 wird ……….. gewinnen (das Orakel hat’s mir verraten, aber ich will dir nicht die Spannung verderben oder mir Ärger mit den Buchmachern einhandeln) und es wird ein Mittel gegen den Kater erfunden werden.

Mehr habe ich nicht erfahren, danach war Stille. Aber ich darf wiederkommen, eines Tages. Dann werde ich alles erfahren was ich wissen will. So hieß es an jenem Tag beim Orakel von Delphi.

Den kommenden Abend will ich an meinem Blog arbeiten, an Albania Chapter I. Ich bin leider immer viel zu sehr hinterher.

(Notiz am Rande: jetzt am 28.10.2021 in der Nacht, sitze ich in Tiflis, auf einem Parkplatz an der Public Service Hall, auf dem wir für ca. eine Woche stehen werden, arbeitend an Greece Chapter II, d.h. ich arbeite in Georgien noch an Griechenland, die Türkei muss ich noch nacharbeiten, das erste Mal also zwei Länder voraus) Aber an diesem milden Abend, in dieser klaren Nacht, mit dem besten Schreibtisch, den man sich nur vorstellen kann, will ich das Kapitel Albanien fertig stellen. Bier auf den Tisch, eine volle Kanne mit heißem Tee, Kerzen und Lampen an und ich haue in die Tasten. Gegen Morgen, nach etlichen Bieren und der Kanne Tee bin ich fertig.

Der beste Scheibtisch der Welt!

Jetzt können wir weiterreisen nach Meteora… Nur noch vorher ausnüchtern.

Wieder on the road, wissen wir abermals, wo wir abends stehen wollen. Auf dem Campingplatz Vrachos Kastraki bei den Meteora Klöstern. LEMMY bekommt unterwegs endlich mal eine professionelle Wäsche, die wir in Griechenland echt lange suchen mussten. In Albanien noch an jeder Ecke “ Lavash“, wurde es in Griechenland zu einer echten Aufgabe eine Waschmöglichkeit für größere Fahrzeuge zu finden. Da wir keinen Zeitdruck haben, kaufen wir ausgiebig im Supermarkt ein und lassen das Auto waschen.

Schaumbad für LEMMY

Dann geht es zu den Klöstern. Das was wir hier zu sehen bekommen, wird schwer zu beschreiben sein. Aber erstmal Check In auf Vrachos Kastraki. Der CP ist relativ voll für die Nebensaison. Schnell wissen wir warum, hier ist an diesem Wochenende eine Klettermesse. Überall Stände mit Equipment für Bergsteiger, Freeclimber und eine Bühne für Filmvorführungen und Vorträge. Wir finden trotzdem noch einen guten Platz recht weit vorne in der Nähe des Pools und des Restaurant mit dem netten Biergarten und großem Barbecue Grill. Und mit dieser Aussicht auf die Felsen. Das sind keine Berge, das sind riesige Trolle die auf uns hinab schauen.

Blick vom Campingplatz

Der eine dort, grinst mich böse an. Hier gibt es alles an Campern, was man sich so vorstellen kann. Direkt neben mir ein riesiger LKW, ich schätze der kostet eine halbe Million. Gegenüber zwei VW Busse, ich kenne mich nicht gut aus, vielleicht T3 oder T4? Weiter hinten entdecken wir bei unserem Rundgang ein paar kleine, offene Geländewagen. Die einfachste Art zu reisen. Wenig Gepäck, kleines Zelt.

Wiedermal ein Offroadtreffpunkt!

Schräg vor uns auch, ein Motorradfahrer aus Frankreich, mit kleinem Zelt. Der Rucksack und das Gepäck bleibt draußen stehen. Niemand überschreitet diese imaginäre Linie der Privatsphäre des Anderen. Das fällt mir besonders hier auf bei dem Motorradfahrer, der sein gesamtes Hab und Gut am Platz zurücklässt. Wir fühlen uns auf Anhieb wohl. Nachdem wir uns eingerichtet haben und draußen beim Bier das Angekommensein zelebrieren, kommt jemand auf uns zu.

Wir schauen ihn an. Er schaut uns an. Dann: “ I have the Sprinter!“ Ich denke mir: „Das ist ja schön und was soll mir das sagen? Jutta schaltet zum Glück, ich schnalle nicht was los ist. Er spricht auch nicht sehr gut englisch, ähnlich schlecht, wie ich selber. Aber er hat einen spanischen Akzent (einen argentinischen genaugenommen). „Ach!“, sagt Jutta, „Bist du Dandovueltas von der kleinen Schleppfähre in Albanien, wo mama_en_ruta uns zufällig gefilmt hat, als wir auf die Fähre fuhren? „Yes, that’s me.“ Wie klein ist die Welt, denken wir uns und unterhalten uns über die Pläne in die Türkei zu fahren und nach Georgien oder in den Iran und so weiter. Irgendwie sind wir überrumpelt und doch glücklich über diese schöne, erneute Begegnung. Das wir uns in Istanbul und in Kappadokien wieder begegnen sollten, dass ahnten wir noch nicht.

Schattiger Campground in phantastischer Kulisse

Was den Mittagsschlaf angeht, sind wir frei von Uhrzeiten und unabhängig von gängigen Normen. So legen wir uns noch ein Stündchen hin und machen uns „Die drei ???“ an. Dann klopft es an der Tür. Steh du auf. Nee du. Ich stehe auf und zieh mir schnell was über. Dann öffne ich die Tür. Draußen steht Helmut, der fragen will, ob er unseren LEMMY fotografieren darf, weil sein Nachbar sich genau das gleiche Auto wie Unseres bestellt hat. Na klar, kein Problem. Jutta ist mittlerweile auch angezogen und sie liebt es LEMMY zu präsentieren. Hier geschaut, da geschaut. Schnell entwickelt sich ein äußerst angenehmes Gespräch und wir verabreden uns für den Abend bei uns. Helmut ist mit Kathrin unterwegs, seiner Frau. Er fährt einen California VW Bus, auch mit Allrad. Nach dem Essen kommen sie dann zu uns, zwei Biere haben sie nur noch, die bringen sie auch mit. Wir sitzen zusammen bei Kerzenschein und unterhalten uns prächtig. Beide sind uns sofort total sympathisch und so endet der Redefluss nie. Schon am Nachmittag kamen wir auf das zu sprechen, was Jutta und ich schon erlebt hatten und was unsere Pläne sind. Dabei erwähnte ich wohl auch meinen Blog. Als er dann mit Kathrin am Abend zu uns kam, da hatte er schon einen Teil meines Blog gelesen und war begeistert. Das freute mich natürlich riesig, da ich bisher wenig Feedback erhalten habe. Von Jutta ernte ich meistens Kritik, das ich zu viel in den Zeiten hin und herspringe und dies und das ist nicht so gut….aber Helmut hat mich aufgemuntert und gesagt, ich schreibe nah am Menschen, er könne mein Dilemma in der einen oder anderen Situation nachfühlen, miterleben, wie ich mich fühle. Das hat mir gut getan und ich wollte etwas mehr davon. Und für dich Helmut schreibe ich hier, weil du mir das gibst, was mich zum weitermachen motiviert. Ich verstehe jetzt auch die jungen Schauspieler, die ihr ganzes Herzblut geben um auf der Bühne zu stehen. Um für das Publikum zu spielen, nicht für Geld, denn die meisten jungen Theaterschauspieler verdienen sehr wenig. Sie spielen für euch, für die Gäste, für das Publikum, für den Applaus. Aber nicht nur für das Klatschen. Der Applaus muss von Herzen kommen und das spüren sie und das spüre ich, wenn Helmut sagt: „Da hast du mich mitgenommen. „

Ich weiß nicht genau wie, aber irgendwann kamen wir wohl am Nachmittag auf heikle Situationen zu sprechen und ich vertröste Helmut auf den Abend. Jaja, da haben wir schon was erlebt in Albanien. Das berichte ich dir später, versprach ich ihm. Und nun, nachdem die Biere geleert waren, bei Kerzenschein und neuen Bieren, die ich immer in ausreichender Menge an Bord habe, da fragte er nach.

„Was ist denn da passiert in Albanien, vor ein paar Wochen?“ Und da bat ich Jutta um einen großen Gefallen und sie erfüllte ihn mir. „Kannst du bitte die Kukes – Geschichte vorlesen? Ich würden so gerne sehen, wie es auf Andere wirkt. Ich würde es so gerne selber mal vorgelesen bekommen, um zu sehen wie es auf mich wirkt.“ Sie zögerte etwas, sagte dann aber ja. Sie las vor, was wir erlebt haben, was ich aufgeschrieben habe und ich fand toll, es mal aus dieser Sicht des Zuhörers wahrzunehmen. Noch besser fand ich zu sehen, wie Helmut und Kathrin erlebten, was gerade vorgetragen wurde. Das Feedback, das ich in dieser Nacht bekommen habe, das macht es aus, deswegen schreibe ich noch immer und immer wieder. (Notiz am Rande: Es ist 3:20 Uhr in der Nacht in Tiflis und ich bin noch lange nicht fertig!) Für Helmut und alle Helmuts der Welt. Für euch und für mich schreibe ich diesen Blog.

Wie soll man da raufkommen?

Heute ist der Tag der Klöster. Immer schon habe ich mich gefragt, wie kommen die da überhaupt hoch? Ich kannte Bilder von Meteora und dachte, wie geht das? Noch auf Naxos dachte ich, wir werden Treppen steigen müssen bis zur Erschöpfung. Nee, müssen wir gar nicht. Wir können da hochfahren, mit dem Auto. Treppen steigen müssen wir trotzdem, auch bis zur Erschöpfung, aber lange nicht so wie ich erwartete. Es ist tatsächlich wirklich schwer zu beschreiben was wir hier zu sehen bekommen. Es ist einer der beeindruckendsten Orte, die ich je besucht habe. Und das wird nicht das letzte Mal sein auf dieser Reise, dass es mir so ergeht. Rückblickend von hier (aus Tiflis) denke ich mal wieder: Was soll jetzt noch kommen? Was soll das noch überbieten? Und jedes Mal wieder lehrt mich die Erde, der Planet, die Natur, wie klein der Mensch ist.

Wir fahren alle sechs Klöster ab, besuchen drei Klöster von innen und sind am Ende sprachlos und überwältigt von der Schönheit und der Pracht und der Erhabenheit dieses Wunders der Menschen und der Natur.

Am nächsten Tag müssen wir uns von Helmut und Kathrin verabschieden. Ihre Reise nähert sich dem Ende. Sie fahren einen Teil unserer empfohlenen Route durch Albanien zurück nach Hause. Alles können sie nicht fahren, mangels verfügbarerer Reisezeit. Aber eines ist klar, wir werden uns wiedersehen. Ein Platz in seiner Einfahrt ist immer für uns frei. Wir bleiben in Kontakt, immer mal wieder höre ich von Helmut, wo er gerade ist in Albanien oder sonst wo auf der Rückreise. Und auch jetzt noch stehen wir in engem Kontakt und ich bin sehr glücklich über die Begegnung mit diesem Menschen.

Ein Tag am Pool, warum eigentlich nicht? Wir haben doch Zeit. In dieser Kulisse, umgeben von den ganzen Trollbergen. Wir müssen eh langsam mal umschalten, von Urlaub auf traveln. Das ist ein Unterschied, da komme ich später noch drauf zurück. Heute also nix außer Pool, Sudoku, lesen, essen und abhängen.

Doch auch dieser Tag sollte anders verlaufen. Ich bin zuständig dafür, den Pee Tank zu entleeren und da es an der Zeit war, machte ich mich auf den Weg zum Klo. Es ist nur Pee, kein Chemiezeug oder so. Da fuhr ein großer Overlandertruck an mir vorbei und verließ den CP. Ich berichtete Jutta davon, dass benny_goes_overland grade an mir vorbeigefahren ist. „Den kennen wir von den Albanien You tube – Videos“, sagt Jutta, „die haben wir alle gesehen, ist ja witzig. Ich schreib den mal an!“ Er reagiert prompt und steht nachmittags neben uns. Am Abend trinken wir zusammen ein Glas Wein bei uns und wundern uns nicht mehr darüber, das man ja zu nichts kommt beim Reisen, weil immer was dazwischen kommt.

Als wir dann auch hier soweit sind, diesen mystischen Ort zu verlassen, wissen wir noch nicht, wo wir die Nacht verbringen werden. Das Ziel ist Istanbul. Aber wir werden noch eine Nacht in Griechenland verbringen müssen, weil Istanbul einfach noch zu weit weg ist. Die Strecke, die wir wählen geht meistens dicht oder sogar direkt an der Küste entlang. Es geht durch Berge auf und ab, dann wieder ist die Ägäis zu sehen, mal wieder eine tote Tankstelle und ein Stück abgebrochene Straße. Jutta findet den (laut park4night) schönsten Campingplatz in ganz Griechenland. Wow, da fahren wir hin, das klingt gut. Es gibt zwei Campingplätze, die den Namen für sich beanspruchen. Beide sind nebeneinander. OK, wir sehen vor Ort welchen wir nehmen. Als wir ankommen ist es nicht so einfach. Zwei Damen winken uns rein, die Eine links rüber, die Andere rechts rüber. Die Attraktivere wirbt für links, Jutta entscheidet sich für rechts. Ich fahre rechts rein. Der Campingplatz hat Strom und Wasser an jedem Stellplatz, ist überdacht mit schattenspendender Plane und eingezäunt zur Sicherheit. Aber ich fühle mich wie ein Gefangener. Die sanitären Anlagen sind gut und Wifi ist auch da. Der Strand von Nordgriechenland ist vor der Tür. Aber der schönste CP von Griechenland? Ich bin mega enttäuscht und lasse es an Jutta aus, obwohl sie nichts dafür kann. Wir haben uns beide hierfür entschieden. Sie ist nicht schuld, dass die Beschreibung, für meinen Geschmack mal echt für’n Arsch war. Wir lieben es naturnah und einfach. Strom und Wasser am Platz muss nicht sein. Lediglich die Sanitäranlagen sollten möglichst sauber sein. Ich denke mir nur: „Wer macht solche Posts? Der schönste Campingplatz von Griechenland? Dann müsste man aber schon eine ganze Menge Campingplätze gesehen haben.“ Ich nehme mir vor nicht mehr so ohne Weiteres auf die Bewertungen bei park4night zu vertrauen. Am nächsten Tag reisen wir ab, nur Wasser auffüllen, Grauwasser ablassen und nix wie weg….

Jetzt hab ich die Schnauze voll von Campingplätzen und will freistehen. Bis Istanbul kommen wir immer noch nicht in einem Rutsch. Also fahren wir erstmal drauf los und sehen dann, wo wir übernachten werden. Wir kommen der Grenze näher und sind schon ziemlich lange unterwegs. Irgendwann denken wir, dass es ganz gut wäre bald mal einen Platz auszukundschaften. Wir fahren einen Küstenabschnitt auf und ab, gucken hier und da. Nee, hier fühl ich mich nicht wohl. OK fahren wir weiter. Wie ist es hier? Weiß auch nicht, nicht so gerne. Wir fahren weiter und dann finden wir eine einsame Abfahrt und eine schmale Passage direkt ans Meer. Hier ist es perfekt. Hier bleiben wir. Die Sonne geht bereits unter.

„Sieh mal, da hinten. Da stellt sich noch einer hin, ein Van aus Deutschland!“ Nun fühlt sich Jutta noch wohler. „Bevor es dunkel wird gehe ich noch etwas Müll sammeln, wenn du das essen machst!“, sage ich zu Jutta. Mit Greifer und Mülltüte gehe ich los und eine Spaziergängerin spricht mich an. Dies sei ihr Hausstrand und sie mache das auch dauernd mit dem Müll sammeln, weil sie hier immer schwimmen geht, erzählt sie mir. Aber der Müll ist immer da. So verstehe ich es jedenfalls. Aber ich habe auch den Eindruck, dass sie es sehr begrüßt, dass ich als Fremder hier einfach so Müll sammle.

Jetzt denke ich wieder an die kleine Sophie, mit der ich in Albanien Müll sammeln war. Sie fragte mich: „Warum machen die Menschen das?Warum schmeißen sie den Müll einfach so weg?“ Ich konnte ihr keine vernünftige Antwort geben, war überfordert mit dieser Frage. Ich wusste keine Antwort und dachte jetzt erneut darüber nach, während ich Müll vom Strand einsammelte.

Vielleicht liegt es daran, dass es hier keine Infrastruktur gibt, keine Müllabfuhr, die jeden Donnerstag die Mülltonne leert. Vielleicht liegt es daran, dass die Menschen hier nicht von klein auf lernen, dass es falsch ist, den Müll einfach wegzuwerfen. Vielleicht wissen sie auch nicht was Mikroplastik ist, denn auch mir ist es jetzt erst so richtig klar geworden, was das ist. Und ich komme aus Deutschland. Reich und gebildet sind wir, denken wir, denke ich. Na klar war mir Mikroplastik ein Begriff. Ich kannte das aber nur aus dem Fernsehen. Jetzt, wo ich hier am Strand von Griechenland oder Albanien oder sonst wo Müll einsammle und die Plastiktüten, die ich greifen will, sich in Millionen kleiner Stücke auflösen und in alle Winde verteilen, da wird mir erst richtig klar wie ernst und bedrohlich die Lage wirklich ist. Das alles fliegt wieder zurück ins Meer, die Fische fressen es oder es lagert sich ab auf dem Meeresgrund und richtet sonst was an.

Warum die Menschen das tun, das kann ich immer noch nicht mit Gewissheit beantworten, vielleicht aus Unwissenheit, vielleicht auch aus Verzweiflung oder weil sie resigniert haben, weil es für sie keine andere Lösung gibt? Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf und ich bin deprimiert, weil ich der kleinen Sophie von der Defender Family keine angemessene Antwort auf ihre Frage geben konnte. Sind die Menschen nun dumm, oder egoistisch, unwissend, verzweifelt oder ignorant? Ich weiß es noch immer nicht. Ich weiß nur eins, es ist ein globales Problem und kein Land der Welt kann es allein lösen. Wenn Deutschland seinen Müll nach Fernost oder Afrika verschifft ist das keine Lösung. Wenn Müllhalden und Autoreifen einfach abbrennen ist das keine Lösung. Wenn nicht alle Staaten der Erde sich diesem Problem annehmen, dann gibt es keine Lösung. Ich wünschte, ich hätte der kleinen Sophie vor Wochen in Albanien eine klügere Antwort geben können, als ich es damals getan habe.

Dann kommen mir noch andere Gedanken. Erstaunlich, was so in einem passiert, wenn man so ganz bei sich ist. Wenn man einfach nur darauf konzentriert ist Müll zu sammeln. Die Erfahrung habe ich vorher schon gemacht. Man kann einfach nicht mehr aufhören, denn man findet immer noch was und denkt sich so: „Nur das noch, dann ist Schluss!“ Aber dann ist hier noch was und da noch was und so weiter…

Aber was ich eigentlich sagen wollte, ich wundere mich darüber, dass noch niemand gefragt hat: „Warum steht da auf eurem Truck THE WÖRLD IS YOURS?“ Das ist schließlich unser Motto. Das Interesse an unserem Fahrzeug ist groß, immer wieder kommen Leute und wollen LEMMY fotografieren oder mal rein schauen. Das freut mich auch sehr, aber ich denke mir immer wieder, warum will niemand wissen, weshalb wir da THE WÖRLD IS YOURS stehen haben. Wir haben uns was dabei gedacht. Ich hatte mir schon Antworten überlegt, wenn mal jemand fragen sollte.

Die erste Antwort wäre natürlich: Motörhead hat eine LP mit dem Titel THE WÖRLD IS YOURS und wir lieben Motörhead und LEMMY. Nach Mr. Kilmister haben wir ja auch unser Auto getauft. Aber das ist längst nicht alles. Mit THE WÖRLD IS YOURS wollen wir noch mehr sagen, als dass wir Metal – Fans sind. Wir wollen damit auch ausdrücken, dass die Welt uns allen gehört, unabhängig von Religion, von Hautfarbe, von Geschlecht, von sexueller Orientierung, von unseren Ansichten und Meinungen. Wir sollten uns überall auf der Welt als Gast fühlen, uns auch so verhalten und natürlich gilt das für jeden von uns. Wir sollten unseren Planeten als unser aller Zuhause sehen und ihn nicht durch unser Handeln noch mehr verschmutzen und damit langsam aber sicher zerstören. Wir schmeißen doch auch keinen Müll in unseren Garten, nicht vor unsere Haustür. Egal wo du bist, egal wer du bist und egal wann du bist, fühl dich zu Hause und verhalte dich so. Diese Botschaft würde ich so gerne rüberbringen. Natürlich kann man nie alles richtig machen, ich muss mir vorwerfen lassen mit einem dreieinhalb Tonnen schwerem Dieselfahrzeug durch die Welt zu fahren. Trotzdem versuche ich meinen kleinen Teil dazu beizutragen die Welt etwas besser zu machen. Und wenn es nur ist, dass ich gelegentlich Müll sammle und den Platz sauberer hinterlasse, als ich ihn vorgefunden habe.

Jutta benutzt Zahnpasta in Tablettenform, macht unser Deo, unser Waschmittel, Spülmittel und noch manches mehr selber. Wir benutzen feste Seifen zum Duschen und Haare waschen. So können wir auf viel Plastikverpackungen verzichten. Sie kauft Sachen möglichst unverpackt, auch auf Reisen haben wir unsere Beutel dabei und können meist auf Plastiktüten verzichten. Manchmal wundern sich Verkäufer darüber, aber immer mehr Menschen verstehen es auch. Wir machen immer noch sehr viel falsch. Ich bin Motorrad gefahren, nur zum Spaß. Wir sind über eine halbe Million Kilometer geflogen um fremde Länder und Kulturen zu sehen. Und nun fahren wir mit LEMMY um die Welt. Das ist mir alles bewusst und die Kritik muss ich mir gefallen lassen. Ich will ja auch niemanden belehren oder mich als Maßstab aufspielen. Wer bin ich schon? Ich möchte nur das Bewusstsein etwas schärfen, vielleicht etwas zum Nachdenken anregen. Was kann ich selber tun um etwas zu verändern, zu verbessern? Ohne mit dem Finger auf Andere zu zeigen. Nur das und noch ein bisschen mehr will ich ausdrücken mit THE WÖRLD IS YOURS.

Cheers!

…und was als nächstes geschieht…

Türkei Chapter – one

…und wie ich dem Schuhputzer von Istanbul den Stinkefinger zeige…