…und wie mich ein selbsternannter Watchman versucht um 100 $ zu erleichtern….
Es fällt mir schwer, aber es war auch klar: Der Tag, an dem wir Istanbul verlassen und weiterreisen werden, wird kommen. Und nun ist es tatsächlich soweit. Nach einer Woche, die viel zu schnell vorüberging, in dieser Stadt mit den vielen Gesichtern und Facetten, brechen wir wieder auf. Ich allerdings mit der Gewissheit, auf dem Rückweg parken wir wieder genau hier, unter dem Schiffsradar, in der Einfahrt zum Bosporus. Doch bevor wir fahren, verabschieden wir uns von Jose, Celina und Luca, die noch etwas bleiben wollen. Vielleicht treffen wir uns ja in Kappadokien wieder oder irgendwo anders auf der Welt und halten es für gar nicht mal so unmöglich.
Ich bin etwas aufgeregt an diesem Morgen, denn gleich fahren wir quer durch Istanbul. Zuerst über die Galatabrücke, von der Altstadt in die modernen Viertel Karaköy und Beyoglu und dann über die Erste von 3 Bosporusbrücken von Europa nach Asien. Die Galatabrücke kann man hier nicht mitzählen, da sie nur zwei Stadtteile auf der europäischen Seite verbindet. „Hast du geschaut wo es lang geht?“, frage ich Jutta. „Ja klar, da hast du noch geschlafen!“ Und dann geht es auch schon los. Ein lang gehegter Traum geht in Erfüllung. Wir fahren quer durch eine der beeindruckendsten Metropolen der Welt und wechseln dabei gleich von einem Erdteil in einen anderen Erdteil! Fahren von Europa nach Asien! Über Land! Check.
Nach vielen Stunden Fahrt kommen wir unserem Ziel näher. Lange haben wir diskutiert welche Richtung wir einschlagen sollen. Auch sogar noch am Morgen der Abreise aus der famosen Bosporus Metropole, mit dem Dandovueltas Team. Wir waren unentschlossen bis zuletzt, bis wir uns dann schließlich einig wurden. Jose brachte als Argument, dass es in Cappadocia um diese Zeit, also bald Oktober, schon sehr kalt sein würde. Das waren auch Juttas Bedenken. Da gibt es womöglich schon Nachtfrost und vielleicht schon Schnee. Ja sicher, vielleicht ja vielleicht nein. Wenn wir aber jetzt runter nach Ephesus fahren, an die Küste weiter im Süden, dann haben wir sehr wahrscheinlich noch richtig geiles Strandwetter, auch noch im Oktober. In Cappadocia könnte es jetzt bereits arschkalt sein. Dann haben wir vorher wenigstens die Zeit mit dem tollen Wetter und mit Beachlife verlängert. So war dann auch der Plan: Erst Ephesus und Cappadocia später. Der Winter wird uns so oder so einholen, früher oder später. Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, der Winter würde uns viel, viel später einholen.
Selbstverständlich hatte Jutta ihre Hausaufgaben gemacht und lotste mich zielsicher, nach über 6 Stunden Fahrt, zum Dereli Beach Motel & Camp. Auf den ersten Blick dachten wir, ganz ok. Unter hohen Eukalyptusbäumen standen wir fast ganz alleine auf einer riesigen Fläche.

Die Toiletten und Duschen waren sehr alt, aber nicht dreckig. Der Strand war vor der Tür, also vor dem Camper, vor LEMMY. Auch das Restaurant war noch geöffnet für die wenigen Besucher. „Na zwei drei Tage bleiben wir schon, oder?“ Es wurden 5 oder 6 Tage, ich weiß es nicht mehr genau. Denn dieser Ort entwickelte seinen Zauber erst auf den zweiten Blick. Am Abend gingen wir noch essen, im offenen Restaurant des Dereli Motel & Camp. Wir wurden an die Theke im Nebenraum gebeten, um unter den gebotenen Köstlichkeiten auszuwählen, was denn zubereitet werden soll. Wir wählten Köfte, gegrilltes Hühnchen, grüne Bohnen, Fava, dicke Bohnen, Zucchini, überbackene Champignons, gegrillten Käse und das Wichtigste, zwei große Tuborg Gold, serviert im gefrostetem Glas. In dieser Woche kochten wir nicht mehr selber. Den Sonnenuntergang sahen wir an diesem Abend nur nebenbei, während des ausgezeichneten und preiswerten Essens.

Allerdings an den nächsten Tagen sahen wir mal wieder Sonnenuntergänge, für die Hochzeitspaare weite Fahrten auf sich nahmen, um sich an diesem Strand ablichten zu lassen. Eigentlich wollten wir uns die historische Stadt Ephesus, dieses Weltkulturerbe am nächsten Tag ansehen. Doch wir sagten uns, pfeif drauf, machen wir morgen. Stattdessen putzten wir LEMMY (innen Jutta, außen ich) Die Schubladen wurden ausgeräumt, die Staufächer leer gemacht, die Betten und Matratzen gelüftet. Alles wurde gründlich gereinigt und ausgewischt, danach wieder vernünftig eingeräumt, neu sortiert und geordnet.


Die Wäsche machte eine alte, liebenswürdige türkische Mama für uns, die uns richtig in Herz geschlossen hat und jeden Tag für einen kleinen Schnack vorbeikam. Nach all der Arbeit wurde noch die Hängematte zwischen zwei Bäume gespannt und wir relaxten bei Kaffee und Kuchen. Tags drauf, als wir eigentlich Ephesus nachholen wollten, hatten wir beide wieder keine Lust. „Machen wir morgen!“, sagten wir uns. Stattdessen gingen wir an den Strand zum Schwimmen, machten Mittagsschlaf, lasen und rätselten Sudoku. Nachmittags gabs den obligatorischen Kaffee, den ich draußen, mit dem neuen, in Griechenland erworbenen Gaskartuschenkocher zubereitete.
Am dritten Tag endlich holte ich die Bikes hinten vom Camper runter und wir radelten die 7 oder 8 km nach Ephesus. Wir hatten immer noch so ca. 28 Grad und waren glücklich Cappadokia erstmal aufgeschoben zu haben. Was soll ich sagen über Ephesus? Es ist so beeindruckend, wie es auch schon Delphi in Griechenland war.

Hier haben wir uns jeweils einen Audioguide geliehen, um zu den einzelnen Stationen auf Knopfdruck die passende Information von einer angenehmen Frauenstimme vorgetragen zu bekommen.

Auch hier gibt es ein altes Theater, in dem damals 25 000 Zuschauer Platz fanden. Ich sitze in den Ruinen dieses Theaters, während ich das und noch viel mehr erfahre. Danach geht es zur Bibliothek, wo noch ein großer Teil der Front wiederaufgebaut werden konnte, mit den gefundenen, ausgegrabenen Stücken.

Wir sehen eine öffentliche Toilette in einem Hamam, wo die Menschen damals ihr Geschäft verrichteten und sich unterhielten. Einer neben dem Anderen, nicht durch Wände getrennt, sondern direkt nebeneinander. Fünf oder sechs Leute saßen dicht an dicht pro Reihe im Quadrat und furzten und kackten in die Latrine, während die neuesten Nachrichten ausgetauscht wurden.

So gehen die Stunden schnell und kurzweilig dahin und nach vielen tollen Fotos und wieder aufgefrischtem Wissen stärken wir uns mit zwei mittelprächtigen Portionen Gözleme (eine mit Käse, die andere mit Hackfleisch) und mit einem perfekten, frisch gepresstem Granatapfel – Orangensaft Mix für den Heimweg. Vorher besichtigen wir noch die „Grotto of the seven sleepers“, doch die darf man auch auslassen.

Die nächsten Tage gingen so dahin, wir genossen das Beachlife, spazierten den Strand auf und ab, schauten den Hochzeitsfotografen zu, gingen gelegentlich schwimmen, genossen das Essen im Restaurant. Zu den hervorragenden Sonnenuntergängen versuchten auch wir uns an Fotos, wie zum Beispiel die Sonne in der Metalhand auf den Fingern schweben zu lassen, scheiterten aber jämmerlich dabei.

Immer wieder mal, wenn wir etwas zur Ruhe kommen und längere Zeit an einem Platz verweilen, kommt ein bestimmtes Thema auf. Ein Thema, das mir so gar nicht behagt und zwar das der Rückkehr. Jutta möchte Weihnachten zu Hause mit ihren Eltern verbringen. Mit der Schwester und ihrem Mann, ihr kennt sie bereits, Sonja und Lars. Noch ist nicht klar, was und wie es ablaufen wird. Es gibt verschieden Gedankenmodelle. Wir fahren nach Hause…..und jetzt wo ich es schreibe „nach Hause„, da wird es mir so richtig zuwider. Oder aber sie fliegt nach Hause und ich fahre weiter oder warte irgendwo auf sie, bis sie zu mir zurückfliegt. Aber wo warte ich? In der Türkei, in Georgien, Israel oder Zypern. Meine Gedankenexperimente gingen noch bedeutend weiter, aber dafür kassierte ich jedes Mal sofort ein Veto. Wie entwickeln sich die Coronazahlen? Europaweit und auch deutschlandweit steigen sie gerade wieder stark an. Kann Jutta nach 2-3 Wochen so ohne Probleme zurück fliegen zu mir, wo auch immer ich dann bin? Und das Wort ZUHAUSE mag ich im Moment so gar nicht mehr, denn mein Zuhause ist die Welt, ist LEMMY. Zuhause ist dort, wo ich gerade bin. Jetzt in diesem Augenblick, in meinem Camper bin ich zuhause. Ich will nicht in das ZUHAUSE, wo ich meinen Erstwohnsitz habe. Ich will meine Reise nicht unterbrechen. Das ist ein echtes Problem für mich, für Jutta aber ist es enorm wichtig. Was also ist zu tun? Ich habe zwei Ideen, die erste und wichtigste Idee ist erst einmal, dass wir das ZUHAUSE, was den Erstwohnsitz betrifft, umbenennen in WATERHOLE.
„The Waterhole“ ist eine Bar in Amsterdam und ich mochte dieses Etablissement auf Anhieb, als ich dort das erste Mal war. Dort bediente der Barkeeper den Monitor per Touchscreen. Er kassierte darüber die Rechnung der Gäste und spielte darüber auch die Musik, wenn die Band Pause machte. Unter der Decke des Ladens klebten Plattencover und Whiskykartons. Das alles hat mich nachhaltig beeindruckt.
Das Wasserloch ist im Grunde ein Synonym für einen Ort der alles hat. Dort gibt es zunächst mal Getränke in jeder erdenklichen Art und ich meine in JEDER. Dann gibt es dort Vorräte, warme Kleidung, eine geschützte Umgebung, ein warmes Nachtlager. Dort gibt es Musik, Feuer und Licht. Also alles was man braucht.
Die zweite Idee, die ich habe ist die: Wir fliegen vom Waterhole aus, dann auch nach Amerika. Jutta schlägt ein. Das mit Amerika war ja eh schon mal der Plan und dafür fahre ich dann meinetwegen auch sogar ins WATERHOLE.
Wieder, nach fast einer Woche an einem Ort, wie in Istanbul, wollten wir irgendwann natürlich weiter. Zeit uns Gedanken zu machen, wohin es gehen sollte, hatten wir ja genug. Fahren wir unten die Küste entlang oder machen wir das erst auf dem Rückweg ins Waterhole? Die Küste, beschlossen wir, machen wir erst auf dem Rückweg. Von hier aus fahren wir nach Pamukkale. Gesagt, getan.

Nach einer für unsere Verhältnisse sehr kurzen Anreise von weniger als drei Stunden, erreichten wir unser Ziel. Da wir meistens nicht besonders früh los kommen, sondern es eher auf Mittag zugeht bevor wir starten, so kommen wir dennoch erst am späten Nachmittag an. Wir finden auf Anhieb unseren Park4night Platz und nachdem wir LEMMY einmal umgesetzt haben (wegen extrem viel Glasscherben auf dem Boden) haben wir beide noch voll Bock uns Pamukkale anzuschauen.


Von weitem sah es recht unspektakulär aus. „Soll es das dahinten etwa sein?“, fragen wir uns. Doch als wir dann barfuß auf diesen Sinterterrassen (entstanden aus dem kalkhaltigen Wasser der Thermalquellen) bergaufwärts stiegen als liefen wir auf Schnee, da war es ganz und gar nicht mehr unspektakulär. Es sah aus wie ein riesiger Gletscher, weiß wie Schnee, wie ewiges Eis. Wir mussten die Schuhe ausziehen, damit es auch weiß bleibt, pamukkaleweiß. Es gab vor Jahren andere Zeiten, da war es grau. Die Leute marschierten mit ihren dreckigen Schuhen rauf und runter. Die großen Reisebusse fuhren bis dicht an die Terrassen, oben und auch unten. Dann gingen glücklicherweise Naturschützer weltweit auf die Barrikaden und protestierten. Die Busse wurden ausgebremst, die Touristen mussten barfuß gehen und dieses Wunder der Natur erholte sich. Auch wir gingen ohne Schuhe bergauf, da unser Platz für diese Nacht unterhalb des Berges war. Es war ganz warm an den Füßen, obwohl es aussah wie Eis. Immer mal wieder ein Becken, das mit warmem Thermalwasser gefüllt war und in dem jemand ein Bad genoss. Viel war nicht mehr los und uns wurde erneut klar, wie schön es ist, außerhalb der Saison zu reisen. Das kannten wir in dieser Form noch nicht, da wir immer abhängig waren von den Sommerferien.

Oben angekommen ging es noch etwas weiter, aber da trugen die Leute wieder Ihre Schuhe und Jutta wollte ihre nicht anziehen. Ich auch nicht. „Ich geh barfuß weiter!“, sagte ich ihr. Sie will warten. So ging ich alleine weiter, über einen kleinen Holzsteg, über eine sandige Kieselsteinfläche und dann wieder über einen Holzsteg. Ich folgte den beschuhten Leuten und dachte nach der nächsten Biegung: „Was zum Teufel ist das denn?“ Da waren die abgesperrten, nicht zum Baden freigegebenen Thermalbecken. Oben am Berg, mit einer Aussicht über die Gipfel der angrenzenden Berge und dem Sonnenuntergang dahinter, eine Postkartenidylle sondergleichen.

Und wieder einmal, wie schon nach den Meteoraklöstern, war ich sprachlos über diese Schönheit der Natur. Nur wurde dieses Mal nichts vom Menschen dazu beigetragen, außer vielleicht es zu schützen, dieses Wunder der Schöpfung. Barfuß ging ich zurück zu Jutta, etwas verwundert über alle Anderen, die ihre Schuhe angezogen hatten. Später wurde mir klar, sie sind Oneway unterwegs. Barfuß rauf, mit dem Bus und beschuht wieder zurück, runter in den Ort zu den Hotels.
Jutta war schon etwas verärgert, weil ich sie ca. eine halbe Stunde warten ließ, das sah ich ihr an. Aber lange war sie mir nicht böse, denn ich hatte ja einen guten Grund etwas zu verweilen, an einem wunderschönen Ort. An Pools die ineinander übergingen, aus Thermalwasser gespeist, auf einem Berg mit Blick über andere Berge, die untergehende Sonne dahinter, ein malerischer Ort darunter. Und außerdem: Wir waren an einem Ort, nachdem eine Farbe benannt ist! Pamukkaleweiß! Den gleichen Weg, den wir hochgelaufen sind, gingen wir nun wieder runter. Wir schafften es gerade rechtzeitig, bevor es dunkel wurde. Wir zogen unsere Schuhe wieder an, nach der markierten Fläche und da wurde uns klar: einen besseren Zeitpunkt als den späten Nachmittag, um Pamukkale zu besuchen, konnte es nicht geben.
Cappadocia, da müsst ihr hin. Das wird dir gefallen. Das habe ich schon Jahre vor unserer Reise gehört. Von wem? Und wo? In unserer Theaterkantine, von Murat und Güler Babaoglu. Murat ist unser singender Koch im Theater bzw. er war es. Singen tut er immer noch, in der „ISTANBUL“ Vorstellung. Güler ist seine entzückende Frau. Unsere Kantine betreiben sie nun nicht mehr, aber auf der Bühne kann man ihn immer noch sehen und hören, solange unsere „ISTANBUL“ Aufführung läuft.
Wir redeten darüber uns in der Türkei zu treffen, lange bevor unsere Reise begann. (Das wird leider nicht klappen, denn wenn wir kommen sind sie schon wieder in Deutschland.) Trotzdem stehen wir in engem Kontakt, besonders mit Güler. Sie gibt uns viele Tipps was wir sehen sollten, wohin wir gehen müssen, wo es die beste Pizza gibt usw.. Sie kommt aus Kappadokien und hat uns auch schon viele Ideen gegeben, was wir dort noch unbedingt machen müssen. (Notiz am Rande: Gerade jetzt, als ich an diesem Blogkapitel arbeite, am 22.11.2021 um 03:20 Uhr, befinden wir uns in Cirali an der lykischen Küste, wo Murat und Güler immer ihre Sommerferien verbringen.)
„Underground City ist bestimmt was für dich, schaut euch Orthahisar an, (Ich glaube das ist ihr Geburtsort), Kaya Camping ist ein cooler Platz, da trefft ihr andere Overlander. “ Aus Erfahrung weiß ich , dass genau solche Tipps unbezahlbar sind, Tipps von Insidern, von Leuten, die wissen wovon sie reden.
Begeistert verlassen wir Pamukkale, mit nur einer Richtung: Gen Osten nach Cappadocia, zum Kaya Camp, zu den Offroadern und Overlandern. Doch ein Ziel hatten wir vorher noch, den Tuz Gölü.
(Aufzeichnung, die nix zur Sache tut: Helter Skelter läuft von Rob Zombie und Marilyn Manson)
Davon haben wir Bilder gesehen, von Dandovueltas, von Jose, unserem Freund aus Istanbul. Er ist da bereits in Kappadokien mit seiner Frau und seinem Sohn. Der Tuz Gölü ist ein Salzsee, fast ausgetrocknet und verödet. Die Fotos, die er dort gemacht hat, waren dermaßen inspirierend, dass auch ich dorthin möchte. Auf unserem Weg ist es irgendwie sowieso, also machen wir diesen kleinen Abstecher. Es gibt keine Umwege, dass haben wir uns vor dieser großen Reise, vor diesem Abenteuer vorgenommen. Der Weg ist das Ziel. Das ist und bleibt unser Motto.
Müsli, Kaffee und schon geht es los. Jutta weiß wo wir stehen können, wieder frei und direkt am Salzsee. Nur ein paar Stunden fahren, aber das macht mir Spaß. Unterwegs, on the road. Da taucht plötzlich ein Vulkan auf. Wir kommen immer näher nach Kappadokien, die Landschaft verändert sich. Es wird zunehmend karger, der Vulkan wird immer größer, kommt näher. Er ruht und wir erkennen, je näher wir kommen immer mehr den Kraterrand. Noch im letzten Monat wurde er bestiegen, im Oktober nicht mehr. Hier und da ein Hinweisschild, wenn ein Foodtruck mit Köfte oder Gözleme am einsamen Straßenrand auftaucht. „Wie weit ist es noch?“, will ich wissen. „Sind bald da!“, sagt Jutta. Aber wo ist da? Reden wir von der gleichen Sache? Ich will wissen wo der Salzsee ist. Jutta redet vom Stellplatz.

Finden werden wir heute weder den Stellplatz noch den Salzsee. Begegnen werden wir einem Watchman, der 100 Dollar von mir verlangt für eine nicht erbrachte Leistung.
„Hier ist der Ort, von dem wir den Tuz Gölü erreichen.“, sagt Jutta. Yes, denke ich voller Vorfreude. Wir durchqueren den sehr ärmlichen Ort.(Wobei schon alle Orte auf diesem Weg immer ärmlicher wurden, je weiter wir nach Osten fuhren.)
Hier gleich rechts und dann zweimal links. Jetzt rechts rein, in diesen Weg. Hier, wirklich? Ja, hier muss das sein. Alles klar, rauf auf den Acker. Mir gefällt es immer mehr. Der Ort verschwindet hinter uns und vor uns ein Geflecht aus Wegen über braunen Sand. „Sollen wir mal links abbiegen?“ „Eigentlich ja, aber warte mal! Nee, jetzt sieht es wieder so aus, als ob es rechts weiter geht!“
Der Tuz Gölü ist ungefähr 90 km lang. Wie breit er ist wissen wir nicht genau. Aber noch haben wir keine Spur von ihm entdeckt. Wir kurven hier rum seit über einer Stunde. Ich habe Spaß, weil ich es liebe auf weichem Sand zu fahren. Jutta hasst es, weil die Navigation nicht klappt. „Jetzt habe ich es, fahr mal da lang.“ „Ok, gerne, kein Problem!“ „Nee, komisch, jetzt zeigt Google wieder andersrum!“ Das GPS Signal funktioniert hier nicht wirklich. „Fuck, das ist doch zum Kotzen!“ Jutta hat gar keinen Spaß mehr und ich verliere auch die Lust, wenn Jutta dermaßen abgenervt ist. Was machen wir jetzt, mitten im Nirgendwo?Weder der Salzsee in Sicht, noch der Stellplatz für die Nacht.
„Guck mal, da hinten ein Trecker, da fahren wir hin und fragen mal!“ „Merhaba!“, begrüßen wir den Bauern und versuchen zu fragen, wo es denn zum Salzsee geht. Er versucht seine Tochter anzurufen, die spricht englisch, hören wir raus. Aber seine Tochter hebt nicht ab. Nach drei fehlgeschlagenen Versuchen bedanken wir uns vielfach und fahren weiter. Dann kommt ein kleiner weißer Wagen mit getönten Fenstern hinter mir her. Er scheint mich überholen zu wollen und ich denke nur: „Warum will er das?“ Ich bin hier auf diesem Terrain der deutlich Schnellere mit meinem Fahrzeug, lasse ihn aber vorbei. Er bremst mich aus und hält mitten auf der Spur. Na gut, mal sehen was er zu sagen hat und was er will. Es ist ein junger Mann und er bietet sehr höflich seine Hilfe an. Was denn unser Problem sei, will er wissen und da er kein Wort Englisch oder Deutsch versteht, übersetzt er mit seinem Handy. Wir teilen ihm mit, dass wir zum Tuz Gölü wollen. „Oh, das ist sehr weit weg!“, sagt er. Aber er könne uns dort hinbringen. „Nein Danke!“, sage ich ihm. „Wir fahren jetzt zu unserem Nachtlager. “ Er drängt sich etwas zu sehr auf für unser Gefühl und wir sagen erneut: „Nein danke!“ Dann fahre ich einfach an seinem im Weg abgestelltem Auto vorbei, da mir die Spur daneben nicht schwierig erscheint. Nach einer weiteren halben Stunde etwa kommen wir von dem ausgetrocknetem Stück Land runter, erreichen wieder so etwas wie eine Straße und Jutta hat null Bock mehr auf Offroad fahren. Sie bot an, mich auf ein Camp zu lotsen, an einer Karavanserei in Sultanhani. Das sei nur eine Stunde von hier entfernt. „Na gut!“, erkläre ich mich bereit. Bevor wir jetzt stundenlang nach dem Salzsee oder dem Stellplatz suchen. Jutta war glücklich, dass es endlich in eine Richtung ging, die auch Google wieder korrekt anzeigte und ich war glücklich, weil Jutta glücklich war.
Da überholte mich plötzlich ein weißer Kleinwagen mit getönten Fenstern. Er hielt den linken Arm aus dem Fenster und winkte auf und ab. Er drängte mich zum Anhalten und wurde immer langsamer. Noch ahnte ich nichts Böses. Er nötigte mich zum Halten, indem er schließlich zum Stehen kam. Ok, vielleicht hat der da ja Probleme und braucht Hilfe. Ach, guck mal an, das ist doch der Typ von vorhin. Er kommt zu mir ans Fenster.
Ich habe es bereits heruntergelassen und er erzählt mir sofort irgendetwas auf türkisch, von dem ich kein Wort verstehe. Der Ton ist deutlich schärfer als vorhin, als wir noch in der Ödnis unterwegs waren. Er labert auf mich ein, hält immer wieder alle zehn Finger in die Luft, als will er mir damit was sagen. Langsam dämmert es mir, die Arschgeige will Kohle haben. Vorhin scheißfreundlich, will mich noch hin bringen, wo ich auch immer hin möchte. Doch obwohl ich nicht wollte, kann man es jetzt ja trotzdem mal versuchen. Er deutet mir an kurz zu Warten, geht zu seinem Auto, da ihm mittlerweile wohl erneut aufgegangen ist: “ Die verstehen auch nach einer weiteren halben Stunde in der Türkei noch kein Türkisch!“ Also Handy hergeholt um damit zu übersetzen.
Was ich dann zu lesen bekam hat mich echt sauer gemacht. Dieser verdammte Vollidiot hat mir Folgendes versucht mitzuteilen: „I’m a watchman, you have to pay 100 $!“ Ich dachte mir nur: „Du Idiot, du kannst mich mal am Arsch lecken!“ Ich sagte sowas wie „fuck off“ und lenkte nach links, drückte den Möchtegernwatchman beiseite und fuhr an seinem weißen Kleinwagen mit den getönten Fensterscheiben vorbei. „Dieses blöde Arschloch!“, schimpfte ich so vor mich hin, „wollte 100 $ für nichts! Hat nichts geleistet und will Kohle von mir haben!“ Ich war echt stinksauer. Hätte er mich zum Tuz Gölü gebracht, dann hätte er was erwarten dürfen. Aber auch dann wäre es schlauer von ihm gewesen zu sagen, was er für diesen Dienst verlangt. Auf solche Maschen reagiere ich äußerst allergisch, das kann ich nicht ab.
Zum Glück hatte ich instinktiv genug Platz zwischen unseren beiden Autos gelassen, so dass ich direkt, ohne zurücksetzen zu müssen, los fahren konnte. So hatte ich es in Afrika gelernt: Auch an Ampelkreuzungen immer genügend Platz zum Vordermann lassen und Türen verschlossen halten, dann kann man notfalls links oder rechts einfach ausbrechen und abhauen, bei einem möglichen Carjacking.
Aus Afrika kenne ich auch Situationen wie diese. Da kommt jemand auf mich zu, wenn ich z. B. beim Einkaufen bin. „Hey!“, ruft er dir zu „Ich bin dein Gärtner, ich pflege den Garten in deinem Hotel. Ich heirate übermorgen und meine Frau ist schwanger. Kannst du mir nicht etwas helfen? Ich brauch nur noch ein bisschen Geld um dies oder das zu bezahlen!“ Und ich frage: „In welchem Hotel wohne ich denn? In welchem Hotel arbeitest du denn als Gärtner?“ Dann sehe ich in große Augen, in Augen, die keine Antwort liefern können und fühle mich scheiße. Ich fühle mich schlecht deswegen und frage mich: „Bin ich jetzt der Arsch?“ „Ja, ich habe mehr Geld als du, aber gibt es dir das Recht mich zu belügen, mir eine abstruse Geschichte zu erzählen, um an mein Geld zu kommen?“ Ich weiß auch auf diese Frage keine Antwort, mal gebe ich etwas und manchmal auch nicht. Sometimes you win, sometimes you loose. Das Leben ist ungerecht und ich bin nur ein Mensch, der versucht das Richtige zu tun.
Reingefallen bin ich auch mit dem „Milchpulvertrick“. Das war in Kathmandu/Nepal oder war es in Vientiane/Laos? Ich bin nicht sicher, in einer der beiden Städte war es auf jeden Fall. Vermutlich gibt es diese Masche weltweit. Das läuft dann so ab: Man wird beim Einkaufen von einer jungen Mutter mit ihrem Baby im Arm mit hilfesuchenden, großen Augen angefleht, für das Baby eine Packung Milchpulver zu kaufen. Denn sie könne es sich nicht leisten und das Baby habe Hunger. Ich fand, das Pulver war auch ganz schön teuer im Vergleich zu den anderen Waren im Laden. Dennoch kaufte ich ihr den gewünschten Artikel, damit ihr Baby nicht hungern muss und ich gut schlafen kann. Erst Jahre später habe ich erfahren, dass dies eine ganz beliebte und vermutlich auch erfolgreiche Masche ist. Denn wer lässt schon eine hilfesuchende Mutter mit ihrem Baby hungernd zurück? Was sich danach dann abspielt ist Folgendes: Die Mutter gibt dem Ladenbesitzer das Pulver zurück, der stellt es wieder ins Regal und das von mir bezahlte Geld wird aufgeteilt zwischen Ladenbesitzer und Mutter.

Nach dieser unangenehmen Begegnung waren wir sehr zufrieden, als wir in Sultanhani bei Kervansarey Camping ankamen. Die Karawanserei von Sultanhani, schräg gegenüber von unserem Stellplatz, sollte eine der größten und schönsten Karawansereien in ganz Anatolien sein, lasen wir in unserem dicken Reiseführer. Aber während fast der gesamten Fahrt, eine ganze Stunde lang, ärgerten wir uns über diese Begegnung, die uns da gerade widerfahren war. Ich schimpfte vor mich hin mit Worten, die ich hier nicht wiederholen möchte. Jutta gab zu bedenken: „Was, wenn der uns jetzt folgt?“ „Lass ihn doch folgen, was will er denn machen? Nochmal hält der mich nicht an!“ ,schimpfte ich weiter. Er folgte uns nicht.
Überaus freundlich wurden wir empfangen, an dieser alten Seidenstraßenroute neben der berühmten Karawanserei, an der damals die Händler mit ihren Kamelen ankamen, Quartier fanden und sich erholten, um dann anschließend ihr Ware anzubieten. Ich parke LEMMY hinten im Garten bei unserem Gastgeber, neben einem Neuseeländer, der schon fünf Tage hier ist, erfuhr ich gleich, während Jutta beim Einchecken die Formalitäten erledigt.
LEMMY steht seit einer geraumen Weile, aber Jutta kommt gar nicht zurück vom Einchecken. Mal sehen was da so lange dauert. Es gibt Tee und ein Plausch wird gehalten. Das Gästebuch wird uns präsentiert und Jutta fragt, ob sie denn was reinschreiben soll? Ja, aber erst morgen, noch kennst du mich ja gar nicht. Er spricht ganz passabel Englisch. Ich frage mich, inwieweit sie ihn denn morgen besser kennt, wenn wir nach Besichtigung der großen Karawanserei sofort weiter fahren nach Kappadokien, behalte es aber für mich. Eins ist sicher, der Typ flirtet gerne. Glücklich über dieses versöhnliche Ende des Tages und die gebotene Gastfreundschaft ziehen wir uns zurück.

Die Karawanserei von 1229 ist wirklich beeindruckend. Wir besichtigen die alten Stallungen. Die kleine Moschee, getragen von vier Säulen, inmitten des Hofes ist für Besucher leider geschlossen. Links und rechts die Küche, das Bad, die Quartiere der Händler und die alten Verkaufsräume. Die werden auch heute noch genutzt für wundervoll lackierte Töpferware und so Allerlei. Am faszinierendsten aber ist der Raum mit seinem 32 Säulen, der von der Grundfläche genauso groß ist, wie der offene Hof davor.

Er wurde früher als Stallung genutzt. Betreten wird er durch ein prachtvolles, mit Ornamenten geschmücktem Portal. Im Portal hängt ein riesiger Perlenvorhang, der Innen von Außen trennt. Der Säulenraum erstrahlt in einem perfektem Licht, mit im Boden eingelassenen Lampen um jede der 32 Säulen herum. Der Blick durch den Perlenvorhang lässt mich kaum noch los. Ich kann mich nicht entscheiden welche Ansicht die Schönere ist, von Innen nach Außen oder umgekehrt. Ich werde die Entscheidung später fällen beim Begutachten der Fotos. Das wird allerdings erst in Kappadokien sein.


Eins mussten wir aber noch nachholen, bevor es weiter geht in Richtung Kaya Camp und zwar den Tuz Gölü, diesen Salzsee, den wir gestern nicht gefunden haben. Abends hatten wir beide noch (unabhängig voneinander) nach einem Einstiegspunkt recherchiert und wurden fündig. Es dauerte wieder ca. eine Stunde, etwas mehr vielleicht, bis wir dort waren. Zuvor gab es natürlich noch Chay von unserem flirtenden Gastgeber zum Abschied, ein gemeinsames Foto vor LEMMY und Jutta schrieb etwas in das Gästebuch. Auf Instagram sind wir nun auch befreundet seit dem Besuch des Kervansaray Camps.
„Da kommt gleich der Einstiegspunkt, du musst zusehen, das du links rüber kommst!“ „Ja gut, beim nächsten U-Turn drehe ich um.“ Diese Schnellstraße ist in jeder Richtung zweispurig und in der Mitte ist eine Leitplanke, aber immer wieder gibt es Möglichkeiten die Richtung zu wechseln. Die Zufahrt ist nicht ganz ohne, denn es geht eine schmale, relativ steile Abfahrt runter zum Tuz Gölü. Die Trucks donnern ganz schön schnell an einem vorbei, während man hochkonzentriert darauf schaut, nicht zu weit nach links oder rechts zu geraten, denn dann könnte man umkippen. Es klappt gut und wir erreichen unser Ziel.

Ich befahre zum ersten mal solch ein Terrain und bevor ich mich weiter auf die Salzfläche wage, schalte ich den Allradantrieb ein. Jetzt will ich mal eine Runde drehen und entdecke die ersten drei festgefahrenen Fahrzeuge. Ein Kleinwagen mit Anhänger, dort steht niemand mehr beim Fahrzeug. Dann ein weißer Kleinbus, der erstmal entladen wird und noch ein weißer Kleinwagen, der gerade dabei ist sich selber zu befreien. Das alles sehe ich im Bruchteil einer Sekunde und merke sofort, während ich meinen Kreis fahre, wie LEMMY immer langsamer wird, droht stehen zu bleiben. Runterschalten in den ersten Gang und das Gaspedal ordentlich treten, dann nimmt er wieder etwas Fahrt auf und ich fahre weiter an den offensichtlich festeren Rand des vertrockneten Sees. Wow, das war spannend für mich, sorgt aber bald für einen kleinen Klinsch mit Jutta.

Ich parke LEMMY erstmal und dann realisieren wir die ganzen Männer in schwarzen Anzügen. Die Damen haben auch alle schicke Abendgarderobe an mit weißen Blusen. Jetzt entdecken wir auch die Kameras, die großen Instrumentenkoffer, das Catering und die Teestation. Hier wird heute ein Musikvideo entstehen und die meisten Leute hier gehören zum Filmteam oder zur Band mit kleinem Orchester. Ich spreche einen der Schwarzgekleideten an. Von ihm erfahren wir, dass ein Video gedreht wird, er selber spiele Cello. Die festgefahrenen Fahrzeuge gehören alle zum Team. Es sind sogar vier, einer der Transporter hatte sich richtig weit vorgearbeitet. Der Cellospieler spricht fließend deutsch stellt sich schnell heraus. Noch denkt er, dass es in etwa einer halben Stunde losgeht mit dem Dreh. (Da hatte er sich aber gewaltig verschätzt.)

Wir wollen erstmal Fotos machen, denn wann ist man schon auf einem fast ausgetrockneten Salzsee? „Wir müssen denen aber gleich helfen!“, sage ich zu Jutta. „Auf keinen Fall ziehst du die da raus. Da fährst du dich bloß selber fest!“ „Ach was, ich habe doch das neue kinetische Abschleppseil, 9 m lang. Das wäre doch eine super Gelegenheit es mal auszuprobieren. “ Wir wandern weiter auf den See, machen tolle Bilder und lassen das Thema kurz beiseite. Die kristallisierende Oberfläche schimmert leicht rosa. Schaut man etwas in die Ferne, fängt alles an zu flimmern. Die Berge am Horizont sind wie Luftspiegelungen, wie eine Fata Morgana. Die links beginnende Bergkette endet rechts im Nichts, als schaue ich durch die Berge hindurch. Sie werden zum Teil unsichtbar wie Glas. Ich weiß, der Berg ist da, neben dem Anderen, nur sehen kann ich ihn nicht. Wir springen in die Luft und machen ganz passable Schnappschüsse, machen Nahaufnahmen, schwarzweiß Fotos und experimentieren etwas.

Dann drehen wir langsam um und ich manövriere uns zu dem weißen Kleinwagen. Dort versucht jetzt eine Handvoll Leute das Auto aus seiner misslichen Lage zu befreien, indem sie schieben, während der Fahrer mit durchdrehenden Rädern das Fahrzeug immer weiter eingräbt. „Du ziehst den da nicht raus!“, sagt Jutta energisch zu mir. „Ich habe keinen Bock, dass wir uns dann selber fest fahren.“ „Gut, dann holen wir aber jetzt mal unsere Sandbleche und die Schaufel. “ Damit ist sie einverstanden. Also erstmal die Fahrräder vom Träger runter, damit wir an die dahinter festgezurrten Sandbleche kommen. Mit unserem Bergeequipment geht es wieder zurück zum verzweifelten Fahrer. Die Beteiligten sehen uns kommen und freuen sich über die angebote Hilfe. Ich reiche einem die Schaufel und einem anderen die Sandbleche. Was sie damit machen ist leider nicht wirklich hilfreich. Sie graben nicht tief genug, mittlerweile liegt die Achse auf und die Reifen sind weit im lehmigen Boden, zäh wie Kaugummi, unter der Salzkruste eingegraben.

Ich möchte nicht belehrend auftreten und ihnen erklären, dass sie viel tiefer graben müssen, damit man die Bleche nicht nur vor die Reifen legen kann, sondern ein Stück weit drunter. Ich weiß natürlich auch, wie saumäßig anstrengend das ist und das man dabei ordentlich dreckig wird. Was ich noch nicht weiß ist, dass es auch ein Heidengeschäft für mich wird, die Scheißdinger wieder sauber zu bekommen. Denn der Lehmboden unter der Salzkruste ist wie Klebstoff. Nach 4-5 halbherzigen Versuchen geben sie auf. Sie bedanken sich vielmals und der erste von der Truppe kommt schon auf den Gedanken, dass ich doch auch versuchen könnte den Wagen rauszuziehen. Ein Seil hätten sie sogar. Denn inzwischen haben sie erkannt, dass der Allradcamper da hinten, mit Mr. Kilmister zwischen den beiden Alkovenfenstern, mir gehört. Der Cellospieler ist auch neugierig geworden, was wir Deutschen denn da jetzt anfangen, bei dieser Bergeaktion. Er vermittelt sogar, da er mitbekommen hat, wie Jutta und ich diskutiert haben und Jutta so gar nicht einverstanden ist einen Versuch zu wagen.
Ich probiere es ein letztes Mal und argumentiere: Das Seil ist 9 Meter lang, es ist kinetisch, d. h. es dehnt sich aus bis zu einem gewissen Punkt, dann setzt die Zugkraft ein. Ich kann also etwa 8 m weit von dem zu bergenden Fahrzeug weg sein. Dort wo der Untergrund noch fester ist und dann kann ich ohne Zuglast los fahren mit der Untersetzung drin. Das klappt, da bin ich ganz sicher. Sie legt ihr Veto ein und da wir ja auch heute noch weiter fahren wollen, gebe ich klein bei. Ich war sehr unglücklich über diesen Umstand, dass ich nicht helfen konnte/durfte, obwohl ich sehr sicher war, drei von den vier Fahrzeugen hätte ich bergen können.

Der Cellospieler erklärt unsere (obwohl eher Juttas) Bedenken den anderen Beteiligten und meint, wir hätten eh schon genug getan mit den Sandblechen und der Schaufel. Es gäbe außerdem einen Trecker der zum Helfen kommen könnte, doch der wolle wohl etwas zu viel Geld als Aufwandsentschädigung haben. Wir verabschieden uns und ich bekomme die Zusage, den Link des fertigen Videos geschickt zu bekommen. Jetzt will ich aber wenigstens noch eine Runde drehen und Jutta soll mit dem Handy filmen. Das mochte sie mir nun nicht auch noch verweigern, so dass wenigstens noch ein brauchbares Video zustande kommt. „Ich fahre eine 8!“, rufe ich ihr noch zu, dann setze ich mich ins Auto und fahre los.
Ich wusste jetzt ja wie es sich anfühlt auf einer brechenden Salzkruste zu fahren. Wieder merke ich sofort als ich in den 2. Gang schalte, dass hat gar keinen Sinn, runter in den ersten Gang und Gas geben. So fahre ich meine 8 und noch ein wenig mehr, dann lade ich Jutta wieder ein. Gefilmt hatte sie nur einen Bruchteil davon. Meine Stimmung war trotz einer wahnsinnigen Kulisse, trotz geiler Fotos und einer versuchten, aber gescheiterten Bergungsaktion im Keller.
Zum Kaya Camp schaffen wir es heute auch nicht mehr, da die ganze Tuz Gölü Geschichte viel zu lange gedauert hat. Jetzt müssen wir während der Fahrt mal sehen, wo wir die nächste Nacht stehen können. Im Grunde hatten wir einen tollen Tag, morgens die prachtvolle Sulthanhani Karawanserei, nachmittags den Tuz Gölü mit seinen großartigen Farb- und Lichtspiegelungen. Aber ich war echt abgenervt. Gestern der blöde Vollidiot der 100 Doller für nichts von mir haben will, heute darf ich die Autos nicht aus dem Schlick ziehen.
„Den Videodreh hätte ich übrigens auch gerne gesehen!“, setzte ich noch mal einen kleinen Dolchstoß. Wir fuhren schweigend weiter.
und was als Nächstes geschieht….
TURKEY – CHAPTER III
….und wie wir plötzlich einen ganzen Haufen anderer Overlander treffen und am Lagerfeuer das Ende der Welt erörtern…